NATHAN DER WEISE - Theater an der Parkaue
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NATHAN DER WEISE - Theater an der Parkaue
NATHAN DER WEISE 16+ von Gotthold Ephraim Lessing BEGLEITMATERIAL ZUM STÜCK NATHAN DER WEISE 2 Ich Die Ehre hat mich nie gesucht; sie hätte mich auch nie gefunden. Wählt man, in zugezählten Stunden, ein prächtig Feierkleid zur Flucht? Auch Schätze hab ich nie begehrt. Was hilft es sie auf kurzen Wegen für Diebe mehr als sich zu hegen, wo man das wenigste verzehrt? Wie lange währt‘s, so bin ich hin, und einer Nachwelt untern Füßen? Was braucht sie wen sie tritt zu wissen? Weiß ich nur, wer ich bin. (G.E.Lessing) NATHAN DER WEISE 3 Es spielen: Sultan Saladin Sittah, dessen Schwester Nathan, ein reicher Jude in Jerusalem Recha, dessen angenommene Tochter Daja, eine Christin, aber in dem Hause des Juden, als Gesellschafterin der Recha Ein junger Tempelherr Ein Derwisch Ein Klosterbruder Der Mann vom Kiosk Regie Bühne + Kostüme Dramaturgie Theaterpädagogik Technischer Direktor Bühnenmeister Licht Ton- und Videotechnik Regieassistenz Inspizienz Soufflage Maske Requisite Ankleiderei Regiehospitanz Bühnen- und Kostümbildassistenz Denis Pöpping Franziska Ritter Jakob Kraze Franziska Krol Birgit Berthold Jonas Lauenstein Thomas Pasieka Andrej von Sallwitz Konstantin Bez Kay Wuschek Magdalena Musial Lina Zehelein Irina-Simona Barca / Frank Röpke Eddi Damer Ralf Hinz Thomas (Theo) Reisener Max Berthold / Frank Heise Felipe Amaya / Franziska Strepp Anne Richter Franziska Fischer Karla Steudel Jens Blau Ute Seyer, Sabine Hannemann Katharina Stoll Anna Maria Dworaczyk Herstellung der Dekoration unter der Leitung von Jörg Heinemann in den Werkstätten der Stiftung Oper in Berlin – Bühnenservice / Herstellung Lichteffekte: Christian Rösler Herstellung der Kostüme durch die Firma Gewänder / Maren Fink-Wegner Foto- und Videoaufnahmen sind nicht gestattet. Premiere: 18. Januar 2015 Bühne 2 160 Minuten (inkl. Pause) NATHAN DER WEISE Inhalt Ich 2 Einleitung 5 Interview mit Kay Wuschek 6 Interview mit Magdalena Musial 6 Zu Lessing 7 Warum Lessing? 8 Der Kosmopolit 9 Von der Menschlichkeit 10 Interview mit Jakob Kraze 11 Von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten 11 Zur Identität 14 Bastarde als Grenzgänger, Kreuzfahrer und Eroberer 15 Identität 16 Anregungen für den Unterricht zur Vor-und Nachbereitung des Aufführungsbesuches 17 1 Die Personnage als Familienfoto 17 2a Vor Gericht: Die Ringparabel 17 2b Die Gefahr sichtbar machen 17 3a Liebt Recha den Tempelherren? 19 3b Warum verliebt sich der Tempelherr in Recha? 19 4 Der Patriarch, Radikalität und Glaube 20 5 Wie sieht die Inszenierung zur politischen Aktualität aus? 21 Literatur 23 Hinweise für den Theaterbesuch 24 Impressum 25 4 NATHAN DER WEISE 5 Einleitung Liebe Leserin, lieber Leser, zum dritten Mal in der Geschichte beschäftigt sich das THEATER AN DER PARKAUE mit dem nach wie vor zeitlosen „Nathan der Weise”, was wir nicht ohne Bedauern feststellen müssen. Insbesondere die jüngsten Ereignisse, die ihren Ursprung in Radikalisierungen jeglicher Art finden (sei es al-Quaida, IS oder PEGIDA), bestürzen uns tief und motivierten uns umso mehr, diesen komplizierten Stoff auf heutige gesellschaftliche Fragestellungen und Verhältnisse hin zu untersuchen und zu lesen. So wendet sich das vorliegende Begleitmaterial zunächst der Person Lessing zu, der den „Nathan“ ja auch im Angesicht seines eigenen biografischen Dramas schrieb. In seiner Ausführung „Warum Lessing?“ geht Hugh Barr Nisbet auf Lessings persönliche Prägung und Neigungen ein und hält Lessings Bedeutung für seine Epoche fest. Der Text „Der Kosmopolit“ des britisch-ghanaischen Philosophen Kwame Anthony Appiah geht eben jenem Begriff nach, dessen Lessing sich als einer der ersten bediente. In einem zweiten Schritt soll das Thema der Menschlichkeit näher beleuchtet werden: „Von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten“ von Hannah Arendt untersucht die Konzeption von Menschlichkeit konkret bei „Nathan der Weise“ und verweist dabei auf das Gespräch als deren erste Bedingung. Der letzte Teil beschäftigt sich eingehender mit der Frage nach der Identität: Aus dieser Sicht lässt sich der Text „Bastarde als Grenzgänger, Kreuzfahrer und Eroberer“ von Simona Slanička vor dem Hintergrund der historischen Bedeutung der Figur des Tempelherren lesen. In dem 2009 gegebenen Interview des französischen Philosophen Michel Serres geht dieser auf das Problem des häufigen Missverständnisses von „Identität“ ein und erläutert die fatale Verwechslung von Identität und Zugehörigkeit. Zwischen den Texten kommen immer wieder einzelne Beteiligte des „Nathan der Weise“ zu Wort: der Regisseur Kay Wuschek, die Bühnenbildnerin Magdalena Musial, der Darsteller des Nathan (Jakob Kraze) – als auch Lessing selbst. Natürlich finden Sie auch speziell zu den für uns in der Inszenierung ausschlaggebenden Themen und Fragestellungen Übungen für die Aufarbeitung in der Klasse. Sollten Sie diesbezüglich Fragen haben, so wenden Sie sich bitte an unsere Theaterpädagogen Irina-Simona Barca und Frank Röpke unter [email protected]. Sollten Sie im Anschluss an eine Vorstellung ein zusätzliches Publikumsgespräch wünschen, so kontaktieren Sie mich bitte rechtzeitig unter [email protected]. Wir hoffen, dass das vorliegende Begleitmaterial Ihre Beschäftigung mit dem „Nathan“ und seinen aufgeworfenen gesellschaftlichen Aspekten vertiefen und zu vielen spannenden Gesprächen führen wird. Mit herzlichen Grüßen, Lina Zehelein NATHAN DER WEISE 6 Interview mit Kay Wuschek salem genannt und natürlich ist Jerusalem ein besonderer Ort, in dem sich auf einem kleinsten Stückchen Land die Wege von verschiedenen Menschen mit unterschiedlichen Gesinnungen kreuzen. Jerusalem ist aber nicht der einzige solche Ort. Genauso geht es in jeder großen Stadt: in Berlin, in Moskau, in New York... Menschen treffen sich, essen zusammen oder trinken, sitzen und reden ... Wenn ich unterwegs bin, mache ich sehr viele Fotos. Die meisten Fotos im Bühnenbild wurden auf Reisen gemacht. In Polen, wo ich herkomme, in Dublin, in New York. Am Anfang war die Idee von einem Kiosk mit Zeitungen und Getränken und das hat sich entwickelt bis zum Imbiss mit Essen und Zeitungen und praktisch allem. Was ist deine Lieblingsszene? Das verändert sich gerade von Tag zu Tag. Das Stück ist in Akte und Szenen geschrieben, die Aufteilung des Abends besteht aus 13 Bildern. Gestern auf der Probe war die Lieblingsszene das Bild 12. Das war große Schauspielkunst. Der Favorit kann sich aber auch wieder