Christ in der Gegenwart 2014-29
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Christ in der Gegenwart 2014-29
CHRIST IN DER GEGENWART 29 Demokratie exportieren? Irak, Afghanistan und Länder der Arabellion sind nicht reif für unser politi325 sches System. 66. JAHRGANG FREIBURG, 20. JULI 2014 Baustelle Vatikanbank Der Chef-Kontrolleur der Vatikanbank ist in kurzer Zeit effektiv gegen Geldwäsche vorgegangen. Er wird ausgetauscht. 327 WWW.CHRIST-IN-DER-GEGENWART.DE DER KOMMENTAR Wir W ir sind Weltmeister – zumindest für einige Stunden, ein paar Tage, bis der Freudenrausch abgeklungen ist. Beim Lesen dieser Zeilen gilt für die meisten bereits: Wir waren Weltmeister. Der Alltag hat uns wieder. Zuvor jedoch sahen wir, dass Soziologen, die eine individualistische Gesellschaft verkünden, nicht ganz recht haben. Auch in Zeiten der Vereinzelung ist das Vergemeinschaftungsbedürfnis nicht verflogen. Je weniger Milieus, Parteien, Konfessionen und Religionen die Zugehörigkeit bestimmen, umso mehr wächst die Sehnsucht, sich anderswoher als Gemeinschaftswesen zu konstituieren, sich eine kollektive Identität wenigstens einmal zu borgen. Daher umarmen sich Wildfremde im Freudentaumel beim Public Viewing, suchen Massen die Wärme der Fanmeile. Das tröstet gegen Einsamkeit, das erlaubt, Gefühle mit „Gleichgesinnten“ zu teilen, die sonst nicht gleichgesinnt sind. Eine Fußball-WM ist etwas Besonderes, Einzigartiges. Im Unterschied zu Weltmeisterschaften, die jährlich stattfinden, gibt es dieses Turnier nur selten, bloß alle vier Jahre. Es dauert womöglich Jahrzehnte, bis eine Ländermannschaft wieder einmal die Chance hat, nach dem Pokal der Pokale zu greifen. Und wann je schaut wieder einmal ein farbenfroh leuchtender segnender Christus zu wie über Rio, der Stadt so vieler erfüllter und geplatzter Träume? Die Fußball-WM widersetzt sich jedenfalls noch, solange die Fifa nicht andere geldgierige Pläne hegt, der Nivellierung durch die Inflation der Events, die austauschbar sich gegenseitig auslöschen. Die Erinnerung an ein WM-Turnier bleibt in der Seele ein Leben lang haften. Weißt du noch, damals …? Das melancholische Verwehen der Zeit erhält im Fußball dichtesten Ausdruck, einen existenziellen Ankerpunkt. Vor allem aber war es diesmal die Leichtigkeit des Spielerischen nach dem Spiel, die berührte. Früher wäre es bei diesem „bierernsten“ Männersport undenkbar gewesen, dass Freundinnen, Frauen und Kinder der Athleten sich unmittelbar nach Abpfiff auf dem Rasen versammeln, sich herzen, küssen, miteinander flachsen, Späße machen. Die herrlichste Nebensache der Welt hat jenseits der Milliarden-Beträge, um die sich alles dreht, plötzlich etwas ganz schlicht Menschliches gewonnen. Sinnbild dafür war die Szene, wie ein beliebter Stürmer ganz allein mit sich und seinem kleinen Sohn in der bedeutendsten Arena der Welt, dem Maracanã, kickte, Elfmeterschießen „übte“, als wäre vorher nichts gewesen, während alle anderen in der Kabine feierten oder Interviews gaben. Die große Welt wird plötzlich ganz einfach und klein. Das ist das wahre Leben, in dem wir uns wiederfinden als Zuschauer und Beteiligte – auf Zeit. CIG Das Kalifat Die ersten Kalifen waren Verwandte Mohammeds. Ein Isis-Terrorist macht 326 sich zum Nachfolger. EINZELPREIS: 2,60 EURO 321 Unkraut im Weizen Wie sollen wir mit Fehlern und Übeln umgehen? Von Klaus Werger D as herabsetzende Reden über andere ist weit verbreitet. Vielleicht waren wir selbst schon einmal daran beteiligt. Meist vollzieht es sich hinter dem Rücken der Betroffenen. Im Internet wird eine noch größere Öffentlichkeit erreicht; mit der Anonymität wächst anscheinend die Boshaftigkeit. Ein solcher Austausch über einen Menschen bedeutet, dass sein Bild in den Köpfen der anderen – manchmal sogar in seinem eigenen – in entstellender Weise bekritzelt oder gar unkenntlich gemacht wird. So als würde Unkrautsamen über ein Weizenfeld gestreut. Von einer solchen Beschädigung erzählt das Matthäusevangelium (13,24–30). In der Geschichte wird dieser Anschlag vom „Feind“ des Gutsherrn verübt. Nach der Deutung des Gleichnisses, die wenig später im Text selbst gegeben wird (Verse 36–43), ist die Aussaat des Unkrauts ein Werk des Teufels. Jesus selbst mag die Figur des Feindes so erklärt haben oder doch eher der Verfasser der Geschichte, wie die meisten Bibelausleger meinen. Nun hat es etwas Diabolisches, wenn unnötige Mühen verursacht werden, das Ergebnis bereits geleisteter Mühen gemindert, heimlich der unbeobachtete Moment oder die Schwachstelle ausgenutzt wird. Leider ist das Diabolische in diesem Fall zugleich sehr menschlich. Das Gerede Sicher gibt es die Feindschaften, bei denen mit intrigant „gestreuten“ Gerüchten gekämpft wird. Typischer beim „Lästern“, und noch erschreckender, dürften die Gedankenlosigkeit und das „gute“ Gewissen der Beteiligten sein. Es scheint ja angeblich keinen Schaden anzurichten. Die anderen machen ja auch mit. Tatsächlich aber wird der Betroffene entsprechend dem Bild, das mit dem Gerede gezeichnet wird, eingeschätzt und behandelt. Das kann handfeste Folgen haben. Mobbingopfer kennen die verhängnisvollen Auswirkungen auch scheinbar harmloser Witzeleien. Das Nebeneinander von Weizen und Unkraut im Gleichnis weist auf das Nebeneinander von Gut und Böse hin. Der Verfasser wird zerstörerische Kräfte im Blick gehabt haben, von denen Mitglieder seiner Gemeinde betroffen waren. Überraschend im weiteren Verlauf der Gleichniserzählung ist, dass das Unkraut zunächst nicht beseitigt werden soll – mit der Begründung, dass dabei auch die nützlichen Pflanzen entfernt werden könnten. Erst bei der Ernte – man hat an das Gericht Gottes zu denken – werden auf Anweisung des Gutsherrn Unkraut und Weizen, das Gute und das Böse voneinander getrennt. Eine mögliche Bedrohung der guten Pflanzen durch das Unkraut spielt hier keine Rolle. Damit stößt die Aussagekraft des Gleichnisses an ihre Grenzen. Dem üblen Gerede über einen Mitmenschen etwa darf man nicht tatenlos zusehen. Aber im Gleichnis kommt es auf etwas anderes an. Unkraut kommt auch ohne eigenes Zutun aufs Feld. Fehler und Schwächen, über die geredet wird, kön- Körperwelten: Nacktheit, Scham und Peinlichkeiten Die westlichen Gesellschaften und Kulturen tendieren zum Schamverlust. Diese Beobachtungen drängen sich auf. Doch sie sagen nicht die ganze Wahrheit. Unsere Bilder zeigen Adam und Eva als Ausschnitte aus dem berühmten Genter Altar des Malers Jan van Eyck (1432), in der Mitte eine Aufnahme des amerikanischen Fotografen Spencer Tunick: Tausend Nackte im alten New-York-Zentralbahnhof 323 in Buffalo. (Fotos: picture-alliance) 322 Religiöser Leitartikel / Nachrichten nen tatsächlich vorhanden sein. Was ist gerechtfertigte, sachliche Kritik? Und was ist bloßes, unnötiges Gerede, das man sich leicht auch hätte sparen können? Das Gleichnis macht eine wichtige unterscheidende Aussage. Rät es doch, den guten Anlagen besondere Fürsorge und Aufmerksamkeit zu schenken, gerade wenn es sich um „zarte Pflänzchen“ handelt. Sie dürfen durch Maßnahmen gegen das Unkraut nicht gefährdet werden. Im größeren Rahmen sind damit Lösungen ausgeschlossen, durch die Unschuldiges bedroht und vernichtet wird („Kollateralschäden“), wenn Böses umfassend und „radikal“, das heißt von den Wurzeln her, bekämpft wird. Was unsere Mitmenschen angeht, bleibt es eine tägliche Aufgabe, den anderen durch das Unkraut hindurch wahrzunehmen. Der andere bleibt dabei ja immer der Nächste. Er ist wie wir das Geschöpf des Vaters im Himmel. Tattoos sind Frauensache Der Eindruck täuscht: Auch wenn während der Fußballweltmeisterschaft zahlreiche Spieler großflächige Tätowierungen aufwiesen, so ist das Tattoo inzwischen überwiegend Frauensache – hierzulande vor allem in der jungen Generation. Nach einer Umfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach sind dreißig Prozent der 16- bis 29-jährigen Frauen tätowiert. Unter den gleichaltrigen Männern sind es lediglich 18 Prozent. Interessant ist auch ein Ost-West-Gefälle: So ist der Anteil der Tätowierten in Ostdeutschland mit 41 Prozent doppelt so hoch wie im Westen. Auch Personen mit Hauptschuloder Realschulabschluss lassen sich doppelt so häufig tätowieren wie Abiturienten. Kopie und Kultur „Kopieren ist eine menschliche Kulturtätigkeit der größten Wichtigkeit und allerersten Güte.“ Das sagte der Münsteraner Philosoph Reinhold Schmücker im „DeutschlandRadio Kultur“. Kopieren sei nicht einfach mit Abschreiben oder Betrug gleichzusetzen. Der Mensch habe zu allen Zeiten durch Kopieren wesentliche Dinge gelernt, gerade auch praktische Kenntnisse wie Fremdsprachen oder Kochen. Verbot für Chinas Muslime Die chinesische Regierung hat ihren Mitarbeitern in der Nordwest-Provinz Xinjiang, wo viele Muslime leben, verboten, während des Ramadan zu fasten. Beamte, Lehrer und Mitglieder der Kommunistischen Partei wurden aufgefordert, das Fasten zu unterlassen. Es handelt sich dabei um eine Maßnahme, die begleitet ist von Festnahmen, drastischen Urteilen und Hinrichtungen als Reaktion auf blutige Anschläge mit Dutzenden von Toten in China. Die Behörden machen muslimische Extremisten von Xinjiang aus der Minderheit der Uiguren für die Attentate verantwortlich. Im religiösen Fasten sehen die staatlichen Behörden die Gefahr einer Solidarisierung mit dem Radikal-Islam in China und seinen politischen Abspaltungstendenzen. Nr. 29 / 2014 CIG CHRISTLICHES ZEITGESCHEHEN Woelki: Freude am Rhein, Missmut im Osten Die schnelle Besetzung des Bischofsamtes in Köln mit Kardinal Rainer Maria Woelki aus Berlin hat unter ostdeutschen Bischöfen neben Glückwünschen auch eine leise indirekte Kritik ausgelöst. Der Magdeburger Bischof Gerhard Feige sagte: „Angesichts dessen, dass für Köln in noch nicht einmal einem halben Jahr ein neuer Erzbischof gefunden werden konnte, wirkt es umso befremdlicher, dass Erfurt schon fast zwei Jahre auf einen neuen Bischof warten muss.“ Zudem sei es „kein ermutigendes Signal für den Osten Deutschlands, wenn ein aus dem Rheinland gekommener Hoffnungsträger nach nur drei Jahren schon wieder in seine Heimat zurückkehrt.