Neurobiologie abweichenden Sexualverhaltens
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Neurobiologie abweichenden Sexualverhaltens
139_146_Schiffer_FPPK_0022 13.02.2007 13:53 Uhr Forens Psychiatr Psychol Kriminol (2007) 1: 139–146 DOI 10.1007/s11757-007-0022-z Boris Schiffer Neurobiology of sexual deviancy 왘 Abstract The etiology of existing paraphilic disorders remains poorly understood, and the neurobiological mechanisms underlying different sexual preferences are also incompletely characterized. The existing neurobiological findings examining sexual deviations, in particular studies using modern imaging techniques, are thus far limited to case studies. For instance, previous findings have associated the development of pedophilic preferences with tumors in prefrontal and orbitofrontal cortices. There are many phenomenological similarities and biological correlates between paraphilic dis- Eingegangen: 24. November 2006 Akzeptiert: 1. Dezember 2006 Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. B. Schiffer Institut für Forensische Psychiatrie Rheinische Kliniken Essen Universität Duisburg-Essen Virchowstr. 174 45147 Essen, Deutschland Tel.: 0201/7227-102 Fax: 0201/7227-105 E-Mail: [email protected] Seite 139 ÜBERSICHT Neurobiologie abweichenden Sexualverhaltens orders and a series of disorders summarized as obsessive compulsive spectrum disorders. For all these disorders, current neurobiological models discuss disturbances of the striato-thalamo-cortical network which overlaps with the dopaminergic reward system. This article reviews and critically discusses existing neurobiological characteristics of the sexual deviancies. To this end, it also reviews the current findings of functional imaging studies in the context of the network model. 왘 Key words Paraphilia – neurobiology of mental disorders – sexual deviancy 왘 Zusammenfassung Ebenso wie bislang kaum empirisch fundierte Ätiologiemodelle der einzelnen paraphilen Störungen existieren, so sind auch die neurobiologischen Grundlagen der verschiedenen Sexualpräferenzen bislang kaum verstanden. Neben einigen Hinweisen aufgrund neuropsychologischer Forschung beschränkten sich die bisherigen neurobiologischen Befunde zu sexuellen Deviationen, insbesondere die unter Nutzung moderner bildgebender Verfahren, bislang weitgehend auf Einzelfalluntersuchungen, die bspw. die Herausbildung pädophiler Neigungen in Zusammenhang mit Tumoren im Bereich des präfrontalen bzw. orbitofrontalen Kortex (OFC) gestellt haben. Neuere neurobiologische Modellvorstellungen diskutieren vor dem Hintergrund phänomenologischer Ähnlichkeiten und biologischer Korrelate der paraphilen Störungen und einer Reihe von Störungen, die zusammenfassend als Zwangsspektrumsstörungen beschrieben werden, eine Störung eines striatothalamokortikalen Netzwerkes, das viele Überschneidungen mit dem dopaminergen Belohnungssystem aufweist. Die vorliegende Übersichtsarbeit stellt die bisherigen neurobiologischen Erkenntnisse über sexuelle Abweichungen zusammenfassend dar und diskutiert am Schluss die neueren Erkenntnisse aus funktionell-bildgebenden Studien im Hinblick auf die besagte Netzwerkstörungshypothese. 