Discotod in Meidling
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Discotod in Meidling
Discotod in Meidling ER und SIE sitzen an der Bar einer Disco, erkennbar an einer sich über ihnen drehenden Discokugel. Beide sind nicht mehr jung, etwa Mitte 40, beide nachdenklich, melancholisch. Er trinkt Bier, sie Gin Tonic, Er schaut auf sein Handy. Das Gespräch ist schleppend. SIE: Wieso schauen Sie denn die ganze Zeit auf Ihr Telefon, erwarten Sie einen Anruf? ER: Eventuell. Im Moment schaue ich auf die Uhr. SIE: Worauf warten Sie? ER: Auf das Ende, mir vergeht die Zeit hier zu langsam. SIE: Welches Ende? Ihr eigenes? Wollen Sie hier sterben? ER: Nein, hier nicht, das ist ja furchtbar hier, U4, das lebt doch nur noch vom Mythos Falco, ohne Falco nicht überlebensfähig, ich hasse hier alles, auch die Leute, worauf warten die denn? Dass Falco zurückkommt, und sie rettet? Ich kann leider nicht nach Hause PAUSE, ER LEHNT SICH ZU IHR RÜBER, VORWURFSVOLL Meine Frau hat mich weggeschickt, ich soll vor fünf nicht nach Hause kommen. SIE (VERZIEHT DAS GESICHT) ER (KURZE PAUSE): Ich bin zwar beim Tod für ein frühes Ende, aber nicht hier. Da sitze ich doch viel lieber zu Hause auf der Couch und schaue „Wetten,dass“ SIE: Das ist doch furchtbar langweilig ER: So? Finden Sie? Und was verstehen Sie unter Spaß? ER ZEIGT ANGEEKELT INS LOKAL, SIE SCHAUT LEICHT GENERVT SIE: Also auf jeden Fall spannender als zu Hause „Wetten, dass“ anschauen ER: Spannend? Wer will denn Spannung, wenn wir jetzt vom Tod sprechen...ich kann mir gar nichts Idealeres vorstellen, als , sagen wir mal von hinten von einem Irren in den Kopf geschossen zu werden. Schwupp, weg ist man. Wie ein Fleck, von einer Putzfrau weggewischt. Und wir sind ja irgendwie alle Flecken. SIE: Soll sein, aber wie viel Irre lauern hinter Ihrer Couch? ER (IRONISCH): Naja...da wäre schon jemand. SIE (SCHAUT VERÄRGERT) ER (EILIG): Na, was wäre denn die Alternative? Jahrelang an Schläuchen hängend und in der eigenen Scheiße schwimmend dem Ende entgegen kriechen wie eine hüftsteife Schnecke im Gehgestell? Na, vielen Dank! SIE: Sie reden daher wie eine wandelnde Patientenverfügung. ER: Naja, ein früher Tod ist doch etwas Herrliches, will das nicht jeder? Ist doch bei weitem besser als wenn sich etwas ewig hinzieht. SIE: Aber am Ende hängt doch jeder an dem bisschen Leben, das bleibt... ER: Glauben Sie! Haben Sie schon mal das Ende einer Disco erlebt, oder einem ähnlichem Laden wie dem hier? SIE (DENKT KURZ NACH): Ich glaub nicht. ER: Das ist wirklich nicht schön, niemand will das Ende einer Disco erleben, so kurz vor 4 schauen alle nervös auf ihre Uhren, alle wollen abhauen, bevor es zu spät ist, plötzlich haben es alle eilig, niemand will der letzte sein, wenn das Licht angeht, und alle bleichen Gesichter sich anschauen, oh mein Gott, das ist das Ende, sie haben verloren, haben niemanden gefunden, mit dem sie mitgehen können, sie müssen raus aus dem Uterus, aus der Geborgenheit des Lärmes und der stickigen Luft, raus an die feindliche frische Luft, deshalb hab ich auch nie diese Zeile in dem Madonnalied verstanden, das mit dem ABBA Sample, sie singt das in der Disco: „time goes by so slowly“, dann wird die Musik leiser und es tickt die Uhr, tick tock tick tock, und dann wieder „time goes by so slowly“, das kann mir doch keiner erzählen, dass einem die Zeit in der Disco zu langsam vergeht, außer wenn man dazu gezwungen wird, wie ich. (PAUSE, BEIDE STARREN IN IHRE GETRÄNKE) ER: Das ist wie dieser Film „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“, da geht’s um eine Dauertanzveranstaltung, das Paar, das ganz zum Schluss übrig bleibt, bekommt einen Preis, das sind dann echt so Wracks, die sich nur mühsam auf den Beinen halten können, jammervolle Figuren, sie hängen in den sprichwörtlichen Seilen, und betteln um Erlösung, und das Publikum amüsiert sich, weil es den Quatsch selbst nicht machen muss. Am Ende der Preis, der Preis der totalen Erschöpfung. Discotod, alle wollen vor den anderen sterben. Aber sie können nicht. SIE: Also Ihre Angst ist dann eher die vorm späten Ende, richtig? ER: Ja SIE: Oder