Ein Eicher dreht im Rad

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Ein Eicher dreht im Rad
PROFI HOBBYDas Eicher-Riesenrad:
Ein Eicher dreht im Rad
D
ie Brüder Albert und Josef Eicher aus
Forstern waren bemerkenswerte Erfinder.
Ohne viele Worte und Aufhebens setzten
sie um, was sie für richtig hielten. Und weil
der Erfolg ihnen zeitlebens Recht gegeben
hatte – wenigstens in technischen Dingen
– folgten die Mitarbeiter ihnen meistens
blind. Doch als Albert Eicher im Herbst 1950
beobachtet wurde, wie er große, stabile Träger und Profile bog, schüttelte mancher den
Kopf.
Das Rätsel klärte sich auf, nachdem er und
einige Mitarbeiter das Gestell des Schlepper-Riesenrads montiert hatten. Dennoch
blieben eine Menge Fragen: „Wie soll der
Motor Sprit bekommen, und wie werden die
Lager geschmiert? Zieht der 16-PS-Motor
den Schlepper überhaupt in die Runde?“
Doch die Brüder Eicher und ihre Mitarbeiter tüftelten so lange, bis das Riesenrad
selbst und auch der Schlepper dem DauerHärtetest widerstanden.
Ein gutes halbes Jahr nach den ersten Versuchen staunte die Welt: Auf der DLG-Ausstellung im Mai 1951 in Köln war das Eicherrad die Attraktion schlechthin! Der fabrikneue Eicher ED 16/II mit 16 PS drehte
mit Standgas scheinbar mühelos seine Runden im Rad. Der Motor qualmte nicht und
tuckerte aufwärts wie abwärts ruhig und
kraftvoll.
Der Name Eicher stand für Innovation: Luftkühlung und
Direkteinspritzung, Schmalspurschlepper, stufenlose Getriebe,
der fahrerlose Eicher-Robot, der Hoflader Eichus – alles
bahnbrechende Entwicklungen. Die Produkte wurden oft
kopiert, nicht aber das originellste Werbemittel:
das Eicher-Riesenrad. Mehr über Hintergründe und Technik
erfahren Sie im folgenden Beitrag.
es gar nicht. Eine Maschine, die eine solche
Tortur überlebte, musste einfach gut sein.
Die Bau- und Entwicklungskosten des Riesenrads hatten sich binnen kürzester Zeit
amortisiert. In den folgenden Jahren war
das Riesenrad auf allen großen Landtechnikmessen in Europa vertreten.
Mühe hatten allenfalls die Eicher-Mitar beiter: Sie wurden dem Zuschauerandrang
und der Frage: „Wie funktioniert das?“ kaum
Herr. Bereits nach dem ersten Messetag entschlossen sie sich, eine Absperrung um das
Riesenrad zu bauen, weil sie fürchteten, dass
allzu forsche Landwirte sich verletzen könnten. Die besonders Kritischen ließen den
kreisenden Schlepper den ganzen Tag kaum
aus den Augen, in der Hoffnung, dass er
irgendwann mangels Sprit stehen blieb.
Aber den Gefallen tat er ihnen nicht.
Das Echo auf diese Sensation war überwältigend. Mit einem Schlag kannte jeder
die Firma Eicher. Eine bessere Werbung als
die Zeitungsberichte über das Riesenrad gab
Wahrscheinlich auf dem Münchner
Oktoberfest 1965 wurde dieses Foto gemacht.
Bei Einsätzen im Ausland wurde die Schrift
immer wieder neu aufgetragen.
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Im Jahr 1962 beschlossen die Brüder Eicher,
ein zweites Rad zu konstruieren, das ein
Mann mit einigen Hilfskräften allein aufbauen konnte. Sie bauten ein neues Riesenrad, nun mit einem Durchmesser von etwa 7,50 m statt 5 m. Der Schlepper im Rad
blieb der selbe.
Mit einem Hubstapler wird der ED 16 ins Rad
gesetzt. Wie es früher gemacht wurde, ist das
letzte Firmengeheimnis von Eicher. Unten
rechts eine Achse des Gegenwagens.
Anlasser montiert. Außerdem befindet sich
kein Öl in der Ölwanne. Stattdessen wird
das Pleuellager durch eine Bohrung in der
Kurbelwelle und eine Drehverbindung mit
Simmerring in der vorderen Lagerung von
einer Tropfölpumpe seitlich am Schlepper
versorgt. Der runde Ölbehälter muss immer
wenigstens zur Hälfte gefüllt sein. Nach acht
Stunden befindet sich etwa ein halber Liter
Öl im Kurbelgehäuse, das abends abgelassen wird.
