Bioscoop der nacht - UvA-DARE
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Bioscoop der nacht - UvA-DARE
Das andere Kap: Zwischen Sprachschule und Kulturkritik Yoko Tawadas Erzählung Bioskoop der Nacht Swantje Hanke Scriptie: MA Duitse Taal&Cultuur Studentnr. 0162329 Universiteit van Amsterdam Faculteit der Geesteswetenschappen Departement Taal en Letterkunde Eerste lezer: ass. Prof. Dr. Elke Huwiler Tweede lezer: ass. Prof. Dr. Carla Dauven-van Knippenberg tentamen: 27. augustus 2012 Inhaltsangabe 1 Einleitung.Von der Macht der Sprache.Zwei Fallbeispiele und ein Roman -2 2.1 Eingrenzung des Themas und Untersuchungsfrage -11 2.2 Die theoretischen Prämissen -13 2.3 Ein Roman und seine Sprache – Überseezungen- 15 3 Die Sprachen Südafrikas –Von Sprachstreit bis Versöhnung 4 Die Sprache der Literaturwissenschaft. -Eine Migrationsgeschichte -24 5.1 Von Sprachwahl zu Mehrsprachigkeit -33 5.2 Mehrsprachigkeit - Standartsprache versus Literatur-Sprache --42 5.3.1 Bioskoop der Nacht. -Das erzählte Bilderpuzzle - 47 5.3.2 Die Visualität der Struktur -49 6.1 Südafrika im Bilde -59 6.2 Von Sprach-Bildern zu kulturellen Diskursen -67 7 Der Raum der Erinnerung -78 8 Fazit und Ausblick -81 9 Bibliographie -85 - 16 Language is a virus. And it gives us the integrity of ideas. - Christopher Doyle 1, 2 1 Einleitung: Von der Macht der Sprache. Zwei Fallbeispiele und ein Roman. Beispiel 1: Wenn der Präsident der Europäischen Zentralbank sich in der Öffentlichkeit äußert, folgt die Reaktion der Finanzmärkte prompt. Bis ins kleinste Detail analysieren und interpretieren Wirtschaftsexperten seine Auftritte. Selbst ein um wenige Stunden früher umgebuchter Flug nach Griechenland kann dann als Zeichen der Kommunikation gedeutet werden und -wie erst im April 2011 geschehen- fallende Kurse auf den globalen Börsenmärkten verursachen. Dieser universalen Verantwortung seiner Person als Mister Euro, wie Jean-Claude Trichet in seiner Funktion von einigen Journalisten genannt wurde, ist er sich dabei durchaus bewußt. Fehlinterpretationen seiner Sprache, des Handelns bedeuten im Zweifelsfall nicht nur in der Eurozone, sondern weltweit Verluste in Milliardenhöhe. Die Lektüre des Mister Euro nehmen dabei keine Literaturwissenschaftler vor, sondern gestandene Finanzexperten und Wirtschafts-Journalisten. Ein kleiner Einblick in den Arbeitsalltag und über die Privatperson Jean Claude Trichet, wurde nun der Regisseurin Ulrike Bremer des Hessischen Rundfunks (HR) gewährt. 3 Trichet versuche Missverständnisse zu vermeiden, so erklärte er sich im Film, doch eine vollkommende Steuerung der sprachlichen Situation sei ein Unterfangen der Unmöglichkeit. Auf welcher Bühne und wie und was er sagt, wird von ihm und seinem Stab -soweit es geht- gesteuert. Noch kurz vor Ende seiner Amtszeit agierte der sonst als ruhig und kontrolliert beschriebene Präsident verbal-drängend auf die Regierungschefs der Europäischen Union ein: We are facing the most difficult situation since the Second World War - perhaps even since the First World War. und ‘A ‘Quantum Leap’ in Governance of the Euro Zone is needed’. 4 Wie in ihrer Dokumentation berichtet wird, wandte sich Trichet dabei während seiner Amtszeit durchaus auch traditionellen Kommunikationswegen zu: seitenlang handgeschriebene Briefe erreichten im Laufe der Jahre das ein oder andere europäische Staatsoberhaupt. Gerade bei brisanten Themen, so suggeriert einer seiner Freunde in der Dokumentation des HR, nutzte er mit persönlichen Briefen leisere Töne 1 Titelbild: Hajo de Reijger: next zuid Afrikaans, NRC next 28.April 2011, hier digitale Version: http://www.studiohajo.nl, Stand: 24.Oktober 2011. 2 Christopher Doyle (Kameramann), während eines Interview im Filmmuseum Eye (Amsterdam) anlässlich des Films “In the mood for love/ huā yàng nián huá” (2000), 26.September 2011. 3 Ulrike Bremer (Hessischer Rundfunk): Jean Claude Trichet- Au revoir, Mister Euro!, Erstausstrahlungstermin: So, 23. Okt 2011, 16:34 ARTE. 4 Interview Spiegel, 15.Mai 2011: http://www.spiegel.de/international/europe/0,1518,druck694960,00.html, Stand 27.10.2011. 2 der Kommunikation, um außerhalb der medialen Öffentlichkeit und mit Fingerspitzengefühl zu agieren. Dieses Beispiel zeigt zweierlei: Zum einen wird die Bandbreite, Wahl wie Wirkung der Kommunikationsmittel sichtbar. Sprachsysteme sind sehr divers und variieren je nach Kontext und Rezeption. Zum anderen zeigt die Bezeichnung des ehemaligen obersten Euro-Hüters Trichet als Mister Euro, wie mithilfe eines einfachen sprachlichen Mittels, der Personifikation, Einheit und Identität suggeriert werden kann. Die schwierigen und langwierigen Verhandlungen der Euro-Währungsgemeinschaft, beziehungsweise der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) um den Euro- Rettungsschirm, Euro-Bonds zur Behebung der Euro-Krise und generellen Stabilisierung des europäischen Finanz – und Wirtschaftsraumes bezeugen, wie heterogen die Währungsverantwortung in der politischen Realität im Gegensatz zum vorliegenden Narrativ tatsächlich verteilt ist. Repräsentative Demokratie-Prozesse haben viele Gesichter, sie sind von Natur aus polyphon, eines davon ist auch das diplomatische des Währungsinstitutes. Beispiel 2: Es ist kein Märchen, aber vor gar nicht so langer Zeit sorgte Máxima, Prinzessin der Niederlande, mit wenigen Worten für medialen Aufruhr in der Nation. Im Jahr 2007 sagte die gebürtige Argentinierin in ihrer repräsentativen Funktion des niederländischen Königsreiches: ,,Zeven jaar geleden begon mijn zoektocht naar de Nederlandse identiteit, die heb ik niet gevonden.“5 Dieses Zitat war in den Tagen darauf erst in den wichtigsten niederländischen Medien vertreten, später in aller Munde. Was war geschehen, war etwa die sprachliche Dekonstruktion der eigenen Funktion und Basis der Repräsentation beabsichtigt? Das Gesagte mutierte schnell, wie es im Deutschen betreffend heißt, zu einem geflügelten Wort, sprichwörtlich ,,davongeflogen” ist das Zitat dem eigentlichen Kontext und Rede vor dem Wissenschaftsrat. 6 Die Niederlande seien zu divers, um eine Identität zu besitzen, 5 Eigene Übersetzung:,,Vor 7 Jahren begann ich mit meiner Suche nach der niederländischen Identität. Aber d i e niederländische Identität, die habe ich nicht gefunden.” aus: De Pers, Floor van Dijck / Marcia Nieuwenhuis: WRR-rapport (Wissenschaftlicher Rat für Regierungspolitik) Dé Nederlandse identiteit bestaat niet Máxima: Nederland is één koekje bij de koffie, http://www.depers.nl/binnenland/105895/Maxima-Nederland-is-een-koekje-bij-de-koffie.html, Stand 1.9.2011. 6 Auch in Deutschland wurden in den vergangen Jahren wiederholt Nationaldebatten ausgeloest, hier stand jedoch nicht der Begriff nationaler Identität zentral, sondern die Frage nach ,,Leitkultur” und ,,Migrationsgesellschaft”. Beide Diskussionen rückten bei der Frage nach 3 so zeige ihre persönliche Vita mit den Lebensstationen in Buenos Aires, New York, Brüssel und Wassenaar. Sie betonte damit die Diversität der heterogenen niederländische Gesellschaft und Differenz des einzelnen Bürgers. Entscheidende Aufgabe der Politik sei es, so der WRR im Dossier, den Prozess der Identifikation zu diskutieren und in Zukunft verstärkt politisch zu gestalten, um so ,,extremen Fällen der herrschender Radikalisierung und Angst” entgegenwirken zu können. 7 Das 234 Seiten umfassende Dossier Identificatie met Nederland gibt Ratschläge um funktionelle, normative und emotionale Identifikationsprozesse des Bürgers mit dem Staat konkret zu fördern. Ein wichtiges Identifizierungs-Element sieht der Wissenschafts-Rapport in der Landessprache. Spätestens mit der Einbürgerung muss in den Niederlanden Sprachkompetenz nachgewiesen werden, erst dann kann die Staatsangehörigkeit erlangt werden. Die Resonanz des medieninszinierten Eklats war immens. 8 Es wurde vor allem die Frage diskutiert: Ist die niederländische Nation ohne Identität? Das NRC Handelsblad titelte mit der Schlagzeile (die später in aller Munde war): ,,Máxima: ‘Nederlandse identiteit nog niet ontdekt” unter der Rubrik Inland.” 9 , 10. Die mediale Empörung sorgte daraufhin für eine Flut von nationaler-identitätsstiftender Narrative, die vor allem kultur-historisch ausgerichtet waren. 11, 12 nationalstaatlichem Selbstbewusstsein auch die Frage von ,,kultureller Identität“ ins den Mittelpunkt. 7 Offizieller Bericht der Präsentation des WRR: Presentatie Identificatie met Nederland, http://www.wrr.nl/content.jsp?objectid=4104, Stand 1.9.2011. 8 Elsevier, 12. Oktober 2011: Ellian & De Winter: Oh, is Máxima verkeerd geciteerd? Lees even mee, http://www.elsevier.nl/web/Opinie/Afshin-Ellian/142273/Oh,-is-Mxima-verkeerd-geciteerdLees-even-mee.htm, Stand: 1.9.2011. 9 Die offizielle Rede von Prinzessin Máxima ist auf der WRR Internetseite zu meinem Bedauern anders als die weiteren Reden der Veranstaltung vor dem WRR nicht mehr, bzw. derzeit nicht verfügbar. Ihre weiteren Anführungen von der vorgefundenen niederländischen Diversität wurden in den folgenden Monaten zumeist nicht rezipiert. Weitere Zitate des NRC vom 25.9.2007: „Elke keer als ik weg ga of thuiskom, kom ik erlangs. Al die plaatsen horen bij mijn identiteit als Nederlandse.”( Buenos Aires, New York, Brusseles, Den Haag en Wassenaar.); „Soort bij soort. Maar Nederland is geen Artis. Juist verscheidenheid en vermenging geven ons kracht.”, http://vorige.nrc.nl/binnenland/article1846825.ece/Maxima__Nederlandse_identiteit_nog_niet_on tdekt, Stand 1.9.2011 10 Dieses medial verkürzte Zitat ist textananlytisch kritisch zu bewerten. Die Darstellung ist verkürzt, aus dem Zusammenhang gerissen, dennoch oder gerade deshalb, folgte daraufhin eine öffentliche Suche und Selbstbezeichnung zur Nation. Es ist die Wirkung die beachtlich ist. Die angeblichen Verweigerung und De-konstruktion ist medieninsziniert, es folgten wiederum medieninszenierte öffentliche Erzählungen über die kulturelle und nationale Identität der Niederlande. Die Antworten waren, wie nicht anders zu erwarten vielstimmig und geprägt von Diversität. 11 Zum Beispiel: Arnold Enklaar: ,,'De' Nederlander bestaat wél” und "Wat ons werkelijk tot Nederlanders maakt is onze cultuur, onze typische manier van denken." In: Pressemitteilung: 4 Diese Funktionalisierung und Normierung von Kultur und Sprache auf nationaler Ebene ist, nicht zuletzt unter den aktuellen Auswirkungen der globalisierten Welt, kritisch zu betrachten. Heute ist kulturelle Praxis -mehr denn je- als ein weltweites Phänomen zu sehen: ,,With the change in the global political and economic enviroment and development in information technology, the power relationships between nations have shifted as the conception of knowledge and the means of its dissemintation have undergone a major transformation. National boundaries no longer constitute the primary of defining untits of cultural activity.[…] The acceleration in speed and the increase in quantity of intercultural exchange and the resulting emergence of a global culture that allows people of different regions of the world to share common experiences- has given rise to a new consciousness of identity. This identity is based on the awareness of differences in one’s historical and cultural experiences. 13 Das globale Bewusstsein der Menschen führt Ellis zufolge gerade in der Kulturpraxis zur Entgrenzung nationaler Denkeinheiten. Andererseits schafft die historisch wie kulturelle Einzigartigkeit der individuellen Erfahrung verstärkt das Potential für kollektive Identifikation des Subjektes auf national-geschichtlicher Ebene.14 Diese zwei Seiten, die national-theoretische Identifikation einerseits und die kulturelle globale Praxis der Kunst andererseits, erscheinen als Paradoxon. Ein Widerspruch von Theorie und Praxis, der in vielen Lebensbereichen des Individuums in der globalen Welt alltäglich ist, denn es gilt: ,,Die Auseinandersetzung mit kollektiven Identitätsmodellen wird immer wieder in die Frage münden, wie das erzählende Individuum sich dazu positioniert bzw. seine eigene personale Identität im Verhältnis dazu konstruiert.” 15 Pressemitteilung: http://www.arnoldenklaar.nl/pers.htm, Stand 1.10.2011. siehe auch: Arnold Enklaar: Nederland, tussen nut en naastenliefde. Op zoek naar onze cultuur, Uitgeverij Scriptum 2007. 12 Museum De Paviljoens: De nederlandse identiteit? De kracht van heden, 6.10-4.3.2012,. 13 Toshiko Ellis: Literary culture. Text and context: literature in the age of transition, in: The Cambridge Companion to Modern Japanese Culture. Ed. Yoshio Sugimoto. Cambridge University Press, 2009. Cambridge Collections Online. Cambridge University Press. 04 November 2011 DOI:10.1017/CCOL9780521880473.012 , S. 212. Stand 1.11.2011. 14 Toshiko Ellis: Literary culture. Text and context: literature in the age of transition, S. 214. 15 Cornelia Zierau: Wenn Wörter auf Wanderschaft gehen…Aspekte kultureller, nationaler und geschlechtsspezifischer Differenzen in der deutschsprachigen Migrationsliteratur, Stauffenburg 5 Die Begriffe ,,Sprache” , ,,Kultur” und ,,Nation” sind seit den Anfängen der europäischen Nationalisierung (Nation-building) eng miteinander verschränkt. Gerade für den deutschen Nationalstaat sind explizit die sprach-politischen Prozesse der literarisch begründeten entscheidend gewesen. 16 Romantik Traditionelle Funktionsträger der Nation als Imagined 17 community sind ,,Sprach-Kultur” und ,,sprachliche Identität”. Um die eigene Nation von den anderen Nationen abzugrenzen, wurde nach (sprachlicher) ,,Authentizität” und ,,Originalität” gesucht, nationale Sprach-,,Geschichte” geschrieben, die durch sich durch Attribute von Linearität und Separation kennzeichnet. Das Vorgehen wird in der Geschichtswissenschaft inzwischen kritisch als invention of history benannt. Streng genommen sind wissenschaftliche Disziplinen, wie die Geisteswissenschaften und Sprachwissenschaften, in die nationale Tradierung von Sprache bzw. Literaturgeschichte eingebunden. Sobald der Bereich der Wissens-Historisierung betreten wird, beschreiten Autoren und Wissenschaftler direkt oder indirekt nationale Diskurse. 18, 19 Insbesondere die Metapher der ,,Muttersprache”, welche sich mit der Zeit etablierte, zeigt diese kultur-historische Argumentationslinie auf, so weist die Literaturwissenschaftlerin Yasemin Yildiz nach.20 Mit dem institutionellen Modell des Nationalstaates hat sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in Europa zugleich das monolingual paradima, etabliert: ,,Recognizing the workings of the monolingual paradigm, I suggest, requires a fundamental reconceptualization of European and European-inflected thinking Discussion, Studien zur Inter-und Multikultur (Band 27= Elisabeth Bronfen/Michael Kessler u.a. (Hg.) 2009, S. 94. 16 Die vermeintliche Kohärenz der Begriffen Kultur und Nation hat in Europa eine lange konzeptuelle Tradition. Im Europa der aufstrebenden Nationen des 18. Jahrhunderts wurde kulturelle Differenz der Nationen zum (sprach)-politischen Programm. Siehe hierzu: Joep Leerssen: Nationaal denken in Europa. Een culturrhistorische schets, Amsterdam University Press 1999, S. 28; 54-64. 17 Der Begriff der Nation als “imagined community” stammt von Benedict Anderson. 18 Der Begriff der “Nationalliteratur” wird von Johan Gottfried Herder 1768 in seinem Fragment ,,Über die neuere Deutsche Literatur” eingeführt und 1818/1819 mit Ludwig Wachlers ,,Vorlesung über die Geschichte der teutschen Nationalliteratur” weitergeführt, aus: Cornelia Zierau: Wenn Wörter auf Wanderschaft gehen…Aspekte kultureller, nationaler und geschlechtsspezifischer Differenzen in deutschsprachiger Migrationsliteratur. Stauffenberg Discussion Band 27, Studien zur Inter- und Multikultur, (Hg.): Elisabeth Bronfen/Miachel Kessler/Paul Michael Lützeler, Wolfgang Graf Vitzthum, Jürgen Wertheim 2009, S.19f. 19 Siehe zu diesem Diskurs auch: Marcus Mueller: Die sprachliche Konstituierung einer ,deutschen Kunstgeschichte´ aus diskursanalytischer Sicht, In: Christa Duerscheid/Andreas Gardt/Oskar Reichmann/Stefan Sonderegger (Hg.): Studia Linguistica Germanica Band 90, De Gruyter Berlin/New York 2007. 20 Yasmin Yildiz: Beyond the mother tongue. The postmonolingual condition, Fordham University Press, New York 2012, hier. Introduction, S. 11-14. 6 about language, identity, and modernity. For monolingualism is much more than a simple quantitativ term designating the presence of just one language. Instead, it constitutes a key structuring principle that organizes the entire range of modern social life, from the construction of individuals and their proper subjectivities to the formation of disciplines and institutions, as well as of imagined collectives such as cultures and nations.” 21 Seit den 1950er Jahren und mit Eingang der europäischen Integration werden Mobilität und Sprachdiversität in Europa aktiv gefördert, dies hat Auswirkungen auf das Sprachbewußtsein der europäischen Bürger und ihre Produktionsvielfalt. Denkmodelle von nationaler Einsprachigkeit und seine Machteffekte verlieren seit dem zweiten Weltkrieg langsam ihr Monopol. Mehrsprachigkeit der Individuen wird innerhalb der EU wieder verstärkt “sichtbar”. Wie kommt dies? Hier ist in Europa der Wandel von einzelnen Nationalstaaten zur supranationalen Europäischen Union entscheidend. Die vier europäischen Freiheiten ermöglichen den zwanglosen Austausch innerhalb der EU Mitgliedsstaaten. Das Grundsatzprogramm der EU fördert mittels Richtlinien Minderheitssprachen. Mehrsprachigkeit wird außerdem mittels Fremdsprachenerwerb, Bildungspolitik und Austauschprogrammen unterstützt. Zusätzlich ist die europäische Charta zum Schutz der nationalen Minderheitssprachen in den meisten Mitgliedsstaaten der EU ratifiziert. Laut Vertrag über die Arbeitsweise der europäischen Union, (Artikel 24 (ex-Artikel 21 EGV)) 22 heißt es grundsätzlich: ,,Jeder Unionsbürger kann sich schriftlich in einer der in Artikel 55 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union genannten Sprachen an jedes Organ oder an jede Einrichtung wenden, die in dem vorliegenden Artikel oder in Artikel 13 des genannten Vertrags genannt sind, und eine Antwort in derselben Sprache erhalten.” Um die Gesetzgebung und Politik möglichst bürgernah zu vermitteln sind 23 Nationalsprachen bzw. offizielle europäische “Standardsprachen” in der Praxis der EU Institutionen als gleichwertig anerkannt. Dies bedeutet einen immensen Verwaltungsaufwand. Das globale Fortschreiten von Technologisierung sorgt des Weiteren für eine weltweite Vernetzung. Eine der Grundvoraussetzung für globalen 21 Yasmin Yildiz: Beyond the mother tongue. The postmonolingual condition, Fordham University Press, New York 2012, hier. Introduction, S. 2. 22 Konsolidierte Fassung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. 30.3.2010 Amtsblatt der Europäischen Union C 83/47. eur-lex.europa.eu, Stand 2.7.2012. 7 Handel, sind die sogenannten lingua franca, die es ermöglichen weltweit mit Partnern zu kommunizieren. Weltweite Migrationsprozesse und die damit verbundene Mehrsprachigkeit des Individuums, bringen für die nationalen europäischen Gesellschaften zusätzliche Herausforderungen mit sich. Viele Bürgergemeinschaften der EU besitzen inzwischen Sprachenkompetenzen die ihren Ursprung auch außerhalb des institutionellen Bereiches der EU haben. Sprachpolitisch und juristisch wird diese mehrsprachige Lebenswirklichkeit und das Selbstverständnis vieler Mitmenschen kaum beachtet. Als sich der türkische Premiere Erdogan bei einem Staatsbesuch in Deutschland 2011 wiederholt dafür einsetzte, türkischstämmigen Kindern in Deutschland auch an öffentlichen Schulen ihre Familiensprache als Erstsprache beizubringen und danach die Sprache des Einwanderungslandes, sorgte dies für Diskussionen auf höchster Ebene 23, die Süddeutsche Zeitung titelte: Erdogan giftet gegen deutsche Integrationspolitik. 24 Die gesellschaftliche Schlüsselstrukturen der einzelnen Nationalstaaten sind, wie Yildiz es formuliert, auch gegenwärtig beständig vom ,,Einsprachigkeits-Paradigma” geprägt. Gerade an Debatten über Migration und Integration zeigt sich die Forderung an das Individuum: Einbürgerungstests binden Sprachkompetenz an die Option der nationalen Zugehörigkeit, auf diese Weise soll gesellschaftliche Partizipation und Chancengleichheit ermöglicht werden. Tatsächlich hängt eine erfolgreiche gesellschaftliche Identifikation des Individuums, so die Ergebnisse der historische Migrationsforschung, hauptsächlich von zwei zusammenhängenden Faktoren ab: dem Spracherwerb sowie dem Erlernen von kulturellen Sitten. 25 Ausgehend vom monolinguistischen Paradigma richtet sich das Forschungsinteresse von Yasemin Yildiz explizit nicht auf Sprachpolitik, sondern auf die kulturelle globale Praxis und ihren Sprachkonzepten. Ihre These: In zeitgenössischer Kunst wirkt häufig das Paradigma der traditionellen europäisch-national Hegemonie und damit verbundene Konzepte wie ,,Einsprachigkeit” und ,,Muttersprache” des Nationalstaates nach. ,,Mehrsprachigkeit” von Kunstwerken sei demnach kritisch auf bestehende historisch-sprachliche Spannungsfelder zu untersuchen. Sie bezeichnet die dort 23 28.2.2011: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/deutschland-besuch-westerwellekritisiert-erdogans-tuerkisch-gebot-a-748080.html, Stand 2.3.2012. 24 2.11.2011: http://www.sueddeutsche.de/politik/2.220/tuerkischer-ministerpraesident-zubesuch-in-berlin-erdogan-giftet-gegen-deutsche-integrationspolitik-1.1178435, Stand 2.3.2012. 25 Patrick Manning: ,,Migration in World History”, Routledge Chapman & Hall 2005, S. 4. 8 entstehenden Spannungen als post-monolinguales-Phänomen. 26 Eine der gegenwärtigen Autorinnen, der Yildiz das Überschreiten der monolingualen Paradigmas und das Bewusstsein des sprach-historischen Spannungsfeldes bestätigt, ist Yoko Tawada. Ihr Werk wird im Mittelpunkt der weiteren Arbeit stehen. »Eigentlich darf man es niemandem sagen, aber Europa gibt es nicht«. Dieses dritte Zitat von Yoko Tawada ist keiner politischen Rede entnommen. Es ist ein literarisches Zitat der aus Japan stammenden Autorin. In einem ihrer Essays problematisiert sie die sprachliche (De)-Konstruktion von Europa. 27 Das generelle Lob: Sie breche mit der negativen Dialektik, ihres Werkes eurozentrische Seh-muster auf und thematisiere die Angst vor dem Verschwinden 28 des Europäers. Diese Bewertung ist zugleich die Einforderung der deutschen Literaturgeschichtswissenschaft betreffend ihres Œuvres. Fernab der großen politischen Bühne verursacht die Abkehr Identitätsverständnis 29 von integralem des europäischen Kulturraumes sehr viel weniger Aufruhr, als dem öffentlichen Zitat und Funktionen Prinzessin Maximas oder des ehemaligen EZB Präsidenten, Jean Claude Trichet, entgegen gebracht wurde. Dieses spricht für die Freiheit der Künste. Hierzu äußert sich die Autorin in einem Interview mit der Literaturwissenschaftlerin Bettina Brandt direkt: ,,When I was introduced to European culture and its modern concepts of identity, I noticed that there is an unrelenting search for ones single identity. I, however, could not work with that idea. I started searching, unconsciously, for realms in which different types of identity are represented. I looked in all kinds of different areas: in classic mythology, in fairy tales, in old Asian pre-liteary myths, in African legens, in all kind of places where elements we were reshuffled again and again.” 30 Die Autorin ist in den vergangenen Jahren weltweit, in Deutschland, Japan wie den USA, mit renommierten Auszeichnungen und Zuwendungen der staatlichen 26 Yasmin Yildiz: Beyond the mother tongue. The postmonolingual condition, Fordham University Press, New York 2012, hier. Introduction, S. 4. 27 Siehe hierzu weiterführend auch: Josef Simon: Europa als philosophische Idee, in: Wolfgang Stegmaier (Hg.): Europa-Philosophie, De Gruyter 2000, S.17ff. 28 Vgl.Literatur aus naher Fremde, in: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Sechste überarbeitete Auflage, Verlag J.B. Metzler 2001, S.694ff. 29 Aleida Assmann: Identität. Wanderer zwischen den Kulturen, in: Einführung in die Kulturwissenschaft. Grundbegriffe, Themen, Fragestellungen, aus: Ahrens/Bald/Schneider (Hg.): Grundlagen der Anglistik und Amerikanistik Band 27, Erich Schmidt Verlag Berlin 2006, S.232. 30 Bettina Brandt: Ein Wort, ein Ort, or How words Create Places: Interview with Yoko Tawada, in: Women in German Yearbook 21 (2005), S.1-15, hier: 11. 9 Kulturinstitutionen bedacht worden.31 Zuletzt hielt sie im Sommer 2011 an der Universität Hamburg eine Gastprofessur für Interkulturellen Poetik. Eine Ursachenforschung, warum sich die Reaktionen auf die drei Beispiele von Trichet, Prinzessin Maxima und Tawada so extrem unterscheiden, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden. Vielmehr scheint es interessant und notwendig, sich der Literatur Tawadas und somit der genaueren Lektüre ihres Textes zuzuwenden. Der Kognitionspsychologe Jerome S. Bruner konstatiert zwar, dass ,,erzählte Geschichten kein anerkannter Gegenstand der Wissenschaft und ´Logik´ sei”, so bestätigt er dennoch, dass Literatur die Funktion erfüllt, Wirklichkeits-Welten zu konzipieren. 