wastE, NOt. Galerie Gregor Staiger Zürich Aoife Rosenmeyer
Transcrição
wastE, NOt. Galerie Gregor Staiger Zürich Aoife Rosenmeyer
R e v ie w s 1968, gehören all diese Arbeiten längst zum Kanon zeitgenössischer Kunst. Sieverding hat sie nach politisch brisanten Themen – beispielsweise Atombedrohung, Gewalt und Umweltverschmutzung – ausgesucht, manche weiter bearbeitet oder, wie die Kristallisationsbilder, einfach nur übernommen. Ihnen ist eines gemeinsam: der Versuch, ähnlich Röntgenbildern hinter die jeweilige Oberfläche zu dringen und Häuser, Körper, Medienbilder zu durchleuchten. Die Projektion im Schloss Moyland steigert diesen Ansatz, denn hier wird dieses Durchdringen fast räumlich spürbar. Gleichzeitig hat man es hier aber auch mit einer Art retrospektiven „Durchleuchtens“ der eigenen seit 1968 entstandenen Werke und der Zeit, in der sie geschaffen wurden, zu tun. Doch kann man – dem Titel der zentralen Arbeit entsprechend – um Mitternacht die Sonne sehen? Wohl nur, wenn man selbst den Planet Erde durchdringt. Und hier stößt Sieverding an die Grenze ihrer Durchleuchtungsmethode. Von diesem Bruch zeugen die neuesten Arbeiten SPIEGEL BOXES 1–14, INVITATION BOXES 1–13 und OHNE TITEL 1–10 (alle 2013), die in den zwei länglichen Seitenräumen präsentiert werden. Auf Fotografien sieht man jeweils zwei nebeneinander auf einem Stapel in einer Kiste liegende Spiegel-Cover, aufgenommen in fast blendender Schärfe. Der Geschichte der 1970er und 80er Jahre – alle Cover stammen aus dieser Zeit – begegnet man hier mit einer Wucht, die jedem Durchdringen widersteht: Brokdorf und Atomenergie, Kalter Krieg und Kommunismus; aber auch der – so die damalige Headline – „FinanzMagier“ Herbert von Karajan taucht auf einem der Cover auf. Bilder, Worte, die leuchtend rote Farbe des Layouts – fast brutal in ihrer Undurchdringlichkeit. An der Oberfläche dieser Bilder prallt das Auge des Betrachters ähnlich ab wie an der strahlenden Sonne. Diese Bilder blicken mit suggestiver Kraft vielmehr zurück. Ähnlich funk tionieren auch die schwarzweißen Fotografien OHNE TITEL 1–10 im zweiten Nebenraum, die Titelseiten des Spiegels thematisch nach Schlagworten wie „Terror“ oder „Kunst“ zu Vierergruppen zusammenfassen. Sieverdings beeindruckende Gesamt installation erschafft in der Tat ein ganzes Universum; sie stellt Fragen nach dem Verhältnis von bewegten und statischen Bildern, nach deren Materialität im Verhältnis nicht nur zur Imagination, sondern auch zu den neuesten technischen Projektionsmöglichkeiten; schließlich nach den Entstehungs prozessen der Bilder und nach ihrem Verhältnis zum Betrachter. Und sie lässt die meisten Bildtheorien dabei alt aussehen. The sun as the source of life is the focus of Katharina Sieverding’s installation for her exhibition Worldline 1968–2013 at Schloss Moyland. It ‘shines’ on the end wall of the central space flanked by two side rooms: a layout echoing the reredos and nave aisles of medieval cathedrals that reflected the universe of their time. Over a period of three years, Sieverding collected images of the sun released online by NASA, combining them into a film projection titled LOOKING AT THE SUN AT MIDNIGHT F R I E Z E d /e N O . 1 2 (blue) (2013). The glow of this sun – actually more reminiscent of the moon – bathes the whole space in a cold, unnaturally bluish light that evokes the dawn. Cast onto the room’s side walls in an uninterrupted stream by four projectors, other photographic images flicker through the space, creating an almost cosmic atmosphere. Many of these pictures are familiar from Sieverding’s work: huge selfportraits from the Transformer series (1973); pictures of actions at the Dusseldorf Academy where Sieverding studied; modernist architecture; images from China; Sieverding as a sexy diva with a glass of milk in her hand under the slogan ‘THE GREAT WHITE WAY GOES BLACK’ and, again and again, her Kristallisationsbilder (Crystallization Pictures, 1992), the result of a blood test. Made over the course of the artist’s career since 1968, these works have long since entered the canon of contemporary art. Sieverding selected