Bioscoop der nacht - UvA-DARE

Transcrição

Bioscoop der nacht - UvA-DARE
Das andere Kap: Zwischen Sprachschule und Kulturkritik
Yoko Tawadas Erzählung Bioskoop der Nacht
Swantje Hanke
Scriptie: MA Duitse Taal&Cultuur
Studentnr. 0162329
Universiteit van Amsterdam
Faculteit der Geesteswetenschappen
Departement Taal en Letterkunde
Eerste lezer: ass. Prof. Dr. Elke Huwiler
Tweede lezer: ass. Prof. Dr. Carla Dauven-van Knippenberg
tentamen: 27. augustus 2012
Inhaltsangabe
1
Einleitung.Von der Macht der Sprache.Zwei Fallbeispiele und ein Roman -2
2.1
Eingrenzung des Themas und Untersuchungsfrage -11
2.2
Die theoretischen Prämissen -13
2.3
Ein Roman und seine Sprache – Überseezungen- 15
3
Die Sprachen Südafrikas –Von Sprachstreit bis Versöhnung
4
Die Sprache der Literaturwissenschaft. -Eine Migrationsgeschichte -24
5.1
Von Sprachwahl zu Mehrsprachigkeit -33
5.2
Mehrsprachigkeit - Standartsprache versus Literatur-Sprache --42
5.3.1
Bioskoop der Nacht. -Das erzählte Bilderpuzzle - 47
5.3.2
Die Visualität der Struktur -49
6.1
Südafrika im Bilde -59
6.2
Von Sprach-Bildern zu kulturellen Diskursen -67
7
Der Raum der Erinnerung -78
8
Fazit und Ausblick -81
9
Bibliographie -85
- 16
Language is a virus. And it gives us the integrity of ideas.
- Christopher Doyle 1,
2
1 Einleitung: Von der Macht der Sprache. Zwei Fallbeispiele und ein Roman.
Beispiel 1: Wenn der Präsident der Europäischen Zentralbank sich in der Öffentlichkeit
äußert, folgt die Reaktion der Finanzmärkte prompt. Bis ins kleinste Detail analysieren
und interpretieren Wirtschaftsexperten seine Auftritte. Selbst ein um wenige Stunden
früher umgebuchter Flug nach Griechenland kann dann als Zeichen der
Kommunikation gedeutet werden und -wie erst im April 2011 geschehen- fallende
Kurse auf den globalen Börsenmärkten verursachen. Dieser universalen Verantwortung
seiner Person als Mister Euro, wie Jean-Claude Trichet in seiner Funktion von einigen
Journalisten genannt wurde, ist er sich dabei durchaus bewußt. Fehlinterpretationen
seiner Sprache, des Handelns bedeuten im Zweifelsfall nicht nur in der Eurozone,
sondern weltweit Verluste in Milliardenhöhe. Die Lektüre des Mister Euro nehmen
dabei keine Literaturwissenschaftler vor, sondern gestandene Finanzexperten und
Wirtschafts-Journalisten. Ein kleiner Einblick in den Arbeitsalltag und über die
Privatperson Jean Claude Trichet, wurde nun der Regisseurin Ulrike Bremer des
Hessischen Rundfunks (HR) gewährt. 3 Trichet versuche Missverständnisse zu
vermeiden, so erklärte er sich im Film, doch eine vollkommende Steuerung der
sprachlichen Situation sei ein Unterfangen der Unmöglichkeit. Auf welcher Bühne und
wie und was er sagt, wird von ihm und seinem Stab -soweit es geht- gesteuert. Noch
kurz vor Ende seiner Amtszeit agierte der sonst als ruhig und kontrolliert beschriebene
Präsident verbal-drängend auf die Regierungschefs der Europäischen Union ein: We
are facing the most difficult situation since the Second World War - perhaps even since
the First World War. und ‘A ‘Quantum Leap’ in Governance of the Euro Zone is
needed’.
4
Wie in ihrer Dokumentation berichtet wird, wandte sich Trichet dabei
während seiner Amtszeit durchaus auch traditionellen Kommunikationswegen zu:
seitenlang handgeschriebene Briefe erreichten im Laufe der Jahre das ein oder andere
europäische Staatsoberhaupt. Gerade bei brisanten Themen, so suggeriert einer seiner
Freunde in der Dokumentation des HR, nutzte er mit persönlichen Briefen leisere Töne
1
Titelbild: Hajo de Reijger: next zuid Afrikaans, NRC next 28.April 2011, hier digitale Version:
http://www.studiohajo.nl, Stand: 24.Oktober 2011.
2
Christopher Doyle (Kameramann), während eines Interview im Filmmuseum Eye (Amsterdam)
anlässlich des Films “In the mood for love/ huā yàng nián huá” (2000), 26.September 2011.
3
Ulrike Bremer (Hessischer Rundfunk): Jean Claude Trichet- Au revoir, Mister Euro!,
Erstausstrahlungstermin: So, 23. Okt 2011, 16:34 ARTE.
4
Interview Spiegel, 15.Mai 2011: http://www.spiegel.de/international/europe/0,1518,druck694960,00.html, Stand 27.10.2011.
2
der
Kommunikation,
um
außerhalb
der
medialen
Öffentlichkeit
und
mit
Fingerspitzengefühl zu agieren.
Dieses Beispiel zeigt zweierlei: Zum einen wird die Bandbreite, Wahl wie Wirkung der
Kommunikationsmittel sichtbar. Sprachsysteme sind sehr divers und variieren je nach
Kontext und Rezeption. Zum anderen zeigt die Bezeichnung des ehemaligen obersten
Euro-Hüters Trichet als Mister Euro, wie mithilfe eines einfachen sprachlichen Mittels,
der Personifikation, Einheit und Identität suggeriert werden kann. Die schwierigen und
langwierigen Verhandlungen der Euro-Währungsgemeinschaft, beziehungsweise der
Europäischen
Wirtschafts-
und
Währungsunion
(EWWU)
um
den
Euro-
Rettungsschirm, Euro-Bonds zur Behebung der Euro-Krise und generellen
Stabilisierung des europäischen Finanz – und Wirtschaftsraumes bezeugen, wie
heterogen die Währungsverantwortung in der politischen Realität im Gegensatz zum
vorliegenden Narrativ tatsächlich verteilt ist. Repräsentative Demokratie-Prozesse
haben viele Gesichter, sie sind von Natur aus polyphon, eines davon ist auch das
diplomatische des Währungsinstitutes.
Beispiel 2: Es ist kein Märchen, aber vor gar nicht so langer Zeit sorgte Máxima,
Prinzessin der Niederlande, mit wenigen Worten für medialen Aufruhr in der Nation.
Im Jahr 2007 sagte die gebürtige Argentinierin in ihrer repräsentativen Funktion des
niederländischen Königsreiches: ,,Zeven jaar geleden begon mijn zoektocht naar de
Nederlandse identiteit, die heb ik niet gevonden.“5 Dieses Zitat war in den Tagen
darauf erst in den wichtigsten niederländischen Medien vertreten, später in aller
Munde. Was war geschehen, war etwa die sprachliche Dekonstruktion der eigenen
Funktion und Basis der Repräsentation beabsichtigt? Das Gesagte mutierte schnell, wie
es
im
Deutschen
betreffend
heißt,
zu
einem
geflügelten
Wort,
sprichwörtlich ,,davongeflogen” ist das Zitat dem eigentlichen Kontext und Rede vor
dem Wissenschaftsrat. 6 Die Niederlande seien zu divers, um eine Identität zu besitzen,
5
Eigene Übersetzung:,,Vor 7 Jahren begann ich mit meiner Suche nach der niederländischen
Identität. Aber d i e niederländische Identität, die habe ich nicht gefunden.” aus: De Pers, Floor
van Dijck / Marcia Nieuwenhuis: WRR-rapport (Wissenschaftlicher Rat für Regierungspolitik) Dé
Nederlandse identiteit bestaat niet Máxima: Nederland is één koekje bij de koffie,
http://www.depers.nl/binnenland/105895/Maxima-Nederland-is-een-koekje-bij-de-koffie.html,
Stand 1.9.2011.
6
Auch in Deutschland wurden in den vergangen Jahren wiederholt Nationaldebatten ausgeloest,
hier stand jedoch nicht der Begriff nationaler Identität zentral, sondern die Frage
nach ,,Leitkultur” und ,,Migrationsgesellschaft”. Beide Diskussionen rückten bei der Frage nach
3
so zeige ihre persönliche Vita mit den Lebensstationen in Buenos Aires, New York,
Brüssel und Wassenaar. Sie betonte damit die Diversität der heterogenen
niederländische Gesellschaft und Differenz des einzelnen Bürgers. Entscheidende
Aufgabe der Politik sei es, so der WRR im Dossier, den Prozess der Identifikation zu
diskutieren und in Zukunft verstärkt politisch zu gestalten, um so ,,extremen Fällen der
herrschender Radikalisierung und Angst” entgegenwirken zu können. 7 Das 234 Seiten
umfassende Dossier Identificatie met Nederland gibt Ratschläge um funktionelle,
normative und emotionale Identifikationsprozesse des Bürgers mit dem Staat konkret
zu fördern. Ein wichtiges Identifizierungs-Element sieht der Wissenschafts-Rapport in
der Landessprache. Spätestens mit der Einbürgerung muss in den Niederlanden
Sprachkompetenz nachgewiesen werden, erst dann kann die Staatsangehörigkeit
erlangt werden.
Die Resonanz des medieninszinierten Eklats war immens. 8 Es wurde vor allem die
Frage diskutiert: Ist die niederländische Nation ohne Identität? Das NRC Handelsblad
titelte mit der Schlagzeile (die später in aller Munde war): ,,Máxima: ‘Nederlandse
identiteit nog niet ontdekt” unter der Rubrik Inland.” 9 , 10. Die mediale Empörung
sorgte daraufhin für eine Flut von nationaler-identitätsstiftender Narrative, die vor
allem kultur-historisch ausgerichtet waren. 11, 12
nationalstaatlichem Selbstbewusstsein auch die Frage von ,,kultureller Identität“ ins den
Mittelpunkt.
7
Offizieller Bericht der Präsentation des WRR: Presentatie Identificatie met Nederland,
http://www.wrr.nl/content.jsp?objectid=4104, Stand 1.9.2011.
8
Elsevier, 12. Oktober 2011: Ellian & De Winter: Oh, is Máxima verkeerd geciteerd? Lees even
mee, http://www.elsevier.nl/web/Opinie/Afshin-Ellian/142273/Oh,-is-Mxima-verkeerd-geciteerdLees-even-mee.htm, Stand: 1.9.2011.
9
Die offizielle Rede von Prinzessin Máxima ist auf der WRR Internetseite zu meinem Bedauern
anders als die weiteren Reden der Veranstaltung vor dem WRR nicht mehr, bzw. derzeit nicht
verfügbar. Ihre weiteren Anführungen von der vorgefundenen niederländischen Diversität
wurden in den folgenden Monaten zumeist nicht rezipiert. Weitere Zitate des NRC vom
25.9.2007: „Elke keer als ik weg ga of thuiskom, kom ik erlangs. Al die plaatsen horen bij mijn
identiteit als Nederlandse.”( Buenos Aires, New York, Brusseles, Den Haag en Wassenaar.);
„Soort bij soort. Maar Nederland is geen Artis. Juist verscheidenheid en vermenging geven ons
kracht.”,
http://vorige.nrc.nl/binnenland/article1846825.ece/Maxima__Nederlandse_identiteit_nog_niet_on
tdekt, Stand 1.9.2011
10
Dieses medial verkürzte Zitat ist textananlytisch kritisch zu bewerten. Die Darstellung ist
verkürzt, aus dem Zusammenhang gerissen, dennoch oder gerade deshalb, folgte daraufhin
eine öffentliche Suche und Selbstbezeichnung zur Nation. Es ist die Wirkung die beachtlich ist.
Die angeblichen Verweigerung und De-konstruktion ist medieninsziniert, es folgten wiederum
medieninszenierte öffentliche Erzählungen über die kulturelle und nationale Identität der
Niederlande. Die Antworten waren, wie nicht anders zu erwarten vielstimmig und geprägt von
Diversität.
11
Zum Beispiel: Arnold Enklaar: ,,'De' Nederlander bestaat wél” und "Wat ons werkelijk tot
Nederlanders maakt is onze cultuur, onze typische manier van denken." In: Pressemitteilung:
4
Diese Funktionalisierung und Normierung von Kultur und Sprache auf nationaler
Ebene ist, nicht zuletzt unter den aktuellen Auswirkungen der globalisierten Welt,
kritisch zu betrachten. Heute ist kulturelle Praxis -mehr denn je- als ein weltweites
Phänomen zu sehen:
,,With the change in the global political and economic enviroment and
development in information technology, the power relationships between
nations have shifted as the conception of knowledge and the means of its
dissemintation have undergone a major transformation. National boundaries
no longer constitute the primary of defining untits of cultural activity.[…] The
acceleration in speed and the increase in quantity of intercultural exchange
and the resulting emergence of a global culture that allows people of different
regions of the world to share common experiences- has given rise to a new
consciousness of identity. This identity is based on the awareness of
differences in one’s historical and cultural experiences. 13
Das globale Bewusstsein der Menschen führt Ellis zufolge gerade in der Kulturpraxis
zur Entgrenzung nationaler Denkeinheiten. Andererseits schafft die historisch wie
kulturelle Einzigartigkeit der individuellen Erfahrung verstärkt das Potential für
kollektive Identifikation des Subjektes auf national-geschichtlicher Ebene.14 Diese
zwei Seiten, die national-theoretische Identifikation einerseits und die kulturelle
globale Praxis der Kunst andererseits, erscheinen als Paradoxon. Ein Widerspruch von
Theorie und Praxis, der in vielen Lebensbereichen des Individuums in der globalen
Welt alltäglich ist, denn es gilt:
,,Die Auseinandersetzung mit kollektiven Identitätsmodellen wird immer
wieder in die Frage münden, wie das erzählende Individuum sich dazu
positioniert bzw. seine eigene personale Identität im Verhältnis dazu
konstruiert.” 15
Pressemitteilung: http://www.arnoldenklaar.nl/pers.htm, Stand 1.10.2011. siehe auch: Arnold
Enklaar: Nederland, tussen nut en naastenliefde. Op zoek naar onze cultuur, Uitgeverij Scriptum
2007.
12
Museum De Paviljoens: De nederlandse identiteit? De kracht van heden, 6.10-4.3.2012,.
13
Toshiko Ellis: Literary culture. Text and context: literature in the age of transition, in: The
Cambridge Companion to Modern Japanese Culture. Ed. Yoshio Sugimoto. Cambridge
University Press, 2009. Cambridge Collections Online. Cambridge University Press. 04
November 2011 DOI:10.1017/CCOL9780521880473.012 , S. 212. Stand 1.11.2011.
14
Toshiko Ellis: Literary culture. Text and context: literature in the age of transition, S. 214.
15
Cornelia Zierau: Wenn Wörter auf Wanderschaft gehen…Aspekte kultureller, nationaler und
geschlechtsspezifischer Differenzen in der deutschsprachigen Migrationsliteratur, Stauffenburg
5
Die Begriffe ,,Sprache” , ,,Kultur” und ,,Nation” sind seit den Anfängen der
europäischen Nationalisierung (Nation-building) eng miteinander verschränkt. Gerade
für den deutschen Nationalstaat sind explizit die sprach-politischen Prozesse der
literarisch
begründeten
entscheidend gewesen.
16
Romantik
Traditionelle Funktionsträger der Nation als Imagined
17
community sind ,,Sprach-Kultur” und ,,sprachliche Identität”. Um die eigene Nation
von den anderen Nationen abzugrenzen, wurde nach (sprachlicher) ,,Authentizität”
und ,,Originalität” gesucht, nationale Sprach-,,Geschichte” geschrieben, die durch sich
durch Attribute von Linearität und Separation kennzeichnet. Das Vorgehen wird in der
Geschichtswissenschaft inzwischen kritisch als invention of history benannt. Streng
genommen sind wissenschaftliche Disziplinen, wie die Geisteswissenschaften und
Sprachwissenschaften,
in
die
nationale
Tradierung
von
Sprache
bzw.
Literaturgeschichte eingebunden. Sobald der Bereich der Wissens-Historisierung
betreten wird, beschreiten Autoren und Wissenschaftler direkt oder indirekt nationale
Diskurse. 18,
19
Insbesondere die Metapher der ,,Muttersprache”, welche sich mit der
Zeit etablierte, zeigt diese kultur-historische Argumentationslinie auf, so weist die
Literaturwissenschaftlerin Yasemin Yildiz nach.20 Mit dem institutionellen Modell des
Nationalstaates hat sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in Europa zugleich das
monolingual paradima, etabliert:
,,Recognizing the workings of the monolingual paradigm, I suggest, requires a
fundamental reconceptualization of European and European-inflected thinking
Discussion, Studien zur Inter-und Multikultur (Band 27= Elisabeth Bronfen/Michael Kessler u.a.
(Hg.) 2009, S. 94.
16
Die vermeintliche Kohärenz der Begriffen Kultur und Nation hat in Europa eine lange
konzeptuelle Tradition. Im Europa der aufstrebenden Nationen des 18. Jahrhunderts wurde
kulturelle Differenz der Nationen zum (sprach)-politischen Programm. Siehe hierzu: Joep
Leerssen: Nationaal denken in Europa. Een culturrhistorische schets, Amsterdam University
Press 1999, S. 28; 54-64.
17
Der Begriff der Nation als “imagined community” stammt von Benedict Anderson.
18
Der Begriff der “Nationalliteratur” wird von Johan Gottfried Herder 1768 in seinem
Fragment ,,Über die neuere Deutsche Literatur” eingeführt und 1818/1819 mit Ludwig
Wachlers ,,Vorlesung über die Geschichte der teutschen Nationalliteratur” weitergeführt, aus:
Cornelia Zierau: Wenn Wörter auf Wanderschaft gehen…Aspekte kultureller, nationaler und
geschlechtsspezifischer Differenzen in deutschsprachiger Migrationsliteratur. Stauffenberg
Discussion Band 27, Studien zur Inter- und Multikultur, (Hg.): Elisabeth Bronfen/Miachel
Kessler/Paul Michael Lützeler, Wolfgang Graf Vitzthum, Jürgen Wertheim 2009, S.19f.
19
Siehe zu diesem Diskurs auch: Marcus Mueller: Die sprachliche Konstituierung
einer ,deutschen Kunstgeschichte´ aus diskursanalytischer Sicht, In: Christa
Duerscheid/Andreas Gardt/Oskar Reichmann/Stefan Sonderegger (Hg.): Studia Linguistica
Germanica Band 90, De Gruyter Berlin/New York 2007.
20
Yasmin Yildiz: Beyond the mother tongue. The postmonolingual condition, Fordham University
Press, New York 2012, hier. Introduction, S. 11-14.
6
about language, identity, and modernity. For monolingualism is much more
than a simple quantitativ term designating the presence of just one language.
Instead, it constitutes a key structuring principle that organizes the entire
range of modern social life, from the construction of individuals and their
proper subjectivities to the formation of disciplines and institutions, as well as
of imagined collectives such as cultures and nations.” 21
Seit den 1950er Jahren und mit Eingang der europäischen Integration werden Mobilität
und Sprachdiversität in Europa aktiv gefördert, dies hat Auswirkungen auf das
Sprachbewußtsein der europäischen Bürger und ihre Produktionsvielfalt. Denkmodelle
von nationaler Einsprachigkeit und seine Machteffekte verlieren seit dem zweiten
Weltkrieg langsam ihr Monopol. Mehrsprachigkeit der Individuen wird innerhalb der
EU wieder verstärkt “sichtbar”. Wie kommt dies? Hier ist in Europa der Wandel von
einzelnen Nationalstaaten zur supranationalen Europäischen Union entscheidend. Die
vier europäischen Freiheiten ermöglichen den zwanglosen Austausch innerhalb der
EU Mitgliedsstaaten. Das Grundsatzprogramm der EU fördert mittels Richtlinien
Minderheitssprachen. Mehrsprachigkeit wird außerdem mittels Fremdsprachenerwerb,
Bildungspolitik und Austauschprogrammen unterstützt. Zusätzlich ist die europäische
Charta
zum
Schutz
der
nationalen
Minderheitssprachen
in
den
meisten
Mitgliedsstaaten der EU ratifiziert. Laut Vertrag über die Arbeitsweise der
europäischen Union, (Artikel 24 (ex-Artikel 21 EGV)) 22 heißt es grundsätzlich:
,,Jeder Unionsbürger kann sich schriftlich in einer der in Artikel 55 Absatz 1
des Vertrags über die Europäische Union genannten Sprachen an jedes Organ
oder an jede Einrichtung wenden, die in dem vorliegenden Artikel oder in
Artikel 13 des genannten Vertrags genannt sind, und eine Antwort in derselben
Sprache erhalten.”
Um die Gesetzgebung und Politik möglichst bürgernah zu vermitteln sind 23
Nationalsprachen bzw. offizielle europäische “Standardsprachen” in der Praxis der EU
Institutionen
als
gleichwertig
anerkannt.
Dies
bedeutet
einen
immensen
Verwaltungsaufwand. Das globale Fortschreiten von Technologisierung sorgt des
Weiteren für eine weltweite Vernetzung. Eine der Grundvoraussetzung für globalen
21
Yasmin Yildiz: Beyond the mother tongue. The postmonolingual condition, Fordham University
Press, New York 2012, hier. Introduction, S. 2.
22
Konsolidierte Fassung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
30.3.2010 Amtsblatt der Europäischen Union C 83/47. eur-lex.europa.eu, Stand 2.7.2012.
7
Handel, sind die sogenannten lingua franca, die es ermöglichen weltweit mit Partnern
zu kommunizieren.
Weltweite Migrationsprozesse und die damit verbundene Mehrsprachigkeit des
Individuums, bringen für die nationalen europäischen Gesellschaften zusätzliche
Herausforderungen mit sich. Viele Bürgergemeinschaften der EU besitzen inzwischen
Sprachenkompetenzen die ihren Ursprung auch außerhalb des institutionellen
Bereiches der EU haben. Sprachpolitisch und juristisch wird diese mehrsprachige
Lebenswirklichkeit und das Selbstverständnis vieler Mitmenschen kaum beachtet. Als
sich der türkische Premiere Erdogan bei einem Staatsbesuch in Deutschland 2011
wiederholt dafür einsetzte, türkischstämmigen Kindern in Deutschland auch an
öffentlichen Schulen ihre Familiensprache als Erstsprache beizubringen und danach die
Sprache des Einwanderungslandes, sorgte dies für Diskussionen auf höchster Ebene 23,
die Süddeutsche Zeitung titelte: Erdogan giftet gegen deutsche Integrationspolitik. 24
Die gesellschaftliche Schlüsselstrukturen der einzelnen Nationalstaaten sind, wie
Yildiz es formuliert, auch gegenwärtig beständig vom ,,Einsprachigkeits-Paradigma”
geprägt. Gerade an Debatten über Migration und Integration zeigt sich die Forderung
an das Individuum: Einbürgerungstests binden Sprachkompetenz an die Option der
nationalen Zugehörigkeit, auf diese Weise soll gesellschaftliche Partizipation und
Chancengleichheit
ermöglicht
werden.
Tatsächlich
hängt
eine
erfolgreiche
gesellschaftliche Identifikation des Individuums, so die Ergebnisse der historische
Migrationsforschung, hauptsächlich von zwei zusammenhängenden Faktoren ab: dem
Spracherwerb sowie dem Erlernen von kulturellen Sitten. 25
Ausgehend vom monolinguistischen Paradigma richtet sich das Forschungsinteresse
von Yasemin Yildiz explizit nicht auf Sprachpolitik, sondern auf die kulturelle globale
Praxis und ihren Sprachkonzepten. Ihre These: In zeitgenössischer Kunst wirkt häufig
das Paradigma der traditionellen europäisch-national Hegemonie und damit
verbundene Konzepte wie ,,Einsprachigkeit” und ,,Muttersprache” des Nationalstaates
nach. ,,Mehrsprachigkeit” von Kunstwerken sei demnach kritisch auf bestehende
historisch-sprachliche Spannungsfelder zu untersuchen. Sie bezeichnet die dort
23
28.2.2011: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/deutschland-besuch-westerwellekritisiert-erdogans-tuerkisch-gebot-a-748080.html, Stand 2.3.2012.
24
2.11.2011: http://www.sueddeutsche.de/politik/2.220/tuerkischer-ministerpraesident-zubesuch-in-berlin-erdogan-giftet-gegen-deutsche-integrationspolitik-1.1178435, Stand 2.3.2012.
25
Patrick Manning: ,,Migration in World History”, Routledge Chapman & Hall 2005, S. 4.
8
entstehenden
Spannungen
als
post-monolinguales-Phänomen. 26
Eine
der
gegenwärtigen Autorinnen, der Yildiz das Überschreiten der monolingualen
Paradigmas und das Bewusstsein des sprach-historischen Spannungsfeldes bestätigt, ist
Yoko Tawada. Ihr Werk wird im Mittelpunkt der weiteren Arbeit stehen.
»Eigentlich darf man es niemandem sagen, aber Europa gibt es nicht«. Dieses dritte
Zitat von Yoko Tawada ist keiner politischen Rede entnommen. Es ist ein literarisches
Zitat der aus Japan stammenden Autorin. In einem ihrer Essays problematisiert sie die
sprachliche (De)-Konstruktion von Europa. 27 Das generelle Lob: Sie breche mit der
negativen Dialektik, ihres Werkes eurozentrische Seh-muster auf und thematisiere die
Angst vor dem Verschwinden
28
des Europäers. Diese Bewertung ist zugleich die
Einforderung der deutschen Literaturgeschichtswissenschaft betreffend ihres Œuvres.
Fernab der großen politischen Bühne verursacht die Abkehr
Identitätsverständnis
29
von integralem
des europäischen Kulturraumes sehr viel weniger Aufruhr, als
dem öffentlichen Zitat und Funktionen Prinzessin Maximas oder des ehemaligen EZB
Präsidenten, Jean Claude Trichet, entgegen gebracht wurde. Dieses spricht für die
Freiheit der Künste. Hierzu äußert sich die Autorin in einem Interview mit der
Literaturwissenschaftlerin Bettina Brandt direkt:
,,When I was introduced to European culture and its modern concepts of
identity, I noticed that there is an unrelenting search for ones single identity. I,
however, could not work with that idea. I started searching, unconsciously, for
realms in which different types of identity are represented. I looked in all kinds
of different areas: in classic mythology, in fairy tales, in old Asian pre-liteary
myths, in African legens, in all kind of places where elements we were
reshuffled again and again.” 30
Die Autorin ist in den vergangenen Jahren weltweit, in Deutschland, Japan wie den
USA, mit renommierten Auszeichnungen und Zuwendungen der staatlichen
26
Yasmin Yildiz: Beyond the mother tongue. The postmonolingual condition, Fordham University
Press, New York 2012, hier. Introduction, S. 4.
27
Siehe hierzu weiterführend auch: Josef Simon: Europa als philosophische Idee, in: Wolfgang
Stegmaier (Hg.): Europa-Philosophie, De Gruyter 2000, S.17ff.
28
Vgl.Literatur aus naher Fremde, in: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur
Gegenwart, Sechste überarbeitete Auflage, Verlag J.B. Metzler 2001, S.694ff.
29
Aleida Assmann: Identität. Wanderer zwischen den Kulturen, in: Einführung in die
Kulturwissenschaft. Grundbegriffe, Themen, Fragestellungen, aus: Ahrens/Bald/Schneider (Hg.):
Grundlagen der Anglistik und Amerikanistik Band 27, Erich Schmidt Verlag Berlin 2006, S.232.
30
Bettina Brandt: Ein Wort, ein Ort, or How words Create Places: Interview with Yoko Tawada,
in: Women in German Yearbook 21 (2005), S.1-15, hier: 11.
9
Kulturinstitutionen bedacht worden.31 Zuletzt hielt sie im Sommer 2011 an der
Universität
Hamburg
eine
Gastprofessur
für
Interkulturellen
Poetik.
Eine
Ursachenforschung, warum sich die Reaktionen auf die drei Beispiele von Trichet,
Prinzessin Maxima und Tawada so extrem unterscheiden, kann im Rahmen dieser
Arbeit nicht geleistet werden. Vielmehr scheint es interessant und notwendig, sich der
Literatur Tawadas und somit der genaueren Lektüre ihres Textes zuzuwenden.
Der Kognitionspsychologe Jerome S. Bruner konstatiert zwar, dass ,,erzählte
Geschichten kein anerkannter Gegenstand der Wissenschaft und ´Logik´ sei”, so
bestätigt er dennoch, dass Literatur die Funktion erfüllt, Wirklichkeits-Welten zu
konzipieren. 32 Dabei sei insofern kein Unterschied zwischen narrativem Diskurs oder
narrativen Text, als das beide sprachliche “Wirklichkeiten” zweiten Grades sind und
genau wie das Denken einer eigenständigen kulturellen Praxis unterliegen. 33 Speziell
Literatur als Kunstgattung biete dabei, wie die Philosophin Annemarie GethmannSiefert betont, einen sprachparadiesischen Idealzustand. 34 Der entscheidende Vorteil:
das Narrativ der Erzählung ist auf Papier gebannt und als Forschungsobjekt
hervorragend abzugrenzen. Begeben wir uns also auf eine gemeinsame Reise und
nähern uns der literarischen Welt Yoko Tawadas und damit ihrer Konstruktion von
narrativer "Wirklichkeit" und “Identität”.
31
Zahlreiche Preise und Stipendien zeugen davon: Förderpreis für Literatur der Hansestadt
Hamburg 1990, Der Literaturpreis Gunzô-Shinjin-Bungaku-Shô, Japan 1991, AkutagawaShô1993, Autorenstipendium der Stiftung Niedersachsen 1993, Lessing-Förderpreis 1994,
Adelbert-von-Chamisso-Preis 1996, Stipendiatin der Villa Aurora (Feuchtwanger-Haus) in Los
Angeles 1997, Poetik-Dozentin in Tübingen 1998, Max Kade Distinguished Visitor at
Massachusetts Institute of Technology, USA Feb.-Mai 1999, Stipendium des Deutschen
Literaturfonds Nov.1999-April 2000, Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung Mai 2000 –
November 2000 ,Izumi-Kyooka-Literaturpreis, Japan 2000, Writer-in-Resedence im
Literaturhaus Basel Juni-August 2001, Bunkamura Prix Des Duex Magots, Japan 2002, Ito-SeiLiteraturpreis, Japan 2003, Tanizaki-Junichiro-Literaturpreis, Japan 2003, New-YorkerStipendium des Deutschen Literaturfonds Nov. 2004 – Jan. 2005, Goethe-Medaille 2005, Writerin-Residence an Washington University in St.Louis, USA März-April 2008, Writer-in-Residence
an Stanford University,USA Feb.2009, Writer-in-Residence an Cornell University,USA April
2009, Tsubouchi-Shoyo-Taisho 2009, Gastprofessur Hamburg 2011.
32
Eine Unterscheidung von Denken, Diskurs und Text ist für ihn als Wissenschaftler dabei nicht
gegeben. Jerome S.Bruner: Vergangenheit und Gegenwart als narrative Konstruktionen. Was
ist gewonnen und was verloren, wenn Menschen auf narrative Weise Sinn bilden? , aus:
Jürgen Straub (Hg.): Erzählung, Identität und historisches Bewußtsein - Die psychologische
Konstruktion von Zeit und Geschichte. Erinnerung, Geschichte, Identität 1, Suhrkamp 1998,
S.46, S. 52.
33
Vgl. Jerome S.Bruner: Vergangenheit und Gegenwart als narrative Konstruktionen. Was ist
gewonnen und was verloren, wenn Menschen auf narrative Weise Sinn bilden?, S.52.