32 Dabei sei insofern kein Unterschied zwischen narrativem Diskurs oder narrativen Text, als das beide sprachliche “Wirklichkeiten” zweiten Grades sind und genau wie das Denken einer eigenständigen kulturellen Praxis unterliegen. 33 Speziell Literatur als Kunstgattung biete dabei, wie die Philosophin Annemarie GethmannSiefert betont, einen sprachparadiesischen Idealzustand. 34 Der entscheidende Vorteil: das Narrativ der Erzählung ist auf Papier gebannt und als Forschungsobjekt hervorragend abzugrenzen. Begeben wir uns also auf eine gemeinsame Reise und nähern uns der literarischen Welt Yoko Tawadas und damit ihrer Konstruktion von narrativer "Wirklichkeit" und “Identität”. 31 Zahlreiche Preise und Stipendien zeugen davon: Förderpreis für Literatur der Hansestadt Hamburg 1990, Der Literaturpreis Gunzô-Shinjin-Bungaku-Shô, Japan 1991, AkutagawaShô1993, Autorenstipendium der Stiftung Niedersachsen 1993, Lessing-Förderpreis 1994, Adelbert-von-Chamisso-Preis 1996, Stipendiatin der Villa Aurora (Feuchtwanger-Haus) in Los Angeles 1997, Poetik-Dozentin in Tübingen 1998, Max Kade Distinguished Visitor at Massachusetts Institute of Technology, USA Feb.-Mai 1999, Stipendium des Deutschen Literaturfonds Nov.1999-April 2000, Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung Mai 2000 – November 2000 ,Izumi-Kyooka-Literaturpreis, Japan 2000, Writer-in-Resedence im Literaturhaus Basel Juni-August 2001, Bunkamura Prix Des Duex Magots, Japan 2002, Ito-SeiLiteraturpreis, Japan 2003, Tanizaki-Junichiro-Literaturpreis, Japan 2003, New-YorkerStipendium des Deutschen Literaturfonds Nov. 2004 – Jan. 2005, Goethe-Medaille 2005, Writerin-Residence an Washington University in St.Louis, USA März-April 2008, Writer-in-Residence an Stanford University,USA Feb.2009, Writer-in-Residence an Cornell University,USA April 2009, Tsubouchi-Shoyo-Taisho 2009, Gastprofessur Hamburg 2011. 32 Eine Unterscheidung von Denken, Diskurs und Text ist für ihn als Wissenschaftler dabei nicht gegeben. Jerome S.Bruner: Vergangenheit und Gegenwart als narrative Konstruktionen. Was ist gewonnen und was verloren, wenn Menschen auf narrative Weise Sinn bilden? , aus: Jürgen Straub (Hg.): Erzählung, Identität und historisches Bewußtsein - Die psychologische Konstruktion von Zeit und Geschichte. Erinnerung, Geschichte, Identität 1, Suhrkamp 1998, S.46, S. 52. 33 Vgl. Jerome S.Bruner: Vergangenheit und Gegenwart als narrative Konstruktionen. Was ist gewonnen und was verloren, wenn Menschen auf narrative Weise Sinn bilden?, S.52. 34 Und weiter :,,Kunsterfahrung ist aber sowohl eine Welterfahrung, die sich einen (genialen) Neuentwurf der Welt ausmünzt als auch eine durch diesen Vorentwurf nachvollziehbare neue Erfahrung der Welt. Die philosophische Ästhetik muß sich daher als Analyse der ,kommunikativen Funktion´ des Kunstwerkes darstellen.” ,Annemarie Gethmann-Siefert, Einführung in die Ästhetik, München 1995, S.256; 246.f 10 2.1 Eingrenzung des Themas und Untersuchungsfrage: Um den Forschungsgegenstand weiter einzugrenzen, wird sich diese Arbeit zunächst hauptsächlich auf das zweite Kapitel Yoko Tawadas Roman Überseezungen (2002) konzentrieren: Bioskoop der Nacht. 35 Dies hat mehrere Gründe: Zum einen wurde dieser in zahlreichen internationalen literaturwissenschaftlichen Analysen der derzeit von der Kultur- wie Literaturwissenschaft global vielbeachteten Literatin bisher kaum en détail behandelt. Zum zweiten ist der Text erst kürzlich, im Frühjahr 2011, auch im Niederländischen als Einzelttext in einer Anthologie erschienen, so einem größeren Leserkreis und weiteren Sprachgemeinschaften in den Niederlanden, Belgien wie Südafrika zugänglich. 36, 37 Der dritte und entscheidende Grund ist jedoch der Prosatext selber, denn in Bioskoop der Nacht wird auf einzigartige Weise auf ,,Tawada-eske” Manier deutlich, wie die Macht der Sprache sich innerhalb einer Geschichte und in Geschichtlichkeit äußert. 2006 erschien die Dissertation Fremdes Schreiben. Yoko Tawada von Ruth Kersting. Ihr Forschungsprojekt schließt sie mit der Kritik: ,,Je nach Vorliebe vermisst man [in der Literatur Yoko Tawadas] trotz der Freude am selbstreflexiven, gekonnten Sprachspiel auf Dauer einen kritischen, in Normen begründeten Bezug auf außerliterarische Konstruktionen von Wirklichkeiten und ihre Machteffekte. Schliesslich ist zu diskutieren, inwieweit Tawadas Kunst des unaufhörlichen Dezentrierens Gefahr läuft, immer wieder in die Behauptung und Selbstlegitimierung des eigenen Kunstanspruchs einzumünden.” 38, 39 35 Bioskoop der Nacht, aus:Yoko Tawada. Überseezungen, Claudia Gehrke Verlag 2002/2006, S. 60-92. 36 Bisher von Yoko Tawada im Niederländischen erschienen: Schrift van een schildpad of het probleem van der vertaling, in Filter.Tijdschrift over vertalen, Jahrgang nr.12, 3.September 2005; Is Europa westers? Aus: Trajekte.Zeitschrift des Zentrum für Literaturforschung, Jahrgang 6 nr.12, April 2006. 37 Die niederländische Anthologie De Berghollander von den Herausgeberinnen Bettina Brandt und Desiree Schyns enthält neben Bisokoop der Nacht weitere Uebersetzungen von Prosa, Essays, sowie ein Theaterstück.Yoko Tawada: De Berghollander, Übersetzung ins Niederländische und Edition: (Hg): Bettina Brandt und Désirée Schyns, Stichting Voetnoot Amsterdam 2010, S.52-71. 38 Ruth Kersting: Fremdes Schreiben.Yoko Tawada, aus: Heinz Kosok/Heinz Rölleke/Michael Scheffel (Hg): Schriftreihe Literaturwissenschaft Band 74, Wissenschaftlicher Verlag Trier 2006, S. 222. 39 Kersting arbeitet in ihrer Analyse grundsätzlich komparatistisch. Ausgewählte Stücke Yoko Tawada werden denen deutschsprachiger Zeitgenossen wie Christoph Ransmayer und Herta 11 Auf die zu Recht kritische und herausfordernde offene Frage von Ruth Kersting will dieser Arbeit versuchen zu antworten. Die Forschungsfrage lautet: Ist das Schreiben von Tawada wirklich nur ein “Spiel” mit der Sprache oder birgt ihre Literatur politisches Potential und Gesellschaftskritik? Aus der Meta-Perspektive der Ästhetiker haben Kunstwerke generellen und unbestreitbaren Bezug auf die ,,Wirklichkeit”. Kunstanspruch bzw. Utopie und Kritikpotential schließen sich zunächst, anders als die Literaturwissenschaftlerin Ruth Kersting es suggeriert, -unter diesem universalen Blickwinkel- nicht aus: ,,Die Funktion dieser in der Kunst gestifteten neuen Anschauung der Welt in der schönen Gestalt bestimmt sich aus ihrem Verhältnis zur geschichtlichen Realität. In der Konfrontation von bestehender Realität und künstlerischer Fiktion erscheint die Kunst als Kritik bestehender (entfremdeter) Verhältnisse und sie wird zum Entwurf einer alternativen Möglichkeit geglückten Lebens. Die Kunst erscheint als Gesellschaftskritik und Utopie.” 40 Wird die so benannte ,,geschichtliche[…] Realität” als eine mögliche gesellschaftliche Wirklichkeit -wie etwa Ruth Kersting es formuliert- verstanden, dann rückt automatisch die zeitliche Ebene in den Vordergrund des Interesses. Weder Ruth Kersting, die Tawadas ästhetisches Spiel bzw. ihr Kunstanspruch dominierend sieht, noch Yasemin Yildiz, die wiederum sprachpolitische Konzepte in der Literatur Tawadas zurückfindet, haben den Beispieltext Erzählung Bioskoop der Nacht explizit behandelt. Dabei lohnt es sich hier konkreter nach dem angesprochenen Spannungsfeld von Geschichte und Fiktion in seiner Schlüsselfunktion und Umgang mit gesellschaftlichen Normen zu schauen. Die thematische Brisanz des Textes liegt auf der Hand, denn mit der Erzählung Bioskoop der Nacht wird u.a. die Sprache Afrikaans in ihrer nationalen Identitätsgebung und gegenwärtigen wie historischen Wirkung auf das Individuum problematisiert. Die folgenden Arbeitsschritte stellen ausdrücklich keine Interpretation des Textes dar, sondern verstehen sich als Annäherung und Lektüre der autonomen textuellen Müller gegenübergestellt .Ihre Ausgangsfrage an das Schreiben der Autorin ist dabei, ob dieses poststrukturalistisch oder nominalisische Grundzüge beinhaltet. 40 Annemarie Gethmann-Siefert, Einführung in die Ästhetik, München 1995, 246.f 12 Konstellationen des Bioskoop der Nacht. Die Erzählung wird dabei innerhalb des Romans Überseezungen und eigenständigen ,,Textkultur” betrachtet. Übergreifende theoretische Fragestellungen und Diskurse stehen dabei in Dialog mit konkreter Textarbeit, dem close reading. Die Kunstsprache bzw. Ästhetik Tawadas setzt sich aus einer Vielzahl heterogener Materialien, Medien und Diskurs-Inszenierungen zusammen. Die in der Erzählung aufgeführten und produzierten Diskurse sollen realpolitisch kontextualisiert werden. Der Text erlaubt nicht nur mannigfaltige wissenschaftliche Annäherungen, er fordert sie vielmehr, um der angewandten künstlerischen Strategie Tawadas gerecht zu werden. Der einzig wirkliche rote Faden dieser Untersuchung ist der Text Das Bioskoop der Nacht. 2.2 Die theoretischen Prämissen: Ziel dieser Arbeit ist die spezifischen Ansätze der literarischen Konstruktion bzw. die Literatur-Sprache die dem Bioskoop der Nacht zu Eigen ist, herauszuarbeiten. Aufgrund dieses Vorhabens wird der Begriff Sprache im Rahmen dieser Arbeit ausdrücklich als Universalia verstanden. ,,»S[prache]« allgemein verstanden, bezeichnet in einem umfassenden Sinn den gesamten Bereich dessen, was mit der Äusserung von Vorstellung, mit Ausdruck, Appell und Mitteilung sowie mit deren Formen und Materialien, Medien und Techniken usw. zu tun hat; Sprechen und artikuliertes Denken, Worte und Wörter, Satz und Text, ferner Stimme , Laut und Schrift- alles , was die Reflexion auf S[prache]. in Wissenschaft und Philosophie untersucht.“ 41 Der Textkorpus selber ist eine kommunikative Einheit, der Autor fungiert vor allem in seiner Funktion als Förderer und nicht als Urheber im klassischen Verständnis. 42 In seiner Gesamtheit der intratextuelle Verknüpfungen bzw. Literatur-Sprache ist der Text dabei als Träger von Kulturalität zu verstehen.43 Speziell bei Yoko Tawada ist 41 Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 1, Se-Sp, Joachim Ritter/Karfired Grunder (Hg.), Schwabe&Co. Verlag Basel 1995. 42 Auctor, Förderer; augere/etwas entstehen lassen, Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubarbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, Klaus Weimar (Hg.), Band I (A-G), Walter de Gruyter Berlin/New York 1997, S. 177. 43 Siehe auch: Jin Zhao: Kulturalitaet als Textualitaetsmerkmal, In: Muttersprache, Vol. 121, Nº. 1, 2011 ,S. 49-60, hier speziell: 3, S. 54ff. 13 dabei das ,,Prinzip einer grundsätzlichen Gleichwertigkeit aller Erfahrungs-, Darstellungs- und Imaginationsebenen“ zu beobachten, welche den Charakter ihrer Texte/ihres künstlerischen Schaffens konstituiert.44 Für die Erzählung Bioskoop der Nacht bedeutet dies im speziellen, dass auch die vorliegende Text-Bild Konzentration, die filmische Erzählung in einem nicht medial-hierarchisches Verhältnis von den Gattungen Film und Literatur zu analysieren. Rosalind Kraus hat die moderne Medienkultur, die von fließenden Übergängen gleichberechtigter Medien ausgeht, als „post-medium condition“ beschrieben. 45 Generell wird Literatur, als ein kollektiv zugängliches Wissenssystem betrachtet werden, welches als Funktionsträger und Speichermedium des kulturellen Gedächtnisses dient. 46 Es wird dabei ausgegangen von einem spezifischen sozialen Erinnerungsmodell zweiten Grades, welches Marianne Hirsch kürzlich als postmemory einführt hat. 47 Gemeint ist damit der generationsübergreifende Transfer von Erinnerung. Diese Konditionen und (theoretischen) Prämissen sind somit in den drei “post”Begriffen zusammenzufassen: post-monolingual, post-memory und post-medium. In dieser Konsequenz werden in dieser Arbeit thematisch Diskurse über Sprachlichkeit, Erinnerung und Medialität im Vordergrund stehen. Schlussendlich wird die literaturwissenschaftliche polymetrisch angelegte Perspektive ermöglichen von der Literatursprache Yoko Tawadas auf kontextuelle 44 Eintrag "Tawada, Yoko" in Munzinger Online/KLG - Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, URL: http://www.munzinger.de/document/16000000559, Stand. 1.3.2012. 45 Rosalind Kraus: A voyage on the North Sea. Art in the Age of the Post-Medium Condition, London 1999. 46 Die kognitive Betonung der Untersuchung lehne ich hierbei an das sozial-historische Konzept von Claudia Fraas an: Claudia Fraas, Begriffe- Konzepte- kulturelles Gedächtnis. Ansätze zur Beschreibung von Wissenssystemen, In Schlosser, H.D. (Hg.): Sprache und Kultur, Frankfurt , S.31-45. 47 ,, »Postmemory« decribes the relationship that the »generation after« bears to the personal, collective, and cultural trauma of those, who came before - the experiences they »remember« only by means of the story, images, and behaviors among which they grew up. But these experiences were transmitted so deeply and affectively as to seem to constitute memories in their own right. Postmemory’s connection to the past is thus actually mediated not by recall but by imaginative investment, projection and creation. […] It is to be shaped, however indirectely, by tramatic fragments of eventst that still defy narrative reconstruction and exceed comprehension. These events happened in the past, but their effects continue into the present. This, I believe it the structure of postmemory […].”, aus: Marianne Hirsch: The generation of postmemory. Writing and Visual Culture After the Holocaust. Columbia University Press 2012, hier: Introduction, S.5. 14 “ausserliterarische Konstruktionsmodelle von Wirklichkeit” und deren etwaigen “Machtbezügen” sowie Verhältnis zu ,,geschichtlicher Realität” eingehen zu können. 2.3 Ein Roman und seine Sprache: Überseezungen Mit ihrem Roman Überseezungen entwirft Yoko Tawada eine ganz eigenwillige poetische Weltdarstellung, deren Elemtarteilchen sich einzig aus Sprache zusammensetzt. Sprache ist für sie das essentielle wie universale Element einer subjektiven literarischen ,,Übersetzung”. Das zweite Kapitel des Erzählbandes Überseezungen, der sich aus Einzeltexten zusammensetzt, ist den südafrikanischen Zungen gewidmet. Das Kapitel ist als kontinentale Karte Südafrikas dargestellt, dass von unleserlichen Schriftzeichen überzogen ist. Die Elemente Welt, Bild und Sprache werden zu einem Ganzen: Literatur. Das Kapitel: Bioskoop der Nacht Die in Deutschland lebende mehrsprachige Protagonistin wird in Europa wiederholt mit der Frage ihrer Sprachidentität konfrontiert. In welcher Sprache träumst Du? Eine Antwort kann die Erzählerin auf die Erwartungshaltung der Gesprächspartner nicht geben. Erst nachdem eine niederländische Psychoanalytikerin bestimmend die Traumsprache als Afrikaans identifiziert hat, reist sie nach Südafrika. Sie will dort das Afrikaans, ihre ,,wirkliche” Traumsprache erlernen, um so ihre eigenen Träume übersetzen zu können. Während ihres Sprachkursaufenthaltes lernt sie nicht nur die sprachlichen Eigenheiten des Afrikaans kennen, sondern begegnet -getragen von den Entdeckungen der fremden Sprache- den Menschen und den Geschichten des Südafrikas Yoko Tawada wandelt die Sprache vom Medium, Träger der literarischen Erzählung zum literarischen Motiv. Afrikaans wird zum personifizierten Beispiel. Die nationale Standardsprache wandelt sich in der fiktiven Welt der Überseezungen zum Spielzeug und Kunstprodukt des schreibenden Ich. 15 3 Die Sprachen Südafrikas –Von Sprachstreit bis Versöhnung Der taalstryd oder im Deutschen Sprachstreit über das Afrikaans mag für viele nach dem Ende der politischen Apartheid ein alter Hut des überwundenen schwarz-weißen Denkens der ethnischen Segregation sein. Diskussionen über ,,das Wesen” und den Ursprung der Sprache sind so alt -beziehungsweise jung-, wie es das Afrikaans selber ist, der Streit wurde nicht zuletzt auf linguistischer Ebene ausgetragen. Die Fragestellung hat gegenwärtig, wie Wortmeldungen in den Niederlanden zeigen, keinesfalls an gesellschaftlicher Brisanz und Aktualität verloren, auch nicht auf dem europäischen Kontinent. Das Afrikaans ist sprachwissenschaftlich betrachtet eine jugendliche Sprache, die ihre Anfänge während der niederländischen Kolonialzeit des 17. Jahrhunderts auf dem südlichsten Teil des afrikanischen Kontinentes gefunden hat. Die europäische Siedlung konzentrierten sich zunächst auf das Kaap die Goeie Hoop (Kap der guten Hoffnung), wo bereits seit 1652 ein Stützpunkt der holländischen Ostindischen Kompanie (Verenigde Oostindische Companie, VOC), befestigt war. Bei einer Siedlungsgrösse von rund 10 000 Bewohnern waren dies anfangs rund 80% der in Afrika lebenden Europäer. 48 Der folgende transatlantischer Sklavenhandel, der auch großen Einfluss auf die Siedlung in Südafrika hatte, führte zur größten Zwangsmigration, die in der Geschichte überhaupt bekannt ist, die Gesamtzahl wird weltweit auf rund 15 Millionen Menschen, geschätzt. Im 18. Jahrhundert wichtigste ,,Exportgutartikel” der Handelsgesellschaften. waren 49 Sklaven der Erst der Wiener Kongress im Jahr 1815 führte zur Ächtung des Menschenhandels, was jedoch eine Fortsetzung des Machtmissbrauchs der Siedler, Sklaverei und Zwangsarbeit, später die institutionellen Segregation des Apartheid-Regimes nicht verhinderte. Die Entstehung und Historie des Afrikaans ist eng verbunden mit den politischen Prozessen der ethnischen Kriege, südafrikanischen Unabhängigkeit, der Kolonialzeit bis hin zur späteren Bildung der Nation Südafrika und der Herrschaft des ApartheidRegimes. Das geographische Gebiet ist seit jeher geprägt von diversen politischen Konflikten, die sich auf kultureller sowie sprachlicher Ebene manifestieren. 48 Vgl. Frühformen des europäischen Kolonialismus, Harald Kleinschmidt: Migration und Reisen in der frühen Neuzeit. Menschen in Bewegung. Inhalte und Ziele historischer Migrationsforschung, Vandenhoeck&Ruprecht Göttingen 2002, S. 89-113, hier S.105. 49 Spanning the ocean, in: Patrick Manning: Migration in World History, Routledge New York 2005, S. 108-131. 16 ,,Southern Africa is a unique playground where the complexities of globalization, colonialism and racism continue to be played out in the rich diversity of languages and cultures.” 50 Bis heute gleichen jegliche Äußerungen über die Sprache Afrikaans einem Lauf über ein gesellschafts-politisches Minenfeld, denn die Sprache Afrikaans ist seit ihren Anfängen auch aktiv zur Machtausübung und Segregation der Bevölkerungsgruppen eingesetzt worden. Sie war die “Obrigkeitssprache”, das Mittel der Sprachmanipulation, Propaganda und Institutionalisierung der politischen Machtstrukturen. Erste schriftliche Zeugnisse des Afrikaans werden auf das späte 18. Jahrhundert datiert.51 Unter historischen Sprachforschern herrscht jedoch Uneinigkeit über die genauen Entwicklungsstufen, wie fremdsprachlichen Einflüsse auf die Sprache. 52 Bei aller Uneinheit der Initiations-Theorie ist eines für die Wissenschaftler deutlich: das heutige Afrikaans trägt Elemente aus allen Jahrhunderten wie Sprachgruppen, gerade den Kreol wie Pidgin-Sprachen des Landes in sich. Heute ist Afrikaans, genau wie die Bevölkerung des Landes, eine Konglomerat unterschiedlichster, bereits in sich heterogener Elemente, wohlgleich die west-germanischen Einflüsse unbestreitbar dominieren. 53, 54 Afrikaans ist eine hybridisierte Sprache.55 Der Umgang mit der Heterogenität und (Sprach)-vielfalt des ,,Neuen Südafrikas” ist realpolitisch die größte Herausforderung der Nation in der Post Apartheid-Ära. Das Motto des Pan South Afican Language Board (PanSALB): One nation, many 50 Sarah Slabbert /Rosalie Finlayson: Introduction: Language and Identity aus: Language and Identities in a Postcolony, in: Schriften zur Afrikanistik Band 10, Europaeischer Verlag der Wissenschaft 2005, S. 1. 51 P.T. Roberge: Afrikaans. Considering origins, Rajend Mesthrie (Hg.): Language in South Africa, Cambrigde University Press 2002, S. 83. 52 Besonderen Einfluß auf die Entwicklung des Afrikaans hatten die Pidgin wie Creool-Sprachen der multi-ethnischen Bevölkerung der vergangenen Jahrhunderte, zu diesem Ergebnis kamen Soziolinguisten wie Sprachwissenschaftler. Grundsätzlich ist unter drei Entstehungstheorien zu unterscheiden: Superstratist hypothesis, Variationist/interlectalist hypothesis, creolist hypothesis. P.T. Roberge: Afrikaans. Considering origins, Rajend Mesthrie (Hg.): Language in South Africa, Cambrigde University Press 2002, S. 79-103. 53 Die wissenschaftlich wie gesellschaftliche Fragestellung nach Ursprung, Originalität oder Historisierung des Afrikaans sind somit generell vorallem kritisch und unter sprachpolitischen Aspekten zu hinterfragen. 54 Es kann auch von einer Hypridisierung des Ursprungs gesprochen werden. Siehe: P.T. Roberge: Afrikaans considering origins, aus Rajend Mesthrie (Hg.): Language in South Africa, Cambridge 2002, S. 99. 55 P.T. Roberge: Afrikaans considering origins, aus Rajend Mesthrie (Hg.): Language in South Africa, Cambridge 2002, S. 99. 17 languages 56 (Eine Nation, viele Sprachen.), äußert sich gesetzlich in den 11 offizielle Amtssprachen die Südafrika hat. Neben den in der Praxis dominierenden Sprachen Englisch und Afrikaans sind dies: Ndebele, North Sotho, South Soto Swati, Tsonga, Tswana, Venda, Xhosa und Zulu. sowie die südafrikanische Gebärdensprache. 57 Inoffizielle Dialekte, Sprachvariationen sowie weitere Standartsprachen wie die kleinerer Bevölkerungsgruppen der Malaysischsprachigen, Deutschsprachigen und Indischsprachigen mitgezählt, wären es sogar über 30 Sprachen. Die Verfassung des Neuen Südafrikas ist, so Alexander Neville, der einer bekanntesten Sprachpolitiker Südafrikas ist, auch eine Absage an das ,,eurozentrische Nationalstaatmodell” und die damit verbundene historische gewachsene Norm von Monolingualismus des öffentlichen Raumes. 58 Die post-Apartheid Südafrikaner haben sich gegen eine der beiden bereits gesellschaftlich etablierten lingua franca (Englisch und Afrikaans) entschieden. Dies ist nicht zuletzt als eine Reaktion auf die Sprachmanipulationen der kolonialen wie nationalen Vergangenheit des Landes zu sehen. Die derzeitigen ethnischen, soziologischen und sprachlichen Konflikte sind aus den Machtsituationen des Kolonialismus wie der Apartheid entstanden. 59 Doch ist im multi-sprachlichen wie multi-ethnischen Alltag des Landes eine staatlich-einheitliche Sprachpolitik, ein gerechtes Bildungssystem, das auf Mehrsprachigkeit aufbaut, überhaupt leistbar?60 Anders als die EU kann Südafrika die theoretische Gleichstellung der nationalen Standardsprachen schon rein verwaltungstechnisch kaum gewährleisten. Minderheitenschutz, Chancengleichheit, Sprach- wie Kulturerhalt und -förderung und –verständigung sind zudem Grundsatzfragen der Nation wie des Individuums, die auch außerhalb der Nation im Rahmen der sich stets schneller austauschenden Internationalisierung der Welt betrachtet werden müssen. 61 56 Karen Calteaux: I am…I said…Language planning for identity in post-colonial South Africa, aus: Language and Identities in a Postcolony, in: Schriften zur Afrikanistik Band 10, Europaeischer Verlag der Wissenschaft 2005, S. 195. 57 Introduction, aus Rajend Mesthrie: Language in South Africa, Cambridge 2002, S. 1. 58 Heike Niedrig: Sprache –Macht-Kultur. Multilinguale Erziehung im Post-Apartheid-Südafrika, Waxmann New York/München/Berlin 2000, S.2. 59 J. K. Chick: Intercultural miscommunication, in: Rajend Mestrhie (Hg.): Language in South Africa, Cambridge Univsertiy Press 2002, S.273. 60 Weiterführend sei hier auf folgende Forschungsarbeit verwiesen: Heike Niedrig: Sprache – Macht-Kultur. Multilinguale Erziehung im Post-Apartheid-Südafrika, Waxmann New York/München/Berlin 2000. 61 ,,In a democratic South African the insistence of Afrikaans and English excludes the majority of the people who speak neither of theres languages from the democratic process. It also takes the theatre further away from the people, and turns it into an elitist activity that it has become in the Western world.[...].the most effective theatre of reconcilitation will be performed in the 18 In der Weltmetropole Kapstadt wird der »District Six« aufgrund seiner sprachlich heterogenen Bevölkerung, der coloured community, gespannt observiert. Soziolinguisten haben die vorherrschenden Kommunikationsformen innerhalb des Stadtviertels näher untersucht und beschreiben ein -inzwischen in der Alltagssprache angekommenes- Code-Switching. 