왘 Schlüsselwörter Paraphilie – Neurobiologie psychischer Störungen – sexuelle Abweichungen Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2 2007 139_146_Schiffer_FPPK_0022 13.02.2007 13:53 Uhr Seite 140 140 B. Schiffer Sexuelle Präferenzen – Phänotyp Die menschliche Sexualität besitzt eine große Variationsbreite, sowohl was die Intensität des sexuellen Erlebens angeht als auch in Bezug auf sexuelle Verhaltensweisen – eine Variabilität, die eine Grenzziehung zwischen Normalität und Abweichung stark erschwert. Sexuelle Präferenzen manifestieren sich gewöhnlich in der frühen Adoleszenz in sexuellen Fantasien, die häufig bereits seit der Kindheit die Masturbation begleiten. Diese Fantasien tragen sowohl zu einem subjektiven Selbstverständnis als auch zur Auswahl sexueller Vorlieben und einer inneren Repräsentation interpersoneller Beziehungen bei [38]. Der Versuch, sexuelle Störungen in ein wissenschaftlich sowie in Klinik und Praxis verwertbares Schema einzufügen, ist ausgesprochen problematisch, da die Klassifikation sexueller Deviationen noch zeit- und kulturgebundener ist als die sexueller Funktionsstörungen. Jede Zeit, jede Kultur bezeichnet andere sexuelle Vorlieben als „abnorm“ oder „pathologisch“. Klassifikationen sexueller Störungen blenden zudem mehr aus, als sie zu beleuchten vermögen [55], denn sie müssen sich an Erscheinungen halten, die möglichst reliabel zu erfassen sind. Unter Paraphilie oder sexueller Deviation wird grundsätzlich ein Sexualverhalten verstanden, das auf ein unübliches Sexualobjekt gerichtet ist oder eine unübliche Art sexueller Stimulation anstrebt [35]. Auch wenn sich der von dem Ethnologen Friedrich S. Krauss geprägte und von der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (APA) verwendete Begriff der Paraphilie international durchgesetzt hat, benutzt die WHO [60] in der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen, 10. Ausgabe (ICD-10), dennoch einen eigenen, bisher neutralen Begriff einer „Störung der Sexualpräferenz“. In der Vergangenheit wurden die Paraphilien als klar abgrenzbare Störungssyndrome angesehen, entsprechend einer Krankheit mit typischer Symptomatologie auf der Ebene des sexuellen Verhaltens (z. B. Exhibitionismus) und typischer Persönlichkeitsstruktur (z. B. regressiver Typ). Das Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen (DSM-IV-TR, 2003) kennt noch sieben bis acht, die ICD-10 noch sechs Paraphilien von nosologischem Rang. Als Hauptmerkmal der Paraphilien werden wiederkehrende intensive sexuell erregende Fantasien, sexuell dranghafte Bedürfnisse oder Verhaltensweisen genannt, die sich im Allgemeinen auf folgende Inhalte beziehen und über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten auftreten: 1. Nichtmenschliche Objekte; 2. das Leiden oder die Demütigung von sich selbst oder eines Partners; 3. Kinder oder andere nicht einwilligende oder nicht einwilligungsfähige Personen. Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2 2007 Damit wird deutlich, dass es grundsätzlich zwei verschiedene Formen gibt, wie die menschliche Sexualität im Rahmen von Paraphilien abweichen kann. So kann sich zum einen eine Deviation in Bezug auf das Objekt und zum anderen in Bezug auf die bevorzugte Praktik ergeben. Zur diagnostischen und forensischen Einordnung können sexuelle Deviationen nach Schorsch et al. [51] bezüglich ihrer Intensität unterschieden werden. Dabei grenzt er einmalig oder sporadisch auftretende deviante Impulse, die an einen aktuellen Konflikt oder eine bestimmte Lebenssituation gebunden sind, von einer devianten Problematik ab, die sich zu einem habituellen Konfliktlösungsmuster entwickelt hat und die bei inneren Belastungen immer wieder in der