REMOTE CITIZEN
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REMOTE CITIZEN
REMOTE CITIZEN INSTANT URBAN REMOTE PERFORMANCE Titel REMOTE CITIZEN Art Performance im öffentlichen Raum Das Team Christian Kuntner Astride Schlaefli Martin Schick Herkunft Die drei Initiatoren und Gründer kommen aus verschiedenen Kunstbereichen. Astride Schlaefli ist Pianistin, Regisseurin und Performerin, Martin Schick Filmschauspieler und vermehrt in Tanzprojekte involviert, Christian Kuntner ist Musiker, Performer und bewegt sich mit seinen Audioinstallationen in den angrenzenden Bereichen der Darstellenden Kunst. Erklärtes Ziel der Gruppe ist die performante, spontane Inszenierung, Durchmischung und Darstellung von Theater, Tanz, Musik, Performance und Objektkunst im öffentlichen Raum. Der kreative Antrieb ist für die drei derselbe: die Suche nach immer neuen Formen der Darstellung, das Verlassen ausgetretener Pfade, die Herausforderung und Konfrontation mit dem Unbekannten. Keywords REMOTE CITIZEN ist kein Sprechtheater, kann demzufolge ohne weiteres über Sprach- und Landesgrenzen hinaus angeboten werden. Konzept, Regie, Recherche Regie, Recherche Regie, Körperarbeit REMOTE CITIZEN ist interaktiv, bewegt sich in den Städten von Ort zu Ort und erfordert von allen Teilnehmern höchste Konzentration. REMOTE CITIZEN lebt inhaltlich und thematisch von der intensiven Auseinandersetzung mit der kulturellen, sozialen und politischen Situation der jeweiligen Austragungsorte. Partner, Netzwerk Da wir für die Durchführung von REMOTE CITIZEN jeweils bis zu 50 oder mehr Akteure vor Ort benötigen, ist ein zentraler Teil des Projekts die Kooperation mit Partnern in den jeweiligen Städten. Dies sind Schauspielschulen, Akademien, Kunsthochschulen sowie schon bestehende Companies in der Schweiz und im Ausland. Neben der klaren Kanalisation auf wenige, kompetente Ansprechpartner in der Organisation, bedeutet dies auch der optimale, sternförmige Aufbau eines strukturierten Netzwerks. Dieses vereinfacht die Verbreitung unserer Idee enorm und erleichtert somit auch die Öffentlichkeitsarbeit. Form und Funktion Die jeweils neu zusammengestellte Gruppe von Performern bildet ein autonomes System, welches die Fähigkeit besitzt, sich im übergeordneten System des öffentlichen Raums zu verstecken. Dies funktioniert nur, wenn die Teilnehmer nicht kostümiert sind oder anderweitig klar erkennbare Merkmale aufweisen. Diese Individualität des Einzelnen wird dann im Sinn der Funktionalität des Systems als Performanceplattform abgelegt, sobald von der Regie eine Aktion ausgelöst wird. Zur Synchronisierung aller Aktion benutzen wir ein System mit mobilen Sendern und Empfängern. Die Regie sendet, die Teilnehmer empfangen. Ein Vorteil der Mobilität ist, dass wir uns formal klar und eindeutig von einem Strassentheater oder einem klassischen Flashmob unterscheiden. Einige Elemente erinnern an diese Darstellungsformen, aber dank unseres Systems können wir jederzeit und in sekundenschnelle eine neue Aktion auslösen, die nicht vorausgeplant sein muss und können die Truppe spukhaft auf- und untertauchen lassen. Inhalt, Regiearbeit, Arbeit mit den Teilnehmern Da der formale Aspekt der Performance sich an den klassischen Regeln der Performancekunst (wie sie teilweise seit den 1970er Jahren definiert werden) hält, entspricht die Form den Inhalt und umgekehrt. Das heisst, die äussere Interpretation wird dem Zuseher überlassen. Um die performante Darstellungsweise zu halten, müssen die Akteure in einem kurzen aber intensiven Training auf den Auftritt vorbereitet werden. Die innere Interpretation, die vorbereitende Regiearbeit, die Auseinandersetzung mit den vorliegenden Gegebenheiten obliegt den drei „Online-Regisseuren“. Wir