SZ vom 31.Mai 2013 Seite 13 Deutschland (GSID=1761750)
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SZ vom 31.Mai 2013 Seite 13 Deutschland (GSID=1761750)
13 FEUILLETON DEFGH Nr. 123, Freitag, 31. Mai 2013 Angriffslust und Misstrauen Musen ohne Unterricht Der erste Auftritt des Vatikan auf der Kunstbiennale Venedig Alle wollen „kulturelle Bildung“ fördern, sie gilt als nationalstaatliche Aufgabe, Papiere und Studien gibt es zum Thema und sogar einen nationalen Rat – dennoch fallen dramatisch viele Schulstunden in Musik und Kunst aus Die Welt zu erschaffen ist ja gar nicht so leicht. So schnell gelingt es keinem zweiten, mit all dem Drum und Dran, von der Birkenpolle über den Feuchtnasenaffen bis hin zum weißen Rauch bei der Papstwahl. Nicht einmal die göttliche Schönheit eines Grashalmes könnten Zeichner mit ihren Mitteln erfassen, meinte der Kirchenlehrer Augustinus um das Jahr 400. Dem schließt sich jetzt der Vatikan mit seinem neuen Pavillon auf der Venedigbiennale an und zeigt den Künstlern, was er von ihrem kreativen Vermögen hält: nicht viel. Zum Nachmachen des großen Gottesplanes reicht es mehr schlecht als recht, eigenständige Erfindungen bleiben unerwünscht. Angriffslustig hat der Heilige Stuhl seinen ersten Auftritt auf der Weltkunstschau unter das Thema der Schöpfung gestellt – was seit Adam und Eva ein Zankapfel zwischen Gott und Mensch sein dürfte. Im Entree empfängt einen die Schlange, in Gestalt einer schematisierten Kopie Tano Festas nach Michelangelos Sündenfallszene in der Sixtinischen Kapelle. So kann man sich der alten Gegenspielerin auch entledigen: Diesem müden, farblosen Wurm würde niemand einen Apfel abkaufen – so wenig wie das biblische Versprechen, durch den verbotenen Biss sehend zu werden und damit erst befähigt zum Kunstgenuss. Mit dem Pavillon will die katholische Kirche sich endlich wieder einen Namen machen in der Kunst – um das in der Moderne verlorene Terrain zurückzugewinnen. Will Akteur sein, anstatt immer nur benutzt zu werden für die Selbstsakralisierungen von anderen. Dabei trauen die Kuratoren den Künstlern jedoch nicht über den Weg. In den ersten Hauptraum installierten sie eine Videoarbeit von Studio Azzurro mit Bildern von Taubstummen, die auf Fingerdruck des Besuchers Tiere und Pflanzen nachmachen. Das vermischt sich dann mit Aufnahmen der Hände des Publikums zu einem pathetischen Mitmach-Strudel: Wir sind alle kleine Schöpfer, große werden wir nicht. Zerstören können wir schon besser als erschaffen, wie der nächste Raum zur Sintflut zeigt – mit heroisch fotografierten Trümmerlandschaften von Josef Koudelka. Und auch der Wiederaufbau gelingt uns nur dürftig, im letzten Raum symbolisiert durch recycelte, weiß bepinselte Matratzen von Lawrence Carroll. VON STEPHAN OPITZ W er in den späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahren einen Antrag auf Förderung eines Kulturprojekts stellte, musste, wollte er Erfolg haben, darin das Wort „Kulturmanagement“ verwenden. Ein paar Jahre später empfahl es sich, mit „Kulturtourismus“ oder „Kultur- und Kreativwirtschaft“ aufzutreten. Zurzeit konkurrieren „Kulturelles Erbe“ (materiell oder immateriell) und „Kulturelle Bildung“ um die Gunst der staatlichen Geldgeber. Zur Frage, was mit „kultureller Bildung“ gemeint sein soll, liegen nun mehrere öffentliche Texte vor. Der erste Text ist die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der SPD vom März 2013. Er trägt den Titel: „Kulturelle Bildung in Deutschland als gesamtstaatliche Aufgabe und als Teil eines Gesamtkonzeptes der Bildung“. Darin geht es so zu: „Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Enquete-Kommission ,Kultur in Deutschland‘ des Deutschen Bundestags aus ihrem Schlussbericht, dass durch die Aufteilung der Aktivitäten der Bundesregierung im Bereich der kulturellen Bildung auf mehrere Ressorts Reibungsverluste entstehen könnten?