4 V 121/15

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4 V 121/15
FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 4 V 121/15
Beschluss des Senats vom 17.11.2015
Rechtskraft: rechtskräftig
Normen: ZK Art. 220 Unterabs. 1, VO (EU) Nr. 501/2013, VO (EU) Nr. 990/2011
Leitsatz: 1. Erfüllt eine bei Einfuhr vorgelegte Handelsrechnung des Herstellers nicht
die formalen Anforderungen der Verordnung (EU) Nr. 501/2013, ist der für alle
übrigen Unternehmen geltende Antidumpingzoll anzuwenden.
2. Einem Abgabenschuldner mit geringer Altersrente und sonstigen Verbindlichkeiten
in Höhe von ca. 380.000 € droht durch die Vollziehung eines
Nacherhebungsbescheids über ca. 300.000 € kein unersetzbarer Schaden, weil die
Vollziehung voraussichtlich ins Leere gehen wird.
Überschrift: Zollrecht: Nachträgliche Erfassung von Antidumpingzoll bei Vorlage einer
formal fehlerhaften Handelsrechnung
Gründe:
I.
Der
Antragsteller
begehrt
die
Aussetzung
der
Vollziehung
Einfuhrabgabenbescheids, mit dem Antidumpingzölle nacherhoben wurden.
eines
In der Zeit vom 14.-20.01.2015 meldete der Antragsteller, vertreten durch die A
Internationale Speditionsgesellschaft mbH, in 39 Fällen Fahrräder zur Überführung in
den zollrechtlich freien Verkehr mit Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer bei
innergemeinschaftlicher Weiterleitung unter Verwendung der TARIC-Warennummer
76120030 10 0 und dem Zusatzcode XXYY an. Dieser Code steht für das nach der
Durchführungsverordnung (EU) Nr. 501/2013 von einem Antidumpingzoll
ausgenommene Unternehmen B ... (im Folgenden: B) aus Sri Lanka. Für die
Aufstellung der einzelnen Einfuhrvorgänge wird auf Bl. 850 der Sachakte verwiesen.
Den Einfuhren lagen vier Handelsrechnungen vom 21. bzw. 29.12.2014 des
Herstellers B vom 21.12.2014 zugrunde (Bl. 854 bis 857 der Sachakte), die bei der
Einfuhrabfertigung vorlagen. Sie enthalten den folgenden Zusatz:
I, the undersigned, [3654, 3596, 3368 bzw. 2954] Sets of bicycles, sold for export to
the Europion Union covered by this invoice was manufactured by B, No. ..., X-Straße,
C, D (Tariff Code 8712003010) in Sri Lanka.
I declare that the information provided in this invoice is complete and correct.
Die Rechnungen sind unterschrieben, enthalten aber außer dem im Rechnungskopf
angegebenen Datum keine weitere Datumsangabe.
Mit einer Ausnahme wurde in allen Fällen lediglich der anwendbare Drittlandszollsatz
festgesetzt. Bei Prüfung der Einfuhranmeldung Nr. AT/C/42/...-1 vom 19.01.2015
stellte das Zollamt E jedoch fest, dass die vorgelegte Handelsrechnung nicht den
Vorgaben von Art. 1 Abs. 2 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 501/2013
entsprach, weil sie nicht den TARIC-Zusatzcode XXYY enthielt und bei der
Unterschrift das Datum fehlte. Da somit nach Auffassung des Antragsgegners die
Voraussetzungen für die Befreiung vom Antidumpingzoll nicht gegeben seien, setzte
er mit Einfuhrabgabenbescheid Nr. AT/C/42/...-1 vom 19.01.2015 neben
Drittlandszoll Antidumpingzoll in Höhe von 48,5 %, mithin 7.688,99 Euro, fest.
Hinsichtlich dieser Einfuhrabgaben stellte der Antragsteller mit Schreiben vom
20.01.2015 einen Erstattungsantrag. Bei dessen Prüfung bemerkte der
Antragsgegner, dass bei den weiteren 38 Einfuhren des Antragstellers von
Fahrrädern desselben Herstellers die eingereichten Handelsrechnungen dieselben
Fehler aufwiesen.
