Roger Griffin, Werner Loh and Andreas Umland (Eds.): Fascism Past

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Roger Griffin, Werner Loh and Andreas Umland (Eds.): Fascism Past
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Roger Griffin, Werner Loh and Andreas Umland (Eds.): Fascism Past and
Present, West and East. An International Debate on Concepts and Cases in
the Comparative Study of the Extreme Right
Besprochen von Leonid Luks
Roger Griffin, Werner Loh and Andreas Umland (Eds.):
Fascism Past and Present, West and East. An International Debate on
Concepts and Cases in the Comparative Study of the Extreme Right. With an
afterword by Walter Laqueur
Stuttgart, ibidem-Verlag 2006, 510 S.
Seit dem Aufstieg des italienischen Faschismus vor mehr als 85
Jahren bemühen sich sowohl politische Publizisten
unterschiedlichster Couleur als auch Vertreter verschiedener
wissenschaftlicher Disziplinen um eine EinÂordnung dieses
Phänomens. Die Zahl der Faschismus-Interpretationen, die sich nicht
selten gegenseitig widersprechen, ist unüberschaubar.
Roger Griffin, Werner Loh
and Andreas Umland
(Eds.): Fascism Past and
Present, West and East. An
International Debate on
Concepts and Cases in the
Comparative Study of the
Extreme Right. With an
afterword by Walter
Laqueur, Stuttgart, ibidemVerlag 2006, 510 S
Diese Widersprüche und Dissonanzen sind durchaus verständlich,
denn es handelte sich beim Faschismus um einen Newcomer auf der
politischen Bühne, der im Gegensatz zu solchen politischen
Strömungen wie Konservatismus, Liberalismus oder Marxismus,
keine direkten Vorläufer in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg besaß.
Zwar wurde der Faschismus durch einige politische Denker und
Gruppierungen der Vorkriegszeit inspiriert, als Bewegung
kristallisierte er sich aber erst nach der "Urkatastrophe des 20.
Jahrhunderts" (Kennan) heraus. In seiner Ideologie und Strategie
sowie in seinen Organisationsstrukturen lehnte er sich sowohl an
rechte als auch an linke Überlieferungen an und sprengte das bis
dahin gewohnte Rechts-Links-Schema, was seine Einordnung bis
heute außerordentlich erschwert. Dies führte zu permanenten
Fehleinschätzungen, zu denen die Gegner, aber auch die
Verbündeten der Faschisten neigten. Nicht zuletzt diesen
Fehleinschätzungen verdankte der Faschismus seine
atemberaubenden politischen Triumphe, die letztendlich zur
Zerstörung der überlieferten europäischen Ordnung und zum
Holocaust führten.
Läßt sich eine Verbindungslinie zwischen Benito Mussolinis Marsch
auf Rom und dem Judenmord des NS-Regimes herstellen? Gehören
der italienische Faschismus und der Nationalsozialismus der
gleichen politischen Kategorie an? Diese Frage steht im Zentrum
des vorliegenden Bandes, der Beiträge von 31 Autoren zur
Faschismus-Problematik beinhaltet. Alle Beiträge wurden
ursprünglich in der Zeitschrift "Erwägen Wissen Ethik" im Rahmen
eines Disputs veröffentlicht, den der britische Faschismusforscher
Roger Griffin mit seinem Artikel "Fascism's new faces (and new
facelessness) in the †špost-fascist†˜ epoch" auslöste.
Griffin setzt sich scharf mit manchen deutschen Autoren auseinander,
die den Nationalsozialismus als ein einzigartiges Phänomen
betrachten, das sich qualitativ von allen anderen Formen des
Rechtsextremismus unterscheide. Diese auf Hitler fixierte Sicht
erschwere den deutschen Forschern eine vergleichende
Faschismusanalyse. Griffin zweifelt nicht daran, daß der
Nationalsozialismus ungeachtet seines Rassenwahns und seiner
apokalyptischen Verbrechen, die im faschistischen Italien nicht
vorkamen, eine Variante des Faschismus darstellt.
