Auf fremder Couch
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Auf fremder Couch
Familienreise im Internet-Zeitalter Auf fremder Couch Text und Fotos: evelyne Brader Gegen das reisevirus der Familie Brader hilft kein Heilkraut und kein Handauflegen. Linderung verspricht den vier reisevögeln – Vater reto (43), mutter evelyne (39), Andrin (13) und roman (12) – nur eine abenteuerliche reise einmal rund um den Globus. Dank dem Internet kommt die Familie in allen erdteilen erschwinglich zu einem Dach über dem Kopf. evelyne Brader berichtet aus acht «Gasthäusern» und von ungewöhnlichen einblicken in Kultur und Leben anderer menschen. W ir mögen unser gemütliches Leben, die Jobs laufen gut, und unsere beiden Söhne fühlen sich wohl in der Schule. Trotzdem packt Reto und mich wieder mal das Fernweh. Der Gedanke, mit der Familie einmal um den Globus zu reisen, will nicht aus unseren Köpfen. Darüber gesprochen haben wir beide erst heimlich. Sollen wir wegen unserem Vagabun- 52 GLOBETROTTER-MAGAZIN sommer 2011 dentrieb alles über den Haufen werfen und die Jungs aus ihrem gewohnten Dasein reissen? Irgendwie erscheint uns das unfair, und so wollen wir das Projekt schon fast ad acta legen – bis das Thema eines Tages doch auf den Tisch kommt. Die jungen Herren lesen uns kurzerhand die Leviten und erklären, dass sie wenigstens gefragt werden wollen, wenn sie schon der Grund für die Absage seien. Das leuchtet uns Eltern ein. So geben wir Andrin und Roman zwei Wochen Bedenkzeit, in denen sie sich gut überle- gen und zusammen durchsprechen sollen, welche Auswirkungen eine solche Reise für sie beide hätte. Nach den zwei Wochen kommen sie in den Familienrat und verkünden, sie wären bereit für das Abenteuer. Nun stehen viele grosse Entscheide an. Was machen wir mit dem Haus? Erlaubt die Schule ein einjähriges Sabbatical? Dass wir Eltern beide selbstständig erwerbend sind, macht die Jobfrage etwas einfacher. Nachdem die grossen Fragen geklärt sind, gibt es kein Halten mehr: Eine ungefähre Reiseroute wird ausgeheckt, weltreise Pässe werden verlängert, Visa beantragt, Impfungen gemacht, Packlisten zusammengestellt und Lesestoff für die Kinder wird zusammengetragen. Ab nach Nordamerika. Wir sind der Meinung, dass uns ein geringer Kulturunterschied einen einfacheren Einstieg ins Weltreisedasein ermöglicht: Zu viert den ganzen Tag zusammen sein, nur 20 Kilogramm Hab und Gut pro Person, fehlende Freunde und eine ungewohnte Umgebung sind Herausforderungen genug für den Anfang. Deshalb starten wir in New York an der Ostküste der USA, dann solls gegen Norden bis nach Nova Scotia in Ostkanada und weiter quer durchs Land in die Rocky Mountains gehen. Ausser der sechstägigen Schiffsreise von Southhampton in England nach New York haben wir nichts gebucht – wir zählen aufs Internet. Bereits auf hoher See beginne ich im Web zu surfen. Einschlägige Homepages sind mir bisher nicht bekannt. Mehr zufällig entdecke ich Netzwerke, auf denen Haus- und Tierbesitzer jemanden suchen, der für eine bestimmte Zeit sogenanntes Housesitting macht. Das Angebot erstreckt sich quer über den Globus und Die gute Stube. Da fühlt man sich auch in der Fremde wie zu Hause (links oben). Über See. Gemächliches Antasten an die grosse Reise – Ankunft in New York (oben). Zwei Familien, ein Haus. In Montréal heisst es ohne Vorbehalt «Bonjour nos amis!» (unten). reicht vom Schildkrötenhüten in Südafrika bis hin zur Verantwortung über 1280 Rinder in Australien. Eine geniale Idee, wie uns scheint. Ich werde in Leesburg, Virginia, fündig. Eine Familie sucht Housesitter für zehn Tage. 28 Hühner, eine Ente und einen Hund gibt es zu betreuen. Der Zeitrahmen passt perfekt. Den Umweg nach Leesburg finden