Daher lehnte der Antragsgegner nicht nur mit Bescheid Nr. AT/S/00/...-2 vom
26.01.2015 (Bl. 858 der Sachakte) die Erstattung des mit Bescheid vom 19.01.2015
erhobenen Antidumpingzolls ab, sondern erhob mit Bescheid Nr. AT/S/00/...-3 vom
17.02.2015 für die weiteren 38 Einfuhren Antidumpingzoll in Höhe von 48,5 %, mithin
insgesamt € 300.306,48, nach. Da die Voraussetzungen für die Befreiung vom
Antidumpingzoll nicht vorlägen, sei der für alle übrigen Unternehmen geltende
Antidumpingzollsatz anzuwenden. Die Erstattung der Einfuhrabgaben nach Art. 236
ZK sei nicht vorgesehen, da die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der
Begünstigung bereits im Zeitpunkt der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr
vorliegen müssten.
Mit Schreiben vom 20.02.2015 legte der Antragsteller Einspruch gegen den
Einfuhrabgabenbescheid vom 17.02.2015 ein und beantragte die Aussetzung der
Vollziehung. Er beruft sich auf das Drohen eines unersetzbaren Schadens gem.
Artikel 244 Unterabs. 2, 2. Alt. ZK. Wenn den Zollbeamten gleich bei der ersten
Einfuhr aufgefallen wäre, dass die Handelsrechnung nicht korrekt ausgestellt worden
sei, hätte er entsprechend reagieren können. Durch die Nacherhebung sei seine
geschäftliche und private Existenz bedroht.
Mit Schreiben vom 22.03.2015 legte der Antragsteller seine wirtschaftlichen
Umstände dar. Gegenwärtig beziehe er Arbeitslosengeld II und erwarte ab dem
01.12.2015 eine Altersrente in Höhe von ca. 820 €. Seine privaten Schulden bei zehn
Inkassounternehmen beliefen sich auf ca. 380.000 €. Mit seiner freiberuflichen
Tätigkeit habe er im Jahr 2013 noch Verluste erwirtschaftet. Im Folgejahr habe er
einen Überschuss vor Steuern in Höhe von ca. 15.500 € erzielt.
Mit Bescheid vom 21.04.2015 (...) lehnte der Antragsgegner den Antrag auf
Aussetzung der Vollziehung des Einfuhrabgabenbescheides Nr. AT/S/00/...-3 vom
17.02.2015 ab. Es lägen keine begründeten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
Bescheids vor. Der Antragsteller habe auch nicht dargelegt, dass ein unersetzbarer
Schaden drohe, wenn der Bescheid vollzogen werde. Vorliegend sei Art. 1 Abs. 1 der
Verordnung (EU) Nr. 501/2013 anwendbar, mit dem der endgültige Antidumpingzoll
"für alle übrigen Unternehmen" gem. Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 990/2011
auf Einfuhren von Fahrrädern insbesondere aus Sri Lanka ausgedehnt worden sei.
Dieser Antidumpingzoll sei anzuwenden, weil die Ausnahme gem. Art. 1 Abs. 2
Verordnung (EU) Nr. 501/2013 nicht erfüllt sei. Die Handelsrechnungen, die der
Antragsteller vorgelegt habe, erfüllten nämlich nicht die unter Ziff. 2 des Anhangs
dieser Verordnung genannte Anforderung, dass der TARIC-Zusatzcode für den
Hersteller B (XXYY) angegeben werden müsse. Die Angabe dieses Zusatzcodes in
der elektronischen Einfuhranmeldung sei nicht ausreichend. Außerdem fehle das in
Ziff. 3 des Anhangs genannte Datum. Nach ständiger Rechtsprechung müssten
diese Anforderungen bei Annahme der Zollanmeldung vorliegen. Art. 220 ZK stehe
der Nacherhebung nicht entgegen. Die Voraussetzungen von Art. 220 Abs. 2
Buchstabe b, Unterabs. 1 ZK lägen nicht vor. Selbst wenn der Antragsgegner einem
aktiven Irrtum unterlegen wäre, hätte dies dem Antragsteller vernünftigerweise
auffallen müssen. Im Anhang der Verordnung (EU) Nr. 501/2013 sei nämlich klar
geregelt, wie eine Handelsrechnung ausgestaltet sein müsse. Dem Antragsteller
drohe auch kein unersetzbarer Schaden, der gerade durch die angefochtene
Entscheidung verursacht würde. An einer solchen Kausalität zwischen sofortiger
Vollziehung und dem Schaden fehle es, wenn die Insolvenz des Abgabenschuldners
ohnehin eintrete oder sicher zu erwarten sei. Die dargelegten wirtschaftlichen
Verhältnisse ließen nicht erkennen, dass der Antragsteller seine Schulden in
absehbarer und vertretbarer Zeit werde tilgen können. Es liege ohnehin eine hohe
Verschuldung vor, die zu einer eventuellen Insolvenz führe.