ändern. Warum wolltest du gern diesen Klassiker inszenieren? Welche Begeisterung, bzw. Motivation steckt für dich dahinter? Der Stoff ist ein großes Futter für Schauspieler und er hat viele Überraschungen, wenn er zu spielen beginnt. Er besteht aus verflochtenen Geschichten, die sich jeweils neu gewichten und sortieren. Wenn wir uns auf den Proben mit dem Stoff auseinandersetzen, müssen wir uns mit der Welt und mit uns selbst auseinandersetzen und durch das Mittel Theater kann das sehr lustvoll passieren. Was möchtest du den Zuschauern mit dieser Inszenierung mitgeben? Warum ist der Stoff für junge Menschen wichtig? Alle Figuren im Stück sind auf der Suche nach unterschiedlichen Gewissheiten und verändern sich bei diesem Suchen: mal sind sie engstirnig, mal weitherzig. Sind Feindschaften eine Erfindung? Wozu brauche ich Feinde? Wann werden aus Feinden Freunde? Und was sind die Grundlagen solcher Freundschaften? Geld, Liebe oder Macht? Und was ist bei all dem die Familie? Interview mit Magdalena Musial Was hat dich inspiriert für das Bühnenbild? Warum die großen Bilder und der offene Marktplatz? In der Vorbereitungszeit für Nathan haben wir – Kay Wuschek, Lina Zehelein und ich – uns mehrmals in meinem Atelier getroffen. Wir waren uns einig, dass uns in dem Stück Menschen interessieren und nicht der Kampf der Ideen. Lessing hat als Schauplatz für sein Stück Jeru- Wie arbeitest du von der Idee bis hin zum fertigen Kostüm? Für das Kostümbild hat die Kostümassistentin Anna Maria Dworaczyk eine große Recherche gemacht, wir haben alte Zeichnungen, Gemälde, Dokumente angeguckt, um den historischen Hintergrund kennenzulernen. Bilder von Tempelrittern, jüdischen Frauen und Mädchen, Kaufleuten, alles um Saladin und seinen Hof, Bilder von Derwischen, Mönchen, Wanderern usw. und auch wenn die Kostüme jetzt absolut heutig sind, sie tragen Spuren von dieser Untersuchung. Welches Kostüm war bisher für dich das Aufwendigste? Am schwierigsten waren für mich die Kostüme von Saladin und seiner Schwester Sittah. Um ihre besondere Position in der damaligen wie heutigen Gesellschaft zu zeigen, muss man sie aus der „normalen“ Kleidung herausnehmen und das kann leicht prätentiös oder kitschig wirken. Was hat dir an der Arbeit am Bühnen- und Kostümbild zu Nathan besonders gefallen? Ich versuche bei jeder Arbeit mir eine möglichst größte Freiheit zu bewahren und dieses Gefühl gibt mir sehr viel Energie. NATHAN DER WEISE 7 Zu Lessing Jakob Kraze „Es ist allerdings wahr, und ich habe keinem meiner Freunde verhehlt, dass ich den ersten Gedanken zum Nathan im Dekameron des Boccaccio gefunden. Allerdings ist die dritte Novelle des ersten Buchs, dieser so reichen Quelle theatralischer Produkte, der Keim, aus dem sich Nathan bei mir entwickelt hat. Aber nicht erst jetzt, nicht erst nach der Streitigkeit, in welche man einen Laien, wie mich, nicht bei den Haaren hätte ziehen sollen. Ich erinnere dieses gleich anfangs, damit meine Leser nicht mehr Anspielungen suchen mögen, als deren noch die letzte Hand hineinzubringen im Stande war. Nathans Gesinnung gegen alle positive Religion ist von jeher die meinige gewesen. Aber hier ist nicht der Ort, sie zu rechtfertigen. Wenn man sagen wird, dieses Stück lehre, dass es nicht erst von gestern her unter allerlei Volke Leute gegeben, die sich über alle geoffenbarte Religion hinweggesetzt hätten, und doch gute Leute gewesen wären; wenn man hinzufügen wird, dass ganz sichtbar meine Absicht dahin gegangen sei, dergleichen Leute in einem weniger abscheulichen Lichte vorzustellen, als in welchem der christliche Pöbel sie gemeiniglich erblickt: so werde ich nicht viel dagegen einzuwenden haben. Denn beides kann auch ein Mensch lehren und zur Absicht haben wollen, der nicht jede geoffenbarte Religion, nicht jede ganz verwirft. Mich als einen solchen zu stellen, bin ich nicht verschlagen genug: doch dreist genug, mich als einen solchen nicht zu verstellen.“ (G. E. Lessing) NATHAN DER WEISE Warum Lessing? von Hugh Barr Nisbet […] Dass der rote Faden in Lessings literarischen Projekten und in den aufeinanderfolgenden Episoden seines Lebens fehlt, hat seinen Grund, jedoch nicht nur in seinem rastlosen und impulsiven Temperament. Es hat auch mit seinem ungewöhnlich breiten Interessenspektrum zu tun, das es durchaus mit dem Diderots, Voltaires und Rousseaus aufnehmen kann. Lessing war Dichter und Dramatiker, Literaturtheoretiker, Kritiker, Historiker der Literatur, Kunst und Religion, klassischer und mediävistischer Philologie, Paläograph, Bibliothekar und Archivar, Philosoph und Ästhetiker, gut informierter Amateur in Theologie und Patristik, Übersetzer aus mehreren Sprachen und außerordentlich produktiv als Rezensent und Herausgeber. Zu den Literaturgattungen, in denen er sich auszeichnete, gehören die Ode, das Lied, das Lehrgedicht, die Verserzählung, das Epigramm, die Fabel, der Aphorismus, die Komödie und Tragödie, das Parabelstück, Dialog, Satire und Polemik; die einzigen seinerzeit gängigen Gattungen, in denen er sich auffälligerweise nicht versuchte, waren der Roman und das Versepos. Er gehörte in Deutschland der ersten Generation an, die sich ernstlich mit der englischen Literatur und Kultur beschäftigten; im Studium der spanischen Sprache und Kultur zählte er zu den Pionieren; außerdem waren ihm die wichtigsten Sprachen des Altertums und die meisten Sprachen West- und Südeuropas geläufig. Seine Gelehrsamkeit und sein Weitblick gingen über die nationalen Grenzen hinweg; durch Übersetzung, Kommentierung und auf mancherlei andere Weise machte er einen Großteil der Kultur der Antike und mehrerer moderner europäischer Länder in Deutschland bekannt. Er war durchaus Kosmopolit – üb- 8 rigens einer der ersten, die das neugeprägte Wort „Kosmopolit“ verwendeten; wie Diderot, dem er in vielfacher Hinsicht ähnelt, war er aufgeschlossen für die große Welt und ihre Kulturen. Was er zu Papier brachte, ist jedoch nur ein Bruchteil dessen, was er hätte schreiben können, wenn seine Gesundheit und Lebensumstände es erlaubt hätten (er starb im Alter von zweiundfünfzig Jahren). Lessing [ist] die zentrale und repräsentativste Gestalt der deutschen Aufklärung – zentral, sofern sein Leben beide Hälften des Jahrhunderts (1729 – 81) umspannte, repräsentativ dank des breiten Spektrums und der Wirkung seines Werks. Zwölf Jahre nach Leibniz‘ Tod geboren, als Wolff und Gottsched auf der Höhe ihrer Geltung standen, starb er im Jahr von Kants „Kritik der reinen Vernunft“ und Schillers „Räuber“, zwei Jahre nach der ersten Fassung von Goethes „Iphigenie auf Tauris“. In