Fall 4_Lösung
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Fall 4_Lösung
Fall 4: Verkehrsschildfall: Lösungshinweise: Obersatz: Die Klage des A vor dem angerufenen Verwaltungsgericht hat Aussicht auf Erfolg, wenn alle Sachentscheidungsvoraussetzungen gegeben sind und soweit sie begründet ist. A. Sachentscheidungsvoraussetzungen I. Verwaltungsrechtsweg Für die vor dem Verwaltungsgericht erhobene Klage muss der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein. (Ansonsten Verweisung an das zuständige Gericht des zuständigen Rechtswegs nach § 17 a II GVG) 1. Aufdrängende Sonderzuweisung Eine aufdrängende Sonderzuweisung des Rechtsstreits zu den Verwaltungsgerichten ist nicht ersichtlich. 2. § 40 I S. 1 VwGO - Generalklausel Der Verwaltungsrechtsweg könnte nach der Generalklausel des § 40 I 1 VwGO eröffnet sein. Voraussetzung hierfür ist, dass es sich bei der Klage des A gegen das Halteverbot um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handelt, die nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist. a. Öffentlich-rechtliche Streitigkeit Die Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich, wenn über sie in der Hauptsache nach Maßgabe von Rechtsvorschriften zu entscheiden ist, die öffentlichrechtlicher Natur sind. Rechtsvorschriften sind nach der modifizierten Subjektstheorie öffentlich-rechtlich, wenn sie ausschließlich einen Hoheitsträger gerade in seiner Funktion als Hoheitsträger berechtigen oder verpflichten. Über die Klage des A ist in der Hauptsache nach Maßgabe des § 45 I StVO zu entscheiden. Diese Vorschrift berechtigt ausschließlich die Straßenverkehrsbehörden in ihrer Funktion als Hoheitsträger zur Anordnung von Verkehrsbeschränkungen. Damit ist über die Klage des A in der Hauptsache 1 nach Maßgabe einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift zu entscheiden, so dass die Streitigkeit insgesamt als öffentlich-rechtlich zu beurteilen ist. b. Nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit Die Streitigkeit ist dann verfassungsrechtlicher Art, wenn zwei Verfassungsorgane ausschließlich um die Auslegung und Anwendung von materiellem Verfassungsrecht streiten („doppelte Verfassungsunmittelbarkeit“). Hier streiten A und die Straßenverkehrsbehörde, die beide keine Verfassungsorgane sind, um die Anwendung der Vorschriften der StVO. Diese stellen kein Verfassungsrecht dar, so dass die Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art ist. c. Keine abdrängende Sonderzuweisung Die Streitigkeit ist nicht ausdrücklich durch Bundesgesetz einem anderen Gericht zugewiesen. d. Ergebnis Für die vorliegende Streitigkeit ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 I 1 VwGO eröffnet. II. Statthafte Klageart Weiter ist fraglich, welches die statthafte Klageart ist. Die statthafte Klageart richtet sich gem. § 88 VwGO nach dem klägerischen Begehren. A begehrt die Aufhebung des Halteverbots vor seinem Grundstück. Hierfür könnte eine Anfechtungsklage nach § 42 I Alt. 1 VwGO statthaft sein. Voraussetzung dafür ist, dass das Halteverbot einen Verwaltungsakt i. S. des § 35 S. 1 VwVfG darstellt. Nach § 35 S. 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt jede • Maßnahme (= jedes Verhalten mit Erklärungsgehalt) • einer Behörde (= § 1 IV VwVfG) • auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (vgl. bereits unter Verwaltungsrechtsweg) • zur Regelung (= auf die Herbeiführung von Rechtsfolgen gerichtet) • eines Einzelfalls (Abgrenzung zur Rechtsnorm nach Adressatenkreis und Sachverhalt; hier problematisch) • mit Außenwirkung (Rechtsfolgen sollen außerhalb der Verwaltung, nicht rein verwaltungsintern eintreten) Das Verkehrsschild ist eine Maßnahme einer Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts. Es soll eine Regelung treffen und Außenwirkung erzielen. Fraglich ist, ob es einen Einzelfall im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG regelt. 