Manuskriptservice - evangelische kirche im hr

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Manuskriptservice - evangelische kirche im hr
Manuskriptservice
Verkündigungssendungen der
Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
Hessischer Rundfunk: „Zuspruch am Morgen“
hr2 6.45 Uhr
Samstag, 24. September 2005
Pfarrer Michael Tönges-Braungart, Mittenaar
Muppets
Heute vor 69 Jahren wurde er geboren: Jim Henson, der amerikanische Puppenspieler, der Vater der
Figuren der Sesamstraße und der Muppetshow. Mit 14 hatte er schon sein erstes Engagement als
Puppenspieler. Seine berühmten Handpuppen, die Muppets, entstanden allerdings erst später. Zuerst Kermit, der Frosch, den Henson aus einem alten Regenmantel und zwei Tennisbällen zusammenbastelte. Und dann nach und nach die anderen: Miss Piggy, die eitle Schweinedame; Rolf, der
klavierspielende Hund; der tollpatschige Fozzy-Bär; der chaotische dänische Koch Smörebröd und
wie sie alle heißen. Jede Woche versucht der Chef der Truppe, Kermit, in einem alten Theater mit
seinen Mitspielern eine Bühnenshow auf die Beine zu stellen. Keine einfache Sache mit einer so chaotischen Truppe. Echtes Talent und hoffnungslose Selbstüberschätzung, unglückliche Liebe und Eifersuchtsszenen, Lampenfieber und Eitelkeiten – bei den Muppets geht’s halt sehr menschlich zu.
Zwei Figuren gehören noch in die Show, allerdings nicht auf die Bühne. Waldorf und Staddler, zwei
alte Herren, die von ihrer Loge aus das Geschehen auf und hinter der Bühne kommentieren. Zurzeit
begegnen sie uns wieder auf großen Werbeplakaten. Die beiden wissen alles besser, achten peinlich
genau auf jeden Fehler und jede große oder kleine Panne und überschütten die Künstler mit ihrer ätzenden Kritik und ihrem Sarkasmus.
Ich gebe zu – als die Muppetshow noch regelmäßig im Fernsehen lief, da fand ich die beiden Alten
recht amüsant. Sie hatten einen scharfen Blick für die kleinen und großen Unzulänglichkeiten der anderen und immer ein paar flotte Sprüche drauf. Und vor allem: Sie hatten die Lacher immer auf ihrer
Seite – mich selber eingeschlossen. Mit den beiden in der Loge sitzen und aus sicherer Distanz das
Geschehen bissig kommentieren – diese Rolle hätte ich mir auch für mich selber vorstellen können.
Jetzt, wo mich die Werbeplakate wieder an die beiden erinnern, merke ich, wie meine Sympathie für
sie nachlässt. Während die einen sich auf der Bühne abmühen und mit ihren eigenen Schwächen
und denen der anderen und mit den vielen Widrigkeiten des Lebens kämpfen, sitzen diese beiden in
ihrer Loge und tun nichts, außer die anderen zu beobachten und zu kritisieren. Sie mischen sich nicht
ins Geschehen ein, sie übernehmen selber keine Bühnenrolle und versuchen schon gar nicht, irgendetwas besser zu machen. Sie bleiben in der Rolle der Zuschauer.
Und sie sind nicht einmal wohlwollende Zuschauer. Sie finden noch in jeder Suppe ein Haar und decken alle Schwächen der Akteure gnadenlos auf. Dabei haben sie ja meistens durchaus Recht. Aber
es geht ihnen nicht darum, den Akteuren auf der Bühne mit ihrer Kritik weiter zu helfen. Sie wollen
allein ihren Spaß haben – auf Kosten der anderen. Und nur ganz selten werden sie selber einmal zur
Zielscheibe von Kritik und Spott. Und dass sie sich selber einmal mit kritischem Blick betrachten, ist
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Hessischer Rundfunk: „Zuspruch am Morgen“
hr2 6.45 Uhr
Samstag, 24. September 2005
Pfarrer Michael Tönges-Braungart, Mittenaar
die absolute Ausnahme.
Wie gesagt, Waldorf und Staddler waren mir früher durchaus sympathisch. Sie sind es im Grunde
auch heute noch. Manchmal nehme ich selber gerne die Rolle des Zuschauers ein, der die anderen
aus sicherer Distanz dabei beobachtet, wie sie sich abmühen und der dann den Blick genau auf das
richtet, was nicht gut läuft.
Aber manchmal erschrecke ich über mich. Nämlich dann, wenn ich mich in die Rolle der anderen versetze, die sich auf der Bühne abmühen, um etwas zustande zu bringen. Die können auf Besserwisser und Sprücheklopfer gut verzichten.
Wenn ich mich wieder mal in der Rolle von Waldorf und Staddler ganz wohl fühle, dann soll mich ein
Wort Jesu auf den Teppich zurückholen: „Was siehst du den Splitter im Augen deines Nächsten und
bemerkst den Balken in deinem eigenen Auge nicht?“ (Matthäus 7, 3)
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