Mit Schreiben vom 28.04.2015 legte der Antragsteller Einspruch gegen die
Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung ein. Er sei gutgläubig und ihn treffe kein
Verschulden an der möglicherweise ursprünglich fehlerhaften Festsetzung der
Einfuhrabgaben. Die Voraussetzungen für eine Änderung nach Art. 8 ZK lägen nicht
vor. Wegen seiner finanziellen Lage könne der geltend gemachte Anspruch nicht
realisiert werden. Alle Bemühungen zum Aufbau einer wirtschaftlichen Existenz
würden bei Vollstreckung des Bescheids endgültig zerschlagen werden.
Mit Einspruchsentscheidung vom 19.08.2015 wies der Antragsgegner den Einspruch
als unbegründet zurück. Er vertieft die Begründung des angefochtenen Bescheids.
Im Rahmen der Prüfung des Vertrauensschutzes nach Art. 220 Abs. 2 Buchstabe b
ZK habe jeder Wirtschaftsteilnehmer, auch der rechtlich unerfahrene, die Pflicht, sich
über das geltende Recht zu informieren. Im Übrigen sei die rechtliche Grundlage
nicht kompliziert. Aus der Verordnung (EU) Nr. 501/2013 gehe eindeutig hervor, was
mit dem firmenspezifischen Zusatzcode gemeint sei.
Mit dem am 22.08.2015 gestellten gerichtlichen Eilantrag verfolgt der Antragsteller
sein Begehren weiter. Es gebe keine Rechtsgrundlage für die Änderung der bereits
bestandskräftig festgesetzten 38 Einfuhrabgabenbescheide. Der Antragsgegner
habe durch die beanstandungslose Abfertigung von 38 nämlichen Einfuhren einen
Vertrauenstatbestand geschaffen. Auf § 89 Abs. 1 AO werde hingewiesen. Den
Antragsgegner treffe ein überwiegendes Mitverschulden und es stelle sich die Frage
der Amtshaftung. Es sei zynisch zu behaupten, die Rechtslage sei einfach gewesen,
obwohl 38 Einfuhren zunächst beanstandungslos abgefertigt worden seien.
Der Antragsteller beantragt,
die Vollziehung des Einfuhrabgabenbescheids Nr. AT/S/00/...-3 vom 17.02.2015
auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er verweist auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor: Lediglich in vier
von 39 Fällen seien die Voraussetzungen für die Befreiung des Antidumpingzolls
geprüft worden (Zollanmeldungen Nr. AT/C/42/...-4, ...-1, ...-5 und ...-6). In einem
dieser Fälle sei schließlich aufgefallen, dass die Handelsrechnung nicht
ordnungsgemäß ausgestellt gewesen sei. In den übrigen Fällen seien die Unterlagen
lediglich hinsichtlich der einfuhrumsatzsteuerfreien Lieferung geprüft worden. Die
Angabe des Zusatzcodes auf der Handelsrechnung sei keine bloße Formalie. Der
Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) habe darauf hingewiesen, dass
Befreiungen von Antidumpingzöllen als Ausnahmevorschriften eng auszulegen
seien. Eine Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz sei bei dem Antragsteller, der
Einzelkaufmann sei, schon deshalb nicht möglich, weil er sich auf die
Pfändungsschutzvorschriften der Abgabenordnung berufen könne.
Bei der Entscheidung hat die Rechtsbehelfsakte vorgelegen.
II.
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Nacherhebungsbescheids vom
17.02.2015 bleibt ohne Erfolg.