2 Diese Frage kann mit den normalerweise im Rahmen des § 35 S. 1 VwVfG zur Abgrenzung einer Einzelfallentscheidung von einer Rechtsnorm herangezogenen Kriterien (Sachverhalt/Adressatenkreis) kaum eindeutig gelöst werden. Aufgrund dessen ist in § 35 S. 2 VwVfG für bestimmte Arten hoheitlicher Maßnahmen ausdrücklich angeordnet, dass auch sie Verwaltungsakte in der Form einer Allgemeinverfügung darstellen. Für ein Verkehrsschild in Betracht kommen zwei Alternativen der Allgemeinverfügung nach § 35 S. 2 VwVfG: Es kann sein • ein Verwaltungsakt, der an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis gerichtet ist (Var. 1), oder • ein Verwaltungsakt, der die Benutzung einer Sache durch die Allgemeinheit betrifft (Var. 3). Welche dieser beiden Möglichkeiten auch für einschlägig gehalten wird, in jedem Fall ist das Halteverbot ein Verwaltungsakt in Gestalt einer Allgemeinverfügung1. Daher begehrt A mit der Aufhebung des Halteverbotes die Aufhebung eines Verwaltungsakts, so dass statthafte Klageart für sein Begehren eine Anfechtungsklage nach § 42 I Alt. 1 VwGO ist. III. Klagebefugnis, § 42 II VwGO A müsste des Weiteren klagebefugt sein nach § 42 II VwGO. Dies ist der Fall, wenn A in hinreichend substantiierter Weise Tatsachen vorträgt, die eine Verletzung seiner eigenen Rechte möglich erscheinen lassen. Das angefochtene Halteverbot kann A in seinem Recht auf Gemeingebrauch an der öffentlichen Straße X-Allee gem. Art. 14 I BayStrWG und in seinem Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG verletzen. A ist daher klagebefugt. IV. Vorverfahren, § 68 I VwGO Grundsätzlich ist gemäß § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO vor Erhebung der Anfechtungsklage ein Widerspruchsverfahren durchzuführen. Dieses ist jedoch gemäß § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO entbehrlich, wenn ein Gesetz dies bestimmt. Seit dem 1. Juli 2007 gilt in Bayern die Neufassung des Art. 15 BayAGVwGO. Danach ist in manchen Rechtsgebieten ist nach Art. 15 I BayAGVwGO ein Vorverfahren fakultativ. Vorliegend ist jedoch keines dieser Rechtsgebiete einschlägig. Da die Voraussetzungen des Art. 15 I BayAGVwGO nicht vorliegen, ist gemäß Art. 15 II BayAGVwGO das Widerspruchsverfahren nicht statthaft. A muss daher sofort Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben. 1 Verkehrszeichen in Form von Verkehrsschildern gem. §§ 41, 43 StVO werden nach a.A. als dingliche Verwaltungsakte oder als Rechtsverordnungen qualifiziert, vgl. hierzu Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2009, § 9 Rn. 36 ff. 3 V. Klagefrist und -form, §§ 74 I, 81 I 1VwGO Für eine fristgerechte Klagerhebung muss grundsätzlich die Monatsfrist des § 74 I VwGO eingehalten werden. Da aber keine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt wurde, gilt gem. § 58 II VwGO die Jahresfrist. Diese wurde laut Sachverhalt gewahrt. Von der nach § 81 I 1 VwGO erforderlichen Schriftform ist ebenfalls auszugehen. VI. Sachliche und örtliche Zuständigkeit des Gerichts Das Verwaltungsgericht Würzburg ist nach § 45 VwGO sachlich und nach § 52 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 1 II Nr. 5 BayAGVwGO örtlich zuständig. VII. Beteiligten- und Prozessfähigkeit 1. Kläger: A ist als natürliche Person sowohl nach § 61 Nr. 1 Alt. 1 VwGO beteiligten- als auch nach § 62 I Nr. 1 VwGO i.V.m. §§ 104 ff. BGB prozessfähig. 