Sebastian Hartmann, MdB - SPD Rhein-Sieg

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Sebastian Hartmann, MdB - SPD Rhein-Sieg
Eingereicht von
Sebastian Hartmann als Wahlberechtigter und Vorsitzender der SPD Rhein-Sieg
Achim Tüttenberg als Wahlberechtiger
An den Wahlleiter des Rhein-Sieg-Kreises
Kaiser-Wilhelm-Platz 1
53721 Siegburg
02. Juli 2014
Sehr geehrte Damen und Herren,
Hiermit lege ich
Einspruch
gegen die
Stichwahl des Landrates am 15. Juni 2014 und die
Kreistagswahl am 25. Mai 2014
ein und beantrage,
die o.g. Wahlen in vollem Umfang für ungültig zu erklären und eine
Wiederholungswahl anzuordnen.
I
Dem Einspruch liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
Landrat Fritjof Kühn wurde zum 01.02.2010 in den Aufsichtsrat der RWE AG gewählt.
Davor war er im Aufsichtsrat der RWE Rheinland-Westfalen Netz AG und der RWE
Energy AG tätig. Beide Unternehmen sind Tochtergesellschaften der RWE AG. Für
diese Tätigkeiten erhielt er Vergütungen.
Nach dem Erlass des Innenministeriums NRW vom 25.02.2005 (A. 41-41.01.18-33932/05) handelt es sich bei der Tätigkeit im Aufsichtsrat der RWE um eine einer
Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst gleichgestellte Tätigkeit. Hieraus ergibt sich die
Pflicht, die Vergütung an den Dienstherrn abzuführen. Demgegenüber verwies der
Landrat seinerzeit auf ein Gutachten der Rechtsanwaltssozietät Linklaters,
Oppenhoff & Räder vom August 2006, in welchem die Rechtmäßigkeit der ErlassRegelung in Frage gestellt wurde.
Ausführlicher zum Sachverhalt vgl. das Schreiben des Landrates an die
Kommunalaufsicht der Bezirksregierung Köln vom 16.06.2014
Unter Bezugnahme auf den o.g. Erlass des Innenministeriums NRW führte Landrat
Kühn seine Bezüge unter Abzug eigener Aufwendungen „vorbehaltlich der weiteren
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rechtlichen Klärung“ an den Rhein-Sieg-Kreis ab. Bis zum Jahr 2014 beliefen sich die
lediglich unter Rechtsvorbehalt abgeführten Beträge auf rund € 600 000.
Die SPD-Kreistagsfraktion thematisierte diesen Rechtsvorbehalt des Landrats
regelmäßig. Sie forderte eine rechtliche Klärung und vertrat dabei die Auffassung,
dass die Vergütungen abzuführen seien.
Zuletzt geschah dies im Finanzausschuss im Juni 2013 sowie in einem Schreiben
des Fraktionsvorsitzenden Sebastian Hartmann, MdB vom 12.05.2014.
Auszug aus dem Protokoll der 11. Sitzung des Finanzausschusses des RheinSieg-Kreises am 19.06.2013
Schreiben des Vorsitzenden der SPD Kreistagsfraktion, Sebastian Hartmann,
MdB, vom 12.05.2014
Mit Schreiben vom 15.05.2014 beantwortete Kreisdirektorin Annerose Heinze das
Schreiben des SPD-Fraktionsvorsitzenden und führte darin aus, dass eine rechtliche
Klärung in der Vergangenheit nicht möglich gewesen sei, da der o.g. Erlass des
Innenministeriums an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
anzupassen sei.
Schreiben der Kreisdirektorin Heinze vom 15.05.2014
Am 25. Mai 2014 fand die Kreistagswahl und am 15. Juni die Stichwahl des
Landrates statt. Wahlleiter war Landrat Fritjof Kühn.
Am 16.06.2014 – einen Tag nach der Stichwahl um das Amt des Landrates – leitete
Kreisdirektorin Heinze der Kommunalaufsicht der Bezirksregierung eine rechtliche
Stellungnahme an die Bezirksregierung Köln zu. Hierin vertrat sie die Auffassung,
dass entgegen dem o.g. Erlass keine Abführungspflicht bestehe.
Aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.03.2011 (Az.: 2 C 12/09)
ergebe sich, dass die Tätigkeit im Aufsichtsrat eines privaten Unternehmens
entgegen der Regelung im Erlass nicht einer Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst
gleichgestellt werden könne. Ebenso könne diese Tätigkeit nicht dem Hauptamt
zugeordnet werden. Folglich gebe es keine gesetzliche Grundlage für eine
Abführungspflicht. Eine Abführungspflicht sei überdies auch mit aktienrechtlichen
Regelungen nicht vereinbar.