“ – „Die Bundesregierung teilt die Einschätzung nicht, dass Reibungsverluste entstehen könnten, da die Ressorts fachlich unterschiedliche Zugänge zur kulturellen Bildung haben und eine Abstimmung zwischen den verschiedenen Ressorts erfolgt.“ Dieser Schlussbericht der Enquete-Kommission war das erste große nationale Papier zur Kulturpolitik. Die Befunde und Diskussionsvorschläge insbesondere zur musischen Bildung waren präzise. Ergeben hat sich daraus kaum etwas. Die in diesem Papier verwendete Phrase von der „kulturellen Bildung“ ist allerdings seitdem allen bekannt. Der zweite Text ist eine von der Mercatorstiftung finanzierte Studie des Zentrums für Kulturforschung. Sie wurde von der Soziologin Susanne Keuchel verfasst, trägt den Titel „mapping//kulturelle Bildung“, ist kenntnisreich, detailgenau und umfangreich, aber vor allem eine Bestandsaufnahme. Die Spannbreite reicht grundsätzlich von der Blaskapelle der Feuerwehr über den Kirchenchor, von der Theateroder Malgruppe bis zum Schulunterricht in Musik oder Kunst oder Literatur oder der musikalischen Früherziehung. Die Studie benennt erhebliche Defizite, etwa in der Erhebung von Daten, die dann zu Abgrenzungsproblemen führen: Tragen etwa die öffentlichen Rundfunkanstalten zur „kulturellen Bildung“ bei? Niemand weiß es. Kirchen und andere Religionsgemeinschaften tragen ganz sicher dazu bei, werden aber gar nicht erfasst. Das Geld würde besser genutzt für eine tatsächlich integrierte Bildungs- und Kulturpolitik Das dritte Papier heißt „Musikalische Bildung in Deutschland. Ein Thema in 16 Variationen“ und wurde vom Deutschen Musikrat im Dezember 2012 verabschiedet. Es ist die umfangreichste und genaueste Studie zur Lage der musikalischen Bildung. Die Autoren fordern in dieser Studie eine politische und administrative Integration der musikalischen Bildung innerhalb und au- ßerhalb der Schule. Aber die Studie wurde bislang kaum wahrgenommen. Und die Konsequenzen liegen auf der Hand: Wenn Deutschland ein kulturell interessantes Land bleiben möchte, müssen die Voraussetzungen für musikalische Teilhabe, Freude, Interesse, Kreativität und Kenntnis geschaffen sein und gesichert bleiben. Das aber ist gegenwärtig nicht der Fall. Zum Unterrichtsausfall in den musischen Fächern an allgemeinbildenden Schulen etwa gibt es nur Schätzungen. Wahrscheinlich ist indessen, dass an deutschen Schulen deutlich über fünfzig Prozent des Unterrichts in Bildender Kunst und Musik ausfallen. Darüber hinaus gibt es Stundentafeln und Schultypen, in denen dieser Unterricht gar nicht mehr verbindlich ist. Und es gibt viele Stunden, die mit fachfremder Vertretung oder ohne Beaufsichtigung oder gar Unterricht abgesessen werden. Susanne Keuchels Studie wie ein Papier des Deutschen Musikrats belegen zudem: Zwischen den allgemeinbildenden Schulen und dem außerschulischen Bildungsbereich gibt es noch nicht einmal