den fünfziger Jahren brachte er es zum führenden deutschen Literaturkritiker, der mit der Autorität Gottscheds und seiner Anhänger aufräumte, und während seiner ganzen zweiten Lebenshälfte war er der am höchsten geschätzte Dramatiker und die tonangebende Gestalt im literarischen Leben der deutschsprachigen Territorien. […] Die Sturm-und-Drang-Bewegung, deren Dramen sich auf den ersten Blick erheblich von denen Lessings unterscheiden, ließ sich maßgeblich von seinen Werken, vor allem von „Emilia Galotti“, beeinflussen. Seit Luther hatte kein deutscher Autor stärkere öffentliche Resonanz gefunden und zwar war Lessing selbst weitgehend an der Heranbildung jenes rapide anwachsenden, überwiegend bürgerlichen Publikums beteiligt, für das er schrieb. Wie seine literarischen Werke wirkten auch seine philosophischen und theologischen Schriften nachhaltig auf spätere Entwicklungen in den entsprechenden Wissenschaftszweigen ein. NATHAN DER WEISE Der Kosmopolit von Kwame Anthony Appiah Unsere Vorfahren waren schon vor sehr langer Zeit Menschen. Während des größten Teils der Menschheitsgeschichte wurden die Menschen in eine kleine, aus wenigen Personen bestehende Gruppe, eine Horde aus Jägern und Sammlern, hineingeboren und sahen an einem normalen Tag nur Menschen, die sich schon ihr Leben lang kannten. Alles, was unsere fernen Vorfahren aßen oder am Leib trugen, jedes Werkzeug, das sie benutzten, und jeder Schrein, an dem sie beteten, war von der Gruppe selbst hergestellt worden. Ihr Wissen stammte von ihren Vorfahren oder aus eigener Erfahrung. Das ist die Welt, die uns geprägt und in der unsere Natur sich herausgebildet hat. […] Auch als wir die größeren Gesellschaften schufen, wussten die meisten Menschen wenig über die Lebensweise anderer Stämme und kamen nur mit wenigen Menschen in ihrem eigenen Lebensraum in Berührung. Erst seit in den letzten Jahrhunderten alle menschlichen Gemeinschaften in ein einziges Handelsnetz und ein Netzwerk globaler Information eingebunden wurden, haben wir einen Punkt erreicht, an dem wir alle uns realistisch vorstellen können, mit jedem einzelnen unter unseren sechs Milliarden Mitmenschen in Kontakt zu treten. Der Begriff des Kosmopoliten geht mindestens bis auf die Kyniker des vierten vorchristlichen Jahrhunderts zurück, die den Ausdruck „Bürger des Kosmos“ prägten. […] Die weitere Karriere des Kosmo- 9 politismus war durchaus exquisit. Er stand Pate bei einigen der großen moralischen Errungenschaften der Aufklärung, darunter die Menschenrechtserklärung von 1789 und Immanuel Kants Werk, das einen „Bund der Nationen“ vorschlug. […] Im Begriff des Kosmopolitismus sind zwei Stränge ineinander verwoben. Der eine ist der Gedanke, dass wir Pflichten gegenüber anderen Menschen haben, die über die Blutsverwandtschaft und selbst über die eher formalen Bande einer gemeinsamen Staatsbürgerschaft hinausgehen. Der zweite Strang ist die Vorstellung, dass wir nicht nur den Wert menschlichen Lebens schlechthin, sondern des einzelnen menschlichen Lebens ernst nehmen müssen, das heißt, dass wir uns für die praktischen Tätigkeiten und Glaubensüberzeugungen interessieren sollten, durch die das Leben des Einzelnen erst seine Bedeutung erhält. Der Kosmopolit weiß: Die Menschen sind verschieden und wir können aus diesen Unterschieden viel lernen. Wir dürfen den Kosmopolitismus aber nicht als eine erhabene Fähigkeit verstehen. Er beginnt mit dem einfachen Gedanken, dass wir in der menschlichen Gemeinschaft ebenso wie in nationalen Gemeinschaften Bräuche für das Zusammenleben entwickeln müssen: Formen des Umgangs und der Geselligkeit. […] Und auch des Gesprächs. Gespräche über Grenzen hinweg können durchaus belastend sein, zumal die Welt immer kleiner und der Einsatz immer größer wird. Deshalb lohnt es sich, daran zu erinnern, dass sie auch ein Vergnügen sein können. NATHAN DER WEISE Von der Menschlichkeit Konstantin Bez und Andrej von Sallwitz „Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein Mensch ist, oder zu sein vermeinet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert des Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine Kräfte, worin allein seine immer wachsende Vollkommenheit bestehet. Der Besitz macht ruhig, träge und stolz -.“ (G.E. Lessing) 10 NATHAN DER WEISE Interview mit Jakob Kraze Was ist deiner Meinung nach die wichtigste Eigenschaft an der Figur Nathan? Ich selbst frage mich, was bedeutet überhaupt Eigenschaft und was ist die wichtigste? Morgen ist es möglicherweise wieder eine andere. Nathan muss anpassungsfähig sein, das gibt sein Lebenslauf schon her. Man stelle sich Jerusalem vor, unter muslimischer Herrschaft, und er wird dort als Jude akzeptiert. Saladin ist ein weltoffener Herrscher und es wird von ihm geduldet, dass Nathan dort lebt. Nathan hat seine komplette Familie durch Christen verloren, sie wurde durch ein gelegtes Feuer komplett ausgelöscht und drei Tage später bringt ihm ein Mann ein Christenkind. Als Jude darf er nicht sagen, dass er ein Christenkind großzieht, es ist ein großes Geheimnis. Er muss dealen können, sich arrangieren. Er ist klug, kann den äußeren Schein der Menschen wegkratzen und schaut auf das Wesentliche im Menschen und kann so mit ihnen umgehen. Nathan kann sich gut aus Affären ziehen, er rettet sich nicht auf Kosten anderer, sondern nimmt sie eher mit. Außerdem hat er es geschafft, reich zu werden, ohne dafür über Leichen zu gehen. Er vertritt ethische Grundsätze, die er nicht verletzen wird. Er verteilt keine Weisheiten, das gibt unsere Zeit auch nicht her. Er redet mit den Menschen, denn hinter Taten stecken immer Beweggründe und auch Gefühle. Welche ist deine Lieblingsszene? Die Ringparabel, die große Szene, in der Nathan zu Sultan Saladin geht. Ich habe auch immer noch daran zu kauen, denn die Szene gestaltet sich immer neu. Sie wird nie sicher sein, immer anders und entspricht dadurch der Situation. Wir probieren als Schauspieler und wissen beide nicht, wie wir dort rauskommen aus der Szene. Diese bietet Spielraum, sie ist abhängig davon, was für ein Ton herrscht oder auch davon, wie Saladin gerade drauf ist. Zwangsläufig setzt man sich mit der Ringparabel auseinander, denn sie ist die wichtigste deutsche Aufklärungsszene. Ich habe Respekt vor dieser Szene, fast Angst, 11 wie man sie neu erfinden kann und wie man das auf die Bühne bringen kann, sodass es Spaß macht sie anzuschauen. Was uns da gerettet und geholfen hat, ist, dass wir keine Weisheiten erfinden wollen, sondern zeigen wollen, wie zwei Menschen aufeinandertreffen. Was uns gegeben wurde, sind die Worte