34
Und weiter :,,Kunsterfahrung ist aber sowohl eine Welterfahrung, die sich einen (genialen)
Neuentwurf der Welt ausmünzt als auch eine durch diesen Vorentwurf nachvollziehbare neue
Erfahrung der Welt. Die philosophische Ästhetik muß sich daher als Analyse
der ,kommunikativen Funktion´ des Kunstwerkes darstellen.” ,Annemarie Gethmann-Siefert,
Einführung in die Ästhetik, München 1995, S.256; 246.f
10
2.1 Eingrenzung des Themas und Untersuchungsfrage:
Um den Forschungsgegenstand weiter einzugrenzen, wird sich diese Arbeit zunächst
hauptsächlich auf das zweite Kapitel Yoko Tawadas Roman Überseezungen (2002)
konzentrieren: Bioskoop der Nacht.
35
Dies hat mehrere Gründe: Zum einen wurde
dieser in zahlreichen internationalen literaturwissenschaftlichen Analysen der derzeit
von der Kultur- wie Literaturwissenschaft global vielbeachteten Literatin bisher kaum
en détail behandelt. Zum zweiten ist der Text erst kürzlich, im Frühjahr 2011, auch im
Niederländischen als Einzelttext in einer Anthologie erschienen, so einem größeren
Leserkreis und weiteren Sprachgemeinschaften in den Niederlanden, Belgien wie
Südafrika zugänglich. 36, 37 Der dritte und entscheidende Grund ist jedoch der Prosatext
selber, denn in Bioskoop der Nacht wird auf einzigartige Weise auf ,,Tawada-eske”
Manier deutlich, wie die Macht der Sprache sich innerhalb einer Geschichte und in
Geschichtlichkeit äußert.
2006 erschien die Dissertation Fremdes Schreiben. Yoko Tawada von Ruth Kersting.
Ihr Forschungsprojekt schließt sie mit der Kritik:
,,Je nach Vorliebe vermisst man [in der Literatur Yoko Tawadas] trotz der
Freude am selbstreflexiven, gekonnten Sprachspiel auf Dauer einen kritischen,
in Normen begründeten Bezug auf außerliterarische Konstruktionen von
Wirklichkeiten und ihre Machteffekte. Schliesslich ist zu diskutieren, inwieweit
Tawadas Kunst des unaufhörlichen Dezentrierens Gefahr läuft, immer wieder
in die Behauptung und Selbstlegitimierung des eigenen Kunstanspruchs
einzumünden.” 38, 39
35
Bioskoop der Nacht, aus:Yoko Tawada. Überseezungen, Claudia Gehrke Verlag 2002/2006,
S. 60-92.
36
Bisher von Yoko Tawada im Niederländischen erschienen: Schrift van een schildpad of het
probleem van der vertaling, in Filter.Tijdschrift over vertalen, Jahrgang nr.12, 3.September 2005;
Is Europa westers? Aus: Trajekte.Zeitschrift des Zentrum für Literaturforschung, Jahrgang 6
nr.12, April 2006.
37
Die niederländische Anthologie De Berghollander von den Herausgeberinnen Bettina Brandt
und Desiree Schyns enthält neben Bisokoop der Nacht weitere Uebersetzungen von Prosa,
Essays, sowie ein Theaterstück.Yoko Tawada: De Berghollander, Übersetzung ins
Niederländische und Edition: (Hg): Bettina Brandt und Désirée Schyns, Stichting Voetnoot
Amsterdam 2010, S.52-71.
38
Ruth Kersting: Fremdes Schreiben.Yoko Tawada, aus: Heinz Kosok/Heinz Rölleke/Michael
Scheffel (Hg): Schriftreihe Literaturwissenschaft Band 74, Wissenschaftlicher Verlag Trier 2006,
S. 222.
39
Kersting arbeitet in ihrer Analyse grundsätzlich komparatistisch. Ausgewählte Stücke Yoko
Tawada werden denen deutschsprachiger Zeitgenossen wie Christoph Ransmayer und Herta
11
Auf die zu Recht kritische und herausfordernde offene Frage von Ruth Kersting will
dieser Arbeit versuchen zu antworten. Die Forschungsfrage lautet: Ist das Schreiben
von Tawada wirklich nur ein “Spiel” mit der Sprache oder birgt ihre Literatur
politisches Potential und Gesellschaftskritik?
Aus der Meta-Perspektive der Ästhetiker haben Kunstwerke generellen und
unbestreitbaren Bezug auf die ,,Wirklichkeit”. Kunstanspruch bzw. Utopie und
Kritikpotential schließen sich zunächst, anders als die Literaturwissenschaftlerin Ruth
Kersting es suggeriert, -unter diesem universalen Blickwinkel- nicht aus:
,,Die Funktion dieser in der Kunst gestifteten neuen Anschauung der Welt in
der schönen Gestalt bestimmt sich aus ihrem Verhältnis zur geschichtlichen
Realität. In der Konfrontation von bestehender Realität und künstlerischer
Fiktion erscheint die Kunst als Kritik bestehender (entfremdeter) Verhältnisse
und sie wird zum Entwurf einer alternativen Möglichkeit geglückten Lebens.
Die Kunst erscheint als Gesellschaftskritik und Utopie.” 40
Wird die so benannte ,,geschichtliche[…] Realität” als eine mögliche gesellschaftliche
Wirklichkeit -wie etwa Ruth Kersting es formuliert- verstanden, dann rückt
automatisch die zeitliche Ebene in den Vordergrund des Interesses. Weder Ruth
Kersting, die Tawadas ästhetisches Spiel bzw. ihr Kunstanspruch dominierend sieht,
noch Yasemin Yildiz, die wiederum sprachpolitische Konzepte in der Literatur
Tawadas zurückfindet, haben den Beispieltext Erzählung Bioskoop der Nacht explizit
behandelt. Dabei lohnt es sich hier konkreter nach dem angesprochenen Spannungsfeld
von Geschichte und Fiktion in seiner Schlüsselfunktion und Umgang mit
gesellschaftlichen Normen zu schauen. Die thematische Brisanz des Textes liegt auf
der Hand, denn mit der Erzählung Bioskoop der Nacht wird u.a. die Sprache Afrikaans
in ihrer nationalen Identitätsgebung und gegenwärtigen wie historischen Wirkung auf
das Individuum problematisiert.
Die folgenden Arbeitsschritte stellen ausdrücklich keine Interpretation des Textes dar,
sondern verstehen sich als Annäherung und Lektüre der autonomen textuellen
Müller gegenübergestellt .Ihre Ausgangsfrage an das Schreiben der Autorin ist dabei, ob dieses
poststrukturalistisch oder nominalisische Grundzüge beinhaltet.
40
Annemarie Gethmann-Siefert, Einführung in die Ästhetik, München 1995, 246.f
12
Konstellationen des Bioskoop der Nacht. Die Erzählung wird dabei innerhalb des
Romans Überseezungen und eigenständigen ,,Textkultur” betrachtet. Übergreifende
theoretische Fragestellungen und Diskurse stehen dabei in Dialog mit konkreter
Textarbeit, dem close reading.
Die Kunstsprache bzw. Ästhetik Tawadas setzt sich aus einer Vielzahl heterogener
Materialien, Medien und Diskurs-Inszenierungen zusammen. Die in der Erzählung
aufgeführten und produzierten Diskurse sollen realpolitisch kontextualisiert werden.
Der Text erlaubt nicht nur mannigfaltige wissenschaftliche Annäherungen, er fordert
sie vielmehr, um der angewandten künstlerischen Strategie Tawadas gerecht zu
werden. Der einzig wirkliche rote Faden dieser Untersuchung ist der Text Das
Bioskoop der Nacht.
2.2 Die theoretischen Prämissen:
Ziel dieser Arbeit ist die spezifischen Ansätze der literarischen Konstruktion bzw. die
Literatur-Sprache die dem Bioskoop der Nacht zu Eigen ist, herauszuarbeiten.
Aufgrund dieses Vorhabens wird der Begriff
Sprache im Rahmen dieser Arbeit
ausdrücklich als Universalia verstanden.
,,»S[prache]« allgemein verstanden, bezeichnet in einem umfassenden Sinn den
gesamten Bereich dessen, was mit der Äusserung von Vorstellung, mit
Ausdruck, Appell und Mitteilung sowie mit deren Formen und Materialien,
Medien und Techniken usw. zu tun hat; Sprechen und artikuliertes Denken,
Worte und Wörter, Satz und Text, ferner Stimme , Laut und Schrift- alles , was
die Reflexion auf S[prache]. in Wissenschaft und Philosophie untersucht.“ 41
Der Textkorpus selber ist eine kommunikative Einheit, der Autor fungiert vor allem in
seiner Funktion als Förderer und nicht als Urheber im klassischen Verständnis. 42 In
seiner Gesamtheit der intratextuelle Verknüpfungen bzw. Literatur-Sprache ist der
Text dabei als Träger von Kulturalität zu verstehen.43 Speziell bei Yoko Tawada ist
41
Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 1, Se-Sp, Joachim Ritter/Karfired Grunder
(Hg.), Schwabe&Co. Verlag Basel 1995.
42
Auctor, Förderer; augere/etwas entstehen lassen, Reallexikon der deutschen
Literaturwissenschaft. Neubarbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, Klaus
Weimar (Hg.), Band I (A-G), Walter de Gruyter Berlin/New York 1997, S. 177.
43
Siehe auch: Jin Zhao: Kulturalitaet als Textualitaetsmerkmal, In: Muttersprache, Vol. 121, Nº.
1, 2011 ,S. 49-60, hier speziell: 3, S. 54ff.
13
dabei das ,,Prinzip einer grundsätzlichen Gleichwertigkeit aller Erfahrungs-,
Darstellungs- und Imaginationsebenen“ zu beobachten, welche den Charakter ihrer
Texte/ihres künstlerischen Schaffens konstituiert.44 Für die Erzählung Bioskoop der
Nacht bedeutet dies im speziellen, dass auch die vorliegende Text-Bild Konzentration,
die filmische Erzählung in einem nicht medial-hierarchisches Verhältnis von den
Gattungen Film und Literatur zu analysieren. Rosalind Kraus hat die moderne
Medienkultur, die von fließenden Übergängen gleichberechtigter Medien ausgeht, als
„post-medium condition“ beschrieben. 45
Generell wird Literatur, als ein kollektiv zugängliches Wissenssystem betrachtet
werden,
welches
als
Funktionsträger
und
Speichermedium
des
kulturellen
Gedächtnisses dient. 46 Es wird dabei ausgegangen von einem spezifischen sozialen
Erinnerungsmodell zweiten Grades, welches Marianne Hirsch kürzlich als postmemory einführt hat. 47 Gemeint ist damit der generationsübergreifende Transfer von
Erinnerung.
Diese Konditionen und (theoretischen) Prämissen sind somit in den drei “post”Begriffen zusammenzufassen: post-monolingual, post-memory und post-medium. In
dieser Konsequenz werden in dieser Arbeit thematisch Diskurse über Sprachlichkeit,
Erinnerung und Medialität im Vordergrund stehen.
Schlussendlich wird die literaturwissenschaftliche polymetrisch angelegte Perspektive
ermöglichen
von
der
Literatursprache
Yoko
Tawadas
auf
kontextuelle
44
Eintrag "Tawada, Yoko" in Munzinger Online/KLG - Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen
Gegenwartsliteratur, URL: http://www.munzinger.de/document/16000000559, Stand. 1.3.2012.
45
Rosalind Kraus: A voyage on the North Sea. Art in the Age of the Post-Medium Condition,
London 1999.
46
Die kognitive Betonung der Untersuchung lehne ich hierbei an das sozial-historische Konzept
von Claudia Fraas an: Claudia Fraas, Begriffe- Konzepte- kulturelles Gedächtnis. Ansätze zur
Beschreibung von Wissenssystemen, In Schlosser, H.D. (Hg.): Sprache und Kultur, Frankfurt ,
S.31-45.
47
,, »Postmemory« decribes the relationship that the »generation after« bears to the personal,
collective, and cultural trauma of those, who came before - the experiences they »remember«
only by means of the story, images, and behaviors among which they grew up. But these
experiences were transmitted so deeply and affectively as to seem to constitute memories in
their own right. Postmemory’s connection to the past is thus actually mediated not by recall but
by imaginative investment, projection and creation. […] It is to be shaped, however indirectely,
by tramatic fragments of eventst that still defy narrative reconstruction and exceed
comprehension. These events happened in the past, but their effects continue into the present.
This, I believe it the structure of postmemory […].”, aus: Marianne Hirsch: The generation of
postmemory. Writing and Visual Culture After the Holocaust. Columbia University Press 2012,
hier: Introduction, S.5.
14
“ausserliterarische Konstruktionsmodelle von Wirklichkeit” und deren etwaigen
“Machtbezügen” sowie Verhältnis zu ,,geschichtlicher Realität” eingehen zu können.
2.3 Ein Roman und seine Sprache: Überseezungen
Mit ihrem Roman Überseezungen entwirft Yoko Tawada eine ganz eigenwillige
poetische
Weltdarstellung,
deren
Elemtarteilchen
sich
einzig
aus
Sprache
zusammensetzt. Sprache ist für sie das essentielle wie universale Element einer
subjektiven literarischen ,,Übersetzung”.
Das zweite Kapitel des Erzählbandes Überseezungen, der sich aus Einzeltexten
zusammensetzt, ist den südafrikanischen Zungen gewidmet. Das Kapitel ist als
kontinentale Karte Südafrikas dargestellt, dass von unleserlichen Schriftzeichen
überzogen ist. Die Elemente Welt, Bild und Sprache werden zu einem Ganzen:
Literatur.
Das Kapitel: Bioskoop der Nacht
Die in Deutschland lebende mehrsprachige Protagonistin wird in Europa wiederholt
mit der Frage ihrer Sprachidentität konfrontiert. In welcher Sprache träumst Du? Eine
Antwort kann die Erzählerin auf die Erwartungshaltung der Gesprächspartner nicht
geben. Erst nachdem eine niederländische Psychoanalytikerin bestimmend die
Traumsprache als Afrikaans identifiziert hat, reist sie nach Südafrika. Sie will dort das
Afrikaans, ihre ,,wirkliche” Traumsprache erlernen, um so ihre eigenen Träume
übersetzen zu können. Während ihres Sprachkursaufenthaltes lernt sie nicht nur die
sprachlichen Eigenheiten des Afrikaans kennen, sondern begegnet -getragen von den
Entdeckungen der fremden Sprache- den Menschen und den Geschichten des
Südafrikas
Yoko Tawada wandelt die Sprache vom Medium, Träger der literarischen Erzählung
zum literarischen Motiv. Afrikaans wird zum personifizierten Beispiel. Die nationale
Standardsprache wandelt sich in der fiktiven Welt der Überseezungen zum Spielzeug
und Kunstprodukt des schreibenden Ich.
15
3 Die Sprachen Südafrikas –Von Sprachstreit bis Versöhnung
Der taalstryd oder im Deutschen Sprachstreit über das Afrikaans mag für viele nach
dem Ende der politischen Apartheid ein alter Hut des überwundenen schwarz-weißen
Denkens der ethnischen Segregation sein. Diskussionen über ,,das Wesen” und den
Ursprung der Sprache sind so alt -beziehungsweise jung-, wie es das Afrikaans selber
ist, der Streit wurde nicht zuletzt auf linguistischer Ebene ausgetragen. Die
Fragestellung hat gegenwärtig, wie Wortmeldungen in den
Niederlanden zeigen,
keinesfalls an gesellschaftlicher Brisanz und Aktualität verloren, auch nicht auf dem
europäischen Kontinent.
Das Afrikaans ist sprachwissenschaftlich betrachtet eine jugendliche Sprache, die ihre
Anfänge während der niederländischen Kolonialzeit des 17. Jahrhunderts auf dem
südlichsten Teil des afrikanischen Kontinentes gefunden hat. Die europäische Siedlung
konzentrierten sich zunächst auf das Kaap die Goeie Hoop (Kap der guten Hoffnung),
wo bereits seit 1652 ein Stützpunkt der holländischen Ostindischen Kompanie
(Verenigde Oostindische Companie, VOC), befestigt war. Bei einer Siedlungsgrösse
von rund 10 000 Bewohnern waren dies anfangs rund 80% der in Afrika lebenden
Europäer.
48
Der folgende transatlantischer Sklavenhandel, der auch großen Einfluss
auf die Siedlung in Südafrika hatte, führte zur größten Zwangsmigration, die in der
Geschichte überhaupt bekannt ist, die Gesamtzahl wird weltweit auf rund 15 Millionen
Menschen,
geschätzt.
Im
18.
Jahrhundert
wichtigste ,,Exportgutartikel” der Handelsgesellschaften.
waren
49
Sklaven
der
Erst der Wiener Kongress
im Jahr 1815 führte zur Ächtung des Menschenhandels, was jedoch eine Fortsetzung
des Machtmissbrauchs der Siedler, Sklaverei und Zwangsarbeit, später die
institutionellen Segregation des Apartheid-Regimes nicht verhinderte.
Die Entstehung und Historie des Afrikaans ist eng verbunden mit den politischen
Prozessen der ethnischen Kriege, südafrikanischen Unabhängigkeit, der Kolonialzeit
bis hin zur späteren Bildung der Nation Südafrika und der Herrschaft des ApartheidRegimes. Das geographische Gebiet ist seit jeher geprägt von diversen politischen
Konflikten, die sich auf kultureller sowie sprachlicher Ebene manifestieren.
48
Vgl. Frühformen des europäischen Kolonialismus, Harald Kleinschmidt: Migration und Reisen
in der frühen Neuzeit. Menschen in Bewegung. Inhalte und Ziele historischer
Migrationsforschung, Vandenhoeck&Ruprecht Göttingen 2002, S. 89-113, hier S.105.
49
Spanning the ocean, in: Patrick Manning: Migration in World History, Routledge New York
2005, S. 108-131.
16
,,Southern Africa is a unique playground where the complexities of
globalization, colonialism and racism continue to be played out in the rich
diversity of languages and cultures.” 50
Bis heute gleichen jegliche Äußerungen über die Sprache Afrikaans einem Lauf über
ein gesellschafts-politisches
Minenfeld, denn die Sprache Afrikaans ist seit ihren Anfängen auch aktiv zur
Machtausübung und Segregation der Bevölkerungsgruppen eingesetzt worden. Sie war
die “Obrigkeitssprache”, das
Mittel der Sprachmanipulation, Propaganda und
Institutionalisierung der politischen Machtstrukturen.
Erste schriftliche Zeugnisse des Afrikaans werden auf das späte 18. Jahrhundert
datiert.51 Unter historischen Sprachforschern herrscht jedoch Uneinigkeit über die
genauen Entwicklungsstufen, wie fremdsprachlichen Einflüsse auf die Sprache.
52
Bei
aller Uneinheit der Initiations-Theorie ist eines für die Wissenschaftler deutlich: das
heutige Afrikaans trägt Elemente aus allen Jahrhunderten wie Sprachgruppen, gerade
den Kreol wie Pidgin-Sprachen des Landes in sich. Heute ist Afrikaans, genau wie die
Bevölkerung des Landes, eine Konglomerat unterschiedlichster, bereits in sich
heterogener Elemente, wohlgleich die west-germanischen Einflüsse unbestreitbar
dominieren. 53, 54 Afrikaans ist eine hybridisierte Sprache.55
Der Umgang mit der Heterogenität und (Sprach)-vielfalt des ,,Neuen Südafrikas” ist
realpolitisch die größte Herausforderung der Nation in der Post Apartheid-Ära. Das
Motto des Pan South Afican Language Board (PanSALB): One nation, many
50
Sarah Slabbert /Rosalie Finlayson: Introduction: Language and Identity aus: Language and
Identities in a Postcolony, in: Schriften zur Afrikanistik Band 10, Europaeischer Verlag der
Wissenschaft 2005, S. 1.
51
P.T. Roberge: Afrikaans. Considering origins, Rajend Mesthrie (Hg.): Language in South
Africa, Cambrigde University Press 2002, S. 83.
52
Besonderen Einfluß auf die Entwicklung des Afrikaans hatten die Pidgin wie Creool-Sprachen
der multi-ethnischen Bevölkerung der vergangenen Jahrhunderte, zu diesem Ergebnis kamen
Soziolinguisten wie Sprachwissenschaftler. Grundsätzlich ist unter drei Entstehungstheorien zu
unterscheiden: Superstratist hypothesis, Variationist/interlectalist hypothesis, creolist hypothesis.
P.T. Roberge: Afrikaans. Considering origins, Rajend Mesthrie (Hg.): Language in South Africa,
Cambrigde University Press 2002, S. 79-103.
53
Die wissenschaftlich wie gesellschaftliche Fragestellung nach Ursprung, Originalität oder
Historisierung des Afrikaans sind somit generell vorallem kritisch und unter sprachpolitischen
Aspekten zu hinterfragen.
54
Es kann auch von einer Hypridisierung des Ursprungs gesprochen werden. Siehe: P.T.
Roberge: Afrikaans considering origins, aus Rajend Mesthrie (Hg.): Language in South Africa,
Cambridge 2002, S. 99.
55
P.T. Roberge: Afrikaans considering origins, aus Rajend Mesthrie (Hg.): Language in South
Africa, Cambridge 2002, S. 99.
17
languages 56 (Eine Nation, viele Sprachen.), äußert sich gesetzlich in den 11 offizielle
Amtssprachen die Südafrika hat. Neben den in der Praxis dominierenden Sprachen
Englisch und Afrikaans sind dies: Ndebele, North Sotho, South Soto Swati, Tsonga,
Tswana, Venda, Xhosa und Zulu. sowie die südafrikanische Gebärdensprache. 57
Inoffizielle Dialekte, Sprachvariationen sowie weitere Standartsprachen wie die
kleinerer Bevölkerungsgruppen der Malaysischsprachigen, Deutschsprachigen und
Indischsprachigen mitgezählt, wären es sogar über 30 Sprachen. Die Verfassung des
Neuen Südafrikas ist, so Alexander Neville, der einer bekanntesten Sprachpolitiker
Südafrikas ist, auch eine Absage an das ,,eurozentrische Nationalstaatmodell” und die
damit verbundene historische gewachsene Norm von Monolingualismus des
öffentlichen Raumes. 58 Die post-Apartheid Südafrikaner haben sich gegen eine der
beiden bereits gesellschaftlich etablierten lingua franca (Englisch und Afrikaans)
entschieden. Dies ist nicht zuletzt als eine Reaktion auf die Sprachmanipulationen der
kolonialen wie nationalen Vergangenheit des Landes zu sehen. Die derzeitigen
ethnischen, soziologischen und sprachlichen Konflikte sind aus den Machtsituationen
des Kolonialismus wie der Apartheid entstanden. 59 Doch ist im multi-sprachlichen wie
multi-ethnischen Alltag des Landes eine staatlich-einheitliche
Sprachpolitik, ein
gerechtes Bildungssystem, das auf Mehrsprachigkeit aufbaut, überhaupt leistbar?60
Anders als die EU kann Südafrika die theoretische Gleichstellung der nationalen
Standardsprachen
schon
rein
verwaltungstechnisch
kaum
gewährleisten.
Minderheitenschutz, Chancengleichheit, Sprach- wie Kulturerhalt und -förderung und
–verständigung sind zudem Grundsatzfragen der Nation wie des Individuums, die auch
außerhalb der Nation im Rahmen der sich stets schneller austauschenden
Internationalisierung der Welt betrachtet werden müssen. 61
56
Karen Calteaux: I am…I said…Language planning for identity in post-colonial South Africa,
aus: Language and Identities in a Postcolony, in: Schriften zur Afrikanistik Band 10,
Europaeischer Verlag der Wissenschaft 2005, S. 195.
57
Introduction, aus Rajend Mesthrie: Language in South Africa, Cambridge 2002, S. 1.
58
Heike Niedrig: Sprache –Macht-Kultur. Multilinguale Erziehung im Post-Apartheid-Südafrika,
Waxmann New York/München/Berlin 2000, S.2.
59
J. K. Chick: Intercultural miscommunication, in: Rajend Mestrhie (Hg.): Language in South
Africa, Cambridge Univsertiy Press 2002, S.273.
60
Weiterführend sei hier auf folgende Forschungsarbeit verwiesen: Heike Niedrig: Sprache –
Macht-Kultur. Multilinguale Erziehung im Post-Apartheid-Südafrika, Waxmann New
York/München/Berlin 2000.
61
,,In a democratic South African the insistence of Afrikaans and English excludes the majority
of the people who speak neither of theres languages from the democratic process. It also takes
the theatre further away from the people, and turns it into an elitist activity that it has become in
the Western world.[...].the most effective theatre of reconcilitation will be performed in the
18
In der Weltmetropole Kapstadt wird der »District Six« aufgrund seiner sprachlich
heterogenen
Bevölkerung,
der
coloured
community,
gespannt
observiert.
Soziolinguisten haben die vorherrschenden Kommunikationsformen innerhalb des
Stadtviertels näher untersucht und beschreiben ein -inzwischen in der Alltagssprache
angekommenes- Code-Switching.
62
,
63
Das natürlich gewachsene sprachliche
Phänomen des Code-Switching, welches in stark heterogenen Lebensgemeinschaften
natürlich entsteht, sehen Sprachwissenschaftler wie Slabbert und Rinlayson als
sprachpolitischen Lösungsansatz, der von staatlichen Institutionen angewandt, ein
gerechteres ,,Neues Südafrika” ermöglichen könnte.
Gerade im Schulsystem, das die zukunftsweisende staatliche Verantwortung für die
heranwachsenden Bürger trägt, zeigen sich Unterschiede in Sprach-Theorie und
Sprach-Praxis, von Deskriptions- und Konstruktionskonzepten. Ziel des landesweiten
Bildungswesens, ob nun Bilingual, Trilingual oder Mehrsprachig angelegt, ist es die
sprachliche wie kulturelle Diversität Südafrikas zu vermitteln und sich zugleich von
statische Denkmodelle des Kolonialismus und Apartheid-Regimes und ihrer
systematischen Sprachpolitik abzugrenzen. Sprachlenkung und Spracherhalt treffen
sich auf der Bildungsebene sowie direkten Auswirkung auf das Individuum. Dies ist
auch einer der Punkte, an dem sich “Obrigkeitssprache” und “Minderheitssprache”
treffen, denn im Zweifelsfall führen beiden zum Sprach-zwang. Sprachvermittlung ist
nicht zuletzt die Vermittlung von Kulturalität:
,,Im
Kontext
des
Deutlichkeit, dass es
Post-Apartheits-Südafrikas,
zeigt
sich
mit
großer
in der ,,interkulturelle Begegnung” nicht nur um
bereichernde Vielfalt geht, sondern immer auch um ein Verhältnis von
Dominanz und Unterordnung.” 64
Überträgt man diese Spannungen auf die Bildungspolitik bleibt die Frage: Wer hat
warum welche Sprache zu lernen?
languages of the people.” Zakes Mda: South Africa theatre in an era of reconcilitation, aus:
Frances Harding: The performance arts in Africa. A reader,Routledge London/New York S.289.
62
Sarah Slabbert /Rosalie Finlayson: Language and Identities in a Postcolony, in: Schriften zur
Afrikanistik Band 10, Europaeischer Verlag der Wissenschaft 2005, S. 217, S. 254.
63
Siehe auch: Kay McCormick: Language in Cape Town’s District Six, Oxford University Press
2002.
64
,,Interkulturelle Erziehung. Aus der Sicht der Perspektive der südafrikanischen Diskussion.”
Aus: Heike Niedrig: Sprache –Macht-Kultur. Multilinguale Erziehung im Post-ApartheidSüdafrika, Waxmann New York/München/Berlin 2000, S.324.
19
Wie erfolgreich mit der neuen südafrikanischen Lebenswirklichkeit umgegangen
werden kann, zeigt ein Beispiel aus der Subkultur der Musikszene, dem Hiphop.
Weltweite sind die Konzertsäle der südafrikanischen Band De Antwoord und ihrer
Gastmusiker gefüllt. 65 Ihren, für Klassikliebhaber vermutlich höchst ungewohnten, Stil
bezeichnen sie selber als ZEF, welchen sie mit Attributen wie white trash assoziieren,
den Untergang der weißen Herrschaftsbevölkerung und diesen zugleich persiflieren.66
Die provokanten Songtexte wechseln zwischen Englisch, Afrikaans und Xhosa. Das
Code-Switching (CS) spiegelt sich generell, nicht nur in den sprachlichen Elemente
ihrer Kunst wieder, Überschreitungen und Übergänge betreffen gleichermaßen
traditionelle Grenzen von ”Gender”,
“Hochkultur” und “Populärkultur”. Die
unkonventionellen musikalischen Mittel lösen in der Musikszene willkommene
Irritationen und internationale Erfolge sowie Aufmerksamkeit für die Konflikte und
gesellschaftlichen Veränderungen, die Sprachvielfalt des “Neuen Südafrikas” aus.67
Auch im entfernten Europa, in den Niederlanden, wird die mehrsprachige Gruppe von
den jüngeren Generationen als Unikum und Innovation gefeiert. Doch das heterogene
Bild des “Neuen Südafrikas” hat bis heute nicht jene, sich auf nationale Traditionen
berufene Fundamentalisten erreicht. Immer wieder gibt es in den Niederlanden Anlässe
zur Diskussionen über den Status des Afrikaans. Ein erst vor Kurzem erschienene
Leserbrief in der schlankeren, auf das junge Leserpublikum abgestimmte Variante der
renommierten niederländischen Zeitung
NRC Handelblad,
dem nrc.next:
,,Het
Afrikaans: een rebelse, bruine taal. Maar het wezen van deze taal is gestolen door
blanke racisten.” 68,
so der südafrikanische Schriftsteller und Apartheids-Gegner
Breyten Breytenbach, der damit auf die traditionalistischen wie kolonialromatischen
Äußerungen des niederländischen Rechtspopulisten Martin Bosma (Partij van de
Vrijheid, PVV) reagiert. Bosma hatte zuvor Afrikaans als ,,vereenvoudigd zeventiende
65
www.dieantwoord.com, Stand 1.9.2011.
Eine Persiflage über die weissen afrikanischen Minderheit der Post-Apartheid spiegelt auch
das Filmprojekt Umshini Wam von Harmony Korine mit den Bandmitgliedern Ninja und Yo Landi
in den Hauptrollen: http://umshiniwam.com/, Stand 1.9.2011.
67
Geschlechterrollen, Behinderungen, Sehgewohnheiten, Rhytmus, Einbingung von behinderten
Künstlern, die Beispiele können fortlaufend weitergeführt werden. Eine kurze Einleitung zur
Band ist hier zu finde: Paul Phillip Hanske. Albtraumhafter Kitsch, SZ 11.2.2010:
http://www.sueddeutsche.de/kultur/soundtrack-des-white-trash-albtraumhafter-kitsch-1.56799,
Stand 1.9.2011.
68
Eigene Übersetzung: ,,Afrikaans: Eine rebellische, farbige/braune Sprache. Das Wesen dieser
Sprache ist jedoch von Rassisten gestohlen worden.“ NRC.next, donderdag 28 april 2011,
opinie, S,16.
66
20
eeuws Nederlands” beschrieben: ,,Het voortbestaan van het Afrikaans is het sterkste
bewijs dat onze taal een internationale taal is.” 69
Der sich wiederholende historisch begründete Kulturimperialsimus, -hier betreffend
der Sprache Afrikaans- ist in der niederländischen Politik keine Ausnahme. Prof. Dr.
Friso Wielenga, Direktor des Zentrums der Niederlande-Studien der Universität zu
Münster, erklärte zu diesem Phänomen.
,,Der ehemalige Ministerpräsident Jan Peter Balkenende hat vor ein paar
Jahren gesagt: Wir brauchen in den Niederlanden wieder eine VOCMentalität.
Die
"Anpacker-Mentalität"
der
Vereinigten
Ostindischen
Kompanie. Die harte Kolonialpolitik im 16. bis 18. Jahrhundert mit
Ausbeutung und allem, was damit zusammenhängt. Dafür wurde er stark
kritisiert. Lange Zeit hat es aber keine Kritik gegeben. Man durfte auch nicht
von den Kriegsverbrechen im Krieg mit Indonesien von 1945 bis 1949 reden.