2. Beklagter: Die Stadt Würzburg ist als Gebietskörperschaft des öffentllichen Rechts eine juristische Person und damit beteiligungsfähig gemäß § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO. Gemäß § 62 III VwGO i.V.m. Art. 38 I, Art. 34 I 2 BayGO wird sie im Prozess von ihrem Oberbürgermeister vertreten. VII. Ergebnis Für die Klage des A sind alle Sachentscheidungsvoraussetzungen gegeben. B. Begründetheit Obersatz: Die Anfechtungsklage des A ist begründet, wenn sie sich gegen den richtigen Beklagten richtet, soweit das Halteverbot rechtswidrig und A dadurch in seinen Rechten verletzt ist, §§ 78 I Nr. 1, 113 I 1 VwGO. I. Passivlegitimation, § 78 I Nr. 1 VwGO Richtige Beklagte ist nach dem in Bayern gültigen Rechtsträgerprinzip (es ist stets der Rechtsträger der handelnden Behörde zu verklagen) die Stadt Würzburg als Gebietskörperschaft (Gemeinde), Art. 1 S. 1, Art. 3 I BayGO. II. Rechtswidrigkeit des Halteverbots Das Halteverbot als belastender Verwaltungsakt könnte wegen Verstoßes gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsatz vom Vorbehalt bzw. Vorrang des 4 Gesetzes rechtswidrig sein, wenn es ohne gesetzliche Grundlage erlassen worden ist oder wenn bei seinem Erlaß eine vorhandene gesetzliche Grundlage fehlerhaft angewendet worden ist. 1. Ermächtigungsgrundlage Als Ermächtigungsgrundlage für das Halteverbot kommt hier § 45 I 2 Nr. 1 StVO in Betracht. An der Wirksamkeit dieser Ermächtigungsgrundlage bestehen keine ernsthaften Zweifel. 2. Formelle Rechtmäßigkeit Fraglich ist, ob das Halteverbotsschild als VA formell rechtmäßig erlassen wurde. a) Laut Sachverhalt hat die zuständige Straßenverkehrsbehörde gehandelt. b) Hinsichtlich des Verfahrens könnte problematisch sein, dass vor Aufstellen der Halteverbotsschilder keine Anhörung der Anwohner erfolgte. Bei Erlass einer Allgemeinverfügung ist jedoch eine Anhörung nach Art. 28 II Nr. 4 Alt. 1 BayVwVfG entbehrlich. c) Zweifel an der Anordnung des Halteverbots in der in der StVO bzw. StVZO vorgeschriebenen Form bestehen nicht. Eine Begründung nach Art. 39 I BayVwVfG ist nicht erforderlich, da weder ein schriftlicher noch ein elektronischer Verwaltungsakt vorliegt. 3. Materielle Rechtmäßigkeit Fraglich ist, ob das Verkehrschild als VA auch in materiell rechtmäßiger Weise erlassen worden ist. a. Tatbestand Die erste Voraussetzung für die materielle Rechtmäßigkeit der Anwendung des § 45 I 2 Nr. 1 StVO liegt vor: das Halteverbot ist hier zur Durchführung von Arbeiten im Straßenraum angeordnet worden, so dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsnorm gegeben sind. b. Rechtsfolge: Ermessen Fraglich ist jedoch, ob die verhängte Rechtsfolge materiell rechtmäßig ist, insbesondere ob die Anordnung eines Halteverbots für die X-Allee vor dem Haus des A ermessensfehlerfrei erfolgt ist. Die Ermessensentscheidung könnte vorliegend fehlerhaft sein, wenn sie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. 5 Verhältnismäßig ist eine Maßnahme, die zur Erreicheung eines legitimen Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen (erforderlich im engeren Sinne) ist. Legitimer Zweck ist die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs. Laut Sachverhalt ist die Anordnung des Halteverbots vor dem Grundstück des A zur Erleichterung der Durchführung der Straßenbauarbeiten nicht geeignet, zumindest aber nicht erforderlich (nicht das mildeste Mittel bei gleicher Effektivität). Deshalb verstößt diese Anordnung gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist die Anordnung des Halteverbotes vor dem Grundstück des A ermessensfehlerhaft. c. Ergebnis Wegen Ermessensfehlerhaftigkeit ist die Anordnung des Halteverbotes vor dem Grundstück des A materiell rechtswidrig. III. Rechtsverletzung Die rechtswidrige Anordnung des Halteverbots vor dem Grundstück des A verletzt dessen Recht auf Gemeingebrauch gem. Art. 14 I BayStrWG. IV. Ergebnis Die Klage des A ist begründet, weil sie sich nach § 78 I Nr. 1 VwGO gegen den richtigen Beklagten richtet, die Anordnung des Halteverbots vor seinem Grundstück rechtswidrig ist und dadurch A in seinen Rechten verletzt. C. Endergebnis Die Klage des A hat damit Aussicht auf Erfolg. 6