Fantasie oder als Impuls aktuell und in Handlung umgesetzt wird, ohne dass dadurch die sexuelle Orientierung bestimmt wird. Davon abzugrenzen ist eine sexuelle Deviation, bei der es zu einer stabilen devianten Orientierung, einer Perversionsbildung, kommt, bei der sexuelle Wünsche und Fantasien außerhalb und ohne deviante Inhalte nicht mehr oder nicht intensiv erlebbar sind. Insbesondere bei einer stabilen devianten Orientierung (sog. Fixierung) kann es zu einer progredienten Entwicklung kommen, die Giese [23] als „sexuelle Süchtigkeit“ bezeichnet hat. Neurobiologie abweichender sexueller Präferenzen ■ Endokrinologie – Hypothalamus-HypophysenGonaden-Achse Biomedizinische Erklärungskonzepte legen zugrunde, dass sexuelles Erleben und Verhalten von einer Vielzahl von Faktoren bestimmt wird, von denen einige auch eine physiologische Basis haben. Die Gonadotropin-Releasing-Hormone (GnRH) regulieren vom Hypothalamus aus die Freisetzung der Hypophysenvorderlappenhormone FSH (follikelstimulierendes Hormon) und LH (luteinisierendes Hormon). Beim Mann fördert das FSH die Spermiogenese, wohingegen die Produktion des Testosterons durch das LH gesteuert wird. Es existieren umfangreiche Laboruntersuchungen, die den Einfluss gonadaler Hormone auf die neuronale Aktivität belegen. Es wurde gezeigt, dass infolge der dimorphen Eigenschaften des Nucleus präopticus des Hypothalamus durch hormonelle Manipulationen in utero bei männlichen und weiblichen Ratten Geschlechtspräferenzen aufgebrochen und umgekehrt werden können. In Übereinstimmung damit vermuteten Davidson et al. [17] eine Verbindung zwischen der medial präoptischen Area des Hypothalamus und sexuellem Verhalten. Darüber hinaus ist die Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse an der biochemischen Regulation und Kontrolle solcher 139_146_Schiffer_FPPK_0022 13.02.2007 13:53 Uhr Seite 141 Neurobiologie abweichenden Sexualverhaltens Phänomene wie Ärger und sexuellem Verlangen beteiligt.Allerdings gibt es bislang kaum Daten, die dies auch für den Humanbereich belegen. Es wird angenommen, dass die Verhaltenseffekte von Androgenen Ausdruck ihrer neurobiologischen Wirkungsweise sind, auch wenn die grundsätzlichen Mechanismen, insbesondere hinsichtlich der Aromatisierung von Testosteron in Östrogen im Gehirn und damit die Einflussnahme auf Östrogenrezeptoren [40], nach wie vor ungeklärt sind. Viele Studien haben ergeben, dass auch aggressive Verhaltensweisen mit Androgenen assoziiert sind (für einen Überblick s. Bradford [8]). Gaffney und Berlin [22] konnten durch pharmakologische Manipulation des Luteinisierendes-Hormon-releasing-Hormon(LHRH)-Spiegels bei Pädophilen und anderen Paraphilen im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen Dysfunktionen der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse nachweisen. Diese und ähnliche Befunde [34] bilden den Hintergrund des Einsatzes von Antiandrogenen wie Cyproteronacetat (Androcur®) oder auch Medroxyprogesteronacetat (v. a. in den USA) sowie Östrogenen und LHRH-Agonisten bei der Behandlung von sexuellen Verhaltensabweichungen [54]. Hiermit übereinstimmend berichten Harrison et al. [26] den Fall eines Patienten mit Hyperprolaktinämie und (nicht ausschließlich) pädophiler Sexualpräferenz. Die Behandlung mit Bromocriptin habe nicht nur den Serumspiegel des Prolaktins gesenkt, sondern habe ebenfalls die devianten sexuellen Gedankenmuster des Patienten vermindert.Andere pharmakologische