them to fit loaded political topics (nuclear threat, violence, pollution), subjecting some to further processing while others, like the Kristallisationsbilder, were simply reused. What they all have in common is an attempt to get behind the surface, like x-rays, taking a deep look at buildings, bodies and media images. The projection at Schloss Moyland heightens this approach, as the penetrating gaze becomes almost tangible in the space. At the same time, it is a retrospective examination of the artist’s own oeuvre to date and the historical period during which it was created. But is it possible – as the title of the show’s central work suggests – to see the sun at midnight? Only, one assumes, by looking right through planet earth. And here Sieverding reaches the limit of her light-based method of analysis. This break is reflected in the most recent works in the show, SPIEGEL BOXES 1-14, INVITATION BOXES 1-13 and UNTITLED 1-10 (all 2013), presented in the two elongated side rooms. Each of the pictures shows two covers of the German news weekly Der Spiegel lying side by side on the top of a pile in a box, photographed with an almost dazzling crispness. Here, one encounters German history of the 1970s and ‘80s with a force that resists any attempt to penetrate it: atomic energy and the building of Brokdorf nuclear power station, the Cold War and Communism; but also the ‘Financial Wizard’ Herbert von Karajan, as the headline dubs him. The pictures, the words, the bright red of the layout – almost brutal in their impenetrability. The viewer’s eye glances off the surface of these images, as it glances off the sun. These pictures stare back at one evocatively. The black and white photographs in the second side room take a similar approach, arranging Der Spiegel covers thematically, in groups of four, via keywords including ‘terror’ and ‘art’. Sieverding’s overall-impressive installation really does create a universe. It raises questions about the relationship between moving and still images; about their materiality with regard not only to the imagination, but also to the latest technical possibilities for projection; and, finally, about the processes by which images are made and the relationship between the resulting images and their viewers. In doing so, it puts most picture theories to shame. Translated by Nicholas Grindell D e c e m b er 2 0 1 3 – F e b r u a r y 2 0 1 4 137 2 Waste, Not. Galerie Gregor Staiger Zürich Aoife Rosenmeyer Zum Sommerende eröffnete in Zürich eine Reihe von Ausstellungen mit teuer produzierter, gänzlich unanstößiger Hochglanzkunst, wie für Unternehmenssammlungen gemacht. Im Kontrast dazu gab es Waste, Not., kuratiert von Künstler Matthew Richardson, eine Ausstellung, die sich provokant gerade mit denjenigen Kriterien aus einandersetzt, die in den anderen Galerien hochgehalten werden: „Wertigkeit“ von Kunst und die Standards ihrer Produktion. Der Ausstellungstitel ist eine verkürzte Fassung der englischen Sparsamkeits-Maxime „waste not, want not“. In seiner elliptischen Form wirkt der Satz wie jugendlicher Sarkasmus und lädt die Besucher dazu ein, sich zu fragen, ob die präsentierten Werke nun etwas „wert“ oder nicht vielmehr überflüssig sind. Die Ausstellung brachte Werke von sechs britischen Künstlern zusammen: Rachal Bradley, Timothy Davies, John Latham, Patricia Lennox-Boyd, Hannah Sawtell und Richardson selbst. Zunächst steht man vor Lathams They’re learning fast (1988/2013), einem Aquarium, in dem junge Piranhas um vier nachgedruckte Seiten aus Lathams Buch Report of a Surveyor (1984) herumschwimmen. Natürlich werden die Fische dabei nicht schlauer – im Gegenteil, es wirkt eher so, als seien die jungen Tiere von ihrer Umgebung völlig eingeschüchtert. Nun hat Latham seine Gedanken schon, um sie besser kommunizieren zu können, Schwarz auf Weiß niedergeschrieben, aber selbst dann haben sie keine Wirkung – und noch nicht mal Fische sind empfänglich für sie? Lathams Frust ist deutlich zu spüren. Die zwei Skulpturen von Richardson sind auf ähnliche Weise unnütz und ironisch. Bei Self employed II und R e v ie w s CV Clinic (beide 2012) handelt es sich um kleine würfelförmige Stahlboxen. Sie stehen auf dem Boden und sind nach oben und seitlich offen. Im Inneren befinden sich jeweils zwei Förderbandrollen aus blauem PVC. CV Clinic ist keksfarben, in einer Ecke der Box liegt die Attrappe einer Knäckebrotscheibe. Während die Titel der Arbeiten an die Sprache von beruflichem Ehrgeiz und kapitalistischer Effizienz erinnern und die Arbeiten selbst den Eindruck von Nützlichkeit erwecken (zum Beispiel könnten sie zum Drucken oder Schuhputzen gut sein), so sind sie doch mit einiger Offensichtlichkeit völlig nutzlos. Waren diese Männerarbeiten sozusagen „impotent“, so vergleicht Richardson sie mit 1 der satirischen Fruchtbarkeit der Arbeit der Matthew Künstlerin Lennox-Boyd: Ovum (ooplasm) Richardson CV Clinic (2013) besteht aus sechs Fotografien, die das 2012 strahlende Gelb eines separierten Eidotters Powder coated zeigen. Die Bilder sind hinter einer Leiste mild steel, PVC aus durchsichtigem Kunstharz und einem conveyor rollers and replica weißen Verlängerungskabel an die Wand cracker gepinnt. Wenn auch unbefruchtet, suggerie21 × 21 × 21 cm ren die Dotter potentielles Leben – dabei endet der Vogelembryo möglicherweise als 2 Bettina Allamoda Menschenfrühstück. Das Stromkabel hat Pazuzu gerade einmal so viel Strom, dass es ein 2010 LED-Lichtchen antreiben kann. Bradleys 3D pop-up relief, Arbeiten demgegenüber verhalten sich toddigital archive print on ernst. Vier Werke aus ihrer Reihe Out of corrugated Season (2012) bestehen aus Bridget-Rileycardboard, Bildern, die sie aus Katalogen abfotografiert 70 × 100 × 7 cm hat. Bradley zeigt die Reproduktionen als vektorisierte Zeichnungen und hat eine Krankenschwestern-Uhr in die rechte obere Ecke der querformatigen Arbeiten gepinnt. Fast übersieht man sie, aber zwischen Bradleys Werken befindet sich Sawtells Mole (2009–13), eine grün lackierte Stahlsäule mit einer Glühbirne am oberen Ende, die die dahinter liegende Wand anstrahlt. Diese Arbeit lässt sich als Spion in den Reihen der Anarchisten verstehen, als Eindringling aus der benachbarten Welt des trockenen Formalismus, aus der Kunst, die sich zwar anschauen lässt, aber die einen nicht zum Nachdenken zwingt. Waste, Not. ist chaotisch, aber auch nachdenklich – eine Ausstellung, 1 die sich mit mehreren Ideen beschäftigt: mit dem Künstler als Arbeiter in einem System; mit der Reproduktion, die das Original überflüssig macht (das geklonte Schaf Dolly illustrierte die Einladungskarte), und mit der Überflüssigkeit von Kunst. Mehrere der Arbeiten lehnen sich spielerisch in Richtung kommerzielle Kunstwelt, lassen aber zugleich unruhestiftende Zwischentöne verlauten. Mit dieser Geste kritisiert die Ausstellung die Gefälligkeit einiger in der Nachbarschaft parallel gezeigter Schauen, bei denen Größe und Glanz spürbar vor kritischer Reflexion kommen – und auf diese Weise erobert Waste, Not. die Galerie als einen Ort der Unsicherheit und Widersprüche zurück. Übersetzt von Anna-Sophie Springer A slew of gallery exhibitions opening in Zurich at the end of the summer contained the kind of expensively fabricated, high gloss, inoffensive art that seems made for corporate collections. And then, in contrast, there was Waste, Not., curated by artist Matthew Richardson, which needled at the criteria of value and standards for art production that the other shows were promoting. The exhibition title cut short the usual maxim (‘waste not, want not’), turning it into elliptical teenage sarcasm and inviting the viewer to consider if the works on show held worth or could, indeed, be superfluous. The show brought together works by six British artists: Rachal Bradley, Timothy Davies, John Latham, Patricia Lennox-Boyd, Hannah Sawtell and Richardson himself. The first work the visitor met was Latham’s They’re learning fast (1988/2013), a fish tank in which young piranhas swim around four reprinted pages from Latham’s Report of a Surveyor, published in 1984. Of course the fish were not getting any wiser, in fact in their juvenile state they just seemed petrified by their surroundings, and Latham’s frustration – to communicate the ideas in his work he put them in black and white and still they were not taken up, so fish might be more receptive – could be sensed as keenly as ever. Richardson’s two sculptures in the show were equally futile and tongue in cheek. Self employed II and CV Clinic (both 2012) are small cubic steel units placed on the floor, the top and one side of each open, and both containing twin rollers; the latter, biscuitcoloured work also includes a replica cracker tucked tidily in one corner. Even though their titles are in the language of go-getting capitalist efficiency and they intimate utility, a service they could provide – printing or shoe polishing, say – they are quite evidently useless. Richardson compared the impotence of these male enterprises with Lennox-Boyd’s satirical fertility: Ovum (ooplasm) (2013) consists of six photographs, radiating yellow, of an egg yolk being separated; these were pinned to the wall behind a clear resin conduit threaded with a white extension cable. The yolks may suggest potential life, but they are unfertilized – the avian embryo winding up, perhaps, as human breakfast – while, unused, the cable carried only enough current to keep an LED illuminated. Bradley’s works, on the other hand, were gendered in a nononsense fashion; four 2012 pieces from her 138 Out of Season series are photographs of Bridget Riley paintings from catalogues – where the artist chooses to present them reproduced as vectorized drawings – with a nurse’s watch pinned in the general top right of the landscape-oriented works. Sawtell’s Mole (2009–13) stood between Bradley’s images as if trying to be overlooked, a steel column lacquered green, with a light bulb at its head illuminating the wall behind. The work was a spy in the anarchic ranks, an interloper from the neighbouring world of dry formalism, of art to be seen and not heard. For Waste, Not. was chaotic but thoughtful, an exhibition that toyed with several ideas: of the artist as worker in a system; of reproduction to the point where an original is no longer necessary (Dolly the cloned sheep being the image on the invitation) and of art’s own obsolescence. Several of these works play at leaning into a mercantile art world, but hide true trouble-making colours. In so doing, the exhibition skewered the complacency of several concurrent neighbouring galleries whose new season shows favoured size and shine over criticality, reclaiming the gallery as a site for uncertainty and contradictions. Bettina Allamoda Kunsthaus Erfurt Göksu Kunak Als sich der US-amerikanische Militäroffizier Nik Guran 2004 während eines NordirakEinsatzes William Friedkins Film Der Exorzist (1973) anschaute, bemerkte er, dass die Eröffnungsszene des Films in genau denselben Ruinen gefilmt worden war, in denen er selbst stationiert war. Das brachte ihn auf die Idee, in der Nähe der Ruinen des antiken Sonnentempels in Hatra, unweit von Mosul, einen Exorzisten-Themenpark zu eröffnen, den er „Exorcist Experience“ taufen wollte. Die Idee wurde finanziell durch das Pentagon gefördert und erntete Lob und Unterstützung, auch von Friedkin. Diese Geschichte, die die Künstlerin Bettina Allamoda bereits 2008 als Ausgangspunkt für eine Ausstellung in Berlin verwendete, wird nun in ihrer Ausstellung No Go – The Exorcist Revisited / Brick Security erneut belebt. Der Alternativtitel Brick Security verweist auf den Namen einer multinatio nalen Einheit, die während des Irakkrieges zur Bewachung archäologischer Stätten abgestellt war – Ausdruck der starken Verbindung zwischen Archäologie und Macht. Die Vielschichtigkeit des Materials sowie Allamodas Entscheidung, sich ihrer eigenen Ausstellungsarchäologie zuzuwenden, erlaubt, dass die versteckten Bedeutungen offengelegt und herausgekitzelt werden. Gerüst Mix (2010) zeigt Stahlbarrikaden und Käfigtänzerinnen in Nachtclubs. Barrikaden erinnern zwangsläufig an Grenzen und Kontrolle, genauso wie Pink und Glitzer proletenhafte Weiblichkeitsstereotype aufrufen. Allamoda erfreut sich der Manipulation F R I E Z E d /e N O . 1 2 D eze m b er 2 0 1 3 – F e b r u a r 2 0 1 4