Es sei beabsichtigt, dem Landrat die abgeführten Beträge zurück zu zahlen. Dies sei
im öffentlichen Interesse geboten, um weitere Folgekosten, die durch
Geltendmachung eines Anspruchs auf Verzinsung der ohne Rechtsgrund
abgeführten Beträge entstehen könnten, zu vermeiden.
vgl. wie vor
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II
Der Einspruch ist begründet. Die Kreistagswahl am 25. Mai 2014 und die Stichwahl
des Landrates am 15. Juni 2014 sind in vollem Umfang für ungültig zu erklären und
es ist eine Wiederholungswahl anzuordnen.
Gemäß § 40 Abs. 1 lit b Kommunalwahlgesetz NRW (KWahlG) ist eine
Wiederholungswahl anzuordnen, wenn festgestellt wird, dass bei der Vorbereitung
der Wahl oder bei der Wahlhandlung Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind, die im
jeweils vorliegenden Einzelfall auf das Wahlergebnis im Wahlbezirk oder auf die
Zuteilung der Sitze aus der Reserveliste von entscheidendem Einfluss gewesen sein
können.
Gemäß § 46 b KWahlG ist diese Vorschrift auch auf die Wahl des Landrates
entsprechend anzuwenden.
1.) Eine Unregelmäßigkeit (Wahlfehler) liegt vor.
Der Begriff der Unregelmäßigkeit ist im Interesse des Zwecks des
Wahlprüfungsverfahrens weit zu verstehen. Er umfasst alle Umstände, die dem
Schutzzweck der wahlrechtlichen Bestimmungen und Grundsätze zuwiderlaufen.
OVG NRW, Urteil vom 15.11.2011 – 15 A 876/11, Rn 66 m.w.N.
Ein relevanter Wahlfehler ist auch dann anzunehmen, wenn gegen nicht im engeren
Sinne wahlbezogene, d.h. das Wahlverfahren betreffende Vorschriften verstoßen
wird, sofern dieser Verstoß in einem engen räumlichen und zeitlichen
Zusammenhang steht und einen sachlichen Bezug zur Wahl aufweist.
vgl. Beckmann/Wittmann, Das Recht auf Wahrheit bei der Kommunalwahl,
NWVBl. 81, 82; Oebbecke, Amtliche Äußerungen im Bürgermeisterwahlkampf,
NVwZ 2007, 30, 32
Ein Wahlfehler kann nach nordrhein-westfälischem Kommunalrecht auch im
Vorenthalten von Informationen liegen.
a.a.O., Rz. 68; zu einer vergleichbaren Vorschrift in Hessen siehe auch
BVerwG, Urteil vom 8. April 2003 8 C 14/02, NVwZ 2003, 983
Der Grundsatz der Freiheit der Wahl, wie er in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz für
die Kommunalwahlen verbindlich normiert ist, setzt auch voraus, dass sich der
Wähler über das Verhalten der Protagonisten der zur Wahl stehenden Parteien frei
von Manipulation informieren kann. Er schützt deshalb den Wähler vor
Beeinflussungen, die geeignet sind, seine Entscheidungsfreiheit trotz des
bestehenden Wahlgeheimnisses ernstlich zu beeinträchtigen. Zu diesen
Beinflussungen gehören auch Des- oder Fehlinformationen.
a.a.O.
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Ein Wahlfehler ist auch dann zu bejahen, wenn ein Wahlleiter pflichtwidrig und unter
Verletzung seiner Neutralitätspflicht Informationen, rechtliche Einschätzungen oder
eigene Absichten aus wahltaktischen Gründen zurückhält oder verschleiert.
2.) Ein solcher Fall liegt hier vor.
a) Die SPD Kreistagsfraktion hat den Landrat zuletzt mit Schreiben vom 12.05.2014
um rechtliche Klärung gebeten, wie der Rechtsvorbehalt des Landrates ausgeräumt
werden soll.
In ihrem Antwortschreiben vom 15.05.2015 begründet Kreisdirektorin Heinze, warum
sie trotz mehrerer Jahre Zeit keine Klarheit habe herstellen können. Sie führt u.a.
aus:
Die bisherigen Bemühungen zu einer endgültigen rechtlichen Klärung scheiterten
deshalb nicht an dem mangelnden Willen der Verwaltung, sondern daran, dass das
Innenministerium die Erlasslage nicht der aktuellen Rechtsprechung angepasst hat.