die von der SPD-Bundestagsfraktion bei den unter- schiedlichen Ressorts vermuteten Reibungsverluste. Es gibt – weitgehend – gar nichts. Man braucht keinen Nationalen Rat für kulturelle Bildung (wie von der Mercatorstiftung und der Kultusministerkonferenz im November 2012 ausgerufen), man braucht keine atemlosen Kurzzeitprojekte wie „Jedem Kind ein Instrument“ oder „Kultur macht stark“ oder „Kulturagenten“ oder Bildungspakete, die nicht ausreichend genutzt werden. Man kann das Geld anders nutzen und auf eine tatsächlich integrierte Bildungs- und Kulturpolitik bauen. Man braucht eine ruhige, gelassene und belastbare politisch-gesellschaftliche Verständigung über die Rolle von Texten, Bildern, Tönen im Bildungsprozess und dessen Institutionen, ohne in jeder Sonntagsrede dazu den Nutzen der Musik oder Malerei für die Ingenieursausbildung zu erklären. Denn spätestens dann müsste man auch erklären, warum die bildungspolitischen Voraussetzungen für die Entwicklung des Nutzens abgeschafft werden, im gleichen Atemzug aber ein diffuses Kulturverständnis die Bildung ersetzen soll. Immer den Urtrieben nach Im dritten Teil von Todd Phillips „Hangover“-Serie wird noch einmal klar, welche Prinzipien seine Wolfsrudel-Komik antreiben Die Werkauswahl der Kirche ist langweilig – kein Künstler dabei, der sie herausfordern könnte Bei einer derart langweiligen Werkauswahl muss die Kirche keinen zweiten Michelangelo fürchten, der sie herausfordern, aber auch bereichern könnte. An dem machen sich andere zu schaffen. Im offiziellen chinesischen Pavillon erscheint dessen „Jüngstes Gericht“ als Ansammlung entindividualisierter asiatischer Gestalten, gemalt von Miao Xiaochun. Die Maskenmenschen arbeiten beim Höllensturz Hand in Hand. Eine Roboterversion desselben Künstlers von Tizians „Häutung des Marsyas“ bekräftigt diese so wenig ironische, dafür umso siegesgewissere Zukunftsvision der maximalen Effizienz. Der Gegenentwurf zu so viel chinesischem Futurismus findet sich nicht im katholischen Pavillon, sondern in der kleinen Sonderschau im Arsenale, welche die Verwandlungskünstlerin Cindy Sherman kuratiert hat. Dort heult sich ein schwarzer Stoffpapst von Miroslaw Balka die Augen aus dem Kopf, vor lauter Verzweiflung über den Zustand der Welt, und die Madonnen von Hans Schärer fletschen ihre Zähne aus Kieselsteinchen zu einem menschenfreundlichen Grinsen. Nein, das hat mit Michelangelo und der christlichen Bildtradition nichts mehr zu tun. Dafür verströmen diese Werke einen verspielten modernen Humanismus, der auch dem Vatikan gut angestanden hätte. Aber er musste ja stattdessen den Künstlern zeigen, wer der wahre Schöpfer ist. KIA VAHLAND Sprachwut Katja Brunner erhält den Mühlheimer Theaterpreis Für ihr Inzest-Drama „Von den Beinen zu kurz“ wird die 22-jährige Schweizer Autorin Katja Brunner mit dem Mülheimer Dramatikerpreis ausgezeichnet. Die Jury sprach Brunner nach einer öffentlichen Debatte die mit 15 000 Euro dotierte Auszeichnung zu. Das Stück wurde 2012 in einem kleinen Theater in Zürich uraufgeführt. Es geht darin um den sexuellen Missbrauch eines Mädchens durch ihren Vater vom Babyalter an. Die Jury lobte einhellig die „Sprachwut“ und literarische Stärke Brunners. Das Stück sei von „einer ins Bizarre reichenden Fantasie“, sagte die Schauspielerin Wiebke Puls. Für das Auswahlgremium hatte der Theaterkritiker Jürgen Berger gesagt: „Katja Brunner lässt eine Lolita sprechen, die kein Opfer sein will.