Riese auf Besuch: Der Pianist McCoy Tyner kommt nach Montreux

Transcrição

Riese auf Besuch: Der Pianist McCoy Tyner kommt nach Montreux
nzzs
28.06.09
Nr. 26
Seite 46
ku
Teil 01
Riese auf Besuch: Der Pianist McCoy
Tyner kommt nach Montreux
Ist er wirklich erst siebzig Jahre alt?
Man glaubt es kaum. Nicht weil McCoy
Tyner älter aussähe, als er ist. Sondern
weil die Grosstaten, an die man als
Erstes denkt, wenn sein Name fällt, so
lange her sind. Von 1960 bis 1965 war
er der Pianist im Quartett von John
Coltrane, einer der wichtigsten und
einflussreichsten Formationen in der
Geschichte des Jazz.
Hört man sich die Aufnahmen jener
bewegten Zeit an, kann man kaum
glauben, dass da ein Jüngling von gerade einmal 21 Jahren am Klavier sass.
Damals schuf der zwölf Jahre ältere
Saxofonist eine ekstatische Musik, die
zur Signatur der Epoche gehört. Doch
man achte auch aufs Piano! Da spielt
kein Begleiter, sondern ein Partner.
Diese strukturierende Umsicht! Diese
Verbindung von disponierender Intelligenz und rollendem Cluster-Spiel!
Coltrane und Tyner – das war einer
jener Glücksfälle, wie sie sich in der
Musik nur selten ereignen. Eine Kernfusion. Beide waren sie grossartige
Musiker. Aber nie zuvor und nie danach waren sie so gut wie miteinander
– wobei man Jimmy Garrison am Bass
und Elvin Jones am Schlagzeug natürlich nicht vergessen darf. Gegen
dreissig Alben spielte diese Band in
den sechs Jahren ihres Bestehens ein.
Als sie auseinanderbrach, verlor sich
Coltrane im Esoterischen und Experimentellen; zwei Jahre später war er tot.
Zwar war er schon mit McCoy Tyner
in unwegsames Gelände aufgebrochen:
Der gemeinsame Weg hatte die beiden
von der klassischen Strenge von «My
Favourite Things» über die modalen
«Impressions» und die spirituelle
Dichte von «A Love Supreme» bis
zum Dschungel-Sound von «Kulu Se
Mama» und der transzendentalen Entgrenzung von «Ascension» geführt.
Doch solange Coltrane mit Tyner arbeitete, blieb da eine Verbindung zur
Erde. Schon zu Lebzeiten des Meisters
spielte McCoy Tyner indes Aufnahmen
unter eigenem Namen ein, beginnend
mit «Inception» (1962). Der Trompeter
und Musikwissenschafter Ian Carr vergleicht sie treffend mit einem «Matrosen auf Landurlaub». Ein Meisterwerk
legte der Pianist mit dem QuartettAlbum «The Real McCoy» (1967) vor;
eine so innige wie lebhafte Hommage
an Coltrane schuf er mit dem Soloalbum «Echoes of a Friend» (1972). Auch
in den Jahrzehnten seither bestätigte er
seinen Rang als eigenständiger Künstler. Er entwickelte sein modal begründetes harmonisches Konzept weiter
und behandelte das Klavier als orchestrales Instrument. Neben seinem typischen Cluster-Spiel pflegte er aber
auch die Tradition des «klassischen»
Jazz weiter – so in den «Supertrios»
mit Ron Carter und Tony Williams,
Eddie Gomez und Jack DeJohnette.
Kein Zweifel: McCoy Tyner gehört
zu den Revolutionären des Jazz. Dennoch ist er in zweierlei Hinsicht ein
Traditionalist geblieben. Zum einen
hat er stets auf dem Konzertflügel gespielt und sich nie auf Experimente mit
elektronischen Keyboards eingelassen.
Er hat nicht mit den Genres getändelt
wie ein Herbie Hancock oder Chick
Corea. Zum andern ist er zwar manchmal an die Grenzen der Tonalität gegangen, nicht aber über sie hinaus.
Auch in seinen späteren Jahren hat
er immer wieder Aufnahmen von konstanter Qualität vorgelegt. Gewiss ist
er etwas gelassener geworden. Ein extrovertierter Entertainer war er allerdings nie. Seine Kunst hatte immer etwas Monastisches. Dazu passt, dass er
nie mit Eskapaden, Krisen, Abstürzen
von sich reden machte. Er lebte für die
Musik. Das war genug.
Ans Montreux Jazz Festival 2009
kommt der Pianist mit seinem Trio; als
Gäste sind der Saxofonist Gary Bartz
und der Gitarrist Bill Frisell angesagt.
Wir freuen uns auf mächtige QuartSchichtungen, sinfonische Dichte, perkussive Kraft – und auf die Tradition
des Stride-Pianos. Manfred Papst
..................................................................................
Konzert: Montreux, Miles Davis Hall, 14. 7.