Er hieß nicht mal Krieg. Mittlerweile ist ein kritisches Selbstbild entstanden
über die weiter zurückliegende Kolonialgeschichte. Es gibt auch ein Denkmal
für die Opfer der Sklaverei. Was aber nicht heißt, dass jetzt eine tiefgehende
Vergangenheitsbewältigung eingeleitet wird.” 70
Neben der “Vergangenheitsbewältigung” des europäischen Kolonialismus und der
Fortsetzung der Sklaverei nach der Unabhängigkeit der Siedler steht die
Südafrikanische
Bevölkerung
seit
Ende
des
Apartheid-Regimes
vor
der
Herausforderung gemeinsam als Nation zu leben und die Zukunft miteinander zu
gestalten.
Mit der von Nelson Mandela einberufenen Truth and Reconciliation
Commission (TRC: Wahrheits- und Versöhnungskommission) ist die Post-Apartheid
Regierung mit internationaler Unterstützung einen langfristigen Weg gegangen. Die
Kommission suchte den öffentlichen Dialog zwischen Tätern und Opfern, um so
kollektive und individuelle Traumata zu überwinden und –wo möglich- Amnestie zu
erlangen.
“ The TRC appears as a national institution working within a national context.
But in reality, there is a great history of migration and connection behind it. It
69
Eigene Übersetzung: ,,Vereinfachtes Niederlaendisch aus dem 17. Jahrhundert”und ,,Das
Fortbestehen des Afrikaans ist ein starker Nachweis der Internationalität des Niederländischen.”
70
Interview von Petra Bäumer in: Fluter. Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung.
3.10.2011: http://www.fluter.de/de/niederlande/thema/9714/?tpl=1260, Stand 10.10.2011.
21
began with the migration of people of all backgrounds to South Africa as
settlers and away from it as refugees. It continued with international
connection among those calling for an end to the apartheid regime. The very
idea of the Truth and Reconciliation Commission migrated from Chile and
other countries, where it had been developed earlier.”71
Erst die persönliche Fähigkeit Vergangenes zu reflexieren, ermöglicht es Erlebnisse zu
verstehen und im nächsten Schritt, traumatische Erinnerungen in erzählbare
Erinnerungen umzuwandeln. Dazu gehört es auch, trotz und gerade aufgrund von
Mehrsprachigkeit, eine gemeinsame Sprache zu finden. Ein solches Vorhaben setzt
die Fähigkeit voraus, sich in die Position des anderen hineinversetzen zu können, die
Perspektive wechseln zu können.
Zum
Erinnerungs-“Schlachtfeld”
des
vereinten
Europa
gehören,
laut
dem
Geschichtswissenschaftler Partick Maning, der sich auf das Weltgeschehen und die
afrikanische Diaspora spezialisiert hat, sieben Kreise:
Der Holocaust und negativer Gründungsmythos, der GULag und die ethnische
Säuberungen,
Kriege
und
Krisen,
Kolonialsverbrechen
Migrationsgeschichte und Europäische Integration.
72
sowie
die
gesamte
Teil des europäischen Traumas
und der Erinnerung sind nach diesem Selbstverständnis auch die Verbrechen der
letzten Jahrhunderte, die auf dem afrikanischen Kontinent stattgefunden haben. Eine
europäische Auseinandersetzung mit den südafrikanischen Themen kommt demnach
einer Auseinandersetzung mit der eigenen Identität gleich. Dort, wo historische und
kollektive Schicksale Südafrikas das Individuum in Europa bewegen, beginnt der
Dialog der Weltgemeinschaft.
Trotz der weltweit teilweise extrem unterschiedlichen kollektiven Erinnerungformen,
wird
die
universale
globale
Perspektive
der
Erinnerung,
wie
der
Geschichtswissenschaftler Wolfgang Hardtwig am Beispiel der Shoa ausführt, auch für
die einzelnen Nationen immer wichtiger:
,,Je
weniger
die
Vergegenwärtigung
der
eigenen
System
oder
Nationalgeschichte ausreicht, um sich für die Zukunft zulänglich zu
orientieren, desto stärker rücken die divergenten Erinnerungskulturen oder,
71
Patrick Maning: Migration in World History, Routlegde 2008, S. 179.
Claus Leggewie: Der Kampf um die europäische Erinnerung. Ein Schlachtfeld wird besichtigt,
Becksche Reihe München 2011, S.14.
72
22
anders gesagt, die dezentralen Erinnerungspole, in eine universale Perspektive
ein- und desto universellere Relevanz gewinnt das Extremereignis [...]. 73
Literatur
ist
ein
mögliches
Narrativ
und
damit
Speichermedium
des
Erinnerungsprozesses. Tawadas literarische Begegnung mit dem Fiktionen Südafrikas,
das Bioskoop der Nacht, ist –so betrachtet schon aufgrund der Themenwahl- ein
Angebot an den Leser, am öffentlichen Dialog teilzuhaben und schlussendlich bietet
der Text die Möglichkeit den Versöhnungsprozess der Weltgemeinschaften
voranzutreiben.
73
Wolfgang Hardtwig: Fiktive Zeitgeschichte? Literarische Erzählung, Geschichtswissenschaft
und Erinnerungskultur in Deutschland aus: Konrad H.Jarausch/Martin Sabrow (Hg.): Verletztes
Gedächtnis. Erinnerungskultur und Zeitgeschichte im Konflikt, Campus Verlag Frankfurt/New
York 2002, S. 122
23
4 Die Sprache der Literaturwissenschaft: eine Migrationsgeschichte
Die gegenwärtigen Einordnungsversuche des künstlerischen Werkes Yoko Tawada
sowie
ihrer
Künstlerpersönlichkeit
zeigen
viele
Spannungen
innerhalb
der
Literaturwissenschaften auf, die primär gesellschaftspolitischen Ursprunges sind. Da
die aktuellen Debatten über Migration und Integration in Zeiten des stets grösser
werdenden globalen Bewusstseins und Wandels Hochkonjunktur haben, ist es nicht
erstaunlich, dass die Herkunft und somit Autorenschaft von Yoko Tawada in der
Bewertung und Einordnung ihrer Literatur eine große Rolle zu spielen scheint.
Innerhalb des literaturtheoretischen Diskurses jedoch ist eine rein autobiographische
Betrachtung von Literatur als äußerst kritisch zu betrachten. Spätestens mit Roland
Barthes poststrukturalistischem Ausruf des Tod des Autors rückt in der Analyse der
Text und die Position des Lesers in den Vordergrund. Die Übertragung von
gesellschafts-politischen
Literaturwissenschaft
Kategorisierungen,
funktioniert
nicht,
wie
will
“Migrationsgruppen”,
man
die
Disziplin
in
die
und
ihre
Untersuchungsobjekte ernst nehmen. Andererseits ist die zeitgenössische Künstlerin
Yoko Tawada für die Literaturwissenschaft in einer Doppelrolle aktiv: Sie ist
Schriftstellerin und promovierte Literaturwissenschaftlerin. Ein Verzicht ihrer nonfiktionalen Beiträge im Bezug auf ihre Werke und Themen wäre für alle Parteien, wie
den theoretischen Diskurs, ein Verlust. Bei der Analyse ihrer Texte ist auffällig, dass
sowohl die Themenwahl, der Sprachgebrauch, als auch Ich-Perspektive der fiktionalen
wie non-fiktionalen Texte sich nur marginal unterscheiden. Eine Genre-übergreifende
literaturwissenschaftliche Betrachtung ihres bisherigen Lebenswerkes legt dies
zusätzlich nahe.
Yoko Tawada ist eine mehrsprachige Autorin, sie publiziert ihre Werke sowohl auf
Japanisch als auch Deutsch. Seit den 1980er Jahren lebt die gebürtige Japanerin in
Deutschland. Aufgrund Ihrer Vita wurde sie im vergangenen Jahrzehnt mit ihrem
Werk der Migrantenliteratur, zuletzt vermehrt der
Migrationsliteratur, fremden
Literatur beziehungsweise interkulturellen Literatur zugeordnet.
74
Generell ist
74
Die literaturwissenschaftlichen Einordnung wurde in den 1980er Jahren noch durch die
Biographie der Autoren als entscheidendes kategorisierendes Kriterium definiert, zu sehen am
Begriff ,,Migrantenliteratur”. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wird verstärkt auch Form und
Inhalt der Texte betrachtet, welche die kulturellen Herausforderungen in der Fremde
spiegeln: ,,Migrationsliteratur”. Auch Überschneidungsflächen mit der Literaturkategorie des
Exils und der Diaspora sind, trotz vieler Unterschiede, erkennbar.Siehe zur hierzu auch: Die
Rolle der Literatur im interkulturellen Prozeß/ Migrationsliteratur in der deutschen
Literaturgeschichte/Literatur und Kultur in der Migration, S.19-31 aus: Cornelia Zierau: Wenn
24
festzuhalten: Die Problematik dieser literaturgeschichtlichen Bezeichnung und
Ordnungsstruktur reflektiert, welche Herausforderung und Wandel die Disziplin der
Literaturgeschichte und -wissenschaft und ihre Methoden gerade durchlaufen. Welchen
Platz nimmt das ,,fremde Schreiben”, die ,,neue Literatur” innerhalb der
Gegenwartsliteratur und damit über kurz oder lang im Diskurs der Literaturgeschichten
ein? Die sprachliche und kulturelle Differenzen vieler zeitgenössischer Kunstwerke,
inklusive
dem Werk Tawadas,
fordert
die
klassisch
tradierte
,,nationale”
Literaturwissenschaft zur Selbstreflexion heraus, denn kulturelle Traditionen gestalten
die Wissenschaftspraxis gleichermaßen, wie die Wissenschaftspraxis den Wandel der
Tradition und Kultur begleitet. Am Beispiel von Yoko Tawada zeigt sich
exemplarisch, welche Schwierigkeiten die Einordnung zeitgenössischer Werke mit sich
bringt. Da gerade die Themen Migration, Interkulturalität und sprachliche Vielfalt in
ihren Büchern eine dominante Rollen spielen, klassische Definitionen von Kultur,
Nationalsprache und ethnischer Zugehörigkeit in der literarischen Auseinandersetzung
unterlaufen werden, gestaltet sich die wissenschaftliche Klassifizierung und
Kategorisierung ihrer Kunst als historische Herausforderung. Schnell wird deutlich,
dass eine zeitgenössische Weiterentwicklung der Disziplin notwendig ist.
Die Bezeichnung Migrationsliteratur, einer der letzten ,,Arbeitstitel” der deutschen
Literaturwissenschaften, gibt eine perspektivische Annäherung an Werke vor. Diese
Kategorie entspricht einer inhaltlichen Einordnung. Ihr Werk alleinig aufgrund ihrer
nicht-deutschen Herkunft beziehungsweise des nicht ausschließliche japanischen
Schreibens und Werkcharakters als Migrationsliteratur zu kategorisieren ist
fragwürdig und verkürzt. Bei der näheren Auseinandersetzung mit dem bisherigen
Oeuvre Tawadas ist zu betonen, dass die Schriftstellerin werkintern auch Migration als
Thematik im weitesten Sinne aufgreift, diese jedoch in einer sich wandelnden
ästhetisch-kulturellen Form und nicht ausschließlich im Kontext soziologischer oder
politischer Definition versteht. Vielmehr wird auf der metafiktionalen Ebene der
literarischen Texte offen mit Intertextualität gespielt. Inhalte wie Formen “migrieren”.
In der Literaturwissenschaft wird dieses Technik als Intertextualität bezeichnet:
Querverweise zu Paul Celan und Unica Zürn, Heinrich von Kleist, Ernst Jandl, Franz
Wörter auf Wanderschaft gehen….Aspekte kultureller, nationaler und geschlechtsspezifischer
Differenzen in deutschsprachiger Migrationsliteratur”, in: Elisabeth Bronfen/Michael Kessler/Paul
Michael Lützeler/Wolfgang Graf Vitzthum/Jürgen Wertheimer (Hg.): Stauffenburg Discussion:
Studien zur Inter- und Multikultur Band 27, S.20; S.22f.
25
Kafka, E.T.A. Hoffmann, Else Lasker-Schüler, Goethe sind dabei nur einige
Künstlerinnen und Künstler, die von Tawada direkt namentlich benannt und textintern
reflektiert werden.
75
, 76 Bekannt ist auch, dass sie gegen Berthold Brecht
“anschreibt”. 77 Sie de-platziert wiederholt historische Inhalte und Konzepte innerhalb
zeitgenössischer kultureller Kontexte. Neben philosophische adaptive Bezüge zu Ovids
Metarmphosen sind dem aufmerksamen Leser Walter Benjamins Passagen und
Sprachtheorien zu erkennen, zudem wird die Psychoanalyse von Lacan mehrmals in
ihren Texten unterlaufen. Ihr Schreibstil selber erinnert sehr an die Literatursprache
Roland Barthes, der mit der Kulturanalysen Japans den literarischen Weg der
Poststrukturalisten gepflastert hat. Eindeutig: Die Tradierung von Tawadas Werk ist
nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb des deutschen beziehungsweise
westeuropäischen Kunstgeschichte zu finden.
Die Begriff der ,,Migrationsliteratur” scheint grundsätzlich inhaltlich wie äußerlich
eher kryptisch angelegt zu sein.
78
Doch wie sich dem Text nähern, ihn einordnen,
ohne mit der Kategorisierung wichtige Elemente auszuschließen? Die Autorin, selber
promovierte Literaturwissenschaftlerin79, bezeichnet ihre Literatur unkompliziert als
Exophonie und Literatur von Aussen. 80 Diese Selbstbezeichnung vermeidet zum einen
den Reizbegriff der Kultur 81, sowie lässt er Rückschlüsse auf die programmatische
Konzeption ihres Werkes zu. Liest man ihre Werke, fällt der dominante ver-innerlichte
Blick auf. Werkintern wird eine deutliche Korrelation von Sprache und Kultur-Entität
skizziert, in deren Grenzen sich die literarischen Individuen, die für Tawada typische
Ich-Erzählerinnen, frei bewegen können:
75
Siehe hierzu den Essay: Yoko Tawada : Das Tor des Übersetzers oder Celan liest Japanisch
aus: Talisman, Konkursbuchverlag 1996. Auch Parallelen zum Werk Unica Zürns, ihrem
Konzept des ,,Satzes als Körper” sowie der Schreibstil in Anagrammen wiederholt und reflektiert
sich in Tawadas Werk intertextuell.
76
Interview mit Yoko Tawada der Heinrich Böll Stiftung, Februar 2009: http://www.migrationboell.de/web/integration/47_2015.asp, Stand. 1.9.2011.
77
Bettina Brandt: The postcommunist eye. An interview with Yoko Tawada, in: World Literature
Today, January-february 2006, S. 43-45, hier: S.44
78
Äußerst interessant wäre es hierbei, die Deutungshoheit- und Positionierungsversuche einmal
mit denen der japanischen Literaturwissenschaftler zu vergleichen und auf Tawadas “Stellung”
zu untersuchen.
79
Yoko Tawada: Spielzeug und Sprachmagie in der europäischen Literatur. Eine ethnologische
Poetologie. Konkursbuchverlag 2000.
80
Exophonie (von Exo, expostion, ausserhalb, Erläuterung, Darstellung und -phonie, Stimme,
Klang) , siehe auch
Susan Arndt/Dirk Naguschewski/Robert Stockhammer (Hg.): Exophonie. Anders-Sprachigkeit
(in) der Literatur, in: LiteraturForschung Bd. 3, Kulturverlag Kadmos, Berlin, 2007.
81
Vermieden wird somit vorallem ein Bezug zur national-historische Tradierung des Begriffes
Kultur.
26
,,Diese Sprache, mit der ich jetzt über Europa rede, ist auch eine europäische
Sprache.
Nicht
nur
die
Sprache,
sondern
vielleicht
auch
die
Argumentationsfiguren und der Tonfall gehören zu Europa und nicht zu mir.
Ich wiederhole Europa in Europa. Kaum fange ich an, über Europa zu
sprechen, wiederhole ich sie. Deshalb höre ich auf zu sprechen. Ich muss mir
eine andere Methode überlegen, um mit ihr umgehen zu können.” 82
Während einerseits die deutsche Sprache als autonomer Träger von kulturellem
Denken dargestellt wird, sagt die Ich-Erzählerin andererseits noch kurz zuvor:
,,Japan existiert nicht in Europa, aber außerhalb Europas findet man Japan
auch nicht. Ich muss mir, um Europa sehen zu können, eine japanische Brille
aufsetzen. Da es so etwas wie eine »japanische Sicht« nicht gab und gibt- und
für mich ist das keine bedauerliche Tatsache –, ist diese Brille zwangsläufig
fiktiv und muss ständig neu hergestellt werden. Meine japanische Sicht ist
insofern keinesfalls authentisch, trotz des Faktums, dass ich in Japan geboren
und aufgewachsen bin[...]”83
- ,,Eigentlich darf man es niemandem sagen, aber Europa gibt es nicht”2011
Auch in der Sammlung Überseezungen, hier im Kapitel der Nordamerikanischen
Zungen konkretisiert -wiederum eine Ich-Erzählerin, mit dem Titel Die Ohrenzeugin
die national-sprachliche Frage:
,,Wenn man eine »native American« als »Eingeborene« bezeichnen kann,
könnte man unter einem »native speaker« jemanden verstehen, der in eine
Sprache hineingeboren wird. Ich war also ins Japanische hineingeboren
worden, wie man in einen Sack hineingeworfen wird . Deshalb wurde diese
Sprache für mich meine äußere Haut. Die deutsche Sprache jedoch wurde von
mir hinuntergeschluckt, seitdem ist sie in meinem Bauch.” 84
Das Phantasma der Lesbarkeit der Kultur 85 und ihrer haptischen Verortung wird von
den
Ich-Erzählerinnen
konsequent
um
die
Notwendigkeit
des
,,fiktiven”
perspektivischen Sehens ergänzt. Genauso wie ihre Protagonistinnen wählt die Autorin
Tawada die Methode des Schreibens, um mit der Welt umzugehen. Es ist
82
,,Eigentlich darf man es niemandem sagen, aber Europa gibt es nicht” in :Yoko Tawada:
Talsiman, KonkursbuchverlagClaudia Gehrke 7.Auflage 2011, S.52.
83
,,Eigentlich darf man es niemandem sagen, aber Europa gibt es nicht” in :Yoko Tawada:
Talsiman, KonkursbuchverlagClaudia Gehrke 7.Auflage 2011, S.51.
84
Yoko Tawada: Überseezungen, S. 103.
85
Siehe hierzu auch. Siegrid Weigel: Zum Phantasma der Lesbarkeit. Heines »Florentinische
Nächte« als Urszene eines kulturwissenschaftlichen Theorems, S. 245-258. Aus: Die Lesbarkeit
der Kultur.
27
schlussendlich dieses Selbstverständnis der Literarizität, welches sprachlich Immersion
und kulturelle Exklusion aufzeigt, ohne sie im binären Denken gegeneinander
auszuspielen. Begriffe wie ,,Muttersprache” und exklusiver ,,Nationalsprache”
verlieren in der individuellen Dialektik automatisch ihren statische Charakter und
strukturellen Machtbezug.
Künstler und Künstlerinnen wie Tawada, die in mehreren Kulturen zuhause sind,
schaffen mit dem Schreiben, der emergent literature, “Ort[e] des Umdenkens” so
Leslie A. Adelson. 86 Dabei darf durchaus gefragt werden: Tut dies Kunst nicht
generell? Zumindest in der Ästhetik wird von einer allgemeinen Wirkungs-Möglichkeit
von Kunstwerken auf den Rezipienten ausgegangen:
,,Kunsterfahrung ist [...] eine Welterfahrung, die sich einen (genialen)
Neuentwurf der Welt ausmünzt als auch eine durch diesen Vorentwurf
nachvollziehbare neue Erfahrung der Welt. Die philosophische Ästhetik muß
sich daher als Analyse der ,kommunikativen Funktion´ des Kunstwerkes
darstellen.” 87
Dieser Argumentation folgend ist der Kunstgattung Literatur der generelle Status eines
universalen Freiheits-Raumes zuzuschreiben. Gerade in der inter-kulturellen Kategorie
-dem Raum der emergent literature
88
, wie das amerikanische Äquivalent zur
zeitgenössischen ,,Migrationsliteratur” heißt- wird das literarische Potential der
Mitsprache jedoch noch immer häufig gesellschaftlich entzogen. In einem Manifest
gegen das Dazwischen fordert Leslie A. Adelson deshalb dazu auf, die
zeitgenössischen Künstlerbiographien unterschiedlicher ethnischer Herkunft und ihre
Produkte der neuen nationalen Literaturen nicht “zwischen den Stühlen” traditionellkultureller Ideologie zu platzieren. Auch dem Schriftsteller Navid Kermani, der
deutsch-iranischer Herkunft ist, wurde die Frage nach seiner “eigentlichen” Identität
zur Zwangsjacke.
,,Jede Art von Zuschreibung schränkt die Vielfalt und Ambivalenz der
wirklichen Erfahrung notwendig ein. Literatur will solche kollektiven
86
Leslie A. Adelson: Against Between- Ein Manifest gegen das Dazwischen, in: Literatur und
Migration, Sonderausgabe Text+Kritik, Richard Booberg Verlag München 2006, S. 36-46, hier S.
40.
87
Annemarie Gethmann-Siefert, Einführung in die Ästhetik, München 1995, S.256.
88
Cyrus R.K. Patell: Emergent literatures, in: From Marignal to Emergent. Prose Writing 19401990. Sacvan Bercovitch (Hg.), Cambridge University Press 1999, hier: Cambridge Histories
Online, Cambridge University Press, 26.Juni 2012. DOI: 10.1017/CHOL9780521497329.029.
28
Kategorisierungen und Identifizierungen ja gerade aufsprengen.“ 89, so sein
Anspruch.
Für Leslie A.Adelson gilt generell eine Abwendung von einer etwaigen holistischen
Kulturentität national-historischer bzw. statischer Struktur. Der Gefahr der
Marginalisierung ist nur mittels eines kulturellen Paradigma-Wechsels zu entgehen:
,,Kultureller Kontakt ist heute keine »interkulturelle Begegnung« zwischen der
deutschen Kultur und etwas, was sich außerhalb von ihr befindet. Dieser
Kontakt ist eher etwas, das i n n e r h a l b der deutschen Kultur stattfindet,
nämlich zwischen der deutschen Vergangenheit und der deutschen
Gegenwart.” 90
Eine Neuorientierung im nationalen Diskurs der Gegenwartsliteratur ist nur möglich,
wenn alle gegenwärtigen Autoren mit ihren Werken gleichwertig miteinbezogen
werden. Auch die Literaturwissenschaft als Fachdizsiplin befindet sich daher in
Bewegung. Gefragt werden darf, inwiefern Bereiche wie dabei neu entstehenden
Fachrichtungen der interkulturellen Germanistik bzw. postkolonialen Literaturstudien,
Fragestellungen nach der ,,Migrationsliteratur” nicht das Denken des “Dazwischen”
auch innerhalb der Germanistik erst fördern. Die Gefahr von der Postulierung von
“Brücken”-menschen und Erwartungs-Projektionen auf die etwaigen Werke besteht.
,,Die Präsenz minoritärer Identitäten, denen Deleuze die Macht zu
Veränderungen zuspricht, wird nicht allein über ihre Sichtbarkeit erreicht. Im
Gegenteil läuft eine inszenierte Sichtbarkeit Gefahr, Fremdkonstruktionen, die
versuchen
diese
Differenzen
den
eigenen
kulturellen
Vorstellungen
anzugleichen, erst zu bedienen.” 91
Die lexikale Etablierung und Definition der jungen Fachdisziplinen steht noch am
Anfang, wie Herbert Ueberlings skizziert.92 Die “interkulturelle Begegnung”
gesellschaftlich wie innerhalb der Literaturwissenschaft auf einen immer noch
89
,,Widersprüchlichkeit erlebbar machen. Interview: Navid Kermani über seinen neuen Roman
und darüber was Literatur leisten kann“, Neue Westfälische Zeitung, Kultur/ Medien Nr. 196,
24.August 2011, anäßlich der Buchvorstellung Dein Name in den Literarischen Quellen auf dem
Aqua Magica-Gelände Löhne/Bad Oeynhausen.
90
Leslie A. Adelson: Against Between- Ein Manifest gegen das Dazwischen, hier: S. 39.
91
Meike Kröncke: Exponierte Sichtbarkeit, Bildstrategien in der visuellen Kultur, In: Meike
Kröncke/Kerstin Mey/Yvonne Spielmann (Hg.): Kultureller Umbau. Räume, Identitäten, und
Re/Präsentationen, Transcript Kultur und Medientheorie 2007, S. 139-159, hier S. 159.
92
Herbert Ueberlings: Interkulturelle Germanistik/Postkoloniale Studien in der Neueren
duetschen Literaturwissenschaft. Ene Zwischenbilanz zum Grad der Etablierung, Zeitschrift für
interkulturelle Germanistik 2, 20011, S. 27-37.
29
bescheidenen Teilbereich der Gesellschaft zu projizieren, gehört zur Problematik der
wissenschaftlichen Fragestellung. Wird nun die “deutsche Kultur” als interkulturelle
Dynamik gesehen, wie Adelson es tut, hat dies langfristige Konsequenzen auf die
interkulturellen Literaturwissenschaften. Alle Literatur ist der Argumentation folgend,
interkulturell und sollte als solche untersucht werden. 93
Das Wort Migration, sprachlich dekonstruiert und unter seiner ursprünglich Herkunft
des lateinischen Wortes migratio verstanden, ergibt einen interessanten Bezug zu
Tawadas Literatur und der von ihr bestrebten inhaltlichen Problematisierung.
Migration ist aus dem Lateinischen als Wanderung, Umzug zu übersetzen. 94 Die Wahl
ihrer fast ausschließlich subjektivistisch Perspektive in der Literatur begründet die
Autorin, damit, dass diese Erzählweise gesellschafts-historische Ausgangspositionen
im individuellen Umgang spiegeln kann.
It is more important to think about existing differences, and to reflect upon
how these are perceived and incorporated. We are constantly changing, and
change is not a threat. It is much more diffucult to try to understand this
process of transformation than to hold on to a rigid permanent shape. “95
-Yoko Tawada im Interview mit Bettina Brand, 2006
Yoko Tawada beansprucht demnach für die Konstruktion des Selbst, der narrativen
Identitätsfrage zuallererst einen Ansatz, der exemplarisch begründet ist und sich zudem
dynamisch verhält. Das Vorgehen steht deutlich im Gegensatz zum traditionellen
Verständnis einer holistischen Kulturentität, die eher statisch und strukturell angelegt
ist. Den prozessualen Charakter des Wortes Migration betonend, können die Fragen an
das Begriffspaar “Literatur” und “Migration” deshalb sein, was sich bewegt oder wer
und wohin, zudem und vor allem mit welchen literarischen Mitteln. Migration kann in
diesem Sinne auch kognitive Prozesse, Zeitdimensionen, Sprache wie Medien und
93
Helmut Schmitz: Einleitung: Von der nationalen zur internationalen Literatur, In: Von der
nationalen zur internationalen Literatur. Transkulturelle deutschsprachige Literatur und Kultur im
Zeitalter globaler Migration, Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, Band 69, Helmut
Schmitz (Hg.) Rodopi, S.7-15, hier S. 8.
94
Migration wird zudem in der Soziologie als ,,Wanderung, Bewegung von Individuen oder
Gruppen im geographischen oder sozialen Raum, die mit einem Wechsel des Wohnsitzes
verbunden ist” beschrieben. aus: Duden Band 5, Das Fremdwörterbuch, 7., neu bearbeitete und
erweiterte Auflage, Dudenverlag: Bibliographisches Institut & F.A.Brockhaus Mannheim,Leipzig,
Wien, Zürich 2001, S.632
95
Bettina Brandt: The Postcommunist Eye. An Interview with Yoko Tawada. World Literature
Today, January-February 2006, S.43-45, hier S.43
30
geographische Räume betreffen.96 Entscheidend wäre bei einer solchen Betrachtung
und Fragestellung an die Literatur, welche Perspektive und Denkschule eingenommen
oder unterlaufen wird, wo Innen und Aussen ist, Vertrautheit und Fremde, kurz: die
Prozesse des Wandels sich befinden. Diese Fragen sind von selbstsprechend auf die
Werke aller Künstler, auch ohne nationalen oder sprachlichen Migrationshintergrund,
zu übertragen.
Fern der Grundsatzdebatte über das Kulturverständnis sieht die Autorin Yoko Tawada
die Zuordnung ihrer Person als Migrations-Literatin und ihres Werkes als
Migrationsliteratur gelassen. Für ihr Selbstverständnis sind die wissenschaftlichen
Klassifizierungen augenscheinlich keine Bedrohung von schriftstellerischer Integrität
oder gar das Zeichen einer historisch gewaltbereiten Ideologisierung .97 Sie erwartet
keine Deplatzierung, gar Marginalisierung ihrer Person innerhalb der deutschen
Einwanderungsgesellschaft. Es seien dagegen eher populär-marktwirtschaftlichen
Zwängen und Verkaufszahlen, denen die Bewertung von Literatur und Positionierung
des modernen Schriftstellers unterlegen sind:
,,Wir [Schriftsteller mit Migrationshintergrund] arbeiten mit der deutschen
Sprache, und wir haben Distanz zu der deutschen Sprache. Es gibt andere
Hintergründe, aber diese Gemeinsamkeit ist wichtig. Das ist wie ein runder
Tisch, die deutsche Sprache, und wir wissen: Ich kann mitreden, und das ist
eigentlich eine tolle Sache. Ich denke nicht, dass man als Migranten-Literaten
diskriminiert oder an den Rand gedrückt wird. Vielmehr gibt es eine andere
Einteilung, die mich stört: die in Bestseller- und Nicht-Bestseller-AutorInnen;
in was sich gut verkauft und was sich nicht gut verkauft. Und unter den gut
verkauften AutorInnen sind auch MigrantInnen heutzutage. Daher ist es kein
Nachteil und auch kein Vorteil.“98
- Yoko Tawada, Interview der Heinrich Böll Stiftung, Februar 2009
96
Erweiterung des Begriffes ,,Migrationsliteratur” und Abwendung von der historischen
Einordnung als gesellschaftspolitischer Begriff der Arbeitsmigration (,,Gastarbeiterliteratur”).
Heidi Rösch (1998): Migrationsliteratur im interkulturellen Diskurs, Vortrag zur
Tagung ,,Wanderer - Auswanderer - Flüchtlinge“ (1998) an der TU Dresden, S. 2, digitale
Version: www.fulbright.de/fileadmin/files/.../Roesch_Migrationsliteratur.pdf, Stand 24.Oktober
2011.
97
Andreas B. Kilcher (Hg.): Metzler Lexikon der deutsch-juedischen Literatur, Verlag J.B.
Metzler Stuttgart 2000, hier: Einleitung, S. VII.
98
Yoko Tawada im Interview der Heinrich Böll Stiftung, Februar 2009:
31
Global-wirtschaftliche Machteffekte beziehen sich neben dem Buchverkauf vor allem
auf die Bewertung einzelner Standard-Sprachen. Dieser Themenkomplex findet sich
auch in ihrer Erzählungsammlung der Bioskoop der Nacht wieder. Mit der Präsenz von
“Mehrsprachigkeit” wurde bereits ein wichtiges Charakteristika von Yoko Tawadas
Literatur angesprochen. Yildiz versteht dieses post-monolinguistisches Signal im Sinne
eines lang überfälligen sprach-politischen Paradigma-Wechsels der modernen Nation
in der globalen Weltgemeinschaft. ,,Mehrsprachigkeit” ist für Tawadas Literatur -so
sind sich wohl alle einig- das Hauptmerkmal. Doch was heißt dies genau? Mit dieser
Frage fällt schnell auf, dass das Verständnis von ,,Mehrsprachigkeit” und die damit
einhergehenden Definitionen sich literarisch und gesellschafts-politisch sehr
unterschiedlich darstellen. Das Mehrsprachigkeits-Phänomen anhand des gängigen
gesellschaftspolitischen Verständnisses von “Standard”-sprachen und im Sinne der
klassischen Nationalsprachen zu erklären, wäre naheliegend. Es ist nicht überraschend,
dass Tawada einiges an bilinguale Collagen publiziert hat. Einzuwerfen ist jedoch, dass
auch einsprachige “deutsche” Texte, wie es zum Beispiel Bioskoop der Nacht ist,
deutlich Zeugnis von sprachlicher Diversität vermitteln. Insgesamt überschreiten Yoko
Tawadas eigenwilliger Schreibstil das klassische Verständnis und die damit
einhergehende Trennung von Standartsprachen. In den Mittelpunkt ihrer Texte rücken
fortwährend unterschiedlichste Formen sprachlicher Alterität. “Sprachlichkeit” wird in
seiner heterogenen Form zu einer ihr eigenen Form von Literatursprache umgewandelt.