wir vertretbar und das Hühnerhüten mehr als spannend. Mit viel Enthusiasmus schicke ich unsere erste Onlinebewerbung ab. Nach vier Tagen blinkt es in meiner Mailbox. Voller Spannung und mit pochendem Herzen öffne ich das Mail: «Hi Evelyne, ich beziehe mich auf deine Bewerbung. Wenn wir lokal niemanden finden, melden wir uns bald wieder bei euch. Okay? Gruss, Nikki» – Das ist ja wunderbar! Ich springe auf und erzähle die halbwegs positive Nachricht meinen drei Männern. Drei Tage später: «Hi Evelyne, wir würden euch das Housesitting gerne übergeben, wenn ihr noch verfügbar seid. Wir möchten euch aber am Vorabend kennenlernen und laden euch zum Nachtessen ein. So können wir euch auch alle Aufgaben erklären, Nikki.» Fremde Betten, fremde Viecher. Nach einigen Tagen in einem Hotel in New York mieten wir ein Auto und machen uns auf in Richtung Leesburg. Während der Anreise nimmt das Kribbeln bei allen zu. Die Buben können kaum ruhig sitzen. «Hier sind wir», sagt Reto, als wir in den Parkplatz einbiegen. Rasch aus dem Auto gehüpft, klingeln wir voller Span53 wir immer den Internetzugang nutzen durften – und natürlich von den liebgewonnenen Tieren. Couchsurfing. Wir fahren die Ostküste hoch, übernachten in kleinen Motels oder Cabins und haben uns inzwischen gut ans enge Zusammenleben gewöhnt. Auf Anraten einer «Housesitting-Lady», mit der wir für Australien in Kontakt sind, sehe ich mich auf der Website www.couchsurfing.org um. Ich hatte schon davon gehört, dachte mir aber, es handle sich um ein Netzwerk für junge Reisende, die auf einer Nullbudget-Städtereise ein Sofa zwecks Ausnüchterung ihrer Partyes- nung bei unserem temporären Zuhause. Eine kleine Mittdreissigerin mit freundlichem Gesicht öffnet die Türe und umarmt uns alle herzlich, ganz selbstverständlich. Das Kennenlernen vor Abreise der Besitzer fühlt sich wohl ähnlich an wie Speed-Dating. Man will in kürzester Zeit möglichst viel über den anderen in Erfahrung bringen. Schnell und ohne Umschweife kommt man zur Sache. Still wird es in den vier Stunden des Beschnupperns nie. Andrin und Roman freunden sich sogleich mit Lauryn, der Tochter des Hauses, an und ziehen mit ihr los, die Tiere zu begutachten. Bald stehen auch die Nachbarn vor der Türe, mit einer Flasche Wein unter dem Arm zur Begrüssung. Das Federvieh wird zu Retos Passion. Abends, wenn die 28 Hühner sowie Chuck, die Ente, in ihr Häuschen müssen, wird gewissenhaft nachgezählt, bis alle 29 Tiere sicher auf ihren Leiterchen stehen, obwohl wir gemäss Hausherr das Federvieh nicht nachzuzählen bräuchten – es würde schon keines verschwinden. Doch schon am ersten Abend kommt Reto blass ins Haus: «Ich finde nur 27 Hühner und Chuck. Eines fehlt!» «Du hast bestimmt falsch gezählt…», versuche ich ihn zu beruhigen. Der Garten vor dem Hühnerstall ist erhellt von abertausenden Glühwürmchen, welche uns ein zauberhaftes Lichtspiel aus winzigen Punkten bescheren. Doch Reto hat im Moment keine Augen für das faszinierende Schauspiel, «ich brauche eine bessere Taschenlampe!», ist sein einziger Kommentar. Wir finden eine im Putzkasten, und schon ist er wieder im Hühnerstall verschwunden. Es dauert. Verzweifelt kommt er zurück «Es fehlt eines! Was sollen wir nun 54 GLOBETROTTER-MAGAZIN sommer 2011 machen?» – «Wir können momentan nichts unternehmen, lass uns am nächsten Morgen alles absuchen», schlage ich vor. Reto wälzt sich in dieser Nacht voller Sorge von einer Seite auf die andere. Während die ersten Sonnenstrahlen meine Nasenspitze kitzeln, höre ich Reto schon hinunter eilen. Auf dem Weg durch den Garten sieht er, wie unter dem Hühnerstall das vermisste, silberfarbene Huhn durchhuscht. Wir werden noch feststellen, dass dieses Huhn nie im Stall