LAP Neunkirchen_Situationsanalyse

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LAP Neunkirchen_Situationsanalyse
L O KAL E R AK T IO NS P L A N
N E U N K I RC HE N
SITUATIONS- UND RESSOURCENANALYSE
ERSTELLT VON:
JÖRN DIDAS & DR. THOMAS DÖRING
ADOLF-BENDER-ZENTRUM
OKTOBER 2011
Inhaltsverzeichnis
Seite
1. Einleitung und Überblick
2
2. Rechtsextremismus
4
2.1. Formen des Rechtsextremismus
5
2.1.1. Organisierter Rechtsextremismus
5
2.1.2. Lose rechte Gruppierungen und Einzelvorfälle
6
2.1.3. Rechtsextreme Einstellungen
10
2.1.4. Antisemitismus
11
2.2. Problemanalyse
13
2.3. Bisherige Strategien und Projekte im Landkreis Neunkirchen
15
2.4. Rückschlüsse und mögliche Projekte
18
3. Integration und Migration
23
3.1. Beschreibung der Problemlagen
24
3.1.1. Geschlechterrollen und –verhältnisse
25
3.1.2. Jugendcliquen
26
3.2. Ressourcen und bisherige Strategien
28
3.2.1. Die Rolle der Schule als Bildungsinstanz
29
3.3. Handlungsbedarf und mögliche zukünftige Projekte
31
4. Zusammenfassung Streetwork-Berichte (2008-2011)
35
5. Zusammenfassung Ideen und Ansätze
40
6. Literaturverzeichnis
42
1
1. Einleitung und Überblick
Die Situationsanalyse für den LAP Neunkirchen hatte den Zweck, vertiefend und klärend
Problemlagen, die im Antrag aufgeführt sind, zu beschreiben. Folgende Schwerpunkte
wurden nach Absprache mit der Lokalen Koordinierungsstelle im Jugendamt gesetzt:
-
Rechtsextremismus
-
Migration/Integration
Im Rahmen der Situations- und Ressourcenanalyse wurden 10 Interviews mit insgesamt 15
Fachkräften durchgeführt, die im Schnitt eine Stunde dauerten, sowie rund 50 Fragebögen
an Institutionen und Organisationen versandt. Hierbei gab es einen Rücklauf von 20 Bögen.
Zudem sind in anonymisierter Form 15 Falldokumente des Fachberaters im
Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus sowie die Berichte der Streetworker der
letzten drei Jahre eingeflossen.
Für die Erhebung wurden ein themenspezifischer Interviewleitfäden und ein
themenspezifischer Fragebogen entwickelt, die übergreifend zu folgenden Punkten Auskunft
geben:
-
Situationsanalyse (Entwicklungen, Tendenzen, Hintergrund)
-
Problemanalyse (Erklärungen, Ursachen)
-
Bestehende Strategien (Ziele, Angebote, Ressourcen)
-
Zukünftige Strategien, mögliche Mitwirkung im LAP
Folgende Personen in den Einrichtungen wurden interviewt:
Schulleiter, ERS
Fachkraft Diskriminierungs- und Opferberatung
Fachkraft Juz Neunkirchen
Fachkräfte Jugendcafé Neunkirchen
Fachkraft, Landesinstitut für präventives Handeln
Fachkraft, Jugendmigrationsdienst
Jugendpfleger Illingen
Jugendpflegerin Ottweiler
Fachkräfte Sozialraumbüro Illingen
Fachkräfte Sozialraumbüro Schiffweiler
2
Die Interviews wurden aufgezeichnet und im Rahmen einer ersten Auswertung verschriftet.
Danach erfolgte die Hauptauswertung. Hier flossen die Ergebnisse der Fragebögen ein. Es
fand eine Präsentation erster Ergebnisse in der Kreistagssitzung vom 28.9.2011 sowie eine
ausführliche Präsentation im Rahmen der Ideenwerkstatt des Lokalen Aktionsplans am
26.10.2011 statt. Eine Powerpoint-Datei mit den Ergebnissen wurde angefertigt, präsentiert
und an die Lokale Koordinierungsstelle gesendet. Der hier vorgestellte Abschlussbericht ist
das Ergebnis des letzten Arbeitsschritts im Rahmen der Situationsanalyse für den Lokalen
Aktionsplan Neunkirchen.
3
2. Rechtsextremismus
Der Begriff „Rechtsextremismus“ und das dazugehörige Problemfeld sind schwer zu fassen.
Dies beginnt bereits bei dem Versuch einer Definition bzw. Verortung des Phänomens. Seit
1974 grenzt der Verfassungsschutz den Begriff Rechtsextremismus vom Begriff des
Rechtsradikalismus ab. Unter Rechtsextremismus versteht er danach verfassungsfeindliche
Bestrebungen von Rechts, Rechtsradikalismus beschreibt seiner Ansicht nach eine nur
verfassungskritische Position. Nur der Rechtsextremismus, aufgrund seiner Ablehnung der
freiheitlich-demokratischen Grundordnung, ist demnach Beobachtungsgegenstand des
Verfassungsschutzes.
In den wissenschaftlichen Diskursen hat sich der Begriff „Rechtsextremismus“ durchgesetzt,
wird jedoch nicht einheitlich definiert. Ein Großteil der wissenschaftlichen Studien hat den
Begriff „Rechtsextremismus“ dahingehend operationalisiert, dass zwischen rechtsextremem
Verhalten und rechtsextremen Einstellungen unterschieden wird. Dem rechtsextremen
Verhalten werden dabei das Wahlverhalten, die Mitgliedschaft in rechtsextremen Parteien
oder Gruppen, Gewalt und Terror sowie Protest und Provokation zugeordnet.
Rechtsextreme Einstellungen, deren verbindendes Kennzeichen
Ungleichwertigkeitsvorstellungen sind, äußern sich nach einer Konsensgruppe deutscher
Rechtsextremismusforscher „im politischen Bereich in der Affinität zu diktatorischen
Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw.
Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind sie gekennzeichnet durch
antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen.“1
In zahlreichen Studien wurde in den letzten Jahren nachgewiesen, dass rechtsextreme
Einstellungen bis weit in die Mitte der Gesellschaft reichen. Zudem können rechtsextreme
Einstellungen durchaus rechtsextremes Verhalten nach sich ziehen.
Die Problemeinschätzung von Seiten der Interviewten ist abhängig von ihrem Verständnis
des Phänomens Rechtsextremismus. Eine Situations- und Problembeschreibung, die nur
rechtsextremes Verhalten in den Blick nimmt, würde daher zu kurz greifen. Aus diesem
1
Decker et al.: Die Mitte in der Krise. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010, Friedrich-EbertStiftung 2010, S. 18
4
Grund wurden im Rahmen der Interviews verschiedene Ebenen thematisiert. So wurde nach
Vorkommnissen und deren Einschätzung im Zusammenhang mit dem organisierten
Rechtsextremismus (Parteien, Kameradschaften) gefragt, aber auch zu losen rechten Cliquen
und Zusammenschlüssen und -in einem dritten Punkt- zu rechtsextremen Einstellungen in
der Gesamtgesellschaft.
2.1. Formen des Rechtsextremismus
2.1.1. Organisierter Rechtsextremismus
Der organisierte Rechtsextremismus spielt nach Aussagen der Interviewten im Landkreis
Neunkirchen eine untergeordnete Rolle.
In einem Interview wurde ein Vorfall aus der Wärmestube in Neunkirchen, einem Treff für
Menschen ohne Wohnung bzw. unzureichendem Wohnraum, geschildert. Diese wurde von
zwei Mitgliedern der rechtsextremen NPD besucht. Als dies bekannt wurde, seien die beiden
NPD-Mitglieder von Angestellten nach ihrem konkreten Hilfebedarf befragt worden. Da
dieser nicht vorhanden gewesen sei, wurde die Aufforderung zum Verlassen der
Wärmestube ausgesprochen. Der Interviewpartner äußerte, man müsse klar Position
beziehen. Es dürfe dort kein Brückenpfeiler für die NPD entstehen.
Im Jahr 2007 ist die NPD durch Infostände und die Gründung eines NPD-Ortsvereins in
Ottweiler aufgefallen. Zudem trat der saarländische NPD-Vorsitzende Frank Franz 2008 zur
Bürgermeisterwahl an, erreichte aber nur 2,8% der Stimmen. Auf diese NPD-Aktivitäten
wurde in der Stadt reagiert. Im Februar 2008 gab es, aufgerufen durch die Kirchen und den
Runden Tisch Interkulturelle Zusammenarbeit Ottweiler eine Demonstration mit rund 1000
Teilnehmerinnen und Teilnehmern gegen Rechtsextremismus und rechtes Gedankengut. Im
Rahmen der Landtagswahlen 2009 hat der Ottweiler Bürgermeister Rödle als
Gemeindewahlleiter bei der Staatsanwaltschaft Saarbrücken Strafantrag gegen die NPD,
aufgrund des Wahlplakats „Heimreise statt Einreise“, gestellt.2
2
vgl. Saarbrücker Zeitung vom 16.08.2009: Bürgermeister Rödle stellt Strafanzeige wegen NPD-Plakat,
http://www.pfaelzischer-merkur.de/sz-berichte/neunkirchen/Neunkirchen-Ottweiler-Plakate-NPD-BuergerHans-Heinrich-Roedle;art2803,3001239 [Download, 14.10.2011]
5
Die NPD ist weder im Kreistag noch in den Gemeinderäten im Landkreis Neunkirchen
vertreten. Auf ihrer Homepage findet sich die Anschrift des NPD-Kreisverbands Saar-Ost mit
einer Postfachadresse in Spiesen-Elversberg. Eine rechtsextreme Kameradschaft ist im
Landkreis nicht bekannt.
In vielen Interviews wurde die Situation rund um den Bekleidungsladen „First Class
Streetwear“ angesprochen, der von 2007 bis 2008 in Neunkirchen ansässig war. Dieser
Laden führt u.a. Kleidung der rechtsextremen Modemarke Thor Steinar sowie
entsprechende Musik. Er war Anlaufpunkt für Rechtsextreme und rechtsorientierte
Jugendliche aus der Region und darüber hinaus.3 Es fanden mehrere friedliche
Demonstrationen in Neunkirchen gegen diesen Laden statt. Aufgrund des Protests aus der
Bevölkerung, so ein Interviewpartner, habe der Laden im Jahr 2008 geschlossen und ist nach
Bexbach umgezogen. Dort betreibt der Inhaber zudem auch den rechtsextremen
Internethandel „Street Fight Versand“. Auch medial wurde über die Vorfälle berichtet (u.a. in
der Saarbrücker Zeitung).
In diesem Zusammenhang gab es auch Vorfälle rund ums Jugendzentrum in Neunkirchen. In
einem Fragebogen wurde darauf hingewiesen, dass „Jugendzentren auch immer wieder zum
Angriffspunkt der organisierten rechten Szene werden können.“ So kam es u.a. zu
gewaltsamen Übergriffen auf Juz-Besucher durch Rechtsextreme. Der „First Class
Streetwear“-Inhaber machte öffentlich das Juz für eingeworfene Scheiben in seinem Laden
verantwortlich.
2.1.2. Lose rechte Gruppierungen und Einzelvorfälle
In den Interviews wurde desweiteren geschildert, dass es schon vor der Eröffnung des
Ladens „First Class Streetwear“ zu Übergriffen auf das Juz durch rechtsorientierte
Jugendliche gekommen sei. So habe es regelmäßige nächtliche Besuche durch Rechte
gegeben, die Besucher bedroht haben. Zudem wurden die Scheiben des Jugendzentrums
mutmaßlich durch Rechte eingeworfen. Bevor es zu körperlichen Auseinandersetzungen
3
Die Einordnung der Vorfälle rund um den Laden in die vorhandenen Kategorien der Befragung ist nicht ganz
einfach. Die Eingruppierung in den Bereich des organisierten Rechtsextremismus erfolgte aufgrund der
Anziehungskraft des Ladens auf Rechtsextreme aus der Region und der Dimension der Auseinandersetzung um
diesen Laden.
6
gekommen sei, habe man im Juz die Polizei gerufen. Ein Interviewpartner berichtete von
einem Vorfall vor der Einrichtung, bei dem Rechte Polizeibeamte angegriffen haben. Hier
zeigen sich latente Potentialen rechtsextremer Gewalt, die sich in bestimmten Situationen
entladen können.