“ Offensichtlich sei Berlin als Hauptstadt für die katholische Kirche in Deutschland doch nicht so bedeutungsvoll, wie immer wieder behauptet wird. Auch der Erfurter Weihbischof Reinhard Hauke äußerte sich missmutig über die außerordentlich lange Vakanz in Thüringen. In der säkularen Presse fand die Wahl Woelkis zum neuen Leiter eines der wich- tigsten und reichsten Bistümer weltweit ein überwiegend freundliches Echo. Besonders gelobt wurden sein geschicktes, menschennahes Auftreten, sein bescheidener Lebensstil und sein verbindlicher Umgang ohne polemische Untertöne. Der „Tagesspiegel“ nannte Woelki den „Shooting-Star“ unter den Bischöfen. Er sei der „Prototyp“ einer kommenden Bischofsgeneration, die „nicht mehr kauzig und dogmatisch verbohrt“ sei, sondern menschenzugewandt und sozial. „Die neuen Männer reden von Barmherzigkeit und meinen es auch so. Sie gehen auf Menschen zu – in Maßen sogar auf ihre Kritiker – und haben ein Herz für sozial Benachteiligte. Theologisch konservativ sind sie trotzdem … Die Laien sollen sich beteiligen, das ist sogar erwünscht – doch nur so lange, wie sie die Autorität der Priester und Bischöfe stützen.“ Die „Frankfurter Allgemeine“ erinnerte daran, dass – wie in Freiburg – keiner der Kandidaten, die das Domkapitel vorgeschlagen hatte, von der römischen Bischofskongregation auf die Auswahlliste gesetzt wurde. Da Woelki im Herzen „ein Mann der Caritas, nicht der Hinterzimmer der Berliner Politik sei“, spreche einiges dafür, dass man im Vatikan eine doppelte Chance nutzen wollte: „das Erzbistum Köln zu befrieden und für Berlin nach einem neuen Erzbischof Ausschau halten zu können“. Die „Welt“ spekulierte, dass Woelkis Wechsel der Auftakt einer größeren Bischofsrochade sein könnte. Demnach sei der Münchner Kardinal Reinhard Marx im Gespräch als sein Nachfolger in Berlin. „Er ist ein Stratege, er denkt machtpolitisch, macht in Talkshows eine gute Figur. In der Hauptstadt könnte er zu einer Art Katholiken-Bundeskanzler aufsteigen und seine Kontakte zur Regierung weiter intensivieren.“ Das Erzbistum München und Freising wäre dann frei für den päpstlichen Sekretär Georg Gänswein. Marx stellte jedoch klar: „Selbstverständlich bleibe ich in München.“ Joachim Gauck, das Militär und die Jesus-Geschichte Boff über die Brasilianer „So wie wir eine Polizei haben und nicht nur Richter und Lehrer, so brauchen wir international auch Kräfte, um Verbrecher oder Despoten, die gegen ihr eigenes Volk oder ein anderes mörderisch vorgehen, zu stoppen.“ Mit diesen Worten hat Bundespräsident Joachim Gauck seine Forderung bekräftigt, dass Deutschland notfalls auch militärisch international eine stärkere Rolle übernehmen müsse. Diese Sichtweise ist von 65 evangelischen Pfarrern aus Ostdeutschland in einem offenen Brief kritisiert worden. „Wer einmal in seinem Leben miterleben durfte, dass mit Gewaltlosigkeit große gesellschaftliche Veränderungen bewirkt wurden, der ist aus Dankbarkeit für diese Erfahrung eigentlich den Rest seines Lebens dazu verpflichtet, an diese Erfahrung anzuknüpfen, auch unter gewandelten gesellschaftlichen Verhältnissen.“ Die Pfarrer erinnern an die Ökumenische Versammlung der DDR-Kirchen von 1989, an der Gauck als Pfarrer teilgenommen hatte. In dem damaligen Abschlussdokument hieß es: „Im Verzicht auf militärische Gewalt als Mittel der Politik sehen wir einen notwendige Schritt zur Schaffung einer europäischen und weltweiten Friedensordnung.“ Unterstützung erhielten die Pfar- Die Hochstimmung, die „quasireligiöse Überhöhung“ des Fußballs und der brasilianischen Nationalmannschaft hätten die Bevölkerung nicht auf das vorbereitet, was im Sport gilt: „Einer gewinnt, und einer verliert.“ Das schrieb der brasilianische Theologe Leonardo Boff nach dem traurigen Abschneiden seines Landes bei der Weltmeisterschaft in der „Süddeutschen Zeitung“. Die Fans täten ihm leid. „Die meisten fühlen sich nun geradezu verwaist.“ Brasilien sei ein vielfältiges und gespaltenes Land, „das kaum etwas hat, was gut funktioniert“. Das Gesundheitssystem sei bloß für die Reichen gut, das Bildungssystem ebenso, das Verkehrswesen marode, die Sicherheit schlecht, die Polizei oftmals brutal. „Wir sind in fast nichts gut. Aber wir sind ein gastfreundliches und verspieltes Volk.“ rer von der Luther-Botschafterin Margot Käßmann und vom Bischof im Sprengel Mecklenburg-Vorpommern, Andreas von Maltzahn. Margot Käßmann sagte, es sei Aufgabe der Kirchen, die Friedensbotschaft Jesu gegen die Anfeindungen zu verteidigen. Gauck müsse sich fragen lassen, ob er noch in dieser Tradition stehe. Dagegen erklärte der künftige evangelische Militärbischof Sigurd Rink: „Es gibt Situationen, in denen die Völkergemeinschaft eingreifen muss, um größeres Unglück zu verhindern.“ Der Berliner Historiker Heinrich August Winkler nannte den Protestbrief der Pfarrer weltfremd und fundamentalistisch. „Was die ostdeutschen Pfarrer und ihre westdeutschen Unterstützer … wissentlich oder unwissentlich infrage stellen, ist nichts Geringeres als die Westbindung Deutschlands mitsamt den daraus resultierenden Verpflichtungen“, schreibt er in der „Süddeutschen Zeitung“. In ihrem Innerlichkeitspathos seien sie „den national gesinnten Pastoren der wilhelminischen Zeit ähnlicher, als ihnen bewusst ist“. Von katholischer Seite gibt es bisher keine kritischen Äußerungen von offizieller Seite gegen Gaucks Vorstellungen. Kreativität kann die Seele heilen Jede kreative Tätigkeit kann seelische Leiden, ja Krankheiten heilen helfen. Davon ist Rainer M. Holm-Hadulla, Professor für psychotherapeutische Medizin in Heidelberg, überzeugt. Dabei gehe es um die Suche nach Anerkennung und die Ordnung von wirren Gedanken. Holm-Hadulla, der bei der Internationalen Pädagogischen Werktagung in Salzburg über „Therapeutische Aspekte der Kreativität“ sprach, verwies auf Johann Wolfgang von Goethe. Aus dessen Briefen werde deutlich, dass er unter Depressionen litt. Er habe aber durch seine dichterische wie wissenschaftliche Kreativität die diffus aufsteigenden Gedankengänge geordnet und sich mit dem Schmerz versöhnt, die Leiderfahrungen kreativ transformiert. „Goethe suchte sich immer hilfreiche Beziehungen – heute wären das unter anderem auch Berater, Therapeuten und so weiter. Diese therapeutischen Beziehungen haben ihn stabilisiert“, ist sich der Psychiater sicher. „Xavier“ digital In Bubaneshwar, der Hauptstadt des indischen Bundesstaates Orissa, wurde in der Trägerschaft der Jesuiten die „XavierUniversität“ gegründet. Ein Schwerpunkt der katholischen Hochschule sind digitale Technologien. Außerdem werden Studiengänge in Verwaltungswissenschaften, Betriebswirtschaft und Marketing angeboten. Biologie, Kunst, Pädagogik und Publizistik sollen hinzukommen. Weltkirchenrat bestätigt Christenverfolgung Die Verfolgung von Christen in der muslimischen Welt und in Teilen Afrikas hat sich verschärft. Das bestätigte und beklagt der Generalsekretär des Weltkirchenrats, Olav Fykse Tveit. In vielen Regionen der Welt herrsche unter Christen große Angst. CIG Nr. 29 / 2014 Von Johannes Röser M änner heulen nicht? Heulende Männer schämen sich jedenfalls nicht mehr. Zumindest nicht Fußballstars, die wie die Brasilianer nach einem glücklichen Elfmeterschießen eine Runde weiterkommen, in die Knie sinken, die Hände zum Himmel recken und vor Rührung drauflosflennen – dann aber nach einer Debakel-Niederlage das große Ziel vor Augen verpassen und erneut ergiebig Tränen vergießen. Diese lügen nicht. Oder manchmal doch? In den Medien wurde tagelang diskutiert, ob es sich schickt, sich so vor den Augen der Stadionbesucher und vor Milliarden Fernsehzuschauern gehen zu lassen. Wenigstens peinlich sollte es den Top-Millionären schon sein, meinen die einen. Nein – Gefühle zeigen, das ist „in“, das macht sympathisch, offenbart wahres Menschsein, sagen die anderen. Wo Uwe Seeler nach der Niederlage gegen die Engländer in Wembley 1966 mit hängendem Kopf den Platz verließ, wird heutzutage eher etwas theatralisch die Tragödie auf dem grünen Rasen inszeniert. Schon derart triviale Geschehnisse zeigen, wie sich im Lauf der Zeiten die Ansichten ändern, worüber man sich schämen sollte oder eben nicht schämen muss. Der Journalist und langjährige Feuilleton-Chef der „Zeit“ Ulrich Greiner schreibt in seinem neuen Buch „Schamverlust – Vom Wandel der Gefühlskultur“ (Rowohlt) über die unter allen Lebewesen einzig dem Menschen mögliche Gefühlsregung: „Wer sich überhaupt nicht zu schämen vermag, ist kein Mensch im vollen Sinn – erst die Fähigkeit zur Scham macht ihn zum moralischen Subjekt.“ Damit sei allerdings noch nicht viel gesagt, denn das Schamempfinden hängt in hohem Maße vom kulturellen Raum und von Prägungen der Religion ab. „Man kann die Geschichte der Menschheit als die Geschichte unterschiedlich verursachter Scham- und Peinlichkeitsempfin- E in langer Tunnel durch die Alpen ist im Bau. Aufregend ist immer, wenn sich die Bohrungen von beiden Seiten treffen: Der Durchbruch ist geschafft, die Bahn frei, Neuland kann entdeckt werden. Jede Initialzündung hat diesen Reiz, jedes Erst- und Erfolgserlebnis. Da brütet man lange an einem Werk, mit Frustphasen und Schreibschwierigkeiten. Irgendwann klickt es, wenn es gut geht. Der Schreibfluss kommt in Gang, das Ziel in Sicht. So spricht man vom ersehnten Durchbruch bei komplizierten Verhandlungen, oft Schwerstarbeit und nicht erzwingbar. Oder bei einer schwierigen Heilbehandlung im Kampf mit der tückischen Krankheit. Welch ein Ereignis auch, wenn es in belasteten oder gar zerrütteten Beziehungen doch zu neuem Verständnis kommt! Und immer der Wunsch nach intensivem Leben, vielleicht gar die Blaue Blume, womöglich der Gottesfund. „Es gibt im Grunde nur ein Problem in der Welt, und es hat diesen Namen: Wie bricht man durch? Wie sprengt man die Puppe und wird zum Schmetterling?“ So lässt Thomas Mann im „Dr. Faustus“ Zeitgänge / Wege & Welten 323 Schäm dich!? Die Schamkultur scheint mehr und mehr durch eine Peinlichkeitskultur abgelöst zu werden. Dafür gibt es Gründe. Doch der Schein trügt. dungen verstehen, und nichts macht den Ablauf der Zeit anschaulicher als der Wandel jener Übereinkunft hinsichtlich des Gebotenen oder Erlaubten, welche wir Kultur nennen.