Wer hat Angst vor Virginia Woolf?

Transcrição

Wer hat Angst vor Virginia Woolf?
Begleitmaterial für Pädagogen zu
Wer hat Angst vor Virginia Woolf?
von Edward Albee
am Schauspiel Dortmund Spielzeit 2012/13
Premiere: 21. Dezember 2012, Schauspielhaus
Besetzung:
Martha: Friederike Tiefenbacher
George: Axel Holst
Honey: Julia Schubert
Nick: Björn Gabriel
Regie: Lisbeth Coltof
Bühne: Guss van Geffen
Kostüme: Carly Evergert
Licht: Rolf Giese
Dramaturgie: Thorsten Bihegue
1. Biografie Edward Albee
2. Inhalt des Stückes
3. Who is afraid of Virginia Woolf
4. Hintergrund und Interpretationen
5. Textausschnitte
Kontakt und theaterpädagogische Begleitung: Sarah Jasinszczak,
Theaterpädagogin Schauspiel, Kuhstr. 12, 44137 Dortmund
0231/5022555 oder [email protected]
1 Kurzbiographie Edward Albee
Edward Albee wurde am 12. März 1928 in Washington D.C. geboren.
Kurz nach seiner Geburt adoptierte ihn das Theaterunternehmer – Ehepaar Reed-Albee aus
New York, schon von Kind auf war er dadurch mit der amerikanischen Vaudeville- Szene
bekannt. Schon als Schüler schrieb Albee Texte, Gedichte und Ministücke.
Er besuchte das Trinity College und die Collumbia Universität und zog mit 20 Jahren gegen
den Willen seiner Eltern ins Greenvich- Village, dem Künstlerviertel von New York City,
wo er sich mit kleinen Jobs durchschlug.
Sein erstes Theaterstück brachte Albee erst 1958 heraus: „The Zoo Story“ wurde in Berlin
uraufgeführt und galt bei seiner Veröffentlichung in New York einige Zeit später als eines der
wegweisenden Stücke des Absurden Theaters in Anlehnung an Samuel Becket.
Während der nächsten Jahre schrieb Albee einige kleinere Stücke, sein größter Erfolg war
1962 das Stück „Who is afraid of Virginia Woolf?“. Dafür erhielt er den Tony Award.
Das Stück wurde 1966 sehr erfolgreich von Mike Nichols verfilmt Edward Albee stand dem
Film zunächst kritisch gegenüber, mochte den Oscar- gekrönten Film dann aber doch.
1966 wurde Albee für das Stück „A Delicate Balance“ mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet,
diesen Preis erhielt er insgesamt drei Mal.
Albee ist Preisträger des Nestroy-Preises, sein letztes Stück war 2007 „Me, Myself and I“.
2 Inhalt des Stückes
Carson McCullers schrieb über das von der Kritik als großes leidenschaftliches Theater gefeierte Stück:
»Es hat die Leidensgröße eines griechischen Dramas, wildesten Humor und düsteren Glanz.«
Eine Nacht voller Drinks in einer kleinen Amerikanischen Collegestadt. George und Martha
sind schon viele Jahre strahlender Mittelpunkt der Gesellschaft – der Geschichtsprofessor
und seine Frau sind gerade von einer Party bei Marthas Vater, dem College- Dekan, nach
Hause gekommen, als es an der Tür klingelt: Martha hat auf der Party spontan zwei Gäste
eingeladen: den jungen Biologieprofessor Nick und seine Frau Honey, die attraktiven
Neuzugänge auf dem Campus. Sie sind Martha höchst willkommen. Gewisse Gefechte
machen schließlich mehr Spaß, wenn sie vor Publikum stattfinden! Martha und George sind
austrainierte Veteranen in einem lustvollen Kampf gegeneinander. Die Waffen auf dem
ehelichen Schlachtfeld: Demütigung, Sarkasmus, Provokation, vernichtender Witz,
intellektuelle Bösartigkeit – und die Emotionen einer großen Liebe. Oder deren Reste? In
jedem Fall ist das Temperament der beiden ansteckend: Bald bröckelt auch die scheinbar
perfekte Ehefassade von Nick und Honey, und zwar nicht erst, als Martha Nick ins Schlafzimmer entführt.
Eine nächtliche Schlacht der bittersüßen Siege und vernichtenden Niederlagen nimmt ihren
Lauf, mit vier Helden – und einem Todesfall...