Diese Einschätzung findet sich im Bericht des saarländischen Verfassungsschutzes für das
Jahr 2010 wieder. Dieser kommentiert zum organisierten Kameradschafts- und zum
rechtsextremen Skinheadbereich: „Festzustellen war aber eine latente Gewaltbereitschaft in
Teilen der rechtsextremistischen Szene, eine Affinität zu Waffen und Sprengstoff sowie zu
Kampfsportarten. Diese Faktoren bergen ein schwer kalkulierbares Risiko. Relativ spontane
Taten von einzelnen Szenemitgliedern, die beispielsweise Waffen auch ohne langfristige
Zielsetzung und politische Konzeption besitzen, sind grundsätzlich jederzeit möglich.
Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist die Verurteilung eines bekannten Neonazis
durch das Amtsgericht Neunkirchen am 22. Juni wegen des Besitzes von Kriegswaffen,
verbotenen Waffen und Munition sowie wegen des Umgangs mit explosionsgefährlichen
Stoffen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten.“4 Nach Aussagen des
Verfassungsschutzes gehen 60% der rechtsextremen Straftaten auf Personen zurück, die
man zuvor nicht im Blick hatte. Viele dieser Straftäter kommen aus dem Bereich der rechten
losen Gruppierungen, ohne vorher in enge Verbindung zur NPD oder Kameradschaftsszene
gebracht worden zu sein.
Ein Interviewter sprach von Wellen, in denen in einigen Regionen des Landkreises rechte
Gruppierungen auftauchen und eine Weile bestünden. Wenn dann reagiert werde (u.a. von
Seiten der Polizei), könne das Phänomen vor Ort wieder abebben. Neben der Intervention
durch die Polizei sind weitere Maßnahmen hilfreich (siehe hierzu die Punkt 2.3. und 2.4.).
Es wurden Vorkommnisse in Spiesen-Elversberg geschildert. Hier habe es eine rechte
Gruppierung gegeben, gegen die die Polizei u.a. mit dem Deeskalationsmittel der
Gefährderansprache vorging. Zudem kam es kurz nach der Öffnung des Jugendzentrums in
Spiesen-Elversberg zu Problemen. Rechte Jugendliche seien aufgefallen durch Machtgehabe
und Aggression und hätten Besucher eingeschüchtert und ihnen gedroht.
4
Landesamt für Verfassungsschutz: Beobachtungsbereich Rechtsextremismus 2010,
http://www.saarland.de/4483.htm [Download, 5.10.2011]
7
Desweiteren wurde ein Vorfall aus den 90er Jahren in Illingen dargelegt. Damals versuchten
dort lebende Rechtsextreme, junge Menschen zu beeinflussen und eine feste Gruppe
aufzubauen. Um dies zu verhindern, gründete sich die Initiative Courage, eine breit
aufgestellte Bürgerinitiative mit rund 100 Unterstützern. Aufgrund des Engagements zogen
die rechtsextremen Personen weg. Danach schlief die Initiative zwar ein, sei aber jederzeit
bei ähnlichen Vorfällen wieder aktivierbar, so der Interviewpartner. Zudem habe die
Initiative vielen Menschen Mut gemacht, zu wissen, dass es zahlreiche couragierte Personen
gibt, die gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aktiv werden.
Desweiteren wurde im Rahmen der Befragung eine Kneipe in Wiesbach angesprochen, die
als Anlaufpunkt für rechtsorientierte Personen gegolten haben soll. Nähere Informationen
hierzu liegen allerdings nicht vor. Feste Anlaufpunkte für Rechtsextreme wie Kneipen oder
Vereinsheime stellen mitunter eine erhöhte Gefahr hinsichtlich der Ausübung von Straftaten
dar, wie die Beispiele anderer Kommunen außerhalb des Landkreises Neunkirchen zeigen.
Immer wieder können Personen aufgrund ihres Aussehens bzw. ihrer Äußerungen der
rechten Szene zugeordnet werden. Bei Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Angebote
eines Trägers konnte eine Zunahme rechtsextremer Zeichen und rechtsextremer
Jugendkultur sowie eine latente bis offene Fremdenfeindlichkeit verzeichnet werden. Dies
zeige sich u.a. beim Tragen rechtsextremer Bandshirts mit eindeutigen Symbolen,
Hakenkreuzen auf Arbeitsmaterialien oder unter der Kleidung verborgenen
Hakenkreuztätowierungen. Hinzu kämen fremdenfeindliche Äußerungen wie: „Ich bin nicht
gegen Ausländer, aber ich hasse Türken.“ „Ausländer sind viel krimineller als Deutsche.“
„Wie die Nigger!“
Ähnliche Vorkommnisse finden sich auch in anderen alltäglichen Situationen. In einem
Fitnessstudio in Neunkirchen verkehrt ein Mann, der beim Trainieren regelmäßig ärmellose
T-Shirts trägt. Auf seinen Oberarmen ist als Tatoo „Blood and Honour“ zu lesen. Blood and
Honour ist ein weltweit agierendes rechtsextremes Skinheadnetzwerk, dessen deutsche
Sektion verboten ist. Nichtsdestotrotz agiert diese im Untergrund weiter. Es hat sich zum Ziel
gesetzt, nationalsozialistische Ideologie zu verbreiten und veranstaltet rechtsextreme
Konzerte. „Blut und Ehre“ war zudem der Leitspruch der Hitlerjugend. Im Rahmen der Arbeit
8
des Beratungsnetzwerks gegen Rechtsextremismus erreichte der Beratungsnehmer, dass die
entsprechende Person ihre Oberarme bedeckt hält.
In einem Kindergarten im Landkreis ergab sich das Problem, dass ein Kind regelmäßig mit TShirts mit der Aufschrift „Kleiner Germane“ in den Kindergarten kam. Dieser Junge zeigte
auch Auffälligkeiten im Sozialverhalten. T-Shirts mit dieser Aufschrift sind ausschließlich in
rechtsextremen Läden oder im rechtsextremen Versandhandel erhältlich.
Zudem finden sich immer wieder Hakenkreuzschmierereien im öffentlichen Raum. In einem
Fall wurde von einem eingeritzten Hakenkreuz in einer Kirchenbank berichtet.
Ein Interviewpartner berichtet von dem Problem, dass insbesondere junge Migrantinnen
und Migranten rechtsextreme Symbole nicht erkennen und deuten können. Hier müsse zum
Schutz dieser Menschen verstärkt Aufklärung erfolgen. Aus Sicht des Fachberaters im
Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus ist die jugendkulturelle Ausrichtung des
Rechtsextremismus mit Mode, Musik, Codes und dem Internet auch vielen Fachkräften nur
unzureichend bekannt.
Im Rahmen des Beratungsnetzwerkes gegen Rechtsextremismus bietet das Adolf-BenderZentrum die Möglichkeit der Beratung von Eltern, deren Kinder eine Nähe zur rechten Szene
aufweisen. Von dieser Möglichkeit machten in den letzten beiden Jahren auch 4 Eltern im
Landkreis Neunkirchen Gebrauch. Es zeigte sich, dass die Problemlagen höchst
unterschiedlich aussahen. Während bei einigen Jugendlichen eine Nähe zu rechtem
Gedankengut auszumachen war, fand sich bei anderen eine Nähe zu rechten Gruppierungen,
zu Kameradschaften in anderen Landkreisen bzw. zur NPD.
Es wurde weiterhin berichtet, dass in einem Juz ab und an rechte Musik abgespielt werde.
Man sei sich allerdings nicht sicher, ob es als Provokation zu sehen sei oder wirkliches
Interesse dahinterstehe. Zudem wurde auf Diskriminierungsfälle in Jugendzentren
hingewiesen. Die Problemstellungen wurden u.a. über Workshops bearbeitet.
Eine Punk- und Metalparty in einem Jugendzentrum musste abgesagt werden, nachdem
bekannt wurde, dass eine rechte Gruppierung aus Bexbach auf der Party auftauchen sollte.
9
Es bestand eine große Unsicherheit, wie hiermit umgegangen werden solle und so wurde die
Veranstaltung aufgrund von Sicherheitsbedenken durch die zuständige Fachkraft abgesagt.
Es stellte sich im Nachgang heraus, dass eine private Eifersuchtsgeschichte hinter dem
Vorkommnis stand.
Auch in Schulen kommt es zu Vorfällen. Diese reichen von Hakenkreuzschmierereien, dem
Zeigen des Hitlergrußes auf einem Klassenfoto, rechten Orientierungen bei Jugendlichen bis
hin zu Problemen mit rassistischen und fremdenfeindlichen Äußerungen.
2.1.3. Rechtsextreme Einstellungen
In allen Interviews spielte das Thema „rechtsextreme Einstellungen“ in der
Gesamtbevölkerung eine Rolle. Eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien zeigen, dass diese
sich in allen gesellschaftlichen Schichten finden lassen und damit Rechtsextremismus nicht
als gesellschaftliches Randphänomen gesehen werden kann. So kommen die Autoren der
Studie „Die Mitte in der Krise“ im Rahmen ihrer repräsentativen Befragung zum Ergebnis,
dass rund 25% der Bundesbürger „ausländerfeindlich“5 eingestellt seien, wobei Personen
unter 30 Jahren weniger stark (21,1%), die über 60jährigen dagegen mit 31,3% wesentlich
stärker zustimmten.6 Rechtsextreme Einstellungen sind innere Haltungen, die aufgrund
eigener Erfahrungen und deren Einordnung tief verwurzelt sein können. Sie können aber
auch einfach übernommene Denkmuster darstellen. Rechtsextreme Einstellungen stellen
latente Potentiale dar, die sich in bestimmten Situationen, auch gewaltsam, entladen
können. Sie zeigen sich u.a. im Alltagsrassismus und Diskriminierung. Der organisierte
Rechtsextremismus, insbesondere die NPD, versuchen an diese Einstellungen anzuknüpfen.
Die Beispiele aus Völklingen rund um den Minarettbau bzw. das Frauenschwimmen in
Saarbrücken sind Beispiele hierfür, die sich aber bisher im Landkreis Neunkirchen so nicht
zeigen.
5
Die Autoren der Studie nutzen den Begriff der „Ausländerfeindlichkeit“. Dieser ist allerdings umstritten, da
rechtsextreme Taten einen Menschen nicht treffen aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern in aller Regel
aufgrund rassistischer Merkmale wie der Hautfarbe.
6
Vgl. Decker, a.a.O., S. 92
10
Im Rahmen der Befragung wurde explizit auf die Diskussionen rund um Thilo Sarrazin
verwiesen. So wurde berichtet, dass man teils erschrocken sei, wer den Thesen Sarrazins
zustimmte. Bemerkungen wie, „das musste mal gesagt werden“ oder „das wird man ja wohl
noch sagen dürfen“ seien in den letzten Monaten häufiger zuhören gewesen, auch von
Personen, denen man dies nicht zugetraut habe. Die Thesen Sarrazins seien in breiten
Schichten salonfähig und die Grenze dessen, was man sich zu sagen traue, habe sich weiter
verschoben. Jugendliche, so einige Befragte, würden aber weniger häufig solche
Einstellungen äußern als Erwachsene.
Auch in Vereinen und Verbänden seien Probleme mit rechtsextremen Einstellungen
vorzufinden. Zudem kam es zu fremdenfeindlichen Äußerungen in Jugendzentren und
Schulen. In einem Interview wurde die Ansicht geäußert, die Gesellschaft reagiere auf
Schwierigkeiten tendenziell „rechts“. Mit der Wirtschafts- und Finanzkrise seien auch
vermehrt rechte Einstellungen und Äußerungen wahrnehmbar.
So seien auch im Rahmen der sozialarbeiterischen Familienbesuche alltagsrassistische
Äußerungen, hauptsächlich gegen Ausländer, gefallen. Zudem hing in der Wohnung in einer
besuchten Familie ein Bild Adolf Hitlers. Einige Befragten äußerten die Ansicht, dass
Jugendliche rechte Einstellungen aus dem Elternhaus übernehmen.