Untersuchungen konnten hingegen den Zusammenhang zwischen Hyperprolaktinämie und sexueller Devianz nicht bestätigen [4, 15]. Deren Daten lassen derzeit eher eine Störung der homöostatisch-regulatorischen Funktionen der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse vermuten. Neben den Androgenen betrifft ein weiteres Erklärungskonzept die komplexen Zusammenhänge zwischen Sexualhormonen, Neurotransmittern und sexuellem Verhalten. Insbesondere die zerebralen Amine Dopamin und Serotonin sind mit ihren Wirkungen auf das sexuelle Erleben und Verhalten auf Interesse gestoßen, wobei das Serotonin mit Blick auf die therapeutische Einflussnahme besondere Beachtung findet [8, 10, 36]. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Paraphilien zunehmend in den Kontext der Zwangsspektrumsstörungen (obsessive compulsive spectrum disorders) gestellt werden, bei denen in vielen pharmakologischen Studien die Effektivität von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRIs) nachgewiesen wurde [7, 9, 57]. Allerdings erzielen derartige Medikamente bei Patienten mit paraphiler Symptombildung nicht durchgängig Erfolge [24]. 141 ■ Genetische Aspekte Wie bei vielen anderen psychiatrischen Störungen auch, wurde die Rolle genetischer Abnormalitäten auch im Hinblick auf sexuelle Störungen untersucht. Allerdings gibt es auf diesem Gebiet aktuell kaum neue Erkenntnisse. Der Großteil der empirischen Arbeiten zu diesem Thema datiert aus den 1970er, 1980er und 1990er Jahren und konzentriert sich hauptsächlich auf Patienten mit einem Klinefelter-Syndrom (üblicherweise XXY-chromosomale Karyotypen), die mit erhöhter Wahrscheinlichkeit sexuelle Störungen aufweisen [3, 30, 42, 52]. Sie haben in der Regel einen männlichen Habitus, lange Extremitäten, einen kleinen Penis und rudimentäre Hoden. Mit einsetzender Pubertät entwickeln sich keine sekundären Geschlechtsmerkmale und das endokrinologische Profil dieser Patienten ist gekennzeichnet durch abnorm erhöhte LH- und FSH-Werte und einen erniedrigten Testosteronspiegel. Patienten mit Klinefelter-Syndrom können sowohl Verhaltensstörungen als auch emotionale Störungen einschließlich paraphiler Störungen aufweisen [16, 33, 41]. Berlin [5] berichtet einige Fälle von Patienten mit Klinefelter-Syndrom, die zusätzlich zu ihrer genetischen Störung komorbide paraphile Störungen aufwiesen, darunter homosexuelle Pädophilie, Ephebophilie (sexuell-erotische Neigung zu geschlechtsreifen Jugendlichen), Transsexualismus und Transvestitismus [53]. Sexuell deviantes Verhalten wurde aber auch bei Patienten mit genetisch basierten neuropsychiatrischen Störungen berichtet [13, 14, 46]. Fedoroff et al. [19] berichten von 39 Patienten mit Chorea Huntington, die nicht nur paraphile Störungen, sondern gleichzeitig auch hypoaktive sexuelle Störungen aufwiesen. Interessanterweise schienen die sexuellen Deviationen jedoch häufiger bei denjenigen Patienten aufzutreten, die bei gesteigertem sexuellem Interesse unter Anorgasmie litten. In ähnlicher Weise zeigen auch Patienten mit Tourette-Syndrom häufiger paraphilieähnliche Verhaltensweisen. Kerbeshian [32] berichtet z. B. den Fall eines 33-jährigen Mannes mit Tourette-Syndrom, dessen wiederkehrende paraphile Masturbationsfantasien sich infolge einer Behandlung mit SSRIs verringerten. ■ Neuroradiologische Befunde Zu Aktivierungsmustern während sexueller Erregung bei gesunden Männern und Frauen liegen seit kurzem neben einigen