“ Das „Busenattentat“ In seinen Zeitbeobachtungen zum Phänomen Scham – angereichert durch ein Panorama literarischer Zeugnisse – möchte Greiner einem rein pessimistischen Eindruck allerdings entgegentreten. Beim gegenwärtig zu beobachtenden Schamverlust und manchem Unschuldswahn handle es sich nicht einfach nur um eine sittliche Verfallsgeschichte. Denn selbst jene, die sich allem Anschein nach für ihr Verhalten nicht schämen, können im Innersten ein gewisses Schamgefühl wohl doch nicht ganz ablegen. Greiner nennt als Beispiel das sogenannte „Busenattentat“ von 1969. Im Zuge der Studentenrevolte hatten damals drei junge Frauen an der Frankfurter Universität eine Vorlesung von Theodor W. Adorno gestürmt und den Philosophen mit nackten Brüsten bedrängt. Dieser fühlte sich nicht nur provoziert, sondern tief verletzt und beschämt, und er floh, sich mit einer Aktentasche vor den Blicken der Leute schützend, aus dem Hörsaal. Heute würde ein Professor, dem Gleiches widerfährt, wohl eher belustigt reagieren und amüsierte Reaktionen des Publikums hervorrufen, statt sich selber zu schämen. Wie sehr sich die Schamkultur in der Breite der Bevölkerung verändert hat, kann man jetzt zur Sommerszeit auch wieder an vielen Stränden und Baggerseen feststellen – und nicht nur dort. Die obszönen Schwulen-Paraden des immerwähren- den Christopher-Street-Days gaben soeben erst wieder einen Eindruck vom Wandel. Auch die Aktivistinnen der feministischen Femen-Gruppe sind fast ständig irgendwo mit ihrem Ganzkörpereinsatz unterwegs, um Oben-ohne öffentlich gegen angeblich sexistische oder sonstwie unterdrückerische Frauenbilder zu protestieren. Im Kölner Dom war beim letzten Weihnachtsgottesdienst Josephine Witt auf den Altar gesprungen. Sie entblößte ihren Oberkörper, auf dem geschrieben stand: „Ich bin Gott“. Journalisten und Fotografen, die vorab informiert worden waren, ließen es sich nicht nehmen, als willfährige Vollstrecker des „Events“ diesen für ein breites Publikum zu dokumentieren. Schämte sich die jetzt wegen Störung des Religionsfriedens Angeklagte? Möglicherweise überhaupt nicht. Doch niemand vermag von außen zu beurteilen, was in einem Menschen wirklich vor sich geht. Scham ist wesentlich ein Geschehen im Innersten: Der Mensch tritt seinem Ich, sich selbst gegenüber im Bewusstsein seines Gewissens. Eine der am „Busenattentat“ gegen Adorno beteiligten Frauen schämte sich doch, wie Greiner berichtet. Die damalige Studentin A erklärte noch 2003 gegenüber einer Journalistin, die sie interviewte, sie wolle auf keinen Fall erkennbar sein, denn sie habe das Bild von Adorno beschmutzt. Und eine Mitstreiterin bekannte, sie habe die Aktion sofort bereut: „Wir fanden uns danach gar nicht so toll … Wäre ich tot und würde Adorno begegnen, ich würde ihn bitten, dass er mir vergibt.“ Die rebellischen Achtundsechziger wollten den Menschen die Schamgefühle aus- WEGE & WELTEN Mystik im Alltag Durchbruch die Hauptfigur sagen, einen Komponisten auf der Suche nach der neuen Musik und deshalb im Teufelspakt mit dem genial Unheimlichen. „Wem also der Durchbruch gelänge aus geistiger Kälte in eine Wagniswelt neuen Gefühls, ihn sollte man wohl den Erlöser der Kunst nennen.“ Wie in der Kunst so im Leben: heraus aus der Kälte ichbezogener Teufelskreise, nein hindurch; heraus aus der Oberflächlichkeit, die man Leben nennt, hindurch zu wahrem, wirklichem Da-Sein. Das Alltägliche zu „durchbrechen“ auf die letzte und göttliche Dimension hin – das war ein Lieblingsbild, das der Mystiker Meister Eckhart prägte. Das wesentliche Leben kann der Mensch demnach „nicht durch Fliehen lernen, indem er vor den Dingen flüchtet und sich von der Außenwelt in die Einsamkeit kehrt; er muss vielmehr eine innere Einsamkeit lernen, wo und bei wem er sei. Er muss lernen, die Dinge zu durchbrechen und seinen Gott darin zu ergreifen und den kraftvoll in einer wesenhaften Weise in sich einbilden zu können.“ Da spricht der kontemplative Christ. Da fliegt der entpuppte Schmetterling. Da geht es um die Heiligung des Alltags und die Mystik der offenen Augen. Das sagt ein Mönch, also einer, der die ersehnte Gotteinung Tag für Tag übt und auf den Durchbruch hofft – das sagt „der Mönch in mir“. So wie die Dinge aus dem treiben, denn diese seien Relikte einer repressiven bürgerlichen Gesellschaft. Greiner hingegen stellt fest, dass der Schamverlust nirgendwo und niemals ein Akt der Befreiung war oder ist, sondern stets ein Akt von Unterdrückung und Tyrannei, zu dem gerade totalitäre Ideologien und Regime die Menschen anstiften. Diese erheben stets den revolutionären Anspruch, einen „gläsernen Sozialcharakter herstellen“ zu wollen. Scham aber ist dazu hinderlich. Der Mensch soll gerade in seinen persönlichsten und intimsten Regungen gebrochen, durch gemeinschaftliche Schamlosigkeit dem Kollektiv unterworfen, domestiziert werden. Im Gegensatz zu dem, was man gemeinhin vermutet, setzt die Scham im politischen, gesellschaftlichen Leben geradezu subversive, revoltierende, befreiende, oppositionelle Kräfte gegen den verordneten Mainstream frei, „wenn sich das Subjekt infolge einer tief sitzenden Schamempfindung weigert, bestimmten Befehlen Folge zu leisten“. Wer sich schämt, bekennt Widerstand, Eigensinn, Standhaftigkeit – gegen den Sog des „Alle machen mit!“ Wenn alle mitmachen … Dennoch funktioniert das Austreiben der natürlichen Scham immer wieder und weiterhin, wo möglichst viele sich beteiligen oder aufgrund von Gruppenzwang zur Anpassung gezwungen werden. Die ZITAT DER WOCHE „Führende deutsche Kleinwaffenfabrikanten nehmen es schon seit Jahren mit Gesetzen offensichtlich nicht so genau. Die Bundeswehr kauft immer weniger Waffen, in der Folge sucht die Branche hemmungslos neue Abnehmer. Dafür gibt es drei Gründe: erstens Profit, zweitens Profit, drittens Profit.“ Jürgen Grässlin (Lehrer und Rüstungskritiker; in der „Süddeutschen Zeitung“) Geheimnis des einen Gottes in ihrer Vielfalt „ausfließen“, so wollen sie zurück in den Grund Gottes, in das „einig ein“ und „nichtig nichts“. Aus der Vielheit in die Einheit hindurchfinden und wieder einig werden mit Gottes Grund und in ihm – das ist der Durchbruch, und der geschieht wesentlich im Menschen. Das ist in der Tat das Lebensthema schlechthin. Daran hängt aller Friede. Auf dieses Durchbrechen allein kommt es an, in den göttlichen „Grund ohne Grund“. Das ist der Wendepunkt zur Wirkeinheit mit Gott. So wird der Mensch wirklich fruchtbar. Für Eckhart ist das dank und seit Christus endgültig geglückt, im Prinzip sozusagen. Aber allzu oft ist dies vom Egowillen und ständigen lärmenden Treiben derart überdeckt, dass es allererst – wieder – gesucht, freigelegt, entdeckt werden muss. Aber nie durch Weltflucht oder Abwertung des Alltäglichen, ganz im Gegenteil. Nicht zufällig ist im Wortbild vom Durchbruch stets das Entscheidende präsent: die tägliche Geburt. Gotthard Fuchs 324 Zeitgänge schamlose sadistische Erniedrigung von Feinden im Krieg, durch Folter und Gefangenschaft ist in allen soldatischen Kollektiven zu beobachten, ob in Afghanistan, im Irak oder jetzt auch in der „zivilisierten“ Ukraine. Selbst in völlig friedlichen Zusammenhängen funktioniert die Umpolung des natürlichen Schamempfindens zur Schamlosigkeit, wenn nur eine gewisse Anzahl von Gleichgesinnten mitmacht oder der Aufforderung zum Mitmachen Folge leistet. Man will ja nicht als „verklemmt“ gelten und abseits stehen. Greiner verweist darauf, dass sogar angesehene Institutionen, „private und auch halbstaatliche Konzerne den Brauch pflegten, verdiente Mitarbeiter durch sexuelle Orgien, die naturgemäß steuerlich abgesetzt wurden, bei Laune zu halten“. Die entsprechenden Exzesse eines Versicherungskonzerns gingen durch die Presse. Und wie es scheint, hat er deshalb keinerlei bedeutenden Kundenverlust erlitten, geschäftlich jedenfalls nicht ernsthaft Schaden genommen. Wann schämt sich ein Mensch? Wenn viele mit dabei sind, offenbar kaum. Für die großformatigen Foto-Aufnahmen nackter Menschenmassen auf öffentlichen Plätzen vom Fotografen Spencer Tunick haben sich stets Tausende bereitwillig ausgezogen. Im engen Getümmel mit Adam- und Evakostüm hatten die Beteiligten keine Skrupel. Haut an Haut leisteten sie den Befehlen der Bildregie Folge. Und wenn Kaufhäuser als Werbeevent ankündigen, dass so und so viele der nackt ins Geschäft strömenden Kundinnen und Kunden besondere Präsente erhalten, finden sich auch da stets hinreichend viele Teilnehmer für den „großen Spaß“. Unter Nacktbadern muss sich heute der Mensch mit Badehose schämen. Mode Intimrasur Auch wenn Greiner keine Verfallsgeschichte schreiben wollte, konnte er den gesellschaftlichen Hang zum Exhibitionismus doch nicht ignorieren. Das beginnt schon dort, wo Leute Wildfremden – ob im Zug, im Restaurant oder in der Disco – intimste Geheimnisse ausplaudern ohne Furcht, ihr Gesicht zu verlieren. Die Modewelt lebt geradezu von offenherzigen Offenbarungstrends: „Lehrer, die zum Unterricht in knappen Muscle-Shirts erscheinen. Schülerinnen, deren Dekolleté einstmals selbst auf der Silversterparty aufgefallen wäre, heimkehrende Büroangestellte, die im delikaten Minikleid den Bus besteigen, wären noch vor vier, fünf Dekaden undenkbar gewesen. Heute sind sie keine Seltenheit mehr, jedenfalls in sommerlichen deutschen Großstädten nicht. Wobei einem Besucher New Yorks auffallen kann, dass die in den Bürotürmen arbeitenden Menschen selbst bei größter Sommerhitze dezent bekleidet sind: die Damen mit Kostüm und Strumpfhose, die Herren mit Hemd und Jackett. Mag sein, dass dies mit der Eiseskälte des Air-Conditionings zu tun hat, vielleicht aber auch mit einem Rest puritanischer Scham.“ Die Neigung, sich zu entblößen und sich damit anderen anzupassen, die sich entblößen, vergleicht Greiner mit einem „imaginären Laufsteg“, auf dem man mithalten will. Und so ordnet man sich einem herrschenden Ideal oder Mode- Nr. 29 / 2014 CIG diktat bereitwillig unter. Ein besonders eklatantes Beispiel ist die – auch durch die Pornoindustrie – in Mode gekommene Intimrasur, die den Blick auf die Genitalien „freigibt“: „Je offensiver Frauen sich zeigen und je kleiner die Bikinis werden, bis hin zu ihrem völligen Verschwinden am Nacktbadestrand, umso mehr wachsen neue Zwänge. Der Körper muss, wie es in Heiratsanzeigen oft heißt, ‚vorzeigbar‘ sein, die Sichtbarkeit der Schamteile verlangt deren ästhetische Bewirtschaftung.