begehen die Orte, machen uns Gedanken zu Inhalten die mit Passantenströmen, architektonischen Strukturen, Verkehrssituationen und ähnlichem verknüpft werden können. Das heisst, wir legen uns einen Plan zurecht. Dies aber im Bewusstsein, das stets höchste Flexibilität von unserer Seite gefordert wird: Wir müssen einerseits auf die Durchmischung der Gruppe und individuelle Fähigkeiten reagieren können, andererseits interaktiv auf sich verändernde äussere Bedingungen eingehen. Es kann regnen, in der Stadt wird gefeiert, demonstriert, und plötzlich ist da eine Baustelle, wo vor einer Woche noch ein Durchgang war. Wir haben die Regiearbeit analysiert und sie aufgrund unserer individuellen Fähigkeiten „weich“ verteilt: Christian Kuntner, der das Gesamtkonzept erarbeitet hat, nutzt all seine Erfahrungen als Multimedialist, arbeitet mit klingenden Objekten und versucht den vorhandenen Raum bis an die Grenze auszunutzen, geometrische Muster zu bilden, die gesamte Dynamik des öffentlichen Raumes auszunutzen. Mit Astride Schlaefli ist eine Regisseurin und Musikerin im Regieteam, die es ausserordentlich versteht, die speziellen Fähigkeiten oder Auffälligkeiten eines Menschen sofort wahrzunehmen und diese auf subtile Weise in die Performance einbaut. Martin Schick ist grösstenteils ist für das Körpertraining und die tänzerisch-choreografischen Elemente zuständig und baut diese in die Performance ein. Das Training ist ein wichtiger Teil der Vorbereitung und Martin ist der perfekte Trainer, um die für nur diesen einen Tag zusammengestellte Truppe auf die Performance vorzubereiten. Durch das geschickte einstreuen theatraler Themen, bei denen auf die Individualität und Emotionalität der einzelnen Teilnehmern gezählt wird, verhindern wir, dass die Performance zu einer Machtdemonstration der Regie verkommt. Diese durchaus sehr fröhlichen Momente verbinden die Teilnehmer stark und das Vertrauen ineinander wächst. Diese grosse Vertrauen wiederum schweisst die Gruppe immer mehr zusammen, was zur Folge hat, dass die synchronen Aktionen immer besser funktionieren, die Gruppe auf einmal wirklich als autonomes System funktioniert. Wohlgemerkt ist dies keine Arbeit über Wochen, sondern Resultat eines einzigen, sehr intensiven, fokussierten Tages, inklusive Training und Vorbereitungen. Soziokultureller Aspekt Es scheint, dass unsere Arbeit mit den Teilnehmern eine Lücke im kulturellen Angebot schliesst: Bei REMOTE CITIZEN arbeiten wir zwar nur während einer kurzen Zeit mit den Akteuren zusammen, dies aber in einer sehr kompakten, konzentrierten Form. Diese Form der Arbeit ist ein Teil des Erfolges von Remote Citizen. Diejenigen die mitmachen, sind nicht dazu verpflichtet, über lange Zeit etwas zu erarbeiten, werden von uns aber in professioneller Weise in ein sich stetig weiterentwickelndes Projekt integriert und können so ihr kulturelles Interesse aktiv umsetzen. Dieser Aspekt gewinnt ungeheuer an Bedeutung in Hinblick auf die geplanten Auftritte, die in diesem Dossier beschrieben werden. Wir werden unter anderem in Städten auftreten, in denen diese Form der Darstellung angesichts der vorherrschenden politischen und sozialen Prägung des Landes eine gewisse Sprengkraft enthält. Durch den aktiven Einbezug von da lebenden Menschen vermeiden wir aber eine Zurschaustellung unserer eigenen Fähigkeiten und hoffen, den Teilnehmern durch unser Projekt Mut zu machen, in Zukunft auch selbst und auf spielerische Weise gewisse Grenzen zu durchbrechen. Im Folgenden unsere Gedanken zu den einzelnen Spielorten und zur prozesshaften, inhaltlichen und thematischen Umsetzung, dessen, was uns vor Ort erwartet. MINSK Teilprojektleitung Madeleine Rey, Aarau Partner vor Ort Galerie U, www.bellabelarus.com