Lessings. Die Sprache ist sehr komplex. Da kreieren zwei Menschen ein Gespräch, bei zwei anderen würde es gleich ganz anders aussehen. Es passiert was ganz neues, noch nie da Gewesenes. Das ist das Spannende am Theater, es wird immer anders sein. Warum sollten sich deiner Meinung nach Berliner Schüler für Lessings Nathan interessieren? Es ist immer spannender, einen Stoff richtig zu erleben durch Theater. Obwohl „Nathan der Weise“ 1779 geschrieben wurde, passt es wie kaum ein anderes Stück in unsere Zeit angesichts der Tatsache, was hier gerade los ist mit den Religionen. Welche Antworten gibt es auf Religionskonflikte? Aufgrund von Herkunft und Abstammung haben Menschen miteinander Konflikte – warum ist das so? Das ist das Thema des Stücks. Von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten von Hannah Arendt Man könnte wohl sagen, dass die lebendige Menschlichkeit eines Menschen in dem Maße abnimmt, in dem er auf das Denken verzichtet und sich den Resultaten, den bekannten oder auch unbekannten Wahrheiten, anvertraut und sie ausspielt, als seien sie Münzen, mit denen man alle Erfahrungen begleichen kann. Aber mit der Welt steht es gerade umgekehrt. In der Geschichte sind die Zeiten, in denen der Raum des Öffentlichen sich verdunkelt und der Bestand der Welt so fragwürdig wird, dass die Menschen von der Politik nicht mehr verlangen, als dass sie auf ihre Lebensinteressen und Privatfreiheit die gehörige Rücksicht nehme, nicht selten. Man kann sie mit einigem Recht „finstere Zeiten“ (Brecht) nennen. In solchen Zeiten entfaltet sich, wenn es gut geht, eine Menschlichkeit eigener Art. Um ihre Möglichkeiten recht einzuschätzen, brauchen wir nur an „Nathan den Weisen“ zu denken, dessen eigent- NATHAN DER WEISE liches Thema: „Es genügt, ein Mensch zu sein“, das Schauspiel durchherrscht und dem der Appell: „Sei mein Freund!“, der wie ein Leitmotiv durch das Ganze klingt, entspricht. Für die Griechen lag das eigentliche Wesen der Freundschaft im Gespräch und sie waren der Meinung, dass das dauernde Miteinander-Sprechen erst die Bürger zu einer Polis vereinige. Im Gespräch manifestiert sich die politische Bedeutung der Freundschaft und der ihr eigentümlichen Menschlichkeit. […] Denn menschlich ist die Welt nicht schon darum, weil sie von Menschen hergestellt ist, und sie wird auch nicht schon dadurch menschlich, dass in ihr die menschliche Stimme ertönt, sondern erst, wenn sie Gegenstand des Gesprächs geworden ist. Wie sehr wir von den Dingen der Welt betroffen sein mögen, wie tief sie uns anregen und erregen mögen, menschlich werden sie für uns erst, wenn wir sie mit unseresgleichen besprechen können. Was nicht Gegenstand des Gesprächs werden kann, mag erhaben oder furchtbar oder unheimlich sein, es mag auch eine Menschenstimme finden, durch die es in die Welt hineintönt; menschlich gerade ist es nicht. Erst indem wir darüber sprechen, vermenschlichen wir das, was in der Welt, wie das, was in unserem eigenen Innern vorgeht, und in diesem Sprechen lernen wir, menschlich zu sein. Dass das Humane nicht schwärmerisch auftritt, sondern nüchtern und kühl; dass die Menschlichkeit sich nicht in der Brüderlichkeit erweist, sondern in der Freundschaft; dass die Freundschaft nicht intim persönlich ist, sondern politische Ansprüche stellt und auf die Welt bezogen bleibt – all dies scheint uns so ausschließlich kennzeichnend für die Antike, dass es uns eher verwirrt, wenn wir ganz verwandte Züge im Nathan wiederfinden, der, wiewohl er modern ist, mit einigem Recht das klassische Schauspiel der Freundschaft genannt werden könnte. Hierhin gehört auch, was uns an dem Stück so absonderlich anmutet, nämlich dass das „Wir müssen, müssen Freunde sein“, mit dem Nathan sich an den Tempelherrn und eigentlich an alle wendet, die ihm begegnen, für Lessing offenbar so viel wichtiger war als die Leidenschaft der Liebe, dass er die Liebesgeschichte kurzerhand abschneiden und in eine Beziehung 12 umwandeln kann, die auf Freundschaft verpflichtet und Liebe unmöglich macht. Noch befremdlicher vielleicht für moderne Menschen, aber wieder in eigentümlicher Nähe zu Gesinnungen und Konflikten, wie wir sie aus der Antike kennen, ist, dass die dramatische Spannung des Stückes einzig in dem Konflikt liegt, in den Freundschaft und Menschlichkeit mit der Wahrheit geraten können. Schließlich und endlich besteht ja die Weisheit des Nathan nur darin, dass er bereit ist, die Wahrheit der Freundschaft zu opfern. Er war froh, dass – in seinem Gleichnis gesprochen – der echte Ring, wenn es ihn je gegeben haben sollte, verlorengegangen ist, und zwar um der unendlichen Möglichkeiten der Meinungen willen, in denen die Welt zwischen den Menschen besprochen werden kann. Gäbe es den echten Ring, so wäre es um das Gespräch und damit um die Freundschaft und damit um die Menschlichkeit schon getan. Darum war er es auch so sehr zufrieden, zu dem Geschlecht der „eingeschränkten Götter“, wie er die Menschen gelegentlich genannt hat, zu gehören, und hat gemeint, dass der Menschengesellschaft ebensowenig Schaden aus denen erwächst, „welche sich mehr Mühe geben, Wolken zu machen, als sie zu verstreuen“, als „vielen Schaden ihr diejenigen tun, welche die Denkungsart aller Menschen unter das Joch der ihrigen bringen wollen“. Dies hat mit Toleranz in gewöhnlichem Verstande sehr wenig zu tun (Lessing selbst war ja keineswegs ein besonders toleranter Mensch), aber es hat sehr viel mit Begabung für Freundschaft, mit Weltoffenheit und schließlich mit echter Menschenliebe zu tun. Nicht nur die Einsicht, dass es die eine Wahrheit innerhalb der Menschenwelt nicht geben kann, sondern die Freude, dass es sie nicht gibt und das unendliche Gespräch zwischen den Menschen nie aufhören werde, solange es Menschen überhaupt gibt, kennzeichnet die Größe Lessings. Uns fällt es heute schwer, den zwar dramatischen, aber untragischen Konflikt des Nathan so nachzuvollziehen, wie Lessing ihn gemeint hat. Das liegt zum Teil daran, dass es uns so selbstverständlich geworden ist, uns, was die Wahrheit anlangt, tolerant zu verhalten, wenn auch aus Gründen, die mit den NATHAN DER WEISE Gründen Lessings kaum etwas zu tun haben. Keine Einsicht in das Wesen des Islam oder das Wesen des Judentums oder das Wesen des Christentums hätte ihn davon abhalten können, sich mit einem überzeugten Mohammedaner oder einem frommen Juden oder einem gläubigen Christen in eine Freundschaft und das Gespräch der Freundschaft einzulassen. 