Sophie Barat – Die unerschrockene Reisende

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Sophie Barat – Die unerschrockene Reisende
Sophie Barat – Die unerschrockene Reisende
Einer von Sophie Barats Reisehüten ist ein passendes Bild auf dem Einband ihrer
Biographie. Dieser Hut bleibt auf einem ihrer Briefe. Während wir vergangenen
Monat Sophie als Briefeschreiberin angeschaut haben, sehen wir sie jetzt als
unerschrockene Reisende.
Im Nachspüren von Sophies Reisen entdecken wir, wie sie diese persönlichen
Besuche in den Gemeinschaften zur Aufrechterhaltung der Einheit und Verbindung in
der Gesellschaft nutzte. Gleichzeitig waren diese Reisen eine Quelle für ihr
persönliches Wachstum.
Diese Form der Leitung begann aber eher gelegentlich und zufällig. Sophies Reisen
kamen ursprünglich durch Anfragen und Bedarf von außen zustande, und
entwickelten sich nach und nach zu einem Bestandteil ihrer Leitung und Führung. Bis
1802 war Sophies Erfahrung vom Reisen ziemlich beschränkt. In Joigny werden ihre
Ausflüge als Kind an das Ufer der Yonne gewesen sein, oder in die Weinberge, und
von Zeit zu Zeit zu Verwandten und Freunde in der Umgebung von Joigny.
Das änderte sich aber schnell und dramatisch 1795, als Sophie ihrem Bruder Louis
nach Paris folgte, als die Schreckensherrschaft ihren Höhepunkt erreicht hatte.
Damals reiste sie in einem Boot die Yonne flussaufwärts bis zur Seine und kam nach
Paris. Was empfand Sophie wohl, als sie zum ersten Mal die Kathedrale von Notre
Dame gesehen hatte? Diese prachtvolle Sicht auf Paris von der Seine aus wurde ihr
sicher vertraut, da Sophie jeden Herbst zur Weinlese nach Hause fuhr und im
Frühling nach Paris zurück kehrte. Wie auch immer, als sie sich im Jahr 1800
entschloss, sich den Dilette di Gesù anzuschließen, führte sie die Reise von Paris
nach Amiens, und die wurde für sie zu einem Wendepunkt. In ihrem Testament an
die Gesellschaft bezeichnet Sophie diese Reise als Beginn ihres Lebens in der
Gesellschaft vom hl. Herzen Jesu.
Es gibt viele Reiseberichte, die von Mitgliedern der Gesellschaft im Laufe ihres
Lebens geschrieben wurden. Sophie selbst schrieb natürlich das Journal von
Poitiers, das ein genauer und faszinierender Bericht über mehrere Reisen zwischen
1806 und 1808 ist. Einerseits erzählen sie eine ganze Menge über das erste Noviziat
in Poitiers, andrerseits berichten sie ihre Reiseerfahrungen von Grenoble, nach
Poitiers, Bordeaux, Angoulème, Niort und Paris, in anschaulicher und ausführlicher
Weise. Sophies Reisebericht wurde von weiteren Berichten ihrer mitreisenden
Gefährtinnen ergänzt. Damit wurde im Jahr 1820 begonnen, als das Generalkapitel
dieses Jahres mehrere Mitglieder des Kapitels beauftragte, die Geschichte des
Anfangs und der Weiterentwicklung der Gesellschaft auf zu schreiben. Besonders die
Reiseberichte von Elizabeth Gallitzin und Louise de Limminghe sind wichtig,
nachdem Sophie selbst keine weiteren Berichte aufgehoben hatte, außer über die
kurze Zeit von 1841 – 42.
Natürlich sind ihre eigenen Briefe die Hauptquelle an Informationen über Sophies
Reisen. Adele Cahier, die Sekretärin von Sophie von 1844 bis 1864, machte ein
Inventar dieser Briefe von 1800 bis 1865, und sie listet die Orte und Daten auf, wann
und von wo Sophie alle ihre Briefe geschrieben hatte. Was Adèle Cahier geschaffen
hat, ist tatsächlich eine handgeschriebene Datenbank und eine unschätzbare Quelle
für Nachforschungen.
Das Reisen im Europa des 19.Jh. war eine aufwändige und arbeitsintensive Sache.
Einige reisten aus Gründen der Arbeit und des Geschäftes, andere um Arbeit zu
suchen; für die, die Zeit und Geld hatten, war das Reisen eine Möglichkeit sich weiter
zu bilden und zu staunen. Das Netzwerk der Reiserouten, das entlang der Bahnlinien
entstand, eröffnete ungeheure Möglichkeiten, in Frankreich und darüber hinaus in
Europa mobil zu sein. Aber auch für die Wohlhabenden war das Reisen eine ziemlich
mühsame Sache. Die „große Reise“ wurde als wichtiger Faktor in der Erziehung
junger Männer angesehen, und nach und nach auch für junge Frauen. Und während
sie oft mit viel Gefolge gereist sind, lassen ihre Berichte unsere Verzögerungen auf
Flughäfen und Bahnstationen wie ein Picknick erscheinen.