nächtigt… Nach acht Tagen kommen die Besitzer zurück, wir packen unsere Bündel und verabschieden uns von ihnen, von den Nachbarn, dem Pizzeriabesitzer ums Eck – bei welchem kapaden suchen. Wie falsch ich doch lag! Auf dem Couchsurfing-Netzwerk gibt es verschiedenste Untergruppen, z.B. für Ü-50er, Familien und viele mehr. Ich bin überrascht, wie viele Angebote es überall auf der Welt gibt. Kurz entschlossen frage ich bei einer Familie in Montréal, Kanada, an, ob sie uns für zwei Übernachtungen beherbergen würden. Sehr schnell kommt eine positive Antwort. Super – ab nach Montréal. Das Herz klopft wieder bis zum Hals. Eine komische Vorstellung, dass man in einem fremden Haus einfach für ein paar Tage Domizil beziehen wird. Noch bevor wir unser Auto richtig verlassen haben, öffnet sich schon die Haustüre. Ein Mann kommt mit offenen Ar- weltreise men auf uns zu und drückt jeden von uns. «Bonjour mes amis und herzlich willkommen!» Zwei Kinder kommen mit zwei kleinen Hunden ebenfalls aus dem Haus geeilt. Tommy, der Junge, meint zu unseren Kids: «Kommt mit! Wir haben ein Trampolin im Garten», und schon sind alle vier Kinder wie vom Erdboden verschluckt. Unser Gastgeber zeigt uns zuerst das Gästezimmer. Wir dürfen den ausgebauten, hellen Keller beziehen. Für Andrin und Roman liegt eine grosse Luftmatratze auf dem Boden, das Bettzeug schön angezogen und fein säuberlich hingelegt, und wir Eltern haben sogar ein separates Schlafzimmer da unten. Wir geniessen die drei Tage bei den Amours in vollen Zügen. Wir schauen uns Montréal an, besuchen ein Museum und versuchen, uns im Verkehr zurechtzufinden. Andrin und Roman können es jeweils kaum erwarten, bis die beiden Kinder aus der Schule kommen. Gar ein paar Schmetterlinge sind zwischen unserem 13-jährigen Andrin und der 12-jährigen Tochter des Hauses zu bemerken. Die beiden verstehen sich von Anfang an sehr gut. So gut, dass Andrin am zweiten Tag heimlich eine Halskette für sie kauft, welche er ihr am Abend zum Abschied zusammen mit einem Brief aufs Kopfkissen legt. Als wir im Auto Richtung Ottawa sitzen, meint Roman zu Andrin: «Du, das mit der Kette finde ich etwas übertrieben. Du siehst sie ja eh nie wieder, da hättest du das Geld lieber für dich behalten.» Paradies am See. Wir sind nun definitiv vom Couchsurfing überzeugt, und in kurzer Zeit sind drei weitere Übernachtungen ausgemacht. Im Osten Kanadas schlafen wir fast die Hälfte der Zeit auf diese Weise. So auch am malerischen Lake Muskoka nördlich von Toronto, wo uns gleich ein ganzes Haus zur Verfügung gestellt wird. Die Anfahrtsbeschreibung ist ungewöhnlich, aber mit etwas Mühe finden wir unser Kurzzeitzuhause doch noch. Es geht durch den Wald und am Ufer des Sees entlang. Und dann trauen wir unseren Augen kaum: Welch wundervolle Lage! Das zweistöckige Haus liegt von Bäumen umgeben an einem Fluss, der in einen See mündet, inmitten idyllischer Natur. Ein Holzsteg führt übers Wasser zur Bootsanlegestelle. An einem Baum hängt romantisch eine Schaukel, welche einen an die Geschichte von Tom Sawyer und Huckleberry Finn erinnert. Als wir anklopfen, ist niemand da, und so rufen wir Anita aufs Handy an. «Ah gut, ihr habt das Haus gefunden, wir sind in zwei Minuten bei euch.» Kurze Zeit später rauscht ein Motorboot die Flussöffnung hinauf, und eine junge Frau mit einem Hut und ein kräftiger Mann, der aussieht wie Bruce Willis, steigen aus Amerikanisch. Erstes Housesitting (links oben). Schweizerisch. Die Zahl der Hühner muss stimmen (links Mitte). Kanadisch. Paradies am See (links unten). Nehmen und Geben. Geschenke basteln für die Gastfamilie (oben). dem Boot und begrüssen uns. Die beiden logieren momentan in ihrem Ferienhaus und überlassen uns deshalb