In den folgenden Arbeitsschritten wird dieser Punkt noch weiter ausformuliert werden.
32
5.1 Von Sprachwahl zu Mehrsprachigkeit
Auf ihrer Reise nach Südafrika erfährt Tawadas mehrsprachige Ich-Erzählerin des
Bioskoop der Nacht in einer britischen Zeitung beiläufig von der ökonomischen
Gewichtung des Phänomens “Sprache” für die Gesellschaft:
,,Ich blätterte darin und las, dass der wirtschaftliche Wert der englischen
Sprache 5.455.000.000.000 Pfund betrage. Man rechnete den Gewinn der
Firmen zusammen, in denen man Englisch spricht, und versuchte dadurch, den
Wert einer Sprache in Zahlen zu fassen.”
99
Wird Sprache alleinig als Wirtschaftsfaktor gesehen, beeinflusst dies die Entscheidung
des Individuums. Gerade betreffend den Spracherwerb von Minderheitssprachen, wie
es zum Beispiel das Afrikaans ist, tritt dies zutage. Die persönliche Motivation und
kulturelle Bedeutung der einzelnen Sprache gewinnt für die Sprachwahl die
wesentliche Gewichtung, denn obwohl es ,,kaum ein Hindernis beim Erlernen dieser
Sprache gibt” rostet mit dem Sprachunterricht und seinen Zwängen der Grammatik
und des Syntax beim Schüler schnell die ,,Sprachlust [...] hinter den Zähnen”.100 Auch
Tawadas Ich-Erzählerin aus Bisokoop der Nacht muss den ungewöhnliche Plan
Afrikaans lernen zu wollen gegenüber der Lehrerin, ,,Frau Sprache”, in der
Sprachschule rechtfertigen:
»Also, wie gut können Sie Englisch«,
fragte sie mich.
»Ich will hier gar nicht Englisch lernen, ich möchte mich in den Anfängerkurs
für Afrikaans einschreiben.«
»Was wollen Sie mit Afrikaans?«
»Ich möchte als Dolmetscherin arbeiten.«
»Schön. Und wo?«
»In meinen eigenen Traum.«” 101
Die Gleichung des Dialoges, durch den Fremdsprachenerwerb des Afrikaans sich
selber, dem eigenen Traum-»Ich«, begegnen und es dolmetschen, verstehen zu können,
ist in Tawadas Erzählung nur unterschwellig romantischer Natur. Die Freud´sche
Traumdeutung und vermeintlich “wahre”, wohlgleich fremde Identität ist von aussen
angedient und Ergebnis eines langen -qualvolle[n] Spiel[s] gesellschaftlicher
99
Yoko Tawada: Überseezungen, S.71.
Yoko Tawada: Überseezungen, S. 75; 84.
101
Yoko Tawada: Überseezungen, S. 75.
100
33
Projektion deutscher Partygäste.
102
Von belanglosem Smalltalk wird die Protagonistin
wiederholt mit der schlussendlichen und zwanghaften Frage -,,Und in welcher Sprache
träumen Sie?”- eingeholt. 103 Erst mit der fortschreitenden Dynamik der Erzählung
erfährt die nach Deutschland emigrierte Protagonistin eine stets konkreter werdende
Definition ihres fremd-sprachlichen Selbst: vom anders deutsch, wird die
unverständliche Traumsprache zu eindeutig deutsch, jedoch völlig deformiert,
schließlich harsch von einem Mann als eine Missgestalt beschrieben. 104
,,Diese Missgestalt nähme sie an, weil sie in meinem Kopf ständig von der
mächtigen Mutter-sprache unterdrückt werde. Es sei eine Zumutung, dass zwei
erwachsende Schwestern ein kleines Kopfzimmer teilen müssen.”105
Die Annahme einer räumlichen Beschränkung des Kopfzimmers und damit des
menschlichen Denkens und Apartheid einzelner Sprachexistenzen spiegelt sich auch in
der national-historischen Romantik und Exklusivität der “Seelen-sprache”.
Die
mehrsprachige Ich-Erzählerin widersetzt sich mit ihrem heterogenen Selbstverständnis
entschieden gegen die negative Rhetorik dieser Metapher:
»Man träumt doch in einer Sprache des Landes, in dem die Seele wohnt«,
sagte die Frau in einem predigenden Ton zu mir. Ich antwortete fröhlich:
»Ich haben viele Seelen und viele Zungen.« 106
Ausgerechnet eine Lacan´sche Schülerin aus den Niederlanden liefert die
entscheidende Definition der Traumsprache: »Das ist Afrikaans.«. 107 , die eine einfach
zu lernende, eine biegsame ,,weibliche” Schwester des Deutschen sei: 108
»Ein Schriftzeichen kann durch eine komplexe Verschiebung zufällig mit einem
anderen Schriftzeichen identisch werden«, sagte die Analytikerin. “109
Was folgt ist die Suche des literarischen Ichs nach einer logischen Erklärung:
,,Das [die Sprach-Verschiebung] war die Theorie der Analytikerin. Meine
Traumsprache könne rein zufällig Afrikaans werden. Ich glaubte aber nicht an
Zufälle. Ich muss irgendwann unbewusst eine Reise nach Südafrika
102
Yoko Tawada: Überseezungen, S. 63.
Die Frage nach der ,,eigentlichen” oder ,,wahren” Sprach- und Kulturzugehörigkeit , dem
authentischen Identitaetsgefühl in der Fremden kennt wohl fast jeder Migrant.
104
Yoko Tawada: Überseezungen, S.63f.
105
Yoko Tawada: Überseezungen, S.64.
106
Yoko Tawada: Überseezungen, S.69.
107
Yoko Tawada: Überseezungen, S.65.
108
Yoko Tawada: Überseezungen, S.65.
109
Yoko Tawada: Überseezungen, S.66.
103
34
unternommen haben, ich musste mich bloß erinnern, wann und wie es
passierte.” 110
Die Diskurse von Logik und Kontingenz werden im Folgenden mittels der historischen
Betrachtung auf den Prüfstand gestellt. Doch in ihrer eigenen Vita gibt es nur einen
Hinweis auf eine solche einen historischen Ursprung der unterbewussten Sprache
Afrikaans: Europa. Neben einem Kurzurlaub in den Niederlanden werden keine
Zeugnisse weiterer Sprach-Erinnerungen gegeben. Ihre sprachliche Identität bleibt der
Protagonistin unerklärlich. Ein Idealzustand, der 1981 vom Europäer Roland Barthes
für die sprachliche Kulturanalyse bestimmt wurde:
Ein Traum: Eine fremde (befremdliche) Sprache kennen und sie dennoch nicht
verstehen: in ihr die Differenz wahrnehmen, ohne diese Differenz freilich
jemals durch die oberflächliche Sozialität der Sprache, durch Kommunikation
oder Gewöhnlichkeit eingeholt und eingeebnet würde; die Systematik des
Unbegreifbaren erlernen […]…wenn wir unsere Gesellschaft in Frage stellen
wollen, ohne zugleich die Grenzen der Sprache zu bedenken, mittels deren(ein
instrumentelles Verhältnis) wir sie in Frage zu stellen vorgeben: Das ist so, als
wollte man den Wolf vernichten und machte es sich in seinem Rachen
bequem..” 111
Für Barthes ist diese Wunschvorstellung eine Einladung mittels Fremdsprachlichkeit
fremde Kulturen beschreiben und verstehen zu können. Der Gefahr des
“Wolfsrachens”, dem ungebändigten Sprach-Zustand empfindet Tawadas IchErzählerin in der ersten Traumsequeunz allerdings tatsächlich als Todesdrohung. Sie
ist in der Fremde Südafrikas und dem Zustand der kulturellen Immersion traumatisiert
-und:
,,...erschrak über das Wort »tot«, auf das das Datum 23.7.2000 folgte. Wenn
ich den Inhalt der Dose essen würde, würde ich spätestens an diesem Tag tot
sein. Mein Verfallsdatum. Ich gab dem Ladenbesitzer die Dose zurück. »Ich
wollte aber noch nie nicht weiteratmen.«”112
Die doppelte Verneinung des Textzitates ist eine der entscheidenden sprachlichen
Charakteristiken des Afrikaans, die Tawada erzählerisch wiederholt aufgreift: ,,Sie sind
doch nicht nicht-weiß, oder?” Diese rhetorische Frage in der im Deutschen
110
Yoko Tawada: Überseezungen, S.66
Roland Barthes: Das Reich der Zeichen, Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag 1981, S.17.
112
Yoko Tawada Überseezungen , S. 62.
111
35
ungewohnten
grammatikalischen
Wiedererkennungswert.
113
Sonderform,
hat
für
den
Leser
schnell
Gleich zu Beginn der Erzählung Bioscoop der Nacht wird
die ,,doppelten Verneinung” angeführt, doch zu diesem Zeitpunkt ist dem Leser das
Wissen, dass Afrikaans Objekt und zugleich Subjekt der Erzählung ist, noch nicht
gegeben. Die sprachliche Sonderform erscheint im Deutschen als unverständlich und
falsch. Tawadas Erzählungweise persifliert durch die Zurückhaltung der Informationen
das
(fremd-)sprachliche
Kennenlernen,
sowie
generell
die
Kommunikationsproblematik und die Verständigunproblematik zwischen literarischem
Text und Leser. Stellvertretend für den Leser reagiert die Ich-Erzählerin
dementsprechend
,,Amüsiert”
und
,,verwirrt”
auf
Sprachgebrauch ihres unbekannten sächlichen Gegenübers.
den
114
scheinbar
absurden
Die Person benennt sich
mit ,,die Mann”. Ein Mann, der geschlechtslos, sprachlich-ungenau, umgewandelt, als
Zwitterwesen auftritt, sich aber offensichtlichen spezifisch weiblich konnotierter
Repräsentation entschieden zu verweigern scheint: ,,Niemals habe ich das nicht
getan”.
Voller ,,Hoffnung” sucht die Ich-Erzählerin nach einer Lösung der absurden
Gesprächssituation, ihr Gegenüber jedoch hat ein ,,andersartige[s] Problem”, welches
sie als ,,ein grammatikalisches, ein persönliches Problem.” auffasst. Auch Tawadas
Leser mangelt es an semantischer Information, die Argumentationen und Objekte des
Gespräches entziehen sich bekannter und erkennbarer Wissensstrukturen. Die
Sprachsituation ist unverständlich. Da eine Ordnung nicht möglich ist, treten die
einzelnen Informationen, das Spiel und der Umgang mit der Misskommunikation
umso mehr in den Vordergrund. Erst im weiteren Verlauf der Erzählung Bioscoop der
Nacht ist nachzuvollziehen, dass die Personifizierung der Sprache Afrikaans der
leibhaftig gewordene Protagonist (,,die Mann”) der Handlung ist. Die Metaebenen der
Diskurse wechseln bei Tawada fließend. Eine ,,klare Rollenverteilung” des SprachDiskurses über das Afrikaans ist schlussendlich weder geschlechtlich, noch
ökonomisch, historisch oder gar national gegeben. Die Assoziationsverkettung kennt
113
Die Sonderstellung insbesondere der Grammatik betreffend des Zusammenhanges von
Erkenntnistheorie und Sprachreflexion wurde bereits in den Schriften Nietzsches betont.
Während der subjektive Sprachgebrauch Welt-Interpretationen ermöglicht, wird durch die
normierte, grammatische Sprache eine historische und kontingente Matrix sichtbar. Nach:
Monika Schmitz-Emans: Brechungen des Blicks im Wasser- oder: Ästhetische Darstellung als
Ver-Fremdung aus: Seetiefen und Seelentiefen. Literarische Spiegelungen innerer und äußerer
Fremde, Königshausen& Neumann 2003, S. 323f.
114
Yoko Tawada: Überseezungen, S.61f.
36
bei Tawada keine Grenzen. Selbst die Freiheit des blauen Himmels ,,schmeckt” nach
einer Todesdrohung im Sprachgebrauch des Afrikaans schlicht ,,Lecker”. 115
Das Spezielle und die Stärke an der Literatur Tawadas ist es, dass sie einen
literarischer Stil etabliert, der mühelos unterschiedlichste sprachliche und inhaltliche
Elemente miteinander verbindet. Die literaturwissenschaftliche Einordnung und
Analyse erleichtert dieses Kunstkonzept dabei nicht. Es ist die beständig
Grenzüberschreitung und der Wandel von Widerspruch zur Gleichzeitigkeit, welche
sich im gesamten Oeuvre Tawadas wiederfindet. Die gleichzeitige Wahrnehmung
unterschiedlicher Sinne wird auch als Synästhesie benannt. 116 In der Literatur, speziell
dabei in der Lyrik, generell in der Kunst, hat Synästhesie eine lange Tradition. 117
Tawadas Synästhesien, ihr Schreibstil der poetischen Epik, begrenzen sich allerdings
nicht alleine auf Sinnlichkeit und die Welt der Wahrnehmung. Sie sind vielmehr
geprägt von der Omnipräsenz (neuzeitlichen) Diskurse, weshalb der medienspezifische
Begriffs der synchronästhetischen Wahrnehmung, der die Gleichzeitigkeit von
Differenzen und nicht das Verschmelzen der Differenz zu einer Einheit,
unterstreicht. 118
In seinem Aufsatz Die unbekannten Sprache formuliert Roland Barthes seine Vision
von sprachlicher Kulturanalyse die ,,irreduziblen Differenzen” der Kulturen vermittelt
würde, weil in ihr ,,unsere »Wirklichkeit« unter dem Einfluss anderer Einteilungen,
einer anderen Syntax auflösen” und der Autor so weiter:
115
Yoko Tawada: Überseezungen, S.63.
Auch die kognitive Neurowissenschaft hat die Synästhesie für sich als Forschungsfeld
entdeckt.. u.a. die Kreativität der Künste werden untersucht, um Gesetzmäßigkeiten für
Grundsatzfragen zu beantworten. Neben der genetischen Funktionsbestimmung versprechen
sich die Neurowissenschaft Erkenntnise über das menschliche Denken, die Interaktion zwischen
den ,,Denk-karten“ des Gehirns: ,,These laws, we believe, hold the key to understanding some
of the most mysterious aspect of our minds, such as qualia, metaphor, analogy, and the
emergenec of abstract thought and language.“ aus: V.S. Ramachandran/Edward M. Hubbard:
The Emerge of the Human Mind: Some Clues from Synestesia, in: Synestesia. Perspectives
from Cognitive Neuroscience, Oxford University Press 2005, S. 184.
117
Vorallem in der Kunst der Antike, Romantik und Avangarde wurden Synaesthesien verstärkt
konzeptuell genutzt. Ein wichtiges Element der literarischen Arbeit Yoko Tawadas stellt die
intertextuelle Arbeit dar. Es wäre sicherlich eine spannende Untersuchungsfrage, inwiefern die
Parallelen bezüglich der synaestetischen Kunstauffassung mit den von ihre offen intertextuell
beachteten Autoren wie Ovid, Kleist, Kafka, Unica Zuern, Celan sind.
118
Hier nach Cretien van Campen, The Hidden Sense. Synthesia in Art and Science (2008)
aus: Robert Curtis: Synästhesie und Immersion. Räumliche Effekte der Bewegung, In: Robin
Curtis Gertrud Koch (Hrsg.): Synästhesie-Effekte. Zur Intermodalität der ästhetischen
Wahrnehmung. Paderborn Wilhelm Fink Verlag 2010, S.133.
116
37
,,Diese Übungen in einer abweichenden Grammatik hätten zumindest den
Nutzen, dass sie Zweifel an der Ideologie unserer eigenen Sprache in uns
wachriefen.” 119
Tawada nähert sich, der Methode der sprachlich-motivierten Kulturanalyse Barthes
folgend, den Grenzen der Verstehens-Topoi. Exemplarisch sei hier das schon
aufgeführte sprachliche Phänomen der doppelten Verneinung des Afrikaans angeführt.
Das grammatikalische Problem wird im Text zum literarischen Stilmittel stilisiert,
unterschiedlichste realpoltische Widersprüchlichkeiten werden in Bioscoop der Nacht
mittels der doppelten Verneinung kontextualisiert.
Da ist zum Beispiel Japans ,,abgründige Freude” und wirtschaftliches Interesse, das
zu einer Zusammenarbeit mit dem Apartheid-Regime führt. Japaner jedoch werden
sprachlich zugleich vom Regime degradiert:
oder?“
120
,,Sie sind doch nicht nicht-weiss,
Die Dopplung legt einerseits die Anerkennung der Sprachlichen Einteilung
in “weiß” als Kategorie zugrunde, andererseits wird die Verneinung des Zustandes
direkt wieder aufgehoben. Tawadas Ich-Erzählerin bringt es inhaltlich auf den
Punkt: ,,- Eine doppelte Verneinung wird oft als stilistischer Fehler angesehen, dabei
kann ein Realist kaum auf sie verzichten. “ 121 Real ist auch die Geschichte der
japanischen Kollaboration mit dem Apartheid-Regime. Ein geschichtliches Statement,
welches unauffällig in der Erzählung Tawadas integriert wird.
Der sprachliche ,,Kunstgriff” des Regimes wird nicht als Formfehler ,,stilistischer
Fehler” der Sprache interpretiert, sondern erst gerade der, aus deutsch(sprachiger)
Sicht,
sprachliche
Widerspruch
fängt
die
realpolitische
Kontradiktion
und
Wirklichkeitsfremde des Apartheid-Regimes ein. Tawada nutzt die Analyse des
Afrikaans in ihrem Text weiter, um anhand der grammatikalen Differenzen
Ideologiekritik auszuüben. Mittels ihrer Sprachanalyse werden die unterschwelligen
Machteffekte des Afrikaans und die politische Sprachlenkung des südafrikanischen
Regimes im Landesinneren sichtbar. In ihrem Text persifliert Tawada zunächst die
119
Roland Barthes: Das Reich der Zeichen, Suhrkamp 1981, S. 17; 21.
Yoko Tawada: Überseezungen, S.68.
121
Yoko Tawada: Überseezungen, , S.68.
120
38
institutionelle Notwendigkeit
Zuweisung.
122
von eindeutiger, normierter und klassifizierender
Das staatliche Exempel ist die Idee eines innovativen Passdokumentes:
,,Da würde dann zum Beispiel stehen: keine nicht-weibliche Person, keine
nicht-asiatische Herkunft.”123
Typisch für den vorliegenden Text ist, dass direkt und ohne Überleitung ein direkter
und kontextueller Wechsel folgen: Die Ich-Erzählerin erzählt weiter vom Kampf der
Apartheids-Gegner, der medialen Anteilname der Weltbevölerung am Regime-Sturz
sowie einer Begegnung im Hannoveraner Hinterland. Dort beschimpft ein betrunkener
Bauer, der zunächst bei einer Autopanne hilfsbereit gegenüber der Migrantin gewesen
ist, -plötzlich- Nelson Mandela. Die “Übersetzung” der globalen Geschehnisse in die
deutsche Provinz verdeutlicht die weltweite Auswirkung des Rassismus. Die nach
Logik suchende Protagonistin ist “erschrocken” vom fehlenden Kontext der
Segregation: Welches Interesse sollte ein einfacher ,,Mensch” mit ,,solide[r]
Landwirtschaft” haben, das Apartheid-Regime zu unterstützen? 124 Eine zweite
verborgene Geschichte und dahinterliegende “Logik” könnte die Übersetzung des
Wortes ,,Bauer”
ins Afrikaans geben. Die Bezeichnung “boer” entspricht im
südafrikanischen Sprachgebrauch allgemein der “weißen” Bevölkerung, dies geht auf
ihre Vorfahren, die Siedlern und Bauern der frühen Kolonialzeit Südafrikas zurück.
Eine Konsequenz des literarischen Vorgehens Tawadas ist das konzeptuelle Scheitern
von Kommunikation, auch zwischen Text und Leser. Beständig eröffnen sich neue
kontextuelle Feuerwerke, erstrahlen Multiplikation der Interpretationsebenen. Die Jagd
nach dem Verstehen des Geschehens wird zu einem Spiel für den Leser. Auch
innerhalb der Erzählung ist die Suche groß: Die japanische Jagd nach den
Verlockungen der südafrikanischen Bodenschätze, Platin und Diamanten, wird in
Tawadas Text als
,,abgründige Freude” bezeichnet. Ist diese Suche nach dem
122
Welche Schwierigkeiten das Ordnungs- und Registrationsprinzip staatlicher wie institutionelle
Systeme haben auf Individualität zu reagieren, zeigt auch ein Beispiel von der Universiteit van
Amsterdam, wo es zunächst nicht möglich war das Diplom des Transsexuellen Justus Eisfeld
zum männlichen Equivalent zu ändern. Der Fall gelangte zu weltweitem Medieninteresse: Als
academicus blijft Justus Eisfeld toch een vrouw (De Parool, 10.Mai 2010). Eisfeld arbeitet
inzwischen laut UvA Angaben als Co-Direktor der Menschenrechtsorganisation Global Action for
Trans* Equality in New York. Erst nach langwierigem Rechtsstreit wurde das Diplom im Frühjahr
2011 erneut ausgehändigt: 'Without my Women's Studies and Political Science degree from the
University of Amsterdam,’ Eisfeld says, ‘I would never have realised that the law was on my side
- and I am pleased that the UvA now stands firmly behind me.' Zitat 7. April 2011:
http://www.english.uva.nl/news/news.cfm/73920899-472B-44B9-A089E3BA0C588E30, Stand
1.10.2011.
123
Yoko Tawada: Überseezungen, S. 68.
124
Yoko Tawada: Überseezungen, S.69.
39
geographischen Schatz der Erde allegorisch zu verstehen? Auch der ,,wahren Kern”
und die Originalität der Traumsprache Afrikaans scheint im Roman “ohne festen
Boden” und deshalb für den Leser orakelhaft und verborgen zu bleiben. Es gehört
zum ,,Tawada-esken” Erzählstil, argumentative Störungen,
beständiges Code-
Switching, sprachlicher, semantischer wie historischer Natur zu etablieren. Oder anders
formuliert: Der Text vollzieht fortlaufende Diskurswechsel. Der Schreibstil fordert
nach neuen Vokabeln der Bezeichnung. Auch dies ist eine Schwierigkeit bei der
Beschreibung Tawadas Literatur. Die Kontextualisierung der einzelnen Vorfälle, soviel
ist deutlich, werden aus der Sicht des Lesers zu einer Herausforderung: will er den
Text “verstehen”, muss “über den Tellerrand” denken und unterschiedliche
Wissensbereiche miteinander integrieren, eine Art Meta-Sicht entwickeln. Eine
kognitive Übung, die im Ergebnis bei jedem Leser zu einer eigenständigen einmaligen
Text-Interpretation führt. Ein “Original”-text des Bioskoop der Nacht gibt es in diesem
rezeptionsorientierten Verständnis von Literatur, nicht. Da die textinterne Intrige
keiner konventionellen kontextuellen oder linearen Logik folgt, diese in der
Verantwortung des Lesers liegt, lohnt es sich der sprachlichen Präsentation auf der
Meta-Ebene der Literarizität zu betrachten. Dazu weiter im nächsten Absatz.
Interessant wird es, wenn die folgende nächtliche Passage näher betrachtet wird. In
einer Traumsequenz reitet die Protagonistin auf einem Kamelpferd, das sich
kurzerhand in eine Giraffe verwandelt. Die surrealistisch anmutende Metamorphose
der Tiere erklären die Übersetzerinnen des niederländischen Tawada Textes, Bettina
Brand und Désirée Schyns,
in ihrem Nachwort der Anthologie linguistisch.
Tatsächlich wird im Afrikaans ein kameelperd direkt als Giraf übersetzt. 125,
126
: Es ist
die interlineare Übertragung der Tiernamen ins Deutsche, die das fantastisch
anmutendes Narrativ animieren. Den “Umzug” von einem Sprach-System in das
andere, wie es auch beim “Bauern” nachzuvollziehen war, sieht Christina Kränzle, die
Tawadas Werk als Reiseliteratur untersucht hat, gar für den gesamten Roman
Überseezungen als charakteristisch: ,,…it is in fact linguistic dislocation which is
“Überseezungen”´s
primary
concern.” 127
Tawada
selber
konkretisiert
ihre
125
Bettina Brandt/Désirée Schyns: Het bestaan van een heel andere taal voelbaar maken, in:
Yoko Tawada. De Berghollander, Voetnoot 2010, S.141-152, hier: S. 143.
126
Die Afrikaanse Woordenboek: »kamelperd«, Die Staatsdrukkerij 5te deel, J-K Pretoria, 1968 ,
S.197.
127
Christina Kränzle: The limits of travel: Yoko Tawada´s fictional travelogues,in: German Life
and letters 61:2 April 2008, 0016-8777 (print); 1468-0483 (online), S.244-260, hier S.259.
40
schriftstellerische Motivation und Faszination für sprachliche Migrationen bzw.
Transgression in einem Interview wie folgt:
,,When I heard Dutch for the first time I was rather fascinated. Dutch looked
and sounded to me like a dream language. In Dutch, as in a dream, German
speakers can get the sense that we know what is happening, that we somehow
know the image. Perhaps more accurately that at least we “should” know it
but that nevertheless we do not, and we cannot understand it at all. Everything
has just been a little bit displaced and this displacement is totally exciting! [...]
This is also true for Afrikaans; Afrikaans is again, once more, displaced. As a
writer I can play with that displacement, play in rather serious manner, but
play nevertheless. “128
So unterschiedlich die zeitlichen Verschiebungen, sprachlichen wie räumlichen
Deplatzierungen einzelner Wörter, Bilder und Diskurse im Text aufscheinen, für den
Leser -genau wie die Hauptprotagonistin- stellt sich der standart-sprachliche Verlust
der Kontextualisierung dagegen als zusammenhängendes phantastisches Narrativ dar.
Ohne Fachwissen und Lexikon ist das fremdsprachliche Textgeschehen nicht zu
entschlüsseln und die Passage bleibt rätselhaft.
128
Bettina Brandt: Ein Wort, ein Ort, or How Words Create Places: Interview with Yoko Tawada,
in: Women in German Yearbook 21 (2005), S. 1-15, hier: S.6f; 11.
41
5.2 Mehrsprachigkeit: Standartsprache versus Literatur-Sprache
Ein weiteres Beispiel der Literarizität des Textes -innerhalb einer einzigen Zielsprachefindet sich direkt mit dem Romantitel, den Überseezungen. Die Wortschöpfung setzt
sich aus den drei Element Über, See und Zunge zusammen. Dieser ,,Wortknoten”
(word knots) 129 glänzt durch seine Vieldeutigkeit. Erst im Akt des Lesens und in der
Aufhebung von Schriftlichkeit erklingt –im fremden japanischem Akzent-
die
akustische Option eines lexikalen Wortes: ,,Übersetzungen”. Es ist in der Praxis vor
allem die Berufsgruppe der Literaturübersetzer die in der konkreten Arbeit mit den
semantischen Überschneidungen und Uneindeutigkeit solcher Art konfrontiert wird.
Sie stehen vor einer kreativen Herausforderung. Denn wie sollte Überseezungen zum
Beispiel ins Englische übersetzt werden? Anders als für poetische Gattungen ist die
extreme Verdichtung von sprachlicher Alterität in Prosatexten ein junges,
neuentdecktes Phänomen, welches -kommend aus der aktuellen Übersetzungstheorieals exophonic prose definiert wird. 130, 131, 132 Wichtig ist an dieser Stelle festzuhalten,
dass diese Definition der “Fremdsprachlichkeit in Erzähltexten”, wie die deutsche
Übersetzung des Begriffes lauten könnte, sich auf die gesamte Text-Dimension und Zusammenhänge und nicht ausschließlich auf einzelne Wörter bezieht.
Die Wirkung des Phänomens der exophonic prose ist selbstverständlich nicht auf die
Berufsgruppe der Übersetzer und den Literaturbetrieb beschränkt. Jeder einzelne Leser
wird durch die poetische Polyglotte angeregt, noch bevor dieser die erste Seite des
Buches aufgeschlagen hat. Mit der Titelankündigung der Überseezungen wird ein
grundsätzlicher Denkprozess über Sprache animiert. Der Leser sucht im Text nach
Wiederholungen, um sich orientieren, Sinn und Wissen konstruieren zu können. Die
Autorin Yoko Tawada versteht “Übersetzung” dabei im Benjaminschen, das heißt im
129
,,A text is a weird and wonderful plant that has grown in all directions out of a single word
knot.“ aus: Bettina Brandt: The postcommunist eye. An interview with Yoko Tawada, in: World
Literature Today, Jan-Feb 2006, S.43-45, hier: S.45.
130
Siehe: Marjorie Perloff: Language in migration: multilingualism and exophonic writing in the
new poetics,Textual Practice, 24:4,725-748.
131
Die Schwierigkeit der Literatur Tawada’s liegt für den Übersetzers, nach Chantal Wright, beim
entstehenden ,,metonymic gap” der fremdsprachlichen Übertragung. Siehe: Chatal Wright:
Exophony and literary translation. What it means for the translator when a writer adopts a new
language. Target 22:1, 22-39. DOI 10.1075/Target.22.1.03wri., hier: S.30ff.
132
Tawada’s Literatur liest Susan S. Anderson generell als metafiktionales
Übersetzungskunstwerk, als ,,hyperliteral translation” der deutschen Kultur. Siehe: Susan C.
Anderson: Surface Translations: Meaning and Difference in Yoko Tawada’s German Prose,
seminar 46:1 (February 2010), S.50-67. hier: S. 67.
42
zeitgebundenen Sinne, indem sie den Prozess und die Dynamik der Lektüre in den
Mittelpunkt stellt: 133
Mir kommt es manchmal sogar so vor, als gäbe es gar nichts Festes, aber
indem ich übersetze entsteht plötzlich das, was man als Original bezeichnen
kann und was ich als Übersetzung, als Endprodukt bezeichnen kann. Beide
Seiten, das Original und die Übersetzung entstehen in der Bewegung der
Übersetzung selbst. 134
Der Titel Überseezungen ist auch deshalb als Rahmenhandlung und eine Art
“Gebrauchsanleitung” zu verstehen, weil er den Dialog zwischen Text und Leser als
programmatisch voraussetzt.
Und wie sieht es weiter innerhalb der Erzählung Bioskoop der Nacht aus? Werkintern
ist Tawadas programmatische Lektüre-Haltung, die gerade beschrieben wurde, in der
subjektiven
Darstellung und
Wahrnehmungssteuerung der
Hauptprotagonistin
wiederzufinden. Mithilfe von rezeptiver Fremdsprachlichkeit und praktischen
Übersetzungsarbeit begegnet sie den Herausforderungen in Südafrika. Es entfaltet sich
ein literarisches Spiel von Gleichzeitigkeit und Differenz, ein semantisches ,,Orakel
und Spektakel”.
133
Siehe hierzu auch: Von der zweifachen Fremdheit der Sprache, in: Siegried Weigel: Die
Lektüre, die an die Stelle der Übersetzung tritt. Benjamins psyschoanalytische Reformulierung
seiner Therie der Sprachmagie, S. 236-252, hier: 239-242.