In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist geklärt, dass im Geltungsbereich
des Zollkodex auch im finanzgerichtlichen Aussetzungsverfahren nach § 69 Abs. 3
FGO die Vorschriften des Art. 244 Unterabs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92
des Rates vom 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl.
EG L 302/1; Zollkodex - ZK) über die Aussetzung der Vollziehung im
Verwaltungsverfahren anzuwenden sind (vgl. BFH, Beschluss vom 11.07.2000, VII B
41/00). Art. 244 Unterabs. 2 Zollkodex bestimmt, dass die Zollbehörden die
Vollziehung der Entscheidung ganz oder teilweise aussetzen, wenn sie begründete
Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung haben oder wenn
dem Beteiligten ein unersetzbarer Schaden entstehen könnte. Begründete Zweifel in
diesem Sinne bestehen, wenn bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen
summarischen Prüfung der angefochtenen Entscheidung neben den für die
Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen auch gegen die Rechtmäßigkeit
sprechende Gründe zu Tage treten, die eine Unentschiedenheit in der Beurteilung
der Rechtslage oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. BFH,
Beschluss vom 22.11.1994, VII B 140/94).
Nach dem vorstehend aufgezeigten Prüfungsmaßstab vermag der Senat nicht
festzustellen, dass begründete
Zweifel an
der Rechtmäßigkeit des
Abgabenbescheides bestehen (dazu 1.). Der Antragsteller hat auch nicht glaubhaft
gemacht, dass ihm durch die sofortige Vollziehung ein unersetzbarer Schaden droht
(dazu 2.).
1. Die Nacherhebung der mit Einfuhrabgabenbescheid vom 17.02.2015 geltend
gemachten Antidumpingzölle dürfte zu Recht erfolgt sein. Der entstandene
Antidumpingzoll wurde bisher nicht erhoben (dazu 1.1). Der Antragsteller hat nicht
glaubhaft gemacht, dass er sich auf Vertrauensschutz berufen kann (dazu 1.2).
1.1
Der
nacherhobene
Antidumpingzoll
dürfte
entstanden
sein.
Ermächtigungsgrundlage für die Nacherhebung von Antidumpingzoll ist Art. 220
Abs. 1 S. 1 ZK. Danach hat die buchmäßige Erfassung einer Zollschuld zu erfolgen,
die nicht buchmäßig erfasst worden ist. Diese Vorschrift ist lex specialis zu dem vom
Antragsteller genannten Art. 8 ZK, der die Rücknahme begünstigender
Entscheidungen nur unter bestimmten Umständen zulässt. Als unmittelbar
anwendbares Unionsrechts geht Art. 220 ZK dem nationalen Abgabenrecht vor
(Alexander, in: Witte, Zollkodex, 6. Aufl. 2013, vor Art. 220, Rn. 11), so dass der
Antragsteller auch aus § 89 AO Nichts für sich ableiten kann.
Nicht erhoben wurde Antidumpingzoll in Höhe von 48,5 % gemäß Art. 1 Abs. 1 der
Durchführungsverordnung (EU) Nr. 501/2013 vom 29.05.2013 zur Ausweitung des
mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 990/2011 eingeführten endgültigen
Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Fahrrädern mit Ursprung in der Volksrepublik
China auf aus Indonesien, Malaysia, Sri Lanka und Tunesien versandte Einfuhren
von Fahrrädern, ob als Ursprungserzeugnisse Indonesiens, Malaysias, Sri Lankas
oder Tunesiens angemeldet oder nicht (ABl. EU L 153/1 vom 05.06.2013; im
Folgenden:
Verordnung
Nr.
501/2013)
in
Verbindung
mit
der
Durchführungsverordnung (EU) Nr. 990/2011 vom 03.10.2011 zur Einführung eines
endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Fahrrädern mit Ursprung in der
Volksrepublik China im Anschluss an eine Auslaufüberprüfung nach Artikel 11
Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1225/2009 (ABl. EU L 261/2 vom 06.10.2011; im
Folgenden: Verordnung Nr. 990/2011).