das Haus am See. Sie übergeben uns die Schlüssel und sind auch schon wieder weg. Es dunkelt draussen, wir essen gemütlich am rustikalen Holztisch zu Abend und fragen uns, wie wir es bloss schaffen, so viel Glück in unserem Leben zu haben. – Da wohnen wir nun in einem wunderbaren Haus an einem Ort, von dem die meisten Menschen nur träumen und müssen dafür nicht einmal etwas bezahlen. Plötzlich stellen wir fest, dass im Stockwerk über «unserer» Garage Licht unregelmässig an und ab geht. «Weisst du, ob da oben jemand wohnt? Haben dir die Eigentümer etwas erzählt?», fragt Reto. «Nein, keine Ahnung. Vielleicht handelt es sich um ein automatisches Lichtsystem», entgegne ich. Vorerst machen wir uns nicht zu viele Gedanken darüber und geniessen die Stille. Doch das Licht lässt uns keine Ruhe. Plötzlich fragen wir uns, ob wir hier sicher sind. Reto und mich überkommt Websites www.couchsurfing.org (Deutsch, Englisch) www.housecarers.com (Englisch) www.mindmyhouse.com (Englisch) www.haustauschferien.com (Deutsch) Buchtipps 90 Nächte, 90 Betten Tagebuch einer Couchsurferin in Berlin von Christine Neder Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag ISBN: 978-3-86265-036-1 CHF 23.50 Couch Surfing Eine abenteuerliche Reise um die Welt von Brian Thacker Eichborn Verlag ISBN: 978-3-8218-6505-8 CHF 27.50 ein ungutes Gefühl. Den Kindern sagt man immer, sie dürfen nicht mit Fremden mitgehen und sich nicht mit Internet-Chat-Bekanntschaften treffen, wir aber ziehen gleich mit Sack und Pack bei Leuten ein, die wir lediglich von einer Internetseite her kennen. Wir versuchen, uns in nichts hineinzusteigern, beschliessen jedoch, Stühle unter die Türfallen zu stellen. Sollte jemand das Haus in der Nacht betreten wollen, würden wir dies hören. Reto versteckt unsere Wertsachen. Wir erwachen um 7.45 Uhr mit Aussicht auf einen mystisch dampfenden Fluss, die Sonnenstrahlen erhellen das Zimmer, und die komischen Gefühle sind weg. Als wir an der Garage vorbei gehen, kommt uns eine Frau durch die Türe entgegen gelaufen: «Hi, ich bin Paula und wohne vorübergehend oben in der Garage.» Es war also doch eine Person, die das Licht ein- und ausgeschaltet hatte. Wir unternehmen eine Wanderung durch den herbstbunten Wald, aber nur mit dem Versprechen an die Jungs, ihnen nachher genug Zeit zu geben, um vom Steg aus ihr Fischerglück zu versuchen. So ist für jeden von uns etwas dabei, bei dem er die Seele baumeln lassen kann. Abends holen uns die Eigentümer mit ihrem Motorboot zum Nachtessen ab, Paula kommt auch mit. Mit Vollgas rauschen wir über den lauschigen See, die herrlich frische Luft weht uns um die Nasen. Beim Ferienhaus angekommen, entzünden wir ein gemütliches Lagerfeuer, philosophieren über Gott und die Welt und geniessen einen spektakulären Sonnenuntergang. Der Himmel über uns ist wie mit Diamanten besetzt. Die andere Seite der Welt. Nach drei Monaten Nordamerika und der ersten Begegnung mit dem Winter wird es Zeit, den Kontinent zu wechseln. Ab Los Angeles fliegen wir für drei Wochen ins Südseeparadies der Cook-Inseln und verbringen hier jede Nacht in einem Hotel. Internetkontakte liessen sich leider keine knüpfen. Dann gehts weiter nach Neuseeland. Mit dem gemieteten Auto durchstreifen wir die Südinsel und stellen bald fest, dass Motels für eine Familie von vier Personen günstiger sind, als die vielen BackpackerHostels. Mit gespannter Erwartung setzen wir auf die Nordinsel über, wo ich in Turangi ein zweiwöchiges Housesitting vereinbart habe. Zu hüten gibt es auch zwei grosse Hunde und zwei Katzen. Wir reisen einen Tag früher an, als die Gastgeber abreisen, damit wir die Leute und die Tiere kennenlernen können. Johanna zeigt uns sämtliche Spazierwege in der Umgebung, führt uns ins Einmaleins ihrer Haustiere ein, und bevor wir es merken, sind wir schon mittendrin im neuseeländischen Alltag. 