Goethe-Institut Minsk Vertretung der Schweizer Botschaft in Belarus Statement Madeleine Rey „Remote Citizen, Instant Urban Remote Performance, eignet sich ausgesprochen für eine Umsetzung im öffentlichen Raum in der belarussischen Hauptstadt Minsk. Einerseits lässt der offizielle Staat keine freie, öffentliche Meinungsäusserung zu. Zensur ist im offiziellen Kulturbetrieb kein Fremdwort. Freie Medien gibt es praktisch keine im Land. Trotzdem gibt es im Kunstbereich eine vorwärts gewandte Bewegung, die sich heute hauptsächlich um die Galerie U konzentriert. Die Galerie U befindet sich versteckt im Hinterhof unmittelbar beim Siegesplatz und ist der zentrale Treffpunkt mit der Bar MALAKO, der Buchhandlung LOHVINAU und einem Designbüro. Hier finden Ausstellungen, Buchvernissagen, Diskussionen, Workshops statt: Eine Oase, wo Freiheit unter schwierigen Bedingungen gelebt werden will. U ist gut vernetzt, mit den ausländischen Botschaften, die in Minsk akkreditiert sind Veranstaltungen werden oft zusammen mit dem Goethe Institut gemeinsam durchgeführt und vereint die innovativsten zeitgenössischen Tendenzen in Belarus. Die Isolation von europäischen KunstDiskursen, die unter dem gegenwärtigen Präsidenten Remote Citizen ist eine Auseinandersetzung über Selbstbestimmung, die es in Belarus nur im Privaten gibt. Oder genauer: eine Auseinandersetzung über ein System, in dem der einzelne Mensch Teil einer gehorchenden Masse ist. Es gibt nur wenig Handlungsspielraum für Demokratiebildung, Remote Citizen wirkt in diese Richtung. Minsk, die belarussische Hauptstadt, ist sowjetische Heldenstadt und sozialistische Musterstadt, ein architektonisches Freiluftmuseum der Sowjetunion. Breiten Strassen, grosse Plätze und viele neoklassizistisch-stalinzeitliche Gebäude bestimmen die Dimension des Raumes. Zu einem Bildersturm ist es nach dem Ende der Sowjetunion nur sehr begrenzt gekommen. Die Denkmäler von Lenin und Dscherzhinski, dem Gründer der sowjetischen Geheimpolizei, blieben unangetastet stehen. Dieser Raum ist die ideale Bühne für die Intervention von Remote citizen.“ Umsetzung Zentraler Teil der Umsetzung von Remote Citizen in Minsk wird die Vorbereitung mit den Teilnehmern sein. Wir werden aufgrund von persönlichen, uns per Email zugesandten Wunschvorstellungen einer freien Meinungsäusserung, eine Analyse dieser Gedanken vornehmen. Diese Analyse wird von uns eingesetzt, um neue Bewegungs- und Ausdrucksformen zu definieren, welche dann in möglichst eindeutiger, einfacher Form in das Grundkonzept der Performance einfliessen werden. Dies können Einzel- oder Kollektivaktionen sein. Da wir uns der politischen Situation in Weissrussland bewusst sind (und Massenansammlungen schnell zu Problemen führen können), wird die Performance als kreative Stadtbegehung, mit Startpunkt Galerie U, ausgewiesen. Im Laufe dieses Rundgangs werden wir zusammen mit den Akteuren und auf spezielle Weise mit dem Charm von Minsk spielen. Es steckt ein ungeheurer Reiz hinter der Idee, in einem Land, das absolut und teilweise despotenhaft regiert wird, eine Performance durchzuführen, die systembedingt und im Moment der Aktion auf einem undemokratischen Prinzip beruht. Der Fakt aber, dass wir uns mit dem Auftritt in einer rechtlichen Grauzone, was Freiheit bedeutet, befinden, zeigt den eigentlichen politischen, sozialen, und kulturellen Inhalt und die Tragweite der Durchführung von Remote Citizen in Minsk auf. Gerade aus diesen Gründen wird die anschliessende, auch von unseren Partnern gewünschte, Nachbereitung direkt nach der Performance zu einem sicherlich sehr spannenden und aufschlussreichen Abschluss werden. ISTANBUL Partner vor Ort C-U-M-A, Contemporary Utopia Management, www.c-u-m-a.org, Ece