Auch ein Weiterbildungsträger stand vor dem Problem, sich mit rechtsextremen und
fremdenfeindlichen Einstellungen und Äußerungen bei den eigenen Klienten
auseinandersetzen zu müssen. Im Rahmen der Arbeit des Beratungsnetzwerks gegen
Rechtsextremismus wurde mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens der
Workshop „Argumentationstraining gegen Stammtischparolen“ durchgeführt.
2.1.4. Antisemitismus
Der Antisemitismus spielt im Rahmen rechtsextremer Ideologie bis heute eine große Rolle.
So gab es in den letzten Jahren Schändungen des jüdischen Friedhofs in Neunkirchen. Zur
Zeit ist auf der Eingangstafel des Friedhofs eine eingeritzte SS-Rune zu sehen. Die einzig
verbliebene jüdische Gemeinde im Saarland, die Synagogengemeinde Saar, ist immer wieder
11
Ziel von Antisemitismus. Dies reicht von judenfeindlichen Bemerkungen über den Eingang
anonymer Post mit Hassbotschaften bis hin zu Morddrohungen.
Im Rahmen der Präsentation der Ausstellung „Hass ist ihre Attitüde“ sind ebenfalls
antisemitische Bemerkungen vorgekommen. „Du Jude“ wird als Schimpfwort unter
Jugendlichen genutzt. In einem Interview wurde berichtet, dass die Geschichte der
Verfolgung der Illinger Juden bei der älteren Bevölkerung vor Ort nie offen diskutiert wurde.
Schuldabwehr bzw. eine unreflektierte Verarbeitung der Geschehnisse seien feststellbar.
Es gib in der Gesellschaft ein offenes und latentes Potential für Antisemitismus. In
repräsentativen Befragungen lassen sich bei rund 10% der Bundesbürger antisemitische
Einstellungen finden. Dabei zeigt sich der Antisemitismus heute immer häufiger indirekt bzw.
„versteckt“ hinter einer Kritik an der Politik des Staates Israel.7 Dies flackere insbesondere
dann auf, wenn medial das Konfliktthema Israel-Palästina diskutiert werde. Die
Wissenschaftler Leibold und Kühnel kommen zu dem Schluss, es bestehe bundesweit „mit
der breiten Zustimmung zu sekundär-antisemitischen Aussagen und NS-vergleichender
Israelkritik ein bedenkliches und mobiliserbares Potential in der Bevölkerung. Die zeitliche
Nähe des Anstiegs der entsprechenden Einstellungen zu öffentlichen Tabubrüchen und zu
dramatischen Ereignissen innerhalb des palästinensisch-israelischen Konflikts lassen
erkennen, wie leicht dieses Potential angesprochen und entwickelt werden kann.“8
Hierauf wurde auch in den Interviews Bezug genommen. So schilderte ein Interviewpartner
Erfahrungen aus einem Projekt in der JVA Ottweiler. Dort sei zu beobachten gewesen, dass
es zu einem Schulterschluss zwischen „rechten“ Insassen und „arabischen“ Jugendlichen
gekommen sei. Beide Gruppen verbanden antisemitische Ressentiments. Bei den
„arabischen“ Jugendlichen sei allerdings ein großes Unwissen zum Rechtsextremismus
feststellbar gewesen.
7
Zur Frage, wann Israel-Kritik antisemitische Züge trägt vgl. Pfahl-Traughber: Antisemitische und nichtantisemitische Israel-Kritik. Eine Auseinandersetzung mit den Kriterien zur Unterscheidung,
http://www.gkpn.de/Pfahl_Antisemitismus.pdf [Download, 05.10.2011]
8
Leibold; Kühnel: Einigkeit in der Schuldabwehr. Die Entwicklung antisemitischer Einstellungen in Deutschland
nach 1989, in: Heitmeyer (Hrsg.): Deutsche Zustände 7, Frankfurt am Main 2009, S. 145
12
In einem anderen Interview wurde erwähnt, dass ein „arabischer“ Jugendlicher sich nicht an
der Mahnwache zur Reichspogromnacht beteiligt habe, mit dem Hinweis, dass er Probleme
mit seinem Vater bekomme, wenn dieser von einer Teilnahme seines Sohnes erfahren
würde. Insbesondere wenn der Nahost-Konflikt medial verstärkt thematisiert werde, seien
bei „arabischen“ Jugendlichen entsprechende Äußerungen („Scheiß Israel“, „Du Jude“)
hörbar. Das Elternhaus spiele, ähnlich wie bei den rechtsextremen Einstellungen, eine große
Rolle bei der Übernahme solcher Erklärungsmuster.
2.2. Problemanalyse
Die rechtsextreme Szene ist nach wie vor von Männern dominiert. Männlichkeitsattribute
wie Stärke und Macht werden angesprochen. Die Frauen werden reduziert auf ihre Rolle als
Mutter, die sich unterordnen und auf Heim und Herd konzentrieren sollen.
Rechtsextreme Gewalttaten werden zu 90% von jungen Männern begangen. Viele der Täter
waren vorher seitens des Staats- bzw. Verfassungsschutzes nicht in Augenschein getreten.
Dies macht eine zukünftige Gefahrenabschätzung schwierig. Aber auch die Mädchen
scheinen zunehmend gewalttätiger zu werden.
In vielen Fällen ist die Zugehörigkeit zur rechten Szene für die Jungs eine Episode in ihrem
Leben. Wenn dann die erste feste Bindung außerhalb der Szene, Familie, Kinder und Beruf
hinzu kommen, steht bei vielen der Ausstieg an. Allerdings ist damit nicht unbedingt eine
Abkehr von rechtsextremen Einstellungen verbunden.
In Zusammenhang mit rechtsextremen Einstellungen sehen die Interviewpartner keinen
Unterschied zwischen Frauen und Männer, jedoch seien es eher die Männer, die
fremdenfeindliche Parolen auch offen äußerten.
Rechtsextreme und rassistische Einstellungen in der Bevölkerung wurden in den Interviews
auch auf wirtschaftliche und soziale Krisen zurückgeführt. Vorurteile und rechte Äußerungen
böten vereinfachende Erklärungen für schwierige Situationen. Eigene Ängste kämen zum
Ausdruck. Die Schuld für die eigene Situation werde anderen Menschen angelastet, z.B.
Menschen mit Migrationshintergrund, bzw. die Wut und Frustration an diesen ausgelassen.
Zudem wurde betont, dass Jugendliche, zum Teil unreflektiert, rechtsextreme Einstellungen
aus dem Elternhaus übernehmen würden.
13
In den Interviews klangen auf die Frage, warum die rechte Szene attraktiv sei für junge
Menschen, immer wieder ökonomische und gesellschaftliche Problemlagen an wie
Perspektivlosigkeit, Frustration und mangelnde Anerkennung. Genannt wurden u.a. Armut,
Arbeitslosigkeit, fehlende berufliche Chancen und damit mangelnde gesellschaftliche
Perspektiven, familiäre Probleme, das Gefühl, keine Chance zu haben, aber auch eigene
Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen. Jugendliche seien auf der Suche nach ihrem Platz
in der Gesellschaft, den sie nicht finden oder zu finden glauben. Hier setzt die rechtsextreme
Szene an und bietet Jugendlichen einen Ort an dem sie das Gefühl haben, verstanden zu
werden. Der Rechtsextremismus versucht Identifikationsmöglichkeiten und Sinnstiftung (z.B.
der Kampf für eine höhere Sache) - aufgeladen mit Stärke, dem Gefühl der Macht und
Aggressionen – zu bieten und gleichzeitig das Gefühl einer Heimat und Sicherheit zu
vermittelt. Die ideologischen Inhalte sind für viele Jugendliche nicht der Hauptgrund der
Zugehörigkeit zu rechten Gruppen bzw. werden kaum reflektiert. Unter Umständen stellt die
Zugehörigkeit der Jugendlichen zu rechten Szene eine Übergangsphase dar, in der sich diese
ausprobieren und etwas erleben wollen. Gerade im jugendkulturellen Bereich hat sich der
Rechtsextremismus in den letzten 10 Jahren stark verändert. Es gibt Lifestyleangebote
(Musik, Mode), man nutzt moderne Medien wie das Internet zur Verbreitung rechtsextremer
Musik und damit verbundener Ideologie und man führt Konzerte durch. Auch rechtsextreme
Demonstrationen sind Teil einer rechtsextremen Jugendkultur.
Zudem muss beachtet werden, dass einige Jugendliche ganz gezielt provozieren wollen und
deshalb mit rechtsextremer Symbolik kokettieren. Nichtsdestotrotz müssen solche
Reaktionen ernst genommen werden. Eltern neigen mitunter dazu, Anzeichen für
rechtsextreme Einstellungen ihrer Kinder nicht wahrnehmen zu wollen. Zum Thema Einfluss
der Eltern auf die Ausbildung rechtsextremer Einstellungen bei Jugendlichen schreibt Klaus
Farin vom Archiv der Jugendkulturen: Viele Rechtsextreme „kommen aus Elternhäusern, die
selbst zwar neonazistische Organisationen und Aktivitäten ablehnen, nicht jedoch zentrale
Inhalte der rechtsextremen Weltanschauung. Vor allem rassistische Einstellungen werden
gar nicht als extremistisch wahrgenommen, sondern erscheinen ‚normal‘. ‚Fast jeder hier bei
uns denkt doch so‘, verkünden Neonazis immer wieder, und mit ‚hier bei uns‘ meinen sie
nicht nur ihre direkten Kameraden, sondern ihr ganz alltägliches Umfeld: Eltern, Lehrer,
14
Arbeitskollegen und Vorgesetzte.“9 Aus Sicht Farins zeichnen sich rechtsextreme Jugendliche
insbesondere durch ein schwach ausgebildetes individuelles Selbstwertgefühl aus. Dies
mache sie anfällig für ein dichotomes Weltbild. Ebenso tragen die Strukturen rechter
Gruppierung, die auf Macht und klare Hierarchien setzen diesem Umstand Rechnung. Die
Gruppe verleiht eine vermeintliche Stärke.10 In den Interviews wurde in diesem
Zusammenhang das Thema Bildung angesprochen. Bildung schütze vor dem Abdriften in
rechte Gruppen. Insgesamt müsse verstärkt Wissen vermittelt und das Reflexionsklima in
Deutschland gestärkt werden.
2.3. Bisherige Strategien und Projekte im Landkreis Neunkirchen
Kein Interviewter sprach von einer konkreten Strategie im Umgang mit den Themen
Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Es wurden jedoch eine
Vielzahl von Projekten, Maßnahmen und Bündnissen genannt, die sich dem Thema auf den
unterschiedlichsten Ebenen widmen.
So wurde von bürgerlichem Engagement berichtet. Beispielsweise gab es in den 90er Jahren
in Illingen eine Bürgerinitiative Courage, die sich gegen die Etablierung einer rechten Gruppe
im Ort richtete. Der Interviewpartner ist davon überzeugt, diese Gruppe sei bei ähnlichen
Vorfällen jederzeit wieder aktivierbar. Das damalige Engagement habe vielen Bürgerinnen
und Bürgern Mut gemacht, sich selbst zu engagieren bzw. gemeinsam vorhandene Probleme
anzugehen.
Auch rund um den rechtsextremen Szenelade „First Class Streetwear“ formierte sich ein
Bürgerprotest mit friedlichen Demonstrationen. Ein Interviewpartner sieht in Neunkirchen
die Chance, dass sich bei ähnlichen Vorfällen auch in Zukunft ein breites Bündnis auf die
Beine stellen ließe.
9
Farin: Unter Kameraden, http://www.ratzeburg.de/media/custom/1281_4776_1.PDF?1291366820
[Download, 06.10.2011], S.2
10
Vgl. ebd., S. 3
15
Als weiteres Bündnis wurde das Forum für Freiheit, Demokratie und Antifaschismus in
Neunkirchen genannt, das in den letzten Jahren eine Reihe von Veranstaltungen zum Thema
durchgeführt hat.
