Wandelkonzert der Kammeroper Schloss Rheinsberg

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Wandelkonzert der Kammeroper Schloss Rheinsberg
Die Rede im Internet:
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Bundespräsident Joachim Gauck
bei einem Wandelkonzert der
Kammeroper Schloss Rheinsberg
am 29. September 2015
in Schloss Bellevue
Ein „Kraftwerk der Gefühle“ – so hat Alexander Kluge die
Kunstform Oper bezeichnet. Wahrscheinlich hat er Recht: Weniges
vermag uns so sehr in den Bann zu schlagen, weniges vermag so
stark, große Gefühle auf der Bühne darzustellen und gleichzeitig große
Gefühle in uns selber zu erwecken wie eben die Oper.
Die Opernhäuser des letzten und vorletzten Jahrhunderts, die
berühmten
Orchester,
die
bedeutenden
Dirigenten,
die
großen
Stimmen weltberühmter Sängerinnen und Sänger, die opulenten
Bühnenbilder – all das gehört dazu, wenn wir an „Oper“ denken.
Natürlich
gehört
dazu
auch
die
Begeisterung
über
manche
Inszenierungen, und auch das Gegenteil, die wütenden Buhrufe
manchmal, oder dann der Glanz, den die Stars und Diven verbreiten.
Übrigens auch die Skandale, die das Publikum dann mit einer gewissen
Lust an der Empörung unter Umständen ja auch genießt.
Große Opernhäuser mit einem ganzjährigen Programm, festem
Ensemble und Orchester können sich in der Regel nur die großen
Städte leisten. Wenn man so etwas nun in kleinen Städten und in
ländlicher Umgebung haben möchte, dann muss man sich schon etwas
ganz Besonderes einfallen lassen. Darum treffen wir uns heute.
Es
ist
doch
eine
wunderbare
Idee
gewesen,
damals,
ein
Opernfestival und einen Wettbewerb ins Leben zu rufen, mitten auf
dem Lande, mitten in Brandenburg, im schönen Rheinsberg, das den
großen Vorteil hat, ein wunderschönes Schloss und einem schönen
Park zu besitzen, so ein Ambiente verlangt ja dann geradezu auch nach
etwas Außergewöhnlichem.
Nur: Man muss die Idee haben! Man muss darauf kommen, und
man musste eben auch irgendwann die Initiative ergreifen, und man
musste auch genug Engagement und Überzeugungskraft besitzen, um
dieses kühne Unternehmen ins Werk zu setzen. Und all das gab es
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eben 1990 in Rheinsberg, all das zeichnete und zeichnet Siegfried
Matthus und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter vom Kunst- und
Kulturverein Rheinsberg aus, die mit ihrem Engagement die Grundlage
für eine Erfolgsgeschichte gelegt haben.
Seit 25 Jahren gibt es diese Festivalveranstaltung „Kammeroper
Schloss Rheinsberg“ also nun und den damit verbundenen Wettbewerb
junger Sängerinnen und Sänger. Das Festival ist damit nicht nur so alt
wie die Deutsche Einheit – es ist auch, wenn Sie so wollen, ein
besonders schönes Kind der Deutschen Einheit. Ohne die Einheit würde
es die Kammeroper Schloss Rheinsberg doch wohl eher nicht geben.
Es passt also sehr gut in diese Zeit, in der wir uns dankbar
erinnern an dieses Vierteljahrhundert Deutsche Einheit, wenn die
Kammeroper Schloss Rheinsberg heute hier im Schloss Bellevue, beim
Staatsoberhaupt, zu Gast ist. Namhafte Dirigenten und Regisseure
haben im Verlauf der letzten 25 Jahre mit den jungen Leuten musiziert
und inszeniert: Ich rufe Ihnen Namen wie Daniel Barenboim oder Kurt
Masur oder Christian Thielemann ins Gedächtnis.
Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um an einen Regisseur zu
erinnern, der auch schon in Rheinsberg gewirkt hat, dem die Opernwelt
in ganz Deutschland sehr viel verdankt. Er hat auch das musikalische
Leben früher in der DDR, aber auch in der Bundesrepublik mit
besonders herausragenden Produktionen bereichert – er hat das getan
an der Komischen Oper in Berlin, und Sie wissen alle, von wem ich
rede. Er, der die Komische Oper damals in den alten Zeiten zu einem
Wallfahrtsort der Opernfreunde gemacht hat: Harry Kupfer. Er ist
immer seinen eigenen Weg gegangen und hat nun vor kurzem sein
achtzigstes Lebensjahr vollendet. Das ist der Grund, warum ich hier
auch heute Abend an ihn erinnern möchte.
Was ein einzelner Kopf mit Intelligenz und Witz, mit Engagement
und Eigensinn auf die Beine zu stellen vermag, das kann man durchaus
am Wirken eines solchen Mannes sehen.
„Quatsch keine Opern!“ – das sagt man wohl nicht nur in Berlin,
wenn jemand allzu lange oder allzu geschwollen redet. „Quatsch keine
Opern“: Mit diesem schnoddrigen Satz begegnet man aber auch
manchmal Menschen, die in unangemessene Länge geraten oder in
eine vorgetäuschte Tiefe.
Darin steckt auch die Erkenntnis, dass Oper und alltägliches
Leben
zwei
ganz
unterschiedliche
Welten
sind,
die
man
nicht
verwechseln sollte und die man auch wahrscheinlich nicht miteinander
vermischen sollte.
Die großen Gefühle und die großen Leidenschaften, die die Oper
wie keine andere Kunstform auszeichnen, sie sind im Alltag ja doch
eher schwer zu realisieren. Vielleicht ist das ja auch gut so. Noch
einmal Alexander Kluge: „In allen Opern, die von Erlösung handeln,
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wird im fünften Akt eine Frau geopfert“. Also dann muss man wohl
sagen, dass Oper und Leben vielleicht dann am glücklichsten und
besten miteinander in Beziehung treten, wenn beide sie selber bleiben.
Allzu Opernhaftes im Alltag kann leicht gefährlich werden – und allzu
Alltägliches in der Oper eben leicht zu Kitsch.
Freuen
wir
uns
darüber,
dass
die
Menschen
etwas
so
Wunderbares, Kunstvolles und Künstliches wie die Oper erfunden
haben. Freuen wir uns auch darüber, dass uns in gesungenen
Liebeserklärungen keine Wiederholung zu viel wird, freuen wir uns
darüber, dass die menschliche Stimme in der Oper ein Höchstmaß an
Ausdruckskraft gewinnen kann – gerade durch extreme Kunstfertigkeit,
ja Künstlichkeit.
Freuen Sie sich nun mit mir darüber, dass sich die Räume von
Schloss Bellevue für einige Zeit in Klangräume verwandeln werden.
Lassen wir uns verzaubern durch die Klänge, die sich in solche Höhen
schwingen, dass wir der Schwerkraft des Lebens für einen Moment zu
entkommen scheinen.
Lassen wir uns also für eine Weile entführen in die Welt der Oper,
wo alles so anders ist als im wirklichen Leben – und wo wir vielleicht
gerade deswegen unsere großen Gefühle, unsere Sehnsüchte, auch die
Abgründe, unsere Leidenschaften und Träume so besonders gut
erkennen oder entdecken können.