In diesem Zusammenhang ist es interessant, zum Beispiel Sophie Barats Journal
von Poitiers zu lesen und ihre Reiseerfahrungen zu erfahren. Ohne Zweifel war
Sophie gern unterwegs, und es tat ihrer Gesundheit gut. So war sie zum Beispiel
1802 in Amiens ernstlich krank und trotz aller guten Pflege konnte sie nicht
vollständig wieder gesund werden. In einem Brief von 1804 an Philippine Duchesne
schrieb sie jedoch, dass sie auf ihrer Reise von Grenoble nach Poiteirs tatsächlich
ihre Kräfte wieder erlangt hätte. Das war eine therapeutische Erfahrung. Unterwegs
zu sein, neue Orte und Menschen zu sehen vermittelten Sophie Barat Freiheit und
Entspannung, die sie in Joigny, Paris oder Amiens nicht erfahren hatte.
Das heißt aber nicht, dass das Reisen an sich angenehm war. Sophie erzählt in
ihrem Journal, wie sie und ihre Begleiterin mit Radbrüchen zu tun hatten, von
Fuhrwerken die im Schneckentempo vorbei fuhren, von Gasthöfen die wenig
entsprechend waren, von Betten die schmutzig oder/und feucht waren, und
schließlich auch von zweifelhaftem Essen. So gesehen gab es wenig Romantisches
auf ihren Reisen, aber mit den Jahren wurden Sophie und ihre Begleiterinnen zu
versierten Reisenden. Wenn wir Sophie und Marie Patte 1845 in Rom anschauen,
wie sie ihre Fahrt nach Turin mit dem Kutscher Giorgio planen, können wir erahnen,
dass sie genau wussten, wo sie fahren mussten; und dass Giorgio diese
französischen Damen kannte und ihre Erfahrung respektierte.
Mit den Jahren durchreiste Sophie Frankreich der Länge und Breite nach. Ihr waren
die Reiserouten nach Italien, Belgien und in die Schweiz bekannt. Ihre Romreisen
machte sie manchmal zu Land und manchmal zu Wasser, von Genua in den Hafen
von Rom. Mit der Zeit lernte Sophie die für sie besten Fahrwege kennen, die besten
Plätze zum Übernachten und Frühstücken. Mit der Zeit gab es einerseits genügend
Gemeinschaften, wo sie übernachten konnte, andrerseits Freunde, die Sophie mit
Freude aufnahmen, wenn sie auf Reisen war. Als die Gesellschaft immer mehr
wuchs, verbrachte Sophie Wochen, ja sogar Monate in einem Haus und besuchte die
Gemeinschaft und die Schulen, führte Strukturen ein oder erneuerte sie, und hielt die
Verbindung mit der erweiterten Familie der Gesellschaft durch ihre Anwesenheit
aufrecht.
Philippine Duchesne schrieb lange Berichte über ihre Reisen nach Louisiana, und
ihre Briefe, die sie auf der Fahrt von Bordeaux nach New Orleans geschrieben hatte,
sind sehr lebendig und voll von eindringlichen Bildern. Natürlich hatte Sophie nicht
die dramatischen Erlebnisse von Philippine, oder von Ana du Rousier, oder von den
RSCJs, die in den tiefen Winter Kanadas reisten oder in die Hitze Algeriens.
Sicherlich hoffte Sophie, Philippine und die Gemeinschaften von Louisiana besuchen
zu können, aber diese Hoffnung verwirklichte sich nie. 1844 fuhr Sophie nach
England, trotz der fürchterlichen Warnungen, dass sie den Englischen Kanal
erschreckend finden würde. Dennoch schrieb Sophie mit Zufriedenheit auf, dass sie
eine wunderbare Reise hatte und dass alle anderen auf dem Schiff seekrank waren!
Als die Eisenbahn in Frankreich eingeführt wurde, in der Mitte des 19.Jh., war Sophie
über dieses schnelle Transportmittel froh. Doch da sie ab 1855 keine langen Reisen
mehr machte, lernte sie das Bahnfahren nicht ausgiebig kennen.