“ Greiner zitiert aus dem Buch „Muschiland“ über die einst als ausschließlich intim geltenden Geschlechtsmerkmale: „So lässt sich feststellen, dass die zunehmende Akzeptanz der öffentlichen Präsenz bestimmter weiblicher Körperbereiche eine Enthaarung dieser Bereiche nach sich zieht. Dies gilt für Achseln und Beine genauso wie für den Genitalbereich.“ Der muss – so ergänzt Greiner – „im Extremfall einer kosmetischen Operation unterzogen werden …, um dem Schönheitsstandard Genüge zu tun“. In der Rasur könne man „die symbolische Rückkehr in eine vorpubertäre Kindheit erblicken“, in eine im Intimbereich noch haarfreie Zeit, „in den Stand der Unschuld“. Der Entblößungs- und Intimrasur-Zwang scheint die Menschen zumindest augenblicksweise in archaische Zeiten zurückversetzen zu wollen, womit eine paradiesische Freiheit jedoch noch nicht gewonnen sei. Der Auftritt von Monica Lierhaus Dass dennoch die Scham nicht einfach verloren geht, weist Greiner bevorzugt auf Feldern nach, die mit Sexualität oder Nacktheit gar nichts zu tun haben. Er verweist unter anderem auf den Auftritt der Fernseh-Sportmoderatorin Monica Lierhaus bei der Verleihung der Goldenen Kamera nach schweren Komplikationen einer Hirnoperation: Als ihre Wiederkehr ins öffentliche Leben, auf die Bühne angekündigt wurde, sei der Beifall riesig gewesen. Doch er erstarb abrupt, als sie nach vorn trat: „Sie ging wie ein Roboter, mit gespenstisch abgehackten Bewegungen, sie sprach mit einer seltsam leiernden Intonation, und sie wirkte wie die geisterhafte Erscheinung aus einer jenseitigen Welt, gerade noch ins Leben zurückgekehrt. Nach ihren Dankesworten bat sie den Lebensgefährten Rolf Hellgardt zu sich. Sie habe noch etwas auf dem Herzen, sagte sie, und sie würde, wenn sie es könnte, vor ihm auf die Knie gehen: ‚Ich möchte dich fragen, ob du mich heiraten willst.‘ Die Kamera, die unterdessen ins Publikum blickte, zeigte äußerst betroffene Reaktionen, Entgeisterung, Mitleid, peinliches Berührtsein spiegelten sich in den Mienen der Zuschauer. Einige hatten Tränen in den Augen, andere schlugen sich entsetzt die Hände vors Gesicht … Wohl niemals zuvor ist Peinlichkeit derart zu einem kollektiven Medienereignis geworden.“ Der Grund sei wohl, dass sich die Menschen trotz allem ein feines Gespür bewahrt hätten dafür, was ausschließlich das Persönliche angeht und wo die Grenze zum Öffentlichen liegt. Haltung bewahren, Contenance. Das mag altmodisch erscheinen, hat aber nach wie vor Bedeutung: Takt, Stil, Unterscheidung, Diskretion. Eigenartig ist, dass wir einerseits eine Liberalisierung und Freizügigkeit sonder- gleichen erleben, andererseits aber neue Reglementierungen. Die Sexualisierung und Pornografisierung des öffentlichen Lebens wird auf anderen Feldern von einem neuen Puritanismus der Körperlichkeit begleitet: „Gesundheit ist die neue Religion des Zeitalters, und wer sich ihrem Diktat verweigert, indem er dem Genuss des Rauchens, Trinkens oder Essens bedenkenlos frönt, macht eine peinliche Figur und sich selber unmöglich.“ Er soll sich schämen. Der Keuschheitsgedanke ist vom Sexuellen ausgewandert in Selbstkasteiung unterschiedlichster Art. Man muss seinen Körper stählen, den Leib in einem exzessiven Fitnesskult asketisch drangsalieren. „Heute steht alles, was schmeckt und Spaß macht, unter Verdacht: das schnelle Auto ebenso wie die Zigarette, der Schweinsbraten ebenso wie das Glas Schnaps. Nichts scheint verwerflicher zu sein als das sorglose Leben. Die Sucht lauert an allen Ecken und Enden. Die Magazine der Krankenkassen, die sich nunmehr Gesundheitskassen nennen, die Apothekerzeitschriften und die Sonntagsblätter sind zum Katechismus des richtigen Lebens geworden. Der Zölibat erntet Hohn und Spott. Aber die Idee, sich einer großen Sache so entschlossen zu widmen, dass daneben kein Raum für Sinnlichkeit und Muße mehr bleibt, hat in anderen Sphären strikte Anhänger gefunden … Obwohl der neue Puritanismus alles, was Leistung ermöglicht und fördert, auf seine Fahnen schreibt und jede Form der Selbstertüchtigung preist, geißelt er zugleich die Spuren körperlicher Arbeit: den Schweiß (man erinnere sich an das Foto der Schweißflecke Angela Merkels unter den Achseln ihres pfirsichfarbenen Kostüms bei Gelegenheit eines Bayreuth-Besuches, das durch die Medien ging); den Geruch, dessen Bekämpfung meterlange Regale in den Drogeriemärkten versprechen; das Verschwitzte und Fettige, den Schmutz überhaupt.“ Wie peinlich! Greiner bemerkt, dass zahlreiche derartige Beobachtungen eher auf den Übergang von einer Schamkultur, die durchaus mit Schuldbewusstsein zusammenhängt, zu einer Peinlichkeitskultur schließen lassen. Was einst mit Scham besetzt war, dafür schämen sich heute viele nicht mehr. Eher werden neue Peinlichkeitsregeln aufgestellt für etwas, „was gar nicht geht“: „no go“. Das hänge womöglich mit neuen Unsicherheiten und einer neuen Unübersichtlichkeit des Lebens zusammen, was diffuse Ängste weckt. Greiner beschreibt sie so: „die Angst, dem Markt der Anforderungen nicht gewachsen zu sein, die Angst, ‚sangund klanglos einfach zu verschwinden, weil wir plötzlich einfach nicht mehr gefallen. Und deshalb schlagartig abrutschen, hinabschlittern, uns an nichts und niemanden mehr halten können‘“, wie die Autorin Nina Pauer in ihrem Buch „Wir haben keine Angst“ bemerkt. Für Greiner zeigt sich dies auch in der Angst vor einer festen Bindung, vor Familie und Verantwortung, obwohl sich doch angeblich alle Kinder wünschen. „Dann die Angst, Position zu beziehen, eine entschiedene Meinung zu äußern, und diese Angst resultiert aus der Hauptangst, peinlich zu sein, weil man für eine gehal- ten wird, die ‚Latte Macchiati ‘ sagt; die auf Facebook postet, was sie zu Mittag gegessen hat; die ihr Handy in einer Babysocke mit Diddl-Maus-Anhänger trägt … Eine probate Methode, solchen Peinlichkeiten zu entgehen, besteht darin, sie zur Tugend zu erklären, also absichtsvoll und auf ironische Weise peinlich zu sein …“ Wer sich zu viel schämt, zieht den Kürzeren. Das ist die vielleicht größte Furcht. Entsprechend hat sich der pädagogische und moralische Kodex der Gesellschaft verändert – und damit das Erziehungsziel. Einst sei es um Unterordnung und Anpassung gegangen. Heute geht es darum, den Heranwachsenden für den Konkurrenzkampf zu stählen. „Die Fähigkeit, sich gut darzustellen, sich gegen andere durchzusetzen und durch forciertes Auftreten Geländegewinne zu erzielen, wird schon früh eingeübt. Man schämt sich nicht, weil man jemandem zu nahe getreten ist; man schämt sich, weil man die Gunst des Augenblicks verpasst hat.“ Adam und Eva in uns Scham unterscheidet sich für Ulrich Greiner von der bloßen Peinlichkeit wesentlich darin, dass sie mit dem Gewissen in Verbindung steht. „Scham reagiert unabhängig von kollektiven Verbindlichkeiten, sie gründet im individuellen Gewissen. Das Gewissen geht letztlich auf metaphysische, auf religiöse Überzeugungen zurück, und es bildet sich über lange Zeiträume der Erziehung und der Überlieferung. In den neuen Gemeinschaften spielt es nur eine Nebenrolle. Hier ist entscheidend, ob man dem Comment genügt, modern gesprochen: der politischen Korrektheit.“ Wo Scham war, soll Peinlichkeit werden. Möglicherweise hat der Abbruch tief existenziell empfundener Schamgefühle, für die es gar keinen äußeren Beobachter braucht, doch damit zu tun, dass die religiöse Grundierung infolge der gesamtreligiösen Erosion abgeblättert ist. Statt der Schwere der Scham regiert die Leichtigkeit der Peinlichkeit, statt der Sittsamkeit und Moral die bloße Übereinkunft, die Konvention, die Etikette. Ob das einer Gesellschaft auf Dauer guttut, ist die eine Frage. Ob die bloße Peinlichkeit jemals die abgrundtiefe Scham tatsächlich ersetzen kann und jemals ersetzen wird, die andere. Möglicherweise gehört es doch weiterhin zum Wesen des Menschen und des Menschlichen, sich vor sich selbst und vor anderen zu schämen, wo es Grund dafür gibt. Und sei es der letzte Grund: das Versagen vor dem Erhabenen, dem Göttlichen, Gott. Adam und Eva, die sich wegen ihres Ungehorsams Gott gegenüber vor ihm im Garten Eden zu verstecken versuchen, stecken weiter in unseren Knochen und in unserer Seele. Man mag die menschheitsgeschichtlichen Ahnen im „neuen“ Menschen gern verdrängen. Dennoch bleiben sie uns treu, weichen nicht von unserer Seite. Am Ende allen Schämens hoffen wir wie die „Stammeltern“ im alttestamentlichen Buch Genesis auf eine Barmherzigkeit, die uns Felle macht, uns bekleidet, damit wir nicht länger nackt dastehen, damit wir nicht mehr den taxierenden, misstrauischen Blicken ausgesetzt sind, weder denen der anderen noch denen von uns selbst. CIG Nr. 29 / 2014 ZUM INNEREN LEBEN Raum Sehnsucht H err, mein Gott, ganz und gar Dich suchen und Dich finden in den Zeichen der Zeit. Ganz und gar mich ausstrecken nach Dir und Dir begegnen im Antlitz der Menschen. Widerstände aushalten und dennoch das Lebensschaffende tun. Anfangen und glauben, dass Du das Unmögliche wahr machst. Gebrochen werden. Sterben wie ein Samenkorn, und in den kleinen Dingen die Welt verändern. Ganz und gar der Sehnsucht Raum lassen und glauben, dass Du Zukunft eröffnest. Mirjam Schambeck in: „Von der Sehnsucht bewegt“ (Topos plus, Kevelaer 2014) Schöpfer des Nichts D as Unaussprechliche, das Unbegreifliche an sich ist nicht schon identisch mit der Gotteserfahrung. Der Tod des Ego, von dem praktisch alle spirituellen Überlieferungen sprechen, ist etwas sehr Reales mitten im Leben. Der „Auferstandene“, der in der Gnade Gefestigte, der Verwirklichte – solche Menschen sind bereit für die Gotteserfahrung. In ihnen ist aller Egoismus gestorben. Aus dem alten Menschen wird ein neuer Mensch. Man muss „nichts“ sein, um in uns den Schöpfer des Nichts zu erfahren. Raimon Panikkar aus: „Was Menschen bewegt: Weisheit“ (Kreuz, Freiburg 2014) Wie von selbst I m Markusevangelium heißt es: „Mit dem Reich Gottes verhält es sich so, wie wenn ein Mensch Samen auf die Erde gestreut hat, und er schläft ein und er erwacht. Nacht und Tag, und