Ein virtuos gezeichnetes Beziehungsdrama, das durch die Mike Nichols-Verfilmung mit
Elisabeth Taylor und Richard Burton 1966 weltweit bekannt wurde: Wer hat Angst vor
Virginia Woolf? vom amerikanischen Pulitzer-Preisträger Edward Albee wurde 1962 in New
York uraufgeführt.
(www.theaterdo.de/spielplan/schauspiel)
In der Nacht wechseln sich Martha und George damit ab, den jeweils anderen vor den
beiden Gästen, die eher in die passive Zuschauerposition gedrängt sind, zu entblößen und
zu erniedrigen, die Situation spitzt sich immer mehr zu , wie in einem Schachspiel fordert
sich das Ehepaar Zug um Zug mehr heraus – und dann beginnt mit einem Mal auch die
bisher geheim gehaltene gemeinsame Illusion des eigentlich kinderlosen Paars eine Rolle zu
spielen: ein imaginärer Sohn, der am Folgetag seinen 21. Geburtstag feiern würde.
Als Martha diesen Sohn gegenüber den Gästen, für die Kinderlosigkeit und
Scheinschwangerschaften auch ein großes Thema sind, erwähnt, beschließt George die
Geschichte alleine weiterzuführen und lässt den Sohn in einer Erzählung vor den Gästen
tödlich verunglücken. Damit stürzt Marthas Überlegenheit und die gesamte Fassade der
Illusionen des älteren Ehepaars in sich zusammen, denn auch wenn noch so klar war,
das die Geschichte nur ein Spiel war, es war doch das „ernsthafteste Spiel der Welt“
(Interview mit Edward Albee, “The Art of Theatre“)
3 Who is afraid of Virginia Woolf
Der Name des Stücks geht auf das Kinderlied „Wer hat Angst vorm bösen Wolf“ zurück.
Zitat Edward Albee: Und natürlich meint „Who’s afraid of Virginia Woolf“ das (Kinderlied)
„Who’s afraid of the big bad Wolf“ … Wer fürchtet sich vor einem Leben ohne falsche
Illusionen. Und ich hielt es für einen ziemlich universitätstypischen intellektuellen Witz.“
Virginia Woolf, die im Titel des Stückes erwähnte feministische britische Schriftstellerin, war
einerseits mit ihren Büchern und Texten (wohl am bekanntesten: „Mrs. Dalloway“) äußerst
erfolgreich und litt andererseits ihr ganzes Leben lang unter Depressionen und vermutlich
auch einer bipolaren Störung, am Ende beging sie Selbstmord. Sie war also eine Person, die
ständig zwischen dem höchsten Glanz des Erfolgs und den tiefsten Abgründen der Psyche
hin und her schwankte – das wiederum ist auch die Spannung, in der sich die beiden
Ehepaare in Albees Stück wiederfinden. Hinter der glänzenden College- Fassade und dem
Interesse an einer steilen Karriere verbergen sich ganz persönliche, tiefgreifende Kämpfe
und Konflikte sowohl der einzelnen Persönlichkeiten als auch zwischen den Ehepartnern.
Zur Dortmunder Inszenierung:
Die Regisseurin Liesbeth Coltof ist künstlerische Leiterin der Theater-Company
„Toneelmakerij“ in Amsterdam. Ihre Arbeiten, die sich an Kinder, Jugendliche und
Erwachsene richten, sind vielfach ausgezeichnet – sie erhielt u. a. mehrfach den „Gouden
Krekel“ für die beste Jugendtheater-Inszenierung. Zuletzt wurde ihre Inszenierung von
William Shakespeares Der Sturm für das „Dutch Theatre Festival“ 2011 als beste
holländische und flämische Inszenierung ausgewählt.
4 Hintergrund und Interpretationen
Die Namen Georg und Martha erinnern nicht nur zufällig an das Präsidentenehepaar Georg
und Martha Washington.
Laut Albee ist das Stück durchaus auch ein Versuch, den Erfolg oder Misserfolg des
amerikanischen Traums und seiner revolutionären Prinzipien zu beleuchten. Das Stück kann
auch verstanden werden als „Werk der Fortschrittsangst, gegen den Amerikanischen Traum
geschrieben“.( Zeit Online, „Geläutert im Morgenlicht“ 1969)
Albee zeichnet mit ebensoviel Wehmut wie Ironie, zugleich messerscharf und doch
mitfühlend das Bild des Menschen, dem offenbar alles zum >Glücklichsein< zur Verfügung
steht und der doch nur umso hoffnungsloser allein ist.