Ob nun mit Kutsche, Schiff oder Zug, Sophie Barat war jedenfalls eine
unerschrockene Reisende. Einmal sagte sie zu Eugénie de Gramont, sie fühle sich
durch ihre Reisen und durch das reiche Netzwerk ihrer Kontakte, das sie in all den
Jahren aufbauen konnte, ganz kosmopolitisch geworden. Das war eine viel sagende
Bemerkung, und das ist auch der Schlüssel zum Verständnis von Sophie Barats und
Eugénie de Gramonts Beziehung. Sophie Barat war eine Frau, die unaufhörlich
unterwegs war und daher mit einem großen Kreis von Gemeinschaften, Freunden
und Bekannten Kontakt hatte. Eugénie de Gramont dagegen verließ nie Paris, außer
um ihre Familie zu Besuchen. Sie war immer in einem geschlossenen, eng
verbundenen Kreis der Familie oder der Gemeinschaft in der Rue de Varenne (Hotel
Biron), im vornehmen Vorort St. Germain in Paris.
Hier gibt es noch ein weiteres Verhaltensmuster. Während der turbulenten Jahre in
Amiens (1806 – 1815) versuchte Sophie, so weit wie möglich nicht im Haus sondern
auf Reisen zu sein. Die Uneinigkeit im Haus war starr und die Spannungen hoch.
Eugénie de Gramont war der Mittelpunkt dieser Polarisierung zwischen einigen
Mitgliedern der Gemeinschaft (angeführt vom Kaplan Louis de Sambucy de
St.Estève) und Sophie Barat. Später, als dann der Bischof von Paris im Hotel Biron
wohnte, wurden die Spannungen in der Gemeinschaft größer, und wieder war
Eugénie de Gramont der Mittelpunkt von einem ähnlichen Verhaltensmuster an
Polarisierung im Zusammenhang mit der Führung von Sophie Barat. Es ist
verständlich, dass viele in Paris für eine ganze Weile glaubten, dass Eugénie de
Gramont die tatsächliche Oberin der Gesellschaft vom hl. Herzen war.
Wir müssen Sophie Barats Reisen im Kontext ihrer Beziehungen und ihrer Führung
der Gesellschaft sehen. In gewisser Hinsicht musste sie Amiens verlassen, und
später Paris, und wenn nur um zu entdecken, wie sie zurück kommen sollte. Das
bedeutet nicht, dass sie einfach der Auseinandersetzung auswich. Das tat sie sicher
nicht. Doch sie gab Eugénie de Gramont offen zu, dass es Zeiten gab, wo sie mit
Widerwillen nach Paris zurück kam. Sie verglich ihre Gefühle mit denen eines
Kindes, das nicht in die Schule zurück gehen wollte und so viele Umwege wie
möglich machte, bis es schließlich doch vor dem Schultor stand.
Die Reisen taten Sophie Barat sehr gut. Sie verschafften ihr Distanz, Energie und
Einsicht, wie mit dem umzugehen, was an schwer zu bearbeitenden Problemen in
der Gesellschaft auftauchte. Reisen veränderte, prägte und formte sie, machte sie
reif und weit. Ihre Seele und ihr Geist blieben beweglich. Es garantierte ihr, dass sie
Zeit hatte inneren Frieden und Perspektiven zu gewinnen, Zeit um Gesundheit und
Energien zu erneuern, alles was sie brauchte, um ihre Aufgabe im Leben zu erfüllen.
Einmal bemerkte Sophie:
...die Hauptsache ist, unsere Seele im Frieden zu halten, indem wir sie
unaufhörlich Gott übergeben; wir können das in uns gegenwärtig machen, wenn
sich unser Herz nach Gott sehnt! Bitten wir um beides, damit wir diese Weise
des Seins als Frucht des heiligen Geistes haben. Wie können wir sonst ein
Leben führen, das alle Kräfte unserer Seele unbarmherzig ausbrennt und
austrocknet? Die Welt von heute ist nämlich vergleichbar mit der Bewegung des
Zuges; alles eilt vorbei und läuft vorwärts. Wir haben keine Zeit mehr zum
Atmen. Und dasselbe geschieht mit allen guten Werken, die wir tun. Kein
Zweifel, das alles (der Fortschritt) ist gut, aber das Tempo kann nicht gestoppt
werden. Wir müssen mithetzen; Sie wissen was ich meine, ....
Aus dem Briefwechsel von Sophie Barat und Elisa de Bouchaud, Paris 24.Mai 1855
Lektüre in diesem Monat:
M.S.B. Ein Leben.
Reiseerfahrungen:
SS. 20 –25; 42 – 44; 49 –54; 75 - 89; 130 – 132; 199 – 207; 212 - 219; 220 - 222;
247 – 248; 253 – 259; 275 – 281; 332 – 333; 396; 408 – 414.
Reflexion für diesen Monat:
1. War das Reisen wichtig in deinem Leben?
2. Bist du dir bewusst, warum du reist oder nicht reist?
3. Sophie Barat sah im Reisen oft eine Gelegenheit zur Reflexion, Einsicht und
Genesung. Wie ist das für dich?

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