13 Er hätte sich sofort auf die Seite der Menschen geschlagen und sich um die gelehrte oder ungelehrte Diskussion hüben und drüben nicht mehr sehr viel gekehrt. Das war Lessings Menschlichkeit. Darum ist, was das Verhältnis von Wahrheit und Menschlichkeit angeht, das Tiefste in einem Satz von Lessing gesagt, in dem es auch ist, als zöge er aus allen seinen eigenen Werken der Weisheit letzten Schluss. Der Satz lautet: „Jeder sage, was ihm Wahrheit dünkt, und die Wahrheit selbst sei Gott empfohlen!“ NATHAN DER WEISE Zur Identität Jonas Lauenstein und Konstantin Bez 14 NATHAN DER WEISE Bastarde als Grenzgänger, Kreuzfahrer und Eroberer von Simona Slanička Bastardgeschichten waren der Stoff, aus dem in der Renaissance Träume vom Orient gesponnen wurden. Gerade wegen ihres imaginären, phantasmatischen Potenzials wurden Bastarden reale politische Machtchancen zugeschrieben. Wie dieses Potenzial jeweils von bestimmten nichtadligen, adligen oder Königsbastarden umgesetzt wurden, hing vor allem von den Umständen und vom jeweiligen Verhältnis zu den legitim geborenen Familienmitgliedern oder Machtanwärtern ab. Bastarde (ver-)störten die gesellschaftliche Ordnung der Vormoderne, weil sie lebende Gesetzesbrüche gegen grundlegende Kategorien und Regulierungen von Sexualität und Patrilinearität verkörperten. Ein Kind ohne bekannten oder mit ungewissem Vater hatte keinen väterlichen Namen und deshalb keinen positiven Signifikanten für seine ordnungsgemäße Einreihung in gesellschaftliche Verhältnisse. Die Zuordnung zur Mutter und zu deren Familiennamen unterstrich die Differenz zu legitim Geborenen zusätzlich und schuf eine unvollständige Familie, die permanent auf die Absenz der Vaterfigur hinwies. Eine rein legalistische Argumentation vermochte das schlechte Gewissen über den Umgang mit dieser spezifischen Form von „Verwandten“ nur bedingt zu beruhigen. Bastarde wurden deshalb mitunter als „Namenlose“ beschimpft, ihre legale Anonymität konnte sogar dazu führen, dass ihnen mehrere Namen zugeschrieben wurden, die alle nicht recht passten, ihr Name variierte und blieb ungreifbar. Das Defizit an offizieller Patrilinearität ließ die unehelichen Kinder zu bedrohlichen Spiegelbildern der ehelichen Kinder werden, weil es deren Ordnungsmäßigkeit in Frage stellte – wer war sich schon seines biologischen Vaters sicher, auch wenn 15 er in einer legitimen Ehe geboren war? Alexanders Zeugung durch einen Ehebruch, bei dem sich ein Dritter als „Zauberer“ unerkannt zwischen Ehefrau und Ehemann einschleicht, ist hier als weitverbreitete Zeugungsphantasie durchaus ernstzunehmen. Ihre Illegitimität machte Bastarde zunächst zu unmittelbar einleuchtenden Symbolen für Gesetzlosigkeit, Unordnung und Chaos, zu Elementen, die die Gesellschaft aus ihrer Mitte ausschließen und jenseits ihrer Toleranzgrenze verbannen wollte. Dies aber erwies sich als nicht realisierbar, brachten doch die Gesetze über legitime Ehe und Geburt ständig selbst die Möglichkeit ihrer Überschreitung mit sich. Naheliegender war es deshalb, die Existenz dieser Grenze zwischen legitim und illegitim anhand der Bastarde in unterschiedlichen Spielarten und Narrativen immer wieder neu zu verhandeln und den Illegitimen je nach kultureller Situation spezifische Positionen zuzuweisen, jenseits, beiderseits, diesseits der Grenze zwischen „drinnen“ und „draußen“. Dass es dabei oft die Bastarde selbst waren, die als Trickster mit unterschiedlichen Kniffen die Grenzen neu definierten, war Teil ihres kulturellen Musters. Bastarde, welche die Ablehnung und Ausgrenzung durch ihre Kultur überlebt hatten, schienen gerade dadurch befähigt, Außenseiten ihrer Gesellschaft in diese zurückzuholen und zu integrieren. Diese sozialen Außenseiten konnten überschießende Männlichkeitsphantasien sein über die Eroberung der unbekannten Welt mit ihren Monstern, die Unterjochung der Ungläubigen und die Besitznahme ihrer sagenhaften Frauen und Schätze – Bastarde sollten so gewissermaßen selbst das „Surplus“ an Sexualität, aus dem sie entstanden waren, kolonisieren und die Bedrohung, die sie für die ordnungsgemäße Eigentumsverteilung unter legitimen Familienmitgliedern darstellten, durch ihre eigene Leistung in einen ökonomischen Gewinn für alle verwandeln. NATHAN DER WEISE Identität Michel Serres im Gespräch mit Michel Polacco Michel Polacco: Sprechen wir diese Woche über die Identität von Völkern. In der kosmopolitischen Welt, in der wir leben, beruft sich jeder auf sein eigenes Dorf: Korse, Bretone, Baske und Auvergner, ohne in Paris die jungen Leute von Ménilmontant oder in Bastoche, die Jugendlichen in Lyon oder die Okzitanier zu vergessen. Was ist nun Identität? Michel Serres: Überall ist die Rede von Identität. Man dekliniert sie mit verschiedenen Adjektiven. Man spricht von „regionaler Identität“. Von „kultureller Identität“, von kultureller Besonderheit. Man spricht gern von „sexueller Identität“: Ich bin eine Frau und kein Mann. Von „religiöser Identität“ und meint damit Juden, Katholiken, Muslime, etc., von „sprachlicher Identität“ … Was soll „Identität“ heißen? Schön, dass Sie diese Frage gestellt haben. Um sie zu beantworten, erlauben Sie mir bitte, von mir selbst zu sprechen, da meine Identität darin besteht, Michel Serres zu sein. Ich werde daher meine carte d’identité, sprich meinen Personalausweis, hervorholen … Was steht da drin? Zuerst mein Name. Ich heiße Serres. Es gibt auf der Welt viele Leute, die so heißen. Ich gehöre also zu einer ziemlich großen Gruppe von Leuten, die diesen Namen tragen. Das ist nicht meine Identität, das ist eine meiner Zugehörigkeiten. Dann habe ich einen Vornamen: Michel. Aber auch hier gilt: „Michel Serres“ ist nicht meine Identität. Gehen wir weiter. Dort steht, dass ich am 1. September geboren bin. Die Zahl der Leute, die in diesem Jahr geboren wurden, ist auf der ganzen Welt auch ziemlich groß. Auch mein Geschlecht ist vermerkt. Hier gehöre ich zu dreimilliardensiebenhundertfünfzigmillionen Menschen, die mit einem männlichen Geschlecht ausgestattet sind. Daraus folgt, dass auf meiner carte d’identité 16 meine Identität nicht zu finden ist. Noch einmal, es handelt sich hier nicht um Identität, sondern um Zugehörigkeit. Die Verwechslung von Identität und Zugehörigkeit ist ganz alltäglich. „Kulturelle Identität“ besagt überhaupt nichts. Ich gehöre zu dieser Kultur. „Sexuelle Identität“ besagt auch nichts. Ich gehöre zu einem bestimmten Geschlecht. Von „regionaler Identität“ zu sprechen, macht auch nicht mehr Sinn. Was ist also Identität? Das „ich bin ich“, Punkt und Schluss. In allen anderen Fällen geht es um Zugehörigkeiten. Was ist Rassismus? Rassismus ist eben gerade die Verwechslung von Identität und