Von Bedeutung im Umgang mit den Themen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit
sind auch übergeordnete Programme. So wurde das Bundesprogramm „kompetent. für
Demokratie“ erwähnt, das seit Anfang 2011 gemeinsam mit dem Bundesprogramm
„VIELFALT TUT GUT“ im Bundesprogramm „TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ STÄRKEN“
aufgegangen ist. Dieses bietet über das Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus im
Saarland nach Vorfällen mit rechtsextremem, antisemitischem oder fremdenfeindlichem
Hintergrund gezielte Hilfe und Unterstützung sowie Fachexpertise an. Die landesweite
Fachberatungsstelle befindet sich im Adolf-Bender-Zentrum. Hier besteht auch die
Möglichkeit der Beratung von Eltern, deren Kinder in der rechten Szene sind bzw. eine Nähe
zu rechter Ideologie aufweisen. Dieses Angebot wurde bereits von Eltern aus dem Landkreis
Neunkirchen genutzt. Die Fachberatungsstelle hat in den letzten Jahren zudem eine Reihe
von Fachvorträgen zum Thema Rechtsextremismus angeboten, u.a. in Kooperation mit der
Stadt Ottweiler und verschiedenen Schulen. Solche Veranstaltungen sind jederzeit bei
Interesse und Bedarf abrufbar.
Auch Verbände sind aktiv. So beteiligte sich die THW-Jugend an der bundesweiten
Kampagne „Tolerant – hilfsbereit – weltoffen“. Im Rahmen der Verbandsarbeit werden auch
Schulungen und Weiterbildungen zum Thema Rechtsextremismus durchgeführt. Ähnliches
findet sich bei juz-united, die in ihren Jugendzentren regelmäßig Workshops, Filmabende
und Vorträge zum Thema anbieten. Im Juz Neunkirchen fand im Jahr 2011 in Kooperation
mit dem Netzwerk für Demokratie und Courage ein „Rock gegen Rechts“ statt.
In zahlreichen Projekten wurde das Thema Nationalsozialismus behandelt. Einen wichtigen
Stellenwert nehmen bis heute Bildungsfahrten in ehemalige Konzentrations- und
Vernichtungslager ein. So wurden Fahrten nach Auschwitz, Hinzert oder Natzweiler-Struthof
durchgeführt und pädagogisch begleitet. Auch von einem Besuch des jüdischen Friedhofs
und der Synagoge in Saarbrücken wurde berichtet. Zudem spielen Zeitzeugengespräche eine
wichtige Rolle. Bis zu seinem Tod im Frühjahr 2011 besuchte der Wiebelskircher Auschwitz16
Überlebende Alex Deutsch eine Vielzahl von Schulen und Einrichtungen im Landkreis und
erzählte auf eindrückliche Weise seine Lebensgeschichte. Ihm ist der Raum der Begegnung in
der Alex Deutsch Schule gewidmet. Hier findet sich u.a. eine Ausstellung des Adolf-BenderZentrums zum Leben des Zeitzeugen.
Auf das Engagement zweier Illinger Bürger geht die Verlegung von Stolpersteinen des Kölner
Künstlers Gunther Demnig zurück. Diese Stolpersteine erinnern an die Opfer des
Nationalsozialismus und werden vor den letzten bekannten Wohnhäusern der Menschen
verlegt.
Dem Thema „jüdisches Leben in Illingen“ widmeten sich auch die dortigen Pfadfinder. Im
Rahmen der 72-Stunden-Aktion des Bistums Trier recherchierten sie zum Thema und in
Zusammenarbeit mit dem Adolf-Bender-Zentrum entstand eine Wanderausstellung, die in
großem Rahmen eröffnet wurde.
Für Schulen ist das bundesweite Programm „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“
von Bedeutung. Einige Schulen des Landkreises haben bereits diese Auszeichnung erhalten.
Dies ist mit der Verpflichtung verbunden, jährlich mindestens ein Projekt zu diesem
Themenkomplex an der Schule durchzuführen. Beispielweise gab es am Gymnasium Illingen
im Jahr 2007 ein dreitägiges Programm mit dem Titel „Baustelle Vielfalt“, bei dem rund 20
Workshops zu den Themen Vielfalt und Toleranz (z.b. „Dem Ball ist es egal, wer ihn tritt“)
angeboten wurden.
Neben „Schule ohne Rassismus“ kann das Programm „Comenius“, das den Gedanken der
Integration befördert, einen Beitrag zur Bearbeitung des Themas leisten. Hier werden u.a. bibzw. multilaterale Schulpartnerschaften gefördert.
In den Interviews und Fragebögen wurde von weiteren Veranstaltungen und Workshops in
Schulen, Jugendzentren oder anderen Einrichtungen berichtet. Beispielhaft genannt wurden:
-
Blue Eyed Workshop: „Die Übung basiert auf der Aufteilung einer Gruppe von
Menschen aufgrund ihrer Augenfarbe in Braunäugige und Nicht-Braunäugige. Die
‚Blauäugigen‘ werden so angesehen und behandelt, wie Nicht-Weiße, MigrantInnen
und Nicht-Christen traditionellerweise in dieser Gesellschaft behandelt werden. Alle
negativen Stereotype die wir in unseren Gesellschaften kennen, werden auf die
Gruppe der Blauäugigen angewendet. Blauäugige werden als unterlegen eingestuft
17
und als Unterlegene behandelt. Im Ergebnis beginnen diese, sich unterlegen zu
fühlen und bestätigen das Stereotyp.“11 Es wurde von nachdenklichen Reaktionen
und Diskussionen im Anschluss an den Workshop berichtet, der im Rahmen des
Beratungsnetzwerks gegen Rechtsextremismus durchgeführt wurde.
-
Argumentationstraining gegen Stammtischparolen, Wanderausstellung „Hass ist ihre
Attitüde- Was passiert in der rechten Szene“, Workshops zum Thema
„Rechtsextreme Musik“, Comic-Workshops zum Thema Vorurteile - durchgeführt
durch das Adolf-Bender-Zentrum
-
Workshops zum Thema Rechtsextremismus, u.a. durchgeführt durch das Netzwerk
für Demokratie und Courage
-
Antiaggressionstrainings
Als wichtige Kooperationspartner zur Bearbeitung des Themenfelds Rechtsextremismus,
Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit wurden genannt:
-
aej saar (Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend Saar)
-
Netzwerk für Demokratie und Courage
-
Juz-united
-
Adolf-Bender-Zentrum
-
Polizei, Landeskriminalamt
2.4. Rückschlüsse und mögliche Projekte
In den Interviews und Fragebögen wurden eine Reihe wichtiger Ansatzpunkte, möglicher
Ziele und Ideen für Projekte im Rahmen des Lokalen Aktionsplans genannt.
Ein Interviewpartner hat auf die wichtige Rolle übergeordneter Programme wie TOLERANZ
FÖRDERN – KOMPETENZ STÄRKEN hingewiesen. Hierdurch werden Themen gesetzt mit dem
Ziel, Top-Down-Prozesse und damit Bewusstseinsprozesse in der Gesellschaft in Gang zu
setzen.
11
Diversity Works: Zum Trainingskonzept von Jane Elliott, http://www.diversityworks.de/workshops/blue_eyed_workshop/blue_eyed_das_konzept, [Download 20.10.2011]
18
Im Themenfeld Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit ist es nach
Ansicht vieler Befragten wichtig, Maßnahmen nicht nur auf Jugendliche zu beschränken.
Insbesondere sollen auch die Eltern, Betreuer in Vereinen, Multiplikatoren u.a. in den Blick
genommen werden. Wenn man, wie oben beschrieben, davon ausgeht, dass die Eltern einen
wichtigen Einfluss auf ihre Kinder bei der Ausbildung rechtsextremer Einstellungen haben,
liegt es inhaltlich nahe, die Erwachsenen einzubinden. Praktisch steht man jedoch vor dem
Problem, dass sich in aller Regel gerade diese Eltern nicht zur Teilnahme bewegen lassen. Es
kann unter Umständen gelingen, Erwachsene über unverfänglichere Themen zu erreichen
oder Bildungsbestandteile zu koppeln mit anderen Veranstaltungsaspekten. In den
Interviews klang zudem immer wieder an, dass viele Erwachsene über ein mangelndes
Wissen verfügen, wie sich der Rechtsextremismus heute äußert und zeigt. Zudem bestehe
auch bei interessierten Erwachsenen noch immer zu wenig Wissen zum Thema
Rechtsextremismus, insbesondere zum Bereich „Rechtsextremismus und Jugendkultur“. Hier
könnten Projekte ansetzen.
Aufklärungsarbeit und Wissensvermittlung ist weiterhin auch für Jugendliche wichtig. Der
Rechtsextremismus zeigt sich heute in einer modernen Form (z.B. im Internet), die Inhalte
hinter der Fassade sind aber die gleichen geblieben. Diese gilt es, mit Jugendlichen zu
bearbeiten, ihnen die Möglichkeit zu geben, antidemokratische Haltungen zu erkennen und
deren Folgen zu verstehen. Dies gilt auch für Jugendliche mit Migrationshintergrund. Ein
Wissen über Inhalt, Erkennungsmerkmale und Gefahren des Rechtsextremismus kann einen
Schutz darstellen. Insgesamt scheint es Jugendlichen auch wichtig zu sein, sich mit diesen
Themen auseinandersetzen zu dürfen. Eine ernsthafte Auseinandersetzung, insbesondere
mit rechtsorientierten Jugendlichen, ist aber nur dann möglich, wenn man die Sorgen der
Jugendlichen ernst nimmt und ohne moralischen Zeigefinger das Thema sachlich bearbeitet.
Wichtig scheint zu sein, dass Präventionsprojekte vor dem Jugendalter ansetzen. Wenn man
davon ausgeht, dass Jugendliche bereits über einige Jahre bestimmte Einstellungsmuster
ausgebildet haben, könnte es hilfreich sein, in Projekten Kinder ab dem Kindergarten bzw.
der Grundschule zu erreichen. Da sich mit diesen das Thema Rechtsextremismus schwer
bearbeiten lässt, bedarf es allgemeinerer Themen, die das friedliche gesellschaftliche
Zusammenleben, die Gleichwertigkeit aller Menschen bzw. die Toleranz- und
19
Demokratieförderung in den Blick nehmen. Wenn man zusätzlich den Aspekt in den Blick
nimmt, dass ein schwach ausgebildetes Selbstwertgefühl, den Einstieg in den
Rechtsextremismus befördern kann, muss der Persönlichkeitsbildung in Projekten Rechnung
getragen werden.
Die Angebote müssen insgesamt niedrigschwellig angelegt sein, da allein der Begriff
„Rechtsextremismus“ bei vielen Menschen Ängste hervorruft. Auch Aussagen wie: „Damit
haben wir nichts zu tun“, sind häufig zu hören. Ein niedrigschwelliger Zugang dient hier dazu,
mit den Projekten Zielgruppen zu erreichen, die sich sonst eher nicht beteiligen würden.
Niedrigschwellig kann bedeuten, Projekte aufsuchend durchzuführen, sie an den
Bedürfnissen und Interessen der Zielgruppen auszurichten (z.B. mit Jugendlichen zum
Bereich Jugendkultur arbeiten), Bildungsangebote kreativ und alltagsnah (Anknüpfungen z.B
an Sport, Musik, Kunst) zu gestalten oder auch, sie mit anderen Themen zu verbinden.
Inhaltlich verbunden werden kann eine Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus
mit interkulturellen Fragestellungen sowie einer Förderung sozialer Kompetenzen und eines
gewaltfreien Umgangs. Insgesamt kann das Thema eingebettet werden in übergreifende
Themen der Demokratie- und Toleranzbildung.
Noch immer setzen viele Präventionsprojekte im Bereich Rechtsextremismus auf der
kognitiven Ebene an. Es kann für einige Zielgruppen allerdings sinnvoll sein, auch die
emotionale Ebene anzusprechen, wie dies z.B. das Blue-Eyed-Training macht. Projekte
sollten nach Aussage eines Interviewten so ausgelegt sein, dass eigene Ängste und
Befürchtungen reflektiert werden können.
In einigen Interviews klang eine große Unsicherheit im Umgang mit dem Thema
Rechtsextremismus an, sowohl von Seiten professionell als auch ehrenamtlich Tätiger. Ein
Projektansatz könnte darin bestehen, diese Unsicherheiten und Ängste zu reduzieren.
Unsicherheiten lassen sich reduzieren zum einen durch Wissen, zum anderen durch
Vermittlung von Handlungssicherheit, auch in alltäglichen bzw. Arbeitssituationen mit
Vorkommnissen umgehen zu können. Das Argumentationstraining gegen
Stammtischparolen, in dem man lernt, in alltäglichen Situationen auf Vorurteile reagieren zu
können, ist ein Ansatz zur Steigerung der Handlungssicherheit.