Positron-Emissions-Tomographie(PET)Studien [6, 29, 44, 58] auch einige methodisch anspruchsvolle funktionelle Magnet-Resonanz-Tomographie(fMRT)-Untersuchungen vor [2, 20, 25, 31, 39, 43]. In allen genannten Untersuchungen wurden die Probanden mehreren Versuchsbedingungen unterzogen, wobei meist bewegte Bilder (Videos) gezeigt wurden. Bocher Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2 2007 139_146_Schiffer_FPPK_0022 13.02.2007 13:53 Uhr Seite 142 142 B. Schiffer [6], Arnow [2] sowie Stoléru und Redoute [44, 58] verwendeten in ihren Untersuchungen ein Design mit mehreren Kontrollbedingungen, in denen Talkshows oder Sportveranstaltungen mit den sexuell erregenden Bedingungen in Beziehung gesetzt wurden. Wie in Tabelle 1 dargestellt, fanden sich in diesen Studien übereinstimmend Aktivierungen des okzipitotemporalen Kortex, der Gyri präcentralis und cinguli sowie der Lobuli parietalis superior und inferior während visuell induzierter sexueller Erregung. Teilweise konsistent sind darüber hinaus Aktivierungen in Teilen des Frontallappens sowie verschiedenen Thalamusregionen und dem Striatum (Nucleus caudatus und Putamen) berichtet worden. Karama et al. [31] und Hamann et al. [25] haben zudem in ihren Untersuchungen geschlechtsspe- zifische Aktivierungsmuster von Männern und Frauen nachweisen können. Darüber hinaus konnten von Holstege et al. [29] Spezifika des männlichen Orgasmus erarbeitet werden. Funktionelle Untersuchungen zu sexuellen Erregungsprozessen bei Männern mit abweichenden sexuellen Präferenzen sind bislang allerdings noch rar. Anfang der 1990er Jahre untersuchten Flor-Henry und Mitarbeiter [21] 96 Pädophile mittels quantitativen EEG-Methoden und fanden im Vergleich zu einer gematchten Kontrollgruppe ein Muster herabgesetzter frontaler Delta-, Theta- und Alpha-Power sowie ein Muster erhöhter interhemisphärischer und erniedrigter intrahemisphärisch-interhemisphärischer Kohärenz beidseitig während eines Wortflüssigkeitstests. Interes- Tabelle 1 Befunde funktionell-bildgebender Studien bzgl. Veränderungen neuronaler Aktivität während visuell induzierter sexueller Erregung Stoléru (1999) [58] N=8 Okzipitallappen G. okzipit. medius (BA 19/37) G. okzipit. inferior (BA 19) G. okzipit. superior (BA 19) Frontallappen G. frontalis inf. (BA 9/13/45/46/47) G. frontalis medius (BA 6/8/9/46) G. frontalis medialis (BA 6/11) G. präcentralis (BA 6) Insula (BA 13) Temporallappen G. fusiformis (BA 18/37) G. temporalis inferior (BA 20/37) G. temp. medius (BA 21/37/39) G. temporalis superior (BA 38) Gyrus parahippocampalis Parietallappen Lob. parietalis superior (BA 7) Lob. parietalis inf. (BA 20/40) G. postcentralis (BA 1/2/3/7) Präcuneus (BA 7/19) Gyrus cinguli G. cinguli (BA 32) G. cinguli, anterior (BA 24) G. cinguli, posterior (BA 30/31) Subkortikale Regionen Pulvinar thalami Thalamus, Nucleus ventr. ant. Caudate Claustrum Putamen Hypothalamus Cerebellum Redoute (2000) [44] N=9 Bocher (2001) [6] N = 10 Arnow (2002)a [2] N = 14 Mouras (2003) [39] N=8 O(l) X(r) X(bi) X(r) O(bi) X(l) O(l)/X(r) X(r) X(r) O(r) X(l) O(l) X(r) X(bi) O(l) O(bi) O(bi) O(bi) O(bi) X(l) O(bi) O(r) X(r) X(l) X(l) X(l) X(r) X(r) X(bi) O(r) O(bi) X(bi) X(l) X(r) O(l) O(l) O(l) O(r)/X(l) X(r) X(bi) X(l) O(l) X(l) X(r) X(r) X(bi) X(bi) X(bi) X(l) O(r) O(r) X(l) X(r) X(bi) X(r) O(bi O(bi)/X(bi) BA Brodmann Area; X Aktivierungen; O Deaktivierungen; bi bilateral; r rechts; l links; a erektionskorrelierte