55 land freuen sich die Einwohner über jedes tote Opossum, da die Tiere hier als Plage gelten. Nur ein totes Opossum ist ein gutes Opossum! – ist ein beliebter Ausspruch der Neuseeländer. Uns tut das kleine Fellknäuel zwar leid, unserer Sympathie zu den beiden Hunden tut dies aber keinen Abbruch. Ohne Abschiedstränen kommen wir auch aus Turangi nicht weg. Milch frisch ab Kuh. Neuseeland bereichert uns mit seinen einmaligen Landschaften: wilde Strände, karge vulkanische Landstriche und dichte Regenwaldgebiete. Und nicht zuletzt Tausende von weidenden Schafen. Während den abwechslungsreichen Reisetagen freuen wir uns auf eine Couchsurfing-Unterkunft in der Region Bay of Plenty bei einer Familie mit drei Buben. Wir fahren in ein Minidörfchen mit einer Tankstelle und einem kleinen Laden, wo man die täglichen Bedürf- Neuseeland. Schöne Reisetage durch eine abwechslungsreiche Landschaft (links oben). Das normale Leben. Die täglichen Spaziergänge mit den Hunden lassen die Braders schnell im fernen Alltag ankommen (links Mitte). Zum Kühe melken um die halbe Welt. Nik zeigt Roman, wie es geht (links unten). Freestyle. Auch improvisiert schläft sichs gut (o.). Ich geniesse die täglichen Spaziergänge mit den Hunden, vorbei an gepflegten Kleingärten und begegne Kindern, die hoch zu Ross zur Schule reiten. Unsere Nachbarn sind allesamt Maoris, und so lernen wir von einer Maorifrau, wie man in geothermischen Kochlöchern in der Erde einen Schweinskopf zubereitet. Ein unvergessliches Erlebnis! Die wohlerzogenen Hunde geben uns allen Grund, bei jedem Wetter nach draussen zu gehen. Auf einem Frühspaziergang springen die beiden ins hohe Gras und mit einem weiteren Satz ins Unterholz. Wir hören Jake kurz knurren. Meg geht sofort in Jagdhaltung. Johanna hat uns noch gewarnt, die beiden Hunde würden seit Neuestem Jagd auf Opossums machen. Ein verzweifeltes Quietschen hallt durchs Unterholz. Kurz darauf das Knacken von Knochen. Roman schaut mich wie versteinert an: «Au weia, Mami! Was war das?» Wir warten… eine, zwei Minuten. Dann kommt Jake mit einem toten Opossum in der Schnauze stolzen Schrittes auf uns zu. Reto lobt ihn, obwohl ihm alles andere als ums Loben zumute ist. In Neusee56 GLOBETROTTER-MAGAZIN sommer 2011 nisse mehr schlecht als recht decken kann. Beim Haus angekommen, kommt uns eine Frau mit einem kleinen Blondschopf auf dem Arm durchs Gartentor entgegen. Es folgen ihr Mann und die beiden älteren Söhne sowie zwei Freunde der Kinder. Es dauert nicht lange, schon plantschen alle Kinder im Faltpool, und wir Erwachsenen sitzen gemütlich unter einem Baum und geniessen ein kühles Bier. Die Brents erklären uns, dass Nik, ein Freund des ältesten Sohnes, auf einer Farm mit 128 Kühen lebt. Sein Vater ist fürs Wochenende weggefahren. Deshalb ist Nik bei ihnen einquartiert, muss aber auf dem Hof die Kühe melken. Um 14.30 Uhr will er los und meint zu uns: «Hey, wenn ihr mitkommen wollt, ich würde mich freuen.» – Das muss man Andrin und Roman nicht zweimal sagen. Gerne begleiten wir ihn. Auf dem Hof angekommen, verschwindet Nik und kommt nach ein paar Minuten, auf einer Honda 250er sitzend, zurück. Andrin findet dies das Coolste überhaupt! Natürlich erlauben wir unseren Jungs trotzdem nicht, selber zu fahren. Samt Hofhund folgen weltreise wir Nik auf die Kuhweide, der Jungbauer öffnet die Tore und gibt seinem Hund Anweisungen. Dieser treibt alle Kühe kommandogenau in die richtige Richtung und passt auf, dass keine zurück bleibt. Es ist beeindruckend, wie diese Arbeit zwischen Mensch und Tier beinahe lautlos abläuft. Die Kühe