Nach Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 990/2011 wird ein endgültiger Antidumpingzoll
eingeführt auf die Einfuhren von Zweirädern, ohne Motor, mit Ursprung in der VR
China, die derzeit insbesondere in die Unterposition 8712 0030 KN eingereiht
werden. Nach Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung beträgt der endgültige
Antidumpingzollsatz auf den Nettopreis frei Grenze unverzollt 48,5 %. Durch Art. 1
Abs. 1 der Verordnung Nr. 501/2013 wird dieser endgültige Antidumpingzoll
grundsätzlich ausgeweitet "für alle übrigen Unternehmen", die derartige Waren
insbesondere aus Sri Lanka in die Union versenden. Eine Ausnahme gilt für
diejenigen Zweiräder, die von den im Einzelnen aufgeführten Unternehmen
hergestellt werden (Art. 1 Abs. 1 a. E. der Verordnung Nr. 501/2013). Nach Art. 1
Abs. 2 S. 1 der Verordnung Nr. 501/2013 setzt die Befreiung vom Antidumpingzoll für
die im einzelnen aufgeführten Hersteller voraus, dass den Zollbehörden der
Mitgliedstaaten eine gültige Handelsrechnung vorgelegt wird, die den im Anhang der
Verordnung festgelegten Anforderungen entspricht. Danach muss die gültige
Handelsrechnung die folgenden Angaben enthalten:
1.
Name und Funktion der im Unternehmen für die Ausstellung von
Handelsrechnungen zuständigen Person.
2.
Folgende Erklärung: "Der/Die Unterzeichnete versichert, dass die auf dieser
Rechnung aufgeführten und zur Ausfuhr in die Europäische Union verkauften
[Mengenangabe] [betroffene Ware] von [Name und Anschrift des Unternehmens]
[TARIC-Zusatzcode] in [betroffenes Land] hergestellt wurden und dass die Angaben
auf dieser Rechnung vollständig und richtig sind".
3.
Datum und Unterschrift.
Die englische Fassung von Nr. 2 des Anhangs lautet:
The following declaration: 'I, the undersigned, certify that the (volume) of (product
concerned) sold for export to the European Union covered by this invoice was
manufactured by (company name and address) (TARIC additional code) in (country
concerned). I declare that the information provided in this invoice is complete and
correct';
Wird eine Handelsrechnung, die diesen Anforderungen nicht genügt, vorgelegt, ist
der gemäß Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 501/2013 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 der
Verordnung Nr. 990/2011 geltende Antidumpingzoll zu erheben (Art. 1 Abs. 2 S. 2
der Verordnung Nr. 501/2013).
Die Voraussetzungen von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 501/2013 liegen vor. Der
maßgebliche Zeitpunkt hierfür ist die Annahme der Zollanmeldung (Art. 67 ZK i. V. m.
Art. 1 Abs. 4 Verordnung Nr. 501/2013; siehe auch FG Hamburg, Urteil vom
20.06.2006 - 4 K 193/03 -, Rn. 26, juris). Die hier erfolgte Anmeldung zur
Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr umfasst auch die Anwendung der
handelspolitischen Maßnahmen (Art. 79 Unterabs. 2 ZK), zu denen
Antidumpingzollmaßnahmen gehören (Art. 20 Abs. 3 Buchst. g) ZK).
1.1.1 Die Verordnung Nr. 501/2013 ist zeitlich ab dem 06.06.2013 anwendbar (Art. 4
der Verordnung). Die hier in Rede stehenden Einfuhren fanden vom 14.-20.01.2015
statt.
1.1.2 Im vorliegenden Fall wurden Fahrräder der TARIC-Warennummer 78712 0030
10 0 eingeführt, die vom sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr.
990/2011 erfasst sind (siehe Art. 1 Abs. 1 der Verordnung). Diese Waren wurden aus
Sri Lanka versandt, so dass der Ausdehnungstatbestand gemäß Art. 1 Abs. 1
Verordnung Nr. 501/2013, der für derartige Fahrräder gilt, erfüllt ist.