20
Als wichtiger Ort der Auseinandersetzung wird immer wieder die Schule genannt. Diese
müssen alle Jugendlichen durchlaufen. Der Einbezug der Lehrerinnen und Lehrer als auch
der Eltern sollte in Projekten berücksichtigt werden. Gerade die Schulleitung spielt zur
Erreichung der verschiedenen Zielgruppen und der Zielerreichung eine wichtige Rolle, da sie
Themen an Schulen setzen kann. Im Rahmen des Lokalen Aktionsplans könnten Projekte
Schulen auf ihrem Weg zur „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ begleiten und
unterstützen.
Sinnvoll könnte es sein, jugendliche Multiplikatoren auszubilden, die sowohl mit
Gleichaltrigen zu den Themen arbeiten als auch in ihren alltäglichen Lebenswelten, in ihren
Vereinen, Verbänden und Jugendzentren ihr neues Wissen einbringen können.
Zudem muss es Ziel des Bundesprogramms, seiner Umsetzung vor Ort sowie der Projekte
und der Berichterstattung darüber sein, die Öffentlichkeit für die Themen
Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit zu sensibilisieren und zum
Einsatz für demokratische Werte zu aktivieren. Dies kann u.a. dazu dienen, rechtsextreme
Einstellungen abzubauen bzw. einen toleranteren Umgang miteinander zu fördern.
Einige Interviewten plädierten für einen offenen Umgang mit der Problematik
Rechtsextremismus und nehmen insbesondere die Politik in die Pflicht. Es würden Probleme
dieser Art von Seiten der Politiker allzuhäufig verharmlost bzw. es werde nicht offen mit
diesen umgegangen. Gerade der offene Umgang mit den Problemen stelle aber die
Grundvoraussetzung einer Lösung dar. In Städten und Regionen, die ihre Probleme im
Zusammenhang mit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit klar ansprächen, komme
man zu konstruktiven Lösungen.
Es gibt, und das ist aus den Interviews und Fragebögen zu entnehmen, einen steten Bedarf,
die Themen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit auf den
verschiedensten Ebene zu bearbeiten. Die Sensibilität darf nicht nachlassen.
21
Kurzzusammenfassung
-
Wichtig ist die zielgruppenübergreifende Arbeit
-
Insbesondere sollen Präventionsprojekte verstärkt jüngere Zielgruppen in den Fokus
nehmen.
-
Projekte sollen niedrigschwellig, kreativ und alltagsnah gestaltet sein
-
Wissensvermittlung zum Thema Rechtsextremismus ist weiterhin für alle Zielgruppen
notwendig.
-
Schule kann ein zentraler Ort für die Bearbeitung des Themas sein, da alle
Jugendliche diese durchlaufen.
-
Die Öffentlichkeit muss sensibilisiert und aktiviert werden.
-
Auch die Politik ist gefordert, offen mit der Problematik umzugehen.
22
3. Integration und Migration
Grundlage und Ausgangspunkt der Darstellung der Ergebnisse der Situations- und
Ressourcenanalyse zum Themenbereich Migration und Integration ist die Auswertung der
Interviews. Die Ergebnisse der Fragebogenauswertung werden bei den jeweiligen
inhaltlichen Themen, die behandelt werden, hinzugefügt. Sie bestätigen zum großen Teil die
Auswertung der Interviews oder ergänzen die Ausführungen.
Allgemein wurde von den interviewten Fachkräften angeführt, dass Integration nicht als
einseitige Anpassung verstanden werden darf, sondern als gegenseitiger Prozess auf
Möglichkeiten gesellschaftlicher Partizipation, Chancengleichheit und auf die Förderung von
Entwicklungspotentialen abzielen sollte. Hierzu gehören die Wahrnehmung und
Berücksichtigung spezifischer Erfordernisse von Zuwanderinnen und Zuwanderern, die
notwendige Ausgestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen und der Zugang zum
Arbeitsmarkt sowie zum Bildungs- und Ausbildungswesen.
Bei der Frage nach der Beschreibung der Situation und der Problemlagen der Migranten
wurde von allen Seiten betont, dass eine differenzierte Sicht nötig ist, um ihren Lebenslagen
und Interessen gerecht zu werden. Dies bedeutet auch, sich zu vergegenwärtigen, dass unter
dem Begriff „Migrant“ sehr unterschiedliche Personengruppen zusammengefasst werden:
sog. Arbeitsmigranten, wobei zu unterscheiden ist, ob sie aus der EU stammen oder nicht,
Spätaussiedler und jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen UdSSR. Ebenso sind in diesem
Zusammenhang Fachkräfte (über Green Card-Regelung), ausländische Studierende und
Flüchtlinge zu nennen. Die letzten drei Gruppen spielen allerdings zahlenmäßig im Landkreis
Neunkirchen kaum eine Rolle.
Es ist also einerseits die Frage zu stellen, welche Migrantinnen und Migranten sich in
welchen Regionen im Landkreis Neunkirchen angesiedelt haben, so z.B. Russlanddeutsche in
Illingen und Hirtzweiler, in Neunkirchen türkische und kurdische Migranten.
Andererseits ergeben sich je nach Region und Konzentration unterschiedliche
Interessenlagen und Probleme, die eine sozialräumliche Betrachtung nötig machen. Erst
durch diese kommen die Belange der Menschen, ihre Ressourcen, aber auch die
23
institutionellen Möglichkeiten in den jeweiligen Gemeinden in den Blick, die für eine
gelungene Integration unerlässlich sind.
Ebenfalls wurde in den Interviews betont, dass Integration keineswegs „problematisch“
ablaufen muss. So wird z.B. die Gemeinde Merchweiler hervorgehoben, in der die
Integration geglückt ist und viele Zuwanderer aus Italien mit den deutschen Einwohnern
unproblematisch zusammenleben. Im Laufe der Zeit gab es auch schon etliche Hochzeiten
von gemischten, „italienischen“ und „deutschen“, Paaren.
3.1. Beschreibung der Problemlagen
Generell ist nach Aussage der Fachkräfte der wirtschaftliche Druck im Alltagsleben
(Arbeitslosigkeit, Hartz IV) größer geworden und dies wirkt sich auch auf die Wohn- und
Lebenssituation der Migranten aus. Bei der Frage nach möglichen Problemlagen gab es bei
den Interviews und den Fragebögen eine große Übereinstimmung:
In den Interviews wie auch in den Fragebögen wurde die schlechte bis mangelnde
Sprachkenntnis und Sprachbeherrschung bei Migranten als ein Hauptproblem gesehen. In
diesem Zusammenhang wurde auch deutlich gemacht, dass daraus beträchtliche Folgen
entstehen: die schulischen Leistungen sind beeinträchtigt und damit verknüpft, die oft
schlechten Aussichten Ausbildungsplätze zu finden oder generell in Berufs- und Arbeitsmarkt
Fuß zu fassen. Sprachdefizite bereiten aber auch Probleme bei Amts- und Behördengängen.
Es wurde in den Interviews oft beklagt, dass die Angebote zur Sprachförderung a) reduziert
wurden und b) die eingeschränkte Mobilität von Migrantinnen und Migranten kaum
berücksichtigt wird. So ist es oft sehr schlecht möglich und im ländlichen Raum aufwendig,
Zeiten für Kurse in entfernteren Ortschaften einzuhalten, wenn nur der öffentliche
Personen-Nahverkehr genutzt werden kann.
In den Interviews wie auch in den Fragebögen wird angegeben, dass bei Teilen der
Bevölkerung Vorurteile gegenüber Migranten bestehen, die sich in sehr unterschiedlicher
Weise äußern können. Ein unfreundlicher Ton auf dem Sozial- oder Wohnungsamt,
abfälligen Bemerkungen und Diskriminierungen bis hin zu rassistischen Sprüchen wurden
berichtet. Bemerkungen wie „warum seid ihr überhaupt hier?“ oder „ihr wollt doch nur
24
unsere Kohle!“ bekommen Erwachsene zu hören, aber auch in Schulen oder Jugendtreffs
können Jugendliche mit Migrationshintergrund die Erfahrung von Diskriminierungen
machen.
Desweiteren wird beklagt, dass in öffentlich zugänglichen Jugendtreffs, aber auch in
Jugendverbänden gemeinsame Projekte und Aktivitäten von Jugendlichen mit und ohne
Migrationshintergrund kaum stattfinden. Die Gründe für diesen Sachverhalt können sehr
unterschiedlich sein und müssen jeweils untersucht werden. So suchen sich z.B.
Jugendgruppen Plätze und Orte, die sie für sich selbst in Anspruch nehmen, sei es, weil sie in
direkter Nähe wohnen oder weil sie sich bewusst von anderen Jugendlichen abgrenzen
wollen. Auch das soziale Klima in einer Einrichtung oder die Attraktivität der Angebote
spielen eine Rolle.
In den Fragebögen wurde auch mehrfach darauf hingewiesen, dass Jugendcliquen dann ein
Problem darstellen können, wenn die Gewaltbereitschaft zunimmt und es zu handfesten
Konflikten kommt. In diesem Zusammenhang wurden besonders russlanddeutsche, aber
auch Cliquen mit türkischen Jugendlichen genannt.
Es wurde in den Interviews wie den Fragebögen auch öfters darauf aufmerksam gemacht,
dass bei durchgeführten Projekten mit Jugendlichen oft die Einbindung der Jugendlichen ins
Elternhaus nicht genügend berücksichtigt wurde. Dies ist auch deswegen bedenkenswert,
weil die Wichtigkeit des Elternhauses bei der Orientierung der Jugendlichen oft von den
Befragten herausgestellt wurde.
3.1.1. Geschlechterrollen und -verhältnisse
Im Rahmen der Interviews wurde auch danach gefragt, wie sich Frauen und Männer mit
Migrationshintergrund hinsichtlich Verhaltens und ihrer Einstellungen unterscheiden, und
wie die Geschlechterverhältnisse und Rollenzuschreibungen zu beschreiben sind.
Bei aller Vorsicht, verbunden mit dem Hinweis, dass man schon genauer differenzieren
muss, in welcher Weise die Geschlechterverhältnisse mit sozialen, kulturellen oder
25
ethnischen Faktoren konfundiert sind, wurde überwiegend von einem klassisch traditionalen
Rollenverständnis berichtet, das in Familien mit Migrationshintergrund anzutreffen ist. Dies
bedeutet, dass dem Mann in vielen Bereichen eine quasi natürliche oder eine unhinterfragte
Vorrangstellung gegenüber der Frau eingeräumt wird. Die Aufgabenverteilung ist danach
klar gegliedert: der Mann hat sich um die existentiell wichtige ökonomische Sicherung der
Familie zu sorgen, die Frau kümmert sich primär um Haushalt und Erziehung. Bei finanziellen
Schwierigkeiten der Familie gilt ihre Berufstätigkeit nicht als Ausdruck der Selbstbestimmung
und –findung, sondern als eine durch die wirtschaftliche Notsituation erzwungene Leistung.
Als positive Entwicklung wurde von vielen Fachleuten das langsame Aufweichen von rigiden,
eingrenzenden Rollenverständnissen gegenüber den Frauen und Mädchen ausgemacht. So
melden die Frauen selbst Ansprüche an, hinterfragen Rollenverständnisse, suchen
Beratungsangebote oder absolvieren aus eigenem Antrieb Sprachkurse.
Ein Problem, von dem Verantwortliche berichteten, ist ein überzogenes Machogehabe bei
einem Teil der männlichen Jugendlichen und Bei den Mädchen ist zu beobachten, dass sie
sich zum Teil selbst in die Rolle von zu begehrenden Sexualobjekten drängen und angeregt
durch Sendungen im Fernsehen versuchen, dort präsentierte Models zu kopieren oder ihnen
nachzueifern. Andere Mädchen werden im Laufe der Zeit selbstbewusster, sie entdecken
ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche, sehen ihre Rolle in der Familie eingeschränkt und
beginnen, elterliche Wertvorstellungen zu hinterfragen.