der Same sprosst und wird groß – er weiß selbst nicht wie. Von selbst bringt die Erde Frucht“ (4,26–28). Das betont vorangestellte „von selbst“ (griechisch automátä, „automatisch“) erschließt die Botschaft dieses Gleichnisses. Ein Mensch hat – offensichtlich zur rechten Zeit – Samen ausgestreut auf die Erde, mit der er sich verbunden weiß. Von einem größeren Zusammenhang umfangen, eben dadurch, dass da jemand den ReichGottes-Bezug realisiert, in dem er existiert, kann es geschehen oder wird es geschehen, dass sein diesem WeltKontext einzig gemäßes Handeln ohne eigenes Zutun ohne Erfolgskontrolle und Nachjustierung, „wie von selbst“, eine ganz außerordentliche Wirkung entfaltet. Mit dem Verstand ist es nicht zu begreifen. Es ist wie ein einzigartiges, in seiner Dynamik ganz überwältigendes Wunder, was da wächst, reift und Frucht bringt im Reich Gottes. Claus Petersen in: „Weltverbunden leben“ (Fenestra, Wiesbaden 2013) Spiritualität / Politik 325 Demokratie exportieren? Deutschland soll international mehr Verantwortung übernehmen, heißt es immer wieder. Doch wie? Von Heinz Theisen B undespräsident Joachim Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatten verschiedentlich verlangt, dass Deutschland mehr weltpolitische Verantwortung übernehmen solle und dazu eventuell militärische Expeditionen in ausländische Krisengebiete und Konfliktzonen unternehmen muss. Allerdings wurden die vorangegangenen Fehler vielfacher Interventionspolitik der westlichen Verbündeten bisher weder intensiv analysiert noch thematisiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dazu jedenfalls keine klare Meinung öffentlich geäußert. Wir erhalten auch keine Hinweise, an welcher Art von Konflikten wir uns künftig zu beteiligen haben. Es blieb bei eher allgemeinen moralisierenden Hinweisen auf Deutschlands Verpflichtung, für das Gute in der Welt einzutreten. Von einer durchdachten außenpolitischen Interventionsstrategie sind wir weit entfernt. Warum fallen unseren Politikern und Medien die Analysen auf diesem Feld so schwer? Es liegt wohl daran, dass die Ursachen des Scheiterns mit besten Absichten verbunden sind. Dem militärischen Einschreiten des Westens im Ausland liegen allerdings vorrangig sehr eigenmächtige Interessen zugrunde, wie man unter anderem in Afghanistan und im Irak gesehen hat. Die Begründung, demokratische Verhältnisse fördern zu wollen, wurde ja bloß zur „Beruhigung“ der eigenen Bevölkerung nachgeschoben. In Afghanistan wollte man den Al-Qaida-Leuten schlichtweg einen Denkzettel verpassen. Was den Irak betrifft, ging es weniger darum, Massenvernichtungswaffen, die es dort gar nicht gab, zu vernichten, als vielmehr die Region für Zugänge zum Öl – einschließlich der dazugehörigen Transportwege – zu sichern. Zudem sollte eine starke militärische Präsenz nahe dem Iran aufgebaut werden. Die Opfer freier Wahlen Die vom Westen in den fremden Ländern mit Clan-Kulturen geforderten „demokratischen“ Strukturen entfesseln in den dortigen Oligarchen- und Mafia-Strukturen eher Stammesfehden, Separatismus, Bürgerkriege – jetzt der Vormarsch der Milizen des „Islamischen Staats im Irak und Groß-Syrien“ (Isis) mit der Errichtung eines Kalifats. Die ideologische, fast schon religiöse Fixierung auf „Demokratie“ und „Liberalismus“ übersieht, dass eine parlamentarische Parteienstruktur in jenen autokratischen Gegenden oft mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Die liberale Demokratie ist eine kulturgebundene und nur unter bestimmten Voraussetzungen zu verwirklichende Errungenschaft. Sie ist gewissermaßen das Dach, welches nicht vor den Stockwerken Aufklärung, Rechtsstaatlichkeit und Zivilgesellschaft einem Staatswesen aufgesetzt werden kann. Insbesondere für die Christen im Orient erweist sich die Forderung nach angeblicher „Demokratisierung“ im Nahen und Mittleren Osten als Tragödie. Sie sind vielfach zu Opfern von „freien“ Wahlen geworden. Wo radikale Muslime oder schwächliche Demokratien nicht willens oder nicht in der Lage sind, das Mehrheitsprinzip mit dem Schutz von Minderheiten zu verbinden, sind ethnische oder religiöse Minderheiten gefährdeter als in säkularen Diktaturen. Es war das frei gewählte Parlament Afghanistans, welches die Scharia einschließlich der Todesstrafe für Konvertiten einführte. Es ist der vom Westen nach Saddam Husseins Sturz „zwangsdemokratisierte“ Irak, in dem die Christen als „Freunde des Westens“ hunderttausendfach verfolgt und drangsaliert worden sind und werden – nicht vom irakischen Staat, sondern von fundamentalistischen Muslimen, denen gegenüber die Staatsmacht ohnmächtig ist. Die Zahl der zumeist chaldäischen Christen ist seit der Intervention von 1,5 Millionen auf 600 000 geschrumpft. Es ist eine Schande, dass dieser Begleitschaden westlichen Übermuts und westlicher – ganz anders gelagerter – Interessen kaum zur Sprache gebracht wird. Der Westen muss sich sogar unwillentliche Verstrickung in Christenverfolgung vorhalten lassen. Nach Nordkorea gehören die Hauptverfolgungsländer allesamt zum islamischen Kulturkreis. Irak und Afghanistan stehen auf Platz vier und fünf der Verfolgerliste. Das mit dem Westen militärisch und wirtschaftlich eng verbündete SaudiArabien folgt auf Platz sechs. Der politische Universalismus ist tief in unserem christlichen und aufklärerischen Denken verankert, allerdings ohne die dazugehörende Einsicht in dessen Begrenzungen, in die Sündhaftigkeit der menschlichen Natur und in die Grenzen der Vernunft. Er lebt daher vor allem in Gestalt illusionistischer moralischer Appelle weiter. Unsere verweltlichten Eliten blenden aus, dass die moderne Demokratie entstehungsgeschichtlich fest mit dem Christentum und der westlichen Aufklärung verbunden ist. Echte liberale Demokratien existieren – mit ganz wenigen Ausnahmen – ausschließlich auf dem Boden einst christlicher Gesellschaften und Kulturen. Eine aufrichtige Analyse der Weltlage kann angesichts der fast zwanghaften Ausklammerung des Religiösen durch unsere profanierten Eliten nicht gelingen. Daher kann das erste Ziel westlicher „Aufbau“-Phantasien in anderen Ländern nicht die Errichtung eines „demokratischen“ Staatswesens in unserem Sinne sein. Vielmehr müssen zuerst Voraussetzungen und Vorstufen gefördert werden durch Verteidigung von Religionsfreiheit und Säkularität, durch das Schaffen eines Bürgerbewusstseins. Für den langfristigen Aufbau von Demokratien müssen kreative und sozial engagierte Minderheiten wie die Christen geschützt und unterstützt werden. In vielen islamischen Gesellschaften tragen sie weit über ihren Anteil an der Bevölkerung hinaus hoch engagiert zu Wirtschaftswachstum, sozialer Arbeit und Bildung bei. Das Engagement für die Christen in islamischen Gesellschaften wäre zugleich vorbildlich für weitere Minderheiten. Im Zusammenprall sowie Wettbewerb der Kulturen sind säkulare Diktaturen oftmals das kleinere Übel. Denn radikalislamische „Demokraten“, die einmal an die Herrschaft gekommen sind – wie zunächst die Muslimbrüder und Salafisten in Ägypten –, neigen dazu, Minderheiten zu unterjochen und das Demokratische gleich wieder auszuhebeln. Eine künftige westliche Außenpolitik sollte sich statt um demokratisches sogenanntes Nation Building, also das Aufbauen einer Nation, erst einmal um die Minderheitenrechte bemühen. Die Uno- oder Nato-Truppen müssten sich noch weitaus defensiver bescheiden mit Eindämmungsstrategien. Damit würde sich der Westen auf dem vertrautem Gelände des Kalten Kriegs bewegen. Im Kalten Krieg haben nicht Interventionen, sondern einzig Eindämmung und Koexistenz, verbunden mit geistiger „Werbung“ und ökonomischer Stärke zugunsten der Freiheit, den Weltfrieden zu bewahren vermocht. Die demokratische Befreiung bleibt den Völkern selbst aufgetragen. Zuerst Minderheiten schützen Wir überfordern und überdehnen uns bereits, wo wir uns nur im Rahmen demokratischer Gemeinschaften bewegen. Für UnoMandate im Sicherheitsrat braucht es auch die Zustimmung Russlands und Chinas. Im Kampf um die Bewahrung der Zivilisation kann sich der Westen keine Dauerkonflikte mit diesen Mächten leisten. Obwohl sich Russland wieder als christliches Land versteht, welches sich auch um die orthodoxen Christen in Syrien sorgt, wird es wegen seiner demokratischen Defizite nicht als Bündnispartner in Betracht gezogen. Für eine neue Weltaußenpolitik sind Russland und China jedoch notwendige Partner. Sie werden in ihrer Hemisphäre ebenfalls mit dem Radikal-Islam konfrontiert. Angesichts der weltweiten Herausforderung durch radikale Muslime sollten die geopolitischen Nachhutgefechte zwischen den Ländern der untergegangenen Sowjetunion – wie im Fall der Krim – deutlich niedriger gehängt werden. Die sich hinter den Kämpfen in der Ukraine auch verbergenden Konflikte zwischen westkirchlichen und ostkirchlichen Kulturen sind gegenüber dem Kampf des militanten Islam gegen Christentum und säkulare Gesellschaften vergleichsweise unwichtiger. Die Empörungsrituale westlicher Regierungen zeigen ihren fortdauernden politischen Universalismus, der sich gegen jedwedes Unrecht engagieren möchte, sich damit heillos überfordert und darüber die heute entscheidende kulturelle Bedrohung für Christentum und Aufklärung verdrängt. Der militante fundamentalistische Islam dringt insbesondere in Afrika sowohl in christlichen als auch in stärker säkularen Ländern vor. Die Radikalisierung, oft verbunden mit islamisch-terroristischen Aktivitäten, löst neue Wanderungsbewegungen nach Europa aus. Auf Dauer gehört der Schutz religiöser Minderheiten in den Mittelpunkt einer wertgebundenen westlichen Außenpolitik. 