134
Yoko Tawada im Interview mit Joachim Büthe Überseezungen. Deutschlandfunk:
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/buechermarkt/165577/, 23.9.2002, Stand 29.7.2011
43
Bild 2: Orakel und Spektakel, Unica Zuern 135
Das spezifische Spiel der exophonic prose wird bei Tawada explizit um eine
subjektivistische Perspektivik ergänzt. Bioskoop der Nacht ist eine moderne
Inszenierung des literarischen “Ich”. Die Zeichnung von Unica Zürn kommt, mit ihrer
de-konstruierten Darstellung des Ichs diesem Konzept mit ihrer Text-Figurierung
visuell sehr nahe.
Der Text Bioskoop der Nacht
ist eine AutoBioFiktion, welche durch den
ethnologischen Blickwinkel der Protagonistin entsteht. Das heißt die subjektivistische
Perspektive der Ich-Erzählerin konzentriert sich thematisch auf andere Kulturen. Die
Tricollage des literaturwissenschaftlichen Begriffes AutoBioFiktion bezieht sich auf
die Darstellung der Identität als “fiktives Konstrukt”. Das Narrativ über dieses fiktive
135
Orakel (lat. oraculum = ,,Sprechstätte“ , durch das Orakel erhaltene Weissagung, rätselhafte,
mehrdeutige Aussage); Spektakel, d e r (lat. specaculum = ,,Schauspiel“, ugs. Lärm,
Krach/auch. d a s Spektakel, Aufsehen erregender Vorgang, Anblick), aus: Duden. Das
Fremdwörterbuch, 7.Auflage Duden Band 5, Dudenverlag 2001, S. 702; 936.
44
“Ich”-Konstrukt
oszilliert
autobiographischer
und
zwischen
dem
ethnologischer
Eigenen
und
Betrachtung.
Anderen,
Es
wird
in
zwischen
diesem
Zusammenhang auch von postmoderner autoethnographischer Repräsentation
gesprochen:
,,Das Selbst und der Andere sind in interkulturellen 'boundary zones' je schon
miteinander vermittelt; sie sind keine vorgegebenen Substanzen, sondern die
Resultate einer dialogischen Konstruktionsarbeit.” 136
Konsequenterweise bezieht jegliche Beschäftigung mit dem Eigenen das Andere mit
ein. In Tawdas Erzähltext Bioskoop der Nacht wird der Dialog mit dem Anderen sogar
sinnbildlich geführt. Die Sprache Afrikaans ist, wie schon angesprochen wurde,
personifiziert. Ihm begegnet die Ich-Erzählerin gleich in der ersten Passage: ,,Ein
Mann stand vor mir, er zeigte mi dem Zeigefinder ungefähr auf die Stelle, wo
wahrscheinlich sein Herz lag, und sagte dabei: »Die Mann.«”137
Die ,,organische [,fremdsprachliche] Unordnung” 138 der poetologischen Prosa ist
jedoch nicht das einzige Kennzeichen und Charisma von Tawadas Oeuvre. Ihre Kunst
ist, ähnlich wie bei der Zürns Wort/Bild-Zeichnung ein medienübergreifendes und
deshalb
medial-inszeniertes,
mehrsprachiges
Kunst-,,Spektakel”.
Neben
den
semantischen Elementen ist bei Tawada die weitere Verwendung der narrativen Mittel
interessant. Speziell in Überseezungen sind einzelnen Rahmeneinteilungen zu
benennen. Das ,,Zusammenwachsen der Einzelteile” auf der strukturellen Ebene
vollzieht sich dabei diametral zur ,,organische [,fremdsprachliche] Unordnung”, dem
fremdsprachlichen
Ereignis. 139
Die
Erzählstruktur
entspricht
einer
eigenständigen ,,Literatursprache”, die den Roman in einzelne Rahmenerzählungen,
Binnenerzählungen
und
Titeln
unterteilt.
Zusätzliche
Leitmotive
sind
die
topographischen Bilder der drei Kontinente, die allesamt von unleserlichen Buchstaben
und Zeichen überzogen sind. Das Potential des medialen Gesamtkunstwerkes Yoko
Tawadas geht mit der Isolierung des Texte Bioskoop der Nacht, in der
niederländischen
Übersetzung
verloren.
Insgesamt
betonen
die
strukturellen
136
Diese Feststellung basiert auf den ethnologischen Kulturtheorien von James Clifford. Siehe:
Christian Moser: Autoethnographisches Schreiben als Übung im Sich-selbst-Fremdwerden, in:
Christian Moser/Jürgen Nelles (Hg.): AutoBioFiktion. Konstruierte Identitäten in Kunst, Literatur
und Philosophie, Aistesis Verlag, Bielefeld 2006. S. 107-143, hier: S.124;126.
137
Yoko Tawda: Überseezungen, S.61.
138
Yoko Tawada: Überseezungen, S. 72.
139
Yoko Tawada: Überseezungen, S.72.
45
Erzählstrategien, die in Überseezungen angewandt werden, die Artifizialität des
Textes. Auch textintern führt Tawada den Ansatz, in veränderter Form weiter fort: Das
Kapitel Bisokoop der Nacht ist, wie schon der Titel andeutet, eine filmische Erzählung
und entspricht damit einer zusätzlichen Ebene der Metafiktion. Welche Auswirkungen
die Adaption des technischen Mediums hat, wird im Folgenden Kapitel weiter
ausgeführt werden.
46
Im Bilde ist nur, wer sich nicht im Bilde glaubt.
-Martin Seel. 140
5.3.1 Bioskoop der Nacht. Das erzählte Bilderpuzzle
Der Titel Bioskoop der Nacht kündigt es an, Tawada “schreibt” ein Filmereignis,
genauer: Ein Lichtspiel der Nacht. Während den Anfängen der Filmtechnik, im
vergangenen 19. Jahrhundert, kannten auch die deutsche Sprache noch die
Verwendung und Bezeichnung Bioskop. Inzwischen ist es im deutschsprachigen Raum
ein wenig verwendetes, historisches Wort, modern wird von Kino 141, Film oder
altmodisch von Filmtheater oder Lichtspielhaus gesprochen. Im Niederländischen und
Afrikaans 142,
143
ist die Bezeichnung bioscoop bzw. bioskoop allerdings bis heute
aktuell. Die Ursprünge sind im Griechischen Bios und Lateinischen skopen zu finden,
welches Neudeutsch mit ,,das Leben betrachten/beobachten” zu übersetzen ist. 144 Die
Wortbildung –skop steht zudem speziell für ein technisches ,,Gerät für [optische]
Untersuchungen und Messungen bzw. zur Sichtbarmachung von etwas”. 145 Für viele
ist der Film das Medium der Neuzeit, das Großarchiv des 20. Jahrhunderts.146
Was bedeutet es, ein Filmerlebnis zu schreiben? 147
,,The making of an adaption is a form of rewriting [of literature/of film] , and
any interpretation of an adaption requires awareness of these ‘constraints’
mentioned as well as those of our own history an culture.” 148
140
Martin Seel: Ästhetik des Erscheinens. Suhrkamp Taschenbuch, S.293
Kino, Kurzform von Kinematograph (gr.-fr.) 1. (historisches) Verfahren zur Aufnahme und
Wiedergabe von bewegten Bildern. 2. Filmkunst, Filmindustrie; aus: Duden 5, Das
Fremdwörterbuch, Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, S. 505
142
Bioskoop; 1. Toestel waarmee bewegende beelden op’n skerm geprojekteer word, 2.
Bioskoopsaal of-teater, In: Die Afrikaans Woordenboek, Woordeboek van die Afrikaanse taals,
Eerste Deel A-C, Die Staatsdrukkerij Pretoria 1956, S. 419.
143
Bioskoop, fliek. Gebouw voor film, filmvertooning, Groot Woordenboek. Afrikaans en
Nederlands, , Willy Martin & et al. (Hg.), Prisma Amsterdam 2011S. 261.
144
ebd. Duden5, Das Fremdwörterbuch, S.136, 923
145
ebd. Duden5, Das Fremdwörterbuch, S.923
146
Anja Horstmann: Film als Archivmedium und Medium des Archivs, aus: Anja
Horstmann/Vanina Kopp (Hg.): Archiv- Macht- Wissen. Organisation und Konstruktion von
Wissen und Wirklichkeit in Archiven, Campus Verlag Frankfurt/New York, S. 191.
147
Allgemein bezeichnet das filmisches Erzaehlen klassisch Adaptionen der Kino- bzw
Filmindustrie aus literarischen Stoffen. Hier allerdings ist damit die Intermedialitaet der
literarischen Darstellung gemeint, welche die Technik und Erzaehlweise des Mediums Films
adaptiert.
148
Christiane Schönfeld: Introduction, aus: Christiane Schönfeld/Hermann Rasche (Hg.):
Processes of Transposition. German Literature and Film. In: Amsterdammer Beiträge zur neuern
Germanistik, Editions Rodopi 2007S. 11-25, . hier: S.24.
141
47
Zunächst einmal teilen die Medien Film und Literatur zwei entscheidende
Gemeinsamkeiten. Beides sind eigenständige
Narrative und arbeiten mittels
dynamischer Bildhaftigkeit. Der Umgang mit expliziter Visualität ist für die Autorin
Tawada nichts Ungewöhnliches:
,,Yoko Tawadas Texte, auch ihre theoretischen Schriften, operieren mit
Sprachbildern.[...] Das Schreiben entwickelt sich aus dem Lesen. Dieses Lesen
der Yoko Tawada ist aber ein Lesen der Welt der Bilder.” 149
Das
“Zum-Bild-werden”
während
des
Leseprozesses
ist
für
die
Literaturwissenschaftlerin Christiane Schönfeld sogar generell ein universaler Prozess
der Literatur:
,,The visualisation of a narrative is part of the reading process.
Understanding of a literary text only occurs once the narrative begins to
unfold ‘visually’ in our minds.” 150
In beiden Medien, im Film und der Literatur, werden Inhalte in einzelnen Bildern,
visuell und/oder sprachlich
übertragen. Die Erzählweise unterliegt dabei einem
Prozess der Zeitlichkeit. Es ist die sogenannte Erzählzeit, an der die eigentliche
Rezeption des Werkes gebunden ist und die die mediale Vermittlung an die reale
Zeitachse bindet. In Bioskoop der Nacht werden jedoch ergänzend die ,,constraints”,
die Zwangsbedingungen der technischen Verfahren von Film bzw. Kino literarisch
hervorgehoben. Die entscheidenden Unterschiede sind in der Technik und dem daraus
entstehenden Qualitäten des Speichermaterials zu finden. Tawada nutzt dieses Wissen
als Kunstgriff. Auch ihre Erzählung ist ein Speichermedium, explizit eine
Nacherzählung der persönlichen Erinnerungen der Ich-Erzählerin in Südafrika. Dies
wird am deutlichsten, wenn das Tempus der Erzählung beachtete wird, das
Perfekt: ,,Sowohl das Ereignis als auch die zeitliche Perspektive, von der aus das
Ereignis beachtet wird, liegen in der Vergangenheit.”151 Die zwei weiteren Kapitel der
Überseezungen sind dagegen nicht oder nicht durchgängig im Perfekt geschrieben.
149
Terry Albrecht: Erzählerische und sprachliche Nähe, Bilder interkultureller Erfahrungen in den
Texten von Terézia Mora und Yoko Tawada, in: Von nationaler zur internationalen Literatur.
Transkulturelle deutschsprachige Literatur und Kultur im Zeitalter der globaler Migration,
aus:Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, S.263-274, hier: S. 270; 272.
150
Christiane Schönfeld: Introduction, aus: Christiane Schönfeld/Hermann Rasche (Hg.):
Processes of Transposition. German Literature and Film. In: Amsterdammer Beiträge zur neuern
Germanistik, Editions Rodopi 2007S. 11-25, . hier: S.13.
151
Angelika Wöllstein-Leisten/Axel Hielmann/ Peter Stepan/ Sten Vikner (Hg.): Deutsche
Satzstruktur. Grundlagen der syntaktischen Analyse, Stauffenberg Einführungen, S.84.
48
Doch welche Vergangenheit wird im zweiten Kapitel sichtbar, welche Darstellung
wird durch das Bioskoop beleuchtet? Um dieser Frage nachgehen zu können wird
zunächst aufgezeigt, dass die Erzähltechnik des Bioskoop der Nacht einen Wechsel
von Erzähltem und Nicht-Erzähltem vollführt.
5.3.2 Die Visualität der Struktur
Tawadas Kapitel Bioskoop der Nacht “kopiert” eine Filmrolle, indem sie ihre
Erzählung in kurze Abschnitte unterteilt. Diese Textblöcke stellen eigenständige
thematische Episoden dar, ahmen die Materialität eines klassischen Reels, der
Filmrolle, nach. Tatsächlich basiert die ,,filmische Wahrnehmung [...] auf Addition und
mentaler Verwandlung einer Serie von geringfügig modifizierten, in sich aber starren
Bildern zu einer kontinuierlichen Bewegung” so Jörg Jochen Berns. 152 Mithilfe
moderner und modernster Technik findet im Kino die Projektion des Lichtspiels mit
einer Geschwindigkeit von über 16 Bildern pro Sekunde statt. Der Zuschauer nimmt
die einzelnen Bilder auf der Leinwand dahingegen als einheitliche Bewegung wahr:
Das Moment der Vorführung ist ein beständiges ,,Versehen”. In der Literatur
entspricht dies der Wahrnehmung des Lesers einzelner Passagen als eine
zusammenhängende Texteinheit.
Insgesamt setzt sich das Kapitel Bioskoop der Nacht aus 35 Sequenzen zusammen.
Durch die textlinguistischen “Leerstellen” wird die Erzählung beständig unterbrochen,
stellt sich -rein optisch betrachtet- als “lückenhaft” dar. Das Nicht-Sichtbare wechselt
mit den sichtbaren Texteinheiten. Der formelle Diskurs des Bisokoop der Nacht ist so,
unabhängig von seinen Inhalten, grundsätzlich eine geöffnete Einheit und in der
Materialität unvollständig. Es gibt nicht “eine” Geschichte, ein zusammenhängendes
Kontinuum, das sich auf der Achse der Erzählzeit präsentiert. Die Negation bzw. die
Abwesenheit von Sinn,
das Nicht-Vorhandenen im “dunkel” bleibende, muss
fortwähren mitgedacht werden. Aufgrund der Vielzahl der Bilder und fehlenden
Zusammenhangs, rücken die einzelnen “Bilder” bzw. Textblöcke und ihre Bedeutung
in den Vordergrund. Aus einer Geschichte, werden einzelne Geschicht-en, nicht die
Geschichte des Afrikaans, sondern von vielen südafrikanischen Zungen wird erzählt.
Genau wie Tawada es mit ihrer topographischen Kapitelgestaltung programmatisch
152
Jörg Jochen Berns: Film vor dem Film. Bewegende und bewegliche Bilder als Mittel der
Imaginationssteuerung in Mittelalter und Früher Neuzeit, Jonas Verlag, Marburg 2000, S.7.
49
und visuell angekündigt hat, auch inhaltlich wird diese formelle Konzeption der
Grenzüberschreitung unterstützt. Der Erzählverlauf “springt”: Das Setting (Ort, Zeit,
Personen) der Szenerie verändert sich -vor allem zu Beginn des Kapitels- extrem. Dies
hat zur Folge, dass sich der Leser, ähnlich wie es sich schon beim Stilmittel der
exophonic prose gezeigt hat, beständig neu auf den Verlauf der Erzählung einlassen
und Orientierung suchen muss. Es ist daher grundsätzlich festzuhalten: Die Struktur
des Kapitels Bioskoop der Nacht entspricht dem Dispositivs einer Filmrolle. Mit der
textuellen Kopie des haptischen Vorbildes betont Tawada
mit ihrer visuell
“durchbrochenen Oberfläche” der Narration die Diskontinuität und Unvollständigkeit
der Gesamtdarstellung. Wolfgang Iser spricht in seinem ,,Der Akt des Lesens” (1992)
in Bezug auf solche Leerstellen und der Wirkung des Textes von der Sichtbarkeit
ästhetischer und kultureller Differenz.153
Das
“Versehen”
und
die
Möglichkeit
der
Wirklichkeits-Täuschung
eines
“Filmereignis” wird heute in den Filmwissenschaften abwehrend als Gründermythos
des Mediums Kino interpretiert. Vor allem der sogenannte ,,Kinorealismus”, die Idee
von Immersion und Wirklichkeitsanspruch, dem Eintauchen vom Zuschauer in die
fiktive Welt, gilt als vergangenes Postulat der sogenannten Klassik, die im
vergangenen 20. Jahrhundert ihren Genre-Höhepunkt hatte. 154 Eine vollständige oder
gar objektive “Abbildung der Wirklichkeit” bietet das Medium des Films dem
Regisseur nicht. Vielmehr ist nach heutigem Verständnis von Film und seiner
Aufführung eine Konstruktion, ein Angebot an den Zuschauer. Und dabei sei das
Deleuze-sche ,,Erschlaffen des klassischen Paradigmas” entscheidend, so Malte
Hagener:
,,Die Auflösung einer singulären Richtung und eines festgeschriebenen
Beobachtungsstandpunktes (Linearität, Frontalität, Perspektive, etc.) für
medial vermittelte Bilder kann man nicht überschätzen.” 155
153
aus: Birgit Obermayr: Erfahrungen der Leere. Der Status der Leerstelle in der aethetischen
Text-Erfahrung, in: Gert Mattenklott (Hg.): Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung
der Künste. Epistemische, aesthetische und religioese Formen von Erfahrung im Vergleich,
Meiner 2004, S. 137-154.
154
Robin Curtis: Synaethesie und Immersion. Ruamliche Effekte der Bewegung. In:
Synästhesie-Effekte : zur Intermodalität der ästhetischen Wahrnehmung / Robin Curtis/Marc
Glöde/Gertrud Koch (Hg.), Fink Muenchen 2010, S. 131-150, hier: S.141.
155
Malte Hagener: Wohin gehen, wohin sehen? Raum und multiple Bildschirme in der
begehbaren Mehrkanalinstallation. In: Robin Curtis Gertrud Koch (Hrsg.): Synästhesie-Effekte.
Zur Intermodalität der ästhetischen Wahrnehmung. Paderborn Wilhelm Fink Verlag 2010, S.151170. Hier: S.165.
50
Was entsteht, sind die entscheidenden Charakteristika des modernen Films:
der ,,ungerichtete[n] Raum” und die ,,zeitliche Schachtelungen”. Das Äquivalent
dieses modernen Narratives findet sich auch im collageartigen Montage-Text Bioskoop
der Nacht wieder. Hier stimmen die poetischen Möglichkeiten der Literatur mit der
Vermittlung des
zeitgenössischen
Films
überein.
Für die
Anglizistin und
Gedächtnisforscherin Aleida Assmann entspringt die strukturelle Anwendung von Unordnung gar einem Machtprinzip des Zufalls:
,, Sie ›zerbricht‹ das Rückgrat der Erzählung, die zeitlich-chronologische
Abfolge, sie ›zerreisst‹ Ereigniszusammenhänge und sortiert die Fragmente
des Ordnungsverlustes, sondern auch die Erschütterung der Ordnung.” 156
Jean-Luc Godard, Regisseur und Vorreiter der avantgardistischen Nouvelle Vague im
Frankreich der 1950er Jahre,
äußerte sich unlängst zum Medium Film.
Entscheidendes, kritikfähiges Mittel des Mediums sei dabei die Technik, die Montage:
,,ZEIT: Bei der Verleihung des Adorno-Preises haben Sie gesagt: Im großen
Kampf zwischen den Augen und der Sprache hat der Blick die größere
analytische Kraft. “
Godard: So ist es. Das heißt auch: die Montage.
Zeit: Was genau entsteht durch den Zusammenprall verschiedener Bilder?
Godard: Wenn zwei Bilder aufeinandertreffen, entsteht ein Drittes. Eine
andere Art des Sehens.
Zeit: Ist die Montage das bessere Mittel zur Analyse von Geschichte als die
Sprache?
Godard: Ja. Weil die Montage die Bilder, die Linearität der Geschichte, die
Linearität des Denkens und der Schrift durchbrechen kann.
Zeit: In ihrem neuen Film montieren Sie immer wieder Aufnahmen des
Meeres. Das wirkt, als ob sich in diesem schwimmenden Konsumalbtraum ein
Fenster öffnet.
Godard: Ich weiß nicht, ob das eine Utopie ist, eine Kritik oder einfach nur
ein Blick von der Reling. Das ist das Gute an der Montage: Es ist an Ihnen, das
Dritte aus zwei Bildern zu bilden. “ 157
156
Aleida Assmann: Einführung in die Kulturwissenschaft. Grundbegriffe, Themen,
Fragestellungen, Schmidt Verlag, Berlin 2008, S. 287.
157
Interview von Katja Nicodemus mit mit Jean-Luc Godard: ,,Es kommt mir obzön vor“. Warum
Jean-Luc Godard den Technikwahn des Kapitalismus für unanständig hält. Ein Gespräch über
Geld, Europa, seinen Hund und sein neues Werk »Film Socialisme« in: ZEIT, Feuilleton,
51
Festzuhalten ist bisher: Sowohl die textuellen - “Leerstellen”, als auch die Montage
einzelner Bilder zerstören (Erzähl-)Ordnungen, zudem wird die Verantwortung des
Rezipienten eingefordert, da sich nur in der kommunikativen Situation mit dem
Kunstwerk die dem Kunstwerk eigene Sprache entfalten kann.
Bereits die künstlerische Avantgarde-Bewegungen, des späten 19. Jahrhunderts und
frühen 20. Jahrhunderts, wandten sich mit ihren Werken gegen die nahenden
Massenmedien des Kinos und künstlerischen Wahrnehmungsästhetik des Realismus. 158
Ihre Aufmerksamkeit richtet sich nicht auf die äußere Illusionsperfektion der Umwelt
und Wirklichkeitsdarstellung, sondern auf die Interiorisation, der authentischsubjektiven Welterfahrung wie sich in der AutoBioFiktion des konstruierten
Tawada´schen Textes wiederfindet. Widersprüchliche Bilder, Collagen und Montagen
von verschiedenen Traum- und Bewusstseins-Ebenen führen in der Avantgarde zu
einem gebrochenen ästhetischen Konzept der Kunst, die Grenzen der Kunst überhaupt
werden konzeptuell wie medial in Frage gestellt. 159 Eine reale Verfilmung oder gar der
Versuch von Wirklichkeitstäuschungen wird mit künstlerischen Stilmitteln unterlaufen.
Es erstaunt nicht, dass Yoko Tawada inzwischen als Nachfolgerin dieser europäischhistorischen Tradition eingeordnet wird. Sprachlicher “Zufall” und “Plötzlichkeit”
sowie darauf folgende Neuordnungen, die Themen der Avantgarde spielen in ihrem
Werk eine dominante Rolle:
,,Der
explizit
antinationale
Charakter
der
Texte,
ein
scheinbar
autobiographischer Ich-Erzähler, der sich oft in eine traumähnlichen Zustand
befindet, die bewusst eingesetzte Erzählperspektive des Kindes und der
dazugehörige erstaunte Blick, das Montageverfahren, das Betonen der
Materialität der Sprache, Sprachskepsis und erhöhte Sprachsensibilität. All
diese poetischen Verfahren und literarischen Charakteristika finden sich schon
Literatur, 86 Seiten Literaturbeilage zur Frankfurter Buchmesse, 6.Oktober 2011, Zeit Nr.41, S.
51f.
158
Inhaltlich rebellierten sie gegen das feudalistische und reaktionäre Wertesystem der
Bourgeoesie.
159
Es Künstler des Surrealismus wie Unica Zürn, Anton Breton und Max Ernst, die sich mittels
unterschiedlichster Techniken Zugang zur subjektivistischen Welterfahrung schaffen:
Anagramme, Écriture automatique, sind künstlerische Techniken, mit denen beispielhaft
versucht wurde, den Subjektivismus darzustellen.
52
in der Moderne und zwar besonders in der Theorie und Praxis des
Surrealismus.” 160
Das für den Surrealismus wegweisende Surrealistische Manifest, ist von André Breton
vor knapp einem Jahrhundert geschrieben worden. Bereits Mitte des 20. Jahrhunderts
ist die “Enthierarchisierung [...] der Erzählwelt”161 mit seinen avantgardistisch,
entgrenzenden Konvention und Ästhetikern der Ambiguität und Negativität soweit
fortgeschritten, dass die Aufsprengungen von literarischen Ordnungsprinzipien
gemeinhin als etabliert gilt. Da traditionelle ästhetische Modelle von geschlossener
Sinngebung und Wirklichkeitsnachahmung, wie sie etwa das Genre des bürgerlichen
Romans vermittelt hatte, wegfallen, wurde bereits in den 1970er Jahren gar die ,,Krise
der Erzählens” 162 ausgerufen.
,,Der erzählenden Literatur wurden Totenscheine
ausgestellt und Kränze geflochten.”163 In der jüngeren Narrations-Forschung von
Mirjam Sprenger und Markus Förster wird mit dem 21. Jahrhundert der Kunst des
Erzählens nun eine Wiederauferstehung bescheinigt. So Förster:
,,Die ›Wiederkehr des Erzählens‹ läßt sich [...] als eine literarische Tendenz
begreifen, die statt auf Dekonstruktion und Authentizität auf Rekonstruktion
und Fiktionalität setzt. Dem Ringen um Authentizität wird die Lust am
Fabulieren entgegengehalten. Der jeweilige Bruch mit der Tradition wird von
einem Spiel mit der Tradition abgelöst. Mimetische Strukturen werden bewußt
als Bestandteil des Kunstwerks akzeptiert und zur Grundlage einer
Rekonstruktion des Erzählens.”
Das Wegfallen des erzählerischen “roten Fadens” und seiner Ordnungshoheit bedeutet
in der modernen Literatur allerdings kein Verlust der ästhetischen Geschlossenheit.
Wie die Narratologen nachweisen, bezieht sich die ästhetische Geschlossenheit der
Kunst bei Avantgarde Nachfahren jedoch nicht auf die Welt als Ganzes, sondern
referiert
an
die,
der
Kunst
eigenen
Gesetze
von
Fiktionalität
und
160
Bettina Brandt: Schnitt durchs Auge. Surrealistische Bilder bei Yoko Tawada, Emine Sevgi
Oezdamar und Herta Mueller, , aus: Text und Kritik. Sonderband Literatur und Migration, iX
2006, S.74-83hier S. 75.
161
Ernst Nef: Der Zufall in der Erzählkunst, A. Francke Verlag, Bern 1976, S.14.
162
Ernst Nef: Der Zufall in der Erzählkunst, A. Francke Verlag, Bern 1976, S.8.
163
Vgl. Karl Markus Nichel: Ein Kranz für die Literatur, zitiert nach: Nikolaus Förster: Die
Wiederkehr des Erzählens. Deutsche Prosa der 80er und 90er Jahre, Wissenschaftliche
Buchgesellschaft Darmstadt 1999, S.4.
53
Sprachlichkeit: ,,Künstlichkeit als Konzept der Uneigentlichkeit wird [...] zur
Grundlage dieses Erzählens.” 164 Und Springer:
,,Metafiktion geht davon aus, daß der Leser nichts darüber erfahren kann, wie
die Welt funktioniert, aber darüber wie Literatur funktioniert. Dies wird
erreicht durch eine Kommunikation, die nicht auf der fiktionalen Ebene
angesiedelt bleibt, sondern ihre Artifizialität thematisiert. “165
Bettina
Brandt
spricht
konkret
von
Tawadas
(,,surrealistischen”
und ,,poetologischen”) Verfahren, dies zielt darauf hin, dass sie narratologische Mittel
sind, die von der Autorin bewusst gesteuert werden. Die Entgrenzungen ihrer Literatur
sind programmatisch und ausschließlich unbewusst anlegt. 166 Das scheinbar
grenzenlose Roulette-Spiel mit dem “semiotischen Dreieck”, den strukturellen Brüchen
und Leerstellen setzt die Autorin in ihrer Erzählung Bioskoop der Nacht allerdings ein
nachhaltiges Narrativ auf inhaltlicher Ebene. Es ist die Struktur und Ordnung von
Sprachlichkeit, die zum eigentlichen Meta-Thema ihres fiktionalen Textes mutiert.
,,Die Zeit begann, regelmäßig und geordnet zu fließen, weil jedes Datum einem
Kapitel im Grammatikbuch entsprach. Eine Sprachschule hat etwas Heilendes,
man kann daraus vielleicht ein Lebensmodell entwickeln.” 167
Mit dem Spracherwerb und der Vermittlung
von Grammatik- und Syntaxregeln
gewinnen die Passagen - für den Leser- an Gleichmäßigkeit und Realitätsnähe. Die
Inhalte sind eine gerichtete Darstellung, keine Anmutungen surrealistischer Écriture
automatique, wie es noch zu Beginn der Erzählung den Anschein hatte. Südafrikas
Township wird konkret beschrieben, Lebensmodelle werden von “Herr Tolk”, dem
Übersetzer erklärt, mit der ,,Absicht [...], ein anderes Bild zu vermitteln als das in der
ausländischen Presse, die es bloß als Hölle darstellte” 168 . Die Inhalte, von denen der
Text erzählt, sind innovativ: Von einer Stromversorgung ohne finanzielle
Verschuldung, Ernährungsprogrammen bis hin zur kommunikativen Alternative des
code-switching.
Phantastische Elemente dagegen kündigt die Ich-Erzählerin dem
164
Nikolaus Förster: Die Wiederkehr des Erzählens. Deutsche Prosa der 80er und 90er Jahre,
Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1999, S.170.
165
Mirjam Sprenger: Modernes Erzählen. Metafiktion im deutschsprachigen Roamn der
Gegenwart, Verlag J.B. Metzler, S. 165.
166
Bettina Brandt: Schnitt durchs Auge. Surrealistische Bilder bei Yoko Tawada, Emine Sevgi
Oezdamar und Herta Mueller, , aus: Text und Kritik. Sonderband Literatur und Migration, iX
2006, S.74-83hier S. 75.
167
Yoko Tawada: Überseezungen, S.77.
168
Yoko Tawada: Überseezungen, S.77.
54
Leser fortan an. Die Intention der Aussagen gewinnen an Gewicht, Inhalte werden
vermittelt.
Vorhergehenden surrealistischen Sequenzen, die Traum-“Synchronästhesien” sind dem
Leser erst im Nachhinein als Präsenz des Afrikaans erklärlich:
,,In einem Traum hörte ich oft eine Stimme, sie sprach eine Sprache, die nicht
mehr oder noch nicht Afrikaans war.”
169
und: ,,In der Klasse gab es einen
deutschen Studenten. Wenn ich mit ihm Worte wechselte, war es, als würde ich
plötzlich aufwachen und meinen Traum verlassen”. 170
Ihre wechselnden Bewußtseins-Ebenen, das “schizophrene Weltbewußtsein” der IchErzählerin spiegelt das Dazwischen die menschlichen Existenz. Und dieses
Dazwischen manifestiert sich dort, wo sprachlich-strukturelle Ordnungen dem
Exemplarischen nicht gerecht werden. Die drei folgenden Textbeispiele zeigen, dass
theoretische Klassifizierungen und statische Denkmodelle sich generell der Existenz
nur begrenzt nähern können.
In einem Restaurant in Kapstadt wird ,,game meat” angeboten. Im Deutschen wäre
dies direkt als “Spielfleisch” zu übersetzen, gemeint ist allerdings Jagd-Fleisch bzw
Wildfleisch, wobei die Tierart nicht spezifiziert wird. Auch die Frage, was ,,gemischtes
Krokodilfleisch” ist, kann infolgedessen nicht beantwortet werden. Dies sei, so die
Erklärung, ,,die Fantasieküche der Ausländer”.