62 , 63 Das natürlich gewachsene sprachliche Phänomen des Code-Switching, welches in stark heterogenen Lebensgemeinschaften natürlich entsteht, sehen Sprachwissenschaftler wie Slabbert und Rinlayson als sprachpolitischen Lösungsansatz, der von staatlichen Institutionen angewandt, ein gerechteres ,,Neues Südafrika” ermöglichen könnte. Gerade im Schulsystem, das die zukunftsweisende staatliche Verantwortung für die heranwachsenden Bürger trägt, zeigen sich Unterschiede in Sprach-Theorie und Sprach-Praxis, von Deskriptions- und Konstruktionskonzepten. Ziel des landesweiten Bildungswesens, ob nun Bilingual, Trilingual oder Mehrsprachig angelegt, ist es die sprachliche wie kulturelle Diversität Südafrikas zu vermitteln und sich zugleich von statische Denkmodelle des Kolonialismus und Apartheid-Regimes und ihrer systematischen Sprachpolitik abzugrenzen. Sprachlenkung und Spracherhalt treffen sich auf der Bildungsebene sowie direkten Auswirkung auf das Individuum. Dies ist auch einer der Punkte, an dem sich “Obrigkeitssprache” und “Minderheitssprache” treffen, denn im Zweifelsfall führen beiden zum Sprach-zwang. Sprachvermittlung ist nicht zuletzt die Vermittlung von Kulturalität: ,,Im Kontext des Deutlichkeit, dass es Post-Apartheits-Südafrikas, zeigt sich mit großer in der ,,interkulturelle Begegnung” nicht nur um bereichernde Vielfalt geht, sondern immer auch um ein Verhältnis von Dominanz und Unterordnung.” 64 Überträgt man diese Spannungen auf die Bildungspolitik bleibt die Frage: Wer hat warum welche Sprache zu lernen? languages of the people.” Zakes Mda: South Africa theatre in an era of reconcilitation, aus: Frances Harding: The performance arts in Africa. A reader,Routledge London/New York S.289. 62 Sarah Slabbert /Rosalie Finlayson: Language and Identities in a Postcolony, in: Schriften zur Afrikanistik Band 10, Europaeischer Verlag der Wissenschaft 2005, S. 217, S. 254. 63 Siehe auch: Kay McCormick: Language in Cape Town’s District Six, Oxford University Press 2002. 64 ,,Interkulturelle Erziehung. Aus der Sicht der Perspektive der südafrikanischen Diskussion.” Aus: Heike Niedrig: Sprache –Macht-Kultur. Multilinguale Erziehung im Post-ApartheidSüdafrika, Waxmann New York/München/Berlin 2000, S.324. 19 Wie erfolgreich mit der neuen südafrikanischen Lebenswirklichkeit umgegangen werden kann, zeigt ein Beispiel aus der Subkultur der Musikszene, dem Hiphop. Weltweite sind die Konzertsäle der südafrikanischen Band De Antwoord und ihrer Gastmusiker gefüllt. 65 Ihren, für Klassikliebhaber vermutlich höchst ungewohnten, Stil bezeichnen sie selber als ZEF, welchen sie mit Attributen wie white trash assoziieren, den Untergang der weißen Herrschaftsbevölkerung und diesen zugleich persiflieren.66 Die provokanten Songtexte wechseln zwischen Englisch, Afrikaans und Xhosa. Das Code-Switching (CS) spiegelt sich generell, nicht nur in den sprachlichen Elemente ihrer Kunst wieder, Überschreitungen und Übergänge betreffen gleichermaßen traditionelle Grenzen von ”Gender”, “Hochkultur” und “Populärkultur”. Die unkonventionellen musikalischen Mittel lösen in der Musikszene willkommene Irritationen und internationale Erfolge sowie Aufmerksamkeit für die Konflikte und gesellschaftlichen Veränderungen, die Sprachvielfalt des “Neuen Südafrikas” aus.67 Auch im entfernten Europa, in den Niederlanden, wird die mehrsprachige Gruppe von den jüngeren Generationen als Unikum und Innovation gefeiert. Doch das heterogene Bild des “Neuen Südafrikas” hat bis heute nicht jene, sich auf nationale Traditionen berufene Fundamentalisten erreicht. Immer wieder gibt es in den Niederlanden Anlässe zur Diskussionen über den Status des Afrikaans. Ein erst vor Kurzem erschienene Leserbrief in der schlankeren, auf das junge Leserpublikum abgestimmte Variante der renommierten niederländischen Zeitung NRC Handelblad, dem nrc.next: ,,Het Afrikaans: een rebelse, bruine taal. Maar het wezen van deze taal is gestolen door blanke racisten.” 68, so der südafrikanische Schriftsteller und Apartheids-Gegner Breyten Breytenbach, der damit auf die traditionalistischen wie kolonialromatischen Äußerungen des niederländischen Rechtspopulisten Martin Bosma (Partij van de Vrijheid, PVV) reagiert. Bosma hatte zuvor Afrikaans als ,,vereenvoudigd zeventiende 65 www.dieantwoord.com, Stand 1.9.2011. Eine Persiflage über die weissen afrikanischen Minderheit der Post-Apartheid spiegelt auch das Filmprojekt Umshini Wam von Harmony Korine mit den Bandmitgliedern Ninja und Yo Landi in den Hauptrollen: http://umshiniwam.com/, Stand 1.9.2011. 67 Geschlechterrollen, Behinderungen, Sehgewohnheiten, Rhytmus, Einbingung von behinderten Künstlern, die Beispiele können fortlaufend weitergeführt werden. Eine kurze Einleitung zur Band ist hier zu finde: Paul Phillip Hanske. Albtraumhafter Kitsch, SZ 11.2.2010: http://www.sueddeutsche.de/kultur/soundtrack-des-white-trash-albtraumhafter-kitsch-1.56799, Stand 1.9.2011. 68 Eigene Übersetzung: ,,Afrikaans: Eine rebellische, farbige/braune Sprache. Das Wesen dieser Sprache ist jedoch von Rassisten gestohlen worden.“ NRC.next, donderdag 28 april 2011, opinie, S,16. 66 20 eeuws Nederlands” beschrieben: ,,Het voortbestaan van het Afrikaans is het sterkste bewijs dat onze taal een internationale taal is.” 69 Der sich wiederholende historisch begründete Kulturimperialsimus, -hier betreffend der Sprache Afrikaans- ist in der niederländischen Politik keine Ausnahme. Prof. Dr. Friso Wielenga, Direktor des Zentrums der Niederlande-Studien der Universität zu Münster, erklärte zu diesem Phänomen. ,,Der ehemalige Ministerpräsident Jan Peter Balkenende hat vor ein paar Jahren gesagt: Wir brauchen in den Niederlanden wieder eine VOCMentalität. Die "Anpacker-Mentalität" der Vereinigten Ostindischen Kompanie. Die harte Kolonialpolitik im 16. bis 18. Jahrhundert mit Ausbeutung und allem, was damit zusammenhängt. Dafür wurde er stark kritisiert. Lange Zeit hat es aber keine Kritik gegeben. Man durfte auch nicht von den Kriegsverbrechen im Krieg mit Indonesien von 1945 bis 1949 reden. Er hieß nicht mal Krieg. Mittlerweile ist ein kritisches Selbstbild entstanden über die weiter zurückliegende Kolonialgeschichte. Es gibt auch ein Denkmal für die Opfer der Sklaverei. Was aber nicht heißt, dass jetzt eine tiefgehende Vergangenheitsbewältigung eingeleitet wird.” 70 Neben der “Vergangenheitsbewältigung” des europäischen Kolonialismus und der Fortsetzung der Sklaverei nach der Unabhängigkeit der Siedler steht die Südafrikanische Bevölkerung seit Ende des Apartheid-Regimes vor der Herausforderung gemeinsam als Nation zu leben und die Zukunft miteinander zu gestalten. Mit der von Nelson Mandela einberufenen Truth and Reconciliation Commission (TRC: Wahrheits- und Versöhnungskommission) ist die Post-Apartheid Regierung mit internationaler Unterstützung einen langfristigen Weg gegangen. Die Kommission suchte den öffentlichen Dialog zwischen Tätern und Opfern, um so kollektive und individuelle Traumata zu überwinden und –wo möglich- Amnestie zu erlangen. “ The TRC appears as a national institution working within a national context. But in reality, there is a great history of migration and connection behind it. It 69 Eigene Übersetzung: ,,Vereinfachtes Niederlaendisch aus dem 17. Jahrhundert”und ,,Das Fortbestehen des Afrikaans ist ein starker Nachweis der Internationalität des Niederländischen.” 70 Interview von Petra Bäumer in: Fluter. Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung. 3.10.2011: http://www.fluter.de/de/niederlande/thema/9714/?tpl=1260, Stand 10.10.2011. 21 began with the migration of people of all backgrounds to South Africa as settlers and away from it as refugees. It continued with international connection among those calling for an end to the apartheid regime. The very idea of the Truth and Reconciliation Commission migrated from Chile and other countries, where it had been developed earlier.”71 Erst die persönliche Fähigkeit Vergangenes zu reflexieren, ermöglicht es Erlebnisse zu verstehen und im nächsten Schritt, traumatische Erinnerungen in erzählbare Erinnerungen umzuwandeln. Dazu gehört es auch, trotz und gerade aufgrund von Mehrsprachigkeit, eine gemeinsame Sprache zu finden. Ein solches Vorhaben setzt die Fähigkeit voraus, sich in die Position des anderen hineinversetzen zu können, die Perspektive wechseln zu können. Zum Erinnerungs-“Schlachtfeld” des vereinten Europa gehören, laut dem Geschichtswissenschaftler Partick Maning, der sich auf das Weltgeschehen und die afrikanische Diaspora spezialisiert hat, sieben Kreise: Der Holocaust und negativer Gründungsmythos, der GULag und die ethnische Säuberungen, Kriege und Krisen, Kolonialsverbrechen Migrationsgeschichte und Europäische Integration. 72 sowie die gesamte Teil des europäischen Traumas und der Erinnerung sind nach diesem Selbstverständnis auch die Verbrechen der letzten Jahrhunderte, die auf dem afrikanischen Kontinent stattgefunden haben. Eine europäische Auseinandersetzung mit den südafrikanischen Themen kommt demnach einer Auseinandersetzung mit der eigenen Identität gleich. Dort, wo historische und kollektive Schicksale Südafrikas das Individuum in Europa bewegen, beginnt der Dialog der Weltgemeinschaft. Trotz der weltweit teilweise extrem unterschiedlichen kollektiven Erinnerungformen, wird die universale globale Perspektive der Erinnerung, wie der Geschichtswissenschaftler Wolfgang Hardtwig am Beispiel der Shoa ausführt, auch für die einzelnen Nationen immer wichtiger: ,,Je weniger die Vergegenwärtigung der eigenen System oder Nationalgeschichte ausreicht, um sich für die Zukunft zulänglich zu orientieren, desto stärker rücken die divergenten Erinnerungskulturen oder, 71 Patrick Maning: Migration in World History, Routlegde 2008, S. 179. Claus Leggewie: Der Kampf um die europäische Erinnerung. Ein Schlachtfeld wird besichtigt, Becksche Reihe München 2011, S.14. 72 22 anders gesagt, die dezentralen Erinnerungspole, in eine universale Perspektive ein- und desto universellere Relevanz gewinnt das Extremereignis [...]. 73 Literatur ist ein mögliches Narrativ und damit Speichermedium des Erinnerungsprozesses. Tawadas literarische Begegnung mit dem Fiktionen Südafrikas, das Bioskoop der Nacht, ist –so betrachtet schon aufgrund der Themenwahl- ein Angebot an den Leser, am öffentlichen Dialog teilzuhaben und schlussendlich bietet der Text die Möglichkeit den Versöhnungsprozess der Weltgemeinschaften voranzutreiben. 73 Wolfgang Hardtwig: Fiktive Zeitgeschichte? Literarische Erzählung, Geschichtswissenschaft und Erinnerungskultur in Deutschland aus: Konrad H.Jarausch/Martin Sabrow (Hg.): Verletztes Gedächtnis. Erinnerungskultur und Zeitgeschichte im Konflikt, Campus Verlag Frankfurt/New York 2002, S. 122 23 4 Die Sprache der Literaturwissenschaft: eine Migrationsgeschichte Die gegenwärtigen Einordnungsversuche des künstlerischen Werkes Yoko Tawada sowie ihrer Künstlerpersönlichkeit zeigen viele Spannungen innerhalb der Literaturwissenschaften auf, die primär gesellschaftspolitischen Ursprunges sind. Da die aktuellen Debatten über Migration und Integration in Zeiten des stets grösser werdenden globalen Bewusstseins und Wandels Hochkonjunktur haben, ist es nicht erstaunlich, dass die Herkunft und somit Autorenschaft von Yoko Tawada in der Bewertung und Einordnung ihrer Literatur eine große Rolle zu spielen scheint. Innerhalb des literaturtheoretischen Diskurses jedoch ist eine rein autobiographische Betrachtung von Literatur als äußerst kritisch zu betrachten. Spätestens mit Roland Barthes poststrukturalistischem Ausruf des Tod des Autors rückt in der Analyse der Text und die Position des Lesers in den Vordergrund. Die Übertragung von gesellschafts-politischen Literaturwissenschaft Kategorisierungen, funktioniert nicht, wie will “Migrationsgruppen”, man die Disziplin in die und ihre Untersuchungsobjekte ernst nehmen. Andererseits ist die zeitgenössische Künstlerin Yoko Tawada für die Literaturwissenschaft in einer Doppelrolle aktiv: Sie ist Schriftstellerin und promovierte Literaturwissenschaftlerin. Ein Verzicht ihrer nonfiktionalen Beiträge im Bezug auf ihre Werke und Themen wäre für alle Parteien, wie den theoretischen Diskurs, ein Verlust. Bei der Analyse ihrer Texte ist auffällig, dass sowohl die Themenwahl, der Sprachgebrauch, als auch Ich-Perspektive der fiktionalen wie non-fiktionalen Texte sich nur marginal unterscheiden. Eine Genre-übergreifende literaturwissenschaftliche Betrachtung ihres bisherigen Lebenswerkes legt dies zusätzlich nahe. Yoko Tawada ist eine mehrsprachige Autorin, sie publiziert ihre Werke sowohl auf Japanisch als auch Deutsch. Seit den 1980er Jahren lebt die gebürtige Japanerin in Deutschland. Aufgrund Ihrer Vita wurde sie im vergangenen Jahrzehnt mit ihrem Werk der Migrantenliteratur, zuletzt vermehrt der Migrationsliteratur, fremden Literatur beziehungsweise interkulturellen Literatur zugeordnet. 74 Generell ist 74 Die literaturwissenschaftlichen Einordnung wurde in den 1980er Jahren noch durch die Biographie der Autoren als entscheidendes kategorisierendes Kriterium definiert, zu sehen am Begriff ,,Migrantenliteratur”. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wird verstärkt auch Form und Inhalt der Texte betrachtet, welche die kulturellen Herausforderungen in der Fremde spiegeln: ,,Migrationsliteratur”. Auch Überschneidungsflächen mit der Literaturkategorie des Exils und der Diaspora sind, trotz vieler Unterschiede, erkennbar.Siehe zur hierzu auch: Die Rolle der Literatur im interkulturellen Prozeß/ Migrationsliteratur in der deutschen Literaturgeschichte/Literatur und Kultur in der Migration, S.19-31 aus: Cornelia Zierau: Wenn 24 festzuhalten: Die Problematik dieser literaturgeschichtlichen Bezeichnung und Ordnungsstruktur reflektiert, welche Herausforderung und Wandel die Disziplin der Literaturgeschichte und -wissenschaft und ihre Methoden gerade durchlaufen. Welchen Platz nimmt das ,,fremde Schreiben”, die ,,neue Literatur” innerhalb der Gegenwartsliteratur und damit über kurz oder lang im Diskurs der Literaturgeschichten ein? Die sprachliche und kulturelle Differenzen vieler zeitgenössischer Kunstwerke, inklusive dem Werk Tawadas, fordert die klassisch tradierte ,,nationale” Literaturwissenschaft zur Selbstreflexion heraus, denn kulturelle Traditionen gestalten die Wissenschaftspraxis gleichermaßen, wie die Wissenschaftspraxis den Wandel der Tradition und Kultur begleitet. Am Beispiel von Yoko Tawada zeigt sich exemplarisch, welche Schwierigkeiten die Einordnung zeitgenössischer Werke mit sich bringt. Da gerade die Themen Migration, Interkulturalität und sprachliche Vielfalt in ihren Büchern eine dominante Rollen spielen, klassische Definitionen von Kultur, Nationalsprache und ethnischer Zugehörigkeit in der literarischen Auseinandersetzung unterlaufen werden, gestaltet sich die wissenschaftliche Klassifizierung und Kategorisierung ihrer Kunst als historische Herausforderung. Schnell wird deutlich, dass eine zeitgenössische Weiterentwicklung der Disziplin notwendig ist. Die Bezeichnung Migrationsliteratur, einer der letzten ,,Arbeitstitel” der deutschen Literaturwissenschaften, gibt eine perspektivische Annäherung an Werke vor. Diese Kategorie entspricht einer inhaltlichen Einordnung. Ihr Werk alleinig aufgrund ihrer nicht-deutschen Herkunft beziehungsweise des nicht ausschließliche japanischen Schreibens und Werkcharakters als Migrationsliteratur zu kategorisieren ist fragwürdig und verkürzt. Bei der näheren Auseinandersetzung mit dem bisherigen Oeuvre Tawadas ist zu betonen, dass die Schriftstellerin werkintern auch Migration als Thematik im weitesten Sinne aufgreift, diese jedoch in einer sich wandelnden ästhetisch-kulturellen Form und nicht ausschließlich im Kontext soziologischer oder politischer Definition versteht. Vielmehr wird auf der metafiktionalen Ebene der literarischen Texte offen mit Intertextualität gespielt. Inhalte wie Formen “migrieren”. In der Literaturwissenschaft wird dieses Technik als Intertextualität bezeichnet: Querverweise zu Paul Celan und Unica Zürn, Heinrich von Kleist, Ernst Jandl, Franz Wörter auf Wanderschaft gehen….Aspekte kultureller, nationaler und geschlechtsspezifischer Differenzen in deutschsprachiger Migrationsliteratur”, in: Elisabeth Bronfen/Michael Kessler/Paul Michael Lützeler/Wolfgang Graf Vitzthum/Jürgen Wertheimer (Hg.): Stauffenburg Discussion: Studien zur Inter- und Multikultur Band 27, S.20; S.22f. 25 Kafka, E.T.A. Hoffmann, Else Lasker-Schüler, Goethe sind dabei nur einige Künstlerinnen und Künstler, die von Tawada direkt namentlich benannt und textintern reflektiert werden. 75 , 76 Bekannt ist auch, dass sie gegen Berthold Brecht “anschreibt”. 77 Sie de-platziert wiederholt historische Inhalte und Konzepte innerhalb zeitgenössischer kultureller Kontexte. Neben philosophische adaptive Bezüge zu Ovids Metarmphosen sind dem aufmerksamen Leser Walter Benjamins Passagen und Sprachtheorien zu erkennen, zudem wird die Psychoanalyse von Lacan mehrmals in ihren Texten unterlaufen. Ihr Schreibstil selber erinnert sehr an die Literatursprache Roland Barthes, der mit der Kulturanalysen Japans den literarischen Weg der Poststrukturalisten gepflastert hat. Eindeutig: Die Tradierung von Tawadas Werk ist nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb des deutschen beziehungsweise westeuropäischen Kunstgeschichte zu finden. Die Begriff der ,,Migrationsliteratur” scheint grundsätzlich inhaltlich wie äußerlich eher kryptisch angelegt zu sein. 78 Doch wie sich dem Text nähern, ihn einordnen, ohne mit der Kategorisierung wichtige Elemente auszuschließen? Die Autorin, selber promovierte Literaturwissenschaftlerin79, bezeichnet ihre Literatur unkompliziert als Exophonie und Literatur von Aussen. 80 Diese Selbstbezeichnung vermeidet zum einen den Reizbegriff der Kultur 81, sowie lässt er Rückschlüsse auf die programmatische Konzeption ihres Werkes zu. Liest man ihre Werke, fällt der dominante ver-innerlichte Blick auf. Werkintern wird eine deutliche Korrelation von Sprache und Kultur-Entität skizziert, in deren Grenzen sich die literarischen Individuen, die für Tawada typische Ich-Erzählerinnen, frei bewegen können: 75 Siehe hierzu den Essay: Yoko Tawada : Das Tor des Übersetzers oder Celan liest Japanisch aus: Talisman, Konkursbuchverlag 1996. Auch Parallelen zum Werk Unica Zürns, ihrem Konzept des ,,Satzes als Körper” sowie der Schreibstil in Anagrammen wiederholt und reflektiert sich in Tawadas Werk intertextuell. 76 Interview mit Yoko Tawada der Heinrich Böll Stiftung, Februar 2009: http://www.migrationboell.de/web/integration/47_2015.asp, Stand. 1.9.2011. 77 Bettina Brandt: The postcommunist eye. An interview with Yoko Tawada, in: World Literature Today, January-february 2006, S. 43-45, hier: S.44 78 Äußerst interessant wäre es hierbei, die Deutungshoheit- und Positionierungsversuche einmal mit denen der japanischen Literaturwissenschaftler zu vergleichen und auf Tawadas “Stellung” zu untersuchen. 79 Yoko Tawada: Spielzeug und Sprachmagie in der europäischen Literatur. Eine ethnologische Poetologie. Konkursbuchverlag 2000. 80 Exophonie (von Exo, expostion, ausserhalb, Erläuterung, Darstellung und -phonie, Stimme, Klang) , siehe auch Susan Arndt/Dirk Naguschewski/Robert Stockhammer (Hg.): Exophonie. Anders-Sprachigkeit (in) der Literatur, in: LiteraturForschung Bd. 3, Kulturverlag Kadmos, Berlin, 2007. 81 Vermieden wird somit vorallem ein Bezug zur national-historische Tradierung des Begriffes Kultur. 26 ,,Diese Sprache, mit der ich jetzt über Europa rede, ist auch eine europäische Sprache. Nicht nur die Sprache, sondern vielleicht auch die Argumentationsfiguren und der Tonfall gehören zu Europa und nicht zu mir. Ich wiederhole Europa in Europa. Kaum fange ich an, über Europa zu sprechen, wiederhole ich sie. Deshalb höre ich auf zu sprechen. Ich muss mir eine andere Methode überlegen, um mit ihr umgehen zu können.” 82 Während einerseits die deutsche Sprache als autonomer Träger von kulturellem Denken dargestellt wird, sagt die Ich-Erzählerin andererseits noch kurz zuvor: ,,Japan existiert nicht in Europa, aber außerhalb Europas findet man Japan auch nicht. Ich muss mir, um Europa sehen zu können, eine japanische Brille aufsetzen. Da es so etwas wie eine »japanische Sicht« nicht gab und gibt- und für mich ist das keine bedauerliche Tatsache –, ist diese Brille zwangsläufig fiktiv und muss ständig neu hergestellt werden. Meine japanische Sicht ist insofern keinesfalls authentisch, trotz des Faktums, dass ich in Japan geboren und aufgewachsen bin[...]”83 - ,,Eigentlich darf man es niemandem sagen, aber Europa gibt es nicht”2011 Auch in der Sammlung Überseezungen, hier im Kapitel der Nordamerikanischen Zungen konkretisiert -wiederum eine Ich-Erzählerin, mit dem Titel Die Ohrenzeugin die national-sprachliche Frage: ,,Wenn man eine »native American« als »Eingeborene« bezeichnen kann, könnte man unter einem »native speaker« jemanden verstehen, der in eine Sprache hineingeboren wird. Ich war also ins Japanische hineingeboren worden, wie man in einen Sack hineingeworfen wird . Deshalb wurde diese Sprache für mich meine äußere Haut. Die deutsche Sprache jedoch wurde von mir hinuntergeschluckt, seitdem ist sie in meinem Bauch.” 84 Das Phantasma der Lesbarkeit der Kultur 85 und ihrer haptischen Verortung wird von den Ich-Erzählerinnen konsequent um die Notwendigkeit des ,,fiktiven” perspektivischen Sehens ergänzt. Genauso wie ihre Protagonistinnen wählt die Autorin Tawada die Methode des Schreibens, um mit der Welt umzugehen. Es ist 82 ,,Eigentlich darf man es niemandem sagen, aber Europa gibt es nicht” in :Yoko Tawada: Talsiman, KonkursbuchverlagClaudia Gehrke 7.Auflage 2011, S.52. 83 ,,Eigentlich darf man es niemandem sagen, aber Europa gibt es nicht” in :Yoko Tawada: Talsiman, KonkursbuchverlagClaudia Gehrke 7.Auflage 2011, S.51. 84 Yoko Tawada: Überseezungen, S. 103. 85 Siehe hierzu auch. Siegrid Weigel: Zum Phantasma der Lesbarkeit. Heines »Florentinische Nächte« als Urszene eines kulturwissenschaftlichen Theorems, S. 245-258. Aus: Die Lesbarkeit der Kultur. 27 schlussendlich dieses Selbstverständnis der Literarizität, welches sprachlich Immersion und kulturelle Exklusion aufzeigt, ohne sie im binären Denken gegeneinander auszuspielen. Begriffe wie ,,Muttersprache” und exklusiver ,,Nationalsprache” verlieren in der individuellen Dialektik automatisch ihren statische Charakter und strukturellen Machtbezug. Künstler und Künstlerinnen wie Tawada, die in mehreren Kulturen zuhause sind, schaffen mit dem Schreiben, der emergent literature, “Ort[e] des Umdenkens” so Leslie A. Adelson. 86 Dabei darf durchaus gefragt werden: Tut dies Kunst nicht generell? Zumindest in der Ästhetik wird von einer allgemeinen Wirkungs-Möglichkeit von Kunstwerken auf den Rezipienten ausgegangen: ,,Kunsterfahrung ist [...] eine Welterfahrung, die sich einen (genialen) Neuentwurf der Welt ausmünzt als auch eine durch diesen Vorentwurf nachvollziehbare neue Erfahrung der Welt. Die philosophische Ästhetik muß sich daher als Analyse der ,kommunikativen Funktion´ des Kunstwerkes darstellen.” 87 Dieser Argumentation folgend ist der Kunstgattung Literatur der generelle Status eines universalen Freiheits-Raumes zuzuschreiben. Gerade in der inter-kulturellen Kategorie -dem Raum der emergent literature 88 , wie das amerikanische Äquivalent zur zeitgenössischen ,,Migrationsliteratur” heißt- wird das literarische Potential der Mitsprache jedoch noch immer häufig gesellschaftlich entzogen. In einem Manifest gegen das Dazwischen fordert Leslie A. Adelson deshalb dazu auf, die zeitgenössischen Künstlerbiographien unterschiedlicher ethnischer Herkunft und ihre Produkte der neuen nationalen Literaturen nicht “zwischen den Stühlen” traditionellkultureller Ideologie zu platzieren. Auch dem Schriftsteller Navid Kermani, der deutsch-iranischer Herkunft ist, wurde die Frage nach seiner “eigentlichen” Identität zur Zwangsjacke. ,,Jede Art von Zuschreibung schränkt die Vielfalt und Ambivalenz der wirklichen Erfahrung notwendig ein. Literatur will solche kollektiven 86 Leslie A. Adelson: Against Between- Ein Manifest gegen das Dazwischen, in: Literatur und Migration, Sonderausgabe Text+Kritik, Richard Booberg Verlag München 2006, S. 36-46, hier S. 40. 87 Annemarie Gethmann-Siefert, Einführung in die Ästhetik, München 1995, S.256. 88 Cyrus R.K. Patell: Emergent literatures, in: From Marignal to Emergent. Prose Writing 19401990. Sacvan Bercovitch (Hg.), Cambridge University Press 1999, hier: Cambridge Histories Online, Cambridge University Press, 26.Juni 2012. DOI: 10.1017/CHOL9780521497329.029. 28 Kategorisierungen und Identifizierungen ja gerade aufsprengen.“ 89, so sein Anspruch. Für Leslie A.Adelson gilt generell eine Abwendung von einer etwaigen holistischen Kulturentität national-historischer bzw. statischer Struktur. Der Gefahr der Marginalisierung ist nur mittels eines kulturellen Paradigma-Wechsels zu entgehen: ,,Kultureller Kontakt ist heute keine »interkulturelle Begegnung« zwischen der deutschen Kultur und etwas, was sich außerhalb von ihr befindet. Dieser Kontakt ist eher etwas, das i n n e r h a l b der deutschen Kultur stattfindet, nämlich zwischen der deutschen Vergangenheit und der deutschen Gegenwart.” 