Griffins Faschismus-Definition, die er bereits 1991 in seinem Buch
The Nature of Fascism aufstellte, lautet: "Fascism is a political
ideology whose mythic core in its various permutations is a
palingenetic form of populist ultra-nationalism". All diese Kriterien
lassen sich aus der Sicht Griffins auch auf den Nationalsozialismus
anwenden. Der nationalsozialistische Rassengedanke stelle eine
extreme Form des Nationalismus dar. Zum Kern des
nationalsozialistischen Selbstverständnisses gehöre die Idee der
nationalen Wiedergeburt (Palingenese).
Abgesehen von der "Hitlercentric" der deutschen Autoren kritisiert
Griffin auch andere Postulate der Faschismusforschung als solcher,
so die These, daß es sich beim Faschismus um eine Erscheinung
handele, die untrennbar mit den beiden Weltkriegen verbunden sei,
und daß die "Epoche des Faschismus" 1945 zu Ende gegangen sei.
Er warnt vor der Überbewertung der Zäsur von 1945. Nach dem
Zusammenbruch der faschistischen Regime sei die extreme Rechte
zwar zu einer Flexibilisierung ihrer Strategie gezwungen gewesen,
ihr eigentliches Ziel - die "Wiedergeburt" der jeweiligen Nation mit
Hilfe einer extrem nationalistischen Mythologie - habe sie aber
keineswegs aufgegeben. Die vorherrschende Form der
rechtsextremen Szene nach 1945 seien nicht mehr politische
Parteien, sondern kleine, zersplitterte Grüppchen, die ohne eine
gemeinsame Führung und ein allgemein anerkanntes Zentrum
agierten: "This †šgroupuscular right†˜ has the characteristics of a
political and ideological subculture rather than a conventional
political party movement, and is perfectly adapted to the task of
perpetuating revolutionary extremism in an age of relative political
stability" (S. 55).
Nicht selten verlasse die neue Rechte die politische Bühne und
versuche in erster Linie den kulturellen Diskurs der jeweiligen
Gesellschaft mit Hilfe ihrer eigenen Begrifflichkeit zu beeinflussen.
Dabei lehne sie sich an die "Hegemonialstrategie" Antonio Gramscis
an und praktiziere einen "right-wing Gramscism" (S. 51).
Die Thesen Griffins stießen sowohl auf Zustimmung als auch auf
heftige Kritik, wobei die Kritik sich in erster Linie gegen die
Faschismusdefinition Griffins richtete, die aus der Sicht mancher
Autoren unpräzise ist. So führten Klaus Holz (Villigst) und Jan
Weyand (Erlangen-Nürnberg) aus, daß die Vorstellung von einer
nationalen Widergeburt jedem Nationalismus, auch dem "nichtfaschistischen", eigen sei. Auch konservative Nationalisten, z.B.
Heinrich von Treitschke, hätten in ähnlichen Kategorien gedacht (S.
125).
Bärbel Meurer (Osnabrück) fügt hinzu, daß auch manche konservativ
gesinnte Widerstandskreise im Dritten Reich von einer Erneuerung
der Nation träumten. Wenn die Kategorie der "†šnationalen
Wiedergeburt†˜ zum Kern eines Faschismusbegriffs [erklärt wird, so
würde dies bedeuten] Hitler und einen bedeutenden Teil des
Widerstandes gleichzusetzen und die Grenzen zwischen Tätern und
Opfern zu verwischen" (S. 153).
Auch Griffins Kontinuitätsthese, seine Warnung vor der
Überbewertung der Zäsur von 1945 in der Entwicklung des
Faschismus, wird scharf kritisiert. Mehrere Autoren weisen darauf
hin, daß der geschickte Umgang mit den Massen zu den wichtigsten
Merkmalen des Faschismus in der Zwischenkriegszeit gehörte.
Dieser Zugang zu den breiten Bevölkerungsschichten blieb der
neuen Rechten nach 1945 aber versperrt: "[Sie] hatte sich [...] mit
dem Faktum des Holocaust und der unendlichen Verbrechen der
Kriegsjahre auseinanderzusetzen, was ihre Popularität und ihren
Massenzuzug deutlich begrenzt. Von daher fehlt ihr der
charismatische Grundzug und die aufwühlende Glaubenskraft, die
der historische Faschismus noch entfachen konnte" (S. 199), so
Sven Reichardt (Konstanz).