171
Die sprachliche Zuschreibung von
außen erscheint im Kontext des Kulinarischen harmlos. Doch sprachliche
Repräsentationen ist immer auch identisch mit einer Konstruktion von Wirklichkeit,
nicht zuletzt hat dies der Leser schon mit dem Identifizierungsprozess der
Traumsprache
Afrikaans
erfahren,
deshalb
nun
zum
zweiten
Textbeispiel:
Einschneidende real-politische Folgen hat eine solche sprachlichen Klassifizierung für
die “coloured community” bis heute. Der Begriff der “coloured community” entstammt
dem rassistischen schwarz-weißen Denken der Apartheid. Doch nun, in der Ära der
Post-Apartheid scheint es eine Umkehrung des rassistischen Denkmodelles in weißschwarz gegeben zu haben, nicht jedoch hat eine Veränderung von Rassismus zum
Humanismus stattgefunden. Bioskoop der Nacht zeichnet die Realität einer großen
169
Yoko Tawada: Überseezungen, S.84.
Yoko Tawada: Überseezungen, S.86.
171
Yoko Tawada: Überseezungen, S.86f.
170
55
südafrikanischen Bevölkerungsgruppe an der Lebensgeschichte von Herrm Tolk nach.
In der Apartheid wurde er:
,,.[...] als »coloured« klassifiziert, er war nicht hell genug, um zu der
herrschenden Klasse zu gehören. Heute sei er nicht dunkel genug, um zu der
regierenden Klasse zu gehören, ergänzte er ironisch, viele sagen, die
»coloured« seien nicht wirklich schwarz, sondern eben nur gefärbt. “ 172
Der sprachlichen Degradierung widersetzt sich Herr Tolk mit seiner persönlichen
Entscheidung, freiwillig an der Regierungsarbeit teilzunehmen, wobei er sich für die
praktische Arbeit, nicht den langen schriftlichen Weg der Institutionen entschieden
hat: ,,Denn die Stifte waren zu leicht, man brauchte Geduld.”
173
Geduld, die er nach
dem kräftezehrenden physischen Überlebenskampf im Apartheid-Regime nicht mehr
aufbringen kann.
Das dritte Beispiel: Ein Merkmal von Sprach-Normierung und den einhergehenden
Einschränkung der sprachlichen Universalia ist die Schriftlichkeit. Standardisierung
von Sprache hat ihren Ursprung in der Verschriftlichung von Informationen. 174 Gerade
in der westlichen Kultur wird Sprachlichkeit häufig mit Schriftlichkeit gleichgesetzt.
Diese europäische Kultivierung des Schriftlichkeits-Fetischs zeigt sich mit ihrer
Dokumentationswut
und
den
darauf
folgenden
Ergebnissen
rein
musealer
Erinnerungsversuche. Kulturwissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang auch
vom einen kritisch zu betrachtenden Ensemble einer toten Kultur. 175 Das bei weitem
nicht alle Kulturerscheinungen schriftlich erfasst werden können, hat auch die
Weltgemeinschaft, die UNESCO (Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung,
Wissenschaft und Kultur), erkannt und den Schutz von “immateriellen Weltkulturerbe”
ausgerufen. Es ist im Text von Yoko Tawada bezeichnend, dass die lexikale Erfassung
von Phänomenen dort ihre Grenzen aufgezeigt werden, wo materiell-kulturelle
Dimensionen überschritten und religiöse Räume betreten werden. Entsprechung findet
dies in der Erzählung Bioskoop der Nacht mit der Religion und dem Brauchtum des
172
Yoko Tawada: Überseezungen, S.80.
Yoko Tawada: Überseezungen, S.80.
174
Während um 1500 die Verschriftlichung des Frühneuhochdeutsch noch keine
benennenswerte normative Wirkung hat, wird im 16.Jahrhundert bereits vom “Gemeinen
Deutsch” gesprochen. Luthers Bibelübersetzung von 1522 wird als erster großer Meilenstein in
der standardisierten Schriftsprache gesehen. Siehe auch: Astrid Stedje: Deutsche Sprache
gestern und heute, 5.Auflage, W.Fink München 2001, S.122ff.
175
Reiner Wiehl: Kultur und Vergessen, aus: Jan Assmann/Tonio Hölscher: Kultur und
Gedächtnis, Suhrkamp Frankfurt am Main 1988, S.43f.
173
56
Schamanentums. Im deutschen Lexikon der Ich-Erzählerin wird dieses Wort, -trotz der
immensen kulturellen Wichtigkeit für den afrikanischen Kontinent,- schlicht
ausgespart. Dieser Vorfall ist auch eine Allegorie für die kulturelle Differenz der
Kontinente:
,,Die Suche nach dem Wort »Schamanin« scheiterte, es stand kein Wort
zwischen »Schade« (»Jammer« auf afrikaans) und »schießen« (»skiet« auf
afrikaans).” 176
Interessant ist weiter, in welcher Art und Weise Tawada das Schamanentum in ihren
Text einfließen lässt: Während sie einerseits das Ungenügen der Norm der
Schriftlichkeit aufzeigt, integriert sie die Präsenz von Religion in ihren Text, ohne eine
Definition vorzunehmen. Im historischen Europa und seinem kolonialen Streben nach
Macht war dies gemeinhin anders. “Das Fremde” hatte sich den eigenen Denkmodellen
und Normierungen zu unterwerfen. Archive gehörten zur Herrschaftspraxis. Schon die
frühe Technik der Fotografie wurde:
,,[…] zu einem Medium der Eroberung, mit dem man das Fremde und Andere
auch visuell eroberte. Die fremde Kultur eignete man sich an, indem man Maß
an nahm, kategorisierte und definierte.” 177
Nachdem in diesem Kapitel der äußere Film (nach Berns) thematisiert wurde, wird im
Weiteren der innere Film, der auf der imaginären Ebene, der kognitiven Wahrnehmung
des Betrachters stattfindet, problematisiert.178 In der Vormoderne führte der innere
Film zu meditativer Versenkung und Seelenlenkung des Betrachters. 179 Im heutigen
Äquivalent der Wissenschaft treten Präsenz und ,,räumliche Erinnerung” in das
176
Yoko Tawada: Überseezungen, S. 81.
Jessica Nitsche: Konstruktionen von Afrika in visueller Populärkultur, Fotografie und
Gegenwartskunst, aus: Michael Hofmann/Rita Morrien (Hg.): Deutsch-afrikanische Diskurse in
Geschichte und Gegenwart. Literatur- und kulturwissenschaftliche Perspektive, in: Amsterdamer
Beiträge zur neueren Geschichte. Band 80, Rodopi 2011, S.227-251, hier: S.228.
178
Neurobiologen sprechen hier auch vom ,Vorstellungszusammenhang” auf der
Gedaechtnisebene. Horst Wenzel: Spiegelungen. Zur Kultur der Visualitaet im Mittelalter aus:
Juergen Schewe/Hartmut Steinecke/Horst Wenzel (Hg.): Philologische Studien und Quellen
(Heft 216). Erich Schmidt Verlag Berli 2009, hier: Der Leser als ,Augenzeuge’. Kinaesthetische
und kinematographische Wahrnehmung, S.165-189, S.168
179
Der Einbezug von unterschiedlichen Wirklichkeits- und Phantasieebenen hat eine lange
Tradition innerhalb der europäischen Kunstgeschichte. In der frühen mittelalterlichen
Erzählkunst besteht keine klare Trennung von Realität und Traum, auch bzw die mythische und
phantastische oder wirklichen Welt. Zeugnisse davon geben die Reiseliteratur des frühen
Mittelalters, zum Beispiel die Navigation Brendani Sancti (9. Jahrhundert) oder die Abenteuer
des Herzog Ernst (12. Jahrhundert) wie auch Darstellungen der christlichen Lebenswelt als
Weltbild der Ebstorfer Weltkarte (13. Jahrhundert). In ihrer Dissertation zieht Yoko Tawada
Parallelen.
177
57
Forschungs-Interesse 180,
inhaltlich
rücken
kulturellen
Codes
und
ihren
Repräsentationen in den Vordergrund.
180
Robin Curtis: Synaethesie und Immersion. Ruamliche Effekte der Bewegung. In:
Synästhesie-Effekte : zur Intermodalität der ästhetischen Wahrnehmung / Robin Curtis/Marc
Glöde/Gertrud Koch (Hg.), Fink Muenchen 2010, S. 131-150, hier: S.145.
58
Every Picture Tells A Lie.
- Banksy 2003 181
6.1 Südafrika im Bilde
Tawadas Erzählung legt den Fokus auf die Perspektive und Wahrnehmung der IchErzählerin, dies wurde bereits mit dem Phänomen der AutoBioFiktion beschrieben. Der
Text ist fast ausnahmslos eine autodiegetische Erzählung. Die Verlauf der Erzählung
ist aber nicht weniger geprägt von den sprachlichen Besonderheiten der exophonic
prose sowie den surrealistischen Verfahren und strukturellen Elementen der
Filmtechnik, wie bisher festgestellt werden konnte. Der nächste Abschnitt wird sich
nun näher mit den kulturellen Inhalten des inneren Films bzw. der Bilder-Lektüre
auseinandersetzen.
“Denkfaul” ist die Protagonistin der südafrikanischen (Übersee)-Zungen nicht. Eine
drohende Gefahr von geistiger Eindimensionalität, etwa wenn Sprach- und
Bildklischees als statische Definitionen fraglos übernommen werden, hat Tawadas in
einem ihrer Werke, Talisman (2011), beschrieben:
Aus Faulheit übertragen wir Sprachbilder ins Optische, anstatt das Spiel des
Lichtes in Sprache zu übersetzen. Er ist ein Schwarzer, sagt das Gehirn, und
die Augen sind dann nicht mehr fähig, seine Haut wirklich wahrzunehmen. 182
Die subjektivistische Welt-Lektüre der Ich-Erzählerin der äußert sich im Gegensatz in
großem Bilder- bzw. Interpretationsreichtum. Sie fungiert als eine Art Katalysator der
kulturellen Codes, denn wie etwas lesen, was nicht eindeutig einzuordnen ist? Entbehrt
das Individuum in der Fremde die notwendigen kontextuellen Informationen, so ist das
beständige “Sich-selber-ein-Bild-machen” notwendig. Dieses Phänomen ähnelt der
rezeptionsorientierten Textbetrachtung von Literatur. Zugleich stellt das Unvermögen
181
Wieder freigelegter Graffiti-Spruch des street art-Künstlers ,,Banksy” im Kunstraum
Kreuzberg, Berlin. Bansky´s wahre Identität ist unbekannt, der Name ein Synonym. Die
Vergänglichkeit von Kunst hat der Künstler Brad Downey mit seinem letzten Projekt aufgegriffen.
Er legte in Berlin die unteren Farbschichten einer Projektmauer wieder frei. Das freigelegte Bild
Bansky´s kann noch bis zum 23. Oktober 2011 besichtigt werden.. Danach wird der Künstler
Downey dieses wieder übermalen. Leiter der Galerie, Stéphane Bauer. Spiegel online (dpa) 12.
September 2011:
Übermaltes Kunstwerk. Banksy, von fremder Farbe befreit,
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,druck-785799,00.html Stand 1.10.2011.
182
Yoko Tawada: Talisman >>Eigentlich darf man es niemandem sagen, aber Europa gibt es
nicht<<, Konkursbuch Verlag Claudia Gehrke, 7. Auflage 2011, S.47
59
aber –und dies wurde schon mehrmals in dieser Arbeit angesprochen- ein Hindernis
der kommunikativen Situation dar. Ein fehlerfreies kulturelles “Lesen” und
“Verstehen” der Umwelt scheint unmöglich. Hansjörg Bay benennt diese für Tawada
typischen Ausgangsposition der Ich-Erzählerinnen gar als eine ,,spielerische
Inszenierung von Migrationserfahrungen als Ansatzpunkt kulturtheoretischer Analyse
und poetologischer Reflexion.” 183 Bevor jedoch auf die textinterne Bilder eingegangen
wird, soll aufgezeigt werden, welche historischen Bilder über Afrika in Europa
dominieren. Die Praxis des sich von der Welt ein Bild machen, hat in Europa eine
lange Tradition. Diese ist bei weitem nicht so selbstironisch, wie noch das hier
aufgeführte Portrait des Europäers unter der Narrenkappe aus der frühen Kolonialzeit
suggeriert.
184
Bild 3
Bereits im frühen 19. Jahrhundert etablierte Kulturhistoriker Georg Wilhelm Friedrich
Hegel mit seiner Vorlesung über die Geschichte der Philosophie die Verortung
183
Hansjörg Bay: Wo das Schreiben anfängt. Yoko Tawadas Poetik der Migration, In: Text und
Kritik, Sonderband Literatur und Migration, Heinz Ludwig Arnold, Band 9 2006, S. 109-119,
S.109.
184
Anonym: Titel: Nosce te ipsum/- Die Welt unter der Narrenkappe:Hic est mundi punctus et
materia gloriae mostrae- Der Blick auf die Landschaft als Kompliment kartograpahischer
Eroberung. (ca. 1590), Nürnberg, Germanisches Museum.
60
negativer Afrika-Bilder. In Hegels Ausführungen wird der Afrikaner zum Gegenbild
von
Zivilisation,
Vernunft
und
Moral, 185
dabei
dominieren
in
seinem
Entwicklungsmodell des afrikanischen Kontinentes zwei Metaphern: das Kind und die
Nacht.
,,Auch wenn es sich erübrigen sollte zu erwähnen, dass Hegels Bild von Afrika
ein so rassistisches wie auch überholtes ist, ist immer wieder zu beobachten,
wie sich Spuren solcher Konnotationen in Bilderwelten der Gegenwart
hineintragen. “ 186
Tawadas Text spielt deutlich mit den beiden historischen Metaphern. Bei ihr ist nicht
Südafrika das Kind, sondern mit der Sprachschule des Afrikaans wird die Migrantin,
das “Ich” der Erzählung, zu einem Kind bzw. wird mit der kulturellen und sprachlichen
Schulung in eine ,,zweite Kindheit” zurückgeworfen 187:
,,Nein, ich war kein Kind mehr und die schlechten Zeiten waren vorbei, aber
der Sprachunterricht hatte mich zu einem Kind gemacht. “188
Die Entmündigung der Migrantin hat dabei auch gute Seiten, eröffnet es doch die
Fähigkeit des kindlichen Lernens:
,,Eine Erwachsene konnte vielleicht besser die Grammatik verstehen, aber ein
Kind lernt unsichtbare Adern und Nervensysteme der Sprache.“ 189
Insgesamt ist die erste Passage des Bioskoop der Nacht eine Orientierungsphase in der
Fremde. Doch in der ersten Begegnung mit der Personifizierung Südafrikas und
seinem Herzen ist die Protagonistin sichtbar überfordert: ,,Meine Lachnerven juckten,
ich war verwirrt”. Ihre perspektivische Sehen, ihre Übersetzungen scheinen sich in
ihrer Omnipräsenz und Undeutlichkeit als ein Scheitern des (kulturellen) Sehens
umzuwandeln, woraus Missinterpretationen und Misskommunikation entstehen, die
gerade den literarischen Reiz der phantastischen Erzählung Tawadas ausmachen.
185
Jessica Nitsche: Konstruktionen von Afrika in visueller Populärkultur, Fotografie und
Gegenwartskunst, aus: Michael Hofmann/Rita Morrien (Hg.): Deutsch-afrikanische Diskurse in
Geschichte und Gegenwart. Literatur- und kulturwissenschaftliche Perspektive, in: Amsterdamer
Beiträge zur neueren Geschichte. Band 80, Rodopi 2011, S.227-251, hier: S.230.
186
Jessica Nitsche: Konstruktionen von Afrika in visueller Populärkultur, Fotografie und
Gegenwartskunst, aus: Michael Hofmann/Rita Morrien (Hg.): Deutsch-afrikanische Diskurse in
Geschichte und Gegenwart. Literatur- und kulturwissenschaftliche Perspektive, in: Amsterdamer
Beiträge zur neueren Geschichte. Band 80, Rodopi 2011, S.227-251, hier: S.231.
187
Hansjörg Bay: Wo das Schreiben anfängt. Yoko Tawadas Poetik der Migration, aus: Text+
Kritik. Sonderband: Literatur und Migration, Band XI, 06, S. 109-119, hier S. 117
188
Yoko Tawada: Überseezungen, S. 89.
189
Yoko Tawada: Überseezungen, S. 89.
61
Betrachtet man die Passage andererseits aus der subjektiven Perspektive der
Protagonistin, dann ist zu erkennen, wie sich die fremde Begegnung für sie zunächst
als emotionaler Prozess darstellt. Emotionalität ist ein Element, welches in der
interkulturellen Germanistik für das Bilder-verstehen und den Leseprozess als
notwendig angesehen wird:
,,We inevitably form visual images of characters, places and plots while
reading a novel, short story or perhaps even a poem. And it is via this
visualisation of the narrative in the mind that the emotional engagement of the
reader occurs.“ 190
Die Autorin Yoko Tawada stellt Emotionalität sogar in den Kontrast zur vermeintlich
einzig “wahren” Utopie des objektiven, klassischen Geschichtsbildes. Statische undynamische Geschichtsmodelle, wie etwa das Afrikabild Herders, sind in emotionalen
Weltbegegnungen des Subjektes für sie nicht wünschenswert:
Wer von der Existenz einer einzigen, wahren objektiven Geschichte ausgeht,
würde denken, der Einfluss der Gefühle könne die objektive Sicht hindern.
Dabei gäbe es keine Geschichte, wenn es keine Emotionen gäbe. Es gäbe dann
nur noch eine Aneinanderreihung zahlloser Bilder und Wörter, die keineswegs
organisch zusammenhängen. 191
Anstelle der kollektiv objektiven Geschichte der Welt, rückt das historische
Bewusstsein. des Einzelnen.
192
Im Mittelpunkt des Bisokoop der Nacht steht die
Emotionalität des (literarischen) Individuums.
Um die Prozesse und Dynamiken der literarischen Kommunikation besser
nachvollziehen zu können, werden nun die philosophischen Schriften des Franzosen
Paul Ricœur zur theoretischen Weiterentwicklung hinzugezogen. Er betont die
sprachlichen Prozesse, die schlussendlich für die Konstruktion von Identität notwendig
sind:
190
Christiane Schönfeld: Introduction, aus: Christiane Schönfeld/Hermann Rasche (Hg.):
Processes of Transposition. German Literature and Film. In: Amsterdammer Beiträge zur neuern
Germanistik, Editions Rodopi 2007,S. 11-25, hier: S.13.
191
Yoko Tawada: Theater der Toten, aus: Julia Genz, Mirjam Schneider/Sebastian Wogenstein
(Hg.): An Grenzen. Literarische Erkundungen,Wehrhahn Verlag, S.113.
192
Juergen Straub: Telling Story, Making History. Toward a Narrative Psychology of the
Historical Construction of Meaning., in: Juergen Straub (Hg.): Narration, Identity, and Historical
Conciousness., aus: Jörn Rüsen/ Alon Confino/Allan D. Megill (Hg.), Volume 3, Making Sense of
History Studies in Historical Cultures, Berghan Books, S. 44-98, hier S. 84f.
62
Ricœur sieht speziell Schrift-Zeugnisse, die schriftliche Erzählform repräsentativ für
das Phantasma der Identitätskonstruktionen. Es ist -ihm folgend- das erzählende,
zeitliche Element, welches es erst ermöglicht Identität zu kreieren. Die Geschichte -als
verschriftlichtes Werk- ermöglicht es das Leben in seiner Zeitgebundenheit, und somit
nicht-festzuhaltenden Aporie der Zeit,
widerzuspiegeln:
Identität entsteht erst
während des Erzählens und wird ausschließlich innerhalb des Erzählrahmens haltbar,
das heißt sprachlich ausformuliert. Ricœur benennt sein Konzept als narrative
Identität. 193 Ausgehend von diesem literarischen Grundgedanken, den er zur
Beschreibung (von Identität) heranzieht, entwickelt er seine textbasierende Theorie
der Hermeneutik. Wie im Folgenden aufgezeigt wird, enthält die literarische
Konstruktion des Tawada Textes Bioskoop der Nacht einige Parallelen.
Hinsichtlich
der
Historiographie
und
Dichtung
nimmt
Ricœur
keine
Gattungsunterscheidung vor, denn unabhängig von wissenschaftlichem Erklären oder
literarischem (bei Tawada vor allem emotionalen) Verstehen: einzelne Erzählungen
erfahren ihre Sinngenese immer erst rückwirkend. 194 ,,Erzählen bedeutet, erzählen, was
sich ereignet hat, aber auch wie und warum es sich ereignet hat.” 195 Dieser Vorgang
der sprachlichen Gestaltung vereint das made out (Ereignisse) zum made into
(Geschichte) oder anders formuliert wird durch die Rekonstruktion von einzelnen
Elementen kausale Zuordnung geschaffen, Erklären und Verstehen stehen im Dialog
zueinander. Neben dem Inhalt und Prozesscharakter ist die Form der Rekonstruktion
entscheidend. Ricœur benennt dies mit der strukturell wirkenden narrativen Intrige,
welche den inhaltlichen Diskurs der Geschichte dominiert, kontextualisiert, und somit
vom Charakter her eine interpretative Wirkung entfaltet; ,,Jede Intrige ist [dabei]
auto-explikativ”, das heißt sie ist singulär und entwirft eine eigene erzählende Ordnung
aus der heraus sie in Einmaligkeit besteht.196
Die Einmaligkeit des Textes Bioskoop der Nacht ist es nun, dass im Verlauf der
Erzählung die einzelnen narrativen Elemente, die Intrigen Verwandlungen
193
Jens Mattern: Ricœur zur Einführung, Menschliche Zeit-erzählte Zeit, Junius Verlag Hamburg
1996, S.151-182, hier: S.175f.
194
ebd.2: Jens Mattern: Ricœur zur Einführung, Menschliche Zeit-erzählte Zeit, Junius Verlag
Hamburg 1996, hier: Die Dialektik von Verstehen und Erklären, S.103-109.
195
Paul Ricœur: Zufall und Vernunft in der Geschichte (erweiterter Fassung des Textes
Kontingenz und Rationalität in der Erzählung im Rahmen der öffentlichen Veranstaltung des
Institut Culturel Franco-Allemand am 14.5.1985 in Tübingen), Konkursbuchverlag Tübingen
1986, S. 35
196
ebd. 4 :Paul Ricœur: Zufall und Vernunft in der Geschichte Konkursbuchverlag Tübingen
1986, S. 35
63
durchlaufen. Aus den einzelnen Ereignissen wird Geschichte. Dagegen steht die Intrige
der
geschichtlichen
Struktur
plötzlich
als
Ereignis
da.
Strukturelles
und
Exemplarisches sind kaum noch voneinander zu unterscheiden.
Die narrative Identität des Subjektes bewegt sich laut Ricœur generell auf einer
Temporalstruktur, die sich aus der poetischen Komposition ergibt:
,,Das Subjekt konstituiert sich in diesem Fall als Leser und Schreiber zugleich
seines eigenen Lebens. Wie die literarische Analyse der Autobiographie
bestätigt, wird die Geschichte eines Lebens unaufhörlich refiguriert durch all
die wahren und fiktiven Geschichten, die ein Subjekt über sich erzählt. Diese
Refiguration macht das Leben zu einem Gewebe erzählter Geschichten.197
Erst in der Dimension des Textkörpers eröffnet sich die Vierseitigkeit (quadrilatère)
von Sprache. 198 Ricœur erhöht den ,,Text als Werk” zum Diskurs innerhalb seiner
Hermeneutik. Eine Eschatologie der Zeitaporien (Welt, Menschheit und Mensch-sein),
findet allerdings auch die Erzählkunst nicht, wohl eröffnet sie eine ,solution poïétque”
(hier nach Römer), welche durch ihr Reflextionspotential die Unauflösbarkeit der
Zeitlichkeit sichtbar macht, reflektiert und auf sie antwortet.199
Gerade die Dialogfähigkeit des Textkorpus, der durch seinen Schriftcharakter das
Leben ,,entfremdet” , ermöglicht es dem Leser in dieser Andersheit den Spielraum für
die eigene Identität anzunehmen. Bereits der Erwartungshorizont des Lesers wird
durch die vorgebende Ordnung der Erzählung bestimmt und kontextualisiert, auch die
einzelnen Ereigniselemente werden von ihr geleitet. 200 Gattungspezifisch kommt die
Autobiographie der Funktion der Erzählbarkeit des Lebens dabei am nächsten. Erst der
autobiographische Text ermöglicht es das Spannungsfeld von Identität, welches
Ricœur aus idem und ipse definiert, zu veranschaulichen:
197
Die narrative Identität des Subjektes bewegt sich laut Ricœur auf einer Temporalstruktur, die
sich aus der poetischen Komposition ergibt. Paul Ricœur, Zeit und Erzählung, Band III, S.396
zitiert nach ebd.2: Jens Mattern: Ricœur zur Einführung, S.204.
198
Merkmale sind: ,,1. die Fixierung der Bedeutung durch Schrift, 2. die Autonomisierung der
Bedeutung durch ihre Befreieung von der Intention der sich äußernden Subjektivität, 3. die
Suspendierung des situationsgebundenen referentiellen Bezuges des Diskurses, 4. die
Adressierung an ein potentiell unendliches, universellen Publikum.” aus: Jens Mattern: Ricœur
zur Einführung, S.102.
199
Inga Römer: Die Refiguration der Zeiterfahrung durch die Erzählung, aus: Das Zeitdenken
bei Husserl, Heidegger und Ricœur, Phaenomenologica Breda/Husserl Archive Band 196,
Springer Verlag 2010, S.290-324, hier: S.291ff.
200
Bereits der Erwartungshorizont des Lesers durch wird vorgebende Ordnung der Erzählung
eingeschränkt sowie zudem kontextualisiert, auch die Elemente werden von ihr bestimmt.
64
,,Die Identität einer Person ist damit nicht etwas der Geschichte ihres Lebens
Äußerliches- es ist die Identität der Geschichte, die die Identität der Person
hervorbringt.” 201
Der Text kann dabei nicht ohne die Lesbarkeit des Textkorpus und dem ,,Publikum”
gedacht werden, denn erst hier entfaltet sich der entscheidende Gedanke der
Entfremdung und Dialogfähigkeit über das Erzählte für Ricœur. Das Konzept der
narrativen Identität weitet er dabei zudem von der Textidentität zur individuellen
Identität aber auch auf kollektive Identitäten aus.202 Die Möglichkeit der kollektiven
Identität wurde allerdings häufig an Ricœurs Philosophie kritisiert.
Es ist festzuhalten: Identität unterliegt laut Ricœur, entstehend aus ihrer nur narrativ
darzustellendem Charakter, einem nicht abzuschließenden Prozess des Erzählens und
Lesens (Text als unvollendetes Werk). Die Dialektik der sprachlichen Komponenten ist
zudem flüchtig.
Wie das folgende Beispiel zeigt, liegt Tawadas Text ein solches, prozessual
erzählendes Identitiäts-Verständnis, zugrunde:
,,Mir gefällt ausserdem, dass ein Ich mit einem »I« beginnt, ein einfacher
Strich, wie der Ansatz eines Pinselstriches, der das Papier betastet und
gleichzeitig die Eröffnung einer Rede ankündigt. Auch »bin« ist ein schönes
Wort. Im Japanischen gibt es auch das Wort »bin«, das klingt genau gleich
und bedeutet »eine Flasche« . Wenn ich mit den beiden Wörtern »ich bin« eine
Geschichte zu erzählen beginne, öffnet sich ein Raum, das Ich ist ein
Pinselansatz und die Flasche ist leer.
201
Es sind bei Ricœur die zwei Komponenten idem (Selbst/Gleichheit) und ipse
(Selbigheit/selfhood), welche im Dialog die Identität als offene, temporäre Entität erschaffen.
202
Kollektive Identitäten bezeichnen soziale Gemeinschaften unterschiedlichster Art. Hier sind
die Existenz von kultureller Identität ebenso wie die der nationalen Identität angesprochen.
Beide sind durch ihrer Ausrichtung vom Individuums zur Gruppe, von der subjektiven zur
objektiven, kollektiven Repräsentation und Übertragungform fragmentarischer Natur. Die
Entfremdung vom Eigenen und Anderen (subjektiv zu objektiv) teilen sie Ricœur folgend mit der
individuellen Identiät. Gruppenidentität sind allerdings durch den Symbolikcharakter
fragmentarischerer Natur, als es die Einzelidentitäten sind. Diese Ausweitung seiner Theorie
wird von Inga Römer kritisch betrachtet. Sie sieht eine große Instabilität in der Übertragung auf
Kollektive. Eine konkrete Ausarbeitung der Kollektividentitäten liegt nicht vor, Ricœur
konzentrierte sich in seiner weiteren Auseinandersetzung vorallem auf die Frage des Umgang
mit den Kollektiven: Das ,,kollektiven Gedächtnisses” und die Verantwortung von Gruppen und
Einzelnen für die Gemeinschaft stehen in seinen letzten Schriften im Mittelpunkt s. Siehe ebd.9:
Inga Römer: Narrative und ethnische Identität, aus: Das Zeitdenken bei Husserl, Heidegger und
Ricœur, Phaenomenologica Breda/Husserl Archive Band 196, Springer Verlag 2010, S.368-401,
hier: S.396ff.
65
-Überseezungen: Eine leere Flasche 203
204
Bild 4
Die Identität des Ich existiert nicht aus seiner selbst, sondern es erfordert den Akt des
Erzählens, um ihn zu konstruieren. Es ist ein Raum, in jedem Moment neu geboren
wird, an dem die Erzählung neu einsetzt.
205
Ein Nichts, dass erst in der
Sprachhandlung des Geschichtenerzählens, entsteht und als Literatur (Textkorpus)
unabdingbar an die Rezeption des Publikums gebunden ist. Die Surrealistin Unica
203
Yoko Tawada, ÜBERSEEZUNGEN, (wie Anm.1), S.57.
Unica Zuern, Ohne Titel, 1965, Zeichnung in ost-indischer Tinte, 49,8x64,2cm in: Unica
Zuern, Bilder 1953-1970 (Berlin, 1998), ill. Cxxxvi. Copyright: Verlag Brinkmann&Bose Berlin.
205
Mit einem ,,Rauschen der Wirklichkeit” benennt Martin Seel dabei den Effekt der der
Begegnung des Zeitgenossen mit der ,,gestaltlosen Wirklichkeit”: ,,Was vorher in einer sozialen
oder kulturellen Ordnung war, was vorher ein erwartbares und fixierbares Sein hatte, zeigt sich
jetzt in einem subsinnhaften Erscheinen .[…] gleichwohl zeigt sie [die Wirklichkeit] sich hier als
eine Realität, die in allem Erfassen niemals vollständig erfaßt und beherrscht werden kann.
Martin Seel, Gestaltlose Wirklichkeit, Ästhetik des Erscheinens, München ua. 2003, hier S.233f.
204
66
Zürn hat die Dominanz der Zeitlichkeit, der eine solche narrative Identität unterliegt,
versucht mit der Visualisierung ein Portrait in Bewegungabfolgen einzufangen.
Welche Konsequenzen hat dieses Verständnis von anti-integraler Identität für
Individuen und gesellschaftliche Konzepte, wie es die kulturelle Identität und
nationale Identität und sprachliche Identität sind? Zu Problematisieren ist die
Konzeptualisierung des Identitäts-begriffes dort, wo er nicht kritisch-regulativ, sondern
normativ eingesetzt wird. Ein Beispiel hierfür ist der “Mister Euro”, der in der
Einleitung angesprochen wurde. Wird über Identität als Leitmotiv, Orientierung
referiert, suggeriert dies einer Abschliessbarkeit und Vollständigkeit von Identität, die
nach Ricœurs Modell der narrativen Identität nicht gegeben ist. Der Akt der Sprache
bzw. Erzählung widerspricht einer solchen statischen Konstruktion des Identitätswesens. Die Einforderung und Zielsetzung von kollektiven Identitäten beinhaltet
zudem
gesellschaftlich
Apartheid.