326 Geschichte M it der Ausrufung eines Kalifats im Irak kopieren die Extremisten der Milizen „Islamischer Staat im Irak und Groß-Syrien“ (Isis) eine jahrhundertealte Begründungsstrategie. „Die Dschihadisten-Gruppe nutzt einen Vorteil am Konzept des Kalifats, den beispielsweise schon Berber oder turkmenische Stämme vor Jahrhunderten“ zum Machtgewinn verwendet haben: „Die Herrschaft eines Kalifen ist nicht an ein Territorium gebunden, sondern erhebt universalen Anspruch“, erläuterte der Islamwissenschaftler Marco Schöller an der Universität Münster. Isis proklamiere einen weltweiten Dschihad und mache auch der Vormachtstellung von Al-Qaida Konkurrenz. Das arabische Wort khalifa bedeutet so viel wie „Nachfolger“. „Khalifa Rasul Allah“, „Nachfolger des Gesandten Gottes“, lautete der Titel für die Nachfolger Mohammeds. Das Kalifat entstand nach dessen Tod 632, weil er lediglich weibliche Nachkommen hinterließ. Die ersten vier Nachfolger Mohammeds wurden auf verschiedene Weise gewählt oder bestimmt. Die Namen der sogenannten vier rechtgeleiteten Kalifen – Abu Bakr, Umar, Uthman, Ali – finden sich in vielen Moscheen. Sie gelten ebenfalls als Gottesgesandte. Ihnen haftet die Aura der Unfehlbarkeit an. In der Islamgeschichte folgte auf Alis Kalifat das der Ommayaden und Abbasiden, die ein dynastisches Nachfolgeprinzip bevorzugten. Dadurch wurde das Prinzip, dass der Kalif auch über besondere moralische und religiöse Tugenden verfügen muss, verwässert. Auf die „rechtgeleiteten Kalifen“ folgte eine Reihe von unrechtmäßigen Kalifen. Oftmals bestanden zwei oder mehrere Kalifate parallel, bis das eine über das andere siegte. Die faktische Macht war immer ein besseres Argument für die Fortsetzung der Institution als die religiöse Nr. 29 / 2014 CIG Das Kalifat Seit dem Untergang des letzten Kalifats 1924 ist in der islamischen Welt ein Vakuum entstanden, in das jetzt terroristische Kalifatsgründungen wie die im Irak eindringen. Legitimierung. Kalifen sollten nach den ursprünglichen Regeln direkte Nachfahren Mohammeds sein oder zumindest dessen Stammesangehörige. Doch über die Familienverhältnisse des Islamgründers wurde schon zu Lebzeiten Mohammeds gestritten und spekuliert. Nach seinem Tod verstärkten sich diese Konflikte noch. Es wurde freilich nie abschließend geklärt, auf welche Weise das Kalifat weitergegeben wird. Als theokratische sunnitische Staatsform bestand das Kalifat zwar bis 1924. Aber es wurde immer mehr zu einer idealisierten Herrschaft, die im Lauf der Zeit von Rechtsgelehrten ständig neu definiert wurde. Während sich in Spanien und Marokko beispielsweise verschiedene Kalifate bekämpften, wurde im Nahen Osten durch das Vordringen der Türken das Kalifat vom Sultanat übernommen und aufgehoben. Als der letzte Kalif durch die Osmanen abgesetzt wurde, hatte die Institution schon längst nicht mehr viel mit den Vorstellungen der islamischen Urgemeinde gemein. Eine Abstammung vom Gründer Mohammed in direkter Folge konnte der osmanische Kalif nicht glaubhaft begründen. Unter den Türken war das Kalifat nur noch gut zur Begründung kolonialer Herrschaftsansprüche. Die Abschaffung des Kalifats im osmanischen Reich wurde unter Muslimen als kleiner „Weltuntergang“ erlebt. Deshalb unternahm bereits 1925 der Scharif von Mekka, Husayn, den Versuch, sich selbst zum Kali- fen auszurufen, jedoch ohne Erfolg. Seit den dreißiger Jahren unterstützten auch die westlichen Mächte Versuche der Wiedererrichtung eines Kalifats. Besonders die Engländer, in deren Land sich der letzte Kalif geflüchtet hatte und die auch den Scharifen von Mekka unterstützten, taten sich hierbei hervor, neben den Franzosen, die den Bey von Tunis, einen ihrer Günstlinge, zum Kalifen erheben lassen wollten. 1931 fand in Jerusalem ein islamischer Kongress zur Kalifatsfrage statt, bei dem sich eine große Mehrheit der Islamgelehrten darauf verständigte, dass man in Abwesenheit eines Kalifen die Einigkeit der arabischen Völker bekräftigen und den religiösen Zusammenhalt auch ohne Kalifat stärken sollte. Dieser Kongress war der Vorläufer der panarabischen Bewegung, aus der 1944 die Arabische Liga entstand. Seit dem Wiedererstarken des radikalen Islam infolge des Aufstiegs Saudi-Arabiens zur weltgrößten Ölmacht unterstützt das Königreich überall radikalislamische Strömungen, die wie die Wahhabiya, die Staatsideologie Saudi-Arabiens, ein Zurück zur Urzeit des Islam auf ihr schwarzes Banner schreiben. Das eigene Königshaus zum Kalifat auszurufen, ist Saudi-Arabien schlechterdings unmöglich, weil keinerlei verwandtschaftliche Verhältnisse zu Mohammed und den Nachfolgern belegt sind. Dafür unterstützt das Königshaus radikale Strömungen, solange sie nicht dem eigenen Anspruch gefährlich werden. Parallel zum Aufstieg der fundamentalistischen extremen Muslime gab es einen Machtverlust der Arabischen Liga. Die Kalifatsnostalgie geht mit einer Wiederaufwertung der religiösen Aspekte einher, was sich jetzt mehr und mehr Terrorgruppen zunutze machen. Marco Schöller: So wie das Kopftuch für Musliminnen wieder vermehrt als religiöses Symbol verstanden wird, habe auch die geistliche Bedeutung des Kalifats an Gewicht gewonnen. In den letzten Jahren wurden bereits in Tunesien, Libyen und Westafrika Kalifate ausgerufen. Auch der hierzulande als „Kalif von Köln“ 2004 verurteilte Muhammad Metin Kaplan verstand sich als legitimer Nachfolger Mohammeds. Abu Bakr Al-Bagdadi, der neu ausgerufene Kalif der Terrorgruppe Isis, hat nach eigenen Angaben islamische Theologie studiert, was, wie Marco Schöller erklärt, den religiösen Anspruch „bei vielen seiner Anhänger noch bestärkt“. Er fordert von allen Muslimen weltweit Gefolgschaft. An den eigenen Namen hat er die drei Namen alHaschimi, al-Husseini und al-Qureischi angefügt. Vor allem die letzten beiden Namensteile sollen belegen, dass der in Samarra geborene Iraker zugleich von den Haschemiten und dem Stamm der Qureisch abstammt, denen auch Mohammed angehörte. Ob Al-Bagdadi seine Herkunft tatsächlich auf den Religionsgründer zurückführen kann, ist kaum nachprüfbar. Aber bereits deren Behauptung verleiht dem neuen Kalifen eine Autorität. Insbesondere für die Königshäuser von Jordanien und Marokko, die als Nachfahren Mohammeds anerkannt sind, bedeutet dieser Anspruch eine ernste Infragestellung ihrer Herrschaft. Diese zwei Monarchien gehörten bislang – trotz aller Umstürze und Umbrüche, die mit der Arabellion zusammenhängen – zu den wenigen Polen der Stabilität in der Region. Bodo Bost / red Nie wieder: eine Schande Christi Z u den großen spirituellen Dokumenten des 20. Jahrhunderts gehören – in der religiösen Szene viel zu wenig präsent – die Gefängniszeugnisse von Helmuth James von Moltke und – inzwischen bekannter – Alfred Delp. Besonders deren Briefe und Dokumente nach ihrer Verurteilung zum Tode sind bewegende Zeugnisse eines entschiedenen christlichen Glaubens, „innerlich“ und „äußerlich“ zugleich. Durch die Veröffentlichungen von Roman Bleistein über Delp und Günter Brakelmann zu von Moltke ist deren Lebenswerk anschaulich mitzuvollziehen. Weniger präsent ist, dass es sich im sogenannten Kreisauer Kreis ja um gut zwanzig Freunde handelte, die sich seit dem Initiativgespräch zwischen von Moltke und Yorck von Wartenburg 1942 in Berlin schrittweise sammelten und in drei großen Geheimtreffen auf dem schlesischen Gut Kreisau ihre Vorstellungen für ein neues Deutschland interdisziplinär zusammentrugen. Insofern ist die Studie des Historikers und Politikwissenschaftlers Klaus Philippi sehr hilfreich, weil sie mit Hilfe der sozialwissenschaftlichen „Netzwerktechnik“-Forschung das Entstehen des Kreisauer Kreises anschaulich verdeutlicht. Ganz unterschiedlich geprägte Persönlichkeiten kamen aufgrund ihres sozialen, politischen und religiösen Engagements zu einer politischen Visions-Arbeit zusammen und riskierten damit sehenden Auges ihr Leben. Der Verfasser geht den lebensgeschichtlichen und historischen Resonanzen und Verknüpfungen nach, die solch entschiedene Christen und eben auch kirchenferne Persönlichkeiten wie zum Beispiel Carlo Mierendorff, Julius Leber und Adolf Reichwein zusammenführten. Das unglaubliche Unrecht der Nazis war für sie ein zentraler Punkt, weshalb sie sich verbündeten. Immer noch viel zu wenig bekannt ist freilich, wie sehr die in Tegel schließlich gefangenen und auf ihren Tod wartenden Widerstandsdenker, sofern sie christlich entschieden waren, aus der Bibel lebten. Weihnachten 1944 bedankte sich der Jesuit Delp beispielsweise bei seinem evangelischen Gefängnisnachbarn Eugen Gerstenmaier mit der Bemerkung: „Die geschichtliche Last der getrennten Kirchen werden wir als Last und Erbe weiter tragen müssen. Aber es soll daraus niemals wieder eine Schande Christi werden. An die Eintopf-Utopien glaube ich so wenig wie du, aber der eine Christus ist doch ungeteilt, und wo die ungeteilte Liebe zu ihm führt, da wird uns vieles besser gelingen, als es unse- ren streitenden Vorfahren und Zeitgenossen gelang.“ Wer könnte sagen, dass sich diese inzwischen siebzigjährige Hoffnung schon zureichend erfüllt hätte, gerade im Hinblick auf die gesellschaftliche und politische Bedeutung einer christlichen Ökumene? Gut ist, dass Klaus Philippi in einer eigenen Studie an jenen Freiburger Priester erinnert, der ein Jahr vor Moltke und Delp um seiner christlichen Widerstandskraft willen hingerichtet wurde und in dessen Wirken der damalige Erzbischof Conrad Gröber eine eher unrühmliche Rolle spielte: Max Josef Metzger. Er war zweifellos ein Gesinnungsgefährte der Kreisauer, wenn auch äußerlich weit ab von ihnen und in seelsorglicher und durchaus politischer Friedensarbeit unterwegs. Aber aufgrund der christlichen Entschiedenheit und der Beurteilung der Zeichen der Zeit war er der Gruppe eminent zugehörig. Auch in diesem Band zeigen die biografischen und persönlichen Unterschiede zwischen dem evangelischen Christen Moltke und dem katholischen Priester Metzger umso mehr die Wucht des ökumenisch Verbündenden und christlich Gemeinsamen. Dass wer christlich glaubt, sich konkret und durchaus politisch einzumischen habe, ist hier neu zu lernen – aktuell ge- rade jetzt, wo viele sich mit einer „mystischen“ Innerlichkeit zufriedengeben und bezüglich gesellschaftlicher – wie auch ökumenischer – Verantwortung eher resignieren. Gotthard Fuchs Hier ist auch auf einen Sammelband zu verweisen, den der Alfred-Delp-Kenner Günther Saltin herausgegeben hat. In „Gesang im Feuerofen“ lässt er die Bibellektüren von Moltke, Delp und Gerstenmaier, die sich 1944 im Gefängnis in Berlin-Tegel wiedertrafen, lebendig werden. red Klaus Philippi Die Genese des „Kreisauer Kreises“ (epubli, Berlin 2013, 427 S., 34,75 €) Ders. Max Josef Metzger – Graf Helmuth James von Moltke Zwei Opfer des