Da nicht abzusehen ist, wann dies erfolgen wird, soll die Kommunalaufsicht bei der
Bezirksregierung um Prüfung des konkreten Sachverhaltes gebeten werden.
Nach Auskunft der Kreisverwaltung war der Sachverhalt also „in der Schwebe“, da es
noch einer rechtlichen Klärung durch höhere Stellen bedurfte.
Einen Monat später - einen Tag nach der Stichwahl des Landrates - kommt die
Kreisdirektorin zu einer anderen Einschätzung, obwohl sich die Rechts- und
Erlasslage seitdem nicht geändert hat. In ihrem Schreiben an die Bezirksregierung
vom 16. Juni 2014 führt sie u.a. aus:
Nach eingehender rechtlicher Prüfung durch das hiesige Rechtsamt kommt die
Kreisverwaltung zu dem Ergebnis, dass keine Abführungspflicht für Herrn Kühn
besteht und die abgeführten Vergütungen aus der Aufsichtsratstätigkeit deshalb an
ihn zurückzuzahlen sind.
Weiter führt sie aus:
Nach Auffassung der Verwaltung hat Herr Fritjoff Kühn die genannten Beträge ohne
rechtliche Verpflichtung abgeführt, d.h. er hat einen Anspruch auf Rückzahlung. Die
Rückzahlung ist im öffentlichen Interesse geboten, um weitere Folgekosten, die
durch Geltendmachung eines Anspruchs auf Verzinsung der ohne Rechtsgrund
abgeführten Beträge entstehen könnten, zu vermeiden. Ich beabsichtige daher, die
abgeführten Beträge an Herrn Kühn zurückzuzahlen.
Nachdem die Kreisverwaltung über Jahre keine ernsthaften Bemühungen
unternommen hat, um eine rechtliche Klärung herbei zu führen, sieht sie einen Tag
nach der Stichwahl auf einmal eine hohe Dringlichkeit gegeben, die unter
Rechtsvorbehalt abgeführten Mittel an den scheidenden Landrat zurück zu führen.
Auf einmal ist aus ihrer Sicht die Rechtslage zu Gunsten des Landrates so eindeutig,
dass auf einen klarstellenden Erlass des Landesinnenministeriums nicht gewartet
werden darf.
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b) Es ist nicht glaubhaft, dass diese Kehrtwende und der Zeitpunkt der Übersendung
dieses Schreibens an die Bezirksregierung „den Prüf und Verwaltungsabläufen der
Kreisverwaltung“ entspricht, wie der Landrat gegenüber der Presse erklärt hat.
vgl. z.B. CDU: Keine Täuschung der Wähler im Fall Kühn/RWE Rhein-SiegAnzeiger vom 01.07.2014
Vielmehr handelt es sich dabei um eine Schutzbehauptung. Es liegt nahe, dass das
brisante Thema aus dem Kommunalwahlkampf herausgehalten werden sollte. Zu
beachten ist insbesondere, dass der Versand an einem Montag erfolgte. Wenig
glaubhaft ist, dass die Erstellung des Gutachtens erst am Tag des Versandes
endgültig fertig gestellt und hausintern abgestimmt wurde.
Die Vorteile eines Versandes des Schreibens nach der Stichwahl sind aus Sicht der
objektiven Interessenlage des scheidenden Landrates eindeutig.
Vor den Wahlen konnte er bei den Bürgerinnen und Bürgern den Eindruck erwecken,
dass die Frage der Rückzahlung ein „schwebendes Verfahren“ und nicht
abschließend entschieden sei. Eine Empörung schien verfrüht, da der Sachverhalt
und die Rechtslage anscheinend noch ungeklärt waren.
Ebenso konnte der Landrat geschickt offen lassen, ob er in letzter Konsequenz
gewillt sei, auf die Rückforderung zu bestehen und sie durchzusetzen. In ihrem
Schreiben am 15. Mai 2014 führte die Kreisdirektorin Annerose Heinze auf die
Anfrage des SPD-Fraktionsvorsitzenden Sebastian Hartmann, MdB vom 12.05.2014
noch aus:
Der Landrat beabsichtigt nicht, einen Rechtsstreit gegen den Rhein-Sieg-Kreis zu
führen.
In der Presse wurde diese Aussage aufgegriffen. Sie wurde vielfach so gewertet,
dass der Landrat erwäge, einen möglicherweise bestehenden Anspruch doch nicht in
letzter Konsequenz durchzusetzen.