Zugehörigkeit. Wenn Sie von jemandem sagen, dass er schwarz ist, dass er afrikanisch ist, dass er jüdisch ist, dass er katholisch oder protestantisch ist, kommt die Verfolgung immer da her. Anstatt zu sagen, dass jemand ein Individuum ist, reduzieren Sie ihn auf seine Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Und diese Gruppe kann als verfolgte gekennzeichnet werden. Diese Macke der Sprache, die uns ständig von „kultureller Identität“, etc. sprechen lässt, ist also gefährlich. Das ist nicht nur ein logischer Fehler. Das ist auch ein politisches Verbrechen, das wirklich schädlich für die Menschheit sein kann. Es sind oft die Macken der Sprache, vor allem diese Urteile durch Kategorien, die zu abscheulichen sozialen und politischen Verhaltensweisen führen. Wenn man das Wort „Identität“ ausschließlich auf Individuen beziehen würde, würde man zweifellos dahin gelangen, diese zu respektieren. NATHAN DER WEISE 17 Anregungen für den Unterricht zur Vor-und Nachbereitung des Aufführungsbesuches 1 Die Personnage als Familienfoto 2a Vor Gericht: Die Ringparabel Die vielen Konflikte aus „Nathan der Weise“, die die Handlung tragen, sind auf der Struktur einer verwobenen Familiengeschichte aufgebaut, die am Ende des Dramas entschlüsselt wird. Um das Verhältnis der Figuren und der Familienmitglieder untereinander sichtbar zu machen, suchen die Schüler und Schülerinnen in einem ersten Schritt einen Satz aus dem Text heraus, der bedeutend für jede Figur ist. Der Satz kann ein direktes Zitat der Figur oder eine Aussage über sie sein. Stellen Sie gemeinsam mit Ihrer Klasse die Gerichtsverhandlung aus der Ringparabel nach: Wählen Sie Schüler und/oder Schülerinnen aus, welche die Rollen des Richters und der drei Söhne übernehmen. Besprechen Sie zudem ob es drei Verteidiger geben soll. Lesen Sie mit der Klasse die Ringparabel und finden Sie gemeinsam heraus, wer wann was sagt. Gerne können die Schüler oder Schülerinnen Text für ihre Figuren erfinden. Für die Übung sind alle Figuren zu berücksichtigen: Nathan, Daja, Recha, der Tempelherr, der Klosterbruder, der Sultan, Sittah, der Derwisch, der Patriarch, die Mutter des Tempelherrn Curd von Stauffen, Wolf von Filnek. In einem nächsten Schritt suchen sich die Schüler und Schülerinnen Körperhaltungen und Gesten, die repräsentativ für diese Sätze sind und stellen sie sich für ein „Familienfoto“ zusammen. Bearbeiten Sie mit den Schülerinnen und Schülern folgende Fragen: Stehen die Eltern auf dem Foto mittig oder eher am Rand? Wer blickt in welche Richtung? Was für eine Bedeutung hat das Foto, wenn beispielsweise Sittahs Blick auf Recha gerichtet ist? Was passiert, wenn der Klosterbruder mittig steht? Apropos: Stehen alle Figuren oder sitzen sie? Was erzählt dieses Bild über die Familie? Verstehen sie sich gut untereinander? Sie können mehrere Varianten für das Foto ausprobieren und mit Ihrer Klasse die o.g. Fragen diskutieren, oder auch folgendes Tolstoi-Zitat besprechen: „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“ (Leo Tolstoi, Anna Karenina) Als Erweiterung kann eine Simultanszene neben die Gerichtsverhandlung gestellt werden: Nathan erzählt die Ringparabel und bebildert diese anhand der Figuren in der Gerichtsszene. Wenn er unterbricht oder Pausen macht, können die Söhne und der Richter selbst sprechen. Am Ende können Sie gemeinsam mit Ihrer Klasse die Szenen auswerten und die Ringparabel hinterfragen: Was heißt „vor Menschen angenehm machen“? Warum streiten sich die Brüder so sehr darum? Welche Botschaft könnte die Ringparabel über die der Toleranz hinaus enthalten? 2b Die Gefahr sichtbar machen Saladin weist Nathan an, ihm zu sagen: „Was für ein Glaube, was für ein Gesetz Hat dir am meisten eingeleuchtet?“ Saladin lässt Nathan Bedenkzeit und verlässt den Raum. Nathan denkt laut: „Hm! hm! —wunderlich! —Wie ist Mir denn? —Was will der Sultan? was? —Ich bin Auf Geld gefaßt; und er will—Wahrheit. Wahrheit! NATHAN DER WEISE (…) Doch wie? Sollt‘ er auch wohl Die Wahrheit nicht in Wahrheit fordern? — (…) —Ich muß Behutsam gehn! —Und wie? wie das? —So ganz Stockjude sein zu wollen, geht schon nicht. — Und ganz und gar nicht Jude, geht noch minder. Denn, wenn kein Jude, dürft‘ er mich nur fragen, Warum kein Muselmann?—Das war‘s! Das kann Mich retten! —Nicht die Kinder bloß, speist man Mit Märchen ab. —Er kommt. Er komme nur! Jakob Kraze und Birgit Berthold 18 Besprechen Sie mit Ihren Schülern und Schülerinnen warum sich Nathan in höchster Gefahr befindet. Reflektieren Sie gemeinsam welche Strategie Nathan mit der Ringparabel anwendet, um der Gefahr zu entkommen. Erfinden Sie Szenen, die dieser Situation ähnlich sein könnten. Bauen sie die Übung dabei wie folgt auf: a. Figur A bedroht Figur B mit einer Waffe und fordert X (Forderungen mit den Schülern erfinden). b. Die Waffe wird weggelassen. Wie kann Figur A dieselbe Macht gegenüber Figur B aufbauen? NATHAN DER WEISE 3a Liebt Recha den Tempelherren? Die Figuren in Kay Wuscheks „Nathan der Weise“ sind vor allem Menschen mit Launen und Gefühlen, wie wir. Um diesem Konzept auf die Spur zu kommen, nehmen Sie gemeinsam mit Ihrer Klasse die Liebesgeschichte zwischen Recha und dem Tempelherrn unter die Lupe: Daja. Er kocht, (...) Laßt ihn nur. Nun ist‘s an Euch. Recha. Was ist an mir? Du wirst, Wie er, mir unbegreiflich. Daja. Bald nun könnt Ihr ihm die Unruh‘ all vergelten, die Er Euch gemacht hat. Seid nur aber auch Nicht allzu streng, nicht allzu rachbegierig. Recha. Wovon du sprichst, das magst du selber wissen. Daja. Und seid denn Ihr bereits so ruhig wieder? Recha. Das bin ich; ja das bin ich… Besprechen Sie mit Ihrer Klasse den Inhalt des obigen Textausschnittes: Was ist in der Szene vorher passiert? Worum geht es jetzt? Liebt Recha den Tempelherrn, ist ihre Liebe bereits vorbei oder tut sie vor Daja nur so, weil sie nicht mit einer Erwachsenen über ihre Gefühle sprechen mag? Oder: Versucht sie ihre Gefühle zu bekämpfen? 3b Warum verliebt sich der Tempelherr in Recha? Lesen Sie mit Ihrer Klasse den untenstehenden Textausschnitt mit verteilten Rollen. Besprechen Sie die Situation des Tempelherren: Er ist ein Fremder in einem für ihn unbekannten Land, ist ein Christ, ist ein Kriegsgefangener und wurde gegen seinen Willen begnadigt. Ist dieser Identitätsverlust der Grund warum sich der Tempelherr in Recha verliebt? Lesen sie begleitend den Text von Michel Serres, den sie in diesen Begleitmaterialien finden, und besprechen Sie, was einen Menschen zu dem macht, was er ist: Die Religion, zu der er sich bekennt? Die Familie? Die Herkunft? Sein Pass? Seine Hobbies? Alles zusammen? 