Daten Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2 2007 139_146_Schiffer_FPPK_0022 13.02.2007 13:53 Uhr Seite 143 Neurobiologie abweichenden Sexualverhaltens santerweise war dieses Muster, das auf linksfrontale Dysfunktionen hinweist, nur bei denjenigen Pädophilen nachzuweisen, die auf präpubertäre Kinder mit einer maximalen sexuellen Erregung reagierten. Schober et al. [50] präsentierten PET-Daten von fünf pädophilen Patienten, die 16 Monate lang mit Leuprorelinacetat, einem LHRH-Agonisten, behandelt worden waren. In den darauf folgenden neun Monaten erhielten die Probanden statt des LHRH-Agonisten NaCl-Injektionen, also ein Placebo. Alle Patienten wurden sowohl vor der Behandlung als auch nach 13 Monaten mittels PET-Scan in Ruhebedingung untersucht. Interessanterweise und etwas im Gegensatz zu der PET-Studie von Cohen et al. [12] zeigten sich keinerlei signifikante Veränderungen in der Gehirnaktivität nach 13 Monaten (s. unten). Darüber hinaus wird in einigen anekdotenhaft wirkenden neurologischen Fallbeschreibungen, aber auch in einigen älteren wissenschaftlich gut fundierten Studien über strukturelle Veränderungen des Gehirns bei hypersexuellem Verhalten oder paraphilen Störungen berichtet. Hendricks et al. [27] etwa untersuchten 16 Pädosexuelle mittels CT-Scans und Schätzungen des regionalen zerebralen Blutflusses (rCBF). Verglichen mit Kontrollpersonen fanden sich bei den Pädosexuellen signifikant dünnere und weniger dichte Schädel sowie geringere Werte bezüglich des regionalen zerebralen Blutflusses. Andere Arten zentraler Neuropathologie, wie frontotemporale Demenz oder bilaterale hippokampale Sklerose, fanden sich bei so genannten Alterspädophilen homosexueller Orientierung. Mendez et al. [37] berichten über zwei ältere Männer, die im PET-Scan einen Hypometabolismus im rechten Temporallappen aufwiesen. Zudem wird in neurologischen Fallberichten über die Herausbildung pädophiler Neigungen im Zusammenhang mit Tumoren im Bereich des präfrontalen, insbesondere des orbitofrontalen Kortex berichtet (u. anderem Burns [11]). Eine erste fMRT-Studie zu sexuellen Erregungsprozessen bei paraphilen Störungen führten Dressing et al. [18] durch. Dem homosexuell-pädophil orientierten Probanden wurden während der Messung Bilder von halbbekleideten Jungen gezeigt, die er im Nachhinein zwar als nicht stimulierend bewertete, die aber dennoch mit Veränderungen im Aktivierungs- und Aufmerksamkeitsnetzwerk und im rechten orbitofrontalen Kortex einhergingen. Cohen et al. [12] untersuchten im PET sieben in ambulanter Behandlung befindliche heterosexuell orientierte Pädophile und sieben Kontrollpersonen in drei verschiedenen Bedingungen mit akustischen Stimuli. Neben einer neutralen gab es zwei sexuell stimulierende Bedingungen, in denen einmal „erotische“ Geschichten mit einem Mädchen und einmal mit einer Frau dargeboten wurden. Es fanden sich keinerlei Unterschiede im Glukosemetabolismus im Hinblick auf die verschiede- 143 nen Stimulationsbedingungen. Allerdings war offenbar der Glukosemetabolismus der pädophilen Patienten in Ruhe im Vergleich zu den Kontrollen im rechten inferioren temporalen Kortex und dem superior-ventralen frontalen Gyrus herabgesetzt. Neuere neurobiologische Modellvorstellungen (u. anderem Tost et al. [59]) diskutieren vor dem Hintergrund phänomenologischer Ähnlichkeiten bzw. biologischer Korrelate zwischen paraphilen Störungen und einer Reihe von Störungen, die zusammenfassend