Eine Klage ist jedoch gar nicht nötig, wenn der Rhein-Sieg-Kreis die Vergütungen
freiwillig zurück zahlt. Der Landrat hatte vor dem Hintergrund dieser Zusage auf der
einen Seite ein hohes Interesse daran, dass der Sachverhalt vor der Kommunalwahl
und vor der Stichwahl nicht öffentlich thematisiert wurde, um die Wahlchancen seiner
Parteifreunde nicht zu schmälern.
Auf der anderen Seite hatte er ebenfalls eine hohes Interesse daran, eine
Rückzahlung in seiner Amtszeit zumindest noch einzuleiten, um zu vermeiden, dass
sein Nachfolger Sebastian Schuster politisch unter Druck gesetzt werden könnte,
eine Auszahlung der abgeführten Mittel zu verweigern. In dem letztgenannten Fall
wäre er nämlich gezwungen, entgegen seiner Zusage dennoch zu klagen.
c) Letztlich kann die Motivlage des Landrates offen bleiben, da es lediglich auf die
objektive Wirkung des Verhaltens des Landrats ankommt. Eine bewusste Täuschung
wird für die Annahme eines Wahlfehlers gerade nicht verlangt.
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Mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen Beckmann/Wittmann, Das Recht
auf Wahrheit bei der Kommunalwahl, NWVBl. 81, 84
d) Es kann dahinstehen, ob die Annahme einer Unregelmäßigkeit die Verletzung
einer gesetzlich normierten Informationspflicht voraussetzt oder ob ausreicht, dass
dem Wähler Informationen vorenthalten werden, die für seine Wahlentscheidung
relevant sein können. Eine solche Verletzung einfachgesetzlicher Normen ist
vorliegend nämlich gegeben.
Die auch für das Gemeindehaushaltrecht geltenden Grundsätze der Haushalts bzw.
Bilanzwahrheit fordern, dass Haushaltsrisiken zutreffend bewertet und im
Haushaltsplan abgebildet werden, vgl. § 11 Abs. 1 der
Gemeindehaushaltsverordnung NRW. Hiernach muss – im Rahmen des Möglichen
und Zumutbaren – geprüft werden, ob eine Forderung, die gegen dem Kreis geltend
gemacht wird, auch tatsächlich besteht.
Eine solche Prüfung ist vorliegend trotz mehrmaliger Mahnung der SPDKreistagsfraktion über mehrere Haushaltsjahre hinweg nicht erfolgt.
Aus § 26 Abs 2 Satz 1 der Kreisordnung NRW ergibt sich zudem die Pflicht des
Landrates, den Kreistag über alle wichtigen Angelegenheiten der Kreisverwaltung zu
unterrichten.
Hierzu ist auch der Bestand oder Nichtbestand von Forderungen zu zählen, wenn sie
wie vorliegend von bedeutender Höhe – nämlich knapp unter € 600 000 – sind.
3.) Die festgestellte Unregelmäßigkeit ist auch im Sinne von § 40 Abs. 1 lit b KWahlG
für die Wahl von entscheidendem Einfluss gewesen.
Hierbei kommt es nicht auf die Schwere des Wahlfehlers, sondern allein auf seine
Folgen für das Wahlergebnis an. Es müssen ernst zu nehmende Gründe für die
Annahme vorliegen, dass die Wahl bei ordnungsgemäßem Ablauf möglicherweise zu
einem anderen Ergebnis geführt hätte. Dies ist zu bejahen, wenn nicht nur mit einer
theoretischen, sondern nach der Lebenserfahrung wahrscheinlichen und greifbaren
Beeinflussung gerechnet werden muss.
OVG NRW, Urteil vom 15.11.2011 – 15 A 876/11, Rn 106 m.w.N.
Ausreichend ist dabei die nicht ganz fern liegende und in diesem Sinne „reale“
Möglichkeit, nicht aber eine gesteigerte Wahrscheinlichkeit eines anderen
Wahlergebnisses.
Beckmann/Wittmann, Das Recht auf Wahrheit bei der Kommunalwahl,
NWVBl. 81, 86
4.) Eine solche Erheblichkeit ist nach diesem Maßstab zu bejahen.
a) Schon im Vorfeld der Wahlen war über die bisher unterbliebene Abführung der
Aufsichtsrats Gegenstand von Presseberichterstattung gewesen. Im Gefolge der
Veröffentlichung des Gutachtens der Kreisverwaltung nahm das Thema jedoch
medial deutlich an Fahrt auf. Der Fall schaffte es sogar in die Printausgabe des
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Spiegel vom 23.06.2014, so dass auch Menschen ohne besonderes Interesse für die
Kommunalpolitik und lokale Nachrichten von dem Vorgang Kenntnis erhielten.