90 Eine Neuorientierung im nationalen Diskurs der Gegenwartsliteratur ist nur möglich, wenn alle gegenwärtigen Autoren mit ihren Werken gleichwertig miteinbezogen werden. Auch die Literaturwissenschaft als Fachdizsiplin befindet sich daher in Bewegung. Gefragt werden darf, inwiefern Bereiche wie dabei neu entstehenden Fachrichtungen der interkulturellen Germanistik bzw. postkolonialen Literaturstudien, Fragestellungen nach der ,,Migrationsliteratur” nicht das Denken des “Dazwischen” auch innerhalb der Germanistik erst fördern. Die Gefahr von der Postulierung von “Brücken”-menschen und Erwartungs-Projektionen auf die etwaigen Werke besteht. ,,Die Präsenz minoritärer Identitäten, denen Deleuze die Macht zu Veränderungen zuspricht, wird nicht allein über ihre Sichtbarkeit erreicht. Im Gegenteil läuft eine inszenierte Sichtbarkeit Gefahr, Fremdkonstruktionen, die versuchen diese Differenzen den eigenen kulturellen Vorstellungen anzugleichen, erst zu bedienen.” 91 Die lexikale Etablierung und Definition der jungen Fachdisziplinen steht noch am Anfang, wie Herbert Ueberlings skizziert.92 Die “interkulturelle Begegnung” gesellschaftlich wie innerhalb der Literaturwissenschaft auf einen immer noch 89 ,,Widersprüchlichkeit erlebbar machen. Interview: Navid Kermani über seinen neuen Roman und darüber was Literatur leisten kann“, Neue Westfälische Zeitung, Kultur/ Medien Nr. 196, 24.August 2011, anäßlich der Buchvorstellung Dein Name in den Literarischen Quellen auf dem Aqua Magica-Gelände Löhne/Bad Oeynhausen. 90 Leslie A. Adelson: Against Between- Ein Manifest gegen das Dazwischen, hier: S. 39. 91 Meike Kröncke: Exponierte Sichtbarkeit, Bildstrategien in der visuellen Kultur, In: Meike Kröncke/Kerstin Mey/Yvonne Spielmann (Hg.): Kultureller Umbau. Räume, Identitäten, und Re/Präsentationen, Transcript Kultur und Medientheorie 2007, S. 139-159, hier S. 159. 92 Herbert Ueberlings: Interkulturelle Germanistik/Postkoloniale Studien in der Neueren duetschen Literaturwissenschaft. Ene Zwischenbilanz zum Grad der Etablierung, Zeitschrift für interkulturelle Germanistik 2, 20011, S. 27-37. 29 bescheidenen Teilbereich der Gesellschaft zu projizieren, gehört zur Problematik der wissenschaftlichen Fragestellung. Wird nun die “deutsche Kultur” als interkulturelle Dynamik gesehen, wie Adelson es tut, hat dies langfristige Konsequenzen auf die interkulturellen Literaturwissenschaften. Alle Literatur ist der Argumentation folgend, interkulturell und sollte als solche untersucht werden. 93 Das Wort Migration, sprachlich dekonstruiert und unter seiner ursprünglich Herkunft des lateinischen Wortes migratio verstanden, ergibt einen interessanten Bezug zu Tawadas Literatur und der von ihr bestrebten inhaltlichen Problematisierung. Migration ist aus dem Lateinischen als Wanderung, Umzug zu übersetzen. 94 Die Wahl ihrer fast ausschließlich subjektivistisch Perspektive in der Literatur begründet die Autorin, damit, dass diese Erzählweise gesellschafts-historische Ausgangspositionen im individuellen Umgang spiegeln kann. It is more important to think about existing differences, and to reflect upon how these are perceived and incorporated. We are constantly changing, and change is not a threat. It is much more diffucult to try to understand this process of transformation than to hold on to a rigid permanent shape. “95 -Yoko Tawada im Interview mit Bettina Brand, 2006 Yoko Tawada beansprucht demnach für die Konstruktion des Selbst, der narrativen Identitätsfrage zuallererst einen Ansatz, der exemplarisch begründet ist und sich zudem dynamisch verhält. Das Vorgehen steht deutlich im Gegensatz zum traditionellen Verständnis einer holistischen Kulturentität, die eher statisch und strukturell angelegt ist. Den prozessualen Charakter des Wortes Migration betonend, können die Fragen an das Begriffspaar “Literatur” und “Migration” deshalb sein, was sich bewegt oder wer und wohin, zudem und vor allem mit welchen literarischen Mitteln. Migration kann in diesem Sinne auch kognitive Prozesse, Zeitdimensionen, Sprache wie Medien und 93 Helmut Schmitz: Einleitung: Von der nationalen zur internationalen Literatur, In: Von der nationalen zur internationalen Literatur. Transkulturelle deutschsprachige Literatur und Kultur im Zeitalter globaler Migration, Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, Band 69, Helmut Schmitz (Hg.) Rodopi, S.7-15, hier S. 8. 94 Migration wird zudem in der Soziologie als ,,Wanderung, Bewegung von Individuen oder Gruppen im geographischen oder sozialen Raum, die mit einem Wechsel des Wohnsitzes verbunden ist” beschrieben. aus: Duden Band 5, Das Fremdwörterbuch, 7., neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Dudenverlag: Bibliographisches Institut & F.A.Brockhaus Mannheim,Leipzig, Wien, Zürich 2001, S.632 95 Bettina Brandt: The Postcommunist Eye. An Interview with Yoko Tawada. World Literature Today, January-February 2006, S.43-45, hier S.43 30 geographische Räume betreffen.96 Entscheidend wäre bei einer solchen Betrachtung und Fragestellung an die Literatur, welche Perspektive und Denkschule eingenommen oder unterlaufen wird, wo Innen und Aussen ist, Vertrautheit und Fremde, kurz: die Prozesse des Wandels sich befinden. Diese Fragen sind von selbstsprechend auf die Werke aller Künstler, auch ohne nationalen oder sprachlichen Migrationshintergrund, zu übertragen. Fern der Grundsatzdebatte über das Kulturverständnis sieht die Autorin Yoko Tawada die Zuordnung ihrer Person als Migrations-Literatin und ihres Werkes als Migrationsliteratur gelassen. Für ihr Selbstverständnis sind die wissenschaftlichen Klassifizierungen augenscheinlich keine Bedrohung von schriftstellerischer Integrität oder gar das Zeichen einer historisch gewaltbereiten Ideologisierung .97 Sie erwartet keine Deplatzierung, gar Marginalisierung ihrer Person innerhalb der deutschen Einwanderungsgesellschaft. Es seien dagegen eher populär-marktwirtschaftlichen Zwängen und Verkaufszahlen, denen die Bewertung von Literatur und Positionierung des modernen Schriftstellers unterlegen sind: ,,Wir [Schriftsteller mit Migrationshintergrund] arbeiten mit der deutschen Sprache, und wir haben Distanz zu der deutschen Sprache. Es gibt andere Hintergründe, aber diese Gemeinsamkeit ist wichtig. Das ist wie ein runder Tisch, die deutsche Sprache, und wir wissen: Ich kann mitreden, und das ist eigentlich eine tolle Sache. Ich denke nicht, dass man als Migranten-Literaten diskriminiert oder an den Rand gedrückt wird. Vielmehr gibt es eine andere Einteilung, die mich stört: die in Bestseller- und Nicht-Bestseller-AutorInnen; in was sich gut verkauft und was sich nicht gut verkauft. Und unter den gut verkauften AutorInnen sind auch MigrantInnen heutzutage. Daher ist es kein Nachteil und auch kein Vorteil.“98 - Yoko Tawada, Interview der Heinrich Böll Stiftung, Februar 2009 96 Erweiterung des Begriffes ,,Migrationsliteratur” und Abwendung von der historischen Einordnung als gesellschaftspolitischer Begriff der Arbeitsmigration (,,Gastarbeiterliteratur”). Heidi Rösch (1998): Migrationsliteratur im interkulturellen Diskurs, Vortrag zur Tagung ,,Wanderer - Auswanderer - Flüchtlinge“ (1998) an der TU Dresden, S. 2, digitale Version: www.fulbright.de/fileadmin/files/.../Roesch_Migrationsliteratur.pdf, Stand 24.Oktober 2011. 97 Andreas B. Kilcher (Hg.): Metzler Lexikon der deutsch-juedischen Literatur, Verlag J.B. Metzler Stuttgart 2000, hier: Einleitung, S. VII. 98 Yoko Tawada im Interview der Heinrich Böll Stiftung, Februar 2009: 31 Global-wirtschaftliche Machteffekte beziehen sich neben dem Buchverkauf vor allem auf die Bewertung einzelner Standard-Sprachen. Dieser Themenkomplex findet sich auch in ihrer Erzählungsammlung der Bioskoop der Nacht wieder. Mit der Präsenz von “Mehrsprachigkeit” wurde bereits ein wichtiges Charakteristika von Yoko Tawadas Literatur angesprochen. Yildiz versteht dieses post-monolinguistisches Signal im Sinne eines lang überfälligen sprach-politischen Paradigma-Wechsels der modernen Nation in der globalen Weltgemeinschaft. ,,Mehrsprachigkeit” ist für Tawadas Literatur -so sind sich wohl alle einig- das Hauptmerkmal. Doch was heißt dies genau? Mit dieser Frage fällt schnell auf, dass das Verständnis von ,,Mehrsprachigkeit” und die damit einhergehenden Definitionen sich literarisch und gesellschafts-politisch sehr unterschiedlich darstellen. Das Mehrsprachigkeits-Phänomen anhand des gängigen gesellschaftspolitischen Verständnisses von “Standard”-sprachen und im Sinne der klassischen Nationalsprachen zu erklären, wäre naheliegend. Es ist nicht überraschend, dass Tawada einiges an bilinguale Collagen publiziert hat. Einzuwerfen ist jedoch, dass auch einsprachige “deutsche” Texte, wie es zum Beispiel Bioskoop der Nacht ist, deutlich Zeugnis von sprachlicher Diversität vermitteln. Insgesamt überschreiten Yoko Tawadas eigenwilliger Schreibstil das klassische Verständnis und die damit einhergehende Trennung von Standartsprachen. In den Mittelpunkt ihrer Texte rücken fortwährend unterschiedlichste Formen sprachlicher Alterität. “Sprachlichkeit” wird in seiner heterogenen Form zu einer ihr eigenen Form von Literatursprache umgewandelt. In den folgenden Arbeitsschritten wird dieser Punkt noch weiter ausformuliert werden. 32 5.1 Von Sprachwahl zu Mehrsprachigkeit Auf ihrer Reise nach Südafrika erfährt Tawadas mehrsprachige Ich-Erzählerin des Bioskoop der Nacht in einer britischen Zeitung beiläufig von der ökonomischen Gewichtung des Phänomens “Sprache” für die Gesellschaft: ,,Ich blätterte darin und las, dass der wirtschaftliche Wert der englischen Sprache 5.455.000.000.000 Pfund betrage. Man rechnete den Gewinn der Firmen zusammen, in denen man Englisch spricht, und versuchte dadurch, den Wert einer Sprache in Zahlen zu fassen.” 99 Wird Sprache alleinig als Wirtschaftsfaktor gesehen, beeinflusst dies die Entscheidung des Individuums. Gerade betreffend den Spracherwerb von Minderheitssprachen, wie es zum Beispiel das Afrikaans ist, tritt dies zutage. Die persönliche Motivation und kulturelle Bedeutung der einzelnen Sprache gewinnt für die Sprachwahl die wesentliche Gewichtung, denn obwohl es ,,kaum ein Hindernis beim Erlernen dieser Sprache gibt” rostet mit dem Sprachunterricht und seinen Zwängen der Grammatik und des Syntax beim Schüler schnell die ,,Sprachlust [...] hinter den Zähnen”.100 Auch Tawadas Ich-Erzählerin aus Bisokoop der Nacht muss den ungewöhnliche Plan Afrikaans lernen zu wollen gegenüber der Lehrerin, ,,Frau Sprache”, in der Sprachschule rechtfertigen: »Also, wie gut können Sie Englisch«, fragte sie mich. »Ich will hier gar nicht Englisch lernen, ich möchte mich in den Anfängerkurs für Afrikaans einschreiben.« »Was wollen Sie mit Afrikaans?« »Ich möchte als Dolmetscherin arbeiten.« »Schön. Und wo?« »In meinen eigenen Traum.«” 101 Die Gleichung des Dialoges, durch den Fremdsprachenerwerb des Afrikaans sich selber, dem eigenen Traum-»Ich«, begegnen und es dolmetschen, verstehen zu können, ist in Tawadas Erzählung nur unterschwellig romantischer Natur. Die Freud´sche Traumdeutung und vermeintlich “wahre”, wohlgleich fremde Identität ist von aussen angedient und Ergebnis eines langen -qualvolle[n] Spiel[s] gesellschaftlicher 99 Yoko Tawada: Überseezungen, S.71. Yoko Tawada: Überseezungen, S. 75; 84. 101 Yoko Tawada: Überseezungen, S. 75. 100 33 Projektion deutscher Partygäste. 102 Von belanglosem Smalltalk wird die Protagonistin wiederholt mit der schlussendlichen und zwanghaften Frage -,,Und in welcher Sprache träumen Sie?”- eingeholt. 103 Erst mit der fortschreitenden Dynamik der Erzählung erfährt die nach Deutschland emigrierte Protagonistin eine stets konkreter werdende Definition ihres fremd-sprachlichen Selbst: vom anders deutsch, wird die unverständliche Traumsprache zu eindeutig deutsch, jedoch völlig deformiert, schließlich harsch von einem Mann als eine Missgestalt beschrieben. 104 ,,Diese Missgestalt nähme sie an, weil sie in meinem Kopf ständig von der mächtigen Mutter-sprache unterdrückt werde. Es sei eine Zumutung, dass zwei erwachsende Schwestern ein kleines Kopfzimmer teilen müssen.”105 Die Annahme einer räumlichen Beschränkung des Kopfzimmers und damit des menschlichen Denkens und Apartheid einzelner Sprachexistenzen spiegelt sich auch in der national-historischen Romantik und Exklusivität der “Seelen-sprache”. Die mehrsprachige Ich-Erzählerin widersetzt sich mit ihrem heterogenen Selbstverständnis entschieden gegen die negative Rhetorik dieser Metapher: »Man träumt doch in einer Sprache des Landes, in dem die Seele wohnt«, sagte die Frau in einem predigenden Ton zu mir. Ich antwortete fröhlich: »Ich haben viele Seelen und viele Zungen.« 106 Ausgerechnet eine Lacan´sche Schülerin aus den Niederlanden liefert die entscheidende Definition der Traumsprache: »Das ist Afrikaans.«. 107 , die eine einfach zu lernende, eine biegsame ,,weibliche” Schwester des Deutschen sei: 108 »Ein Schriftzeichen kann durch eine komplexe Verschiebung zufällig mit einem anderen Schriftzeichen identisch werden«, sagte die Analytikerin. “109 Was folgt ist die Suche des literarischen Ichs nach einer logischen Erklärung: ,,Das [die Sprach-Verschiebung] war die Theorie der Analytikerin. Meine Traumsprache könne rein zufällig Afrikaans werden. Ich glaubte aber nicht an Zufälle. Ich muss irgendwann unbewusst eine Reise nach Südafrika 102 Yoko Tawada: Überseezungen, S. 63. Die Frage nach der ,,eigentlichen” oder ,,wahren” Sprach- und Kulturzugehörigkeit , dem authentischen Identitaetsgefühl in der Fremden kennt wohl fast jeder Migrant. 104 Yoko Tawada: Überseezungen, S.63f. 105 Yoko Tawada: Überseezungen, S.64. 106 Yoko Tawada: Überseezungen, S.69. 107 Yoko Tawada: Überseezungen, S.65. 108 Yoko Tawada: Überseezungen, S.65. 109 Yoko Tawada: Überseezungen, S.66. 103 34 unternommen haben, ich musste mich bloß erinnern, wann und wie es passierte.” 110 Die Diskurse von Logik und Kontingenz werden im Folgenden mittels der historischen Betrachtung auf den Prüfstand gestellt. Doch in ihrer eigenen Vita gibt es nur einen Hinweis auf eine solche einen historischen Ursprung der unterbewussten Sprache Afrikaans: Europa. Neben einem Kurzurlaub in den Niederlanden werden keine Zeugnisse weiterer Sprach-Erinnerungen gegeben. Ihre sprachliche Identität bleibt der Protagonistin unerklärlich. Ein Idealzustand, der 1981 vom Europäer Roland Barthes für die sprachliche Kulturanalyse bestimmt wurde: Ein Traum: Eine fremde (befremdliche) Sprache kennen und sie dennoch nicht verstehen: in ihr die Differenz wahrnehmen, ohne diese Differenz freilich jemals durch die oberflächliche Sozialität der Sprache, durch Kommunikation oder Gewöhnlichkeit eingeholt und eingeebnet würde; die Systematik des Unbegreifbaren erlernen […]…wenn wir unsere Gesellschaft in Frage stellen wollen, ohne zugleich die Grenzen der Sprache zu bedenken, mittels deren(ein instrumentelles Verhältnis) wir sie in Frage zu stellen vorgeben: Das ist so, als wollte man den Wolf vernichten und machte es sich in seinem Rachen bequem..” 111 Für Barthes ist diese Wunschvorstellung eine Einladung mittels Fremdsprachlichkeit fremde Kulturen beschreiben und verstehen zu können. Der Gefahr des “Wolfsrachens”, dem ungebändigten Sprach-Zustand empfindet Tawadas IchErzählerin in der ersten Traumsequeunz allerdings tatsächlich als Todesdrohung. Sie ist in der Fremde Südafrikas und dem Zustand der kulturellen Immersion traumatisiert -und: ,,...erschrak über das Wort »tot«, auf das das Datum 23.7.2000 folgte. Wenn ich den Inhalt der Dose essen würde, würde ich spätestens an diesem Tag tot sein. Mein Verfallsdatum. Ich gab dem Ladenbesitzer die Dose zurück. »Ich wollte aber noch nie nicht weiteratmen.«”112 Die doppelte Verneinung des Textzitates ist eine der entscheidenden sprachlichen Charakteristiken des Afrikaans, die Tawada erzählerisch wiederholt aufgreift: ,,Sie sind doch nicht nicht-weiß, oder?” Diese rhetorische Frage in der im Deutschen 110 Yoko Tawada: Überseezungen, S.66 Roland Barthes: Das Reich der Zeichen, Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag 1981, S.17. 112 Yoko Tawada Überseezungen , S. 62. 111 35 ungewohnten grammatikalischen Wiedererkennungswert. 113 Sonderform, hat für den Leser schnell Gleich zu Beginn der Erzählung Bioscoop der Nacht wird die ,,doppelten Verneinung” angeführt, doch zu diesem Zeitpunkt ist dem Leser das Wissen, dass Afrikaans Objekt und zugleich Subjekt der Erzählung ist, noch nicht gegeben. Die sprachliche Sonderform erscheint im Deutschen als unverständlich und falsch. Tawadas Erzählungweise persifliert durch die Zurückhaltung der Informationen das (fremd-)sprachliche Kennenlernen, sowie generell die Kommunikationsproblematik und die Verständigunproblematik zwischen literarischem Text und Leser. Stellvertretend für den Leser reagiert die Ich-Erzählerin dementsprechend ,,Amüsiert” und ,,verwirrt” auf Sprachgebrauch ihres unbekannten sächlichen Gegenübers. den 114 scheinbar absurden Die Person benennt sich mit ,,die Mann”. Ein Mann, der geschlechtslos, sprachlich-ungenau, umgewandelt, als Zwitterwesen auftritt, sich aber offensichtlichen spezifisch weiblich konnotierter Repräsentation entschieden zu verweigern scheint: ,,Niemals habe ich das nicht getan”. Voller ,,Hoffnung” sucht die Ich-Erzählerin nach einer Lösung der absurden Gesprächssituation, ihr Gegenüber jedoch hat ein ,,andersartige[s] Problem”, welches sie als ,,ein grammatikalisches, ein persönliches Problem.” auffasst. Auch Tawadas Leser mangelt es an semantischer Information, die Argumentationen und Objekte des Gespräches entziehen sich bekannter und erkennbarer Wissensstrukturen. Die Sprachsituation ist unverständlich. Da eine Ordnung nicht möglich ist, treten die einzelnen Informationen, das Spiel und der Umgang mit der Misskommunikation umso mehr in den Vordergrund. Erst im weiteren Verlauf der Erzählung Bioscoop der Nacht ist nachzuvollziehen, dass die Personifizierung der Sprache Afrikaans der leibhaftig gewordene Protagonist (,,die Mann”) der Handlung ist. Die Metaebenen der Diskurse wechseln bei Tawada fließend. Eine ,,klare Rollenverteilung” des SprachDiskurses über das Afrikaans ist schlussendlich weder geschlechtlich, noch ökonomisch, historisch oder gar national gegeben. Die Assoziationsverkettung kennt 113 Die Sonderstellung insbesondere der Grammatik betreffend des Zusammenhanges von Erkenntnistheorie und Sprachreflexion wurde bereits in den Schriften Nietzsches betont. Während der subjektive Sprachgebrauch Welt-Interpretationen ermöglicht, wird durch die normierte, grammatische Sprache eine historische und kontingente Matrix sichtbar. Nach: Monika Schmitz-Emans: Brechungen des Blicks im Wasser- oder: Ästhetische Darstellung als Ver-Fremdung aus: Seetiefen und Seelentiefen. Literarische Spiegelungen innerer und äußerer Fremde, Königshausen& Neumann 2003, S. 323f. 114 Yoko Tawada: Überseezungen, S.61f. 36 bei Tawada keine Grenzen. Selbst die Freiheit des blauen Himmels ,,schmeckt” nach einer Todesdrohung im Sprachgebrauch des Afrikaans schlicht ,,Lecker”. 115 Das Spezielle und die Stärke an der Literatur Tawadas ist es, dass sie einen literarischer Stil etabliert, der mühelos unterschiedlichste sprachliche und inhaltliche Elemente miteinander verbindet. Die literaturwissenschaftliche Einordnung und Analyse erleichtert dieses Kunstkonzept dabei nicht. Es ist die beständig Grenzüberschreitung und der Wandel von Widerspruch zur Gleichzeitigkeit, welche sich im gesamten Oeuvre Tawadas wiederfindet. Die gleichzeitige Wahrnehmung unterschiedlicher Sinne wird auch als Synästhesie benannt. 116 In der Literatur, speziell dabei in der Lyrik, generell in der Kunst, hat Synästhesie eine lange Tradition. 117 Tawadas Synästhesien, ihr Schreibstil der poetischen Epik, begrenzen sich allerdings nicht alleine auf Sinnlichkeit und die Welt der Wahrnehmung. Sie sind vielmehr geprägt von der Omnipräsenz (neuzeitlichen) Diskurse, weshalb der medienspezifische Begriffs der synchronästhetischen Wahrnehmung, der die Gleichzeitigkeit von Differenzen und nicht das Verschmelzen der Differenz zu einer Einheit, unterstreicht. 118 In seinem Aufsatz Die unbekannten Sprache formuliert Roland Barthes seine Vision von sprachlicher Kulturanalyse die ,,irreduziblen Differenzen” der Kulturen vermittelt würde, weil in ihr ,,unsere »Wirklichkeit« unter dem Einfluss anderer Einteilungen, einer anderen Syntax auflösen” und der Autor so weiter: 115 Yoko Tawada: Überseezungen, S.63. Auch die kognitive Neurowissenschaft hat die Synästhesie für sich als Forschungsfeld entdeckt.. u.a. die Kreativität der Künste werden untersucht, um Gesetzmäßigkeiten für Grundsatzfragen zu beantworten. Neben der genetischen Funktionsbestimmung versprechen sich die Neurowissenschaft Erkenntnise über das menschliche Denken, die Interaktion zwischen den ,,Denk-karten“ des Gehirns: ,,These laws, we believe, hold the key to understanding some of the most mysterious aspect of our minds, such as qualia, metaphor, analogy, and the emergenec of abstract thought and language.“ aus: V.S. Ramachandran/Edward M. Hubbard: The Emerge of the Human Mind: Some Clues from Synestesia, in: Synestesia. Perspectives from Cognitive Neuroscience, Oxford University Press 2005, S. 184. 117 Vorallem in der Kunst der Antike, Romantik und Avangarde wurden Synaesthesien verstärkt konzeptuell genutzt. Ein wichtiges Element der literarischen Arbeit Yoko Tawadas stellt die intertextuelle Arbeit dar. Es wäre sicherlich eine spannende Untersuchungsfrage, inwiefern die Parallelen bezüglich der synaestetischen Kunstauffassung mit den von ihre offen intertextuell beachteten Autoren wie Ovid, Kleist, Kafka, Unica Zuern, Celan sind. 118 Hier nach Cretien van Campen, The Hidden Sense. Synthesia in Art and Science (2008) aus: Robert Curtis: Synästhesie und Immersion. Räumliche Effekte der Bewegung, In: Robin Curtis Gertrud Koch (Hrsg.): Synästhesie-Effekte. Zur Intermodalität der ästhetischen Wahrnehmung. Paderborn Wilhelm Fink Verlag 2010, S.133. 116 37 ,,Diese Übungen in einer abweichenden Grammatik hätten zumindest den Nutzen, dass sie Zweifel an der Ideologie unserer eigenen Sprache in uns wachriefen.” 119 Tawada nähert sich, der Methode der sprachlich-motivierten Kulturanalyse Barthes folgend, den Grenzen der Verstehens-Topoi. Exemplarisch sei hier das schon aufgeführte sprachliche Phänomen der doppelten Verneinung des Afrikaans angeführt. Das grammatikalische Problem wird im Text zum literarischen Stilmittel stilisiert, unterschiedlichste realpoltische Widersprüchlichkeiten werden in Bioscoop der Nacht mittels der doppelten Verneinung kontextualisiert. Da ist zum Beispiel Japans ,,abgründige Freude” und wirtschaftliches Interesse, das zu einer Zusammenarbeit mit dem Apartheid-Regime führt. Japaner jedoch werden sprachlich zugleich vom Regime degradiert: oder?“ 120 ,,Sie sind doch nicht nicht-weiss, Die Dopplung legt einerseits die Anerkennung der Sprachlichen Einteilung in “weiß” als Kategorie zugrunde, andererseits wird die Verneinung des Zustandes direkt wieder aufgehoben. Tawadas Ich-Erzählerin bringt es inhaltlich auf den Punkt: ,,- Eine doppelte Verneinung wird oft als stilistischer Fehler angesehen, dabei kann ein Realist kaum auf sie verzichten. “ 121 Real ist auch die Geschichte der japanischen Kollaboration mit dem Apartheid-Regime. Ein geschichtliches Statement, welches unauffällig in der Erzählung Tawadas integriert wird. Der sprachliche ,,Kunstgriff” des Regimes wird nicht als Formfehler ,,stilistischer Fehler” der Sprache interpretiert, sondern erst gerade der, aus deutsch(sprachiger) Sicht, sprachliche Widerspruch fängt die realpolitische Kontradiktion und Wirklichkeitsfremde des Apartheid-Regimes ein. Tawada nutzt die Analyse des Afrikaans in ihrem Text weiter, um anhand der grammatikalen Differenzen Ideologiekritik auszuüben. Mittels ihrer Sprachanalyse werden die unterschwelligen Machteffekte des Afrikaans und die politische Sprachlenkung des südafrikanischen Regimes im Landesinneren sichtbar. In ihrem Text persifliert Tawada zunächst die 119 Roland Barthes: Das Reich der Zeichen, Suhrkamp 1981, S. 17; 21. Yoko Tawada: Überseezungen, S.68. 121 Yoko Tawada: Überseezungen, , S.68. 120 38 institutionelle Notwendigkeit Zuweisung. 