Eis-Trucking in Nordkanada

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Eis-Trucking in Nordkanada
REPORT
REPORT
Highway auf Zeit
Fünfundachtzig Zentimeter gefrorenes Wasser: Das ist die „Straße“,
auf der im Norden Kanadas die Eistrucker unterwegs sind – oft mit
mehr als 70 Tonnen Gewicht im Kreuz . Ein Job für Männer mit
stahlharten Nerven. Schließlich ist es schon öfter vorgekommen,
dass einer der Trucks durch die Eisdecke gebrochen ist.
P
raise the Lord“ steht
auf dem Hausdach
gleich neben der
Straße, Lobe den Herren. Es könnte gut sein, dass
auf dieser Strecke ein starker
Glaube nicht von Schaden ist.
Denn der Mackenzie-Highway, neben dem ein
frommer Dachdecker
die Mahnung mit
weißen Ziegeln eingewebt
hat,
Schritttempo. Mit höchstens 25 km/h rollen die beladenen Trucks über die 85
Zentimeter starke Eisschicht. Für Trucker-Romantik bleibt in diesem harten Geschäft kaum
Zeit, doch die meisten Fahrer sind gerne in der grandiosen Landschaft unterwegs
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führt geradewegs in die Hölle
– in die Eishölle des kanadischen Nordens. Der Winter
dauert in den arktischen Regionen so lange wie bei uns
zwei Jahreszeiten, mindestens sieben Monate. Dann
können die Temperaturen
auf –60 Grad fallen und heftige Schneestürme den Verkehr tagelang lahm legen.
Der Mackenzie ist ein Highway vor allem für Trucks. Die
meist zweispurige Piste beginnt in Grimshaw im Bundesstaat Alberta und endet in
einem gottverlassenen Nest
mit dem bezeichnenden Namen Fort Good Hope (das
in den Northwest Territories liegt). Und das
auch nur im Winter,
das letzte Drittel
ist im Sommer
unpassierbar.
Ganz einfach deswegen,
weil
an
einigen Stellen als einzig
mögliche Fahrbahn Flüsse
oder Seen zur Verfügung stehen – und die müssen dafür
erst einmal zufrieren.
Die Nabelschnur
der Diamantminen
Doch auf Eis zu fahren gehört
inzwischen zum Alltag vieler
Trucker: In den letzten Jahren
haben sich immer mehr findige Spezialisten daran gemacht, die unwegsame Wildnis mit Hilfe von ice roads zu
erschließen: Diese führen
an Orte, die nur wenige Wochen im
Jahr auf dem
Landweg erreichbar
sind.
Der Mackenzie-Highway
ist noch immer die einzige
permanente
Landverbindung in die
nahezu
menschenleeren Northwest
Territories. Dieser Teil Kanadas ist viermal so groß wie
Deutschland, aber nur 50.000
Menschen wohnen im eisigen
Norden. 50.000 Menschen mit
dem Nötigsten zu versorgen,
wäre mit der Lkw-Flotte eines
mittelständischen Betriebs
leicht zu bewerkstelligen.
Doch auf dem Mackenzie sind
deutlich mehr Trucks unterwegs, und ihre Ladungen sind
bestimmt nicht das, was normale Menschen in einem harten Winter für ein einigermaßen komfortables Leben
brauchen: riesige Kippmulden zum Beispiel, oder
Sprengstoff und Unmengen
Zement: Der Mackenzie ist
die Nabelschnur der Minen
im Norden Kanadas. Mit immer ausgefeilteren Methoden werden hier Bodenschätze aufgespürt und
REPORT
Kanadische Eisstraßen
ade.
Germany
Georg Pieper ist
vor 25 Jahren nach Kanada
ausgewandert und arbeitet
als arctic diver. Er half bei
der Bergung der Schneekatze, die im Dezember im
Dome-Lake versunken war
Gladis, die Dennis und seine
überdimensionale rock box
mit drei Pilot Cars begleiten,
halten den Verkehr an beiden
Ufern auf. Bis auf den
TRUCKER-Reporter ist niemand mehr auf der Eisbrücke,
die unter der Last von Dennis’
Gespann gewaltig ächzt. Zumal die Mulde trotz diverser
Zurrketten nicht ruhig auf
dem Trailer liegt, sondern
eher bedrohlich hin und her
schaukelt.
Als der Schwertransport wieder solides Land unter den
Rädern hat, bricht die Dämmerung an. Dennis und seine
Begleiter fahren noch ein
paar Kilometer bis zur ShellStation, der einzigen Tankstelle in 100 Kilometer Umkreis, die wie alle Tankstellen
in dieser Gegend auch ein
Truck Stop ist. Dort parkt er
und wird am nächsten Morgen weiterfahren bis nach
Yellowknife.
mächtiger Truck, doch jetzt
sieht die rote Sattelzugmaschine aus wie ein Spielzeugauto. Denn Dennis schleift
mit seinem Truck eine rock box , eine dieser riesigen Mulden, in Richtung Norden. Wie
die meisten Trucks in diesem
Winter verlässt er den berühmten Mackenzie-High-
Reifen auf Rädern.