Die Unterschiede in den Familien mit Migrationshintergrund hinsichtlich der Vorstellungen
über Geschlechterrollen und –verhältnisse sind hier sehr groß; es gibt Familien mit strikter
und strenger Regelauslegung des unnachgiebigen autoritären Vaters, aber auch Familien, in
denen traditionale Rollenklischees und Gruppenzwang aufweichen. Ob und wie die
jeweiligen Konflikte ausgetragen werden, ist durch spezifische Analysen näher zu
bestimmen.
3.1.2. Jugendcliquen
Viele Interviewte wiesen darauf hin, dass Cliquenbildungen im Jugendbereich als typisches
Phänomen dieser Lebenszeit anzusehen sind und sie daher auch öfters in Orten anzutreffen
sind. Die stärkste Ausprägung ist danach in der Stadt Neunkirchen zu finden. Treffpunkte
26
und Auflaufstellen liegen hauptsächlich in der Nähe des Saarpark-Centers. Hierbei wurde
auch von Seiten der Streetworker darauf hingewiesen, dass die Jugendlichen nicht unbedingt
aus Neunkirchen stammen müssen, sondern auch im Rahmen der Freizeitaktivitäten von
Gemeinden außerhalb der Stadt sich dort verabreden.
Ein hoher Migrantenanteil muss keineswegs zu Konflikten führen, es gibt sowohl einen
offenen, toleranten Umgang miteinander, aber auch Spannungen, Reibereien bis zu
handfesten Konflikten, die hin und wieder aufflammen. So gab es mehrere Vorfälle, bei
denen Jugendliche von einer „türkischen Gruppe“ in der Innenstadt bedroht wurden.
Dieses war auch vor 2 Jahren im Jugendzentrum Ottweiler der Fall, als eine türkischkurdische Jugendclique mit deutschen Jugendlichen aneinandergeraten sind. Bei dem Streit
um die Vormachtstellung im Jugendzentrum wurden Fenster eingeworfen und Graffiti
gesprayt. Es gab Polizeieinsätze und regelmäßige Kontrollfahrten, zudem wurde nachträglich
eine Außenkamera am Haus installiert. Die Konflikte waren in dieser Heftigkeit neu in
Ottweiler, aber sie verpufften auch relativ schnell, da sie eher Ausdruck von spontanen,
nicht organisierten Aktionen waren.
Im Park der Stadt Illingen und im Jugendzentrum gab es vor einiger Zeit Probleme mit
Jugendlichen mit russischem Migrationshintergrund. Leute, die den Park durchquerten,
fühlten sich belästigt und bedroht, sodass in Zusammenarbeit einer Arbeitsgemeinschaft des
Netzwerkes Integration mit der Gemeinde nach Lösungen gesucht wurde. Die hohe
Gewaltbereitschaft, die in Cliquen mit russlanddeutschen Jugendlichen auftreten kann,
wurde auch in Fragebögen hervorgehoben.
Cliquenbildungen wurden von den Interviewten besonders dann als problematisch bewertet,
wenn sich die Gruppen ausschließlich über die Zugehörigkeit zur „eigenen“ ethnischen
Gemeinschaft definieren. Abwertende und feindliche Haltungen gegenüber „den Anderen“
stabilisieren die eigene Gruppenzugehörigkeit, führen zu interner Anerkennung und sind
Ausdruck der vermeintlichen eigenen Stärke. In diesem Kontext ist allerdings anzumerken,
dass die angesprochenen Prozesse als ein allgemeines Gruppenphänomen zu betrachten
sind, das sich mehr oder weniger ausgeprägt in allen Gruppen äußern kann. In einigen Fällen
wurde zudem von Konflikten zwischen türkischen und kurdischen Jugendlichen berichtet, die
27
darauf zurückgeführt wurden, dass ihre Familien in unterschiedlicher Weise selbst von
Unruhen und Spannungen in ihren Herkunftsländern betroffen sind.
Es ist insofern immer nach den Bedingungen zu fragen, die zu Auseinandersetzungen oder
Rivalitäten führen und hinter denen sehr unterschiedlich motivierte Gruppenprozesse
stehen können. So berichten 2 Fachkräfte, dass es in ihrem Arbeitsbereich keine extremen
Abgrenzungen zwischen unterschiedlichen Gruppen („die Russen“, „die Türken“) gebe, die
allerdings in anderen Kontexten durch aus auftreten können. Möglicherweise kann hier ein
klar geregelter, aber auch geschützter Raum diese Gruppendiskriminierungen verhindern.
3.2. Ressourcen und bisherige Strategien
Im Landkreis Neunkirchen gibt es viele Einrichtungen, die vernetzt im Themenbereich
Integration und Migration arbeiten. Seit 2001 besteht das Netzwerk der Integration im
Landkreises Neunkirchen, das seit 2005 den Fokus auf alle Migrantengruppen gelegt hat.12
Vertreten sind Migrantenselbstorganisationen, kommunale Stellen, der
Integrationsbeauftragte von Neunkirchen, Jugend- und Sozialamt, Polizei, alle
Wohlfahrtsverbände, Schulen. Ebenso gibt es Kontakt zum Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge, zum Sozialministerium und zur Ausländerbehörde. Es gibt dort verschiedene
Arbeitsgruppen, die themenspezifisch bedarfs- und problemorientiert arbeiten. So wurden,
wie bereits geschildert, die Konflikte im Park in Illingen angegangen. Ziel war es dort, alle
Beteiligten mit ihren Interessen einzubinden, Alternativen zu erarbeiten, Fachkräfte
einzusetzen, die sich vor Ort ein Bild machen können sowie unterschiedliche Angebote
(Erlebnispädagogik, Bildungs- und externe Hilfsmöglichkeiten) bereitzustellen.
Die Stadt Neunkirchen folgt einem entwickelten Integrationskonzept, dass in einem
detaillierten Heft dargestellt wird.13 Ein Integrationsbeauftragter der Stadt sowie ein
Integrationsbeirat haben seit langer Zeit ihre Arbeit aufgenommen.
12
In der umfangreichen Arbeit „Migrations- und Integrationskonzept für den Landkreis Neunkirchen“ aus dem
Jahr 2006 werden Zahlen, unterschiedliche Bereiche und Ansätze sowie Projekte dargestellt.
13
Diese Arbeit von 2008 hat den Titel „Miteinander – Tag für Tag, Integrationskonzept für die Stadt
Neunkirchen. Leitlinien, Handlungskonzept und Projektkatalog“
28
In den Sozialraumbüros, die auch als eine wichtige Anlaufstelle für Migrantinnen und
Migranten fungieren, werden Beratungen durchgeführt, Familien betreut, Kurse angeboten
und vermittelt. Es besteht enger Kontakt zum Jugend- und Sozialamt und zu den
Schoolworkern.
In der ERS Stadtmitte Neunkirchen und in der Grundschule Bachschule Neunkirchen laufen
seit längerer Zeit Projekte, die sich direkt um das Thema Integation drehen (s.u.). Die
Schulen werden auch unterstützt von dem Verein ProKids, der Veranstaltungen für
Schülerinnen und Schüler mit den Themen Gewalt, Drogen, Diebstahl anbietet.
Ebenso wird betont, dass ein breites Spektrum an Jugendangeboten gemacht wurde. Hierbei
ging es um die Umsetzung von Sprachkursen, Hausaufgabenhilfen, ein Integrationstag im
schulischen Bereich, aber auch um Angebote im Freizeitbereich. Die Antworten auf die Frage
nach konkreten Projekten und Maßnahmen in den letzten 3 Jahren bei den Fragebögen
liefert ein breites Spektrum: So wurde zwar von einigen Vertretern von Einrichtungen
angegeben, dass bei ihnen keine Projekte gelaufen sind, ansonsten gab es gerade im
Freizeitbereich der Jugendlichen Streetsoccer-Turniere, Rap-Workshops oder ein Band
Contest. Ebenso wurde Sprachtrainings, Hilfe bei Bewerbungen und AntiAggressionstrainings durchgeführt.
Hervorgehoben wurde die Wichtigkeit des Kontaktes zu den jeweiligen Jugendeinrichtungen
sowie Jugendpflegern und besonders niedrigschwellige Angebote im Jugendbereich, die
keine große Hemmschwelle darstellen und sich an den Bedürfnissen und Interessen der
Jugendlichen orientieren müssen (siehe auch Bericht Streetwork).
3.2.1. Die Rolle der Schule als Bildungsinstanz
Viele interviewte Personen betonten die wichtige Rolle von Schule als zentraler
Bildungsinstanz, die zu einer gelingenden Integration beitragen kann, denn durch die
bestehende Schulpflicht werden erst einmal viele Schülerinnen und Schüler mit und ohne
Migrationshintergrund erreicht. Einerseits werden von den Fachkräften die sich bietenden
Möglichkeiten (wie Förderunterricht oder Schulprojekte) gesehen, andererseits weiß man
29
allerdings von der schwierigen Situation, dass Schülerinnen und Schüler mit
Migrationshintergrund oft als Belastung für das Schulklima und den Unterricht gelten.
Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch die Ergebnisse der PISA-Studie, durch die
Versäumnisse deutscher Bildungspolitik und Schulen deutlich geworden sind. So werden
soziale Benachteiligungen der Migranten kaum ausgeglichen oder abgemildert. Auch die
Möglichkeiten und Zugangschancen von Migranten, um an entsprechenden Schulen höhere
Abschlüsse zu erreichen, müssen als schlecht bewertet werden. Die Chancen für ein
erfolgreiches Zusammenspiel zwischen Schulkultur und Integration, das als Pool kultureller
Ressourcen und als Bereicherung für Schulen bewertet wird, werden oft nicht gesehen.
Diese Aussage bestätigen auch die Fachkräfte in den Interviews.
Als positives und gelungenes Beispiel, wie das Thema Integration im schulischen Bereich
angegangen werden kann, wurde von vielen Interviewten die Erweitere Realschule
Stadtmitte in Neunkirchen genannt. Sie liegt in einem Stadtteil, der als sozialer Brennpunkt
beschrieben wird und in dem Menschen vieler Nationen leben. Der Anteil von Schülerinnen
und Schülern mit Migrationshintergrund liegt bei über 50%.
Die umgesetzten Maßnahmen gehen zum großen Teil auf das Engagement des Schulleiters
zurück, der seit Anfang der 90er Jahre dort arbeitet. Im Laufe der Zeit wurden zahlreiche,
unterschiedliche Projekte durchgeführt. Diese sind oft langfristig angelegt und zielten von
vornherein auf die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen.
So existiert ein „Trialog der Kulturen“, zu dem Kontakt mit unterschiedlichen religiösen
Gemeinden gesucht und die Schüler in christliche, jüdische und islamische Gotteshäuser
eingeladen werden. Ebenso werden interkulturelle Feste im Rahmen eines Karnevals der
Kulturen organisiert, bei denen es darum geht, die unterschiedlichen kulturellen und
religiösen Regeln und Gebräuche darzustellen und kennenzulernen.
Das Thema Integration gilt als wichtiges Unterrichtsthema, das in unterschiedlichen Fächern
thematisiert und bearbeitet wird, so z.B. im Religions- oder Erdkundeunterricht. Der
Schulleiter war Mitgründer des Vereins „ProKids“, dessen Aktivitäten zunächst auf die
Kriminalitätsprävention abzielten und zu einem späteren Zeitpunkt auf das allgemeine
Sozialverhalten ausgeweitet wurden. So gibt es für die Schüler klare und nachvollziehbare
Regeln und Sanktionen, die sich gegen Diskriminierungen im Schulalltag richten. Von der
30
erweiterten Realschule Stadt-Mitte ausgehend ist die Vereinsarbeit von ProKids dann auf
weitere Schulen ausgedehnt worden.
Einen wichtigen Stellenwert bei den beschriebenen Aktivitäten der Verantwortlichen in der
Schule nimmt die relativ schlechte sozial-ökonomische Situation der Schülerinnen und
Schüler ein. So werden auch gesundheitliche Untersuchungen und
Informationsveranstaltungen zu den Themen Karies und Zahnpflege, Übergewichtigkeit oder
Körperhygiene durchgeführt.
Allerdings bestehen auch weiterhin finanzielle Engpässe, denn bei der Bereitstellung des
Schulessens ist die Ganztagsschule weiterhin auf Spenden angewiesen.
Herauszuheben ist auch die Bachschule, die als Grundschule in einem sozialen Brennpunkt
den Saarländischen Schulpreis 2010/11 für ihre herausragende pädagogische Arbeit gewann.