122 von eindeutiger, normierter und klassifizierender Das staatliche Exempel ist die Idee eines innovativen Passdokumentes: ,,Da würde dann zum Beispiel stehen: keine nicht-weibliche Person, keine nicht-asiatische Herkunft.”123 Typisch für den vorliegenden Text ist, dass direkt und ohne Überleitung ein direkter und kontextueller Wechsel folgen: Die Ich-Erzählerin erzählt weiter vom Kampf der Apartheids-Gegner, der medialen Anteilname der Weltbevölerung am Regime-Sturz sowie einer Begegnung im Hannoveraner Hinterland. Dort beschimpft ein betrunkener Bauer, der zunächst bei einer Autopanne hilfsbereit gegenüber der Migrantin gewesen ist, -plötzlich- Nelson Mandela. Die “Übersetzung” der globalen Geschehnisse in die deutsche Provinz verdeutlicht die weltweite Auswirkung des Rassismus. Die nach Logik suchende Protagonistin ist “erschrocken” vom fehlenden Kontext der Segregation: Welches Interesse sollte ein einfacher ,,Mensch” mit ,,solide[r] Landwirtschaft” haben, das Apartheid-Regime zu unterstützen? 124 Eine zweite verborgene Geschichte und dahinterliegende “Logik” könnte die Übersetzung des Wortes ,,Bauer” ins Afrikaans geben. Die Bezeichnung “boer” entspricht im südafrikanischen Sprachgebrauch allgemein der “weißen” Bevölkerung, dies geht auf ihre Vorfahren, die Siedlern und Bauern der frühen Kolonialzeit Südafrikas zurück. Eine Konsequenz des literarischen Vorgehens Tawadas ist das konzeptuelle Scheitern von Kommunikation, auch zwischen Text und Leser. Beständig eröffnen sich neue kontextuelle Feuerwerke, erstrahlen Multiplikation der Interpretationsebenen. Die Jagd nach dem Verstehen des Geschehens wird zu einem Spiel für den Leser. Auch innerhalb der Erzählung ist die Suche groß: Die japanische Jagd nach den Verlockungen der südafrikanischen Bodenschätze, Platin und Diamanten, wird in Tawadas Text als ,,abgründige Freude” bezeichnet. Ist diese Suche nach dem 122 Welche Schwierigkeiten das Ordnungs- und Registrationsprinzip staatlicher wie institutionelle Systeme haben auf Individualität zu reagieren, zeigt auch ein Beispiel von der Universiteit van Amsterdam, wo es zunächst nicht möglich war das Diplom des Transsexuellen Justus Eisfeld zum männlichen Equivalent zu ändern. Der Fall gelangte zu weltweitem Medieninteresse: Als academicus blijft Justus Eisfeld toch een vrouw (De Parool, 10.Mai 2010). Eisfeld arbeitet inzwischen laut UvA Angaben als Co-Direktor der Menschenrechtsorganisation Global Action for Trans* Equality in New York. Erst nach langwierigem Rechtsstreit wurde das Diplom im Frühjahr 2011 erneut ausgehändigt: 'Without my Women's Studies and Political Science degree from the University of Amsterdam,’ Eisfeld says, ‘I would never have realised that the law was on my side - and I am pleased that the UvA now stands firmly behind me.' Zitat 7. April 2011: http://www.english.uva.nl/news/news.cfm/73920899-472B-44B9-A089E3BA0C588E30, Stand 1.10.2011. 123 Yoko Tawada: Überseezungen, S. 68. 124 Yoko Tawada: Überseezungen, S.69. 39 geographischen Schatz der Erde allegorisch zu verstehen? Auch der ,,wahren Kern” und die Originalität der Traumsprache Afrikaans scheint im Roman “ohne festen Boden” und deshalb für den Leser orakelhaft und verborgen zu bleiben. Es gehört zum ,,Tawada-esken” Erzählstil, argumentative Störungen, beständiges Code- Switching, sprachlicher, semantischer wie historischer Natur zu etablieren. Oder anders formuliert: Der Text vollzieht fortlaufende Diskurswechsel. Der Schreibstil fordert nach neuen Vokabeln der Bezeichnung. Auch dies ist eine Schwierigkeit bei der Beschreibung Tawadas Literatur. Die Kontextualisierung der einzelnen Vorfälle, soviel ist deutlich, werden aus der Sicht des Lesers zu einer Herausforderung: will er den Text “verstehen”, muss “über den Tellerrand” denken und unterschiedliche Wissensbereiche miteinander integrieren, eine Art Meta-Sicht entwickeln. Eine kognitive Übung, die im Ergebnis bei jedem Leser zu einer eigenständigen einmaligen Text-Interpretation führt. Ein “Original”-text des Bioskoop der Nacht gibt es in diesem rezeptionsorientierten Verständnis von Literatur, nicht. Da die textinterne Intrige keiner konventionellen kontextuellen oder linearen Logik folgt, diese in der Verantwortung des Lesers liegt, lohnt es sich der sprachlichen Präsentation auf der Meta-Ebene der Literarizität zu betrachten. Dazu weiter im nächsten Absatz. Interessant wird es, wenn die folgende nächtliche Passage näher betrachtet wird. In einer Traumsequenz reitet die Protagonistin auf einem Kamelpferd, das sich kurzerhand in eine Giraffe verwandelt. Die surrealistisch anmutende Metamorphose der Tiere erklären die Übersetzerinnen des niederländischen Tawada Textes, Bettina Brand und Désirée Schyns, in ihrem Nachwort der Anthologie linguistisch. Tatsächlich wird im Afrikaans ein kameelperd direkt als Giraf übersetzt. 125, 126 : Es ist die interlineare Übertragung der Tiernamen ins Deutsche, die das fantastisch anmutendes Narrativ animieren. Den “Umzug” von einem Sprach-System in das andere, wie es auch beim “Bauern” nachzuvollziehen war, sieht Christina Kränzle, die Tawadas Werk als Reiseliteratur untersucht hat, gar für den gesamten Roman Überseezungen als charakteristisch: ,,…it is in fact linguistic dislocation which is “Überseezungen”´s primary concern.” 127 Tawada selber konkretisiert ihre 125 Bettina Brandt/Désirée Schyns: Het bestaan van een heel andere taal voelbaar maken, in: Yoko Tawada. De Berghollander, Voetnoot 2010, S.141-152, hier: S. 143. 126 Die Afrikaanse Woordenboek: »kamelperd«, Die Staatsdrukkerij 5te deel, J-K Pretoria, 1968 , S.197. 127 Christina Kränzle: The limits of travel: Yoko Tawada´s fictional travelogues,in: German Life and letters 61:2 April 2008, 0016-8777 (print); 1468-0483 (online), S.244-260, hier S.259. 40 schriftstellerische Motivation und Faszination für sprachliche Migrationen bzw. Transgression in einem Interview wie folgt: ,,When I heard Dutch for the first time I was rather fascinated. Dutch looked and sounded to me like a dream language. In Dutch, as in a dream, German speakers can get the sense that we know what is happening, that we somehow know the image. Perhaps more accurately that at least we “should” know it but that nevertheless we do not, and we cannot understand it at all. Everything has just been a little bit displaced and this displacement is totally exciting! [...] This is also true for Afrikaans; Afrikaans is again, once more, displaced. As a writer I can play with that displacement, play in rather serious manner, but play nevertheless. “128 So unterschiedlich die zeitlichen Verschiebungen, sprachlichen wie räumlichen Deplatzierungen einzelner Wörter, Bilder und Diskurse im Text aufscheinen, für den Leser -genau wie die Hauptprotagonistin- stellt sich der standart-sprachliche Verlust der Kontextualisierung dagegen als zusammenhängendes phantastisches Narrativ dar. Ohne Fachwissen und Lexikon ist das fremdsprachliche Textgeschehen nicht zu entschlüsseln und die Passage bleibt rätselhaft. 128 Bettina Brandt: Ein Wort, ein Ort, or How Words Create Places: Interview with Yoko Tawada, in: Women in German Yearbook 21 (2005), S. 1-15, hier: S.6f; 11. 41 5.2 Mehrsprachigkeit: Standartsprache versus Literatur-Sprache Ein weiteres Beispiel der Literarizität des Textes -innerhalb einer einzigen Zielsprachefindet sich direkt mit dem Romantitel, den Überseezungen. Die Wortschöpfung setzt sich aus den drei Element Über, See und Zunge zusammen. Dieser ,,Wortknoten” (word knots) 129 glänzt durch seine Vieldeutigkeit. Erst im Akt des Lesens und in der Aufhebung von Schriftlichkeit erklingt –im fremden japanischem Akzent- die akustische Option eines lexikalen Wortes: ,,Übersetzungen”. Es ist in der Praxis vor allem die Berufsgruppe der Literaturübersetzer die in der konkreten Arbeit mit den semantischen Überschneidungen und Uneindeutigkeit solcher Art konfrontiert wird. Sie stehen vor einer kreativen Herausforderung. Denn wie sollte Überseezungen zum Beispiel ins Englische übersetzt werden? Anders als für poetische Gattungen ist die extreme Verdichtung von sprachlicher Alterität in Prosatexten ein junges, neuentdecktes Phänomen, welches -kommend aus der aktuellen Übersetzungstheorieals exophonic prose definiert wird. 130, 131, 132 Wichtig ist an dieser Stelle festzuhalten, dass diese Definition der “Fremdsprachlichkeit in Erzähltexten”, wie die deutsche Übersetzung des Begriffes lauten könnte, sich auf die gesamte Text-Dimension und Zusammenhänge und nicht ausschließlich auf einzelne Wörter bezieht. Die Wirkung des Phänomens der exophonic prose ist selbstverständlich nicht auf die Berufsgruppe der Übersetzer und den Literaturbetrieb beschränkt. Jeder einzelne Leser wird durch die poetische Polyglotte angeregt, noch bevor dieser die erste Seite des Buches aufgeschlagen hat. Mit der Titelankündigung der Überseezungen wird ein grundsätzlicher Denkprozess über Sprache animiert. Der Leser sucht im Text nach Wiederholungen, um sich orientieren, Sinn und Wissen konstruieren zu können. Die Autorin Yoko Tawada versteht “Übersetzung” dabei im Benjaminschen, das heißt im 129 ,,A text is a weird and wonderful plant that has grown in all directions out of a single word knot.“ aus: Bettina Brandt: The postcommunist eye. An interview with Yoko Tawada, in: World Literature Today, Jan-Feb 2006, S.43-45, hier: S.45. 130 Siehe: Marjorie Perloff: Language in migration: multilingualism and exophonic writing in the new poetics,Textual Practice, 24:4,725-748. 131 Die Schwierigkeit der Literatur Tawada’s liegt für den Übersetzers, nach Chantal Wright, beim entstehenden ,,metonymic gap” der fremdsprachlichen Übertragung. Siehe: Chatal Wright: Exophony and literary translation. What it means for the translator when a writer adopts a new language. Target 22:1, 22-39. DOI 10.1075/Target.22.1.03wri., hier: S.30ff. 132 Tawada’s Literatur liest Susan S. Anderson generell als metafiktionales Übersetzungskunstwerk, als ,,hyperliteral translation” der deutschen Kultur. Siehe: Susan C. Anderson: Surface Translations: Meaning and Difference in Yoko Tawada’s German Prose, seminar 46:1 (February 2010), S.50-67. hier: S. 67. 42 zeitgebundenen Sinne, indem sie den Prozess und die Dynamik der Lektüre in den Mittelpunkt stellt: 133 Mir kommt es manchmal sogar so vor, als gäbe es gar nichts Festes, aber indem ich übersetze entsteht plötzlich das, was man als Original bezeichnen kann und was ich als Übersetzung, als Endprodukt bezeichnen kann. Beide Seiten, das Original und die Übersetzung entstehen in der Bewegung der Übersetzung selbst. 134 Der Titel Überseezungen ist auch deshalb als Rahmenhandlung und eine Art “Gebrauchsanleitung” zu verstehen, weil er den Dialog zwischen Text und Leser als programmatisch voraussetzt. Und wie sieht es weiter innerhalb der Erzählung Bioskoop der Nacht aus? Werkintern ist Tawadas programmatische Lektüre-Haltung, die gerade beschrieben wurde, in der subjektiven Darstellung und Wahrnehmungssteuerung der Hauptprotagonistin wiederzufinden. Mithilfe von rezeptiver Fremdsprachlichkeit und praktischen Übersetzungsarbeit begegnet sie den Herausforderungen in Südafrika. Es entfaltet sich ein literarisches Spiel von Gleichzeitigkeit und Differenz, ein semantisches ,,Orakel und Spektakel”. 133 Siehe hierzu auch: Von der zweifachen Fremdheit der Sprache, in: Siegried Weigel: Die Lektüre, die an die Stelle der Übersetzung tritt. Benjamins psyschoanalytische Reformulierung seiner Therie der Sprachmagie, S. 236-252, hier: 239-242. 134 Yoko Tawada im Interview mit Joachim Büthe Überseezungen. Deutschlandfunk: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/buechermarkt/165577/, 23.9.2002, Stand 29.7.2011 43 Bild 2: Orakel und Spektakel, Unica Zuern 135 Das spezifische Spiel der exophonic prose wird bei Tawada explizit um eine subjektivistische Perspektivik ergänzt. Bioskoop der Nacht ist eine moderne Inszenierung des literarischen “Ich”. Die Zeichnung von Unica Zürn kommt, mit ihrer de-konstruierten Darstellung des Ichs diesem Konzept mit ihrer Text-Figurierung visuell sehr nahe. Der Text Bioskoop der Nacht ist eine AutoBioFiktion, welche durch den ethnologischen Blickwinkel der Protagonistin entsteht. Das heißt die subjektivistische Perspektive der Ich-Erzählerin konzentriert sich thematisch auf andere Kulturen. Die Tricollage des literaturwissenschaftlichen Begriffes AutoBioFiktion bezieht sich auf die Darstellung der Identität als “fiktives Konstrukt”. Das Narrativ über dieses fiktive 135 Orakel (lat. oraculum = ,,Sprechstätte“ , durch das Orakel erhaltene Weissagung, rätselhafte, mehrdeutige Aussage); Spektakel, d e r (lat. specaculum = ,,Schauspiel“, ugs. Lärm, Krach/auch. d a s Spektakel, Aufsehen erregender Vorgang, Anblick), aus: Duden. Das Fremdwörterbuch, 7.Auflage Duden Band 5, Dudenverlag 2001, S. 702; 936. 44 “Ich”-Konstrukt oszilliert autobiographischer und zwischen dem ethnologischer Eigenen und Betrachtung. Anderen, Es wird in zwischen diesem Zusammenhang auch von postmoderner autoethnographischer Repräsentation gesprochen: ,,Das Selbst und der Andere sind in interkulturellen 'boundary zones' je schon miteinander vermittelt; sie sind keine vorgegebenen Substanzen, sondern die Resultate einer dialogischen Konstruktionsarbeit.” 136 Konsequenterweise bezieht jegliche Beschäftigung mit dem Eigenen das Andere mit ein. In Tawdas Erzähltext Bioskoop der Nacht wird der Dialog mit dem Anderen sogar sinnbildlich geführt. Die Sprache Afrikaans ist, wie schon angesprochen wurde, personifiziert. Ihm begegnet die Ich-Erzählerin gleich in der ersten Passage: ,,Ein Mann stand vor mir, er zeigte mi dem Zeigefinder ungefähr auf die Stelle, wo wahrscheinlich sein Herz lag, und sagte dabei: »Die Mann.«”137 Die ,,organische [,fremdsprachliche] Unordnung” 138 der poetologischen Prosa ist jedoch nicht das einzige Kennzeichen und Charisma von Tawadas Oeuvre. Ihre Kunst ist, ähnlich wie bei der Zürns Wort/Bild-Zeichnung ein medienübergreifendes und deshalb medial-inszeniertes, mehrsprachiges Kunst-,,Spektakel”. Neben den semantischen Elementen ist bei Tawada die weitere Verwendung der narrativen Mittel interessant. Speziell in Überseezungen sind einzelnen Rahmeneinteilungen zu benennen. Das ,,Zusammenwachsen der Einzelteile” auf der strukturellen Ebene vollzieht sich dabei diametral zur ,,organische [,fremdsprachliche] Unordnung”, dem fremdsprachlichen Ereignis. 139 Die Erzählstruktur entspricht einer eigenständigen ,,Literatursprache”, die den Roman in einzelne Rahmenerzählungen, Binnenerzählungen und Titeln unterteilt. Zusätzliche Leitmotive sind die topographischen Bilder der drei Kontinente, die allesamt von unleserlichen Buchstaben und Zeichen überzogen sind. Das Potential des medialen Gesamtkunstwerkes Yoko Tawadas geht mit der Isolierung des Texte Bioskoop der Nacht, in der niederländischen Übersetzung verloren. Insgesamt betonen die strukturellen 136 Diese Feststellung basiert auf den ethnologischen Kulturtheorien von James Clifford. Siehe: Christian Moser: Autoethnographisches Schreiben als Übung im Sich-selbst-Fremdwerden, in: Christian Moser/Jürgen Nelles (Hg.): AutoBioFiktion. Konstruierte Identitäten in Kunst, Literatur und Philosophie, Aistesis Verlag, Bielefeld 2006. S. 107-143, hier: S.124;126. 137 Yoko Tawda: Überseezungen, S.61. 138 Yoko Tawada: Überseezungen, S. 72. 139 Yoko Tawada: Überseezungen, S.72. 45 Erzählstrategien, die in Überseezungen angewandt werden, die Artifizialität des Textes. Auch textintern führt Tawada den Ansatz, in veränderter Form weiter fort: Das Kapitel Bisokoop der Nacht ist, wie schon der Titel andeutet, eine filmische Erzählung und entspricht damit einer zusätzlichen Ebene der Metafiktion. Welche Auswirkungen die Adaption des technischen Mediums hat, wird im Folgenden Kapitel weiter ausgeführt werden. 46 Im Bilde ist nur, wer sich nicht im Bilde glaubt. -Martin Seel. 140 5.3.1 Bioskoop der Nacht. Das erzählte Bilderpuzzle Der Titel Bioskoop der Nacht kündigt es an, Tawada “schreibt” ein Filmereignis, genauer: Ein Lichtspiel der Nacht. Während den Anfängen der Filmtechnik, im vergangenen 19. Jahrhundert, kannten auch die deutsche Sprache noch die Verwendung und Bezeichnung Bioskop. Inzwischen ist es im deutschsprachigen Raum ein wenig verwendetes, historisches Wort, modern wird von Kino 141, Film oder altmodisch von Filmtheater oder Lichtspielhaus gesprochen. Im Niederländischen und Afrikaans 142, 143 ist die Bezeichnung bioscoop bzw. bioskoop allerdings bis heute aktuell. Die Ursprünge sind im Griechischen Bios und Lateinischen skopen zu finden, welches Neudeutsch mit ,,das Leben betrachten/beobachten” zu übersetzen ist. 144 Die Wortbildung –skop steht zudem speziell für ein technisches ,,Gerät für [optische] Untersuchungen und Messungen bzw. zur Sichtbarmachung von etwas”. 145 Für viele ist der Film das Medium der Neuzeit, das Großarchiv des 20. Jahrhunderts.146 Was bedeutet es, ein Filmerlebnis zu schreiben? 147 ,,The making of an adaption is a form of rewriting [of literature/of film] , and any interpretation of an adaption requires awareness of these ‘constraints’ mentioned as well as those of our own history an culture.” 148 140 Martin Seel: Ästhetik des Erscheinens. Suhrkamp Taschenbuch, S.293 Kino, Kurzform von Kinematograph (gr.-fr.) 1. (historisches) Verfahren zur Aufnahme und Wiedergabe von bewegten Bildern. 2. Filmkunst, Filmindustrie; aus: Duden 5, Das Fremdwörterbuch, Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, S. 505 142 Bioskoop; 1. Toestel waarmee bewegende beelden op’n skerm geprojekteer word, 2. Bioskoopsaal of-teater, In: Die Afrikaans Woordenboek, Woordeboek van die Afrikaanse taals, Eerste Deel A-C, Die Staatsdrukkerij Pretoria 1956, S. 419. 143 Bioskoop, fliek. Gebouw voor film, filmvertooning, Groot Woordenboek. Afrikaans en Nederlands, , Willy Martin & et al. (Hg.), Prisma Amsterdam 2011S. 261. 144 ebd. Duden5, Das Fremdwörterbuch, S.136, 923 145 ebd. Duden5, Das Fremdwörterbuch, S.923 146 Anja Horstmann: Film als Archivmedium und Medium des Archivs, aus: Anja Horstmann/Vanina Kopp (Hg.): Archiv- Macht- Wissen. Organisation und Konstruktion von Wissen und Wirklichkeit in Archiven, Campus Verlag Frankfurt/New York, S. 191. 147 Allgemein bezeichnet das filmisches Erzaehlen klassisch Adaptionen der Kino- bzw Filmindustrie aus literarischen Stoffen. Hier allerdings ist damit die Intermedialitaet der literarischen Darstellung gemeint, welche die Technik und Erzaehlweise des Mediums Films adaptiert. 148 Christiane Schönfeld: Introduction, aus: Christiane Schönfeld/Hermann Rasche (Hg.): Processes of Transposition. German Literature and Film. In: Amsterdammer Beiträge zur neuern Germanistik, Editions Rodopi 2007S. 11-25, . hier: S.24. 141 47 Zunächst einmal teilen die Medien Film und Literatur zwei entscheidende Gemeinsamkeiten. Beides sind eigenständige Narrative und arbeiten mittels dynamischer Bildhaftigkeit. Der Umgang mit expliziter Visualität ist für die Autorin Tawada nichts Ungewöhnliches: ,,Yoko Tawadas Texte, auch ihre theoretischen Schriften, operieren mit Sprachbildern.[...] Das Schreiben entwickelt sich aus dem Lesen. Dieses Lesen der Yoko Tawada ist aber ein Lesen der Welt der Bilder.” 149 Das “Zum-Bild-werden” während des Leseprozesses ist für die Literaturwissenschaftlerin Christiane Schönfeld sogar generell ein universaler Prozess der Literatur: ,,The visualisation of a narrative is part of the reading process. Understanding of a literary text only occurs once the narrative begins to unfold ‘visually’ in our minds.” 150 In beiden Medien, im Film und der Literatur, werden Inhalte in einzelnen Bildern, visuell und/oder sprachlich übertragen. Die Erzählweise unterliegt dabei einem Prozess der Zeitlichkeit. Es ist die sogenannte Erzählzeit, an der die eigentliche Rezeption des Werkes gebunden ist und die die mediale Vermittlung an die reale Zeitachse bindet. In Bioskoop der Nacht werden jedoch ergänzend die ,,constraints”, die Zwangsbedingungen der technischen Verfahren von Film bzw. Kino literarisch hervorgehoben. Die entscheidenden Unterschiede sind in der Technik und dem daraus entstehenden Qualitäten des Speichermaterials zu finden. Tawada nutzt dieses Wissen als Kunstgriff. Auch ihre Erzählung ist ein Speichermedium, explizit eine Nacherzählung der persönlichen Erinnerungen der Ich-Erzählerin in Südafrika. Dies wird am deutlichsten, wenn das Tempus der Erzählung beachtete wird, das Perfekt: ,,Sowohl das Ereignis als auch die zeitliche Perspektive, von der aus das Ereignis beachtet wird, liegen in der Vergangenheit.”151 Die zwei weiteren Kapitel der Überseezungen sind dagegen nicht oder nicht durchgängig im Perfekt geschrieben. 149 Terry Albrecht: Erzählerische und sprachliche Nähe, Bilder interkultureller Erfahrungen in den Texten von Terézia Mora und Yoko Tawada, in: Von nationaler zur internationalen Literatur. Transkulturelle deutschsprachige Literatur und Kultur im Zeitalter der globaler Migration, aus:Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, S.263-274, hier: S. 270; 272. 150 Christiane Schönfeld: Introduction, aus: Christiane Schönfeld/Hermann Rasche (Hg.): Processes of Transposition. German Literature and Film. In: Amsterdammer Beiträge zur neuern Germanistik, Editions Rodopi 2007S. 11-25, . hier: S.13. 151 Angelika Wöllstein-Leisten/Axel Hielmann/ Peter Stepan/ Sten Vikner (Hg.): Deutsche Satzstruktur. Grundlagen der syntaktischen Analyse, Stauffenberg Einführungen, S.84. 48 Doch welche Vergangenheit wird im zweiten Kapitel sichtbar, welche Darstellung wird durch das Bioskoop beleuchtet? Um dieser Frage nachgehen zu können wird zunächst aufgezeigt, dass die Erzähltechnik des Bioskoop der Nacht einen Wechsel von Erzähltem und Nicht-Erzähltem vollführt. 5.3.2 Die Visualität der Struktur Tawadas Kapitel Bioskoop der Nacht “kopiert” eine Filmrolle, indem sie ihre Erzählung in kurze Abschnitte unterteilt. Diese Textblöcke stellen eigenständige thematische Episoden dar, ahmen die Materialität eines klassischen Reels, der Filmrolle, nach. Tatsächlich basiert die ,,filmische Wahrnehmung [...] auf Addition und mentaler Verwandlung einer Serie von geringfügig modifizierten, in sich aber starren Bildern zu einer kontinuierlichen Bewegung” so Jörg Jochen Berns. 152 Mithilfe moderner und modernster Technik findet im Kino die Projektion des Lichtspiels mit einer Geschwindigkeit von über 16 Bildern pro Sekunde statt. Der Zuschauer nimmt die einzelnen Bilder auf der Leinwand dahingegen als einheitliche Bewegung wahr: Das Moment der Vorführung ist ein beständiges ,,Versehen”. In der Literatur entspricht dies der Wahrnehmung des Lesers einzelner Passagen als eine zusammenhängende Texteinheit. Insgesamt setzt sich das Kapitel Bioskoop der Nacht aus 35 Sequenzen zusammen. Durch die textlinguistischen “Leerstellen” wird die Erzählung beständig unterbrochen, stellt sich -rein optisch betrachtet- als “lückenhaft” dar. Das Nicht-Sichtbare wechselt mit den sichtbaren Texteinheiten. Der formelle Diskurs des Bisokoop der Nacht ist so, unabhängig von seinen Inhalten, grundsätzlich eine geöffnete Einheit und in der Materialität unvollständig. Es gibt nicht “eine” Geschichte, ein zusammenhängendes Kontinuum, das sich auf der Achse der Erzählzeit präsentiert. Die Negation bzw. die Abwesenheit von Sinn, das Nicht-Vorhandenen im “dunkel” bleibende, muss fortwähren mitgedacht werden. Aufgrund der Vielzahl der Bilder und fehlenden Zusammenhangs, rücken die einzelnen “Bilder” bzw. Textblöcke und ihre Bedeutung in den Vordergrund. Aus einer Geschichte, werden einzelne Geschicht-en, nicht die Geschichte des Afrikaans, sondern von vielen südafrikanischen Zungen wird erzählt. Genau wie Tawada es mit ihrer topographischen Kapitelgestaltung programmatisch 152 Jörg Jochen Berns: Film vor dem Film. Bewegende und bewegliche Bilder als Mittel der Imaginationssteuerung in Mittelalter und Früher Neuzeit, Jonas Verlag, Marburg 2000, S.7. 49 und visuell angekündigt hat, auch inhaltlich wird diese formelle Konzeption der Grenzüberschreitung unterstützt. Der Erzählverlauf “springt”: Das Setting (Ort, Zeit, Personen) der Szenerie verändert sich -vor allem zu Beginn des Kapitels- extrem. Dies hat zur Folge, dass sich der Leser, ähnlich wie es sich schon beim Stilmittel der exophonic prose gezeigt hat, beständig neu auf den Verlauf der Erzählung einlassen und Orientierung suchen muss. Es ist daher grundsätzlich festzuhalten: Die Struktur des Kapitels Bioskoop der Nacht entspricht dem Dispositivs einer Filmrolle. Mit der textuellen Kopie des haptischen Vorbildes betont Tawada mit ihrer visuell “durchbrochenen Oberfläche” der Narration die Diskontinuität und Unvollständigkeit der Gesamtdarstellung. Wolfgang Iser spricht in seinem ,,Der Akt des Lesens” (1992) in Bezug auf solche Leerstellen und der Wirkung des Textes von der Sichtbarkeit ästhetischer und kultureller Differenz.153 Das “Versehen” und die Möglichkeit der Wirklichkeits-Täuschung eines “Filmereignis” wird heute in den Filmwissenschaften abwehrend als Gründermythos des Mediums Kino interpretiert. Vor allem der sogenannte ,,Kinorealismus”, die Idee von Immersion und Wirklichkeitsanspruch, dem Eintauchen vom Zuschauer in die fiktive Welt, gilt als vergangenes Postulat der sogenannten Klassik, die im vergangenen 20. Jahrhundert ihren Genre-Höhepunkt hatte. 