19 Tempelherr. He! He, Nathan! Nathan. Wie? seid Ihr‘s? (…) so gehn wir! Tempelherr. Nathan, Euer Haus Betret ich wieder eher nicht… Nathan. So seid Ihr doch indes schon da gewesen? habt Indes sie doch gesprochen? —Nun? —Sagt: wie Gefällt Euch Recha? Tempelherr. Über allen Ausdruck! Allein,—sie wiedersehn—das werd ich nie! Nie! nie! —Ihr müßtet mir zur Stelle denn Versprechen:—daß ich sie auf immer, immer— Soll können sehn. Nathan. Wie wollt Ihr, daß ich das Versteh? Tempelherr (nach einer kurzen Pause ihm plötzlich um den Hals fallend). Mein Vater! Nathan.—Junger Mann! Tempelherr (ihn ebenso plötzlich wieder lassend). Nicht Sohn? — Ich bitt Euch, Nathan! — Nathan. Lieber junger Mann! Tempelherr. Nicht Sohn? —Ich bitt Euch, Nathan! —Ich beschwör Euch bei den ersten Banden der Natur! — Zieht ihnen spätre Fesseln doch nicht vor! — Begnügt Euch doch ein Mensch zu sein! — Stoßt mich Nicht von Euch! (...) Nathan. Nun kommt nur, kommt! Tempelherr. Wohin? Nein!—Mit in Euer Haus?—Das nicht! das nicht! — Da brennt‘s! —Ich will Euch hier erwarten. Geht! — Soll ich sie wiedersehn: so seh ich sie Noch oft genug. Wo nicht: so sah ich sie Schon viel zu viel… Nathan. Ich will mich möglichst eilen. NATHAN DER WEISE 4 Der Patriarch, Radikalität und Glaube In Kay Wuscheks Inszenierung werden die Worte, die Lessing der christlichen Instanz des Patriarchen sprechen lässt, von einem einfachen Bürger wiedergegeben. Dieser steigert sich immer weiter in den Sprechakt hinein und fordert mehrere Male: „Tut nichts! Der Jude wird verbrannt!“. Was passiert dadurch? Was bedeutete Radikalität damals, was bedeutet sie heute? Lesen Sie zudem den untenstehenden Dialog wie folgt: Der Tempelherr auf der einen Seite wird von einem einzigen Schüler gelesen, auf der anderen Seite teilen sich viele Schüler den Text des Patriarchen, und zwar Satz für Satz. Er wird fast überlappend gesprochen, einzelne Satzteile auch gleichzeitig, so dass es wie eine Menschenmasse klingt. Tempelherr. Gesetzt, ehrwürd‘ger Vater, Ein Jude hätt‘ ein einzig Kind,—es sei Ein Mädchen,—das er mit der größten Sorgfalt Zu allem Guten auferzogen, das Er liebe mehr als seine Seele, das Ihn wieder mit der frömmsten Liebe liebe. Und nun würd‘ unsereinem hinterbracht, Dies Mädchen sei des Juden Tochter nicht; Er hab‘ es in der Kindheit aufgelesen, Gekauft, gestohlen,—was Ihr wollt; man wisse, Das Mädchen sei ein Christenkind, und sei Getauft; der Jude hab‘ es nur als Jüdin Erzogen; lass‘ es nur als Jüdin und Als seine Tochter so verharren:—sagt, Ehrwürd‘ger Vater, was wär‘ hierbei wohl Zu tun? Patriarch. Mich schaudert! […] Dann wäre an dem Juden fördersamst Die Strafe zu vollziehn, die päpstliches Und kaiserliches Recht so einem Frevel, So einer Lastertat bestimmen. Tempelherr. So? Patriarch. Und zwar bestimmen obbesagte Rechte Dem Juden, welcher einen Christen zur Apostasie verführt,—den Scheiterhaufen, Den Holzstoß— 20 Tempelherr. So? Patriarch. Und wieviel mehr dem Juden, Der mit Gewalt ein armes Christenkind Dem Bunde seiner Tauf‘ entreißt! Denn ist Nicht alles, was man Kindern tut, Gewalt? — Zu sagen:—ausgenommen, was die Kirch‘ An Kindern tut. Tempelherr. Wenn aber nun das Kind, Erbarmte seiner sich der Jude nicht, Vielleicht im Elend umgekommen wäre? Patriarch. Tut nichts! der Jude wird verbrannt! — Denn besser, Es wäre hier im Elend umgekommen, Als daß zu seinem ewigen Verderben Es so gerettet ward.—Zudem, was hat Der Jude Gott denn vorzugreifen? Gott Kann, wen er retten will, schon ohn‘ ihn retten. Tempelherr. Auch trotz ihm, sollt‘ ich meinen,—selig machen. Patriarch. Tut nichts! der Jude wird verbrannt. Tempelherr. Das geht Mir nah‘! Besonders, da man sagt, er habe Das Mädchen nicht sowohl in seinem, als Vielmehr in keinem Glauben auferzogen, Und sie von Gott nicht mehr nicht weniger Gelehrt, als der Vernunft genügt. Patriarch. Tut nichts! Der Jude wird verbrannt… Ja, wär‘ allein Schon dieserwegen wert, dreimal verbrannt Zu werden! —Was? ein Kind ohn‘ allen Glauben Erwachsen lassen? —Wie? die große Pflicht, Zu glauben, ganz und gar ein Kind nicht lehren? Das ist zu arg! Mich wundert sehr, Herr Ritter, Euch selbst… Tempelherr. Ehrwürd‘ger Herr, das übrige, Wenn Gott will, in der Beichte. (will gehen.) NATHAN DER WEISE 5 Wie sieht die Inszenierung zur politischen Aktualität aus? Die Inszenierung „Nathan der Weise“ im THEATER AN DER PARKAUE bietet sich als Gelegenheit an, aktuelle Debatten, Ereignisse und Diskussionen, die mehr oder minder religiös motiviert sind, näher zu betrachten. Besprechen Sie auf Basis der folgenden Textpassagen und der vorherigen Übung mit den Schülern folgende Fragen: Was bedeutet Meinungsfreiheit? Was bedeutet Religionsfreiheit? Bis wohin bist du Weltbürger? Wie lange bist du frei? Wo sind deine Grenzen? Haben Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit Grenzen? In welchem Verhältnis stehen der Glaube und die freie Meinung zur Identität? Wann wird man an welcher Stelle auf die eigene Identität zurückgeworfen? Welche Vorurteile gegenüber Religionen gibt es? Wann sind diese Vorurteile harmlos, wann werden sie gefährlich? Welche Gedanken kann jeder für sich also aus dem Drama ziehen? Textpassage 1: Grundgesetz Artikel 4 „(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ Textpassage 2: Zitat eines IS-Kämpfers „Wenn sie uns mit Blumen angreifen, dann werden wir sie auch mit Blumen angreifen, aber wenn sie uns mit Feuer angreifen, dann werden wir mit Feuer antworten, und zwar auch in ihrem eigenen Land.“ (Souat Mekhennet, Interview mit IS- Kämpfer: Unterwegs mit einem Kämpfer des Kalifen, in: Frankfurter Allgemeine Feuilleton, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/ unterwegs-mit-einem-kaempfer-des-kalifen-13108309-p2.html, 21. August 2014) Textpassage 3: Kommentare zum PEGIDA-Positionspapier Auch das offizielle Positionspapier der Pegida hält sich an die einfachste Regel der Werbeindustrie: nur positive Formulierungen sind erfolgsversprechend. 14 der 19 Forderungen sprechen sich für etwas aus, auch wenn dafür bisweilen eine Art doppelte Ver- 21 neinung bemüht werden muss, wie etwa bei dieser Aussage: „Pegida ist FÜR eine Null-Toleranz-Politik gegenüber straffällig gewordenen Asylbewerbern und Migranten!“ Eine der wenigen Forderungen im Positionspapier, die sich gegen etwas ausspricht, ist folgende: „Pegida ist GEGEN Radikalismus egal ob religiös oder politisch motiviert!