Wie ewig ist das Eis?

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Wie ewig ist das Eis?
Forschung Spezial
Mittwoch, 17. 1.
2007 2007
Jänner
der Standard 15
JOURNAL FÜR WISSENSCHAFT, TECHNOLOGIE & ENTWICKLUNG
Wie
ewig ist
das Eis?
Im kommenden März beginnt das
Internationale Polarjahr mit insgesamt
sechzig beteiligten Nationen. Auch Österreich
ist mit mehreren Projekten vertreten:
Zentrales Thema ist dabei das schwankende
Klima und die Gefährdung von Mensch und Tier
durch Umweltverschmutzung.
Hubertus Breuer
Foto: David
Der Nordpol ist unter Naturwissenschaftern schon lange
populär. Ein alter Witz unter
den Eingeborenenvölkern des
nördlichen Polarkreises, Indianern und Inuit, lautet deshalb: Die typische Arktisfamilie besteht aus Vater, Mutter,
vier Kindern – und einem Anthropologen. Diese Weisheit
erhält ab 1. März dieses Jahres
neuen Auftrieb, denn dann beginnt offiziell das vierte Internationale Polarjahr mit sechzig beteiligten Nationen und
einer mit 500 Millionen Dollar
gefüllten Kasse.
Oft finden solche Gipfel
multinationaler Forschung in
den Kühlhäusern der Welt gewiss nicht statt. Zuletzt koordinierten die an der Arktis interessierten Länder 1957–58
und davor 1932–33 ihre Forschungsbemühungen.
Das
erste Polarjahr fand gar bereits
vor 125 Jahren statt, noch initiiert von dem in österreichischen Diensten stehenden
Marineoffizier Carl Weyprecht. Stets ging es darum,
die globale Bedeutung der Region zu eruieren: im 19. Jahrhundert stand die Rolle der polaren Luftmassen auf der Tagesordnung, später die Strahlströme, die in den oberen Atmosphäreschichten von den
Polen zu den gemäßigteren
Zonen wehen, und wie das
Magnetfeld die Erde vor der
gefährlichen
kosmischen
Strahlung schützt.
Bloße Bestandsaufnahmen
reichen nicht mehr aus. Bis
zum Frühjahr 2009 zieht eine
kleine Heerschar von Meteorologen, Zoologen, Mikrobiologen, Ozeanografen, Physikern mit Rucksack und Messinstrumenten in Richtung
INHALT
Norden und Süden, vor allem,
um das aus dem Rhythmus geratene Räderwerk der globalen
Klimaerwärmung genauer unter die Lupe nehmen. Denn an
den Polen macht sich der Temperaturumschwung seit Jahren drastisch bemerkbar: der
Permafrostboden taut auf und
setzt das Treibhausgas Methan frei, riesige Eisschelfe
brechen ab und verflüssigen
sich, und den Tieren geht es
arg an den Kragen. Die prominentesten Opfer sind wohl die
Eisbären, deren Lebensraum
buchstäblich unter ihren Tatzen wegschmilzt. Aller Grund,
besorgt zu sein.
Den Löwenanteil der Forschungsprojekte
finanziert
Vom hohen Norden
kommen sie: Eisbären sind
nicht die einzigen
Betroffenen des
Klimawandels in den
Polarregionen. Auch Inuit
leider unter den direkten
Folgen.
Fotos: APA
Kanada mit rund 150 Millionen Dollar. Auch die skandinavischen Länder und die Vereinigten Staaten steuern immerhin noch rund 60 Millionen Dollar bei. Bis zu 500 Millionen Dollar insgesamt,
schätzt man, werden letztlich
investiert.
Auch Österreich ist finanziell beteiligt. Ursprünglich
hoffte man auf viel Geld: auf
mehr als fünf Millionen Euro
für ein mehrjähriges Forschungsvorhaben, das sich auf
das „Franz-Josef-Land“ konzentriert: ein 200 Inseln umfassendes, 900 Kilometer südlich des Nordpols gelegenes
Archipel, das Weyprecht 1873
bei der Suche nach der Nordostpassage vom Atlantik in
den Pazifik entdeckte. Immerhin 500.000 Euro steuerte das
Wissenschaftsministerium
letztlich bei. Mehrere Projekte
im Franz-Josef-Land und andernorts in den Polarregionen
werden damit unterstützt.
Das Forschungsvorhaben
„Fermap“ („Franz-Josef-Land
Environmental Research, Mo-
nitoring and Assessment Program“) ist weiterhin das Herzstück der österreichischen Polarvorhaben. Da hilft, dass,
wer knapp bei Kasse ist, erfinderisch wird.
So ist geplant, dass sich im
Sommer Forscher aus Österreich einer Expedition Richtung Franz-Josef-Land auf einem russischen Forschungsschiff anschließen. Auf den Inseln sollen sie dann aus den
Gletschern Eiskerne bohren,
erforschen, wie sich Permafrost und Vegetation verändert, und Messungen für die
Fernerkundungen durchführen, die den Experten künftig
erlauben sollen, Satellitendaten besser zu verstehen.
Die Inselgruppe ist dabei
aufschlussreich, weil sie an
der Grenze vom Packeis zum
offenen Meer liegt. Hier machen sich die Schwankungen
im Klima rasch bemerkbar.
Aber auch andere österreichische Projekte finden in den
Polarregionen statt – etwa von
der umtriebigen Polarforscherin Birgit Sattler von der Uni-
versität Innsbruck, die 2002
stolz als erste Österreicherin
am Südpol stand. Dort, im ewigen Eis, wo dem Laienauge alles wüst und leer erscheint,
spürt die Tiroler Biologin Leben auf: Mikrobenkolonien,
Extremophile genannt, die es
sich als geschickte Überlebenskünstler im harschen Lebensraum gemütlich gemacht
haben. Die Spartaner ernähren
sich von karger Pollenkost und
winzigen Pflanzenresten, die
Wind aus fernen Breitengraden ablädt.