154 Eine vollständige oder gar objektive “Abbildung der Wirklichkeit” bietet das Medium des Films dem Regisseur nicht. Vielmehr ist nach heutigem Verständnis von Film und seiner Aufführung eine Konstruktion, ein Angebot an den Zuschauer. Und dabei sei das Deleuze-sche ,,Erschlaffen des klassischen Paradigmas” entscheidend, so Malte Hagener: ,,Die Auflösung einer singulären Richtung und eines festgeschriebenen Beobachtungsstandpunktes (Linearität, Frontalität, Perspektive, etc.) für medial vermittelte Bilder kann man nicht überschätzen.” 155 153 aus: Birgit Obermayr: Erfahrungen der Leere. Der Status der Leerstelle in der aethetischen Text-Erfahrung, in: Gert Mattenklott (Hg.): Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste. Epistemische, aesthetische und religioese Formen von Erfahrung im Vergleich, Meiner 2004, S. 137-154. 154 Robin Curtis: Synaethesie und Immersion. Ruamliche Effekte der Bewegung. In: Synästhesie-Effekte : zur Intermodalität der ästhetischen Wahrnehmung / Robin Curtis/Marc Glöde/Gertrud Koch (Hg.), Fink Muenchen 2010, S. 131-150, hier: S.141. 155 Malte Hagener: Wohin gehen, wohin sehen? Raum und multiple Bildschirme in der begehbaren Mehrkanalinstallation. In: Robin Curtis Gertrud Koch (Hrsg.): Synästhesie-Effekte. Zur Intermodalität der ästhetischen Wahrnehmung. Paderborn Wilhelm Fink Verlag 2010, S.151170. Hier: S.165. 50 Was entsteht, sind die entscheidenden Charakteristika des modernen Films: der ,,ungerichtete[n] Raum” und die ,,zeitliche Schachtelungen”. Das Äquivalent dieses modernen Narratives findet sich auch im collageartigen Montage-Text Bioskoop der Nacht wieder. Hier stimmen die poetischen Möglichkeiten der Literatur mit der Vermittlung des zeitgenössischen Films überein. Für die Anglizistin und Gedächtnisforscherin Aleida Assmann entspringt die strukturelle Anwendung von Unordnung gar einem Machtprinzip des Zufalls: ,, Sie ›zerbricht‹ das Rückgrat der Erzählung, die zeitlich-chronologische Abfolge, sie ›zerreisst‹ Ereigniszusammenhänge und sortiert die Fragmente des Ordnungsverlustes, sondern auch die Erschütterung der Ordnung.” 156 Jean-Luc Godard, Regisseur und Vorreiter der avantgardistischen Nouvelle Vague im Frankreich der 1950er Jahre, äußerte sich unlängst zum Medium Film. Entscheidendes, kritikfähiges Mittel des Mediums sei dabei die Technik, die Montage: ,,ZEIT: Bei der Verleihung des Adorno-Preises haben Sie gesagt: Im großen Kampf zwischen den Augen und der Sprache hat der Blick die größere analytische Kraft. “ Godard: So ist es. Das heißt auch: die Montage. Zeit: Was genau entsteht durch den Zusammenprall verschiedener Bilder? Godard: Wenn zwei Bilder aufeinandertreffen, entsteht ein Drittes. Eine andere Art des Sehens. Zeit: Ist die Montage das bessere Mittel zur Analyse von Geschichte als die Sprache? Godard: Ja. Weil die Montage die Bilder, die Linearität der Geschichte, die Linearität des Denkens und der Schrift durchbrechen kann. Zeit: In ihrem neuen Film montieren Sie immer wieder Aufnahmen des Meeres. Das wirkt, als ob sich in diesem schwimmenden Konsumalbtraum ein Fenster öffnet. Godard: Ich weiß nicht, ob das eine Utopie ist, eine Kritik oder einfach nur ein Blick von der Reling. Das ist das Gute an der Montage: Es ist an Ihnen, das Dritte aus zwei Bildern zu bilden. “ 157 156 Aleida Assmann: Einführung in die Kulturwissenschaft. Grundbegriffe, Themen, Fragestellungen, Schmidt Verlag, Berlin 2008, S. 287. 157 Interview von Katja Nicodemus mit mit Jean-Luc Godard: ,,Es kommt mir obzön vor“. Warum Jean-Luc Godard den Technikwahn des Kapitalismus für unanständig hält. Ein Gespräch über Geld, Europa, seinen Hund und sein neues Werk »Film Socialisme« in: ZEIT, Feuilleton, 51 Festzuhalten ist bisher: Sowohl die textuellen - “Leerstellen”, als auch die Montage einzelner Bilder zerstören (Erzähl-)Ordnungen, zudem wird die Verantwortung des Rezipienten eingefordert, da sich nur in der kommunikativen Situation mit dem Kunstwerk die dem Kunstwerk eigene Sprache entfalten kann. Bereits die künstlerische Avantgarde-Bewegungen, des späten 19. Jahrhunderts und frühen 20. Jahrhunderts, wandten sich mit ihren Werken gegen die nahenden Massenmedien des Kinos und künstlerischen Wahrnehmungsästhetik des Realismus. 158 Ihre Aufmerksamkeit richtet sich nicht auf die äußere Illusionsperfektion der Umwelt und Wirklichkeitsdarstellung, sondern auf die Interiorisation, der authentischsubjektiven Welterfahrung wie sich in der AutoBioFiktion des konstruierten Tawada´schen Textes wiederfindet. Widersprüchliche Bilder, Collagen und Montagen von verschiedenen Traum- und Bewusstseins-Ebenen führen in der Avantgarde zu einem gebrochenen ästhetischen Konzept der Kunst, die Grenzen der Kunst überhaupt werden konzeptuell wie medial in Frage gestellt. 159 Eine reale Verfilmung oder gar der Versuch von Wirklichkeitstäuschungen wird mit künstlerischen Stilmitteln unterlaufen. Es erstaunt nicht, dass Yoko Tawada inzwischen als Nachfolgerin dieser europäischhistorischen Tradition eingeordnet wird. Sprachlicher “Zufall” und “Plötzlichkeit” sowie darauf folgende Neuordnungen, die Themen der Avantgarde spielen in ihrem Werk eine dominante Rolle: ,,Der explizit antinationale Charakter der Texte, ein scheinbar autobiographischer Ich-Erzähler, der sich oft in eine traumähnlichen Zustand befindet, die bewusst eingesetzte Erzählperspektive des Kindes und der dazugehörige erstaunte Blick, das Montageverfahren, das Betonen der Materialität der Sprache, Sprachskepsis und erhöhte Sprachsensibilität. All diese poetischen Verfahren und literarischen Charakteristika finden sich schon Literatur, 86 Seiten Literaturbeilage zur Frankfurter Buchmesse, 6.Oktober 2011, Zeit Nr.41, S. 51f. 158 Inhaltlich rebellierten sie gegen das feudalistische und reaktionäre Wertesystem der Bourgeoesie. 159 Es Künstler des Surrealismus wie Unica Zürn, Anton Breton und Max Ernst, die sich mittels unterschiedlichster Techniken Zugang zur subjektivistischen Welterfahrung schaffen: Anagramme, Écriture automatique, sind künstlerische Techniken, mit denen beispielhaft versucht wurde, den Subjektivismus darzustellen. 52 in der Moderne und zwar besonders in der Theorie und Praxis des Surrealismus.” 160 Das für den Surrealismus wegweisende Surrealistische Manifest, ist von André Breton vor knapp einem Jahrhundert geschrieben worden. Bereits Mitte des 20. Jahrhunderts ist die “Enthierarchisierung [...] der Erzählwelt”161 mit seinen avantgardistisch, entgrenzenden Konvention und Ästhetikern der Ambiguität und Negativität soweit fortgeschritten, dass die Aufsprengungen von literarischen Ordnungsprinzipien gemeinhin als etabliert gilt. Da traditionelle ästhetische Modelle von geschlossener Sinngebung und Wirklichkeitsnachahmung, wie sie etwa das Genre des bürgerlichen Romans vermittelt hatte, wegfallen, wurde bereits in den 1970er Jahren gar die ,,Krise der Erzählens” 162 ausgerufen. ,,Der erzählenden Literatur wurden Totenscheine ausgestellt und Kränze geflochten.”163 In der jüngeren Narrations-Forschung von Mirjam Sprenger und Markus Förster wird mit dem 21. Jahrhundert der Kunst des Erzählens nun eine Wiederauferstehung bescheinigt. So Förster: ,,Die ›Wiederkehr des Erzählens‹ läßt sich [...] als eine literarische Tendenz begreifen, die statt auf Dekonstruktion und Authentizität auf Rekonstruktion und Fiktionalität setzt. Dem Ringen um Authentizität wird die Lust am Fabulieren entgegengehalten. Der jeweilige Bruch mit der Tradition wird von einem Spiel mit der Tradition abgelöst. Mimetische Strukturen werden bewußt als Bestandteil des Kunstwerks akzeptiert und zur Grundlage einer Rekonstruktion des Erzählens.” Das Wegfallen des erzählerischen “roten Fadens” und seiner Ordnungshoheit bedeutet in der modernen Literatur allerdings kein Verlust der ästhetischen Geschlossenheit. Wie die Narratologen nachweisen, bezieht sich die ästhetische Geschlossenheit der Kunst bei Avantgarde Nachfahren jedoch nicht auf die Welt als Ganzes, sondern referiert an die, der Kunst eigenen Gesetze von Fiktionalität und 160 Bettina Brandt: Schnitt durchs Auge. Surrealistische Bilder bei Yoko Tawada, Emine Sevgi Oezdamar und Herta Mueller, , aus: Text und Kritik. Sonderband Literatur und Migration, iX 2006, S.74-83hier S. 75. 161 Ernst Nef: Der Zufall in der Erzählkunst, A. Francke Verlag, Bern 1976, S.14. 162 Ernst Nef: Der Zufall in der Erzählkunst, A. Francke Verlag, Bern 1976, S.8. 163 Vgl. Karl Markus Nichel: Ein Kranz für die Literatur, zitiert nach: Nikolaus Förster: Die Wiederkehr des Erzählens. Deutsche Prosa der 80er und 90er Jahre, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1999, S.4. 53 Sprachlichkeit: ,,Künstlichkeit als Konzept der Uneigentlichkeit wird [...] zur Grundlage dieses Erzählens.” 164 Und Springer: ,,Metafiktion geht davon aus, daß der Leser nichts darüber erfahren kann, wie die Welt funktioniert, aber darüber wie Literatur funktioniert. Dies wird erreicht durch eine Kommunikation, die nicht auf der fiktionalen Ebene angesiedelt bleibt, sondern ihre Artifizialität thematisiert. “165 Bettina Brandt spricht konkret von Tawadas (,,surrealistischen” und ,,poetologischen”) Verfahren, dies zielt darauf hin, dass sie narratologische Mittel sind, die von der Autorin bewusst gesteuert werden. Die Entgrenzungen ihrer Literatur sind programmatisch und ausschließlich unbewusst anlegt. 166 Das scheinbar grenzenlose Roulette-Spiel mit dem “semiotischen Dreieck”, den strukturellen Brüchen und Leerstellen setzt die Autorin in ihrer Erzählung Bioskoop der Nacht allerdings ein nachhaltiges Narrativ auf inhaltlicher Ebene. Es ist die Struktur und Ordnung von Sprachlichkeit, die zum eigentlichen Meta-Thema ihres fiktionalen Textes mutiert. ,,Die Zeit begann, regelmäßig und geordnet zu fließen, weil jedes Datum einem Kapitel im Grammatikbuch entsprach. Eine Sprachschule hat etwas Heilendes, man kann daraus vielleicht ein Lebensmodell entwickeln.” 167 Mit dem Spracherwerb und der Vermittlung von Grammatik- und Syntaxregeln gewinnen die Passagen - für den Leser- an Gleichmäßigkeit und Realitätsnähe. Die Inhalte sind eine gerichtete Darstellung, keine Anmutungen surrealistischer Écriture automatique, wie es noch zu Beginn der Erzählung den Anschein hatte. Südafrikas Township wird konkret beschrieben, Lebensmodelle werden von “Herr Tolk”, dem Übersetzer erklärt, mit der ,,Absicht [...], ein anderes Bild zu vermitteln als das in der ausländischen Presse, die es bloß als Hölle darstellte” 168 . Die Inhalte, von denen der Text erzählt, sind innovativ: Von einer Stromversorgung ohne finanzielle Verschuldung, Ernährungsprogrammen bis hin zur kommunikativen Alternative des code-switching. Phantastische Elemente dagegen kündigt die Ich-Erzählerin dem 164 Nikolaus Förster: Die Wiederkehr des Erzählens. Deutsche Prosa der 80er und 90er Jahre, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1999, S.170. 165 Mirjam Sprenger: Modernes Erzählen. Metafiktion im deutschsprachigen Roamn der Gegenwart, Verlag J.B. Metzler, S. 165. 166 Bettina Brandt: Schnitt durchs Auge. Surrealistische Bilder bei Yoko Tawada, Emine Sevgi Oezdamar und Herta Mueller, , aus: Text und Kritik. Sonderband Literatur und Migration, iX 2006, S.74-83hier S. 75. 167 Yoko Tawada: Überseezungen, S.77. 168 Yoko Tawada: Überseezungen, S.77. 54 Leser fortan an. Die Intention der Aussagen gewinnen an Gewicht, Inhalte werden vermittelt. Vorhergehenden surrealistischen Sequenzen, die Traum-“Synchronästhesien” sind dem Leser erst im Nachhinein als Präsenz des Afrikaans erklärlich: ,,In einem Traum hörte ich oft eine Stimme, sie sprach eine Sprache, die nicht mehr oder noch nicht Afrikaans war.” 169 und: ,,In der Klasse gab es einen deutschen Studenten. Wenn ich mit ihm Worte wechselte, war es, als würde ich plötzlich aufwachen und meinen Traum verlassen”. 170 Ihre wechselnden Bewußtseins-Ebenen, das “schizophrene Weltbewußtsein” der IchErzählerin spiegelt das Dazwischen die menschlichen Existenz. Und dieses Dazwischen manifestiert sich dort, wo sprachlich-strukturelle Ordnungen dem Exemplarischen nicht gerecht werden. Die drei folgenden Textbeispiele zeigen, dass theoretische Klassifizierungen und statische Denkmodelle sich generell der Existenz nur begrenzt nähern können. In einem Restaurant in Kapstadt wird ,,game meat” angeboten. Im Deutschen wäre dies direkt als “Spielfleisch” zu übersetzen, gemeint ist allerdings Jagd-Fleisch bzw Wildfleisch, wobei die Tierart nicht spezifiziert wird. Auch die Frage, was ,,gemischtes Krokodilfleisch” ist, kann infolgedessen nicht beantwortet werden. Dies sei, so die Erklärung, ,,die Fantasieküche der Ausländer”. 171 Die sprachliche Zuschreibung von außen erscheint im Kontext des Kulinarischen harmlos. Doch sprachliche Repräsentationen ist immer auch identisch mit einer Konstruktion von Wirklichkeit, nicht zuletzt hat dies der Leser schon mit dem Identifizierungsprozess der Traumsprache Afrikaans erfahren, deshalb nun zum zweiten Textbeispiel: Einschneidende real-politische Folgen hat eine solche sprachlichen Klassifizierung für die “coloured community” bis heute. Der Begriff der “coloured community” entstammt dem rassistischen schwarz-weißen Denken der Apartheid. Doch nun, in der Ära der Post-Apartheid scheint es eine Umkehrung des rassistischen Denkmodelles in weißschwarz gegeben zu haben, nicht jedoch hat eine Veränderung von Rassismus zum Humanismus stattgefunden. Bioskoop der Nacht zeichnet die Realität einer großen 169 Yoko Tawada: Überseezungen, S.84. Yoko Tawada: Überseezungen, S.86. 171 Yoko Tawada: Überseezungen, S.86f. 170 55 südafrikanischen Bevölkerungsgruppe an der Lebensgeschichte von Herrm Tolk nach. In der Apartheid wurde er: ,,.[...] als »coloured« klassifiziert, er war nicht hell genug, um zu der herrschenden Klasse zu gehören. Heute sei er nicht dunkel genug, um zu der regierenden Klasse zu gehören, ergänzte er ironisch, viele sagen, die »coloured« seien nicht wirklich schwarz, sondern eben nur gefärbt. “ 172 Der sprachlichen Degradierung widersetzt sich Herr Tolk mit seiner persönlichen Entscheidung, freiwillig an der Regierungsarbeit teilzunehmen, wobei er sich für die praktische Arbeit, nicht den langen schriftlichen Weg der Institutionen entschieden hat: ,,Denn die Stifte waren zu leicht, man brauchte Geduld.” 173 Geduld, die er nach dem kräftezehrenden physischen Überlebenskampf im Apartheid-Regime nicht mehr aufbringen kann. Das dritte Beispiel: Ein Merkmal von Sprach-Normierung und den einhergehenden Einschränkung der sprachlichen Universalia ist die Schriftlichkeit. Standardisierung von Sprache hat ihren Ursprung in der Verschriftlichung von Informationen. 174 Gerade in der westlichen Kultur wird Sprachlichkeit häufig mit Schriftlichkeit gleichgesetzt. Diese europäische Kultivierung des Schriftlichkeits-Fetischs zeigt sich mit ihrer Dokumentationswut und den darauf folgenden Ergebnissen rein musealer Erinnerungsversuche. Kulturwissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang auch vom einen kritisch zu betrachtenden Ensemble einer toten Kultur. 175 Das bei weitem nicht alle Kulturerscheinungen schriftlich erfasst werden können, hat auch die Weltgemeinschaft, die UNESCO (Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur), erkannt und den Schutz von “immateriellen Weltkulturerbe” ausgerufen. Es ist im Text von Yoko Tawada bezeichnend, dass die lexikale Erfassung von Phänomenen dort ihre Grenzen aufgezeigt werden, wo materiell-kulturelle Dimensionen überschritten und religiöse Räume betreten werden. Entsprechung findet dies in der Erzählung Bioskoop der Nacht mit der Religion und dem Brauchtum des 172 Yoko Tawada: Überseezungen, S.80. Yoko Tawada: Überseezungen, S.80. 174 Während um 1500 die Verschriftlichung des Frühneuhochdeutsch noch keine benennenswerte normative Wirkung hat, wird im 16.Jahrhundert bereits vom “Gemeinen Deutsch” gesprochen. Luthers Bibelübersetzung von 1522 wird als erster großer Meilenstein in der standardisierten Schriftsprache gesehen. Siehe auch: Astrid Stedje: Deutsche Sprache gestern und heute, 5.Auflage, W.Fink München 2001, S.122ff. 175 Reiner Wiehl: Kultur und Vergessen, aus: Jan Assmann/Tonio Hölscher: Kultur und Gedächtnis, Suhrkamp Frankfurt am Main 1988, S.43f. 173 56 Schamanentums. Im deutschen Lexikon der Ich-Erzählerin wird dieses Wort, -trotz der immensen kulturellen Wichtigkeit für den afrikanischen Kontinent,- schlicht ausgespart. Dieser Vorfall ist auch eine Allegorie für die kulturelle Differenz der Kontinente: ,,Die Suche nach dem Wort »Schamanin« scheiterte, es stand kein Wort zwischen »Schade« (»Jammer« auf afrikaans) und »schießen« (»skiet« auf afrikaans).” 176 Interessant ist weiter, in welcher Art und Weise Tawada das Schamanentum in ihren Text einfließen lässt: Während sie einerseits das Ungenügen der Norm der Schriftlichkeit aufzeigt, integriert sie die Präsenz von Religion in ihren Text, ohne eine Definition vorzunehmen. Im historischen Europa und seinem kolonialen Streben nach Macht war dies gemeinhin anders. “Das Fremde” hatte sich den eigenen Denkmodellen und Normierungen zu unterwerfen. Archive gehörten zur Herrschaftspraxis. Schon die frühe Technik der Fotografie wurde: ,,[…] zu einem Medium der Eroberung, mit dem man das Fremde und Andere auch visuell eroberte. Die fremde Kultur eignete man sich an, indem man Maß an nahm, kategorisierte und definierte.” 177 Nachdem in diesem Kapitel der äußere Film (nach Berns) thematisiert wurde, wird im Weiteren der innere Film, der auf der imaginären Ebene, der kognitiven Wahrnehmung des Betrachters stattfindet, problematisiert.178 In der Vormoderne führte der innere Film zu meditativer Versenkung und Seelenlenkung des Betrachters. 179 Im heutigen Äquivalent der Wissenschaft treten Präsenz und ,,räumliche Erinnerung” in das 176 Yoko Tawada: Überseezungen, S. 81. Jessica Nitsche: Konstruktionen von Afrika in visueller Populärkultur, Fotografie und Gegenwartskunst, aus: Michael Hofmann/Rita Morrien (Hg.): Deutsch-afrikanische Diskurse in Geschichte und Gegenwart. Literatur- und kulturwissenschaftliche Perspektive, in: Amsterdamer Beiträge zur neueren Geschichte. Band 80, Rodopi 2011, S.227-251, hier: S.228. 178 Neurobiologen sprechen hier auch vom ,Vorstellungszusammenhang” auf der Gedaechtnisebene. Horst Wenzel: Spiegelungen. Zur Kultur der Visualitaet im Mittelalter aus: Juergen Schewe/Hartmut Steinecke/Horst Wenzel (Hg.): Philologische Studien und Quellen (Heft 216). Erich Schmidt Verlag Berli 2009, hier: Der Leser als ,Augenzeuge’. Kinaesthetische und kinematographische Wahrnehmung, S.165-189, S.168 179 Der Einbezug von unterschiedlichen Wirklichkeits- und Phantasieebenen hat eine lange Tradition innerhalb der europäischen Kunstgeschichte. In der frühen mittelalterlichen Erzählkunst besteht keine klare Trennung von Realität und Traum, auch bzw die mythische und phantastische oder wirklichen Welt. Zeugnisse davon geben die Reiseliteratur des frühen Mittelalters, zum Beispiel die Navigation Brendani Sancti (9. Jahrhundert) oder die Abenteuer des Herzog Ernst (12. Jahrhundert) wie auch Darstellungen der christlichen Lebenswelt als Weltbild der Ebstorfer Weltkarte (13. Jahrhundert). In ihrer Dissertation zieht Yoko Tawada Parallelen. 177 57 Forschungs-Interesse 180, inhaltlich rücken kulturellen Codes und ihren Repräsentationen in den Vordergrund. 180 Robin Curtis: Synaethesie und Immersion. Ruamliche Effekte der Bewegung. In: Synästhesie-Effekte : zur Intermodalität der ästhetischen Wahrnehmung / Robin Curtis/Marc Glöde/Gertrud Koch (Hg.), Fink Muenchen 2010, S. 131-150, hier: S.145. 58 Every Picture Tells A Lie. - Banksy 2003 181 6.1 Südafrika im Bilde Tawadas Erzählung legt den Fokus auf die Perspektive und Wahrnehmung der IchErzählerin, dies wurde bereits mit dem Phänomen der AutoBioFiktion beschrieben. Der Text ist fast ausnahmslos eine autodiegetische Erzählung. Die Verlauf der Erzählung ist aber nicht weniger geprägt von den sprachlichen Besonderheiten der exophonic prose sowie den surrealistischen Verfahren und strukturellen Elementen der Filmtechnik, wie bisher festgestellt werden konnte. Der nächste Abschnitt wird sich nun näher mit den kulturellen Inhalten des inneren Films bzw. der Bilder-Lektüre auseinandersetzen. “Denkfaul” ist die Protagonistin der südafrikanischen (Übersee)-Zungen nicht. Eine drohende Gefahr von geistiger Eindimensionalität, etwa wenn Sprach- und Bildklischees als statische Definitionen fraglos übernommen werden, hat Tawadas in einem ihrer Werke, Talisman (2011), beschrieben: Aus Faulheit übertragen wir Sprachbilder ins Optische, anstatt das Spiel des Lichtes in Sprache zu übersetzen. Er ist ein Schwarzer, sagt das Gehirn, und die Augen sind dann nicht mehr fähig, seine Haut wirklich wahrzunehmen. 182 Die subjektivistische Welt-Lektüre der Ich-Erzählerin der äußert sich im Gegensatz in großem Bilder- bzw. Interpretationsreichtum. Sie fungiert als eine Art Katalysator der kulturellen Codes, denn wie etwas lesen, was nicht eindeutig einzuordnen ist? Entbehrt das Individuum in der Fremde die notwendigen kontextuellen Informationen, so ist das beständige “Sich-selber-ein-Bild-machen” notwendig. Dieses Phänomen ähnelt der rezeptionsorientierten Textbetrachtung von Literatur. Zugleich stellt das Unvermögen 181 Wieder freigelegter Graffiti-Spruch des street art-Künstlers ,,Banksy” im Kunstraum Kreuzberg, Berlin. Bansky´s wahre Identität ist unbekannt, der Name ein Synonym. Die Vergänglichkeit von Kunst hat der Künstler Brad Downey mit seinem letzten Projekt aufgegriffen. Er legte in Berlin die unteren Farbschichten einer Projektmauer wieder frei. Das freigelegte Bild Bansky´s kann noch bis zum 23. Oktober 2011 besichtigt werden.. Danach wird der Künstler Downey dieses wieder übermalen. Leiter der Galerie, Stéphane Bauer. Spiegel online (dpa) 12. September 2011: Übermaltes Kunstwerk. Banksy, von fremder Farbe befreit, http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,druck-785799,00.html Stand 1.10.2011. 182 Yoko Tawada: Talisman >>Eigentlich darf man es niemandem sagen, aber Europa gibt es nicht<<, Konkursbuch Verlag Claudia Gehrke, 7. Auflage 2011, S.47 59 aber –und dies wurde schon mehrmals in dieser Arbeit angesprochen- ein Hindernis der kommunikativen Situation dar. Ein fehlerfreies kulturelles “Lesen” und “Verstehen” der Umwelt scheint unmöglich. Hansjörg Bay benennt diese für Tawada typischen Ausgangsposition der Ich-Erzählerinnen gar als eine ,,spielerische Inszenierung von Migrationserfahrungen als Ansatzpunkt kulturtheoretischer Analyse und poetologischer Reflexion.” 183 Bevor jedoch auf die textinterne Bilder eingegangen wird, soll aufgezeigt werden, welche historischen Bilder über Afrika in Europa dominieren. Die Praxis des sich von der Welt ein Bild machen, hat in Europa eine lange Tradition. Diese ist bei weitem nicht so selbstironisch, wie noch das hier aufgeführte Portrait des Europäers unter der Narrenkappe aus der frühen Kolonialzeit suggeriert. 184 Bild 3 Bereits im frühen 19. Jahrhundert etablierte Kulturhistoriker Georg Wilhelm Friedrich Hegel mit seiner Vorlesung über die Geschichte der Philosophie die Verortung 183 Hansjörg Bay: Wo das Schreiben anfängt. Yoko Tawadas Poetik der Migration, In: Text und Kritik, Sonderband Literatur und Migration, Heinz Ludwig Arnold, Band 9 2006, S. 109-119, S.109. 184 Anonym: Titel: Nosce te ipsum/- Die Welt unter der Narrenkappe:Hic est mundi punctus et materia gloriae mostrae- Der Blick auf die Landschaft als Kompliment kartograpahischer Eroberung. (ca. 1590), Nürnberg, Germanisches Museum. 60 negativer Afrika-Bilder. In Hegels Ausführungen wird der Afrikaner zum Gegenbild von Zivilisation, Vernunft und Moral, 185 dabei dominieren in seinem Entwicklungsmodell des afrikanischen Kontinentes zwei Metaphern: das Kind und die Nacht. ,,Auch wenn es sich erübrigen sollte zu erwähnen, dass Hegels Bild von Afrika ein so rassistisches wie auch überholtes ist, ist immer wieder zu beobachten, wie sich Spuren solcher Konnotationen in Bilderwelten der Gegenwart hineintragen. “ 186 Tawadas Text spielt deutlich mit den beiden historischen Metaphern. Bei ihr ist nicht Südafrika das Kind, sondern mit der Sprachschule des Afrikaans wird die Migrantin, das “Ich” der Erzählung, zu einem Kind bzw. wird mit der kulturellen und sprachlichen Schulung in eine ,,zweite Kindheit” zurückgeworfen 187: ,,Nein, ich war kein Kind mehr und die schlechten Zeiten waren vorbei, aber der Sprachunterricht hatte mich zu einem Kind gemacht. “188 Die Entmündigung der Migrantin hat dabei auch gute Seiten, eröffnet es doch die Fähigkeit des kindlichen Lernens: ,,Eine Erwachsene konnte vielleicht besser die Grammatik verstehen, aber ein Kind lernt unsichtbare Adern und Nervensysteme der Sprache.