stehen in Reih und Glied vor der Melkmaschine. Bald sind die Melkbecher an die Euter der ersten Tiere angeschlossen. Nik holt eine Tasse, spritzt aus einem Euter Milch hinein und bringt sie uns. Lauwarm und köstlich! Dann schlägt er den Jungs vor, es selber zu versuchen und zeigt Andrin und Roman, wie man eine Kuh von Hand melkt. Die beiden probieren es – tatsächlich, die Milch spritzt. Die Kinder sind begeistert und dürfen helfen, die Melkmaschine an die weiteren Kühe anzuschliessen. Schon witzig, dass wir um die halbe Welt reisen müssen, bis unsere Kinder zum ersten Mal eine Kuh melken können! Kinder stellen sich dem Alter nach draussen auf der Strasse in eine Reihe. Der älteste Sohn geht zur Grossmutter, überreicht ihr ein rotes Couvert, umarmt sie herzlich, drückt ihr zwei Küsse auf die Wange und wendet sich dann der wartenden Kinderschlange zu. Die Kinder starten einen lauten, fröhlichen Sprechgesang. Dann zückt der Onkel ein Bündel nigelnagelneuer Banknoten aus seiner Brusttasche und beginnt diese zuerst an die Kinder, dann auch an die anderen zu verteilen. Erneut formt sich die Kinderschlange, und der nächste Onkel wiederholt das Ritual. So geht es weiter. Auch wir werden beschenkt und erhalten «Lucky Money». Danach stossen wir alle zusammen an, essen Tết-Food (Neujahrsspezialitäten) und wünschen einander «chúc mừng năm mới» – Frohes Neues Jahr! Willkommen – Jahr des Tigers. Von Neusee- land führt uns die Reise an die Ostküste Australiens. Wir bereisen die Sunshinecoast, beobachten Riesenschildkröten beim Eierablegen, tauchen bei der Lady Musgrave Island im Barrier Reef und müssen vor einem Buschbrand fliehen. Nach dem Neujahrsfeuerwerk in Sydney fliegen wir weiter nach Thailand. Nun freuen wir uns auf Vietnam, dem ersten Land in Südostasien, in dem es mir gelungen ist, halbwegs ein Couchsurfing zu organisieren. Grant, unser australischer Gastgeber in Phan Thiet, an der Ostküste im Süden Vietnams, hat uns zwei Zimmer in einem einfachen Hotel reserviert, welche wir selber bezahlen. Bei der Begrüssung erklärt er uns sogleich, warum es im kommunistischen Vietnam keine «normalen» Couchsurfings gibt: «Wenn Touristen und Fremde im Haus eines Einheimischen übernachten wollen, müssen die Gastgeber ein Antragsformular bei der Polizei ausfüllen, welches erst bewilligt werden muss, und danach müssen die Gäste täglich registriert werden.» Uns soll dieses Hotel, in dem Grant auch wohnt, recht sein, wir erhalten trotzdem Familienanschluss bei Mai, Grants Freundin. Heute ist ein besonderer Tag, denn heute Nacht beginnt das neue Mondjahr. Ganz Asien feiert ausgelassen Silvester und den Beginn des Jahr des Tigers. Mai hat uns für die Feierlichkeiten zu sich nach Hause eingeladen. So geniessen wir zuerst alle zusammen ein köstliches vietnamesisches Nachtessen und ziehen dann weiter in eine romantische Bar. Anschliessend kämpfen wir uns zusammen mit einem Tross von scheinbar Millionen «Töfflis» durch die dunkle Nacht zum Flussbecken, um um Mitternacht im Stadtzentrum zu Marschmusik und Parteiparolen das Feuerwerk zu geniessen. Aber die Nacht ist noch lange nicht zu Ende. Weiter geht es zum Haus von Mais Grossmutter, wo sich die gesamte Familie einfindet. Das Haus ist ein klassisches «Shophouse», ein Reihenhaus, dessen Parterre mit einer grossen Einfamilienwagen. So viel Ladung wie eben draufpasst – ein ganz normales Bild in Vietnam (o.). Tết-Food im «Shophouse». Evelyne freut sich über das gemeinsame Feiern mit Mais Familie (M.). Herzlich. Alle wollen mit Roman und Andrin aufs Neujahrsfoto (unten). Falttüre gegen die Strasse geöffnet werden kann. Es dient als Wohnraum, Garage und Ladengeschäft in einem. Der Boden und die Wände sind gekachelt, und