Pazarbasi, Esra a. Aysun Goethe-Institut Istanbul Hintergründe Obwohl die Türkei ein eigentlich moderner Staat ist, bemerkt man, wenn man vor Ort auf Reisen ist und mit der Bevölkerung in Kontakt tritt, schnell, dass hinter der Oberfläche sehr viel Unverdautes, Unverarbeitetes lauert. Die diversen Exekutiven spielen noch immer mit der Routine des kollektiven Vergessens, versuchen so von existierenden oder vergangenen Missständen abzulenken: Was nicht gesagt, gedruckt oder sonstwie gezeigt wird, existiert nicht. Zum Glück engagieren sich gerade auch Künstler sehr stark, dass dem nicht so ist. Mit viel Mut und Offenheit werden politische, geschichtliche, religiöse und soziale Themen aufgegriffen und zum Teil in sehr ausdrucksstarker Form präsentiert. C-U-M-A, unsere Partnerorganisation in Istanbul, ist eine dieser Gruppierungen, die sich sehr für eine Öffnung des Systems einsetzt. Sie tun dies hauptsächlich im kulturellen Bereich und arbeiten auch mit Künstlern aus dem Ausland zusammen. Mit diversen Aktionen im öffentlichen Raum hat C-U-M-A gezeigt, dass, entgegen der Meinung der Regierung, sehr wohl ein Bedürfnis dafür besteht. Und dies darf auch mal mehr als traditionelle Strassenkunst sein. Umsetzung Wir werden mit C-U-M-A sehr eng zusammenarbeiten, sie in den kreativen Prozess der inhaltlichen Gestaltung unserer Performance in Istanbul mit einbeziehen, da sie die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Stadt bestens kennen. In ersten Besprechungen hat sich heraus kristallisiert, dass das „security problem“ zum Inhalt unseres Auftritts wird. Obwohl wir uns mit Remote Citizen immer berührungs- und lautlos, ohne sichtbare Spuren zu hinterlassen im öffentlichen Raum bewegen, sind Begegnungen mit Ordnungshütern, wenn auch nicht programmiert, so doch möglich. Da in Istanbul unter anderem auch sehr viele zivile Polizisten unterwegs sind, werden wir versuchen, den Spiess umzudrehen: Ziel der Performance wird sein, mit vollster Konzentration und kleinsten Aktionen möglichst unsichtbar zu sein. Alle Aktionen, die eine eindeutige, sichtbare strukturelle Veränderung des Passantenstroms darstellen, werden innert Sekundenbruchteilen abgebrochen. Die Truppe löst sich blitzschnell auf und jeder einzelne verschwindet in der Masse, bis die nächste Aktion an einem anderen Standort ausgelöst wird. Wir werden das Spiel soweit auf die Spitze treiben, dass ein Zuschauer nie sicher ist, ob nun was gesehen hat, oder ob dies eine Sinnestäuschung war. Alle von den Teilnehmer zu übenden Elemente werden einem Thema untergeordnet: synchronisierte Miniatur-Choreografien für jeden einzelnen, repetitiv ausgeführt. Eine Art kollektiver Autismus, der von uns, der von uns an der Grenze zwischen sichtbar und unsichtbar geführt wird. JEREWAN Teilprojektleitung Nadine Basler, Aarau Partner vor Ort Raffi Niziblian, director of DEEM Communications Nadine Basler Hintergründe Jerewan, auch Eriwan, ist die Hauptstadt und mit 1.201.322 Einwohnern grösste Stadt Armeniens, ist das wirtschaftliche, kulturelle, wissenschaftliche Zentrum des Landes und ist wegen der Grösse der Stadt eine eigene Provinz. Jerewan wurde zur Hauptstadt der Armenischen SSR (Armenisch sozialistischen Republik) und machte eine große Entwicklung durch. Unter dem Architekten Alexander Tamanian wurde das Stadtbild radikal geändert. Viele historische Gebäude, wie Kirchen, Moscheen, die persische Festung, Bäder, Bazare und Karawansereien wurden abgerissen. Viele Stadtdistrikte wurden nach den alten armenischen Heimatorten des osmanischen Reiches benannt. So wurden die Distrikte Arabkir, Malatya-Sebastia und Nork Marash nach den heute türkischen Städten Arapgir, Malatya, Sivas und Marasch benannt. In der Stadt