“ Die Direktorin der Hamburger Theaterakademie, Sabina Dhein, sagte: „Sie marschiert über jegliche Tabugrenzen hinweg, ohne reißerisch zu sein.“ Nominiert waren in diesem Jahr acht Autoren, unter ihnen die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek sowie Franz Xaver Kroetz und Moritz Rinke. Die aus rund 100 deutschsprachigen Stücken des Jahres 2012 ausgewählten acht Bühnenwerke wurden bei den Mülheimer Theatertagen zumeist in der Uraufführungsversion vorgestellt. DPA Sie hatten geschworen, nie wieder nach Las Vegas zurückzukehren. Und jetzt das: Zach Galifianakis, Ed Helms,Justin Bartha und Bradley Cooper (von links) in „Hangover 3“. Zu Beginn wird eine Giraffe enthauptet. Alan, der vierzigjährige Teenager, rast fröhlich biertrinkend über den Highway, die Sonne scheint, die Anlage ist aufgedreht, aus dem Anhänger ragt sein neues Haustier majestätisch in die Höhe. Doch dann kommt eine fiese Brücke, die Giraffe legt noch ungläubig die Ohren an – und zack, Marie Antoinette. Mit solchen Sketch-Anordnungen spielen die „Hangover“-Filme seit 2009 in der obersten Blockbuster-Liga mit – und mussten aufgrund des Erfolgs schon für allerlei kulturkritische Auslegungen herhalten. So mancher Gegenwartsanalyst sah sich von dem Giraffen-Humor derart herausgefor- dert, dass der Sinnfrage nur noch mit metaphysischem Instrumentarium beizukommen war. Dabei ist die Angelegenheit gar nicht so kompliziert, das zeigt der dritte Teil jetzt nochmal sehr anschaulich. Die „Hangover“-Filme sind erfolgreich, weil sie so gekonnt den Kern der amerikanischen Comedy-Kultur bedienen. Mit einem Humor, der sich vor allem in extremen physischen Signalen äußert, was sich schon seit den Urzeiten der Filmgeschichte als Erfolgsrezept erwiesen hat. Und mit der Erkenntnis, dass das Buddy-Movie die beste, weil anarchischste Form der Filmkomödie darstellt. Die Kumpelkomödie verlässt sich darauf, dass das Kollektiv witziger ist als der Einzelne, indem man sich gegenseitig als Sidekick bedient. Das hat bei den klassischen Odd Couples – Laurel vs. Hardy oder Lemmon vs. Matthau – genauso gut funktioniert wie in der modernen Komödie, von der „American Pie“-Truppe bis zum aktuellen Comedy-Guru Judd Apatow und seinen Leuten. Im Idealfall wirkt das sogar über das Kino hinaus. Das „Wolfsrudel“ der „Hangover“-Trilogie – Bradley Cooper, Ed Helms und Zach Galifianakis – funktioniert längst jenseits der Leinwand, wenn etwa Cooper in der grandiosen Internet-Show „Between Two Ferns“ auftaucht, die Galifianakis betreibt – und sie dort einfach ihre Kino-Kabbeleien fortsetzen. Im dritten Teil kehren die Jungs nach Sin City zurück, ins glitzernde Las Vegas. Regisseur Todd Phillips rückt diesmal seine beiden Oberchaoten etwas mehr in den Mittelpunkt: den Giraffenmörder Alan (Galifianakis) und den zugekoksten AsiaGangster Mr. Chow (Ken Jeong). Diese beiden waren, ihren Urtrieben folgend, immer schon die Motoren der Reihe – jetzt drehen sie noch einmal richtig auf: Alan schiebt beim Flirt einer Verkäuferin seinen Lolli in den Mund, Chow segelt zugedröhnt am Fallschirm über der funkelnden Stadt und kreischt „I Believe I Can Fly“ in den Das leuchtende Grün des Kaffeebechers FOTO: WARNER Nachtwind. Wer das nicht witzig finden will, muss ja nicht – und sollte außerdem bedenken, dass Todd Phillips Teil einer