Viele Bürgerinnen und Bürger sind empört über den Vorgang. Sie finden es
ungerecht, dass der seinerzeitige Landrat seine Vergütung nicht abführt, obwohl er
bei lebensnaher Betrachtung nur in den RWE-Aufsichtsrat berufen wurde, weil er
Hauptverwaltungsbeamter bei einem der Anteilseigner war.
Zu beachten ist, dass dieses Thema von den Medien verstärkt aufgegriffen wurde,
obwohl der Wahlkampf schon vorbei war. Wäre die Information über das Gutachten
in oder vor der so genannten „heißen Phase“ des Wahlkampfes an die Öffentlichkeit
gelangt, so wäre bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass die Parteien
diesen Sachverhalt mit großem Empörungspotential zu einem zentralen Thema ihrer
Wahlkampagnen gemacht hätten. Sodann wären nach allgemeiner Lebenserfahrung
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Kommunalpolitiker und
Bürger/innen im Rhein-Sieg-Kreis im unmittelbaren Vorfeld des Wahltages in eine
vertiefte und kritische Diskussion über das Verhalten des Landrats Kühn eingetreten.
Das Thema wäre – wie man auch an der verstärkten medialen Aufmerksamkeit
ablesen kann - mit Kenntnis des Gutachtens wesentlich brisanter gewesen als zuvor,
weil sich das Verfahren dann in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit nicht mehr „in
der Schwebe befunden hätte“, sondern vielmehr die feste Absicht des Landrates
offenkundig geworden wäre, sich die unter Vorbehalt überwiesenen Beträge
zurückzahlen zu lassen. Es wäre im Gefolge zu einer intensiven Debatte nicht nur
über die rechtliche, sondern auch über die moralische Bewertung dieses Verhaltens
gekommen.
vgl. OVG NRW, Urteil vom 15.11.2011 – 15 A 876/11, Rn 108
b) Dabei erweist es sich nicht als lebensfremd, dass unter den vorbeschriebenen
Bedingungen CDU-Landratskandidat Sebastian Schuster und die CDU im RheinSieg-Kreis für das aus der Perspektive der übergroßen Mehrheit unmoralische
Verhalten des scheidenden Landrates verantwortlich gemacht worden wären. Eine
derartige Verantwortungszuschreibung ist in einer Parteiendemokratie bei
lebensnaher Betrachtung realistisch. Es ist an der Tagesordnung, dass sich das
Fehlverhalten einzelner Politiker negativ auf das Ansehen von dessen Partei
auswirkt.
vgl. a.a.O., Rn 110
c) Nach alledem liegt ein möglicher Einfluss auf die Kreistagswahl im gesamten
Kreisgebiet auf der Hand. Denn hier können selbst geringfügige Verschiebungen in
den Wahlergebnissen Einfluss auf die Zuteilung der Sitze über die Reservelisten der
Parteien haben. Ebenso ist bei knappen Ergebnissen eine Verschiebung bei den
Direktwahlergebnissen denkbar.
vgl. a.a.O., Rn 111
d) Auch bei der Stichwahl des Landrates ist eine Ergebnisrelevanz zu bejahen. Hier
ist insbesondere zu beachten, dass die Wahlbeteiligung sehr niedrig war und daher
schon eine geringfügige Veränderung der Wahlbeteiligung bzw. der
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Zusammensetzung der Wählerschaft ein anderes Ergebnis hätte mit sich bringen
können. Es dürfte nämlich mit Blick auf den Wahlfehler sehr wahrscheinlich sein,
dass Anhänger der CDU aus Empörung über das Verhalten des scheidenden
Landrates nicht zur Wahl gegangen wären. Ebenso ist nicht nur theoretisch möglich,
dass Nichtwähler sich doch zur Wahl entschlossen hätten, um der CDU wegen des
Verhaltens eines ihrer jahrzehntelang führenden Repräsentanten einen „Denkzettel“
zu verpassen.
vgl. a.a.O. Rn 112
III
Ergänzend wird hinsichtlich der Landratswahl gerügt, dass die Wahlen im Kreisgebiet
nicht einheitlich durchgeführt wurden. Nach meinem Kenntnisstand sind für die
Stichwahl in einigen Kommunen neue Wahlbenachrichtigungskarten versendet
worden und in anderen nicht. Der Versand von Wahlbenachrichtigungskarten kann
bei lebensnaher Betrachtung zu einer unterschiedlichen Mobilisierung der Wähler an
verschiedenen Orten führen. Damit liegt nahe, dass die uneinheitliche Durchführung
der Wahl Einfluss auf das Ergebnis gehabt haben könnte.
Mit freundlichen Grüßen
Unterschrift
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