Jugendliche in philippinischen Gefängnissen
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Jugendliche in philippinischen Gefängnissen
68________________________________________________________________________________ Philippinen ________ Im Konflikt mit dem Gesetz Jugendliche in philippinischen Gefängnissen von Klaus Schwarz Die Situation von jugendlichen Straftätern in den Philippinen ist geprägt von überfüllten und unzureichend ausgestatteten Gefängnissen und langwierigen Strafverfahren. Das am 15. April 2002 in Kraft getretene Gesetz » RULE ON JUVENILES IN CONFLICT WITH THE LAW« soll neue Alternativen zum Vollzug schaffen. inder, Jugendliche und junge Erwachsene of Social Welfare and Development — DSWD) oder sich die Eltern nicht in der Lage sehen, prägen das Alltagsleben in den Phi- und die Eltern in formiert werden. Wä hrend das Kind wieder bei sich aufzunehmen. Er- lippinen, denn von den über 75 Mil- der weiteren Untersuchung soll dem Jugend- schwerend kommt die weit verbre itete Mei- lionen Einwohner/innen sind 47 Pro- lichen ein Rechtsbeistand zur Seite stehen. nung hinzu, dass das geeignete Mittel zur K zent unter 20 Jahre alt, aber nur 4 % 65 Jahre und älter. Tatsächlich wird nur ein Dri ttel der Jugendlichen medizinisch untersucht, ca. ein Reaktion auf eine Straftat die Inhaftierung sei. UNICEF beauftragte 1998 das Ate- Viertel kommt in Kontakt mit Sozialarbei- Dies musste auch Juan (Name ge- neo Human Rights Center mit einer Untersu- ter/innen und gerade noch ein Fünftel wird ändert) 17 Jahre alt erfahren, der bereits En- chung, die eine umfassende Datensammlung, von einem Anwalt beraten. Viele der Jugend- de vergangenen Jahres wegen »Schwinde- eine detaillierte Auswertung und entspre- lichen wissen nicht, ob die Eltern oder Ver- lei« zwei Wochen inhaftiert war. Damals chende Empfehlungen zur Reform des »Ju- wandten informiert sind. kümmerte sich sein Onkel, bei dem Juan auf- 1 venile Justice System« beinhaltet. Straffälli- genommen wurde, um das Studium am Co l- ge Kinder sind nach philippinischem Gesetz Kinder über 9, aber unter 18 Jahren, wobei lege anzutreten, um seine Entlassung. Als j e- Haftbedingungen der Tatzeitpunkt maßgeblich ist. Während sich 1996 1380 Jugendliche in Haft befan- doch Juan dann nahen Verwandten den Fernseher gestohlen hatte, um mit dem Erlös Während der Untersuchungshaft so l- seine Freunde zu beeindrucken, wurde er vom len lt. Gesetz Jugendliche und Erwachsenen Onkel überführt und persönlich ins Gefängnis Das Alter der fast ausschließlich männlichen räumlich getrennt sein, jedoch besitzen ledig- gebracht. Er wollte ihm damit eine Lektion Jugendlichen liegt zwischen 14 und 17 Jah- lich 209 der 1430 Gefängnisse überhaupt ei- erteilen. Als Wiederholungstäter muss Juan ren. Die Hälfte von ihnen hat die Grundschule ne separate Zelle für Jugendliche. nun das Gerichtsverfahren abwarten, denn den, waren es im August 2000 bereits 1747. 2 (6 Jahre) abgeschlossen oder zumindest be- Die Gefängnisse sind überfüllt, die weder der Onkel noch die Eltern wollen ihn, sucht, 14 Prozent erreichten die High School Kinder teilen sich zu zweit oder zu dritt ein trotz aller Vermittlungsb emühungen der So- (4 Jahre). Unter den inhaftierten Jugendli- Bett, schlafen in Schichten und oftmals auf zialarbeiter/innen am Gericht, wieder zu sich chen gaben dagegen 57 Prozent an, dass sie dem Boden. Zellen, die für zehn Jugendliche aufnehmen. Inzwischen sitzt Juan seit 6 Mo- meist