als Zwangsspektrumsstörungen beschrieben werden, eine Störung eines striatothalamokortikalen Netzwerkes, das viele Überschneidungen mit dem dopaminergen Belohnungssystem nach Schultz aufweist [56]. Alle dazugehörigen Störungen, also impulsive und zwanghafte Störungen, ADHS, Substanzmissbrauch oder auch das Tourette-Syndrom zeichnen sich durch immer wiederkehrende dranghafte Gedanken oder Handlungen aus, die unkontrolliert und meist gegen den Willen auftreten. Zudem zeichnen sich all diese Störungen durch eine ausgeprägte Sensitivität für Manipulationen des Serotoninspiegels aus [10]. Die einzelnen Störungen sollen mit Dysfunktionen auf unterschiedlichen Ebenen des Netzwerkes assoziiert sein, was für einige bereits mittels bildgebender Studien überzeugend nachgewiesen wurde [28, 45]. Das Netzwerk umfasst drei Ebenen: Einen motor circuit, der für Bewegungsvorbereitung und Reaktionshemmung verantwortlich ist – hier finden sich beispielsweise beim Tourette-Syndrom Auffälligkeiten. Zu den Aufgaben des prefrontal circuit gehört die Steuerung des Arbeitsgedächtnisses und die kognitive Flexibilität, während dem limbic circuit Motivationsprozesse und die Steuerung der Aufmerksamkeit sowie die Reaktionskontrolle unterliegen. Vor dem Hintergrund dieser Hypothese führten Schiffer et al. [47] eine erste größere MRT-Studie bei einer Gruppe im Maßregelvollzug untergebrachter pädophiler Patienten durch. In einem morphologischen Vergleich mittels voxelbasierter Morphometrie von 18 pädophilen Sexualstraftätern und 24 gesunden Kontrollprobanden zeigten sich Volumenminderungen in der grauen Substanz, unter anderem im Bereich des orbitofrontalen Kortex und des ventralen Striatums, also auf zwei Ebenen des oben genannten Netzwerkes. Dies stützt die Hypothese, nach der ein gemeinsames neurobiologisches Korrelat der sogenannten Zwangsspektrumsstörungen existiert, sofern man auch die Paraphilien darunter subsumiert. In einem weiteren Experiment unter Nutzung funktioneller Kernspintomographie [48] zeigte sich, dass sich das Aktivierungsmuster heterosexuell Pädophiler im Vergleich zu den heterosexuellen Kontrollpersonen beim Betrachten von unbekleideten vs. bekleideten Mädchen, also dem heteropädophilen Stimulus, durch das Fehlen von orbitofrontaler und striataler Aktivität Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2 2007 139_146_Schiffer_FPPK_0022 13.02.2007 13:53 Uhr Seite 144 144 B. Schiffer auszeichnete, was mit Volumenminderungen in den entsprechenden Regionen korrespondierte. Stattdessen zeichneten sich deren Aktivierungsmuster neben einigen „sexual arousal“-spezifischen Anstiegen im medialdorsalen Nukleus des Thalamus, der Substantia nigra, einiger parietaler Regionen und des Gyrus fusiformis vor allem durch einen Anstieg im Bereich des Hippocampus aus, einer Region, die hauptsächlich mit dem Abruf und der Enkodierung von Gedächtnisinhalten in Zusammenhang steht. Diese fand sich auch dann wieder, als man die Aktivierungsmuster der beiden Gruppen direkt statistisch in einer sogenannten Secondlevel-Analyse miteinander verglich. Die Kontrollpersonen aktivierten im Gegensatz zu den Pädophilen vergleichsweise anterior-cinguläre, cinguläre und temporale Strukturen stärker, wenn der Stimulus unbekleidete vs. bekleidete erwachsene Frauen beinhaltete. Verglich man beide Gruppen während der jeweils für sie erregenden Bedingung miteinander, so zeigte sich, dass die Pädophilen im Vergleich zu den