Nationalsozialismus. Eine Gegenüberstellung (epubli, Berlin 2012, 218 S., 21,99 €) Günther Saltin Gesang im Feuerofen Die ökumenische Bibellektüre von Helmuth James Graf von Moltke, Alfred Delp, Eugen Gerstenmaier und Joseph-Ernst Fugger von Glött in der Haftanstalt Berlin-Tegel (Echter, Würzburg 2014, 247 S., 29 €) Kirche / Bibel 327 CIG Nr. 29 / 2014 Baustelle Vatikanbank Der Chef-Kontrolleur der Vatikanbank hat 3000 Konten geschlossen und 200-mal Anzeige wegen Geldwäsche erstattet. Jetzt wird er ausgetauscht. E rnst von Freyberg hat als Aufsichtsratsvorsitzender des „Instituts für religiöse Werke“, wie die Vatikanbank offiziell heißt, sämtliche Konten kontrolliert. „Wir haben 16 300 Kunden geprüft. Die Bank ist jetzt sauber! Das war mein Ziel“, erklärte er kurz und prägnant der „Bild“-Zeitung. Auf den ersten Blick hört sich diese Bilanz wie eine reine Erfolgsgeschichte an. Denn mit diesem Auftrag war der deutsche Jurist und Unternehmensberater noch von Papst Benedikt XVI. 2013 berufen worden. Die Bank war seit Jahrzehnten mit Geldwäsche sowie dubiosen mafiösen Geschäften und zweifelhaften Beziehungen zur italienischen Politik in Verbindung gebracht worden. Doch nach nur siebzehn Monaten im Amt tritt von Freyberg nun ab. Offiziell heißt es, dass die erste Phase des Umbaus geschafft sei. Neben der Kontenüberprüfung werden mittlerweile Jahresbilanzen vorgelegt. Es gibt strengere Regeln gegen Geldwäsche und mehr Transparenz. Für die anstehende Phase der Neuorientierung werde jemand benötigt, der den Posten als Vollzeitstelle ausfüllt – von Freyberg war zwischen Rom und seinem deutschen Wohnsitz gependelt und hatte weitere Posten inne. Bertones „Geschenk“ Als kompromissloser Sanierer hat er sich allerdings nicht nur Freunde im Vatikan gemacht, wie von Freyberg selbst anmerkte. Er erstattete nach eigenen Angaben 200-mal Anzeige wegen des Verdachts auf Geldwäsche, schloss 3000 Konten zwangsweise und kündigte „nahezu alle Beratungsverträge bei der Bank“. Als Rückschlag gilt der Fall des Monsignore Nunzio Scarano. Dieser flog in von Freybergs Amtszeit auf, als er versuchte, zwanzig Millionen Euro mit Hilfe eines Geheimagenten aus Italien in die Schweiz zu schaffen. Der langjährige Rechnungsprüfer der vatikanischen Güterverwaltung Apsa wickelte seine Geschäfte über mehrere Konten bei der Vatikanbank ab. Bis heute gibt es immer wieder neue Vorwürfe gegen den unter Hausarrest stehenden Geistlichen. Ein rechtskräftiges Urteil steht aber aus. Bei der Vorstellung der erst zweiten Jahresbilanz in der Geschichte des 1942 gegründeten Instituts musste von Freyberg auch noch einen Gewinneinbruch vermelden: von 86,6 Millionen Euro 2012 auf nicht einmal mehr drei Millionen im Folge-Jahr. Wie die „Frankfurter Allgemeine“ berichtete, wies von Freyberg darauf hin, dass der Nettoertrag wie im Vorjahr bei rund 70 Millionen Euro gelegen habe. „Doch danach hätten noch die Lasten der Vergangenheit bereinigt werden müssen, mit Abschreibungen auf Anlagen von 28,5 Millionen Euro, dem Verbuchen eines ‚Geschenks‘ von 15 Millionen Euro oder Beraterkosten für die Säuberungsaktion von 8 Millionen Euro.“ Bei der 15-Millionen-Euro-Schenkung handelt es sich der Katholischen Nachrichten-Agentur zufolge um den Ankauf von letztlich wertlosen Wandelanleihen, mit denen der frühere Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone einem befreundeten Filmproduzenten „aus der Patsche geholfen“ haben soll. Der unter Papst Benedikt XVI. zweitmächtigste Mann in der vatikanischen Verwaltungsbehörde war noch bis Ende 2013 Vorsitzender eines Kardinalsrats, der die Vatikanbank beaufsichtigte. Mit der neuen, transparenten Berichtspraxis soll Bertone nicht zufrieden gewesen sein. Insgesamt Stoff genug, dass nicht nur italienische Medien vermuten, mächtige Kreise innerhalb des Vatikan steckten hinter der Ablösung von Freybergs, der selbst Intrigen in der Behörde beklagte: „Manchmal hat man das Gefühl, dass sich gerade an der Kurie nicht nur die besten Köpfe, sondern auch große Intriganten tummeln.“ Pells Transparenz Die „Süddeutsche Zeitung“ vermutet hingegen, dass von Freyberg „nach seiner Schwerstarbeit keine Lust hat, mit reduzierter Verantwortung dazustehen“. Zum einen wird die künftige Zielgruppe für die Finanzdienstleistungen des „Instituts für religiöse Werke“ nahezu ausschließlich aus Ordensgemeinschaften, Angestellten und Pensionären des Vatikan, Bischofskonferenzen, Bistümern und beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomaten bestehen. Zum anderen – so vermutete die SZ – könnten die Reformideen aus dem Kreis der ehemals acht, mittlerweile neun Kardinäle, die Papst Franziskus als sein Beratergremium für die Kurienreform installiert hat, die Kompetenzen der Vatikanbank und damit auch die ihres AufsichtsratsPräsidenten stark beschneiden. Für diese Erklärung spricht, dass die Vatikanbank in die von Papst Franziskus neu geschaffene Struktur eines Wirtschaftssekretariats eingefügt werden soll, das für sämtliche Finanz- und Wirtschaftsfragen zuständig ist. Geleitet wird dies von dem Australier Georg Pell, der dem Rat der neun Kardinäle angehört. Pell hat bereits angekündigt, dass er die Güterverwaltung des Apostolischen Stuhls Apsa, die das Vermögen und die Immobilien des Vatikan verwaltet, zu einer Art Zentralbank aufwerten will. Auch von Freybergs Nachfolger, der Franzose Jean-Baptiste de Franssu, gilt als Vertrauter des australischen Kardinals. Der Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmensberater gehörte bereits der Kommission an, die die Wirtschafts- und Finanzorganisation des Vatikan im Auftrag des Papstes durchleuchtete. Außerdem ist er Teil des von Kardinal Reinhard Marx geleiteten Wirtschaftsrats, der das übergeordnete Wirtschaftssekretariat kontrollieren soll – so zumindest die bisher bekannte Struktur. Franssus ältester Sohn wiederum ist bei der Finanzberaterfirma tätig, die im Auftrag von Freybergs die Konten der Vatikanbank prüfte. Franssu kündigte an, den Weg seines Vorgängers fortzusetzen. Welche Gründe für das Ausscheiden von Freybergs tatsächlich ausschlaggebend waren, darüber lässt sich momentan nur spekulieren. Das Beispiel zeigt jedoch, wie schwierig es für Papst Franziskus ist, die angekündigte Kurienreform konkret umzusetzen. sun DIE SCHRIFT Anstößige Texte (11) Gott von Versuchung abhalten? Z ur Frage, ob Gott in Versuchung führt, hat sich gezeigt, dass die Antworten des Neuen Testaments nicht auf eine Linie zu bringen sind. Außerdem war ein weites Bedeutungsspektrum des griechischen Verbs peirazein zu erkennen, das übersetzt wird mit „in Versuchung führen“ (vgl. Folge 10). Kann diese Weite dabei helfen, die letzte VaterunserBitte zu verstehen? Folgendes Problem stellt sich: Muss Gott durch eine Bitte davon abgehalten werden, den Menschen in Versuchung zu führen? Ist sogar damit zu rechnen, dass Gott in böser Absicht dem Menschen Fallen stellt? In der Vaterunser-Bitte ist das Moment der Versuchung durch ein Substantiv ausgedrückt: peirasmos. Die deutsche Übersetzung „führe uns nicht in Versuchung“ folgt also der griechischen Textstruktur. Diese ist für manche Ausleger der Anlass, an eine bestimmte endzeitliche Vorstellung zu denken. Gemeint sei nicht irgendeine „Versuchung“, sondern die endzeitliche Bedrängnis, die sich vor der Heilsvollendung ereignen sollte. Vor eben dieser Not soll Gott bewahren beziehungsweise soll der Beter in dieser Not bestehen. Aber in den Stoffen der Jesusüberlieferung, in denen endzeitliche Wirren zur Sprache kommen (etwa in Mk 13,7–20), ist das Wortfeld von „Versuchung“ nicht belegt. Außerdem ist die Vorstellung von den endzeitlichen Katastrophen für die Jesusüberlieferung im Ganzen nicht kennzeichnend. Dass Jesus sich im Gebet, das er seine Jünger gelehrt hat, darauf bezogen hat, ist deshalb unwahrscheinlich. Ein Zugang zu einer anderen Antwort eröffnet sich, wenn man nicht außer Acht lässt, an wen sich das Gebet richtet. Gott wird als „Vater“ angesprochen. Die Beter können demnach nicht meinen, Gott durch ihre Bitte von übelwollenden Ak- tionen abhalten zu müssen. Im Matthäusevangelium ist dies durch die Einleitung des Vaterunser noch unterstrichen. „Euer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn darum bittet“ (6,8). Dann ist die Bitte nicht in einem Zweifel an der Güte Gottes begründet. Sie lässt sich auch so deuten, dass Gott solche Situationen verhindern möge, in denen der Mensch in seinem Verhältnis zu Gott versagen könnte. So ist die Bitte als Ausdruck der Demut zu verstehen: Man weiß um die eigene Schwäche und bittet deshalb um die Bewahrung vor jeder Erprobung. Blicken wir auf das erhobene Bedeutungsspektrum des zugrundeliegenden griechischen Begriffs, so verbindet sich mit „Versuchung“ in der Vaterunser-Bitte nicht die Absicht, ein Scheitern zu provozieren. Angeknüpft wird vielmehr an der Sinnlinie „Erprobung durch Gott“. Jedoch wird um Bewahrung vor solcher Erprobung gebetet, weil der Beter unsicher ist, ob er sie besteht. Im Matthäusevangelium wird diese Bitte aufgegriffen in der Anweisung Jesu an seine Jünger im Garten Getsemani: „Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet“ (26,41). Die Einbindung in diese Szene zeigt, dass die Versuchung im Rahmen der Passion gedeutet wird. Sie nicht zu bestehen heißt, Leiden und Tod Jesu nicht als den Weg des Messias akzeptieren zu können. Hier scheint „Versuchung“ schon fast gleichbedeutend mit „Versagen“ zu sein. Die Jünger, die schlafen, statt um Bewahrung vor jener Versuchung zu beten, beenden denn auch die Nachfolge angesichts der Verhaftung Jesu (26,56). Der Sinn der Vaterunser-Bitte lässt sich aber nicht auf diesen Zusammenhang beschränken. In sie kann jede Situation aufgenommen werden, die zum Scheitern der Gottesbeziehung führen könnte. Gerd Häfner Bischöfinnen in der Kirche von England D ie Reaktion der katholischen Kirche war abzusehen: Die Öffnung des Bischofsamts für Frauen in der Kirche von England erschwere den ökumenischen Dialog erheblich, erklärte etwa Giovanni Maria Vian von der offiziösen Vatikanzeitung „Osservatore Romano“. Die Generalsynode der Anglikaner hatte mit Zweidrittelmehrheit in allen drei Häusern – Bischöfe, Kleriker, Laien – beschlossen, dass Frauen Bischöfinnen werden können. Nachdem 1992 das Priesteramt für Frauen geöffnet worden war, hatte die Synode bereits 2005 grundsätzlich die Zulassung von Frauen zum Bischofsamt befürwortet. Seitdem wurde jedoch um die kirchenrechtlichen Änderungen gerungen. Zuletzt war im November 2012 das Vorhaben gescheitert, weil bei den Laien sechs Stimmen zur notwendigen Zweidrittelmehr- heit fehlten. Damals hatten auch Befürworter der Weihe von Frauen erklärt, dass sie gegen den Gesetzentwurf gestimmt hätten, weil ihnen die Kompromisse für die Gegner zu weit gingen. Pfarreien, die eine Pfarrerin oder Bischöfin ablehnen, haben auch künftig Anspruch auf eine männliche Seelsorge. Zu einer erneuten Abwanderungswelle anglikanischer Christen zur katholischen Kirche wie nach der Zulassung von Frauen zum Priesteramt wird es diesmal wohl nicht kommen. Allerdings werden sich die Gräben weiter vertiefen. Während unter anderem in Amerika, Australien, Irland, aber auch in Südindien und Kuba Frauen zu Bischöfinnen geweiht werden können, lehnt dies die Mehrheit der anglikanischen Nationalkirchen in Afrika, Asien und im Mittleren Osten ab. neu 328 Wochenliturgie / Leserbriefe Nr. 29 / 2014 CIG AUS DEN LESERBRIEFEN LITURGIE IM LEBEN Gott – nein, Religion – ja: Der neue Trend? Aufgerichtet D urch diese heilige Salbung helfe dir der Herr in seinem reichen Erbarmen, er stehe dir bei mit der Kraft des Heiligen Geistes: Der Herr, der dich von Sünden befreit, rette dich, in seiner Gnade richte er dich auf.