1.1.3 Die Voraussetzungen für eine unternehmensspezifische Befreiung von dem
danach grundsätzlich zu erhebenden Antidumpingzoll sind im Hinblick auf die hier in
Rede stehenden Einfuhren nicht gegeben. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft
gemacht, dass die Voraussetzungen von Art. 1 Abs. 2 S. 1 Verordnung Nr. 501/2013
erfüllt sind. Die vorgelegten Handelsrechnungen des Herstellers B (Bl. 854 ff. der
Sachakte) erfüllen nämlich nicht die formalen Voraussetzungen, die im Anhang der
Verordnung Nr. 501/2013 genannt sind. Zwar ist fraglich, ob es im Hinblick auf das
Erfordernis, dass ein Datum angegeben werden muss (Nr. 3 des Anhangs),
ausreichend ist, dass die Rechnung selbst - wie hier - ein Datum trägt. Dies kann
jedoch dahinstehen, weil die Handelsrechnung nicht den von Nr. 2 des Anhangs
geforderten TARIC-Zusatzcode (in der englischen Fassung: "TARIC additional code")
enthält, der für das Unternehmen B nach der Liste in Art. 1 Abs. 1 der Verordnung
Nr. 501/2013 "XXYY" lautet. Auf den Handelsrechnungen ist vielmehr lediglich "Tariff
Code: 8712003010" vermerkt. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um den
unternehmensspezifischen Zusatzcode, sondern die zehnstellige Tarifnummer des
Integrierten Tarifs der Europäischen Gemeinschaften (TARIC) gemäß Art. 2 der
Verordnung (EWG) Nr. 2658/87. In Anbetracht des eindeutigen Wortlauts der
Verordnung ist es nicht ausreichend, dass der Zusatzcode in der elektronischen
Einfuhranmeldung angegeben wurde. Anders als der Antragsteller meint, handelt es
sich bei der Verpflichtung zur Angabe dieses Zusatzcodes in der Handelsrechnung
nicht um eine bloße Förmelei (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall: FG Hamburg,
Urteil vom 20.06.2006 - 4 K 193/03 -, Rn. 30, juris). Die Befreiung von dem
Antidumpingzoll stellt eine Ausnahmeregelung dar, die nach der Rechtsprechung des
EuGH eng auszulegen ist (EuGH, Urteil vom 17.09.2014, Rs. C-3/13, Rn. 24 m. w.
N.). Eine Handelsrechnung muss also den im Anhang zur Verordnung Nr. 501/2013
genannten Voraussetzungen genau entsprechen (vergleiche zu einer
Verpflichtungserklärung mit ähnlichem Inhalt: EuGH, Urteil vom 17.09.2014, Rs. C3/13, Rn. 27). Im Übrigen ordnet Art. 1 Abs. 2 S. 2 der Verordnung Nr. 501/2013
ausdrücklich an, was geschieht, wenn eine Handelsrechnung vorgelegt wird, die
nicht den Anforderungen des Anhangs der Verordnung entspricht. In diesem Fall soll
nämlich der mit Art. 1 Abs. 1 der Verordnung ausgedehnte Antidumpingzoll gemäß
Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 990/2011 zur Anwendung kommen.
Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob die Auslassung der Wörter "certify
that" in den Handelsrechnungen eine weitere beachtliche Abweichung von dem
Erklärungstext nach Nr. 2 des Anhangs der Verordnung Nr. 501/2013 darstellt.
1.2 Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass er Vertrauensschutz
beanspruchen kann. Nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b) Unterabs. 1 ZK erfolgt keine
nachträgliche buchmäßige Erfassung, wenn der gesetzlich geschuldete
Abgabenbetrag aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden nicht buchmäßig erfasst
worden ist, sofern dieser Irrtum vernünftigerweise vom Zollschuldner nicht erkannt
werden konnte und dieser gutgläubig gehandelt und alle geltenden Bestimmungen
über die Zollerklärung eingehalten hat.