Radioaktivität im Eis
Ende Januar bricht sie, finanziert von der amerikanischen Planetary Studies Foundation, erneut in Richtung
Antarktis auf. Sie untersucht
dort den Einfluss, den Radioaktivität auf die Kleinstlebewesen hat. Denn während das
Gletschereis schmilzt, werden
radioaktive Partikel frei, die
noch von der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl oder
Atombombentests stammen.
Auf der anderen Ende der
Welt, in der kanadischen Arktis, spürt der Zoologe Günter
Köck von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Interview) gemeinsam mit dem Doktoranden Klaus Gantner Schwermetallkonzentrationen am Lake
Hazen anhand des hochgiftigen Quecksilbers nach.
Die Arbeit umfasst alle Aspekte des Polarjahrs: Sie erlaubt, die aus den Industrieländern herbeigetragene Luftverschmutzung zu dokumentieren, wie sich giftige Stoffe in
Fischen anreichern und zu
schweren Entwicklungsschäden bei Inuit-Kindern führen,
da sie die Schadstoffe über die
Muttermilch und andere Nahrung zu sich nehmen.
Auch die Klimaveränderung lässt sich ablesen. Je länger der Sommer, desto schneller laufen die Stoffwechselprozesse ab – und umso mehr
Schwermetalle nehmen die Fische auf. Wenig überraschend
haben Köck und Gantner stark
gestiegene Quecksilberkonzentrationen festgestellt.
„Die Wetterküche des Klimas“
Der Zoologe Günther Köck
entdeckte einen klaren
Zusammenhang zwischen langen,
heißen Sommern und
Schwermetallbelastungen bei
Fischen in arktischen Seen.
Hubertus Breuer sprach mit ihm.
Standard: Eine lange Tradition
der österreichischen Polarforschung scheint es nicht zu geben?
Köck: Die Pole sind weit weg,
deshalb leuchtet es nicht immer ein, warum man dort forschen soll. Als ich mit dem Institut für Zoologie an der Uni
Innsbruck 1997 das bis heute
laufende Arktisprojekt „HighArctic“ aufbauen wollte, bekamen wir überraschend Restgelder des Wissenschaftsmi-
Robert Schiestl,
österreichischer
Professor für
Pathologie in
Los Angeles,
über Heimatgefühl
und Rückkehr.
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nisteriums, 100.000 Schilling.
Das nun riesige Kooperationsprojekt ließ sich damals verwirklichen, weil wir in der
Freizeit und größtenteils unbezahlt gearbeitet haben.
Standard: Und heute?
Köck: Geld ist nach wie vor
knapp, aber inzwischen hat
sich doch immerhin ein Verständnis dafür entwickelt,
dass die Polarregionen die
Wetterküche des Weltklimas
Geistesblitz:
Marianne
KohlerSchneider,
Archäobotanikerin.
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sind. Was dort passiert, sucht
uns alle früher oder später
heim. Zudem stellen wir fest,
dass bestimmte Entwicklungen in den Alpen überraschende Parallelen im hohen Norden haben. So haben wir in
hiesigen
Hochgebirgsseen
und in den arktischen Seen einen klaren Zusammenhang
zwischen langen, warmen
Sommern
und
erhöhter
Schwermetallkonzentration
in Fischen festgestellt.
Standard: Warum gerade
Schwermetalle?
Köck: Schwermetalle werden
von den großen atmosphärischen Windsystemen aus dem
Süden in die Arktis getragen.
Und von einigen Schwermetallen wie Quecksilber ist
nachgewiesen, dass sie sich in
der Nahrungskette anrei-
chern. Und das erzeugt massive Probleme für die Inuit – es
kommt zu geistigen Entwicklungsstörungen bei Kindern.
Standard: Wäre es nicht einfacher, etwas anderes zu essen?
Köck: Sie sitzen zwischen
zwei Stühlen. Westliche Nahrung ist nicht unbedingt gesund für sie und führt auch bei
ihnen zu Gesundheitsproblemen, die wir von uns kennen:
Übergewicht, Diabetes, HerzKreislauf-Erkrankungen. Aber
ihre traditionelle Nahrung, an
die sie angepasst sind – Meeresfische, Robben und Wale –
ist mit Schwermetallen und
anderen Schadstoffen belastet.
Standard: Inuit haben nicht
nur gute Erfahrungen mit Forschern gemacht. Manche infor-
mierten die Inuit nicht einmal,
was sie erforschen wollten.
Köck: Wir arbeiten eng mit
Inuit zusammen. Sie erfahren
nicht nur genau, woran wir
forschen, sie erhalten auch die
Ergebnisse.
Standard: Wie macht sich der
Klimawandel im hohen Norden bemerkbar?
Köck: Unsere Forschungsstation steht in Resolute Bay, rund
1700 Kilometer vom Nordpol
entfernt. Dort gab es seit Jahrhunderten eine zauberhafte
Eishöhle. Die ist vor zwei Jahren eingestürzt.
ZUR PERSON:
Günter Köck ist Projektmanager der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
und Zoologe an der Universität Innsbruck.
Ein neues
Christian-DopplerLabor soll die
Produktion von
Solarzellen
effizienter und
billiger gestalten.
And the winner is:
Die Preisträger
des FIT-IT-Förderprogramms und
ihr Zugang zum
Thema „radikale
Innovation“.
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