“ Die Distanzierung von Radikalismus und rechtem Gedankengut funktioniert allerdings nur stellenweise. Mehrere Begriffe, die von Pegida-Anhängern, selbst ernannten „besorgten Bürgern“ , genutzt werden, so wie „Lügenpresse“, „Systempresse“ und „Volksverräter“ haben ihren Ursprung nachweislich in der NS-Propaganda. (Theresia Enzensberger: Wie spricht das „Volk“?, in: Zeit Online, http://www.zeit.de/kultur/2015-01/pegida-rhetorik-analyse, 25. Januar 2015) Textpassage 4: Kommentar über die Folgen des Terroranschlags in Paris Es fällt ungeheuer schwer, das Entsetzen über den Terroranschlag von Paris und die Trauer um die Opfer in angemessene Worte zu fassen. Ebenso schwer fällt es, eine angemessene Antwort auf das Warum dieser sinnlosen Gewalt zu geben. Darum möchte man in diesem Augenblick der Ohnmacht am liebsten kurz innehalten und wieder zur Besinnung kommen. Doch einige in Politik und Medien wissen wieder einmal sofort und allzu genau, was in diesem Moment am besten gedacht und getan werden sollte. Und wer – neben den Tätern – noch Schuld an diesem furchtbaren Verbrechen trägt: der Islam und alle, die die von dieser Religion angeblich ausgehenden Gefahren verharmlosen. Bei manchem ist diese Wut durchaus verständlich und menschlich nachvollziehbar. Bei vielen aber entspringt sie bloßem Kalkül, einer eiskalten Berechnung. Die deutschen islamfeindlichen PegidaOrganisatoren zum Beispiel sagen, sie würden ja bereits seit Monaten vor der muslimischen Einwanderung warnen und bauen jetzt darauf, dass ihre Montagsdemonstrationen noch mehr Zulauf erhalten. Die rechtsextreme französische Politikerin Marine Le Pen, Chefin des ziemlich mächtigen Front NATHAN DER WEISE National, würde die islamistischen Mörder von Paris am liebsten guillotinieren und fordert für diesen Fall ein Volksbegehren zur Wiedereinführung der Todesstrafe. Andere rufen nach einer großen politischen und religiösen Auseinandersetzung mit dem Islam. Und die konservative französische Tageszeitung Le Figaro schreibt: „Wir sind im Krieg!“. Die Verharmloser sollten endlich schweigen, es sei höchste Zeit, den „verdrehten Humanismus und Anti-Rassismus“ zu verabschieden. „Unsere erste Pflicht im Krieg ist Einigkeit,“ so Le Figaro, „Die zweite Pflicht ist es, uns zu bewaffnen.“ Auf ähnliche Stimmen stößt man in vielen Ländern Europas. Die bayerische CSU forderte soeben auf ihrer Tagung als Antwort auf den Anschlag eine 22 unverzügliche Verschärfung der Strafgesetze und warnte davor, die Pegida-Bewegung auszugrenzen und die islamistische Bedrohung auf die leichte Schulter zu nehmen. Selbst im ziemlich islamfreien Norwegen, jenem Land, das Jahr für Jahr den Friedensnobelpreis verteilt, gibt es inzwischen PegidaAnhänger. Am Montag wollen sie zum ersten Mal in der Hauptstadt Oslo demonstrieren. Die nach dem Pariser Attentat an so vielen europäischen Orten beschworene Einigkeit scheint äußerst brüchig. Europa droht sich im Schatten des islamistischen Extremismus selbst zu radikalisieren. (Martin Klingst: Der Feind ist das Feindbild, in: Zeit Online, http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-01/kommentar-parisattentat, 9. Januar 2015) NATHAN DER WEISE 23 Literatur G.E. Lessing: Fragmente einer Vorrede, in: Werke und Briefe in zwölf Bänden, hrsg. von Winfried Barner u. a. Bd. 9: Werke 1778-1780. Frankfurt/M. 1993. Hugh Barr Nisbet: Warum Lessing?, in: Hugh Barr Nisbet: Lessing. Eine Biographie, München 2008. Hannah Arendt: Menschen in finsteren Zeiten, München 1989. Kwame Anthony Appiah: Der Kosmopolit. Philosophie eines Weltbürgertums, München 2009. Simona Slanička: Bastarde als Grenzgänger, Kreuzfahrer und Eroberer, in: Werkstattgeschichte 51, Essen 2009. Michel Serres: Kleine Chroniken. Sonntagsgespräche mit Michel Polacco, (Chronik vom 6. April 2006), Berlin 2012. G.E. Lessing: „Nicht die Wahrheit“, zitiert in: Dieter Hildebrandt: Obduktion, in: Lessing. Eine Biographie, Reinbek 1992. Die Interviews mit Kay Wuschek, Magdalena Musial und Jakob Kraze führte die FSJlerin Anna-Luisa Scholze aus der Presse- und Öffentlichkeitsabteilung im Januar 2015. NATHAN DER WEISE 24 Hinweise für den Theaterbesuch Liebe Lehrerin, lieber Lehrer, viele Kinder und Jugendliche besuchen zum ersten Mal ein Theater oder haben wenig Erfahrung damit. Wir bitten Sie, im Vorfeld eines Besuches sich mit Ihrer Klasse die besondere Situation zu vergegenwärtigen und die nachfolgenden Regeln zu besprechen. Damit eine Vorstellung gelingt, müssen sich Darsteller und Zuschauer konzentrieren können. Dafür braucht es Aufmerksamkeit. Alle Beteiligten müssen dafür Sorge tragen. Wer die Regeln nicht einhält, beraubt sich selbst dessen, wofür er Eintritt gezahlt hat – und natürlich auch alle anderen Besucher. Folgende Regeln tragen zum Gelingen eines Theaterbesuchs bei: 1. Wir bitten, rechtzeitig im Theater einzutreffen, so dass jeder in Ruhe den Mantel und seine Tasche an der Garderobe abgeben und ohne Eile seinen Platz aufsuchen kann. Unsere Garderobe wird beaufsichtigt und ist im Eintrittspreis enthalten. 2. Während der Vorstellung auf die Toilette zu gehen, stört sowohl die Darsteller als auch die übrigen Zuschauer. Wir bitten darum, sich entsprechend zu organisieren. In unseren Programmzetteln lässt sich auch nachlesen, ob es eine Pause in der Vorstellung gibt. 3. Es ist nicht gestattet, während der Vorstellung zu essen und zu trinken, Musik zu hören und Gespräche zu führen. Mobilfunktelefone und mp3-Player müssen vollständig ausgeschaltet sein. Während der Vorstellung darf weder telefoniert noch gesimst oder fotografiert werden. 4. Der Applaus am Ende einer Vorstellung bezeugt den Respekt vor der Arbeit der Schauspieler und des gesamten Teams unabhängig vom Urteil über die Inszenierung. Wem es gut gefallen hat, der gibt mehr Beifall – wem nicht, entsprechend weniger. Wichtig ist, erst nach dem Ende des Applauses den Saal zu verlassen. Unser Einlasspersonal die ARTIS GmbH steht den Zuschauern als organisatorischer Ansprechpartner am Tag der Vorstellung zur Verfügung. Wir sind an den Erfahrungen des Publikums mit den Inszenierungen interessiert. Für Gespräche stehen wir zur Verfügung. Bitte wenden Sie sich direkt an die stückbetreuende Dramaturgin / Theaterpädagogin, an den stückbetreuenden Dramaturgen / Theaterpädagogen. Wir freuen uns auf Ihren Besuch. Ihr THEATER AN DER PARKAUE 25 IMPRESSUM Spielzeit 2014/2015 THEATER AN DER PARKAUE Junges Staatstheater Berlin Parkaue 29 10367 Berlin Tel. 030 – 55 77 52 -0 www.parkaue.de Intendant: Kay Wuschek Redaktion: Lina Zehelein Gestaltung: pp030 – Produktionsbüro Heike Praetor Fotos: Christian Brachwitz Titel- und Abschlussfoto mit Jakob Kraze Kontakt Theaterpädagogik: Irina-Simona Barca und Frank Röpke 030 – 55 77 52 -60 [email protected]