Dieses Foto entstand im
Mai 2001 beim EicherTreffen in Forstern. Die
Verkleidung bauten die
Eicher-Freunde neu.
Fotos: Egon Eicher (5),
Archiv Eicher-Freunde
Unter dem Anlasser
der Abreißstecker für die
Starterbatterie, dahinter
die Schmierölpumpe,
vorne neben der Vorderschüssel der runde,
geschlossene Ölbehälter.
Wie zu erwarten, ebbte die Begeisterung
für das spektakuläre Riesenrad mit der Zeit
ab. Doch Josef und Albert Eicher konnten
die Genugtuung genießen, dass es keinem
ihrer Wettbewerber gelang, die Wirksamkeit dieses Zuschauermagneten zu übertreffen.
Der letzte große internationale Auftritt des
Eicher-Riesenrads war 1968 in Casablanca.
In Deutschland wurde es zuletzt 1970 auf
dem Oktoberfest aufgebaut. Danach waren
auf Grund der angespannten Lage bei Eicher andere Dinge wichtiger.
Der Riesenrad-Schlepper und das Gestell
wurden 1973 in das neue Werk nach Landau umtransportiert und blieben dort liegen.
Erst beim Ausverkauf der Eicherwerke Mitte der achtziger Jahre wurde die ganze Ausrüstung an den Landwirt Josef Stiersdorfer
aus Straubing verkauft.
Soviel zur Geschichte. Doch wie funktioniert
die Technik? – Beim Riesenrad handelt es
sich um zwei gebogene U-Schienen, die von
einem Gestell gehalten werden. Darin läuft
der Schlepper. Unterhalb der U-Profile läuft
ein sechsrädriger Wagen, der an der Vorderachse und im Masseschwerpunkt unter dem
Schlepperrumpf verschraubt ist. Über große Spannschrauben wird der Schlepper in
die Bahn gepresst.
Der ED 16/II hat einige besondere Merkmale. Anstelle einer Batterie ist ein spezieller
Abreißstecker für eine externe Batterie am
Der Kraftstofftank hat den Ablauf exakt in
der Mitte. Der Füllstutzen ist bis vier Bar abgedichtet. Zusätzlich befindet sich im Tank
des Schleppers ein Druckluftbehälter, der
den eigentlichen Kraftstofftank über ein Reifenventil unter Druck setzt. Vor jedem Start
muss der Tank wenigstens halb voll sein,
und anschließend wird der Druckluftbehälter mit zwei Bar beaufschlagt. Mit dem zentralen Ablauf zum Spritfilter und zur Pumpe
ist die Versorgung in jeder Stellung gesichert.
Wie wird der Schlepper in Gang gesetzt?
Der Fahrer setzt sich auf die Maschine und
schaukelt ihn einige Meter vor und zurück,
bis der Motor ein wenig warm ist. Dann legt
er den ersten Gang ein und lässt den
Schlepper losfahren.
Der „An-Fahrer“ steigt nun hinten ab und
kann in Ruhe die Bahn verlassen. Denn der
Schlepper braucht etwa eine Minute für eine Runde. Zum Abstellen wird während der
Fahrt der Dekompressionshebel betätigt, so
dass der Schlepper vor dem nächsten Aufschwung stehen bleibt.
Wie die seltenen Auftritte des Eicher-Rie senrads auf Oldtimertreffen zeigen, hat es
nach 51 Jahren nichts von seiner Anziehungskraft verloren. Im Mai 2001 wurde es
erstmals wieder an seiner Geburtsstätte aufgebaut. Federführend waren dabei die
„Eicher-Freunde Forstern“, deren Vorsitzender jetzt Egon Eicher ist (der Sohn von
Josef). In diesem Jahr ist das Riesenrad am
10. und 11. August beim großen Eicher- und
Oldtimertreffen in Nordhorn (Niedersachsen) zu bewundern.
Wilfried Holtmann
In 51 Betriebsjahren hat diese Schmierung
nur einmal versagt. Das war 1959 im französischen
Lille. Anschließend musste nur das Pleuellager
gewechselt werden.
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Der Schlepper wird in der Abwärtsbewegung
angefahren, und der Fahrer steigt dann nach
hinten ab. Anschließend hat er eine knappe
Minute, um die Bahn zu verlassen.