im hinteren Eck steht eine kleine Wohnwand mit TV und Stereoanlage, daneben ein kleiner Altar, vor dem besonders heute rege gebetet wird. Das Sofa wird zur Seite geräumt, Speisen werden am Boden bereitgestellt, und wir setzen uns alle im Kreis darum. Nur die 85-jährige Grossmutter macht es sich in der Hängematte bequem und überwacht zufrieden lächelnd die Schar ihrer elf Kinder mit Ehepartnern, Kindeskindern und Gästen. Auf einmal kommt eine fröhliche Hektik auf, die Homestay im Regenwald. Von Ho Chi Minh City in Vietnam fliegen wir direkt in den malaysischen Teilstaat Sabah auf Borneo. Couchsurfing und Housesitting sind hier keine Option, wir stellen jedoch fest, dass manche Länder Südostasiens eine Alternative bieten, welche zwar kostenpflichtig ist, aber trotzdem einen persönlichen Kontakt mit den Einheimischen ermöglicht: das Homestay. Dies ist vergleichbar mit einem Bed & Breakfast, nur dass im Preis sämtliche Mahlzeiten, Anreise und Ausflüge auch eingerechnet sind. Entgegen unserer Befürchtung, dass der Mittelsmann mit unserer Vorauszahlung durchgebrannt ist, steht am nächsten Morgen wie abgemacht ein Fahrer mit Auto vor unserer Unterkunft, um uns abzuholen. Im 44 rauschen wir zwei Stunden an endlos scheinenden Palmölplantagen vorbei. Das in meinem Kopf vorherrschende Bild von Borneo – üppiger Regenwald – ist bis dahin weit und breit nirgends zu entdecken. Irgendwann endet die geteerte 57 weltreise 58 GLOBETROTTER-MAGAZIN sommer 2011 Geduldig. Die Grossmutter lehrt den Enkel wie man richtig isst (links oben). Homestay Borneo. In einem einfachen Stelzenhaus in Bilit kommt man mit den Einheimischen zusammen (rechts oben). Mit 40 000 Tonnen heimwärts. Als einzige Gäste geniessen die Braders die Gastfreundschaft und Kameradschaft der Frachtschiffcrew (unten). und bringt ihm mit grosser Geduld bei, wie man mit der rechten Hand isst. Immer, wenn er mit der linken ins Essen greift, zieht sie ihm das Händchen kopfschüttelnd weg und gibt ihm mit Handzeichen zu verstehen, dass man mit dieser Hand den Popo säubert. Der Kleine geniesst all die Aufmerksamkeit und kommt dabei kaum zum Essen. Zum Abschluss dieses einmaligen Tages gehen wir auf einen Nachtspaziergang durch den Dschungel. All die ungewohnten Stimmen und Laute versetzen uns in eine andere Welt. Doch als mir Reto mit den Fingern von hinten leicht über den Hals krabbelt, bin ich schlagartig zurück in der Realität. Mit einem Schrei bringe ich vermutlich sämtliche schlafenden Urwaldbewohner um ihre verdiente Nachtruhe. Schwankende Ostern. Von Borneo gehts weiter nach Kuala Lumpur in Malaysia, wo wir an Bord eines 220 Meter langen und 40 000 Tonnen schweren Frachtschiffs steigen, welches uns über den Indischen Ozean heimwärts fahren soll. Es hat uns einiges an Hartnäckigkeit und Ausdauer abverlangt, bis wir eine Reederei gefunden haben, die uns dies ermöglicht. Als einzige Gäste auf dem Schiff Summa summarum. Auf unserer einjährigen Weltreise verbrachten wir 75 Nächte mit Couchsurfing, mit Housesitting oder in Homestays. Wir lernten dadurch viele spannende Menschen kennen und durften immer wieder in einen fremden Alltag Einblick nehmen. Mit einigen Bekanntschaften haben wir nach wie vor Kontakt. Es gab aber auch unerfreuliche Situationen. So wurde uns mehr als einmal kurzfristig von Couchsurfern abgesagt, was uns in Schwierigkeiten brachte. Offenbar passiert dies aber auch immer wieder im umgekehrten Fall, wie wir von einigen Gastgebern erfuhren. Schliesslich kamen wir aber immer irgendwo unter und empfanden die Flexibilität dieser Reiseform als sehr spannend. Ermöglicht haben uns all dies nicht zuletzt die Weiten des World Wide Web. [email protected] © Globetrotter Club, Bern