In wenigen Wochen
muss alles über die ice road transportiert werden, was in den Minen das ganze Jahr über
benötigt wird. Wenn das Eis schlecht wird,
rücken Teams mit Bohrmaschinen und Pumpen
an und fluten die Fahrbahn. Manche Arbeiter
gehen in der Freischicht gerne Eisfischen
dann ausgebeutet, neuerdings häufig Diamanten.
Möglich ist das alles nur, weil
es genügend unerschrockene
Trucker gibt, die die entlegenen Außenposten der Zivilisation zuverlässig versorgen,
meist unter ziemlich abenteuerlichen Umständen.
way zwischen Enterprise und
Fort Providence. Wer hier
nach rechts auf den Highway
3 abbiegt, hat nach wenigen
Kilometern ersten Eiskontakt.
Breit wälzt sich der Mackenzie River, der dem Highway
seinen Namen gab, aus dem
Großen Sklavensee. Im Som-
mer verkehrt ein Stück flussabwärts eine Fähre, im Winter bleibt nur der Weg über
die ice bridge. 64.000 Kilogramm Gesamtgewicht sind
in diesem Jahr als Standard
erlaubt, wer mehr auf die
Waage bringt (wie Dennis)
braucht eine Sondergenehmigung. Rick, Valerie und
Von Edmonton, wo das Gros
der Ladungen für die Minen
zusammengestellt wird, bis
Yellowknife sind es ziemlich
genau tausend Meilen. Kein
Problem, so lange die Straßen
frei sind und sich die Schneestürme weiter oben im Norden austoben. Yellowknife
mag zwar die Hauptstadt der
Northwest Territories sein.
Doch wer hierher kommt, ist
am Ende der zivilisierten
Welt angelangt. Trotzdem
ist die Provinzhauptstadt
für die Trucker, die unterwegs zu den Minen sind,
nur ein Zwischenstop.
Sie melden sich
bei ihren Disponenten und im
Büro von Nuna Logistics,
dem Unternehmen,
das für
Dennis gehört zu dieser Truppe. Er sitzt unaufgeregt im
Cockpit seines dreiachsigen
Western Star. Auf deutschen
Autobahnen wäre das ein
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Trucker auf dem Eis
die ice roads zu den DiamantMinen zuständig ist. Wer das
Kommando zur Abfahrt bekommt, hat erst einmal gut
siebzig Kilometer auf einer
dreckigen Staubstraße vor
sich, ehe unvermittelt die
Winterroad beginnt.
Dann fahren sie über den Lake Tibbit, den Long Lake oder
die Warburton Bay. Grosse
und kleine Seen, die wie die
Perlen einer Kette aneinandergereiht in der welligen
Landschaft liegen. Mac Kay ist
der längste, 90 Kilometer auf
blankem Eis. 25 km/h sind als
Maximum erlaubt, oft weniger. Ansonsten würden die
Wellen, die die schweren
Trucks unter der Eisoberfläche erzeugen, die fragile
Fahrbahn aufbrechen lassen.
Gefühl und Härte
Sie fahren mit über siebzig Tonnen Gewicht über eine Straße, die aus
nichts als gefrorenem Wasser besteht: Doch für Angst ist kein Platz
im Leben der kanadischen „Eistrucker“.
Männer. Wer im Norden Kanadas mit dem Truck unterwegs ist,
muss aus hartem Holz geschnitzt sein. Einige blättern während einer
Pause in Yellowknife im deutschen TRUCKER. Den nächsten Stop gibt es
12 Stunden später im Camp Lockhart, dem einzigen Halt auf der ice road
360 Kilometer fast
im Schritttempo
360 Kilometer oder rund 60
Seen sind es vom Beginn der
Eisstraße bis zur Baustelle am
Lac de Gras, wo gerade mit Riesenaufwand eine neue Diamantmine vorbereitet wird.
Zwanzig Stunden kann der Trip
dauern oder auch achtzig, je
nachdem. Der einzige Truckstop liegt am Lockhart Lake,
ansonsten sind keine Pausen
möglich: Auf dem Eis würden
stehende Trucks nach kurzer
Zeit einbrechen, in den schmalen Passagen dazwischen den
Verkehr blockieren.
Und so fahren sie immer weiter, trinken Unmengen Kaffee,
brüllen gegen den Motorlärm
in ihre Funkgeräte oder kurbeln das Fenster herunter, um
mit einem Schwall eisig kalter
Luft gegen den Schlaf anzukämpfen. Wer den Dome Lake bei Tageslicht passiert, kann
das schlichte Holzkreuz mit den
Plastikblumen sehen. Es steht
an der Stelle, an der Gayle Armstrong im Dezember mit seiner
Schneekatze eingebrochen
und gestorben ist. Armstrong
war einer der rund 50 Arbeiter,
die die Winterroad herrichten.
Der erste tödliche Unfall seit
vierzehn Jahren. Aber so genau wollen das die meisten der
Fahrer gar nicht wissen.