Durch eine Vielzahl von Projekten werden alle Kinder innerhalb und außerhalb der Schule in
ihren Fähigkeiten gefördert und durch engagierte Lehrer begleitet.
3.3. Handlungsbedarf und mögliche zukünftige Projekte
Ein Ergebnis der Interviewauswertung ist, dass Maßnahmen im Lokalen Aktionsplan
Neunkirchen immer auch mit Fachkräften vor Ort besprochen werden sollten, die im Bereich
Migration und Integration tätig sind, um sich über spezifische Problemlagen, Angebote und
Erfordernisse auszutauschen.
Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass viele Fachkräfte selbst durch ihre Arbeit
ausgelastet sind und daher die Schwierigkeit besteht, personell die möglichen Maßnahmen
oder Projekte durchzuführen oder zu begleiten. Die beruflichen Rahmenbedingungen, die
Arbeitsbelastung und der zeitliche Umfang der Projekte müssen insofern bei ihrer Mitarbeit
berücksichtigt werden.
Hervorgehoben wurde, dass ein gutes Projekt am stärksten davon abhängig ist, dass es
jugendgerecht konzipiert, angeboten und umgesetzt wird. Aus diesem Grunde wurde auch
kritisch angemerkt, dass die beschriebene Ausrichtung den Dialog mit den Jugendlichen vor
31
Ort notwendig macht. Ihre Interessen, Bedürfnisse, aber auch ihre Vorstellungen von der
Projektarbeit müssen bei der Einbindung der Jugendlichen verstärkt berücksichtigt werden.
Daher wurde auch betont, dass alle beschriebenen Maßnahmen nicht nach dem
Gießkannenprinzip angeboten werden sollten, sondern dass sie spezifisch, von Kontext und
Zielgruppe abhängig von kompetenten Fachkräften in Zusammenarbeit mit den Jugendlichen
angeboten werden sollten.
Zielgruppe sind nicht allerdings nicht nur Jugendliche, sondern ebenso Fachkräfte, die im
Jugendbereich arbeiten. So wurde Veranstaltungen über Themen wie interkulturelle
Kompetenz oder Kenntnisse über andere Kulturen vorgeschlagen.
Im Rahmen der Arbeit mit Jugendlichen als Hauptzielgruppe wurde auch oft darauf
hingewiesen, dass die konzeptionelle Arbeit bereits vor der Pubertät ansetzen sollte. Hierbei
wurde darauf verweisen, dass bereits im Vorfeld, im Bereich der Prävention Maßnahmen
durchgeführt werden sollten, aber auch betont, dass sich Probleme und Konflikte bereits
schon früh äußern können.
Ebenso wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass die Einbindung der Eltern in die Projekte
und Maßnahmen verstärkt werden muss (siehe Problemlagen).
Als die zentrale Bedingung für eine gelingende Integration wurde sowohl in den Interviews
wie auch bei den Fragebögen die Sprachförderung herausgestellt. Hierbei ist auch deutlich
gemacht worden, dass diese bereits früh ansetzen sollte (z.B. in Kindertagesstätten) und
zudem begleitend in der Schule wie auch im Nachmittagsbereich für Erwachsene angeboten
werden muss. Hierbei ist die oft eingeschränkte Mobilität zu berücksichtigen, da Familien
kein PKW zur Verfügung steht. Dem Spracherwerb von Kindern und Jugendlichen mit
Migrationshintergrund kommt insofern eine elementare Bedeutung zu, da er den Schlüssel
zur Erschließung aller weiteren Wissensbestände darstellt und durch ihn erst eine
ausgeprägte Teilhabe an gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen möglich wird. Das
Sprachvermögen, die Fähigkeit zu kommunizieren, ist wie keine andere Kompetenz
untrennbar mit der Entwicklung der Persönlichkeit verbunden. Notwendig ist ein
32
differenziertes Angebot, denn die Muttersprache ist zwar nicht zwingend erforderlich für
den Erwerb der Verkehrssprache, aber Mehrsprachigkeit ist sowohl eine wichtige Ressource
als auch Ausdruck der eigenen Herkunft und der kulturellen Identität.
In den Interviews wie auch in den Fragebögen wurde die wichtige Rolle einer offenen
dialogbereiten Stimmung und Kultur in den sozialen Einrichtungen herausgestellt. Ob in
Vereinen, Cafés, Treffs, in Ämtern oder Kursen gilt es, diese Stimmung zu fördern und
Vorurteile abzubauen. Zu diesem Zweck wird es auch als wichtig erachtet, das Wissen und
Kennenlernen über unterschiedliche Methoden zu erweitern.
Um den Interessen der Jugendlichen, aber auch ihren Problemen gerecht zu werden, wird
ein breit gefächertes Angebot an möglichen Projekten genannt:
So wird positiv darüber berichtet, wie Sportvereine vereinzelt ihren Aktivitätskreis ausweiten
und z.B. zugleich eine Hausaufgabenbetreuung anbieten. In diesem Bereich besteht die
Chance, Jugendliche über ihre besonderen Vorlieben und Interessen zu erreichen, allerdings
müssen auch kompetente Ansprechpartner und Fachkräfte die Sportvereine im Bereich der
Integration unterstützen.
Als weiterer Projektbereich wird die Förderung sozialer Kompetenzen genannt. Kurse oder
alltagsnahe Übungen zum Thema Toleranz oder Anti-Aggressivitätstrainings werden
aufgelistet. Ebenso werden erlebnisorientierte Ansätze genannt, durch die auf das
Gruppenverhalten und die eigene Rolle reflektiert werden kann.
Auch Bildungsreisen werden als Vorschläge genannt: so bieten Fahrten nach Dachau,
Natzweiler-Struthof, zum jüdischen Mahnmal für den Holocaust oder zur Berliner Mauer
generell die Möglichkeit, Jugendlichen – ob nun mit oder ohne Migrationshintergrund deutsche Geschichte erfahrbar zu machen. Auf diese Weise wird es möglich, sich mit
Vorstellungen über Demokratie und Ansprüchen, in was für einer Gesellschaft man leben
will, auseinanderzusetzen. Allerdings ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass
die Bearbeitung der deutschen Geschichte und gerade der Nazi-Vergangenheit mit
jugendlichen Migrantinnen und Migranten kein leichtes Unterfangen ist und Erfahrungen in
diesem Bereich voraussetzt.
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Nach Meinung der Befragten sollten Schulen als wichtige Bildungsinstanzen stärker
eingebunden werden. So leisten die ERS Stadt-Mitte wie auch die Bachschule in Neunkirchen
beispielhafte Arbeit, denn es erfolgen langfristige, abgestimmte Projekte auf
unterschiedlichen Ebenen (Leitung, Kollegium, Klasse, Unterricht), ebenso erfolgt eine
Zusammenarbeit mit externen Einrichtungen.
Über die Schoolworker im Landkreis können auftauchende Konflikte behandelt werden und
Kontakte zu Einrichtungen hergestellt werden, die Präventionsmaßnahmen durchführen.
keine Angst vor der Öffentlichkeit, Selbstbild der Schule und Integration
Zuwanderung und Migration als Aspekte bundesdeutscher Normalität zu begreifen bedarf
zudem der breiten Öffentlichkeitsarbeit. Alle Aktivitäten, Projekte sollten daher
öffentlichkeitswirksam präsentiert werden.
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4. Zusammenfassung Streetwork-Berichte (2008-2011)
Streetwork im Landkreis Neunkirchen beruht auf 2 Säulen mit unterschiedlichen
Arbeitsschwerpunkten: Zum einen auf der aufsuchenden Gruppen- bzw. Cliquenarbeit, zum
anderen auf der Mobilen Jugendarbeit in Zusammenarbeit mit den Jugendbüros der
Gemeinden und einigen freien Trägern.
Die Personalsituation ist zum Zeitpunkt der Auswertung sehr schwierig. Ins Leben gerufen
wurde die Streetwork-Arbeit für den Landkreis Neunkirchen 2008, von den 2
Mitarbeiterinnen ist eine im Juli 2011 ausgeschieden, eine beginnt im August 2011 ihren
Mutterschaftsurlaub.
Überblick über erreichte Jugendliche und ihre Problembereiche
Im ersten Jahr Mobiler Jugendarbeit in Neunkirchen im Jahr 2008 konnten insgesamt ca. 400
Kontakte zu Jugendlichen geknüpft werden. Diese Kontakte kamen zustande
- durch das Aufsuchen der Jugendlichen an ihren Treff- und Szeneorten
- durch die Mitarbeit und Kooperation einzelner Jugendtreffs
- in einigen Fällen über die angebotenen Internetforen (Wer kennt wen?; Gesichterparty)
Im Altersbereich von 14-16 Jahren wurden mit 40% weitaus die meisten Jugendlichen
angesprochen, wobei hier die Geschlechterverhältnisse durchaus ausgeglichen sind.
Allerdings zeigt sich, dass im Alter von 12 bis 14 fast doppelt so viele Mädchen wie Jungen
erreicht wurden. Im Alter zwischen 16 bis 18 Jahren kippt dann dieses Verhältnis und die
Jungen sind mit knapp 20% stärker vertreten als die Mädchen. Mädchen halten sich danach
also früher in öffentlichen Räumen auf. Die jüngeren Mädchen treten in heterogenen,
gemischtgeschlechtlichen Cliquen mit älteren Jungen auf.
Mit 45% wurden die Familie sowie Beziehungen als Hauptproblembereiche der Jugendlichen
in dem Bericht von 2008 genannt. Problembelastete, defizitäre Familienverhältnisse,
fehlender Rückhalt sowie Beziehungsabbrüche gelten als Hauptgründe, warum Jugendliche
öffentliche Räume aufsuchen, denn auf diese Weise wird versucht, der Situation zu Hause zu
entfliehen.
Eine wichtige Rolle bei den Jugendgruppen und –cliquen spielt der Alkoholkonsum (23%),
der zum Teil sehr bedenkliche Ausmaße annimmt. Beim Trinkverhalten ist zu unterscheiden,
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ob die Jugendlichen hauptsächlich am Wochenende in der Gruppe oder täglich Alkohol in
erheblichen Mengen verzehren.
Dicht gefolgt mit 20% kommen Jugendliche mit Problemen im Schul- und Ausbildungsbereich
zu den Streetworkern, wobei hier zwei Gruppen unterschieden werden müssen. Zum einen
haben Jugendliche, die ihre Schule erfolgreich beendeten und nun eine Ausbildungsstelle
suchen, Fragen bezüglich Bewerbungen oder Vorstellungsgesprächen. Zum anderen ist eine
berufliche Perspektive bei den Jugendlichen mit erheblichen Problemen verbunden, die
einen niedrigen oder keinen Bildungsabschluss haben, da sie die Schule abgebrochen haben.
Situationsbeschreibung und Ergebnisse 2011
A) aufsuchende Gruppen- bzw. Cliquenarbeit
Bestätigt wurde die bereits geschilderte Cliquenbildungen in der Stadt Neunkirchen.
Besonders das Saarpark-Center und die unmittelbare Umgebung werden als
Haupttreffpunkte für Jugendgruppen und –cliquen beschrieben. Bei der Zusammensetzung
dieser Cliquen geht man davon aus, dass hauptsächlich nicht Ortsansässige einen Besuch des
Saarpark-Centers nutzen, um sich zu verabreden. Ansonsten gab es in der Stadt eher
sporadische Treffen von einzelnen Cliquen (z.B. Hüttenpark, am Oberen Markt, an der
Bachschule). Weitere Informationen über die Jugendgruppen (Art des Auftretens und
sozialer Umgang, Nationalitäten und Migrationshintergrund) werden leider nicht gemacht.
Ebenso besuchen Jugendliche für sie vorgesehene Jugendeinrichtungen wie das
Jugendzentrum und Jugendcafé oder Gastronomieangebote, die sich an Jugendliche richten.
Bei Streetwork stehen die Lebenswelten der Jugendlichen aufsuchende Sozialarbeit,
Kontaktaufnahme und –pflege (auch über Internetforen), niedrigschwellige Beratung,
konkrete Einzelfallhilfe sowie im Erhalt und der Pflege von Netzwerkkontakten im Bereich
sozialer Hilfssysteme im Vordergrund. Durch die Teilnahme der Streetworker an
Arbeitskreisen und Kooperationsforen besteht Kontakt zu einem breiten Kreis von
Vertretern im Bereich der Jugendarbeit.