Strasse, und wir fahren im Schritttempo auf Naturwegen weiter. Am Ende der Strasse steigen wir in ein Einbaumkanu um, welches uns ans gegenüberliegende Flussufer nach Bilit bringt. Ding, unser Guide, begrüsst uns herzlich und begleitet uns zum Haus seines Cousins. Das Dorf besteht aus einer Handvoll Stelzenhäuser entlang des Flusses. Fenster und Türen kennt man hier nicht, die Hühner dürfen ihre Eier auch mal in einem Blumentopf auf der Haustreppe ausbrüten. Wir beziehen zwei einfache Gästezimmer und werden alsbald zum Mittagessen erwartet. Am Boden hockend müssen wir die rechte Hand zuerst über einem Eimer mit Wasser waschen, dann zeigt uns Ding, wie man mit den Fingern das Essen zu Klössen formt und diese gekonnt in den Mund schiebt. Wir stellen uns anfangs noch etwas unbeholfen an – sehr zur Belustigung der Familienmitglieder. Nach dem Essen besteigen wir ein Holzboot und dürfen endlich den Regenwald in seiner ganzen Vielfalt erleben. Mir kommt es vor, als offenbarte sich uns das Paradies auf Erden. Wie gebannt sitzen wir auf den hölzernen Latten und beobachten entzückt die Tiere, die wir entdecken: Nasenaffen begrüssen uns mit komischen Lauten, Makaken streiten sich am Ufer, Hornbillvögel kreisen über dem Fluss, eine Giftschlange hängt im Baum und ein Wildschwein suhlt sich im Sand. Wir sind völlig fasziniert von der Schönheit dieser Flussfahrt. Zurück bei der Familie sitzt die Grossmutter mit dem einjährigen Enkel auf dem Boden verbringen wir die kommenden zwölf Tage auf hoher See. Wir erhalten einen Einblick in das Leben der Seeleute von heute: Weites Wasser, modernste Navigationssysteme, überlastete Hafenanlagen und Angst vor Piraten prägen den Alltag. An Ostern steigen wir pünktlich zum Frühstück die vielen Treppenstufen zum Speisesaal hinunter, wo wir von einer fröhlichen Küchencrew begrüsst werden. An Andrins und Romans Platz liegen zwei Zettel: «Happy Easter» und «Happy Easter Hunt!». Die Buben strahlen. Damit hat wirklich keiner von uns gerechnet. Michael, der Kapitän am Tisch nebenan, grinst übers ganze Gesicht und freut sich, dass seine Überraschung so gut angekommen ist. Die Jungs machen sich auf die Suche und finden das erste Osternest recht bald in der Offiziersmesse, das zweite hat der Osterhase besser versteckt, doch wird auch dieses von den beiden Jägern aufgespürt. Wir verbringen den Ostersonntag mit Schule, Sport und süssem Nichtstun. Ich werde mir erst jetzt bewusst, wie angenehm es mal wieder ist, kein Bett suchen und kein Restaurant ausfindig machen zu müssen. Um 16 Uhr startet das Osterbarbecue mit der gesamten Mannschaft auf dem Deck des Schiffs. Auf einem Fassgrill grillt der Koch Bratwürste, Tintenfische und Hähnchen. Wir erzählen uns Geschichten, welche die Reisen schrieben: von einsamen Inseln und Abenteuern, von Piraten und stürmischen Gewässern, von der Nordsee, den Philippinen und der Schweiz. Andrin und der Koch holen ihre Gitarren hervor, und wir singen Seemannslieder und Ohrwürmer bis in die Morgenstunden. Zum Abschluss werden der Kapitän, Reto und ich vom Chefingenieur in seine Kabine auf einen abrundenden Port eingeladen. Aber selbst das tollste Osterfest geht einmal zu Ende. In dieser Nacht bin ich mir nicht sicher, ob es am Seegang oder am Port liegt, dass mein Bett schwankt. Weitere exklusive Reisereportagen lesen? Für 30 Franken pro Kalenderjahr liegt das Globetrotter-Magazin alle 3 Monate im Briefkasten. Mit spannenden Reise geschichten, Interviews, Essays, News, Tipps, Infos und einer Vielzahl von Privatannoncen (z.B. Reisepartnersuche, Auslandjobs etc.). Dazu gibts gratis die Globetrotter-Card mit attraktiven Rabatten aus der Welt des Reisens. 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