befand sich ein Gefangenenlager für deutsche Kriegsgefangene des Zweiten Weltkriegs. Die Kriegsgefangenen wurden beim Bau von Gebäuden und Brücken eingesetzt. Seit 1991 ist Jerewan die Hauptstadt des unabhängigen Armeniens. Auf einer Hochebene gelegen ist der Ararat allgegenwärtig. Egal wie und wo man sich in der Stadt bewegt, es gibt immer eine Lücke durch welche der imposante Berg zu sehen ist. Durch die zentrale Lage, wurde Jerewan zu einem wichtigen Handelsknoten (nach der Eroberung durch die Araber 658), wo verschiedenste Kulturen, Religionen und Ansichten aufeinander trafen. Seit Beginn dieser Zeit ranken sich allerlei Mythen und Geistergeschichten um diese Gegend. Unzählige urbane Mythen wurden geschaffen, welche bis in die heutige Zeit überlebt haben. Diese diversen Mythen sind der Ausgangspunkt unsrer Recherchearbeit. Umsetzung Da jeder Bewohner der Stadt diese Geschichten kennt, nehmen wir diese auf und transformieren sie zu Gesten, Gruppenbewegungen und Choreografien, welche wiederum von den Akteuren multipliziert wiedergegeben werden. Als inhaltlich zweite Ebene benutzen wir die aktuellere politische und kulturelle Geschichte des Landes. Die Zeit nach dem 29. November 1920 (Besetzung der Stadt durch die Rote Armee), ist geprägt von Auswanderung und dem Versuch, die Schandtaten des osmanischen Reiches zwischen 1915 und 1917 aufzuklären. Leider wurde der Genozid von vielen Ländern verschwiegen. Auch die Sowjetunion liess bis nach dem Tod Stalins keine Diskussion über die Ereignisse aufkommen. Natürlich liessen sich die Armenier, welche ihr Land nicht verliessen, nicht kleinkriegen. Sie etablierten eine codierte Sprache und waren sehr erfinderisch im Einsatz von Symbolen. So errichteten sie eine Parallelwelt, in der eigene Gesetze herrschten. Zeichen dieser Zeit sind auch heute noch sichtbar. Diese lokale Parallelwelt, sowie die Existenz einer grossen, weltweiten Diaspora, werden wir mit unserer Performance, die selbst auch alle Aspekt einer Parallelwelt enthält, symbolisieren und auf dynamische, spielerische Weise umsetzen. MARSEILLE Partner vor Ort RedPlexus, Christine Bouvier, Festival Préavis de désordre urbain, www.redplexus.org Hintergründe Marseille ist mit ca. 900‘000 Einwohnern nach Paris die zweitgrösste Stadt Frankreichs. Das Ballungsgebiet Marseille hat, wenn man die unmittelbar angrenzenden Städte wie Allauch, Aubagne und Penne-sur-Huveaune hinzuzählt, ungefähr 1,35 Millionen Einwohner und ist damit nach Paris und Lyon die drittgrösste Agglomeration Frankreichs. Marseille ist Sitz eines Grossmuftis und das Zentrum des Islam in Frankreich. Im 19. Jahrhundert wuchs Marseille zum bedeutendsten Hafen des französischen Kaiserreiches, vor allem auch dank der französischen Kolonialisierung in Afrika und Indochina. Die Entwicklung und Bedeutung des Hafens verstärkte sich noch mit dem Beginn der Industrialisierung und erst recht mit der Eröffnung des Suezkanals 1869. In der Nachkriegszeit, auch in Frankreich Zeit eines starken wirtschaftlichen Aufschwungs wuchs die Stadt unaufhörlich weiter, bis es dann Ende der 1970er Jahre zu erheblichen Problemen mit zunehmender Kriminalität, Verschmutzung und wachsendem Verkehr kam. Marseille verlor innerhalb von zehn Jahren 10 % seiner Bevölkerung durch Abwanderung, u. a. in die Vorstädte. Die Bürgermeister unternahmen in dieser Zeit grosse Anstrengungen, um der Kriminalität, der grossen Zahl der illegalen Zuwanderer aus Nordafrika sowie dem Verfall der Stadt Herr zu werden. Seit den 90er Jahren wandelt sich das Bild der Stadt langsam, die Wirtschaft wächst wieder, neue Industrien siedeln sich an und die Stadt unternimmt grosse Anstrengungen, um das Stadtbild zu verschönern. Umsetzung Thema unserer Performance