206
Ausgrenzung,
das
Resultat
ist
die
gesellschaftliche
Die in den Niederlanden stattfindenden Debatten über die nationale
Identität, sind unter diesem Kontext zu betrachten. Jegliche vermeintliche Schöpfung
oder vermeintlicher Deutungsanspruch von kollektiven Identitäten ist mit dem
Verständnis der dynamischen “narrativen Identitätskonstruktion” nach den Zielen
sowie der pädagogischen Funktion kritisch zu hinterfragen.
Überträgt man diese hermeneutischen Erkenntnisse der narrativen Philosophie Ricœurs
auf die Ausgangsfragen, die Identitätsfrage von Tawadas Text, rücken die FrageWelches Ich wird im Text manifestiert. Welches Wesen hat der Text? Ist er politisch
oder ästhetisch? -in den Hintergrund und die Fragen nach dem wie der Vermittlung
und seiner Wirkung auf den Leser rücken in den Vordergrund.
6.2 Von Sprach-Bildern zu kulturellen Diskursen
Es ist nicht verwunderlich, dass das literarische Spiel der Tawada´schen Bilderpraxis,
und sei sie noch so- oder gerade, weil sie so kindlich sind-, auch beim Leser
206
,,If we want to embrace pluralism instead of apartheid, then we must further interaction
instead of limiting it to the in-group only. The heart of pluaralims is interaction between people
with different socializations, different opinions and different interesst…The possiblity of this
interaction-in-diversity is given with reflexivity.” so Wilna A.J. Meijer zitiert nach Heinz Streib:
Erzählte Zeit als Ermöglichung von Identität- Paul Ricœurs Begriff der narrativen Identität und
seine Implikationen für die religionspädagogische Rede von Identität und Bildung, in:
Georgi/Heimbrock (Hg.): Religion und die Gestaltung der Zeit, Kok Kampen/Weinheim 1994,
S.181-198, hier: S. 195.
67
emotionale Assoziationen auslösen. Der Kunsthistoriker und Medientheoretiker Hans
Belting bezeichnet emotional aufgebaute, innere Bilder, genauer als er-innerte Bilder.
Der einzelne Mensch wird, laut ihm, zu einem ,,körperlichen Bilderspeicher” und
somit zu historischem Phänomen. 207
In der fiktiven Welt des Bioskoop der Nacht ist ein solcher Bilderspeicher die IchErzählerin. Außerhalb des Textes ist der Leser der Bilderspeicher, er tritt mit dem Text
in Kommunikation.
Weniger eindeutig zuzuordnen ist für Belting das Phänomen der kulturellen Bilder.
Weder ihr Ort noch die Form der Bewahrung ist exakt zu beschreiben. Wie Belting
aufzeigt, wandelt sich allerdings der Ort der Bilder, genau wie Kulturen sich im Laufe
der Zeit verändern. Kulturelle Bilder gehen so nicht verloren, sondern unterlaufen einer
entsprechenden Transgression, werden Weitergetragen, sie wechseln ihren Kontext
und unterliegen, einer prozessualen Identität:
,,Der nomadische Weltbürger, der an keinem geographischen Ort mehr zu
Hause ist, trägt Bilder in sich, denen er noch einmal einen Ort mit einem
vergänglichen Leben, mit seinem eigenen Leben gibt.” 208
Eine objektive statische Darstellung von den an sich dynamischen Kultur-bildern ist
demnach ausschließlich unter der historischen Perspektive möglich.
Die Elemente der Belting´schen Bild-Theorie sind für Tawadas narrative Identität des
Bioskoop der Nacht entscheidend. In der Erzählung steht die Protagonistin mit ihrem
“Gedankenkino” den kollektiven Symbolen scheinbar blind gegenüber. Ihre “kindliche”
Wahrnehmung überblendet die kollektiven Repräsentationen, die sogenannten
symbolische Bilder, mit vertrauten Assoziationen. 209 Erst in der Lektüre des
literarischen Textes wird die kulturelle Einordnung durchgeführt: durch den Leser.
Das heißt, der Leser bringt sein kulturelles Vorwissen in den Text mit ein; ein
kulturelles Bild bzw. ein kultureller Bild-Diskurs entsteht.
207
Hans Belting/Lydia Haustein (Hg.): Das Erbe der Bilder. Kunst und moderne Medien in den
Kulturen der Welt, C.H. Beck, München 1998., hier: S. 40.
208
Hans Belting/Lydia Haustein (Hg.): Das Erbe der Bilder. Kunst und moderne Medien in den
Kulturen der Welt, C.H. Beck, München 1998., hier: S. 40.
209
Hans Belting/Lydia Haustein (Hg.): Das Erbe der Bilder. Kunst und moderne Medien in den
Kulturen der Welt, C.H. Beck, München 1998., hier: S. 36
68
In der Anwendung einer im Folgenden exemplarischen hermeneutisch wie kulturtheoretische Lektüre, wird Beltings These bestätigt, ,,dass wir selber [es sind, die] die
Bilder mitbringen, die wir sehen wollen- und sehen (verstehen) können.” 210 Wie der
Text den Leser aktiviert, die Ricœur´sche ,,Vierseitigkeit” (quadrilatère) von Sprache
sich entfaltet, wird an wenigen Sätzen der ersten Passage des Bioskoop der Nacht
versucht aufzuzeigen. Da es sich um eine bild-theoretische Analyse handelt, werden
reale Abbildungen zur Unterstützung der schriftlichen Lektürearbeit herangezogen.
Nachdem die Protagonistin die ersten Worte mit ,,die Mann” gewechselt hat, findet sie
sich plötzlich an seinem Arbeitsplatz wieder.
,,Er holte eine Dose aus dem Regal und drückte sie mir in die Hand. Auf dem
Etikett war kein Bild zu sehen. Ich sah den Buchstaben Y, der eine grüne Haut
hatte und quer auf einem rot-blauen Streifen lag. Wer war diese Frau Y mit
gespreizten Beinen?” 211
Das textinterne Bild, das im inneren Monolog beschrieben wird,
ist dank der
weltweiten Bekanntheit und der Kontextualisierung der südafrikanischen Zungen vom
Leser einfach als südafrikanische Nationalflagge zu erkennen:
Die Protagonistin erkennt jedoch dieses Symbol nicht, sieht “kein Bild” und
interpretiert die Darstellung kurzerhand als einen Frauenkörper, “mit gespreizten
Beinen”. Der Frauenkörper auf der Nationalflagge ist aus dreierlei Perspektiven weiter
interessant. Kurz zuvor heißt es im Text:
,,Ein Winkel war ein Laden, ich weiss nicht warum, plötzlich stand ich in
einem Kolonialwarenladen. Hinter der Theke sah ich bunte Schachteln und
Dosen. Auf einigen Etiketten waren Holländerinnen in Volkstracht abgebildet.
Ihre Röcke waren angeschwollen wie Birnen. Die Mann stand hinter der Theke
210
Hans Belting/Lydia Haustein (Hg.): Das Erbe der Bilder. Kunst und moderne Medien in den
Kulturen der Welt, C.H. Beck, München 1998., hier: S. 53.
211
Yoko Tawada: Überseezungen, S. 62.
69
und sah mich an. Zum Glück war jetzt eine klare Rollenverteilung angesagt:
Er war der Ladenbesitzer und ich war seine Kundin.
»Ich möchte Fleisch.« 212
Der Kauf von ,,Fleisch” mit der Bestätigung ,,ich war seine Kundin” führt zur
dankbaren ,,klare[s] Rollenverteilung” der Protagonistin. Sie ist erleichtert, -,,zum
Glück”-, erkennt sie doch in der Situation eine alltägliche Konsumhandlung. Mit
dem ,,winkel” 213 eröffnet sich eine räumlich, wie historische Perspektive des
Geschehens.
214
215
Bild 5, 6
212
Yoko Tawada: Überseszungen, S. 76.
Deutsch: Laden
214
Nachbildung, Schokoladenmuseum Köln, Quelle; anonym Internet.
213
215
Postkarte aus dem Reisebericht der Literatin und Literaturwissenschaftlerin Sabine
Scholl: ,,Eine rätselhafte Aufnahme vom 8. Februar 1931, die ich zuerst den Fotos zuordne, die
mir Trina damals geschenkt hatte: In holländische Tracht gekleidete Kinder stehen auf einer
Bühne vor einem schwarzen Tuch, auf das drei Begriffe gestickt sind: Volkesfreiheit!,
Rasseeinheit!, Geistesfreiheit!”; Sabine Scholl. mitsprache unterwegs.de, vom 22.12.2009
22.12. Puerto de Santiago/Keisd (Saschiz) | Kirchen Ghettos Paranoia, in: in|ad|ae|qu|at.
Gefunden unter: http://www.zintzen.org/2010/01/04/sabine-scholl-22-12-puerto-desantiagokeisd-saschiz-kirchen-ghettos-paranoia. Stand 29.6.2012.
70
Die niederländische Kolonialmacht Südafrikas wird beiläufig ,,Auf einigen Etiketten”
erwähnt und mit unschuldig anmutenden folkloristischer Verzierungen beschrieben.
Das nostalgische Bild des ,,Kolonialwarenladen[s]” kann der Leser als deutlichen
Hinweis auf die prä-nationale Historie Südafrikas verstehen. Auch die Ausbeute
Südafrikas war “reich” und “fruchtbar”, fügt sich so der Allegorie im Text
dargestellten Volkstrachten: ,,Ihre Röcke waren angeschwollen wie Birnen.”
Doch in der Kolonialzeit wurde auch mit Menschen gehandelt. Der Sklave war seinem
Besitzer schutzlos ausgeliefert. Wie die historische Abbildung des folgenden
Dokumentes zeigt, wurden Sklaven und Sklavinnen durchaus auch nach Europa
verkauft:
71
216
Bild 7
Wird
nun
in
der
Erzählung
von
Bioskoop
der
Nacht
die
(historische)
Konservenware ,,Fleisch” über die Ladentheke gereicht, wird mit der Bilderabfolge
der körperliche Objektstatus der gehandelten Ware betont. Die ,,gespreizten Beine” auf
der Verpackung des Nahrungsmittels verstärken die assoziierte Schutzlosigkeit der
Ware noch.
216
Das Preis-Verzeichnis aus dem Jahr 1840 in Hamburg. Dort wird eine ,,Buschmann Frau”
aus Süd-Afrika unter der Rubrik ,,Säugethiere” für 400 Silbertaler zu erwerben.
http://www.kapstadt.org/kapstadtreiseangebote/suedafrika-jugendreisen/suedafrika-sangeschichte. Quelle: http://www.kapstadt.org/links/bilder-picture/buschmann-san/sangeschichte/suedafrika-san-1k.jpg, Stand 29.6.2012.
72
Neben dem postkolonialen Diskurs enthält die kurze literarische Passage zeitgleich
zeitgenössische Symboliken, die den bereits angesprochenen zweiten Diskurs, den
gender-Diskurs noch verschärften.
Seit es der modernen Wissenschaft möglich ist das menschliche Genmaterial zu
entschlüsseln, weiß man zwar, dass eine genetische Rasseneinteilung nicht haltbar ist,
der Unterschied der menschlichen Geschlechter wird dennoch genetisch begründet.
Die Chromosomen des Mannes setzen sich laut der Gen-Theorie aus X- und YChromosomen zusammen, während der genetische Code der Frau sich aus zwei XChromosomen zusammenfügt. Hier eine mikroskopische Abbildung eines klassischen
männlichen XY Genpaares.
217
Bild 8
In der deutschen Sprache spricht man, um eine austauschbare, männliche
Durchschnittsperson zu bezeichnen auch von “Herr XY”. Dagegen ist der
Buchstabe ,,Y” im allgemeinen Sprachgebrauch weder genetisch noch sprachlich
weiblich konnotiert. Awadas sprachliches Bilder-Spiel widersetzt sich der sprachlichen
Norm der standardisierenden Geschlechterzuweisungen. Sowohl die Weiblichkeit
der ,,Frau Y” als auch die Männlichkeit von ,,die man” sind widersprüchlich, die
sprachliche Uneindeutigkeit wird zu einem künstlichen “Dazwischen” postuliert. 218 , 219
217
Links X-Chromosom, rechts Y-Chromosom; Quelle: anonym Internet.
Ihre Weiblichkeit wäre genetisch betrachtet wohl nicht existent. Doch auch die technischen
Verfahren sind nicht wirklich eindeutig, wie Fälle von Intersexualität und Transsexualtität
spiegeln.
http://www.tagesspiegel.de/wissen/sabine-hark-soziologin-es-gibt-nicht-nur-zweigeschlechter/1635330.html
218
73
Je nach kulturellem Vorwissen des Lesers, lässt sich die Assoziationskette der
kulturellen Diskurs-Lektüre beliebig bis in die Gegenwart erweitern: die Prostitution
zur Fußballweltmeisterschaft in Südafrika 2010, die Uneindeutigkeit des Geschlechts
der südafrikanischen Sportlerin Caster Semenya bei den Athletikweltmeisterschaften
2009 in Berlin oder auch die generell schwierige Situation der Homosexuellen
innerhalb der südafrikanischen Gesellschaft.
In Konsequenz der Ricœur´schen Sprachphilosophie rücken anstelle von einer
Geschichte und Hierarchie der Deutung, multiple und parallel stehende Geschichten.
Aus der singulären Identität wird in Konsequenz für das Individuum genauso wie für
Kollektive die gleichwertige Pluralität der Identität-en. Die Aufgaben der
Wissenschaft bezüglich der Identitäts-Problematik sieht der Religionswissenschaftler
Heinz Streib nach Ricœur in der Beantwortung den zukunftsweisenden Fragen an den
Leser:
,,Wessen
Geschichten werden gehört?” 220 sowie die Gegenfrage: Wessen
Geschichte wird nicht gehört? 221
In Tawadas Erzählung Bioscoop der Nacht begegnet die Ich-Erzählerin durchgehend
der sprachlichen Manipulation, rassistischen Segregation und Machtzusprechung des
Apartheid-Regimes. So auch der Sprachgebrauch: ,,SLEGS BLANKES” – (Nur für
Weiße) heißt die dominierende Parole und das politische Leitmotiv der Nasionale
Party Südafrikas. Doch in welcher Konsequenz ist diese sprachliche Ausgrenzung zu
verstehen? Was ist ein ,,weißer” Mensch? Darf sich die Ich-Erzählerin als Japanerin
auf eine Parkbank setzen, lautet die “ängstliche” textinterne Frage? In der Erzählung
folgt
daraufhin
eine
narrative
De-konstruktion
einzelner
Wörter.
Die
Übersetzungsversuche aus aus der englischen Sprache, misslingen zunächst. Die
Gaststudentin kann die Leere des ,,blank space” nicht mit Sinn füllen:
219
“Dutch university gives trans man new diploma”:
http://www.ebar.com/news/article.php?sec=news&article=5651, Stand 1.3.2012.
220
Siehe hierzu ebd. 47. Heinz Streib: Erzählte Zeit als Ermöglichung von Identität- Paul
Ricœurs Begriff der narrativen Identität und seine Implikationen für die religionspädagogische
Rede von Identität und Bildung, in: Georgi/Heimbrock (Hg.): Religion und die Gestaltung der Zeit
(pp.181-198), Kok Kampen/Weinheim 1994, S. 198.
221
Gerade die postkolonialen Kritiker wie Gayatri Chakravorty Spivaks stellen sich diese Frage
(School of Dar es Salaam): ,,Can the Subaltern Speak?” (1988). Im Erinnungsdikurs ist zu
fragen, welche Stimmen nicht zu hören sind.
74
,,...eine Lücke, noch unbeschrieben, frei. Kann jemand eine Hautfarbe haben,
die einem unbeschriebenen Blatt gleicht? 222
Auch die Ableitung der “Klangfarbe” des Wortes ,,BLANKES” ins Englische blacks,
die ,,Schwarzen”- hilft nicht weiter. Selbst der um Erklärung gebetene südafrikanische
Ordnungshüter ist um eine eindeutige, nachvollziehbare Antwort verlegen. Weiße seien
zum Beispiel Afrikaner. Hier tritt das “realistische Diktum” der Apartheid und ihrer der
sprachlichen Manipulation und Deutungshoheit zutage: 223 Der Machtanspruch wird
rhetorisch “verortet”, die historische wie unbefriedigende Rechtfertigung der
Kolonisation liefert der Vertreter der staatlichen Ordnung direkt mit:
,,Die Afrikaner sind ehemalige Holländer.”
,,Warum sind die Holländer Afrikaner geworden?”
,,Wenn sie sich selbst als Europäer bezeichnet hätten, hätten sie Afrika
verlassen und nach Europa zurückkehren müssen.”
,,Ah, ja.” 224
Die Beanspruchung des singulären Machtmonopols einer Ethnie wird in Tawadas Text
konsequent als sprachliches Zerrbild der gesamten Nation vorgeführt. Die
vermeintliche Singularität der Afrikaner wird durch die indirekte Präsenz weiterer
ethnischer Gruppen, ihrer “versteckten Geschichten” (hidden stories) konfrontiert.
Zunächst unterschwellig dann immer deutlicher zeigt sich im Dialog die versteckte
Diversität,
das
multi-ethnisches
Konglomerat:
neben
“Holland”
sind
die
Kolonialmächte England (englische Übersetzung) und Portugal (der Ordnungshüter),
die ursprüngliche “schwarze” Bevölkerung (,,blacks”) wie die durch den
Sklavenhandel entwurzelten, zumeist aus Indien verschleppten ,,Kapmalaien” im Text
vertreten. Tawadas Narrativ vermittelt ein in höchstem Maße heterogenes nationales
Kollekiv der Apartheids wie Post-Apartheids Nation.
Hannah Arendt verweist in ihrem politischen Essay Macht und Gewalt auf die
Wichtigkeit und Achtsamkeit in der Anwendung von Sprache. Machtstrukturen liegen
dort offen zutage, ,,wenn das Funktionieren des sozialen Lebens sofortige, fraglose
Anerkennung
von
Anordnungen
[der
Autorität]
erfordert.“ 225Semantischen
Schwierigkeiten von verwendeten Begriffen sind für sie dabei unausweichlich. Neue
222
Yoko Tawada: Überseezungen, S.74
Diesen Begriff übernehme ich aus: Karin Böke: Politische Leitvokablen in der Adenauer-Ära,
De Gruyter 1996, S. 49.
224
Yoko Tawada: Überseezungen, S.74.
225
Hannah Arendt: Macht und Gewalt, Büchergilde Gutenberg 2005, S.73.
223
75
Definitionen dagegenzustellen ist für Arendt allerdings keine Lösung, denn: ,,es
handelt sich nicht einfach um unachtsamen [politischen] Sprachgebrauch.”- des
staatlichen Diktats.226
,, Hinter der scheinbaren Konfusion steht eine theoretische Überzeugung, der
zufolge alle Unterscheidungen in der Tat von bestenfalls sekundärer
Bedeutung wären, die Überzeugung nämlich, dass es in der Politik immer nur
eine entscheidende Frage gäbe, die Frage: Wer herrscht über wen? Macht,
Stärke, Kraft, Autorität, Gewalt- all diese Worte bezeichnen nur die Mittel,
deren Menschen sich jeweils bedienen, um über andere zu herrschen, man
kann sie synonym gebrauchen, weil sie alle die gleiche Funktion haben. Erst
wenn man diese verhängnisvolle Reduktion des Politischen auf den
Herrschaftsbereich eliminiert, werden die ursprünglichen Gegebenheiten in
dem Bereich der menschlichen Angelegenheiten in der ihnen eigentümlichen
Vielfalt wieder sichtbar werden.“227
Arendt, die ihre essentielle Sprachskepsis und -kritik aus der Erfahrungen der
nationalsozialistischen Machtergreifung, dem Weltkrieg und Shoa entwickelt hat, führt
so die politische Funktionalisierung und ,,Umarmung”, von Worten und Begriffen
durch sprachmanipulierende, politische Systeme vor, die sie schlussendlich als eine
Machtfrage entlarvt. Der “Herrschaftsbereich” des politischen Apartheid-Systems wird
in Tawadas Text zwar dargestellt, der fiktive, literarische Raum entzieht dem
rassistischen Sprachdogma und der -logik aber jegliche Handlungsmacht. Deutlich
wird dies an der aller-menschlichsten ,,Angelegenheiten”(Arendt), der menschlichen
Notdurft. Tawada entkräftet die historische Segregation in ihrem Text an diesem
ironischen Beispiel. Wie genau dies kontextuell geschieht, wird im Folgenden
beschrieben:
Ein ,,mutiger” japanischer Schüler fragt sich: Was bedeutet es für die Notdurft der
Japaner, wenn der Toilettengang im Apartheidsregime getrennt zwischen zwei
Türen ,,Für die Weißen” und ,,Für die anderen außer Japaner” stattzufinden hat? 228
Wie er von seiner Lehrerin erfährt, war Japan ein wichtiger Handelspartner des
226
Hannah Arendt: Macht und Gewalt (aus dem englischen Origina übersetzt: On Violence,
Harcourt, Brace & World Inc, New York 1970), Büchergilde Gutenberg 2005, S.69f.
227
Hannah Arendt: Macht und Gewalt (aus dem englischen Origina übersetzt: On Violence,
Harcourt, Brace & World Inc, New York 1970), Büchergilde Gutenberg 2005, S.69f.
228
Yoko Tawada: Überseezungen, Konkursbuchverlag Claudia Gehrke 2002/2006, S.66.
76
Apartheid-Regimes und so wurden die Japaner kurzerhand zu ,,Weißen” erklärt. Im
Unterricht beschwert sich der Schüler daraufhin:
,,Ah, dann sind sie ja gar keine echten Rassisten. Sie denken nur an das
Geld” , sagte der Junge abschätzig. ,,Sonst hätten sie solche Kompromisse
abgelehnt, selbst wenn sie deshalb verhungert wären”.
229
Die kindliche Bildwahrnehmung, zunächst der direkte Bezug zum ,,greifbaren” und
visuell wahrnehmbaren Objektbezug mit der Welt, steht dem abstrakten politischen
Interpretationsniveau des Systems aus Sicht der Erwachsen gegenüber. Während die
Lehrerin die Doppelmoral der eigenen Regierung anklagt und zu mehr Ethos aufruft,
kritisiert der Sprössling die gerade gelernte und dennoch entbehrende Stringenz der
rassistischen Denkmodells, die fehlende “Logik” der Rassen-“politik”, ohne dabei
seine eigene Positionierung im Geschehen wahrzunehmen. Obwohl der Dialog indirekt
ein Scheitern der Kommunikation im aufklärerischen Klassenzimmers darstellt,
kommen der Schüler und der Lehrer, beide,
wenn auch auf unterschiedlichsten
Ebenen, im Dialog zur übereinstimmenden Schlussfolgerung: der De-konstruktion und
Ablehnung des rassistischen Denkens.
Wie bisher deutlich geworden ist, gelingt es Tawadas Erzählung Bioskoop der Nacht
mit Leichtigkeit mannigfaltige politische Diskurse sowie ästhetische Programme
miteinander zu vereinen. Im nächsten Schritt soll dargelegt werden, welche
Sonderfunktion
die
literarischen
Erzählungen
im
Erinnerungsprozess
der
Weltgemeinschaft explizit einnehmen können.
229
Yoko Tawada: Überseezungen, S.68.
77
7 Der Raum der Erinnerung
Geister sind ein wiederkehrendes Element in Yoko Tawadas Gesamtwerk. Für die
Autorin haben diese Erscheinungen der Urahnen eine wichtige Funktion in der
traditionellen wie modernen Literatur, so sind sie als Theaterfigur die Verkörperung
von Erinnerung verstorbener Personen. 230,
231
: ,,Anscheinend kann eine Erinnerung
über die Grenzen zwischen Menschen, Zeiten und Orten wandern. Sie ist kein
Privatbesitz, der im Gehirn eines Individuums eingesperrt ist.”
232
Das Auftreten von
Geistern hat hier eine ähnliche Bedeutung, wie die heutige Psychotherapie. Gerade die
Emotionen der Vergangenheit finden mit den Geistern in der Kunst ihren Raum. Das
Unaussprechliche, Schweigen über traumatische Vergangenheit kann auf diese Weise
erzählbar werden. Literatur bietet so eine Möglichkeit das Leid für die Nachwelt
erfahrbar zu machen. Auch für Aleida Assmann ist diese Funktion der Literatur und
des Geschichtenerzählens deutlich. Sie benennt
deshalb den
Philologen als
Komplizen des Archäologen in der Vergangenheitsbewältigung, denn: ,,beide heilen
an Monumenten und Texten die Wunden, die die Zeit geschlagen hat”. Der Leser
wird ,,zum Animator der Vergangenheit; seiner spirituellen Kraft, seinem
mnemonischen Charisma verdanken die Toten ihr Leben.” 233
Eine der Schlüsselszenen aus Bioskoop der Nacht stellt eine Geistererscheinung dar:
Die Sprachschüler lesen zunächst im Unterricht eine Legende, in dieser wird vom
Mord an einem Mädchen berichtet. Erst 100 Jahre nach der geisterhaften Erscheinung
können die Knochen gefunden und ihr Mord bewiesen werden. Der Verdächtige, ein
Landbesitzer, hatte sich damals mit seiner politischen Macht und seinem Einfluss von
der Schuldfrage befreien können. Dieses Geister-Mädchen, -,,ihr weißes Kleid war mit
230
Yoko Tawada: Theater der Toten, aus: Julia Genz, Mirjam Schneider/Sebastian Wogenstein
(Hg.): An Grenzen. Literarische Erkundungen,Wehrhahn Verlag, S.113.
231
Die plötzliche Präsenz der Verstorbenen erklärt Tawada dabei dem Freudschen
Wunderblock –Verständnis des Unterbeuwussten und der Überlagerung, Verdrängung von
Erlebten, in: Yoko Tawada: Theater der Toten, aus: Julia Genz, Mirjam Schneider/Sebastian
Wogenstein (Hg.): An Grenzen. Literarische Erkundungen, Wehrhahn Verlag, S. 110; vergleiche
hierzu Freuds Theorie der Wahrnehmunmg im Erinnerungsdiskur: ,,Schock als Versagen des
Bewußtsein”und Erdles Einordnung der Lesbarkeit von Spuren, die auf Tilgung von Lesbarkeit
hinweisen: Birgit R.Erdle: Das Trauma im gegenwaertigen Diskurs der Erinnerung, aus:
Gerhard Neumann/Siegried Weigel: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft in Lesbarkeit
der Kultur. Literaturwissenschaften zwischen Kulturtechnik und Ethnographie, Wilhelm Fink
Verlag, S.259-274, hier: S. 259;S.265ff.
232
Yoko Tawada: Theater der Toten, aus: Julia Genz, Mirjam Schneider/Sebastian Wogenstein
(Hg.): An Grenzen. Literarische Erkundungen,Wehrhahn Verlag, S. 114.
233
Aleida Assmann: Erinnerungsraeume. Formen und Wandlungen des kulturellen
Gedaechtnisses, C.H.Beck 1999, S.173.
78
Blut verschmiert.”234,- ist nicht das einzige benannte ,,Opfer” der Geschichte, aber das
einzige ,,Opfer”, dass eine Gestalt annimmt und von nun an unkontrolliert in der
Erzählung auftaucht:
,,Das ermordete Mädchen saß in unserem Klassenzimmer, es mischte sich ein,
obwohl es nicht zur Klasse gehörte. Immer wenn das Mädchen den Mund
aufmachte, sprachen wir alle falsch. Das Mädchen wollte uns von ihrer
Geschichte erzählen, von der Begegnung mit ihrem Mörder. Wir waren
verwirrt und bildeten hastig Sätze, die krumm, lückenhaft und durcheinander
waren.” 235
Die freien Konversationsversuche der Schüler, das ,,fröhliche[s] Lernen” und
die ,,anständige”, jedoch ,,meistens nichtssagende” Ordnung des Afrikaans, wird
durch die Anwesenheit des Mädchens gestört. Ihre Anwesenheit äußerst sich in
der ,,falschen Sprache” , das entstehende Chaos empfinden die Schüler allerdings
als ,,befriedigend”. 236
,,Vielleicht lag es daran, dass wir uns doch woanders befanden und von dort
aus die Sätze interlinear übertrugen, wir übersetzten von der nie gesprochenen
Sprache in eine nicht existierende, die nicht aufhört, von den Mordgeschichten
zu erzählen.” 237
Hervorzuheben ist an dieser Stelle besonders der Plural der ,,Mordgeschichten”. Die
Präsenz des Mädchens, ihrer literarische Transparenz im weißen Opfergewand steht
allegorisch für all die nicht erzählten Bluttaten, Morde. Für alle die Opfer, die keine
Gestalt, keine Form und Sprache annehmen können. Ihre Gestalt ist beinahe subjektlos
und bietet dem Leser deshalb
ein hohes Abstraktionsniveau. Die Situation im
Klassenzimmer entwirft eine extrem emotional geprägte Konstellation. Da ist das Leid
des Geistermädchens, dass selber von den ,,Geschichten erzählen” will über ihren
Mord, teilnehmen will,
aber zur Sprachlosigkeit verurteilt ist.
die ,,verwirrten” Schüler, die geleitet von den
238
Andererseits
,,unsichtbaren Adern” der
unausgesprochenen Sprache des Mordes wahrnehmen und beginnen ,,falsch” zu
sprechen.
239
Und nicht zuletzt die wütend schreiende Lehrerin, die versucht die
Sprachordnung wieder herzustellen.
234
Yoko Tawada: Überseezungen, Claudia Gehrke 2002, S.88.
Yoko Tawada: Überseezungen, S.90.
236
Yoko Tawada: Überseezungen, S.90.
237
Yoko Tawada: Überseezungen, S.90.
238
Yoko Tawada: Überseezungen, S.90.
239
Yoko Tawada: Überseezungen, S.90.
235
79
Wie die Autorin Yoko Tawada beklagt, gibt es ,,Im Bewusstsein des modernen
Subjektes [...] keinen Platz mehr für die Wiederkehr der Toten” . 240 Ihr Text, Literatur
generell, wird deshalb zu einem Exil-Ort in dem die ,,noch nie gesprochene Sprache”
der Vergangenheit und des Erinnerns Asyl findet. 241
Diese einmalige literarische Transparenz und Sichtbarkeit der weit zurückliegenden
Geschehnisse ermöglichen es dem Leser sich mit dem Trauma der vergangenen
Verbrechen auseinanderzusetzen.
.
240
241
Yoko Tawada: Überseezungen, S.90.
Yoko Tawada: Überseezungen, S.90.
80
8 Fazit und Ausblick
Wie aufgezeigt worden ist, stellt die Erzählung Bioskoop der Nacht ein eigenständiges
“kulturellen Spektakel” dar. Auf der Reise in das fremde Land Südafrika begibt sich
die Protagonistin auf die Suche nach ihrem sprachlichen Ich. Die sich entwickelnde
Geschichte entpuppt sich dabei schnell als ein Spiel mit der narrativen Identität (nach
Ricœur) der Protagonistin: ihre Existenz, am Rande der Welt, ist geprägt von der
beständigen Notwendigkeit der Übersetzung. Ist es jedoch die deutsche Sprache, ist es
die japanische “Brille”, oder gar die südafrikanische Verortung, welche die Bilder, ihre
Übersetzungen dominiert? Schlussendlich ist die Frage nicht eindeutig zu beantworten.
Der Film der Nacht, ,,Das perspektivische Sehen weiß, dass es die Dinge nicht
erreicht.”
242
Die Erzählung entzieht sich den traditionellen national-kulturellen
Zuschreibungen und wird so zum Sinnbild für die globale Dynamik der Gesellschaften.
Die Begegnung mit Südafrika steht in der Erzählung sinnbildlich für den fiktiven Ort
der Literatur.
Mit dem Wechsel vom Land zum Rand der Vorstellungen, im
“Schwellenland” der Projektionen angekommen, sind die Gesetzte von Zeit und Orte
scheinbar außer Kraft gesetzt, kann sich das universale Potential der Sprache entfalten.
Bioskoop der Nacht ist geprägt von einer eigenständigen Literatursprache, die sich
insbesondere durch das Sprach- und Formspiel literarischen Verfahren – und
im
Besonderen der filmische Darstellung- auszeichnet. Im Text entstehen durchgehend
flüchtige Neu-Ordnungen, Brüche und Überblendungen, denen der Leser folgen muss.