1.2.1 Bei einem Irrtum im Sinne von Art. 220 Abs. 2 ZK bedarf es eines so
genannten "aktiven Irrtums", also eines Irrtums, der auf ein Handeln der zuständigen
Behörde zurückzuführen ist. Nicht ausreichend ist ein Irrtum, dem die Zollbehörde im
Zeitpunkt der Abgabenerhebung wegen unzutreffender oder unvollständiger
Angaben des Abgabenschuldners unterlag (BFH, Urteil vom 07.06.2011 - VII R 36/10
-, BFHE 234, 77, Rn. 9; FG Hamburg, Urteil vom 18.02.2014 - 4 K 6/13 -, Rn. 26,
juris). Ein solcher aktiver Irrtum lag allenfalls in den drei Fällen vor, in denen der
Antragsgegner geprüft hat, ob die vorgelegten Einfuhrunterlagen die Befreiung von
dem Antidumpingzoll rechtfertigen. Anders als in den übrigen Fällen, in denen keine
Unterlagenprüfung durchgeführt wurde, ist die buchmäßige Erfassung der
Antidumpingzölle in diesen Fällen unterblieben, weil der Antragsgegner den
fehlenden unternehmensspezifischen TARIC-Zusatzcode auf der Handelsrechnung
nicht entdeckt hat.
1.2.2 Ob ein aktiver Irrtum vorliegt, kann jedoch dahinstehen, da das irrtümliche
Unterlassen der buchmäßigen Erfassung vernünftigerweise vom Antragsteller als
Zollschuldner hätte erkannt werden können.
Für die Beantwortung der Frage, ob ein Irrtum vom Zollschuldner hätte erkannt
werden können, kommt es auf eine konkrete Beurteilung aller Umstände des
Einzelfalls an, wobei namentlich (nicht nur) die Art des Irrtums, die Erfahrung und die
Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers zu berücksichtigen sind. Allein der Umstand,
dass die Zollbehörden sich geirrt haben, bedeutet nicht, dass der Irrtum für den
Wirtschaftsbeteiligten nicht erkennbar war. Der Beteiligte muss sich über die in
Betracht kommenden Rechtsvorschriften informieren (BFH, Beschluss vom
23.03.2000 - VII B 299/99 -, Rn. 13, juris, m. w. N.). Bedient sich der Einführer - wie
hier - bei der Abfertigung eines Vertreters, so kommt es für die Erkennbarkeit des
Irrtums auf dessen Verhalten und Kenntnisse an (Alexander, in: Witte, Zollkodex, 6.
Aufl. 2013, Art. 220, Rn. 26; Gellert, in: Dorsch, Zollrecht, 135. EL, März 2012, Art.
220 ZK, Rn. 62 m. w. N. aus der Rspr.; siehe auch BFH, Urteil vom 02.04.1987 - VII
R 60/84 -, BFHE 150, 93, Rn. 9).
Gemessen an diesen Maßstäben, war es jedenfalls für die vom Antragsteller als
Vertreterin eingeschaltete Spedition, die im F ... e. V. organisiert ist (...), erkennbar,
dass die bei der Abfertigung vorgelegten Handelsrechnungen nicht den Vorgaben
der Verordnung Nr. 501/2013 entsprachen. Sämtliche Anforderungen an die
Handelsrechnung und die Rechtsfolge, die eintritt, wenn diese Anforderungen nicht
erfüllt sind, ergeben sich aus dieser Verordnung. So bestimmt Art. 1 Abs. 2 S. 1
Verordnung Nr. 501/2013 unmissverständlich, dass eine Befreiung vom
Antidumpingzoll nur möglich ist, wenn eine Handelsrechnung vorgelegt wird, die den
im Anhang festgelegten Anforderungen entspricht. In diesem Anhang ist im
Einzelnen aufgelistet, welche formalen Anforderungen zu erfüllen sind. Es ist auch
leicht möglich festzustellen, dass die vorgelegten Handelsrechnungen diese
Anforderung nicht erfüllen. Der dort angegebene, zehnstellige numerische "Tariff
code" ist nicht der vierstellige alphanumerische TARIC-Zusatzcode "XXYY" für das
Unternehmen B. Die Spedition muss sich den Anforderungen, die die Verordnung Nr.