“ 189 Insgesamt ist die erste Passage des Bioskoop der Nacht eine Orientierungsphase in der Fremde. Doch in der ersten Begegnung mit der Personifizierung Südafrikas und seinem Herzen ist die Protagonistin sichtbar überfordert: ,,Meine Lachnerven juckten, ich war verwirrt”. Ihre perspektivische Sehen, ihre Übersetzungen scheinen sich in ihrer Omnipräsenz und Undeutlichkeit als ein Scheitern des (kulturellen) Sehens umzuwandeln, woraus Missinterpretationen und Misskommunikation entstehen, die gerade den literarischen Reiz der phantastischen Erzählung Tawadas ausmachen. 185 Jessica Nitsche: Konstruktionen von Afrika in visueller Populärkultur, Fotografie und Gegenwartskunst, aus: Michael Hofmann/Rita Morrien (Hg.): Deutsch-afrikanische Diskurse in Geschichte und Gegenwart. Literatur- und kulturwissenschaftliche Perspektive, in: Amsterdamer Beiträge zur neueren Geschichte. Band 80, Rodopi 2011, S.227-251, hier: S.230. 186 Jessica Nitsche: Konstruktionen von Afrika in visueller Populärkultur, Fotografie und Gegenwartskunst, aus: Michael Hofmann/Rita Morrien (Hg.): Deutsch-afrikanische Diskurse in Geschichte und Gegenwart. Literatur- und kulturwissenschaftliche Perspektive, in: Amsterdamer Beiträge zur neueren Geschichte. Band 80, Rodopi 2011, S.227-251, hier: S.231. 187 Hansjörg Bay: Wo das Schreiben anfängt. Yoko Tawadas Poetik der Migration, aus: Text+ Kritik. Sonderband: Literatur und Migration, Band XI, 06, S. 109-119, hier S. 117 188 Yoko Tawada: Überseezungen, S. 89. 189 Yoko Tawada: Überseezungen, S. 89. 61 Betrachtet man die Passage andererseits aus der subjektiven Perspektive der Protagonistin, dann ist zu erkennen, wie sich die fremde Begegnung für sie zunächst als emotionaler Prozess darstellt. Emotionalität ist ein Element, welches in der interkulturellen Germanistik für das Bilder-verstehen und den Leseprozess als notwendig angesehen wird: ,,We inevitably form visual images of characters, places and plots while reading a novel, short story or perhaps even a poem. And it is via this visualisation of the narrative in the mind that the emotional engagement of the reader occurs.“ 190 Die Autorin Yoko Tawada stellt Emotionalität sogar in den Kontrast zur vermeintlich einzig “wahren” Utopie des objektiven, klassischen Geschichtsbildes. Statische undynamische Geschichtsmodelle, wie etwa das Afrikabild Herders, sind in emotionalen Weltbegegnungen des Subjektes für sie nicht wünschenswert: Wer von der Existenz einer einzigen, wahren objektiven Geschichte ausgeht, würde denken, der Einfluss der Gefühle könne die objektive Sicht hindern. Dabei gäbe es keine Geschichte, wenn es keine Emotionen gäbe. Es gäbe dann nur noch eine Aneinanderreihung zahlloser Bilder und Wörter, die keineswegs organisch zusammenhängen. 191 Anstelle der kollektiv objektiven Geschichte der Welt, rückt das historische Bewusstsein. des Einzelnen. 192 Im Mittelpunkt des Bisokoop der Nacht steht die Emotionalität des (literarischen) Individuums. Um die Prozesse und Dynamiken der literarischen Kommunikation besser nachvollziehen zu können, werden nun die philosophischen Schriften des Franzosen Paul Ricœur zur theoretischen Weiterentwicklung hinzugezogen. Er betont die sprachlichen Prozesse, die schlussendlich für die Konstruktion von Identität notwendig sind: 190 Christiane Schönfeld: Introduction, aus: Christiane Schönfeld/Hermann Rasche (Hg.): Processes of Transposition. German Literature and Film. In: Amsterdammer Beiträge zur neuern Germanistik, Editions Rodopi 2007,S. 11-25, hier: S.13. 191 Yoko Tawada: Theater der Toten, aus: Julia Genz, Mirjam Schneider/Sebastian Wogenstein (Hg.): An Grenzen. Literarische Erkundungen,Wehrhahn Verlag, S.113. 192 Juergen Straub: Telling Story, Making History. Toward a Narrative Psychology of the Historical Construction of Meaning., in: Juergen Straub (Hg.): Narration, Identity, and Historical Conciousness., aus: Jörn Rüsen/ Alon Confino/Allan D. Megill (Hg.), Volume 3, Making Sense of History Studies in Historical Cultures, Berghan Books, S. 44-98, hier S. 84f. 62 Ricœur sieht speziell Schrift-Zeugnisse, die schriftliche Erzählform repräsentativ für das Phantasma der Identitätskonstruktionen. Es ist -ihm folgend- das erzählende, zeitliche Element, welches es erst ermöglicht Identität zu kreieren. Die Geschichte -als verschriftlichtes Werk- ermöglicht es das Leben in seiner Zeitgebundenheit, und somit nicht-festzuhaltenden Aporie der Zeit, widerzuspiegeln: Identität entsteht erst während des Erzählens und wird ausschließlich innerhalb des Erzählrahmens haltbar, das heißt sprachlich ausformuliert. Ricœur benennt sein Konzept als narrative Identität. 193 Ausgehend von diesem literarischen Grundgedanken, den er zur Beschreibung (von Identität) heranzieht, entwickelt er seine textbasierende Theorie der Hermeneutik. Wie im Folgenden aufgezeigt wird, enthält die literarische Konstruktion des Tawada Textes Bioskoop der Nacht einige Parallelen. Hinsichtlich der Historiographie und Dichtung nimmt Ricœur keine Gattungsunterscheidung vor, denn unabhängig von wissenschaftlichem Erklären oder literarischem (bei Tawada vor allem emotionalen) Verstehen: einzelne Erzählungen erfahren ihre Sinngenese immer erst rückwirkend. 194 ,,Erzählen bedeutet, erzählen, was sich ereignet hat, aber auch wie und warum es sich ereignet hat.” 195 Dieser Vorgang der sprachlichen Gestaltung vereint das made out (Ereignisse) zum made into (Geschichte) oder anders formuliert wird durch die Rekonstruktion von einzelnen Elementen kausale Zuordnung geschaffen, Erklären und Verstehen stehen im Dialog zueinander. Neben dem Inhalt und Prozesscharakter ist die Form der Rekonstruktion entscheidend. Ricœur benennt dies mit der strukturell wirkenden narrativen Intrige, welche den inhaltlichen Diskurs der Geschichte dominiert, kontextualisiert, und somit vom Charakter her eine interpretative Wirkung entfaltet; ,,Jede Intrige ist [dabei] auto-explikativ”, das heißt sie ist singulär und entwirft eine eigene erzählende Ordnung aus der heraus sie in Einmaligkeit besteht.196 Die Einmaligkeit des Textes Bioskoop der Nacht ist es nun, dass im Verlauf der Erzählung die einzelnen narrativen Elemente, die Intrigen Verwandlungen 193 Jens Mattern: Ricœur zur Einführung, Menschliche Zeit-erzählte Zeit, Junius Verlag Hamburg 1996, S.151-182, hier: S.175f. 194 ebd.2: Jens Mattern: Ricœur zur Einführung, Menschliche Zeit-erzählte Zeit, Junius Verlag Hamburg 1996, hier: Die Dialektik von Verstehen und Erklären, S.103-109. 195 Paul Ricœur: Zufall und Vernunft in der Geschichte (erweiterter Fassung des Textes Kontingenz und Rationalität in der Erzählung im Rahmen der öffentlichen Veranstaltung des Institut Culturel Franco-Allemand am 14.5.1985 in Tübingen), Konkursbuchverlag Tübingen 1986, S. 35 196 ebd. 4 :Paul Ricœur: Zufall und Vernunft in der Geschichte Konkursbuchverlag Tübingen 1986, S. 35 63 durchlaufen. Aus den einzelnen Ereignissen wird Geschichte. Dagegen steht die Intrige der geschichtlichen Struktur plötzlich als Ereignis da. Strukturelles und Exemplarisches sind kaum noch voneinander zu unterscheiden. Die narrative Identität des Subjektes bewegt sich laut Ricœur generell auf einer Temporalstruktur, die sich aus der poetischen Komposition ergibt: ,,Das Subjekt konstituiert sich in diesem Fall als Leser und Schreiber zugleich seines eigenen Lebens. Wie die literarische Analyse der Autobiographie bestätigt, wird die Geschichte eines Lebens unaufhörlich refiguriert durch all die wahren und fiktiven Geschichten, die ein Subjekt über sich erzählt. Diese Refiguration macht das Leben zu einem Gewebe erzählter Geschichten.197 Erst in der Dimension des Textkörpers eröffnet sich die Vierseitigkeit (quadrilatère) von Sprache. 198 Ricœur erhöht den ,,Text als Werk” zum Diskurs innerhalb seiner Hermeneutik. Eine Eschatologie der Zeitaporien (Welt, Menschheit und Mensch-sein), findet allerdings auch die Erzählkunst nicht, wohl eröffnet sie eine ,solution poïétque” (hier nach Römer), welche durch ihr Reflextionspotential die Unauflösbarkeit der Zeitlichkeit sichtbar macht, reflektiert und auf sie antwortet.199 Gerade die Dialogfähigkeit des Textkorpus, der durch seinen Schriftcharakter das Leben ,,entfremdet” , ermöglicht es dem Leser in dieser Andersheit den Spielraum für die eigene Identität anzunehmen. Bereits der Erwartungshorizont des Lesers wird durch die vorgebende Ordnung der Erzählung bestimmt und kontextualisiert, auch die einzelnen Ereigniselemente werden von ihr geleitet. 200 Gattungspezifisch kommt die Autobiographie der Funktion der Erzählbarkeit des Lebens dabei am nächsten. Erst der autobiographische Text ermöglicht es das Spannungsfeld von Identität, welches Ricœur aus idem und ipse definiert, zu veranschaulichen: 197 Die narrative Identität des Subjektes bewegt sich laut Ricœur auf einer Temporalstruktur, die sich aus der poetischen Komposition ergibt. Paul Ricœur, Zeit und Erzählung, Band III, S.396 zitiert nach ebd.2: Jens Mattern: Ricœur zur Einführung, S.204. 198 Merkmale sind: ,,1. die Fixierung der Bedeutung durch Schrift, 2. die Autonomisierung der Bedeutung durch ihre Befreieung von der Intention der sich äußernden Subjektivität, 3. die Suspendierung des situationsgebundenen referentiellen Bezuges des Diskurses, 4. die Adressierung an ein potentiell unendliches, universellen Publikum.” aus: Jens Mattern: Ricœur zur Einführung, S.102. 199 Inga Römer: Die Refiguration der Zeiterfahrung durch die Erzählung, aus: Das Zeitdenken bei Husserl, Heidegger und Ricœur, Phaenomenologica Breda/Husserl Archive Band 196, Springer Verlag 2010, S.290-324, hier: S.291ff. 200 Bereits der Erwartungshorizont des Lesers durch wird vorgebende Ordnung der Erzählung eingeschränkt sowie zudem kontextualisiert, auch die Elemente werden von ihr bestimmt. 64 ,,Die Identität einer Person ist damit nicht etwas der Geschichte ihres Lebens Äußerliches- es ist die Identität der Geschichte, die die Identität der Person hervorbringt.” 201 Der Text kann dabei nicht ohne die Lesbarkeit des Textkorpus und dem ,,Publikum” gedacht werden, denn erst hier entfaltet sich der entscheidende Gedanke der Entfremdung und Dialogfähigkeit über das Erzählte für Ricœur. Das Konzept der narrativen Identität weitet er dabei zudem von der Textidentität zur individuellen Identität aber auch auf kollektive Identitäten aus.202 Die Möglichkeit der kollektiven Identität wurde allerdings häufig an Ricœurs Philosophie kritisiert. Es ist festzuhalten: Identität unterliegt laut Ricœur, entstehend aus ihrer nur narrativ darzustellendem Charakter, einem nicht abzuschließenden Prozess des Erzählens und Lesens (Text als unvollendetes Werk). Die Dialektik der sprachlichen Komponenten ist zudem flüchtig. Wie das folgende Beispiel zeigt, liegt Tawadas Text ein solches, prozessual erzählendes Identitiäts-Verständnis, zugrunde: ,,Mir gefällt ausserdem, dass ein Ich mit einem »I« beginnt, ein einfacher Strich, wie der Ansatz eines Pinselstriches, der das Papier betastet und gleichzeitig die Eröffnung einer Rede ankündigt. Auch »bin« ist ein schönes Wort. Im Japanischen gibt es auch das Wort »bin«, das klingt genau gleich und bedeutet »eine Flasche« . Wenn ich mit den beiden Wörtern »ich bin« eine Geschichte zu erzählen beginne, öffnet sich ein Raum, das Ich ist ein Pinselansatz und die Flasche ist leer. 201 Es sind bei Ricœur die zwei Komponenten idem (Selbst/Gleichheit) und ipse (Selbigheit/selfhood), welche im Dialog die Identität als offene, temporäre Entität erschaffen. 202 Kollektive Identitäten bezeichnen soziale Gemeinschaften unterschiedlichster Art. Hier sind die Existenz von kultureller Identität ebenso wie die der nationalen Identität angesprochen. Beide sind durch ihrer Ausrichtung vom Individuums zur Gruppe, von der subjektiven zur objektiven, kollektiven Repräsentation und Übertragungform fragmentarischer Natur. Die Entfremdung vom Eigenen und Anderen (subjektiv zu objektiv) teilen sie Ricœur folgend mit der individuellen Identiät. Gruppenidentität sind allerdings durch den Symbolikcharakter fragmentarischerer Natur, als es die Einzelidentitäten sind. Diese Ausweitung seiner Theorie wird von Inga Römer kritisch betrachtet. Sie sieht eine große Instabilität in der Übertragung auf Kollektive. Eine konkrete Ausarbeitung der Kollektividentitäten liegt nicht vor, Ricœur konzentrierte sich in seiner weiteren Auseinandersetzung vorallem auf die Frage des Umgang mit den Kollektiven: Das ,,kollektiven Gedächtnisses” und die Verantwortung von Gruppen und Einzelnen für die Gemeinschaft stehen in seinen letzten Schriften im Mittelpunkt s. Siehe ebd.9: Inga Römer: Narrative und ethnische Identität, aus: Das Zeitdenken bei Husserl, Heidegger und Ricœur, Phaenomenologica Breda/Husserl Archive Band 196, Springer Verlag 2010, S.368-401, hier: S.396ff. 65 -Überseezungen: Eine leere Flasche 203 204 Bild 4 Die Identität des Ich existiert nicht aus seiner selbst, sondern es erfordert den Akt des Erzählens, um ihn zu konstruieren. Es ist ein Raum, in jedem Moment neu geboren wird, an dem die Erzählung neu einsetzt. 205 Ein Nichts, dass erst in der Sprachhandlung des Geschichtenerzählens, entsteht und als Literatur (Textkorpus) unabdingbar an die Rezeption des Publikums gebunden ist. Die Surrealistin Unica 203 Yoko Tawada, ÜBERSEEZUNGEN, (wie Anm.1), S.57. Unica Zuern, Ohne Titel, 1965, Zeichnung in ost-indischer Tinte, 49,8x64,2cm in: Unica Zuern, Bilder 1953-1970 (Berlin, 1998), ill. Cxxxvi. Copyright: Verlag Brinkmann&Bose Berlin. 205 Mit einem ,,Rauschen der Wirklichkeit” benennt Martin Seel dabei den Effekt der der Begegnung des Zeitgenossen mit der ,,gestaltlosen Wirklichkeit”: ,,Was vorher in einer sozialen oder kulturellen Ordnung war, was vorher ein erwartbares und fixierbares Sein hatte, zeigt sich jetzt in einem subsinnhaften Erscheinen .[…] gleichwohl zeigt sie [die Wirklichkeit] sich hier als eine Realität, die in allem Erfassen niemals vollständig erfaßt und beherrscht werden kann. Martin Seel, Gestaltlose Wirklichkeit, Ästhetik des Erscheinens, München ua. 2003, hier S.233f. 204 66 Zürn hat die Dominanz der Zeitlichkeit, der eine solche narrative Identität unterliegt, versucht mit der Visualisierung ein Portrait in Bewegungabfolgen einzufangen. Welche Konsequenzen hat dieses Verständnis von anti-integraler Identität für Individuen und gesellschaftliche Konzepte, wie es die kulturelle Identität und nationale Identität und sprachliche Identität sind? Zu Problematisieren ist die Konzeptualisierung des Identitäts-begriffes dort, wo er nicht kritisch-regulativ, sondern normativ eingesetzt wird. Ein Beispiel hierfür ist der “Mister Euro”, der in der Einleitung angesprochen wurde. Wird über Identität als Leitmotiv, Orientierung referiert, suggeriert dies einer Abschliessbarkeit und Vollständigkeit von Identität, die nach Ricœurs Modell der narrativen Identität nicht gegeben ist. Der Akt der Sprache bzw. Erzählung widerspricht einer solchen statischen Konstruktion des Identitätswesens. Die Einforderung und Zielsetzung von kollektiven Identitäten beinhaltet zudem gesellschaftlich Apartheid. 206 Ausgrenzung, das Resultat ist die gesellschaftliche Die in den Niederlanden stattfindenden Debatten über die nationale Identität, sind unter diesem Kontext zu betrachten. Jegliche vermeintliche Schöpfung oder vermeintlicher Deutungsanspruch von kollektiven Identitäten ist mit dem Verständnis der dynamischen “narrativen Identitätskonstruktion” nach den Zielen sowie der pädagogischen Funktion kritisch zu hinterfragen. Überträgt man diese hermeneutischen Erkenntnisse der narrativen Philosophie Ricœurs auf die Ausgangsfragen, die Identitätsfrage von Tawadas Text, rücken die FrageWelches Ich wird im Text manifestiert. Welches Wesen hat der Text? Ist er politisch oder ästhetisch? -in den Hintergrund und die Fragen nach dem wie der Vermittlung und seiner Wirkung auf den Leser rücken in den Vordergrund. 6.2 Von Sprach-Bildern zu kulturellen Diskursen Es ist nicht verwunderlich, dass das literarische Spiel der Tawada´schen Bilderpraxis, und sei sie noch so- oder gerade, weil sie so kindlich sind-, auch beim Leser 206 ,,If we want to embrace pluralism instead of apartheid, then we must further interaction instead of limiting it to the in-group only. The heart of pluaralims is interaction between people with different socializations, different opinions and different interesst…The possiblity of this interaction-in-diversity is given with reflexivity.” so Wilna A.J. Meijer zitiert nach Heinz Streib: Erzählte Zeit als Ermöglichung von Identität- Paul Ricœurs Begriff der narrativen Identität und seine Implikationen für die religionspädagogische Rede von Identität und Bildung, in: Georgi/Heimbrock (Hg.): Religion und die Gestaltung der Zeit, Kok Kampen/Weinheim 1994, S.181-198, hier: S. 195. 67 emotionale Assoziationen auslösen. Der Kunsthistoriker und Medientheoretiker Hans Belting bezeichnet emotional aufgebaute, innere Bilder, genauer als er-innerte Bilder. Der einzelne Mensch wird, laut ihm, zu einem ,,körperlichen Bilderspeicher” und somit zu historischem Phänomen. 207 In der fiktiven Welt des Bioskoop der Nacht ist ein solcher Bilderspeicher die IchErzählerin. Außerhalb des Textes ist der Leser der Bilderspeicher, er tritt mit dem Text in Kommunikation. Weniger eindeutig zuzuordnen ist für Belting das Phänomen der kulturellen Bilder. Weder ihr Ort noch die Form der Bewahrung ist exakt zu beschreiben. Wie Belting aufzeigt, wandelt sich allerdings der Ort der Bilder, genau wie Kulturen sich im Laufe der Zeit verändern. Kulturelle Bilder gehen so nicht verloren, sondern unterlaufen einer entsprechenden Transgression, werden Weitergetragen, sie wechseln ihren Kontext und unterliegen, einer prozessualen Identität: ,,Der nomadische Weltbürger, der an keinem geographischen Ort mehr zu Hause ist, trägt Bilder in sich, denen er noch einmal einen Ort mit einem vergänglichen Leben, mit seinem eigenen Leben gibt.” 208 Eine objektive statische Darstellung von den an sich dynamischen Kultur-bildern ist demnach ausschließlich unter der historischen Perspektive möglich. Die Elemente der Belting´schen Bild-Theorie sind für Tawadas narrative Identität des Bioskoop der Nacht entscheidend. In der Erzählung steht die Protagonistin mit ihrem “Gedankenkino” den kollektiven Symbolen scheinbar blind gegenüber. Ihre “kindliche” Wahrnehmung überblendet die kollektiven Repräsentationen, die sogenannten symbolische Bilder, mit vertrauten Assoziationen. 209 Erst in der Lektüre des literarischen Textes wird die kulturelle Einordnung durchgeführt: durch den Leser. Das heißt, der Leser bringt sein kulturelles Vorwissen in den Text mit ein; ein kulturelles Bild bzw. ein kultureller Bild-Diskurs entsteht. 207 Hans Belting/Lydia Haustein (Hg.): Das Erbe der Bilder. Kunst und moderne Medien in den Kulturen der Welt, C.H. Beck, München 1998., hier: S. 40. 208 Hans Belting/Lydia Haustein (Hg.): Das Erbe der Bilder. Kunst und moderne Medien in den Kulturen der Welt, C.H. Beck, München 1998., hier: S. 40. 209 Hans Belting/Lydia Haustein (Hg.): Das Erbe der Bilder. Kunst und moderne Medien in den Kulturen der Welt, C.H. Beck, München 1998., hier: S. 36 68 In der Anwendung einer im Folgenden exemplarischen hermeneutisch wie kulturtheoretische Lektüre, wird Beltings These bestätigt, ,,dass wir selber [es sind, die] die Bilder mitbringen, die wir sehen wollen- und sehen (verstehen) können.” 210 Wie der Text den Leser aktiviert, die Ricœur´sche ,,Vierseitigkeit” (quadrilatère) von Sprache sich entfaltet, wird an wenigen Sätzen der ersten Passage des Bioskoop der Nacht versucht aufzuzeigen. Da es sich um eine bild-theoretische Analyse handelt, werden reale Abbildungen zur Unterstützung der schriftlichen Lektürearbeit herangezogen. Nachdem die Protagonistin die ersten Worte mit ,,die Mann” gewechselt hat, findet sie sich plötzlich an seinem Arbeitsplatz wieder. ,,Er holte eine Dose aus dem Regal und drückte sie mir in die Hand. Auf dem Etikett war kein Bild zu sehen. Ich sah den Buchstaben Y, der eine grüne Haut hatte und quer auf einem rot-blauen Streifen lag. Wer war diese Frau Y mit gespreizten Beinen?” 211 Das textinterne Bild, das im inneren Monolog beschrieben wird, ist dank der weltweiten Bekanntheit und der Kontextualisierung der südafrikanischen Zungen vom Leser einfach als südafrikanische Nationalflagge zu erkennen: Die Protagonistin erkennt jedoch dieses Symbol nicht, sieht “kein Bild” und interpretiert die Darstellung kurzerhand als einen Frauenkörper, “mit gespreizten Beinen”. Der Frauenkörper auf der Nationalflagge ist aus dreierlei Perspektiven weiter interessant. Kurz zuvor heißt es im Text: ,,Ein Winkel war ein Laden, ich weiss nicht warum, plötzlich stand ich in einem Kolonialwarenladen. Hinter der Theke sah ich bunte Schachteln und Dosen. Auf einigen Etiketten waren Holländerinnen in Volkstracht abgebildet. Ihre Röcke waren angeschwollen wie Birnen. Die Mann stand hinter der Theke 210 Hans Belting/Lydia Haustein (Hg.): Das Erbe der Bilder. Kunst und moderne Medien in den Kulturen der Welt, C.H. Beck, München 1998., hier: S. 53. 211 Yoko Tawada: Überseezungen, S. 62. 69 und sah mich an. Zum Glück war jetzt eine klare Rollenverteilung angesagt: Er war der Ladenbesitzer und ich war seine Kundin. »Ich möchte Fleisch.« 212 Der Kauf von ,,Fleisch” mit der Bestätigung ,,ich war seine Kundin” führt zur dankbaren ,,klare[s] Rollenverteilung” der Protagonistin. Sie ist erleichtert, -,,zum Glück”-, erkennt sie doch in der Situation eine alltägliche Konsumhandlung. Mit dem ,,winkel” 213 eröffnet sich eine räumlich, wie historische Perspektive des Geschehens. 214 215 Bild 5, 6 212 Yoko Tawada: Überseszungen, S. 76. Deutsch: Laden 214 Nachbildung, Schokoladenmuseum Köln, Quelle; anonym Internet. 213 215 Postkarte aus dem Reisebericht der Literatin und Literaturwissenschaftlerin Sabine Scholl: ,,Eine rätselhafte Aufnahme vom 8. Februar 1931, die ich zuerst den Fotos zuordne, die mir Trina damals geschenkt hatte: In holländische Tracht gekleidete Kinder stehen auf einer Bühne vor einem schwarzen Tuch, auf das drei Begriffe gestickt sind: Volkesfreiheit!, Rasseeinheit!, Geistesfreiheit!”; Sabine Scholl. mitsprache unterwegs.de, vom 22.12.2009 22.12. Puerto de Santiago/Keisd (Saschiz) | Kirchen Ghettos Paranoia, in: in|ad|ae|qu|at. Gefunden unter: http://www.zintzen.org/2010/01/04/sabine-scholl-22-12-puerto-desantiagokeisd-saschiz-kirchen-ghettos-paranoia. Stand 29.6.2012. 70 Die niederländische Kolonialmacht Südafrikas wird beiläufig ,,Auf einigen Etiketten” erwähnt und mit unschuldig anmutenden folkloristischer Verzierungen beschrieben. Das nostalgische Bild des ,,Kolonialwarenladen[s]” kann der Leser als deutlichen Hinweis auf die prä-nationale Historie Südafrikas verstehen. Auch die Ausbeute Südafrikas war “reich” und “fruchtbar”, fügt sich so der Allegorie im Text dargestellten Volkstrachten: ,,Ihre Röcke waren angeschwollen wie Birnen.” Doch in der Kolonialzeit wurde auch mit Menschen gehandelt. Der Sklave war seinem Besitzer schutzlos ausgeliefert. Wie die historische Abbildung des folgenden Dokumentes zeigt, wurden Sklaven und Sklavinnen durchaus auch nach Europa verkauft: 71 216 Bild 7 Wird nun in der Erzählung von Bioskoop der Nacht die (historische) Konservenware ,,Fleisch” über die Ladentheke gereicht, wird mit der Bilderabfolge der körperliche Objektstatus der gehandelten Ware betont. Die ,,gespreizten Beine” auf der Verpackung des Nahrungsmittels verstärken die assoziierte Schutzlosigkeit der Ware noch. 216 Das Preis-Verzeichnis aus dem Jahr 1840 in Hamburg. Dort wird eine ,,Buschmann Frau” aus Süd-Afrika unter der Rubrik ,,Säugethiere” für 400 Silbertaler zu erwerben. http://www.kapstadt.org/kapstadtreiseangebote/suedafrika-jugendreisen/suedafrika-sangeschichte. Quelle: http://www.kapstadt.org/links/bilder-picture/buschmann-san/sangeschichte/suedafrika-san-1k.jpg, Stand 29.6.2012. 72 Neben dem postkolonialen Diskurs enthält die kurze literarische Passage zeitgleich zeitgenössische Symboliken, die den bereits angesprochenen zweiten Diskurs, den gender-Diskurs noch verschärften. Seit es der modernen Wissenschaft möglich ist das menschliche Genmaterial zu entschlüsseln, weiß man zwar, dass eine genetische Rasseneinteilung nicht haltbar ist, der Unterschied der menschlichen Geschlechter wird dennoch genetisch begründet. Die Chromosomen des Mannes setzen sich laut der Gen-Theorie aus X- und YChromosomen zusammen, während der genetische Code der Frau sich aus zwei XChromosomen zusammenfügt. Hier eine mikroskopische Abbildung eines klassischen männlichen XY Genpaares. 