Regie-Generation ist, die die klassischen Elemente der Komödie zwar perfekt beherrscht, sich aber ebenso standhaft dem reinen Genrekino verweigert. Daher fließt bei ihm stets alles ineinander, Komödie, Actionfilm und Borderline-Drama, so stoisch persönlichkeitsgestört sind seine Protagonisten. DAVID STEINITZ The Hangover Part III, USA 2013 - Regie: Todd Phillips. Buch: Craig Mazin, Todd Phillips. Kamera: Lawrence Sher. Mit: Bradley Cooper, Ed Helms, Zach Galifianakis, Ken Jeong. Warner, 100 Minuten. GEHÖRT, GELESEN, ZITIERT Platonisch und irdisch zugleich: Der Maler und Bildhauer Ellsworth Kelly wird 90 Jahre alt Zuletzt wurde Ellsworth Kelly in Hollywood für seine coole Abstraktion gefeiert. Der neuen Dependance der Galerie Matthew Marks fügte er 2012 einen markanten schwarzen Querbalken hoch oben an der Dachkante hinzu, wodurch er die weiße, fensterlose Fassade in eine für ihn typische Hard-Edge-Malerei verwandelte. Die einfache, wirksame Setzung war schon immer das Erkennungszeichen von Kellys Kunst. Lakonisch und reflektiert hat er sie um 1950 in Frankreich entwickelt, als in New York der pathetische Abstrakte Expressionismus triumphierte. Kelly, der Amerikaner in Paris, kannte die New York School nur vom Hörensagen und aus Zeitschriften, als er 1954 in die Heimat zurückkehrte. Der 1923 in Newburgh geborene Sohn einer Lehrerin und eines Versicherungsvertreters war 1944 an der Invasion in der Normandie beteiligt gewesen und ging 1948 als Zivilist nach Paris, um sich dort, ausgestattet mit einem Stipendium für ehemalige GIs, an der École des Beaux Arts einzuschreiben. Seine Begeisterung galt zunächst Picasso, Matisse, Giacometti und der byzantinischen Kunst, die er kopierte. Sein Erweckungserlebnis hingegen erfuhr er im Musée d’Art Moderne. Ein einfaches Fenster fand er dort spannender als die Kunst – und malte es, reduziert auf die schematischen Grundformen, als ungegenständliche Komposition ab. Ausgerechnet mit einem Fenster, seit Leon Battista Albertis Traktat aus dem 15. Jahr- DIZdigital: Alle Alle Rechte Rechte vorbehalten vorbehalten –- Süddeutsche Süddeutsche Zeitung Zeitung GmbH, GmbH, München München DIZdigital: Jegliche Veröffentlichung Veröffentlichung und und nicht-private nicht-privateNutzung Nutzungexklusiv exklusivüber überwww.sz-content.de www.sz-content.de Jegliche hundert die Chiffre des europäischen Tafelbildes par excellence, schlug Kelly so den Bogen zur gegenstandslosen Welt. Figurativ versus abstrakt – diese Frontstellung entschied bis in die 1970er Jahre ganze Künstlerkarrieren. Den Glaubenskrieg dahinter hatte Kelly schon in frühesten Jahren elegant und lässig überspielt. Seine gegenstandslosen Bilder ließ er immer aus der Begegnung mit der sichtbaren Welt hervorgehen; indem er die Quellen seiner Inspiration offenlegte, relativierte er auch die von Künstlern und Kritikern damals inbrünstig beschworene Autonomie der reinen Form. Kellys Anleihen der Abstraktion bei der Wirklichkeit hat vor zehn Jahren noch einmal eine brillante Werkschau in der Fondation Beyeler in Basel vor Augen geführt. Da hing ein majestätisch geschwungenes Kreissegment in leuchtendem Grün an der Wand, und einige Meter weiter, gerahmt wie ein kostbares Relikt, ein verschmutzter, zertretener Kaffeebecher aus grüner Wachspappe. Kelly hatte ihn 1968 auf der Straße aufgelesen. Beide Objekte glichen sich auf verblüffende Weise. Der