in Marseille wird die virtuelle Verbindung zweier mehr oder weniger romantischen Klischées sein: Hafen, Reisen und Fernweh aus der Sicht eines Reisenden (mit all den dazugehörigen Attributen) Hafen, Reisen und Fernweh aus der Sicht der Einwanderer (auch hier mit den dazugehörigen Attributen) Wir untersuchen, wo sich Schnitt-und Berührungspunkte befinden, auf welch unterschiedliche Art sich dieselbe Romantik in Symbolen, Gesten und Handlungen äussert. Hier werden wir zum Grossteil mit dem Bild der kompakten Gruppe („Gang“) arbeiten, in welcher sich so einiges mehr ausleben lässt, als wenn jemand sich alleine in den Strassen bewegt... (In der Realität als auch in unsrer Performance). Da die Bevölkerung von Marseille beide Seiten sehr gut kennt, wird es spannend sein, quasi bildlich die Seite zu wechseln: Die Menschenschlange vor einem Bankomat ruft andere Emotionen hervor als die Menschenschlange vor der Einwanderungsbehörde. Wir hoffen, dass sich in Marseille die Anmeldungen quer durch alle Gesellschaftsschichten ziehen und auch wir im direkten Gespräch mit den Teilnehmern dazulernen können. GENEVE - LES LIBELULLES / THEATERTAGE AARAU Partner vor Ort Association BAL, 1ère Biennale des arts contemporains aux Libelulles, Vernier Theatertage Aarau, Heidi Buri Hintergründe Les Libelulles ist ein Grosswohnsiedlung ( le mur) am Rande Genfs, in den 1970er Jahren entstanden. Im französischen gibt es einen Begriff, der die Wandlung dieser und ähnlicher, zur selben Zeit gebauten, Wohnsiedlungen beschreibt: „ à la dérive...“, ein sich langsam von Ufer entfernendes Objekt. Die damit einhergehenden sozialen Umstrukturierungen, gewollt oder ungewollt bleibt dahingestellt, hat sich die Association BAL zu Herzen genommen. Sie haben die vor Ort herrschenden Strukturen aller Art seit mehr als einem Jahr analysiert und schon diverse kleine Aktionen mit den Anwohnern iniziert. Im September findet nun eine Biennale statt, an deren Ausschreibung wir mit Remote Citizen auch teilnehmen. Die Hintergründe der Theatertage müssen hier wohl nicht lange erklärt werden. Es ist ein Festival, welches mittlerweile eine fixen Platz in der Agenda der Theaterlandschaft der Schweiz gefunden hat. Erfreulicherweise hat uns die Leitung der Theatertage für einen Auftritt mit Remote Citizen engagiert. Umsetzung In Aarau wie auch in Genf werden wir unsere gesamten bisher gesammelten Erfahrungen der Vorstellungen in der Schweiz einsetzen. Hier kennen wir grösstenteils die Reaktionen der Zuschauer, können die Regiearbeit sehr intuitiv und schnell angehen. In Genf, les Libelulles, werden wir mit BAL zusammensitzen um das Konzept dem aktuellen Anlass weiter anzupassen. Unser Ziel ist es, die Bewegungsmechanik auf öffentlichen Plätzen wahrzunehmen, unmittelbar zu analysieren und in der spontanen Auswertung mittels Einsatz von performanten Elementen anzuwenden. Mit der unmittelbaren Steuerung der Aktionen nehmen wir Einfluss auf den Fluss der Normalität, lassen den Strom abzweigen, stillstehen oder beschleunigen. Unsere Intervention hinterlässt keine sichtbaren Spuren, gibt dem Ort durch Irritation und Manipulation für eine gewisse Zeit aber einen anderen Charakter, der geheimnisvoll, beängstigend oder amüsant sein darf. Es ist ein Spiel mit der Wahrnehmung und deren Umkehrung: Was ist real, was ist Zufall, was ist gesteuert. Bin ich der Zuschauer, oder ist der Akteur in der Rolle des Beobachters, der den Alltag als sich permanent ändernde Inszenierung betrachtet, welche zwar chaotisch erscheinen mag, sehr häufig aber an unsichtbaren Rastern ausgerichtet ist. Diese nehmen wir auf und ergänzen Sie durch Neue, Fremde, sich aus der Situation ergebende Muster, und durchbrechen so die Macht der Gewohnheit.