aus finanziellen Gründen die Schule vorgesehen sind, werden oft mit 20 und mehr naten ein. vorzeitig verlassen mussten. Beinahe 2/3 der belegt. Pro Häftling und Tag stehen 30 Peso »Effektive Rehabilitationsprogra m- Jugendlichen stammen aus Familien mit 6 - für Verpflegung zur Verfügung (ca. 60 Cent). me fehlen in den meisten Gefängnissen«, so 12 Kindern und durchweg niedrigem Ein- Nur ca. 10 Prozent der inhaftierten Jugendli- Melanie P. Ramos in einem Heft der Zeit- kommen. Es ist daher naheliegend, dass Ei- chen sind verurteilt, der überwiegende Teil schrift Intersect zum Thema »Jugendliche im gentumsdelikte wie Diebstahl und Raub bei wartet monatelang auf eine Entscheidung des Gefängnis« vom November 2001. Die weni- den Straftaten an erster Stelle st ehen. Die Verfahrens. gen Programme werden oftmals vom DSWD 3 Tatsache, dass viele Jugendliche nicht mehr Stellenweise finden unter Anlei- oder von nichtstaatlichen Organisationen an- bei ihren Familien wohnen, macht verständ- tung von Sozialarbeiter/innen beim DSWD geboten und beschränken sich im wesentli- lich, weshalb 40 Prozent Mitglieder von Ju- Gespräche zwischen Tätern und Opfern statt. chen auf Schulunterricht, Sport und kirchliche gendbanden sind. Zieht daraufhin das Opfer die Anzeige zurück, Aktivitäten. In allen Stufen des Justi zsystems, von der Untersu- ne weitere Chance, den Vollzug zu vermei- chungshaft, bis zum Gerichtsverfahren, klaffen den, ist, dass Ersttäter mit geringfügiger Stra f- Gesetzesl age und Realität erheblich ausein- tat in die Obhut der Eltern, eines Sozialarbei- ander. So ist der Jugendliche in einer ver- ters des DSWD oder einer in der Gemeinde ständlichen Sprache über die Gründe der anerkannten Person entlassen werden. Vor- Festnahme, wie über seine Rechte zu beleh- aussetzung dafür ist deren Bereitschaft und ren. Unmittelbar danach hat eine Gesund- die Vorlage der Geburtsurkunde des Jugend- Der Autor ist Dipl. Sozialpädagoge (FH) und heitsu ntersuchung zu erfolgen und innerhalb lichen zur Feststellung se ines Alters. Nicht se l- über den Evangelischen Entwicklungsdienst von Sozialarbei- ten scheitert diese Chance daran, dass die EED für Child and Family Service Philippines, ter/innen vom Sozialminist erium (Department Geburtsurkunde nicht beschafft werden kann Inc. in Baguio City tätig. acht Vernehmung Stunden über müssen die so kann das Verfahren eingestellt werden. Ei- Empfehlungen Angesichts dieser Ergebnisse kommt die UNICEF-Studie zu folgenden Emp- südostasien 3 / 0 2 ________ Philippinen ________________________________________________________________________________ 69 fehlungen. aller Beteiligten ein einheitliches Verständnis Alle, die am Strafverfahren gegen einen Jugendlichen beteiligt sind, sollten zu Die Empfehlungen decken sich mit zen, die sich auf das Jugendstra frecht bezie- meinen persönlichen Erfahrungen bei Besu- hen, fortgebildet werden. chen der ju gendlichen Strafgefangenen im Staatliche Institutionen sollten ihre Stadtgefängnis von Baguio. In den vergan- Bemühungen im Hinblick auf die Kontrolle genen Monaten hat sich hier durch die Initi a- des Ablaufs des Stra fverfahrens koordinieren. tive von Child and Family Service Phils. Inc. ten eingerichtet werden. ein Netzwerk aus allen am Jugendstrafverfahren beteiligten Organisationen formiert. Es Gesellschaftliches Bewusstsein für besteht die berechtigte Hoffnung, dass der und die Einbeziehung in nicht institutionali- Rahmen, den das neue