Richard Kienberger
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Straße satt: „Ich bin reif für
die Rente.“ Seit 35 Jahren ist
er im Truck unterwegs, und
trotzdem macht er noch gut
140.000 Meilen im Jahr. Sue
Bowerman hat nur vor der
vergleichsweise kurzen Eisbrücke über den Mackenzie
Angst, der Trip auf der ice ro a d gehört für die einzige
Truckerin, die wir hier zu Gesicht bekamen, schon zur
Routine. Sie fährt im zweiten
Jahr auf der Eisstraße,
Probleme hatte sie dabei noch nie.
Dutzend Trucker stellte der
Reporter aus Deutschland die
immer gleiche Frage – doch
nur Bud Herrle gab unumwunden zu, beim Ritt über
Eisbrücke. Dennis schaukelt mit viel Gefühl eine
gigantische rock box über das Eis des Mackenzie. Die Kollegen sitzen während eines Sturms am Lac de Gras fest
E
Die Zigarette, sonst schwer in
Bedrängnis im gesundheitsbewussten Nordamerika, gehört in dieser rauen Männerwelt noch zur Grundausstattung, genauso wie die zerschlissenen Cowboystiefel,
Frau sein – um sich selbst und
anderen ein verpöntes Gefühl
wie Angst einzugestehen.
Bud ist immerhin schon 62
und hat das Leben auf der
Schwere Brocken aus der bayerischen Provinz
s ist kein Zweifel möglich: Wer es bis in die
209. Straße von Edmonton geschafft hat,
ist endgültig im Reich der harten Männer gelandet. Hier,
inmitten eines ausgedehnten
Gewerbegebiets, hat die
Transportfirma Robinson eine Niederlassung.
Zwischen
Office und
Werkstatt
wurde ein
schmuddelige Warteraum für die
Fahrer gequetscht, den
auch einige
Robinson-Angestellte gerne
nutzen – als Raucherzimmer
nämlich.
das gefrorene Wasser ein
Kribbeln im Bauch zu verspüren. Aber vielleicht muss
man erst ein gewisses Alter
erreicht haben– oder eine
In Enterprise unterhält sich Sue mit einem Kollegen über
einen anderen Fahrer ihrer Firma, der
in der Nacht vorher
eingeschlafen und
von der Straße abgekommen ist. Auf
die Frage, ob der Trucker verletzt sei, meint Sue lakonisch:
„Er nicht, nur sein Stolz.“ Ein
ziemlich herber Schlag im
Reich der harten Jungs.
Richard Kienberger
u den schwerZ
sten Ladungen, die in diesem
Winter über die
Eisstraße gefahren wurden, gehörten auch mehrere Geräte aus
dem oberbayerischen Schrobenhausen.
die zerschlissenen Jeans und die zerschlissenen karierten Hemden.
Nicht zu vergessen die ebenso
unvermeidlichen Baseballkappen.
Draußen treibt ein heftiger
Wind nasskalte Schneeflocken
über den unbefestigten yard,
auf dem in diesen Tagen reihenweise Ladungen für die iceroad fertig gemacht werden.
Trotzdem hat kaum einer der
Trucker eine Winterweste an,
ganz im Gegenteil: Die Hemden stehen weit offen, auch
wenn es hier keine Frauen gibt,
die möglicherweise vorhandenes Brusthaar bewundern
könnten.
Die Jungs sehen hundemüde aus, doch zugeben würde
das keiner. Alle geben sich
hart, und von einem mulmigen Gefühl oder gar Angst
auf der ice road will hier keiner etwas wissen. Etwa einem
Dort sitzt die Tiefbaufirma Bauer, die bei
der Vorbereitung der
Diavik-Diamantmine
eine Schlüsselrolle einnimmt: Spezialisten
des Unternehmens
sind für den Bau des drei Kilometer langen Damms zuständig, der den See Lac de
Gras von der künftigen Mine trennen soll.
Bauer gliedert sich in zwei
Unternehmensbereiche:
Die Bauaktivitäten und eine
Maschinenbaufirma, die
Spezialgeräte für den Tief-
bau herstellt. Für die Konstruktion des Staudammes in
den Northwest-Territories
wurden 39 Container und ein
ansehnlicher Maschinenpark
aus der bayerischen Provinz
nach Kanada verschifft. Von
Schrobenhausen nach Bremerhaven und Antwerpen
auf der Straße, dann per
Schiff nach Halifax, via Eisen-
bahn nach Edmonton und
von dort wiederum auf der
Straße nach Yellowknife und
weiter an den Lac de Gras.
Als letzte Bestandteile der
Fracht aus Deutschland wurden zwei Raupenkräne mit
der Bezeichnung BS 6100 verladen, die einsatzbereit über
180 Tonnen wiegen. Um die
Fahrt über die Eisstraße zu er-
möglichen, mussten die
schweren Maschinen weitestgehend „gestrippt“
werden, trotzdem brachten
die Oberwagen noch 53
Tonnen auf die Waage. Mit
dem Trailer und der Zugmaschine kam so ein Gewicht
von rund 75 Tonnen zustande – doch das Eis hielt
schwer ächzend auch dieser
Belastung stand.
RK
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