Auffällig ist, dass gerade dort, wo die ,,geschichtliche Realitäten” der südafrikanischen
Apartheid problematisiert werden, das ästhetische Spiel des Bioskoop der Nacht
einsetzt. An die Stelle des standardisierten Sprachdiktats des Regimes, rückt somit die
Universalsprache
der
Kunst.
Das
Werk
ist
geprägt
von
einer
hohen
Eigenreferenzitalität. Politischen Zuschreibungen und Begrenzungen stellt sich die
Textkultur als Ganzes entgegen.
Die Forschungsfrage lautete: Ist das Schreiben von Tawada wirklich nur ein “Spiel”
mit der Sprache oder birgt ihre Literatur politisches Potential und Gesellschaftskritik?
242
Monika Schmitz-Emans: Brechungen des Blicks im Wasser- oder: Ästhetische Darstellung
als Ver-Fremdung aus: Seetiefen und Seelentiefen. Literarische Spiegelungen innerer und
äußerer Fremde, Königshausen& Neumann 2003, S.342.
81
Wie mit den Untersuchungsergebnissen deutlich geworden ist, trennt Yoko Tawadas
Bioskoop der Nacht nicht zwischen ästhetischer Kommunikation und politischem
Denkdiskurs. Den rassistischen Normen der Apartheid werden literarische Kräfte
entgegengesetzt. Objektive geschichtliche Anerkennungen werden mit historischem
Bewusstsein ausgetauscht. Der Text jedoch verweist über seine eigene Existenz hinaus.
Künstlich wird der Leser in den Zustand der “kindlichen Wahrnehmung” des
Migranten versetzt. Die so ausgelöste Lektüre-Haltung ermöglicht es dem Leser in den
Zustand von kultureller Offenheit und Neugier einzutreten. In der Erzählung entdeckt
die
Protagonistin
so
beispielhaft
das
Code-Switching
als
eigenständige
Kommunikationsform sowie wird eine Geistererscheinung als kollektive Erinnerung
erfahrbar. Die einzige anerkannte “Einheit” im Text ist der Erzählvorgang an sich. Das
Erzählen jedoch ist keine statische, konformistische Norm. Wie in der Analyse der
narrativen Identität des Bioskoop der Nacht aufgezeigt wurde, geht die Lektüre mit
emotionalen, subjektivistischen Prozessen einher. Es geht darum sich immer wieder
neu mit der Welt identifizieren zu können. Politische Begriffe wie “Einsprachigkeit
“ und “Mehrsprachigkeit” sind auch deshalb schwer interlinear in die literarische Welt
zu übersetzten, da dort, wo Kommunikation einsetzt, diese immer universal angelegt
ist.
Jede
Förderung
von
Spracheinheiten
mit
dem
Ziel
von
gelungener
gesellschaftlicher Kommunikation ist in diesem Sinne auch ein Zwang, eine
standardisierte (kulturelle) Sprache zu sprechen zu müssen:
,,The differences of language remain, as they have always been, a strength as
well as a limitation. If we all came to speak a common language and shared a
single culture, we would lose what has been a fundamental source of human
innovation: the effort and the results of learning new languages and new
customs. “ 243
Innerhalb der Kunstgeschichte hat die Relation von Kunst und Wirklichkeit eine lange
kontroverse Tradition. Die angewandte Kulturwissenschaftlerin Anna-Lena Wenzel
sieht dabei in der Gegenwart eine deutliche Grenzverschiebung der vormalig
traditionellen Bipolarität, dem europäischen Denken über Ästhetik und Kunst, Politik
und Kunst gegeben.
243
Partick Manning: Migration in World History (Peter N. Stearns: series Themes in World
History), Routledge New York/London 2005, S. 181.
82
,,Viele Arbeiten verweigern sich einer klaren Aussage und damit auch einer
Verwendung für illustrative Zwecke. Es geht eher um die Vervielfältigung, das
In-der-Schwebe-halten oder die Verweigerung von Bedeutung als um deren
intentionale Bereitstellung. “ 244
Kunst, so die Autorin, bewege sich deshalb heute in einem neuartigen Grenzraum. Sie
skizziert ein generelles Umdenken des Verständnisses von (politischen) Kunstpraxen.
Eine Ausweitung des Politischen sei notwendig, um weg vom Visuellen und
Sichtbaren, hin zur Möglichkeit der Wahrnehmung des Nicht-sichtbare und Uneindeutigen zu kommen:
,,Als politisch gelten nicht länger nur solche Praxen, die reale Veränderung im
sozialen und politischen Bereich anstossen, sondern verschieden Aufteilungen
des Sinnlichen miteinander konfrontieren und durch temporäre Interventionen
in Spannung versetzten.” 245
In der Folge wird “politische” Kunst zu “politisierter” Kunst. Diese stellt sich nicht in
den Dienst sozialer Veränderungen, dagegen gilt:
,,Schon die Auflösung von Konfrontationen und Irritationen setzt Prozesse in
Gang und führt zu Bewusstseinsveränderungen- nicht primär und im Sinne
einer Optimierung und Verbesserung, sondern im Sinne einer Anregung zu
kritischem und unabhängigem Denken und Handeln..” 246
Auch für Geschichtswissenschaftler fordert inzwischen: Die Wahrnehmung und
emotionale Anteilnahme an den historischen, globalen Umständen und ihren
Dynamiken ist von größter Wichtigkeit. ,,Das wir das Exemplarische entdecken- und
dann davon so spannend erzählen dass die Menschen merken: Dies geht uns an. “.
247
,
denn ,,Einzelschicksale sind schlussendlich so wenig fassbar wie das kollektive
Gedächtnis eines Jahrhunderts. “ 248 Literarische Modelle wie die AutoBioFikton,
Exophonie oder narrative Identität vermitteln das Wissen der notwendigen geistigen
Dialektik. Mit der Lektüre, der Welterfahrung begegnet das Innen dem Außen, das
244
Anna-Lena Wenzel: Grenzüberschreitungen in der Ggenwartskunst.
Ästhetische und philosophische Positionen, transcript Bielefed 2011, S. 271.
245
Anna-Lena Wenzel: Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst.
Ästhetische und philosophische Positionen, transcript Bielefed 2011, S. 273.
246
Anna-Lena Wenzel: Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst.
Ästhetische und philosophische Positionen, transcript Bielefed 2011, S. 273.
247
Christian Graf von Krockow: Die Zukunft der Geschichte. Ein Vermächnis, Ullstein Heyne List
2002, S. 152ff.
248
Aleida Assmann: Erinnerungsraeume. Formen und Wandlungen des kulturellen
Gedaechtnisses, C.H.Beck 1999.
83
Eigenen dem Fremden und der Leser dem Text. Die Kommunikationserfahrungen, die
Literatur vermittelt sind unendlich.
Es ist wohl kein Zufall, dass der Einband der Überseezungen mit einem Frauenkörper
geschmückt ist. Ihre Gestalt wartet, die Hand zum Ohr geformt, auf das Echo des
nächsten Lesers. Es lohnt sich.
Bild 8
84
9 Bibliographie
Quellennachweise der Fachliteratur:
Primärliteratur:
• Tawada, Yoko.Bioskoop der Nacht, in; Überseezungen, Claudia Gehrke Verlag Tübingen (2002) 2006.
• Tawada, Yoko. ,,Eigentlich darf man es niemandem sagen, aber Europa gibt es nicht” in :Yoko
Tawada: Talsiman, KonkursbuchverlagClaudia Gehrke 7.Auflage 2011.
Sekundärliteratur – Einzelnachweise:
• Adelson, Leslie A. Against Between- Ein Manifest gegen das Dazwischen, in: Literatur und Migration,
Sonderausgabe Text+Kritik, Richard Booberg Verlag München 2006, S. 36-46.
• Albrecht, Terry. Erzählerische und sprachliche Nähe, Bilder interkultureller Erfahrungen in den Texten
von Terézia Mora und Yoko Tawada, in: Eke, Norbert/Helfer, Martha B./Knapp, Gerhard P./Labroisse,
Gerd (Hg.): Von nationaler zur internationalen Literatur. Transkulturelle deutschsprachige Literatur und
Kultur im Zeitalter der globaler Migration, aus:Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik 2009,
S.263-274
• Anderson, Susan C.. Surface Translations: Meaning and Difference, in Yoko Tawada’s German Prose,
seminar 46:1 (February 2010), S.50-67.
• Arendt, Hannah. Macht und Gewalt (aus dem englischen Origina übersetzt: On Violence, Harcourt,
Brace & World Inc, New York 1970), Büchergilde Gutenberg 2005.
• Arndt, Susan / Naguschewski, Dirk / Stockhammer, Robert (Hg.). Exophonie. Anders-Sprachigkeit (in)
der Literatur, in: LiteraturForschung Bd. 3, Kulturverlag Kadmos, Berlin, 2007.
• Assmann, Aleida: Erinnerungsraeume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedaechtnisses,
C.H.Beck 1999.
• Barthes, Roland. Das Reich der Zeichen, Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag 1981.
• Bäumer, Petra. Ein Gespräch über unseren Nachbarn Niederlande, in: Fluter. Magazin der
Bundeszentrale für politische Bildung. 3.10.2011:
http://www.fluter.de/de/niederlande/thema/9714/?tpl=1260, Stand 10.10.2011.
• Bay Hansjörg. Wo das Schreiben anfängt. Yoko Tawadas Poetik der Migration, aus: Text+ Kritik.
Sonderband: Literatur und Migration, Band XI, 06, S. 109-119.
• Belting, Hans / Haustein, Lydia (Hg.). Das Erbe der Bilder. Kunst und moderne Medien in den Kulturen
der Welt, C.H. Beck. München 1998.
• Berns, Jörg Jochen. Film vor dem Film. Bewegende und bewegliche Bilder als Mittel der
Imaginationssteuerung in Mittelalter und Früher Neuzeit, Jonas Verlag, Marburg 2000.
• Böke, Karin. Politische Leitvokablen in der Adenauer-Ära, De Gruyter 1996.
• Brandt, Bettina. Ein Wort, ein Ort, or How words Create Places: Interview with Yoko Tawada, in:
Women in German Yearbook 21, 2005.
• Brandt, Bettina. The postcommunist eye. An interview with Yoko Tawada, in: World Literature Today,
January-february 2006, S. 43-45.
• Brandt, Bettina. Schnitt durchs Auge. Surrealistische Bilder bei Yoko Tawada, Emine Sevgi Oezdamar
und Herta Mueller , aus: Text und Kritik. Sonderband Literatur und Migration, iX 2006, S.74-83.
• Bremer, Ulrike (Hessischer Rundfunk). Jean Claude Trichet- Au revoir, Mister Euro!,
Erstausstrahlungstermin: So, 23. Okt 2011, 16:34 ARTE.
• Bruner, Jerome S.. Vergangenheit und Gegenwart als narrative Konstruktionen. Was ist gewonnen und
was verloren, wenn Menschen auf narrative Weise Sinn bilden? , aus: Straub, Jürgen (Hg.): Erzählung,
Identität und historisches Bewußtsein - Die psychologische Konstruktion von Zeit und Geschichte.
Erinnerung, Geschichte, Identität 1, Suhrkamp 1998. S.46-80.
85
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Calteaux, Karen. I am…I said…Language planning for identity in post-colonial South Africa, aus:
Language and Identities in a Postcolony, in: Schriften zur Afrikanistik Band 10, Europaeischer Verlag
der Wissenschaft 2005.
Curtis, Robert. Synästhesie und Immersion. Räumliche Effekte der Bewegung, In: Robin Curtis Gertrud
Koch (Hrsg.): Synästhesie-Effekte. Zur Intermodalität der ästhetischen Wahrnehmung. Paderborn
Wilhelm Fink Verlag 2010, S. 131-150.
de Reijger, Hajo. next zuid Afrikaans. publiziert in NRC next, opinie, Do.28.April 2011, Seite 16/17,
hier digitale Version: http://www.studiohajo.nl, Stand: 24.Oktober 2011.
Ebeling, Knut / Guenzel, Stephan. Archivilogie. Theorien des Archivs in Wissenschaft, Medien und
Künsten, Kaleidogramme Band 30, Kulturverlag Kadmos Berlin 2009.
Ellis, Toshiko. Literary culture. Text and context: literature in the age of transition, in: The Cambridge
Companion to Modern Japanese Culture. Ed. Yoshio Sugimoto. Cambridge University Press, 2009.
Cambridge Collections Online. Cambridge University Press. 04 November 2011
DOI:10.1017/CCOL9780521880473.012, Stand 1.11.2011.
Förster, Nikolaus. Die Wiederkehr des Erzählens. Deutsche Prosa der 80er und 90er Jahre,
Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1999.
Fraas, Claudia. Begriffe- Konzepte- kulturelles Gedächtnis. Ansätze zur Beschreibung von
Wissenssystemen, In Schlosser, H.D. (Hg.): Sprache und Kultur, Frankfurt. S.31-45.
Godard, Jean-Luc im Interview mit Katja Nicodemus. ,,Es kommt mir obzön vor“. Warum Jean-Luc
Godard den Technikwahn des Kapitalismus für unanständig hält. Ein Gespräch über Geld, Europa,
seinen Hund und sein neues Werk »Film Socialisme«, in: ZEIT, Feuilleton, Literatur, 86 Seiten
Literaturbeilage zur Frankfurter Buchmesse, 6.Oktober 2011, Zeit Nr.41, S. 51f.
Graf von Krockow, Christian. Die Zukunft der Geschichte. Ein Vermächnis, Ullstein Heyne List 2002.
Hagener, Malte. Wohin gehen, wohin sehen? Raum und multiple Bildschirme in der begehbaren
Mehrkanalinstallation. In: Robin Curtis Gertrud Koch (Hrsg.): Synästhesie-Effekte. Zur Intermodalität
der ästhetischen Wahrnehmung. Paderborn Wilhelm Fink Verlag 2010, S.151-170.
Harding: Frances. The performance arts in Africa. A reader, Routledge London/New York 2002.
Hardtwig, Wolfgang. Fiktive Zeitgeschichte? Literarische Erzählung, Geschichtswissenschaft und
Erinnerungskultur in Deutschland, aus: Konrad H.Jarausch/Martin Sabrow (Hg.): Verletztes Gedächtnis.
Erinnerungskultur und Zeitgeschichte im Konflikt, Campus Verlag Frankfurt/New York 2002.
Hirsch, Marianne. The generation of postmemory. Writing and Visual Culture After the Holocaust.
Columbia University Press 2012.
Horstmann, Anja. Film als Archivmedium und Medium des Archivs, aus: Anja Horstmann/Vanina Kopp
(Hg.): Archiv- Macht- Wissen. Organisation und Konstruktion von Wissen und Wirklichkeit in
Archiven, Campus Verlag Frankfurt/New York 2010.
Kermani, Navid. Neue Westfälische Zeitung, Kultur/ Medien Nr. 196, 24.August 2011.
Kersting, Ruth. Fremdes Schreiben.Yoko Tawada, aus: Heinz Kosok/Heinz Rölleke/Michael Scheffel
(Hg): Schriftreihe Literaturwissenschaft Band 74, Wissenschaftlicher Verlag Trier 2006.
Kleinschmidt, Harald. Migration und Reisen in der frühen Neuzeit. Menschen in Bewegung. Inhalte und
Ziele historischer Migrationsforschung, Vandenhoeck&Ruprecht Göttingen 2002.
Kraus, Rosalind. A voyage on the North Sea. Art in the Age of the Post-Medium Condition, London
1999.
Kränzle, Christina. The limits of travel: Yoko Tawada´s fictional travelogues,in: German Life and letters
61:2 April 2008, 0016-8777 (print); 1468-0483 (online), S.244-260.
Kröncke, Meike. Exponierte Sichtbarkeit, Bildstrategien in der visuellen Kultur, In: Meike
Kröncke/Kerstin Mey/Yvonne Spielmann (Hg.): Kultureller Umbau. Räöume, Identitäten, und
Re/Präsentationen, Transcript Kultur und Medientheorie 2007, S. 139-159.
Leggewie, Claus. Der Kampf um die europäische Erinnerung. Ein Schlachtfeld wird besichtigt,
Becksche Reihe München 2011.
86
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Leerssen, Joep. Nationaal denken in Europa. Een culturrhistorische schets, Amsterdam University Press
1999.
Manning, Patrick. Migration in World History, Routledge Chapman & Hall 2005.
Martens, Matthias. Implizites Wissen und kompetentes Handeln: Die empirische Rekonstruktion von
Kompetenzen historischen Verstehens im Umgang mit der Darstellung von Geschichte, Beihefte zur
Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 1, V&R unipress Göttingen 2010 .
Mattern, Jens. Ricœur zur Einführung, Menschliche Zeit-erzählte Zeit, Junius Verlag Hamburg 1996,
S.151-182.
McCormick, Kay. Language in Cape Town’s District Six, Oxford University Press 2002.
Mestrhie, Rajend (Hg.): Language in South Africa, Cambridge Univsertiy Press 2002.
Moser, Christian. Autoethnographisches Schreiben als Übung im Sich-selbst-Fremdwerden, in: Christian
Moser/Jürgen Nelles (Hg.): AutoBioFiktion. Konstruierte Identitäten in Kunst, Literatur und
Philosophie, Aistesis Verlag, Bielefeld 2006. S. 107-143.
Mueller, Marcus. Die sprachliche Konstituierung einer ,deutschen Kunstgeschichte´ aus
diskursanalytischer Sicht, In: Christa Duerscheid/Andreas Gardt/Oskar Reichmann/Stefan Sonderegger
(Hg.): Studia Linguistica Germanica Band 90, De Gruyter Berlin/New York 2007.
Nef, Ernst: Der Zufall in der Erzählkunst, A. Francke Verlag, Bern 1976.
Neumann, Gerhard / Weigel, Siegried. Einleitung.Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, in:
Neumann, Gerhard / Weigel, Siegried (Hg.): Lesbarkeit der Kultur. Literaturwissenschaften zwischen
Kulturtechnik und Ethnographie, Wilhelm Fink Verlag, S.259-274.
Niedrig, Heike. Sprache –Macht-Kultur. Multilinguale Erziehung im Post-Apartheid-Südafrika,
Waxmann New York/München/Berlin 2000.
Nitsche, Jessica. Konstruktionen von Afrika in visueller Populärkultur, Fotografie und Gegenwartskunst,
aus: Michael Hofmann/Rita Morrien (Hg.): Deutsch-afrikanische Diskurse in Geschichte und
Gegenwart. Literatur- und kulturwissenschaftliche Perspektive, in: Amsterdamer Beiträge zur neueren
Geschichte. Band 80, Rodopi 2011, S.227-251.
Obermayr, Birgit. Erfahrungen der Leere. Der Status der Leerstelle in der aethetischen Text-Erfahrung,
in: Gert Mattenklott (Hg.): Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste.
Epistemische, aesthetische und religioese Formen von Erfahrung im Vergleich, Meiner 2004, S. 137154.
Patell, Cyrus R.K.. Emergent literatures, in: From Marignal to Emergent. Prose Writing 1940-1990.
Sacvan Bercovitch (Hg.), Cambridge University Press 1999, hier: Cambridge Histories Online,
Cambridge University Press, 26.Juni 2012. DOI: 10.1017/CHOL9780521497329.029.
Perloff, Marjorie. Language in migration: multilingualism and exophonic writing in the new poetics,in:
Textual Practice, 24:4,725-748.
Ricœur, Paul. Zufall und Vernunft in der Geschichte.Erweiterter Fassung des Textes Kontingenz und
Rationalität in der Erzählung im Rahmen der öffentlichen Veranstaltung des Institut Culturel FrancoAllemand am 14.5.1985 in Tübingen), Konkursbuchverlag Tübingen 1986.
Römer, Inga. Die Refiguration der Zeiterfahrung durch die Erzählung, aus: Das Zeitdenken bei Husserl,
Heidegger und Ricœur, Phaenomenologica Breda/Husserl Archive Band 196, Springer Verlag 2010,
S.290-324.
Rösch, Heidi. Migrationsliteratur im interkulturellen Diskurs, Vortrag zur Tagung ,,Wanderer Auswanderer - Flüchtlinge“ (1998) an der TU Dresden (1998):, S. 2, digitale Version:
www.fulbright.de/fileadmin/files/.../Roesch_Migrationsliteratur.pdf, Stand 24.Oktober 2011.
Roberge:,P.T. Afrikaans considering origins, aus Rajend Mesthrie (Hg.): Language in South Africa,
Cambridge 2002
Schönfeld, Christiane / Rasche, Hermann (Hg.). Processes of Transposition. German Literature and
Film, In: Amsterdammer Beiträge zur neuern Germanistik, Editions Rodopi 2007S. 11-25.
87
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Schmitz-Emans, Monika. Brechungen des Blicks im Wasser- oder: Ästhetische Darstellung als VerFremdung, aus: Seetiefen und Seelentiefen. Literarische Spiegelungen innerer und äußerer Fremde,
Königshausen& Neumann 2003.
Schmitz, Helmut. Einleitung: Von der nationalen zur internationalen Literatur, In: Von der nationalen
zur internationalen Literatur. Transkulturelle deutschsprachige Literatur und Kultur im Zeitalter globaler
Migration, Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, Band 69, Helmut Schmitz (Hg.) Rodopi,
S.7-15.
Schönfeld, Christiane / Rasche, Hermann (Hg.). Processes of Transposition. German Literature and
Film. In: Amsterdammer Beiträge zur neuern Germanistik, Editions Rodopi 2007S. 11-25.
Seel, Martin. Gestaltlose Wirklichkeit, Ästhetik des Erscheinens, München ua. 2003.
Simon, Josef. Europa als philosophische Idee, in: Wolfgang Stegmaier (Hg.): Europa-Philosophie, De
Gruyter 2000.
Slabbert, Sarah / Finlayson, Rosalie. Introduction: Language and Identity, aus: Language and Identities
in a Postcolony, in: Schriften zur Afrikanistik Band 10, Europaeischer Verlag der Wissenschaft 2005.
Slabbert, Sarah/ Finlayson,Rosalie. Language and Identities in a Postcolony, in: Schriften zur
Afrikanistik Band 10, Europaeischer Verlag der Wissenschaft 2005.
Sprenger, Mirjam. Modernes Erzählen. Metafiktion im deutschsprachigen Roamn der Gegenwart,
Verlag J.B. Metzler 1999.
Straub, Juergen. Telling Story, Making History. Toward a Narrative Psychology of the Historical
Construction of Meaning, in: Juergen Straub (Hg.): Narration, Identity, and Historical Conciousness.,
aus: Jörn Rüsen/ Alon Confino/Allan D. Megill (Hg.), Volume 3, Making Sense of History Studies in
Historical Cultures, Berghan Books, S. 44-98.
Streib, Heinz. Erzählte Zeit als Ermöglichung von Identität- Paul Ricœurs Begriff der narrativen
Identität und seine Implikationen für die religionspädagogische Rede von Identität und Bildung, in:
Georgi/Heimbrock (Hg.): Religion und die Gestaltung der Zeit, Kok Kampen/Weinheim 1994. S.181198.
Tawada.Yoko: De Berghollander, Übersetzung ins Niederländische und Edition: (Hg): Bettina Brandt
und Désirée Schyns, Stichting Voetnoot Amsterdam 2010.
Tawada, Yoko. Ein Interview der Heinrich Böll Stiftung, Februar 2009: http://www.migrationboell.de/web/integration/47_2015.asp, Stand. 1.9.2011.
Tawada, Yoko: Spielzeug und Sprachmagie. Eine ethnologische Poetologie, Konkursbuchverlag Claudia
Gehrke 2000.
Tawada, Yoko. Theater der Toten, aus: Julia Genz, Mirjam Schneider/Sebastian Wogenstein (Hg.): An
Grenzen. Literarische Erkundungen,Wehrhahn Verlag2007, S.110-119.
Ueberlings, Herbert. Interkulturelle Germanistik/Postkoloniale Studien in der Neueren deutschen
Literaturwissenschaft. Ene Zwischenbilanz zum Grad der Etablierung, in: Zeitschrift für interkulturelle
Germanistik 2, 20011, S. 27-37.
Weigel, Siegried. Von der zweifachen Fremdheit der Sprache, in: Siegried Weigel: Die Lektüre, die an
die Stelle der Übersetzung tritt. Benjamins psyschoanalytische Reformulierung seiner Therie der
Sprachmagie, S. 236-252.
Weigel, Siegrid. Zum Phantasma der Lesbarkeit. Heines »Florentinische Nächte« als Urszene eines
kulturwissenschaftlichen Theorems,. aus: Naumann/Weigel: Die Lesbarkeit der Kultur. S. 245-258.
Wenzel, Anna-Lena. Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst. Ästhetische und philosophische
Positionen. transcript Bielefed 2011.
Wenzel, Horst: Der Leser als ,Augenzeuge’. Kinaesthetische und kinematographische Wahrnehmung,
in: Wenzel, Horst: :Spiegelungen. Zur Kultur der Visualitaet im Mittelalter aus: Juergen
Schewe/Hartmut Steinecke/Horst Wenzel (Hg.): Philologische Studien und Quellen (Heft 216). Erich
Schmidt Verlag Berli 2009, S.165-189.
88
•
•
•
•
•
•
Wiehl, Reiner. Kultur und Vergessen, aus: Jan Assmann/Tonio Hölscher: Kultur und Gedächtnis,
Suhrkamp Frankfurt am Main 1988.
Wright, Chatal. Exophony and literary translation. What it means for the translator when a writer
adopts a new language. Target 22:1, S.22-39. DOI 10.1075/Target.22.1.03wri, Stand 1.3.2012.
Yildiz, Yasmin. Beyond the mother tongue. The postmonolingual condition, Fordham University Press,
New York 2012.
Yildiz,Yasemin. In the Postmonolingual Condition. Karin Sander´s Wordsearch and Yoko Tawada´s
Wordplay. In: Transit 7 (1)). Department of German, UCB, UC Berkeley, S.1-15, Permalink:
http://www.escholarship.org/uc/item/3pz8z0z1. , Stand 1.3.2012.
Zierau, Cornelia. Wenn Wörter auf Wanderschaft gehen…Aspekte kultureller, nationaler und
geschlechtsspezifischer Differenzen in der deutschsprachigen Migrationsliteratur, Stauffenburg
Discussion, Studien zur Inter-und Multikultur (Band 27= Elisabeth Bronfen/Michael Kessler u.a. (Hg.)
2009.
Zhao, Jin. Kulturalität als Textualitätsmerkmal, In: Muttersprache, Vol. 121, Nr. 1, 2011,S. 49-60.
Sekundärliteratur – Nachschlagewerke:
• Die Afrikaanse Woordenboek, Die Staatsdrukkerij 5te deel, J-K Pretoria, 1968.
• Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Sechste überarbeitete Auflage,
Verlag J.B. Metzler 2001.
• Deutsche Satzstruktur. Grundlagen der syntaktischen Analyse, Wöllstein-Leisten, Angelika / Hielmann,
Axel / Stepan, Peter / Sten Vikner (Hg.): Stauffenberg Einführungen Band 3 2006.
• Deutsche Sprache gestern und heute, Astrid Stedje. 5.Auflage, W.Fink München 2001.
• Duden Band 5, Das Fremdwörterbuch, 7., neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Dudenverlag:
Bibliographisches Institut & F.A.Brockhaus Mannheim,Leipzig, Wien, Zürich 2001.
• Einführung in die Ästhetik, Annemarie Gethmann-Siefert,. München 1995.
• Einführung in die Kulturwissenschaft. Grundbegriffe, Themen, Fragestellungen, Aleida Assmann, aus:
Ahrens/Bald/Schneider (Hg.): Grundlagen der Anglistik und Amerikanistik Band 27, Erich Schmidt
Verlag Berlin 2006.
• Groot Woordenboek. Afrikaans en Nederlands, Willy Martin & et al. (Hg.), Prisma Amsterdam 2011
• Historisches Woerterbuch der Philosophie. Joachim Ritter / Karfired Grunder (Hg.). Band 1, Se-Sp,
Schwabe&Co. Verlag Basel 1995.
• Metzler Lexikon der deutsch-juedischen Literatur, Andreas B. Kilcher (Hg.): Verlag J.B. Metzler
Stuttgart 2000, hier: Einleitung, S. VII.
• Munzinger Online. KLG - Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur,
URL: http://www.munzinger.de/document/16000000559, Stand. 1.3.2012.
• Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubarbeitung des Reallexikons der deutschen
Literaturgeschichte, Klaus Weimar : (Hg.), Band I (A-G), Walter de Gruyter Berlin/New York 1997.
Bildnachweise:
Titelbild:
Hajo de Reijger: next zuid Afrikaans, publiziert in NRC next, opinie, Do.28.April 2011, Seite 16/17, hier
digitale Version: http://www.studiohajo.nl, Stand: 24.Oktober 2011,
http://24.media.tumblr.com/tumblr_lm5g69LB0Q1qzw5wjo1_500.jpg, Stand: 24.Oktober 2011.
Bild 2:
Zürn, Unica: „Orakel und Spektakel“Digitales Foto:
http://fivebranchtree.blogspot.com/2010/04/drawing-by-unica-zurn.html, Stand 1.10.2011.
Bild 3:
Anonym: Titel: Nosce te ipsum/- Die Welt unter der Narrenkappe,:Hic est mundi punctus et materia gloriae
mostrae- Der Blick auf die Landschaft als Kompliment kartograpahischer Eroberung. (ca. 1590), Nürnberg,
89
Germanisches Museum. Gefunden in: Henry Keazor: »Charting the autobiographical, selfregarding
subject«? Theodor de Brys Selbstbildnis aus: Berichten, Erzählen, Beherrschen : Wahrnehmung und
Repräsentation in der frühen Kolonialgeschichte Europas, Zeitsprünge Bd. 7 (2003), H. 2/3 1431-7451, S.
425.
Digitaler Bildnachweis: Tanja Michalsky: „Geographie - das Auge der Geschichte. Historische Reflexionen
über die Macht der Karten im 16. Jahrhundert.“ In Die Macht der Karten oder: was man mit Karten machen
kann, hg. v. Freundeskreis der Prof. Dr. Frithjof Voss Stiftung und Georg-Eckert-Institut. Eckert.Dossiers 2
(2009). http://www.edumeres.net/urn/urn:nbn:de:0220-2009-0002-091
und
http://www.edumeres.net/publikationen/details/d/die-macht-der-karten-oder-was-man-mit-karten-machenkann/p/geographie-das-auge-der-geschichte-historische-reflexionen-ueber-die-macht-der-karten-im-16jahr.html, Stand: 10.Oktober 2011.
Bild 4: Unica Zuern, Ohne Titel, 1965, Zeichnung in ost-indischer Tinte, 49,8x64,2cm in: Unica Zuern,
Bilder 1953-1970 (Berlin, 1998), ill. Cxxxvi. Copyright: Verlag Brinkmann&Bose Berlin.
Bild 5:
Nachbildung, Schokoladenmuseum Köln, Quelle; anonym.
Bild 6: Sabine Scholl. mitsprache unterwegs.de, vom 22.12.2009 22.12. Puerto de Santiago/Keisd (Saschiz) |
Kirchen Ghettos Paranoia, in: in|ad|ae|qu|at. Gefunden unter: http://www.zintzen.org/2010/01/04/sabinescholl-22-12-puerto-de-santiagokeisd-saschiz-kirchen-ghettos-paranoia. Stand 29.6.2012.
Bild 7: http://www.kapstadt.org/kapstadtreiseangebote/suedafrika-jugendreisen/suedafrika-san-geschichte.
Quelle: http://www.kapstadt.org/links/bilder-picture/buschmann-san/san-geschichte/suedafrika-san-1k.jpg,
Stand 29.6.2012.
Bild 8: Quelle: anonym Internet.
Bild 9: Yoko Tawada. Überseezungen. Umschlag und Typografie: FAGOTT, Ffm 2006, hier
www.amazon.de, Stand 1.8.2012.
90

Documentos relacionados