Kontrollpersonen, abgesehen vom dorsolateral präfrontalen Kortex als Teil des prefrontal circuit, keine weitere Region stärker aktivierten. Die Kontrollpersonen aktivierten im Rahmen sexueller Arousal-Prozesse vor allem frontale Strukturen wie den orbitofrontalen, den ventromedial präfrontalen und den anterior cingulären Kortex vergleichsweise stärker als Pädophile, aber auch mittlere cinguläre und prämotorische Kortizes. Bei den homosexuellen Pädophilen [49] waren beim Betrachten von unbekleideten vs. bekleideten Jungen neben dorsolateral präfrontalen auch orbitofrontale Strukturen vergleichsweise stark aktiviert. Außerdem fanden sich Aktivierungsanstiege in der Substantia nigra, dem Globus pallidus und dem Nucleus caudatus als Teil des Striatums. Im direkten statistischen Vergleich mit den Kontrollprobanden zeigte sich aber nur das anteriore Cingulum und der ventromediale präfrontale Kortex verstärkt aktiviert. Umgekehrt aktivierten die Kontrollen im Vergleich zu den Pädophilen beim Be- trachten von unbekleideten vs. bekleideten Männern lediglich den Nucleus caudatus signifikant stärker. Beim direkten Vergleich der beiden Gruppen in der für sie jeweils spezifischen Bedingung aktivierten die Kontrollpersonen schließlich keine Region stärker als die Pädophilen. Im umgekehrten Kontrast aktivierten diese allerdings auch nur zwei Areale stärker als die Kontrollpersonen, nämlich den dorsolateral präfrontalen Kortex und den Gyrus fusiformis. Letzteres kann als Hinweis dafür gelten, dass sich die sexuelle Erregung der Kontrollpersonen in diesem Paradigma grundsätzlich in Grenzen gehalten hat. Schlussfolgerungen Insgesamt weisen die bisherigen Daten auf eine Verbindung zwischen frontostriären Abnormitäten und pädophiler sexueller Orientierung hin. Die gezeigten Volumen- und Aktivierungsunterschiede in auch funktionell (z. B. beim Belohnungslernen) aufeinander bezogenen Hirnregionen des frontostriären Systems weisen Analogien mit den Befunden bei süchtigem, impulsivem, vor allem aber zwanghaftem Verhalten auf. Insofern unterstützen sie die Hypothese eines gemeinsamen ätiopathogenetischen Mechanismus der verschiedenen Zwangsspektrumsstörungen, zu denen man im erweiterten Spektrum auch die Paraphilien zählt. Nicht untersucht ist jedoch bislang, ob noch nicht straffällig gewordene Pädophile gleichartige Veränderungen aufweisen wie die pädophilen Straftäter, die Gegenstand der oben genannten Studien waren. Dies begrenzt die Interpretierbarkeit der beschriebenen Befunde, wobei sich aus einem Vergleich pädophiler Straftäter mit pädophil orientierten Kontrollprobanden ohne entsprechend delinquentes Verhalten möglicherweise auch Implikationen für die Evaluation verschiedener Behandlungsansätze werden ableiten lassen. Literatur 1. American Psychiatric Association (2000) The Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 4th edn (DSM-IV-Tr). APA Press, Washington DC. (dt. 2003: Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen – DSM-IV-TR. Dt. Bearb. u. Einf. von Saß H, Wittchen HU, Zaudig H. Hogrefe, Göttingen 2. Arnow BA, Desmond JE, Banner LL, Glover GH, Solomon A, Polan ML, Lue TF, Atlas SW (2002) Brain activation and sexual arousal in healthy, heterosexual males. Brain 125:1014–1023 Forens Psychiatr Psychol Kriminol 2 2007 3. Baker HJ, Stoller J (1968) Can a biological foree contribute to gender identity? Am J Psychiatry 124:1653–1658 4. 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