vorm falschen Ende? ER: Wie? SIE: Es gibt ja auch die Angst vorm falschen Anfang, wenn man irgendwo hinkommt, sagen wir mal, sich irgendwo vorstellen, und die Hose ist offen, oder eine Brust hängt raus, weil man grad sein Kind gestillt hat, und vergessen, die Brust wieder einzupacken, das verbaut einem doch alles, oder man hat Mehl im Gesicht. ER: Mehl im Gesicht? Kommt doch gut, bei einem Vorstellungsgespräch beim Bäcker. SIE: Nein, ich meine sowas wie Marmelade im Mundwinkel oder ein Senffleck auf der Bluse, egal, man sollte immer einen letzten Blick in den Spiegel werfen, naja, gut, ich gebs zu, wenn man erschossen wird, nützt ein letzter Blick in den Spiegel nicht, bzw man denkt ja nicht dran, niemand denkt dran, oder vergisst das immer wieder, dass man ja jeden Moment erschossen werden kann, aber trotzdem, eine frische Unterhose ist ja auch sowas wie ein letzter Blick in den Spiegel, und dann ist man tot, wurde grad erschossen, liegt in der Pathologie, dann ist die Unterhose vollgeschissen oder gelb oder sowas, oder hat ein komisches Muster, aber das läuft ja auf das gleiche hinaus, was haben Sie vorhin gesagt, wir sind alle Flecken? Und dann machen sich die Pathologen auch noch lustig über die Leiche, dass die Leiche, der Exmensch so einen schlechten Geschmack hatte. ER: Ich hab keine Brüste SIE: Brüste? ER: Sie meinten, man hat vergessen seine Brüste wieder einzupacken, nach dem Stillen, wenn das Kind, nunja die Disco verlassen hat, wenn die Milchparty zuende ist. SIE: Es gibt doch gar kein Ende und keine Discos mehr, die heißen seit 15 Jahren schon „Clubs“ und die Nacht hört nicht mehr auf im Club, es geht immer weiter. Nach der Nacht kommt die After hour... und dann gibt’s die Frühstückslokale, wo um 17 Uhr gefrühstückt wird, und dann geht’s wieder in die Clubs, und das Ende einer Disco oder eines Clubs zu erreichen ist doch auch ein Triumph, eine Leistung, ich habs bis zum Schluss geschafft, ...wann waren Sie denn das letzte mal in einer Disco, vor 25 Jahren vielleicht? ER: Ich sitz doch gerade in einer, oder ist das hier ein Kaffeehaus? Discos, Clubs, Clubbings, alles derselbe Betrug. Was soll überhaupt diese Kugel (DEUTET AUF DIE DISCOKUGEL)? Was soll die vermitteln, was symbolisiert sie? Dass unser Globus glitzert und blinkt, dass das Leben ein sich ständig um sich selbst drehender Spiegel ist, das ist doch ein Witz. Und heißt die Kugel jetzt auch nicht mehr Discokugel, sondern Clubkugel? SIE: Wahrscheinlich, immerhin hat sich Falco auch schon im Glanz dieser Kugel gesonnt. ER: Das imponiert mir nicht, davon hab ich nichts, Falco färbt ja nicht ab, und wenn er abfärben würde, will ich davon nichts haben. SIE SCHÜTTELT VERZWEIFELT DEN KOPF, ER SCHAUT WIEDER AUF SEIN HANDY SIE: Jetzt hören Sie doch endlich damit auf, auf ihr Handy zu starren, das ist unhöflich. ER: ich würde jetzt gerne gehen SIE (SARKASTISCH): Ich denke, Sie dürfen nicht nach Hause. ER: Deswegen muss ich noch lange nicht HIER bleiben, verdammter Laden, das ist hier alles von Falco verflucht und vergiftet. SIE: Haben Sie einen besseren Vorschlag? ER: Also am liebsten Tokio, da ist es jetzt schon 5 Uhr. SIE: Jetzt trinken wir mal aus BEIDE STARREN AUF IHRE DRINKS UND NEHMEN SYNCHRON EINEN SCHLUCK ER: Das Bier ist auch lauwarm. Irgendwie passend. SIE: Also jetzt reicht es mir mit Ihnen. Vielleicht tut Ihnen ein Ortswechsel wirklich gut. ER: Aber nicht so weit. Ich wohn hier nämlich in Meidling, auch so ein Fluch, und gleich gegenüber vom U4. SIE (TRÖSTEND): Ich weiß, ich auch (SEUFZEND)..ich auch. SIE STEHEN AUF, ER WANKT ALS ER STEHT. SIE SIEHT BESORGT AUS. SIE: Ist Ihnen nicht gut? ER: Geht schon, nur etwas schwindelig. SIE: Wollen wir noch lieber hier bleiben? ER: Sagen Sie sowas nicht. Deswegen ist mir ja schwindelig. SIE (ÜBERLEGT ETWAS): Weswegen, sagten Sie, dürfen Sie nicht nach Hause? ER: Ähm...tja, hm, so genau weiß ich das eigentlich auch nicht. SIE: Falsche Antwort, ganz falsche Antwort. BEIDE SCHWANKEN, SICH UNTERHAKEND AUS DEM LOKAL, DER DJ SPIELT VON MADONNA „HUNG UP“ Copyright beim Autor, 2014. 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