Dialog zwischen ihnen beförderte einen befreiten Blick auf die Dinge, seien sie nun ideell und platonisch oder höchst irdisch. Seine gegenstandslosen Bilder kommen aus der sichtbaren Welt Frei von Pathos, offen für den Zufall: Ellsworth Kelly. FOTO: AP Ein eigenes Kapitel im Oeuvre Kellys stellt der Umgang mit dem Zufall dar. Seine Begegnungen mit Duchamp, Hans Arp und John Cage hatten ihn einst zum Experiment ermutigt. Auch Kelly feiert den Zufall als Urheber der Komposition: In den 1950ern zerschneidet er grafische Blätter, collagiert sie willkürlich und stellt fest, dass jede erdenkliche Lösung etwas für sich hat. Frei von Pathos schöpft Kelly seit siebzig Jahren aus den Arsenalen der Geometrie, choreografiert Kurve und Keil, Winkel, Trapez, Rechteck, Kreis, Oval, Qua- drat. Schon immer atmeten seine Arbeiten einen strukturalistischen Geist. Er würfelt die Spektralfarben in Bildpixeln zusammen, um die Interaktionen der Farbe auszuloten. Damit lieferte er nicht zuletzt Steilvorlagen für Gerhard Richter, dessen Südfenster im Kölner Dom von 2007 aus einer Zufallskomposition hervorging. Zugleich ist Kelly ein Virtuose der gegenständlichen Zeichnung, besonders mit seinen Pflanzen. Auch in dieser Gattung reduziert Kelly die Dinge auf den Umriss, beweist dabei allerdings eine unverwechselbare Individualität der Linie. Erst spät wird unterdessen sein Handbuch für „Linie, Form und Farbe“ publiziert: Dieses Alphabet der Abstraktion aus den frühen Fünfzigern kann man ebenso als Rückschau auf den Konstruktivismus wie auch als Vorschau auf die Minimal Art lesen. Das Wechselspiel von Figur und Grund, ein Dauerbrenner der ungegenständlichen Malerei, hat Kelly um eine originelle Variante bereichert: Seine gekippten, gedrehten, flinken Formen verleiben sich die ganze Wand ein und erfüllen sie mit Bewegung und Energie. Aus heutiger Sicht muss man es als Glücksfall betrachten, dass der junge Künstler seine Ideen jenseits der machtvollen Erhabenheit der New York School entfalten konnte: Jegliche Dogmatik und Gedankenschwere liegt ihm fern. Sein Werk beglückt. An diesem Freitag wird Ellsworth Kelly neunzig Jahre alt. GEORG IMDAHL Schöner Mist Worüber sind sich beim Plaudern über Filme und Serien inzwischen immer alle sofort einig? Genau. Darüber, wie schlecht die deutschen Synchronisationen sind. Im Gegenzug wird dann oft der große Rainer Brandt gelobt, dessen berühmtes Schnodderdeutsch ja nicht nur „Die Zwei“ mit Roger Moore und Tony Curtis, sondern auch die Filme von Bud Spencer und Terence Hill gerettet haben. Es ist aber natürlich beides richtig. Nur Rainer-Brandt-Synchronisationen machen, wie wir bei der Revision von „Vier Fäuste gegen Rio“ (1984) eben wieder feststellen, viel, viel bessere Laune. Terence Hill: Um Gottes Willen ein Harfenkonzert! (…) Das wird ja ’n schöner Mist sein, der uns da um die Ohren fliegt. Bud Spencer: ’N Hafenkonzert? TH: Nicht Hafen. HARFEN-konzert. Harfe ist so’n Gartenzaun wo man reingrabscht. Mann, und hinterher gibt’s noch n Vortrag. Klingt ziemlich geseift. BS: Worüber geht der? TH: Über die Einwirkung von Sonnenstrahlen auf das Liebesleben der Pflastersteine. Danach gibt’s was zu happern. BS: Hm, da lacht das Herz wenn’s was zu fressen gibt. TH: Ein Dinner auf der Basis von, äh, Hirse. BS: Wie wollen die uns denn die Hirse servieren, im Käfig oder auf dem Fensterbrett? SZ svra006 SZ20130531S1761750