217 Bild 8 In der deutschen Sprache spricht man, um eine austauschbare, männliche Durchschnittsperson zu bezeichnen auch von “Herr XY”. Dagegen ist der Buchstabe ,,Y” im allgemeinen Sprachgebrauch weder genetisch noch sprachlich weiblich konnotiert. Awadas sprachliches Bilder-Spiel widersetzt sich der sprachlichen Norm der standardisierenden Geschlechterzuweisungen. Sowohl die Weiblichkeit der ,,Frau Y” als auch die Männlichkeit von ,,die man” sind widersprüchlich, die sprachliche Uneindeutigkeit wird zu einem künstlichen “Dazwischen” postuliert. 218 , 219 217 Links X-Chromosom, rechts Y-Chromosom; Quelle: anonym Internet. Ihre Weiblichkeit wäre genetisch betrachtet wohl nicht existent. Doch auch die technischen Verfahren sind nicht wirklich eindeutig, wie Fälle von Intersexualität und Transsexualtität spiegeln. http://www.tagesspiegel.de/wissen/sabine-hark-soziologin-es-gibt-nicht-nur-zweigeschlechter/1635330.html 218 73 Je nach kulturellem Vorwissen des Lesers, lässt sich die Assoziationskette der kulturellen Diskurs-Lektüre beliebig bis in die Gegenwart erweitern: die Prostitution zur Fußballweltmeisterschaft in Südafrika 2010, die Uneindeutigkeit des Geschlechts der südafrikanischen Sportlerin Caster Semenya bei den Athletikweltmeisterschaften 2009 in Berlin oder auch die generell schwierige Situation der Homosexuellen innerhalb der südafrikanischen Gesellschaft. In Konsequenz der Ricœur´schen Sprachphilosophie rücken anstelle von einer Geschichte und Hierarchie der Deutung, multiple und parallel stehende Geschichten. Aus der singulären Identität wird in Konsequenz für das Individuum genauso wie für Kollektive die gleichwertige Pluralität der Identität-en. Die Aufgaben der Wissenschaft bezüglich der Identitäts-Problematik sieht der Religionswissenschaftler Heinz Streib nach Ricœur in der Beantwortung den zukunftsweisenden Fragen an den Leser: ,,Wessen Geschichten werden gehört?” 220 sowie die Gegenfrage: Wessen Geschichte wird nicht gehört? 221 In Tawadas Erzählung Bioscoop der Nacht begegnet die Ich-Erzählerin durchgehend der sprachlichen Manipulation, rassistischen Segregation und Machtzusprechung des Apartheid-Regimes. So auch der Sprachgebrauch: ,,SLEGS BLANKES” – (Nur für Weiße) heißt die dominierende Parole und das politische Leitmotiv der Nasionale Party Südafrikas. Doch in welcher Konsequenz ist diese sprachliche Ausgrenzung zu verstehen? Was ist ein ,,weißer” Mensch? Darf sich die Ich-Erzählerin als Japanerin auf eine Parkbank setzen, lautet die “ängstliche” textinterne Frage? In der Erzählung folgt daraufhin eine narrative De-konstruktion einzelner Wörter. Die Übersetzungsversuche aus aus der englischen Sprache, misslingen zunächst. Die Gaststudentin kann die Leere des ,,blank space” nicht mit Sinn füllen: 219 “Dutch university gives trans man new diploma”: http://www.ebar.com/news/article.php?sec=news&article=5651, Stand 1.3.2012. 220 Siehe hierzu ebd. 47. Heinz Streib: Erzählte Zeit als Ermöglichung von Identität- Paul Ricœurs Begriff der narrativen Identität und seine Implikationen für die religionspädagogische Rede von Identität und Bildung, in: Georgi/Heimbrock (Hg.): Religion und die Gestaltung der Zeit (pp.181-198), Kok Kampen/Weinheim 1994, S. 198. 221 Gerade die postkolonialen Kritiker wie Gayatri Chakravorty Spivaks stellen sich diese Frage (School of Dar es Salaam): ,,Can the Subaltern Speak?” (1988). Im Erinnungsdikurs ist zu fragen, welche Stimmen nicht zu hören sind. 74 ,,...eine Lücke, noch unbeschrieben, frei. Kann jemand eine Hautfarbe haben, die einem unbeschriebenen Blatt gleicht? 222 Auch die Ableitung der “Klangfarbe” des Wortes ,,BLANKES” ins Englische blacks, die ,,Schwarzen”- hilft nicht weiter. Selbst der um Erklärung gebetene südafrikanische Ordnungshüter ist um eine eindeutige, nachvollziehbare Antwort verlegen. Weiße seien zum Beispiel Afrikaner. Hier tritt das “realistische Diktum” der Apartheid und ihrer der sprachlichen Manipulation und Deutungshoheit zutage: 223 Der Machtanspruch wird rhetorisch “verortet”, die historische wie unbefriedigende Rechtfertigung der Kolonisation liefert der Vertreter der staatlichen Ordnung direkt mit: ,,Die Afrikaner sind ehemalige Holländer.” ,,Warum sind die Holländer Afrikaner geworden?” ,,Wenn sie sich selbst als Europäer bezeichnet hätten, hätten sie Afrika verlassen und nach Europa zurückkehren müssen.” ,,Ah, ja.” 224 Die Beanspruchung des singulären Machtmonopols einer Ethnie wird in Tawadas Text konsequent als sprachliches Zerrbild der gesamten Nation vorgeführt. Die vermeintliche Singularität der Afrikaner wird durch die indirekte Präsenz weiterer ethnischer Gruppen, ihrer “versteckten Geschichten” (hidden stories) konfrontiert. Zunächst unterschwellig dann immer deutlicher zeigt sich im Dialog die versteckte Diversität, das multi-ethnisches Konglomerat: neben “Holland” sind die Kolonialmächte England (englische Übersetzung) und Portugal (der Ordnungshüter), die ursprüngliche “schwarze” Bevölkerung (,,blacks”) wie die durch den Sklavenhandel entwurzelten, zumeist aus Indien verschleppten ,,Kapmalaien” im Text vertreten. Tawadas Narrativ vermittelt ein in höchstem Maße heterogenes nationales Kollekiv der Apartheids wie Post-Apartheids Nation. Hannah Arendt verweist in ihrem politischen Essay Macht und Gewalt auf die Wichtigkeit und Achtsamkeit in der Anwendung von Sprache. Machtstrukturen liegen dort offen zutage, ,,wenn das Funktionieren des sozialen Lebens sofortige, fraglose Anerkennung von Anordnungen [der Autorität] erfordert.“ 225Semantischen Schwierigkeiten von verwendeten Begriffen sind für sie dabei unausweichlich. Neue 222 Yoko Tawada: Überseezungen, S.74 Diesen Begriff übernehme ich aus: Karin Böke: Politische Leitvokablen in der Adenauer-Ära, De Gruyter 1996, S. 49. 224 Yoko Tawada: Überseezungen, S.74. 225 Hannah Arendt: Macht und Gewalt, Büchergilde Gutenberg 2005, S.73. 223 75 Definitionen dagegenzustellen ist für Arendt allerdings keine Lösung, denn: ,,es handelt sich nicht einfach um unachtsamen [politischen] Sprachgebrauch.”- des staatlichen Diktats.226 ,, Hinter der scheinbaren Konfusion steht eine theoretische Überzeugung, der zufolge alle Unterscheidungen in der Tat von bestenfalls sekundärer Bedeutung wären, die Überzeugung nämlich, dass es in der Politik immer nur eine entscheidende Frage gäbe, die Frage: Wer herrscht über wen? Macht, Stärke, Kraft, Autorität, Gewalt- all diese Worte bezeichnen nur die Mittel, deren Menschen sich jeweils bedienen, um über andere zu herrschen, man kann sie synonym gebrauchen, weil sie alle die gleiche Funktion haben. Erst wenn man diese verhängnisvolle Reduktion des Politischen auf den Herrschaftsbereich eliminiert, werden die ursprünglichen Gegebenheiten in dem Bereich der menschlichen Angelegenheiten in der ihnen eigentümlichen Vielfalt wieder sichtbar werden.“227 Arendt, die ihre essentielle Sprachskepsis und -kritik aus der Erfahrungen der nationalsozialistischen Machtergreifung, dem Weltkrieg und Shoa entwickelt hat, führt so die politische Funktionalisierung und ,,Umarmung”, von Worten und Begriffen durch sprachmanipulierende, politische Systeme vor, die sie schlussendlich als eine Machtfrage entlarvt. Der “Herrschaftsbereich” des politischen Apartheid-Systems wird in Tawadas Text zwar dargestellt, der fiktive, literarische Raum entzieht dem rassistischen Sprachdogma und der -logik aber jegliche Handlungsmacht. Deutlich wird dies an der aller-menschlichsten ,,Angelegenheiten”(Arendt), der menschlichen Notdurft. Tawada entkräftet die historische Segregation in ihrem Text an diesem ironischen Beispiel. Wie genau dies kontextuell geschieht, wird im Folgenden beschrieben: Ein ,,mutiger” japanischer Schüler fragt sich: Was bedeutet es für die Notdurft der Japaner, wenn der Toilettengang im Apartheidsregime getrennt zwischen zwei Türen ,,Für die Weißen” und ,,Für die anderen außer Japaner” stattzufinden hat? 228 Wie er von seiner Lehrerin erfährt, war Japan ein wichtiger Handelspartner des 226 Hannah Arendt: Macht und Gewalt (aus dem englischen Origina übersetzt: On Violence, Harcourt, Brace & World Inc, New York 1970), Büchergilde Gutenberg 2005, S.69f. 227 Hannah Arendt: Macht und Gewalt (aus dem englischen Origina übersetzt: On Violence, Harcourt, Brace & World Inc, New York 1970), Büchergilde Gutenberg 2005, S.69f. 228 Yoko Tawada: Überseezungen, Konkursbuchverlag Claudia Gehrke 2002/2006, S.66. 76 Apartheid-Regimes und so wurden die Japaner kurzerhand zu ,,Weißen” erklärt. Im Unterricht beschwert sich der Schüler daraufhin: ,,Ah, dann sind sie ja gar keine echten Rassisten. Sie denken nur an das Geld” , sagte der Junge abschätzig. ,,Sonst hätten sie solche Kompromisse abgelehnt, selbst wenn sie deshalb verhungert wären”. 229 Die kindliche Bildwahrnehmung, zunächst der direkte Bezug zum ,,greifbaren” und visuell wahrnehmbaren Objektbezug mit der Welt, steht dem abstrakten politischen Interpretationsniveau des Systems aus Sicht der Erwachsen gegenüber. Während die Lehrerin die Doppelmoral der eigenen Regierung anklagt und zu mehr Ethos aufruft, kritisiert der Sprössling die gerade gelernte und dennoch entbehrende Stringenz der rassistischen Denkmodells, die fehlende “Logik” der Rassen-“politik”, ohne dabei seine eigene Positionierung im Geschehen wahrzunehmen. Obwohl der Dialog indirekt ein Scheitern der Kommunikation im aufklärerischen Klassenzimmers darstellt, kommen der Schüler und der Lehrer, beide, wenn auch auf unterschiedlichsten Ebenen, im Dialog zur übereinstimmenden Schlussfolgerung: der De-konstruktion und Ablehnung des rassistischen Denkens. Wie bisher deutlich geworden ist, gelingt es Tawadas Erzählung Bioskoop der Nacht mit Leichtigkeit mannigfaltige politische Diskurse sowie ästhetische Programme miteinander zu vereinen. Im nächsten Schritt soll dargelegt werden, welche Sonderfunktion die literarischen Erzählungen im Erinnerungsprozess der Weltgemeinschaft explizit einnehmen können. 229 Yoko Tawada: Überseezungen, S.68. 77 7 Der Raum der Erinnerung Geister sind ein wiederkehrendes Element in Yoko Tawadas Gesamtwerk. Für die Autorin haben diese Erscheinungen der Urahnen eine wichtige Funktion in der traditionellen wie modernen Literatur, so sind sie als Theaterfigur die Verkörperung von Erinnerung verstorbener Personen. 230, 231 : ,,Anscheinend kann eine Erinnerung über die Grenzen zwischen Menschen, Zeiten und Orten wandern. Sie ist kein Privatbesitz, der im Gehirn eines Individuums eingesperrt ist.” 232 Das Auftreten von Geistern hat hier eine ähnliche Bedeutung, wie die heutige Psychotherapie. Gerade die Emotionen der Vergangenheit finden mit den Geistern in der Kunst ihren Raum. Das Unaussprechliche, Schweigen über traumatische Vergangenheit kann auf diese Weise erzählbar werden. Literatur bietet so eine Möglichkeit das Leid für die Nachwelt erfahrbar zu machen. Auch für Aleida Assmann ist diese Funktion der Literatur und des Geschichtenerzählens deutlich. Sie benennt deshalb den Philologen als Komplizen des Archäologen in der Vergangenheitsbewältigung, denn: ,,beide heilen an Monumenten und Texten die Wunden, die die Zeit geschlagen hat”. Der Leser wird ,,zum Animator der Vergangenheit; seiner spirituellen Kraft, seinem mnemonischen Charisma verdanken die Toten ihr Leben.” 233 Eine der Schlüsselszenen aus Bioskoop der Nacht stellt eine Geistererscheinung dar: Die Sprachschüler lesen zunächst im Unterricht eine Legende, in dieser wird vom Mord an einem Mädchen berichtet. Erst 100 Jahre nach der geisterhaften Erscheinung können die Knochen gefunden und ihr Mord bewiesen werden. Der Verdächtige, ein Landbesitzer, hatte sich damals mit seiner politischen Macht und seinem Einfluss von der Schuldfrage befreien können. Dieses Geister-Mädchen, -,,ihr weißes Kleid war mit 230 Yoko Tawada: Theater der Toten, aus: Julia Genz, Mirjam Schneider/Sebastian Wogenstein (Hg.): An Grenzen. Literarische Erkundungen,Wehrhahn Verlag, S.113. 231 Die plötzliche Präsenz der Verstorbenen erklärt Tawada dabei dem Freudschen Wunderblock –Verständnis des Unterbeuwussten und der Überlagerung, Verdrängung von Erlebten, in: Yoko Tawada: Theater der Toten, aus: Julia Genz, Mirjam Schneider/Sebastian Wogenstein (Hg.): An Grenzen. Literarische Erkundungen, Wehrhahn Verlag, S. 110; vergleiche hierzu Freuds Theorie der Wahrnehmunmg im Erinnerungsdiskur: ,,Schock als Versagen des Bewußtsein”und Erdles Einordnung der Lesbarkeit von Spuren, die auf Tilgung von Lesbarkeit hinweisen: Birgit R.Erdle: Das Trauma im gegenwaertigen Diskurs der Erinnerung, aus: Gerhard Neumann/Siegried Weigel: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft in Lesbarkeit der Kultur. Literaturwissenschaften zwischen Kulturtechnik und Ethnographie, Wilhelm Fink Verlag, S.259-274, hier: S. 259;S.265ff. 232 Yoko Tawada: Theater der Toten, aus: Julia Genz, Mirjam Schneider/Sebastian Wogenstein (Hg.): An Grenzen. Literarische Erkundungen,Wehrhahn Verlag, S. 114. 233 Aleida Assmann: Erinnerungsraeume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedaechtnisses, C.H.Beck 1999, S.173. 78 Blut verschmiert.”234,- ist nicht das einzige benannte ,,Opfer” der Geschichte, aber das einzige ,,Opfer”, dass eine Gestalt annimmt und von nun an unkontrolliert in der Erzählung auftaucht: ,,Das ermordete Mädchen saß in unserem Klassenzimmer, es mischte sich ein, obwohl es nicht zur Klasse gehörte. Immer wenn das Mädchen den Mund aufmachte, sprachen wir alle falsch. Das Mädchen wollte uns von ihrer Geschichte erzählen, von der Begegnung mit ihrem Mörder. Wir waren verwirrt und bildeten hastig Sätze, die krumm, lückenhaft und durcheinander waren.” 235 Die freien Konversationsversuche der Schüler, das ,,fröhliche[s] Lernen” und die ,,anständige”, jedoch ,,meistens nichtssagende” Ordnung des Afrikaans, wird durch die Anwesenheit des Mädchens gestört. Ihre Anwesenheit äußerst sich in der ,,falschen Sprache” , das entstehende Chaos empfinden die Schüler allerdings als ,,befriedigend”. 236 ,,Vielleicht lag es daran, dass wir uns doch woanders befanden und von dort aus die Sätze interlinear übertrugen, wir übersetzten von der nie gesprochenen Sprache in eine nicht existierende, die nicht aufhört, von den Mordgeschichten zu erzählen.” 237 Hervorzuheben ist an dieser Stelle besonders der Plural der ,,Mordgeschichten”. Die Präsenz des Mädchens, ihrer literarische Transparenz im weißen Opfergewand steht allegorisch für all die nicht erzählten Bluttaten, Morde. Für alle die Opfer, die keine Gestalt, keine Form und Sprache annehmen können. Ihre Gestalt ist beinahe subjektlos und bietet dem Leser deshalb ein hohes Abstraktionsniveau. Die Situation im Klassenzimmer entwirft eine extrem emotional geprägte Konstellation. Da ist das Leid des Geistermädchens, dass selber von den ,,Geschichten erzählen” will über ihren Mord, teilnehmen will, aber zur Sprachlosigkeit verurteilt ist. die ,,verwirrten” Schüler, die geleitet von den 238 Andererseits ,,unsichtbaren Adern” der unausgesprochenen Sprache des Mordes wahrnehmen und beginnen ,,falsch” zu sprechen. 239 Und nicht zuletzt die wütend schreiende Lehrerin, die versucht die Sprachordnung wieder herzustellen. 234 Yoko Tawada: Überseezungen, Claudia Gehrke 2002, S.88. Yoko Tawada: Überseezungen, S.90. 236 Yoko Tawada: Überseezungen, S.90. 237 Yoko Tawada: Überseezungen, S.90. 238 Yoko Tawada: Überseezungen, S.90. 239 Yoko Tawada: Überseezungen, S.90. 235 79 Wie die Autorin Yoko Tawada beklagt, gibt es ,,Im Bewusstsein des modernen Subjektes [...] keinen Platz mehr für die Wiederkehr der Toten” . 240 Ihr Text, Literatur generell, wird deshalb zu einem Exil-Ort in dem die ,,noch nie gesprochene Sprache” der Vergangenheit und des Erinnerns Asyl findet. 241 Diese einmalige literarische Transparenz und Sichtbarkeit der weit zurückliegenden Geschehnisse ermöglichen es dem Leser sich mit dem Trauma der vergangenen Verbrechen auseinanderzusetzen. . 240 241 Yoko Tawada: Überseezungen, S.90. Yoko Tawada: Überseezungen, S.90. 80 8 Fazit und Ausblick Wie aufgezeigt worden ist, stellt die Erzählung Bioskoop der Nacht ein eigenständiges “kulturellen Spektakel” dar. Auf der Reise in das fremde Land Südafrika begibt sich die Protagonistin auf die Suche nach ihrem sprachlichen Ich. Die sich entwickelnde Geschichte entpuppt sich dabei schnell als ein Spiel mit der narrativen Identität (nach Ricœur) der Protagonistin: ihre Existenz, am Rande der Welt, ist geprägt von der beständigen Notwendigkeit der Übersetzung. Ist es jedoch die deutsche Sprache, ist es die japanische “Brille”, oder gar die südafrikanische Verortung, welche die Bilder, ihre Übersetzungen dominiert? Schlussendlich ist die Frage nicht eindeutig zu beantworten. Der Film der Nacht, ,,Das perspektivische Sehen weiß, dass es die Dinge nicht erreicht.” 242 Die Erzählung entzieht sich den traditionellen national-kulturellen Zuschreibungen und wird so zum Sinnbild für die globale Dynamik der Gesellschaften. Die Begegnung mit Südafrika steht in der Erzählung sinnbildlich für den fiktiven Ort der Literatur. Mit dem Wechsel vom Land zum Rand der Vorstellungen, im “Schwellenland” der Projektionen angekommen, sind die Gesetzte von Zeit und Orte scheinbar außer Kraft gesetzt, kann sich das universale Potential der Sprache entfalten. Bioskoop der Nacht ist geprägt von einer eigenständigen Literatursprache, die sich insbesondere durch das Sprach- und Formspiel literarischen Verfahren – und im Besonderen der filmische Darstellung- auszeichnet. Im Text entstehen durchgehend flüchtige Neu-Ordnungen, Brüche und Überblendungen, denen der Leser folgen muss. Auffällig ist, dass gerade dort, wo die ,,geschichtliche Realitäten” der südafrikanischen Apartheid problematisiert werden, das ästhetische Spiel des Bioskoop der Nacht einsetzt. An die Stelle des standardisierten Sprachdiktats des Regimes, rückt somit die Universalsprache der Kunst. Das Werk ist geprägt von einer hohen Eigenreferenzitalität. Politischen Zuschreibungen und Begrenzungen stellt sich die Textkultur als Ganzes entgegen. Die Forschungsfrage lautete: Ist das Schreiben von Tawada wirklich nur ein “Spiel” mit der Sprache oder birgt ihre Literatur politisches Potential und Gesellschaftskritik? 242 Monika Schmitz-Emans: Brechungen des Blicks im Wasser- oder: Ästhetische Darstellung als Ver-Fremdung aus: Seetiefen und Seelentiefen. Literarische Spiegelungen innerer und äußerer Fremde, Königshausen& Neumann 2003, S.342. 81 Wie mit den Untersuchungsergebnissen deutlich geworden ist, trennt Yoko Tawadas Bioskoop der Nacht nicht zwischen ästhetischer Kommunikation und politischem Denkdiskurs. Den rassistischen Normen der Apartheid werden literarische Kräfte entgegengesetzt. Objektive geschichtliche Anerkennungen werden mit historischem Bewusstsein ausgetauscht. Der Text jedoch verweist über seine eigene Existenz hinaus. Künstlich wird der Leser in den Zustand der “kindlichen Wahrnehmung” des Migranten versetzt. Die so ausgelöste Lektüre-Haltung ermöglicht es dem Leser in den Zustand von kultureller Offenheit und Neugier einzutreten. In der Erzählung entdeckt die Protagonistin so beispielhaft das Code-Switching als eigenständige Kommunikationsform sowie wird eine Geistererscheinung als kollektive Erinnerung erfahrbar. Die einzige anerkannte “Einheit” im Text ist der Erzählvorgang an sich. Das Erzählen jedoch ist keine statische, konformistische Norm. Wie in der Analyse der narrativen Identität des Bioskoop der Nacht aufgezeigt wurde, geht die Lektüre mit emotionalen, subjektivistischen Prozessen einher. Es geht darum sich immer wieder neu mit der Welt identifizieren zu können. Politische Begriffe wie “Einsprachigkeit “ und “Mehrsprachigkeit” sind auch deshalb schwer interlinear in die literarische Welt zu übersetzten, da dort, wo Kommunikation einsetzt, diese immer universal angelegt ist. Jede Förderung von Spracheinheiten mit dem Ziel von gelungener gesellschaftlicher Kommunikation ist in diesem Sinne auch ein Zwang, eine standardisierte (kulturelle) Sprache zu sprechen zu müssen: ,,The differences of language remain, as they have always been, a strength as well as a limitation. If we all came to speak a common language and shared a single culture, we would lose what has been a fundamental source of human innovation: the effort and the results of learning new languages and new customs. “ 243 Innerhalb der Kunstgeschichte hat die Relation von Kunst und Wirklichkeit eine lange kontroverse Tradition. Die angewandte Kulturwissenschaftlerin Anna-Lena Wenzel sieht dabei in der Gegenwart eine deutliche Grenzverschiebung der vormalig traditionellen Bipolarität, dem europäischen Denken über Ästhetik und Kunst, Politik und Kunst gegeben. 243 Partick Manning: Migration in World History (Peter N. Stearns: series Themes in World History), Routledge New York/London 2005, S. 181. 82 ,,Viele Arbeiten verweigern sich einer klaren Aussage und damit auch einer Verwendung für illustrative Zwecke. Es geht eher um die Vervielfältigung, das In-der-Schwebe-halten oder die Verweigerung von Bedeutung als um deren intentionale Bereitstellung. “ 244 Kunst, so die Autorin, bewege sich deshalb heute in einem neuartigen Grenzraum. Sie skizziert ein generelles Umdenken des Verständnisses von (politischen) Kunstpraxen. Eine Ausweitung des Politischen sei notwendig, um weg vom Visuellen und Sichtbaren, hin zur Möglichkeit der Wahrnehmung des Nicht-sichtbare und Uneindeutigen zu kommen: ,,Als politisch gelten nicht länger nur solche Praxen, die reale Veränderung im sozialen und politischen Bereich anstossen, sondern verschieden Aufteilungen des Sinnlichen miteinander konfrontieren und durch temporäre Interventionen in Spannung versetzten.” 245 In der Folge wird “politische” Kunst zu “politisierter” Kunst. Diese stellt sich nicht in den Dienst sozialer Veränderungen, dagegen gilt: ,,Schon die Auflösung von Konfrontationen und Irritationen setzt Prozesse in Gang und führt zu Bewusstseinsveränderungen- nicht primär und im Sinne einer Optimierung und Verbesserung, sondern im Sinne einer Anregung zu kritischem und unabhängigem Denken und Handeln..” 246 Auch für Geschichtswissenschaftler fordert inzwischen: Die Wahrnehmung und emotionale Anteilnahme an den historischen, globalen Umständen und ihren Dynamiken ist von größter Wichtigkeit. ,,Das wir das Exemplarische entdecken- und dann davon so spannend erzählen dass die Menschen merken: Dies geht uns an. “. 247 , denn ,,Einzelschicksale sind schlussendlich so wenig fassbar wie das kollektive Gedächtnis eines Jahrhunderts. “ 248 Literarische Modelle wie die AutoBioFikton, Exophonie oder narrative Identität vermitteln das Wissen der notwendigen geistigen Dialektik. Mit der Lektüre, der Welterfahrung begegnet das Innen dem Außen, das 244 Anna-Lena Wenzel: Grenzüberschreitungen in der Ggenwartskunst. Ästhetische und philosophische Positionen, transcript Bielefed 2011, S. 271. 245 Anna-Lena Wenzel: Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst. Ästhetische und philosophische Positionen, transcript Bielefed 2011, S. 273. 246 Anna-Lena Wenzel: Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst. Ästhetische und philosophische Positionen, transcript Bielefed 2011, S. 273. 247 Christian Graf von Krockow: Die Zukunft der Geschichte. Ein Vermächnis, Ullstein Heyne List 2002, S. 152ff. 248 Aleida Assmann: Erinnerungsraeume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedaechtnisses, C.H.Beck 1999. 83 Eigenen dem Fremden und der Leser dem Text. Die Kommunikationserfahrungen, die Literatur vermittelt sind unendlich. Es ist wohl kein Zufall, dass der Einband der Überseezungen mit einem Frauenkörper geschmückt ist. Ihre Gestalt wartet, die Hand zum Ohr geformt, auf das Echo des nächsten Lesers. Es lohnt sich. Bild 8 84 9 Bibliographie Quellennachweise der Fachliteratur: Primärliteratur: • Tawada, Yoko.Bioskoop der Nacht, in; Überseezungen, Claudia Gehrke Verlag Tübingen (2002) 2006. • Tawada, Yoko. ,,Eigentlich darf man es niemandem sagen, aber Europa gibt es nicht” in :Yoko Tawada: Talsiman, KonkursbuchverlagClaudia Gehrke 7.Auflage 2011. Sekundärliteratur – Einzelnachweise: • Adelson, Leslie A. Against Between- Ein Manifest gegen das Dazwischen, in: Literatur und Migration, Sonderausgabe Text+Kritik, Richard Booberg Verlag München 2006, S. 36-46. • Albrecht, Terry. Erzählerische und sprachliche Nähe, Bilder interkultureller Erfahrungen in den Texten von Terézia Mora und Yoko Tawada, in: Eke, Norbert/Helfer, Martha B./Knapp, Gerhard P./Labroisse, Gerd (Hg.): Von nationaler zur internationalen Literatur. 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Bild 3: Anonym: Titel: Nosce te ipsum/- Die Welt unter der Narrenkappe,:Hic est mundi punctus et materia gloriae mostrae- Der Blick auf die Landschaft als Kompliment kartograpahischer Eroberung. (ca. 1590), Nürnberg, 89 Germanisches Museum. Gefunden in: Henry Keazor: »Charting the autobiographical, selfregarding subject«? Theodor de Brys Selbstbildnis aus: Berichten, Erzählen, