Ausgabe 1.pmd
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www.raz-zeitung.de Täggele’s Corner Mein Arbeitsalltag Es ist Freitagmittag, Schulschluss. Eine Menge Leute die auf einem Gymnasium eigentlich nichts verloren haben und einige andere Dinge haben dazu beigetragen, dass sich meine Laune jetzt schon auf dem Tiefpunkt befindet. Ich schalte den PC an und sehe eine Menge weißer Zahlen und Buchstaben vor einem schwarzen Hintergrund. Die Zahlen und Buchstaben werden durch ein schönes Bild ersetzt das mir stolz verkündet dass Windows gestartet wird…warum nur sinkt meine Laune aufgrund dieses Bildes noch mehr? Das hübsche Windowsbild wird durch meinen Desktophintergrund ersetzt und ein mehr oder weniger musikalischer Ton teilt mir mit dass Windows jetzt bereit ist, meine Wünsche zu bearbeiten. Damit die bevorstehende Gestaltung einer neuen raz-Seite nicht zu langweilig wird, starte ich WinTV, mein Fernsehprogramm. Der Ladebildschirm erscheint, doch seltsamerweise ist kein Ton zu hören und auf allen Kanälen wird ein blaues Bild mit einer grauen Überschrift und einem recht unverständlichen weißen Text darunter ausgestrahlt…auch das Schließen des Programms scheint den PC komplett zu überfordern. Ein Neustart lässt die komplette Prozedur erneut wiederholen. Bis jetzt habe ich es geschafft 5 Minuten meines Lebens komplett zu verschwenden und meine Laune noch etwas tiefer sinken zu lassen. Nachdem der melodische, wohlklingende Windows-Startton mich in erneute Arbeitsfreudigkeit versetzt hat, starte ich mit neuem Enthusiasmus mein Lieblingsprogramm WinTV. Siehe da, es gewährt mir den Einblick in die weite Welt des Fernsehens. Während mir nun mein Lieblingslied (Overground - Schick mir nen Engel) die Ohren betäubt, starte ich voller Freude auf die bevorstehende Arbeit Paintshop und beginne ein neues Webdesign. Neben mir liegt das in der Schule in einer interessanten Stunde gezeichnete Konzept das es jetzt gilt umzusetzen. Nach der ersten gezogenen Linie teilt mir Paintshop mit bunten Grafiken und nettem Text mit, dass es sich aufgrund eines ungültigen Vorgangs leider geschlossen hat. Zu schade. Ein erneutes Starten und Wiederholen desselben Vorgangs hat das gleiche Ergebnis. Nun ja, irgendeinen Sinn muss der Resetknopf, von dem der Lack langsam abblättert, ja auch haben. Bisher sind 15 Minuten vergangen. Ein Windows-Arbeitstag wie jeder andere. Also wird wieder Paintshop gestartet, und die erste Linie klappt tadellos. Es werden weitere Linien hinzugefügt, und das ganze fügt sich langsam zu einem harmonischen Gebilde zusammen. Im Hintergrund singen die No Angels mein zweites Lieblingslied, ich scheine echt einen guten Tag erwischt zu haben. Während ich gerade an der Fertigstellung der Seite bin, überlege ich mir dass ich mein Projekt eigentlich mal speichern könnte. Doch Paintshop nimmt mir diese Entscheidung einfach ab, indem es sich von selbst beendet. Warum sollte es auch offen bleiben? Vielleicht hatte es ja keine Lust mehr, wer weiß. Vielleicht haben Programme auch ihre Gefühle und es fühlte sich einfach ausgenutzt. Ich starte es erneut und suche eine Wiederherstellungsfunktion. Natürlich gibt es keine, warum sollte es auch eine geben. Wer ist schon so dumm und arbeitet eine halbe Stunde ohne zu speichern. Mittlerweile teilt mir zed im Hintergrund mit dass es drei tolle neue Klingeltöne gibt, für die ich nur die Message „Ton1, Ton2 oder Ton3“ an die 73737 schicken muss. Falls ich einen polyphonen Klingelton haben möchte muss ich allerdings „Polyphon1“ oder „Polyphon2“ schicken. Ich überlege mir wie die zed-Werbung finanziert wird. Gut, schaut man sich die Pisa-Ergebnisse an, wird einem einiges klar, es scheint tatsächlich Leute zu geben die sich Klingeltöne bei zed bestellen, anders kann ich mir nicht erklären wie sich zed in jeder Werbepause einen 15-Sekunden-Spot leisten kann. Wahrscheinlich solche hirnlosen Leute die auch bei Microsoft arbeiten dürfen. Oder Paintshopentwickler. Oder alle Teilnehmer von Popstars, DSDS, Fame Academy und Starsearch. Ist natürlich nicht böse gemeint, ich meine, Klingeltöne sind was Tolles. Allerdings geht absolut nichts über Handylogos bis die Oma schreit. Einfach eine SMS mit dem durchaus gut und sinnvoll gewählten Keyword „Oma“ an die 85555 schicken und schon gibt’s Handylogos bis die Oma schreit. Wer träumt nicht davon? Ich wache manchmal nachts schweißgebadet auf und renne zum Fernseher, weil ich unbedingt Handylogos brauche. Wem geht das nicht so? Ich meine, gut, in Afrika gibt’s zwar teilweise nicht mal Telefon, aber Hauptsache wir haben Handylogos! -9- www.raz-zeitung.de Täggele’s Corner Inzwischen bin ich mit meinem Design wieder bei der Hälfte angelangt, als mir Timelife Music mitteilt, dass ich unbedingt „Sound of the sixties“ brauche. Denn schließlich waren wir jung und wir kämpften für eine gemeinsame Sache. Und unsere Helden waren the Byrds, the Mama’s and Papa’s, Barry MacQuire, Santana und Donavan. Ich meine ich habe weder was gegen die Werbung an sich, noch gegen die Lieder aus den Sechzigern. Aber wenn man beim Arbeiten so ziemlich jedes Mal nebenher TV schaut und in jeder Werbepause derselbe Spot kommt und man ihn inzwischen live mitsprechen kann steigert das eher die Aggression gegenüber dem Fernsehen als die Kreativität. Ich meine, gut, Counterstrike beispielsweise mag in den Augen mancher ein brutales Spiel sein, jedoch erzählt mir nicht alle 5 Minuten eine Stimme voller Enthusiasmus, dass ich unbedingt Klingeltöne und Handylogos bis die Oma schreit brauche. Gäbe es keine brutalen Spiele, wären meiner Schätzung nach schon mehrere tausend Jugendliche mit Kettensägen und Maschinenpistolen auf die Straßen gegangen und hätten mit den Worten „Ich hasse zed“, die gerade noch beinahe unverständlich aus ihrem vor Sabber überschäumendem Mund hervorkommen, öffentliche Gebäude gestürmt, weil sie sich nirgends abreagieren konnten. Ginge es nach mir, würde die zed-Werbung verboten und nicht Counterstrike und Konsorten. Inzwischen habe ich meine Seite abgeschlossen und erfolgreich gespeichert, was mich mit meinem Freund aus Kontakten und Platinen wieder etwas versöhnlicher stimmt. Ich gebe ihm einen Gute-Nacht-Kuss und lege mich zu Bett, voller Angst vor Albträumen in denen Bill Gates an meiner Tür klingelt und mir einen Klingelton von zed anbietet, der die kompletten 6 „Sound of the sixties“-CDs abspielen kann… In diesem Sinne, Täggele - 10 -