Ähnlich argumentiert auch Kevin Passmore (Cardiff): "In the postwar
period there is no crisis of liberalism, no lack of faith in the future, and
no general economic crisis. Fascism cannot become a mass
movement" (S. 171-172).
Und Karin Priester (Münster) fügt hinzu: "Was [...] bleibt vom
Faschismus, wenn das Führerprinzip, der Militarismus, der
Imperialismus, die repressiven diktatorischen Strukturen [...]
ausgeklammert werden?" (S. 195).
All diese Einwände, die das Kontinuitätsmodell Griffins in Frage
stellen, sind sicherlich nicht unberechtigt. Ähnlich übrigens wie die
Argumente derjenigen Autoren, die ihm vorwerfen, er unterschätze
die Einzigartigkeit des Nationalsozialismus und die Kluft, die ihn vom
italienischen Faschismus trenne. Und in der Tat, der millionenfache
Mord des NS-Regimes stellt in der Geschichte des Faschismus ein
Sonderkapitel dar. Er zeigt, daß die NSDAP eine faschistische Partei
"neuen Typs" entwickelte, die sich von ihrem italienischen
Vorgänger grundlegend unterschied. Indes blieb ungeachtet all
dieser Unterschiede eine enge Verwandtschaft zwischen diesen
beiden Gruppierungen bestehen. Nicht zuletzt deshalb waren sie bis
zum bitteren Ende eine Schicksalsgemeinschaft, wenn auch mit
einer Umkehr der Rollenverteilung, als Mussolini sich aus einem
Ziehvater Hitlers in dessen Marionette verwandelte. Insofern kann
man der These Griffins beiÂpflichten, daß der Nationalsozialismus
durchaus eine Variante des Faschismus darstellt. Wie verhält es sich
nun mit der neuen Rechten nach 1945? Was verbindet sie mit dem
Faschismus der Zwischenkriegszeit? Auf den ersten Blick so gut wie
gar nichts - bis auf die Ideologie. "Nur" im ideologischen Bereich läßt
sich eine Kontinuität feststellen. Dies ist aber nicht wenig. Denn die
Eigenart des Faschismus ist in erster Linie ideologisch bedingt. Er
verkörpert die Auflehnung gegen die Aufklärung, die pluralistische
Gesellschaft, emanzipatorische Prozesse unterschiedlichster Art und
die Idee der Menschenrechte. Darüber hinaus neigen faschistische
bzw. rechtsextreme Gruppierungen zu esoterischen
Verschwörungstheorien und Erlösungsphantasien und träumen von
einem "letzten Gefecht" gegen den von ihnen dämonisierten,
angeblich die Welt beherrschenden Feind - Freimaurer, Juden,
"Plutokraten", die USA usw. Diese ideologischen Gemeinsamkeiten
verbinden die neue Rechte im Westen, die "Neo-Eurasier" um
Aleksandr Dugin (siehe dazu die Polemik zwischen Andreas Umland
und A. James Gregor in diesem Band) mit dem Faschismus der
Jahre 1919-1945. Ideologische Gemeinsamkeiten zwischen derart
unterschiedlichen faschistischen bzw. rechtsextremen
Gruppierungen verblüffen, wenn man bedenkt, daß sie, im
Gegensatz zu der ansonsten innerlich höchst zerstrittenen
kommunistischen Bewegung (Stalinisten, Trotzkisten, Maoisten,
antistalinistische "Revisionisten" usw.), über keine unantastbaren
ideologischen Autoritäten wie Marx, Engels und Lenin verfügen. So
stellt die Ideologie die wichtigste einigende Klammer der
rechtsextremen Gruppierungen dar, die epochenübergreifend und
grenzüberschreitend ist. Dies verleiht dem Faschismusbegriff
Griffins, der sich in erster Linie auf ideologische Merkmale
konzentriert, im Gegensatz zur Meinung vieler Kritiker, einen
besonderen Erkenntniswert.

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