Gesetz bietet, auch sierte Rehabilitationsprogramme sollte ver- ausgeschöpft wird. Geplant ist, dass ein »Case stärkt werden. Management Team« die Behandlung der Programme für Straßenki nder sollten als präventive Maßnahm e unterstützt werden. Es sollten mehr Einrichtungen speziell für jugendliche Strafgefangene gebaut werden, um sie von erwachsenen Straftätern zu trennen. Nichtstaatliche Organisati onen sollten durch Netzwerke die Hi lfe für jugendliche Straftäter/innen verstärken. Bestehende Gesetze sollten unter Berücksichtigung der Rechte zum Schutze der Kinder überarbeitet werden. Am 15. April 2002 trat das Gesetz über straffällige Jugendliche (RULES ON JUVENILES IN CONFLICT WITH THE LAW) in Kraft. Danach können von nun an Straftaten von Jugendlichen, die mit nicht mehr als sechs Monaten Fre iheitsstrafe belegt sind, von Altern ativen zur Haft profitieren. Nach dem neuen Gesetz sollen der Täter-Opfer-Ausgleich, Schadenswiedergutmachung, soziale Tra i- ningkurse und gemeinnützige Arbeit eingeführt werden. Ziel ist es, die Jugendlichen Jugendlichen mit den Folgen der Tat zu konfro ntieren, sie Fortbildungen ein gemeinsames Verständnis erzieherisch zu beeinflussen und nicht zuletzt für den Umgang mit jugendlichen Straftätern ihnen den stigmatisi erenden Weg durch die geschaffen wird und auch die Haftbedingun- Instanzen zu ersparen. gen verbessert werden können. koordiniert, durch spezielle In seiner Ausgabe vom 11. August 2002 berichtete das Manila Bulletin über die Erfahrungen vor Ort »Opera tion Second Chance« in Cebu City. Dort wurden die 90 Jugendlichen, die im City 1995 wurde eine Studie über die Jail auf engstem Raum inhaftiert waren, in Situation des Jugendstra fsystems in Baguio ein neues Rehabilitationszentrum verlegt. Es City erstellt. 4 Basierend auf Interviews mit ist die erste separate Einrichtung für Jugend- Richtern, Staatsanwä lten, Polizisten, Vertei- liche im ganzen Land und für die Jugendli- digern, Gefängnispersonal, aber auch den chen eine neue Chance, die sie so dringend betroffenen inhaftierten Jugendlichen selbst, benötigen. ! kamen die Autor/innen zu dem Ergebnis, dass zunächst die bestehenden Gesetze umgesetzt, die Kooperation aller beteiligten Stel- Anmerkungen len verstärkt und das DSWD finanziell zur 1) gestattet werden sollte. Außerdem sollten die Verantwortungsbereiche und Arbeitswe isen der verantwortl ichen Dienste schriftlich fixiert und transparent gemacht, durch Fortbildung südostasien 3 / 0 2 UNICEF, Situation analysis on children in conflict with the law and the juvenile justice Durchführung von Hausb esuchen besser aus- system, United Nations Children‹s Fund. 2) Episcopal Commission on Prison Pastoral Care, Catholic Bishop Conference of the Phil ippines lippinenbüro erhältlich. 4) nahmen verstärkt werden. ( C B C P -E C P P C ) , P a g k a l i n g a : 2 5 y e a r s of pri son pastoral care, 2000. Intersect wird herausgegeben vom Insti tute on Church and Social Issues. Kopien sind im phi - geschaffen und nicht zuletzt präventive Maß- intern ationalen Menschenrechten und Gese t- Spezialisierte Jugendgerichte soll- 3) Lourdes A b e l l e r a -H a m a d a , J e a n e t t e C . A b e l - l e r a , M e l y n d a S t a . C r u z -G a b r i e l , A s t u d y o n the juvenile judicial system as it operates in the city of Baguio, A research project funded by Consuelo Zobel Alger Foundation through the Child and Family Inc., Baguio City 1995 Service, Philippines,