Für den Fortschritt ohne Rücksicht steht im Stück der sehr ehrgeizige junge Nick, dem
George vorwirft, die Kultur zerstören zu wollen.Doch auch das junge Paar, das Symbol der
Zukunft quasi, lebt schon ein Leben, das in den alten Prinzipien der Anpassung gefangen ist,
auch für die Jungen gibt es keinen erfüllten Traum.
Immer wieder finden sich im Text Anspielungen auf diese Hoffnungslosigkeit, auf die
drohende Apokalypse, so zum Beispiel in dem Namen der Universitätsstadt, New Karthago,
eine Anspielung auf das geschichtliche Kartago, das in den Punischen Kriegen vollkommen
zerstört wurde.
Das Stück erinnert vom Aufbau her an ein musikalisches Quartet, es ist in vier „Spiele“
aufgeteilt, die es wie Sätze teilt – und gerade am Schluss, als Marthas Erinnerungen an den
„toten“ Sohn mit dem von George auf lateinisch rezitierten „Requiem“ mischen ist die
Musikalität, die Albees Werk durchzieht, am deutlichsten sichtbar. (Ivan Nagel, zitiert in
einem Nachwort von Ferdinand Schunk)
1.
2.
3.
4.
Spiel: Humiliate the Host
Spiel: Hump the Hostess
Spiel: Get the Guests
Spiel: Bringing Up Baby
Auch in der Benennung der Akte wird die sich durch die Machtkämpfe zuspitzende Handlung
deutlich:
ERSTER AKT Spaß und Spiele
ZWEITER AKT Walpurgisnacht
DRITTER AKT Teufelsaustreibung
5. Textausschnitte
1.Akt Spaß und Spiele
GEORGE (weint fast) Ich sagte, hör auf, Martha.
MARTHA Ich hoffe, die Flasche war leer, George. Du wirst doch nicht guten Alkohol
verschwenden ... nicht bei deinem Gehalt. Ich meine, er ... taugte einfach nichts ... bei
Kuratoriumsabenden, wenn Geld aufgetrieben werden sollte. Er war einfach keine ...
Persönlichkeit, versteht ihr? Für Papa war das natürlich eine Enttäuschung, wie ihr euch
denken könnt. Also, hier sitze ich nun mit diesem Versager...
GEORGE (dreht sich herum) ... weiter nicht, Martha.
MARTHA ... diesem Schlamm aus der Abteilung Geschichte ...
GEORGE ... nicht, Martha, nicht.
MARTHA ... verheiratet mit der Tochter des Rektors, der was darstellen muß, nicht bloß so
ein Niemand, so ein Bücherheini, der so beschissen viel nachdenkt, daß er nichts aus sich
machen kann, der einfach zu wenig Mumm hat, als daß man auf ihn stolz sein könnte. NA
SCHÖN, GEORGE!
GEORGE Ich sagte, nicht! Na gut. Na gut. (singt): Wer hat Angst vor Virginia Woolf…Virginia
Woolf…Virginia Woolf. Wer hat Angst vor Virginia Woolf, schon so früh am Morgen.
MARTHA AUFHÖREN! (eine kurze Stille)
SÜSSE (steht auf, geht Richtung Flur) Mir wird schlecht ... mir wird schlecht ... ich muß
brechen. (geht ab)
NICK (folgt ihr) Ach, um Himmels willen! (geht ab)
MARTHA (folgt ihnen, schaut verächtlich auf GEORGE zurück) Oh Gott oh Gott! (Geht ab.
GEORGE ist alleine auf der Bühne
2. Akt Walpurgisnacht
GEORGE allein. NICK tritt auf
NICK (nach einer Stille) Ich ... nehme an ... sie ist O.K. (keine Antwort) Sie ... sollte einfach
nichts trinken. (keine Antwort) Sie ist ... so zart. (keine Antwort) Ah ... Sie würden sagen
schmalhüftig. (GEORGE lächelt zerstreut) Es tut mir wirklich sehr leid.
GEORGE (ruhig) Wo ist mein kleines Betthupferl? Wo ist Martha?
NICK Sie macht Kaffee ... in der Küche. Ihr wird so leicht schlecht.
GEORGE (in Gedanken) Martha? Ach nein, abgesehen von der Zeit während der
Entziehung, war es Martha noch keinen einzigen Tag in ihrem Leben schlecht.
NICK (auch er ruhig) Nein, nein, meiner Frau ... meiner Frau wird es leicht schlecht. Ihre
Frau ist Martha.
GEORGE (niedergeschlagen) Oh ja ... das weiß ich.
NICK (konstatiert eine Tatsache) Das mit der Entziehungsanstalt stimmt nicht wirklich.
GEORGE Ihre Frau?
NICK Nein. Ihre.
GEORGE Ach! Meine. (Pause) Nein, nein ... Ich würde es ihr aber raten; ich meine, wenn ich
... sie wäre ... ginge ich hin. Aber ich bin nicht sie ... also bleib ich hier. (Pause) Obwohl ich
gern hinginge. Hier geht’s manchmal ziemlich zu.
NICK (kühl) Ja ... das glaube ich.
GEORGE Eine Kostprobe haben Sie ja mitgekriegt.
NICK Ich versuche, mich ...
GEORGE Rauszuhalten. Hm? Stimmt’s?
NICK Ja ... genau.
GEORGE Das glaub ich Ihnen gerne.
NICK Ich finde es ... peinlich.
3.Akt Teufelsaustreibung
MARTHA (nachdem NICK gegangen ist) Was jetzt kommt, gefällt mir nicht.
GEORGE (überraschend zärtlich) Du weißt noch gar nicht, was es ist.
MARTHA (pathetisch) Nein. Aber es gefällt mir nicht.
GEORGE Vielleicht aber doch, Martha.
MARTHA Nein.
GEORGE Diesmal ist’s wirklich ein lustiges Spiel, Martha.
MARTHA (flehend) Keine Spiele mehr.
GEORGE (leise triumphierend) Noch eines, Martha. Noch ein Spiel und dann ab-in-dieHeija. Jeder packt sein Werkzeug zusammen und geht mit Sack und Pack nach Hause. Und
du und ich, naja, wir steigen die schön ausgetretenen Treppen rauf.
MARTHA (fast in Tränen) Nein, George; nein.
GEORGE (besänftigend) Doch, Kleines.
MARTHA Nein, George.
GEORGE Es wird ein Fest für dich.
MARTHA (zärtlich, geht zu ihm, um ihn zu berühren) Bitte, George, kein Spiel mehr; ich ...
GEORGE (indem er ihr heftig auf die sich nähernde Hand schlägt) Rühr mich nicht an! Halt
dir deine Pfoten sauber für die Studenten!
MARTHA (ein Schrei der Bestürzung, aber nicht laut)
GEORGE (packt ihr Haar, zieht ihren Kopf zurück) Jetzt hörst du mir mal zu, Martha; das war
ein ganz schöner Abend für dich ...eine ganz schöne Nacht, und du kannst nicht einfach
abbrechen, bloß weil du den Kanal voll hast. Wir machen weiter und ich werde dir’s geben,
und dagegen werden deine Auftritte in dieser Nacht aussehen wie ein Osterspaziergang. Ich
will, daß du jetzt ein bisschen aufwachst. (Mit seiner freien Hand schlägt er sie leicht.) Ein
bißchen mehr Lebendigkeit, Kleines. (Nochmal)
MARTHA (wehrt sich) Hör auf!
GEORGE (nochmal) Reiß dich zusammen! (Nochmal) Auf beiden Beinen sollst du stehen
und dreinschlagen, Schatz; weil ich dich durch die Gegend prügeln werde und dabei sollst du
hellwach sein. (Nochmal, er wendet sich ab, läßt sie los, sie steht auf)
MARTHA Na schön, George. Was willst du, George?
GEORGE Eine gehörige Schlacht, Kleines; mehr nicht.
MARTHA Kannst du haben!
GEORGE Ich will, daß du rasend wirst.
MARTHA ICH BIN RASEND!
GEORGE Noch rasender!
MARTHA WART’S AB!
GEORGE Das ist die ganze Martha; also, diesmal spielen wir bis zum Tod.
Erarbeitung des Materials: Sarah Jasinszczak (Theaterpädagogin Schauspiel Dortmund)