B) Mobile Jugendarbeit
In Zusammenarbeit mit den Jugendbüros und einigen freien Trägern werden Projekte,
Veranstaltungen, Freizeitmöglichkeiten für Jugendliche angeboten. Um diese Aktivitäten
direkt auf die Jugendlichen auszurichten, werden vorab Informationen über jugendbezogene
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Interessen gesammelt und ausgewertet, sowie Konzepte entwickelt und später Projekte mit
anderen Trägern organisiert und durchgeführt. Neben der Öffentlichkeitsarbeit besteht
durch diese Arbeit zudem die Möglichkeit, Jugendliche anzusprechen und kennenzulernen,
zu denen man sonst keinen Zugang erhält, da sie sich nicht in bekannten öffentlichen
Räumen aufhalten.
Ebenso besteht ein regelmäßiger Austausch mit der Polizei, dem Ordnungsamt sowie dem
städtischen Jugendpfleger, so dass auch durch diese Perspektive Informationen und
Bewertungen vorgenommen werden können.
Projekte im Rahmen der Mobile Jugendarbeit
Die Mobile Jugendarbeit wird als wichtiger und lohnender Baustein in Verbindung mit
Streetwork bewertet. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass diese Arbeit recht
zeitintensiv, nur im Rahmen des finanziellen Budgets möglich ist und zudem
Wochenendarbeit verlangt. Es handelt sich mehrheitlich um offene, auf Freiwilligkeit und
Aktivität beruhenden Alternativen zur üblichen, selbstgewählten Freizeitgestaltung von
Jugendlichen. Im Rahmen der Mobilen Jugendarbeit wurde eine Veranstaltungsreihe von
insgesamt 7 Streetwork Soccer-Cups geplant.
Für das Jahr 2010 wurden folgende Projekte im Rahmen der Mobilen Jugendarbeit
aufgeführt:
•
Mission for you – Arbeit mit Straffälligen
•
Schwimmbadprojekte – 2009 beim Fußball haben 200 Leute daran teilgenommen,
2010 bei Volleyball 170
•
Mitternachtsturniere – erfolgreicher in den Gemeinden (Illingen, Schiffweiler) als in
Nk oder Stadtnähe
•
Ladies Nights (Kooperation mit Jugendcafé)
•
Fußballturniere (Hallensoccer und Streetworker Soccer Cup draußen)
•
Human Table Soccer – offenes Angebot in NK im Rahmen eines Viertelfestes
•
Besuch eines Spiels des 1. FC Kaiserslautern 2010 (gesponsert von selbigem) und
eines Länderspiels im Stadion des 1. FCK 2011 – jeweils mit 20-30 Jugendlichen
•
Band Contest 2009 und 2010 (siehe Presseartikel SZ)
•
HipHop Jam im Stahlwerk (mehrfach)
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•
School’s out Party in Ottweiler
•
Nikolausaktion bzw. 2010 Weihnachtsaktion
•
Teilnahme an der Interkulturellen Woche in NK (Kooperation mit der
Integrationsbeauftragten der Stadt NK und dem KOMM)
•
Erwerbslosenfrühstück 2010
•
Fotoprojekt – ist noch in Planung
Die aufgelisteten Projekte sind auch Ergebnis der bestehenden Netzwerkarbeit. Insgesamt
werden für den Streetwork-Bereich im Rahmen dieser Zusammenarbeit insgesamt 13
Einrichtungen aufgeführt (z.B. Jugendpfleger, Jugendzentren, Sozialraumteams, ARGE,
Kontaktpolizei, freie Träger der Jugendhilfe). Ebenso gab es eine abgeschlossene Fortbildung
zum Antiaggressivitäts- und Coolnesstrainer® für die Streetworker.
Umfrage 2010
Ab Herbst 2010 wurde eine Umfrage für Jugendliche durchgeführt; daran teil nahmen
Jugendliche aus der Kreisstadt Neunkirchen und den Gemeinen Illingen, Ottweiler,
Eppelborn und Spiesen-Elversberg. Es ging um folgende Fragen (in Klammern die am
häufigsten genannten Antworten):
A. Was machst du gerne in deiner Freizeit? (1. In der Stadt rumhängen, Chillen, 2.
Freunde treffen, 3. Party, Weggehen)
B. Welche Ansprüche stellst du an deine Umgebung? Was ist gut, was schlecht? (1.
Weniger Müll, 2. mehr attraktive Angebote für Jugendliche im öffentlichen Raum, 3.
ein Juz in Elversberg)
C. Was gefällt euch an eurer jetzigen Situation? (1. Keine Antwort, 2. Freundeskreis,
3.Ausbildung)
D: Was wünschst du dir für die Zukunft? (1. Ausbildungsplatz, 2. Familiengründung)
Frage A galt als Einstiegs- und Aufwärmfrage und bestätigt den hohen Stellenwert des
eigenen Freundeskreises für die Jugendlichen. Bei Frage B ist schon interessant, dass
„weniger Müll“ die häufigsten Nennungen bekommt, da die Jugendlichen diesen Müll oft
selbst verursachen. Es zeigt auch, dass die Freizeitmöglichkeiten allgemein im öffentlichen
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Raum als begrenzt angesehen werden und konkret in Elversberg ein Jugendzentrum
gewünscht wird. Bei Frage C taten sich die Jugendlichen am schwersten, denn „keine
Antwort“ wurde am häufigsten genannt. Nach dem Bericht wurde oft die Frage mit einem
Achselzucken beantwortet und von den Auswerterinnen mit der Begründung versehen, dass
die Formulierung einer positiven, zustimmenden Antwort (nicht nur Jugendlichen) oft
schwer fällt. Bei der Auswertung der Frage D kontrastierten die Streetworkerinnen das
Ergebnis mit dem so häufig zitierten und vermuteten Werteverlust bei Jugendlichen, denn
die Antworten entsprechen doch sehr stark den „klassischen“ Werten.
Ausblick
Im letzten Bericht für die Jahre 2010/2011 wird als Ausblick darauf hingewiesen, dass in
naher Zukunft ein Bus zur Verfügung gestellt werden wird, der neue Möglichkeiten der
Gestaltung der Arbeit eröffnet. Als großer Vorteil und Pluspunkt wird die Präsenz auf der
Straße in Zusammenhang mit Materialien zur Freizeitgestaltung und der Möglichkeit, sich
vor Ort im Internet zu bestimmten Themen kundig zu machen, beschrieben. Der Kontakt zu
den Jugendlichen wird somit flexibler, man kann schneller Auskunft geben und Qualität und
Ausmaß der anschließenden Beschäftigungsmöglichkeiten kann gesteigert werden.
Als Ausblick für das Jahr 2012 wird auf „Streetwork mit Hund“ eingegangen und auf die
guten Erfahrungen mit dem einzigen Streetworker-Team im Saarland, welches erfolgreich
mit Bus und Hund im Raum Völklingen unterwegs ist. Die Kontaktherstellung, das Finden
eines Gesprächsthemas und die Möglichkeit zum Einstieg in ein längeres Gespräch
hinsichtlich problematischer Alltagsthemen der Jugendlichen/jungen Erwachsenen werden
als bedeutende Vorteile für die Sozialarbeit genannt.
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5. Zusammenfassung Ideen und Ansätze
Im Folgenden wird zum Abschluss eine überblicksartige Zusammenfassung von Ideen und
von Ansätzen möglicher Aktivitäten im Lokalen Aktionsplan Neunkirchen präsentiert. In den
Interviews und Fragebögen wurden unterschiedliche Ebenen thematisiert. Hierbei handelt es
sich um die Ebenen
Hauptzielgruppe Jugendliche
Fachkräfte
Institutionen (Ämter, Träger, Akteure, Zusammenschlüsse, Kooperationen)
Hauptzielgruppe Jugendliche
Generelle Vorschläge:
• Breites, jugendgerechtes Angebot (Förderung sozialer Kompetenzen,
erlebnispädagogische Maßnahmen, Workshops, Bildungsreisen)
• Niedrigschwellige Angebote, die sich an den Interessen der Jugendlichen orientieren
• Verstärkt geschlechterspezifische Arbeit (Geschlechterrollen und –verhältnisse)
• Verstärkte Einbeziehung der Eltern
• Ausweitung der Angebote bis in den Grundschulbereich (früh ansetzende Prävention)
• Schulen als zentrale Bildungseinrichtungen sind verstärkt einzubeziehen
Bereich Rechtsextremismus:
• Projekte müssen auch das Ziel verfolgen, das Selbstwertgefühl zu stärken
• Neben der Wissensvermittlung bedarf es der Stärkung der Handlungssicherheit
Bereich Migration/Integration:
Sprachförderung
Schaffung eines positiven Klimas (in Verbänden, Vereinen, Jugendcafés, Treffs)
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Zielgruppe Fachkräfte
Generell:
Bei den Fachkräften ist die jeweilige Arbeitsbelastung im Rahmen der Projektplanung
zu berücksichtigen
Bereich Rechtsextremismus:
• Veranstaltungen zu aktuellen Entwicklungen in der rechten Szene
• Auch hier bedarf es neben der Wissensvermittlung der Stärkung der
Handlungssicherheit
Bereich Migration und Integration:
• Bildungsangebote zur interkulturellen Kompetenz
• Wissensvermittlung, Kenntnisse über andere Kulturkreise
Institutionelle Ebene
• Sinnvolle Nutzung bereits bestehender Strukturen und Netzwerke
• Anknüpfung an laufende oder bereits abgeschlossene Projekte und Konzepte,
Nutzung von Erfahrungen
• Es ist jeweils zu klären, was unter Vernetzung verstanden wird, um die Art der
Kooperationen zwischen den Einrichtungen zu klären.
Die Öffentlichkeit muss sensibilisiert und aktiviert werden.
Die Politik ist gefordert, offen mit den Themenstellungen umzugehen.
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6. Literaturverzeichnis
Decker, Oliver et al.: Die Mitte in der Krise. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland
2010, Friedrich-Ebert-Stiftung 2010
Diversity Works: Zum Trainingskonzept von Jane Elliott, http://www.diversityworks.de/workshops/blue_eyed_workshop/blue_eyed_das_konzept [Download 20.10.2011]
Farin, Klaus: Unter Kameraden,
http://www.ratzeburg.de/media/custom/1281_4776_1.PDF?1291366820 [Download,
06.10.2011]
Kreisstadt Neunkirchen: Miteinander – Tag für Tag, Integrationskonzept für die Stadt
Neunkirchen. Leitlinien, Handlungskonzept und Projektkatalog,
http://www.neunkirchen.de/fileadmin/user_upload/neunkirchen/50_DateienHochladen/50_Integration/50_Integration_PDF-Flyer-Hochladen/Integrationskonzept.pdf
[Download 05.10.2011]
Landesamt für Verfassungsschutz: Beobachtungsbereich Rechtsextremismus 2010,
http://www.saarland.de/4483.htm [Download 05.10.2011]
Leibold, Jürgen; Kühnel, Steffen: Einigkeit in der Schuldabwehr. Die Entwicklung
antisemitischer Einstellungen in Deutschland nach 1989, in: Heitmeyer, Wilhelm (Hrsg.):
Deutsche Zustände 7, Frankfurt am Main 2009, S. 131-130
Netzwerk der Integration in Neunkirchen: Migrations- und Integrationskonzept für den
Landkreis Neunkirchen, http://www.jmd.dwsaar.de/Linkseite/integrationskonzept.pdf
[Download 08.10.2011]
Pfahl-Traughber: Antisemitische und nicht-antisemitische Israel-Kritik. Eine
Auseinandersetzung mit den Kriterien zur Unterscheidung,
http://www.gkpn.de/Pfahl_Antisemitismus.pdf [Download, 05.10.2011]
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Saarbrücker Zeitung (16.08.2009): Bürgermeister Rödle stellt Strafanzeige wegen NPDPlakat, http://www.pfaelzischer-merkur.de/sz-berichte/neunkirchen/NeunkirchenOttweiler-Plakate-NPD-Buerger-Hans-Heinrich-Roedle;art2803,3001239 [Download,
14.10.2011]
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