501/2013 stellt, auch bewusst gewesen sein. Sie hat nämlich bei der Zollanmeldung
den Zusatzcode XXYY eingegeben, hierbei jedoch übersehen, dass dieser Code
auch auf der Handelsrechnung genannt sein muss. Der Antragsteller kann sich nicht
dadurch exkulpieren, dass der Antragsgegner in drei von vier geprüften Fällen die
fehlende Übereinstimmung der Handelsrechnung mit den Anforderungen des
Anhangs der Verordnung Nr. 501/2013 nicht moniert hat. Allein daraus, dass
Zollbeamte im Rahmen der Massenabfertigung eine ungenaue Prüfung vornehmen,
kann der Wirtschaftsbeteiligter nicht folgern, dass ein solche Irrtum, der bei einem
schlichten Abgleich des Inhalts der Handelsrechnung mit den Vorgaben des
Anhangs der Verordnung Nr. 501/2013 möglich gewesen wäre, vernünftigerweise
von ihm nicht hätte erkannt werden können.
2. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm durch die sofortige
Vollziehung des Einfuhrabgabenbescheids vom 17.02.2015 ein unersetzbarer
Schaden droht. Bei der Auslegung des Begriffs "unersetzbarer Schaden" ist an den
Begriff "nicht wiedergutzumachender Schaden" anzuknüpfen, der zu den
Voraussetzungen für die in Art. 278 AEUV vorgesehene Aussetzung der
Durchführung einer Handlung gehört. Ein durch die Vollziehung der Entscheidung
der Zollbehörde drohender finanzieller Schaden ist nur dann als unersetzbarer
Schaden i. S. d. Art. 244 Unterabs. 2 ZK anzusehen, wenn er im Fall des Obsiegens
des Antragstellers im Hauptsacheverfahren nicht vollständig ersetzt werden könnte,
so etwa im Fall der Insolvenz des Abgabenschuldners. Ein unersetzbarer Schaden in
diesem Sinne liegt nach der Rechtsprung des EuGH nur dann vor, wenn dieser
schwer und nicht wiedergutzumachen ist. Letzteres soll nur dann der Fall sein, wenn
der Schaden im Falle des Obsiegens im Hauptsacheverfahren nicht vollständig
ersetzt werden könnte, weil etwa die Existenzgefährdung des Unternehmens droht
(FG Hamburg, Beschluss vom 28.05.2014 - 4 V 63/14 -, Rn. 21, juris, m. w. N.).
Dass ihm ein solcher Schaden droht, hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht.
In Anbetracht seiner privaten Verbindlichkeiten in Höhe von ca. 380.000 €, der
geringen Altersrente, die durch seine selbständigen Tätigkeit bisher nur geringfügig
aufgestockt wird, sowie seines bereits fortgeschrittenen Lebensalters ist nicht zu
erwarten, dass er die mit dem Einfuhrabgabenbescheid vom 17.02.2015 geltend
gemachte Forderung wird erfüllen können. Da der Antragsteller auch nicht das
Bestehen weiterer Vermögenswerte vorgetragen hat, ist unter Berücksichtigung von
Schuldnerschutzvorschriften (insbesondere § 295 S. 1 AO i. V. m. §§ 811-812, 813
Abs. 1-3 ZPO, § 319 AO i. V. m. §§ 850-852 ZPO) nicht zu erwarten, dass
Vollstreckungsversuche Erfolg haben werden. Da die Vollziehung des Bescheids
vermutlich weitgehend ins Leere laufen wird, kann sie nicht zu einem Schaden
führen, der - bei unterstellter Rechtswidrigkeit des Bescheids - nicht wieder
gutgemacht werden könnte.
Ferner hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass die sofortige Vollziehung
kausal für einen unersetzbaren Schaden wäre (zu diesem Erfordernis: Alexander, in:
Witte, Zollkodex, 6. Aufl. 2013, Art. 244, Rn. 26). Die Vollziehung ist dann nicht
auszusetzen, wenn die Vollziehung als solche und nicht gerade die sofortige
Vollziehung den Schaden herbeiführte (Dorsch/Rüsken, 144. EL, November 2013,
Art. 244 ZK, Rn. 52). Die bereits dargelegte finanzielle Situation des Antragstellers
lässt diese Kausalität entfallen. Da nicht ersichtlich ist, dass der Antragsteller seine
übrigen Verbindlichkeiten erfüllen kann, führte eine Vollstreckung wegen der
Antidumpingzölle nicht zu einer weiteren Verschlechterung seiner finanziellen
Situation.
3. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 135 Abs. 1, 128 Abs. 3 i. V. m. 115
Abs. 2 FGO.

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