“ Mit diesen Worten wird jedem Kranken im Sakrament der Krankensalbung die Nähe Christi zugesagt. Diese Sätze machen zudem deutlich, dass das Verständnis der Krankensalbung als bloßes Sterbesakrament zu kurz greift. Entsprechend hat das Zweite Vatikanische Konzil in seiner Liturgiekonstitution betont, dass die sogenannte Letzte Ölung, „die auch – und zwar besser – ‚Krankensalbung‘ genannt werden kann, nicht nur das Sakrament derer (ist), die sich in äußerster Lebensgefahr befinden“ (Art. 73). Krankheit und Tod sind Teil des Lebens. Wo sie vorkommen – sei es, weil ich selbst schwer krank bin, sei es, dass ich Kranken oder Sterbenden begegne und Mitleid empfinde –, erfahre ich nicht nur die Begrenztheit meines und allen Lebens und Könnens. Die Konfrontation mit Leid und Tod kann auch zur Frage nach dem Sinn und nach der Gegenwart Gottes werden. Die Feier der Krankensalbung oder die Krankensegnung und andere Feiern mit Kranken oder Sterbenden geben zwar keine letzte Antwort. Im Angesicht des bedrohten Lebens setzen sie in Wort und Tat jedoch Zeichen der göttlichen Nähe. Wo Christen Kranke besuchen und Sterbende begleiten, schreiben sie sich ein in die Spur Jesu. In den von ihm überlieferten Erzählungen, wie er körperlich und seelisch erkrankte Menschen geheilt hat, wird deutlich, dass Gott das Heil des ganzen Menschen will. Von Anfang an salbten Christen Kranke und Sterbende, um ihnen dieses Heil zuzusagen. Mitten im Unheil schrieben sie so die Geschichte von Gottes Heil fort und hielten – wider allen Zweifel – die Hoffnung auf Gottes Leid und Tod überwindendes Ja gegenwärtig. Es ist ein Handeln, das zum Zeugnis werden kann, mich in meiner Krankheit aufzurichten und neu auszurichten. Matthias Mühl 16. SONNTAG IM JAHRESKREIS (A), 20. JULI 2014 1. Lesung: Der Glaube an den Gott, der für alles Sorge trägt (Weish 12,13.16–19). 2. Lesung: Der Geist Gottes selber tritt für uns mit Seufzen ein (Röm 8,26–27). Evangelium: Lasst Unkraut und Weizen wachsen bis zur Ernte (Mt 13,24–43). AN DEN WERKTAGEN Mo., 21.7.: Montag der 16. Woche, Les.: Mi 6,1–4.6–8, Ev.: Mt 12,38–42; oder hl. Laurentius von Brindisi, Ordenspriester, Kirchenlehrer. Di., 22.7.: Hl. Maria Magdalena, Les.: Hld 3,1–4a oder 2 Kor 5,14–17, Ev.: Joh 20,1–2.11–18. Mi., 23.7.: Hl. Birgitta von Schweden, Mutter, Ordensgründerin, Schutzpatronin Europas, Les.: Gal 2,19–20, Ev.: Joh 15,1–8. Do., 24.7.: Les.: Jer 2,1–3.7–8.12–13, Ev.: Mt 13,10–17; oder hl. Christophorus, Märtyrer in Kleinasien; oder hl. Scharbel Machluf, Ordenspriester. Fr., 25.7.: Hl. Jakobus, Apostel, Les.: 2 Kor 4,7–15, Ev.: Mt 20,20–28. Sa., 26.7.: Hl. Joachim und hl. Anna, Eltern der Gottesmutter Maria, Les.: Sir 44,1.10–15 oder Spr 31,10–13.19–20.30–31, Ev.: Mt 13,16–17. Stundengebet: Vierte Psalmenwoche. AUTOREN DIESER AUSGABE Klaus Werger, Gymnasiallehrer für katholische Religion, Philosophie, Ethik und Latein, Worms. Gotthard Fuchs, Dr. phil., Priester und Publizist, Wiesbaden. Bodo Bost, Theologe und Islamkundler, Pastoralassistent im Erzbistum Luxemburg. Heinz Theisen, Dr. phil., Professor für Politikwissenschaft an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen, Köln. Matthias Mühl, Dr. theol., Diakon, Dozent für Dogmatik an der Fachakademie für Pastoral und Religionspädagogik in Freiburg. Gerd Häfner, Dr. theol., Professor für Biblische Einleitungswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München; IMPRESSUM CHRIST IN DER GEGENWART Chefredakteur: Johannes Röser. Redakteure: Jürgen Springer, Michael Schrom (BILDER DER GEGENWART), Katholische Wochenzeitschrift Stephan U. Neumann, Christoph Schulte. – Anschrift: Hermann-Herder-Str. 4, Begründet von Karl Färber. D-79104 Freiburg, Tel.: 0761/2717-276, Fax: -243, E-Mail: [email protected]. Abonnentenservice: Tel.: 0761/2717-200. Fax: -222; E-Mail: [email protected]. Verlag Herder Anzeigen und Beilagen: Bettina Haller, Tel: 0761/2717-456, Fax: -426, Postanschrift: E-Mail: [email protected], Anzeigenpreisliste Nr. 38. D-79080 Freiburg i. Br. Verlag: Herder GmbH, Freiburg. Druck: fgb · freiburger graphische betriebe. 2065 ISSN 0170-5148 Preise (unvbl. Empf., inkl. MwSt): halbjährlich € 46,80 (Studenten € 30,00) zzgl. € 15,60 Versand [D] / sFr 62,00 zzgl. sFr 31,20 Versand. Kündigungsfrist: 4 Wochen www.christ-in-der-gegenwart.de zum Ende des Berechnungszeitraums. Gedruckt auf umweltfreundlichem Papier. Der Artikel „Gott – nein, Religion – ja“ (CIG Nr. 25, S. 279) über das Phänomen, dass die religiöse Frage gerade von säkularen Medien und Nichtglaubenden neu entdeckt wird, beleuchtet weltweit die differenzierten Strömungen von Gottesglauben und Religion, wie sie in Gesellschaft und Öffentlichkeit beziehungsweise im Schrifttum gelebt, diskutiert und philosophiert werden. Die Überschrift könnte auch lauten: „Gott – ja, Kirche – nein“. Glaubenszweifel entspringen nicht nur unerfüllten Wünschen und Problemen im täglichen Leben. Sie sind meines Erachtens oft auch die Folge von für den Einzelnen nicht nachvollziehbaren Abläufen der Institution Kirche, wie sie sich nach außen darstellt und wie sie im Innern – etwa bei Skandalen – ihre Schwächen offenbart. Der Weg, den Papst Franziskus aufzeigt und lebt, sich mehr den Bedürftigen zuzuwenden, scheint mir der richtige zu sein, um religiöse Fragen zu beantworten und damit Glauben in die Menschheit zu säen. Peter Flößer, Unterwössen Ein Glaube ohne Gott wird zu einem Glauben ohne Inhalt und scheint in „diffuser Spiritualität“ aufzugehen, wie es bei Ihnen heißt. Einem kollektiven – kirchlichen – „LehrGebäude“ scheint alsbald ein subjektives „Leer-Gehäuse“ gegenüberzustehen. Die dem christlichen Glauben eigene Gottesbeziehung mit den Kennzeichen von Ebenbildlichkeit, Bund, Gerechtigkeitsstreben (ent-) schwindet als vorgegebene Grundlage dem Heiliger Nichts Vielen Dank für den Hinweis auf das Buch von Hans Waldenfels über die Grundlegung des buddhistisch-christlichen Dialogs (CIG Nr. 26, S. 290). Das hat mich an ein Gespräch erinnert, das wir in einem Zen-Meditationskreis in Beuron vor etlichen Jahren geführt haben. Damals saßen wir nach einer strengen Zen-Woche zum Abschluss mit Meister Nagaya aus Tokio zusammen, und es ging auch um das personifizierte Gottesverständnis von uns Christen. Einer formulierte seine Bedenken gegen das Neutrum „Nichts“, das für den Buddhisten die Mitte seiner Philosophie bildet. Professor Nagaya hörte sich alles ruhig und lächelnd an und sagte dann: Warum sagen Sie nicht „Der Nichts?“ Nach diesem Wort schwiegen wir einige Minuten lang. Mit dieser Stille fand das Gespräch einen guten Abschluss. Beim Heimfahren versuchte ich säkular-humanen Wertesystem. Erklärungsnot aber bleibt, was dann dem Glauben inhaltlich zu eigen ist und ohne Gottesbeziehung und Verheißung auf Zukunft hin voranbringt. Josef Eisend, Malsch In dem Beitrag geht es um die Gottesfrage, um das, worauf die Menschen in der Kirche oft nur eine halbe oder keine zeitgemäße Antwort bekommen; eine Antwort, die so lange wahr bleiben kann, bis sie wieder falsifiziert wird. Ich aber meine, es kann nicht um „Gott“ selbst gehen, sondern einzig um eine Revision der Vorstellung von ihm. Aenne Siebert, Unterwössen Dieser Beitrag stellt ein hochaktuelles Thema gut verständlich dar. Ich bin in den letzten Jahren als Priester wiederholt um „Hochzeitssegen“ (nicht kirchliche Trauung) gebeten worden, obwohl bei den Paaren keine Ehehindernisse gegeben waren. Unter diesen Personen gab es sowohl Männer wie auch einige Frauen, die nicht nur irgendeine begründete oder unbegründete Abneigung gegen die Kirche verspürten, sondern an Gott nicht glauben konnten oder wollten, aber trotzdem von einer Sehnsucht nach einem gesegneten Leben erfüllt waren. Tiefes Staunen angesichts von Wundern der Natur, des Menschen oder in großer bildender Kunst, die sich nicht wissenschaftlich begründen lassen, bleibt ein Impuls zur Sinnsuche. Prof. Dr. Philipp Harnoncourt, Graz ein Gebet: „Heiliger Nichts, heiliger großer Nichts, heiliger unsterblicher Nichts!“ Ungewöhnlich, provozierend sicher für viele. Aber hilfreich für den, der wie Maria „alle diese Dinge im Herzen bewegt“. Wolfgang Schneller, Oberdischingen Erwählter Bischof? Den Beitrag „Der Geist der Leitung“(CIG Nr. 26, S. 292) über die Bischofsweihe habe ich gern gelesen. Dort wird das Weihegebet in der Liturgie zitiert, wo es heißt: „Gieße jetzt über deinen Diener, den du erwählt hast, die Kraft, die von dir ausgeht …“ Aber „die Erwählung des Dieners“ geht gar nicht vom Gottesgeist aus, sondern ist ganz normaler Menschengeist. Daher wäre es ehrlicher und glaubwürdiger, den Nebensatz „den du erwählt hast“ wegzulassen. Rosemarie Bucher, Ettlingen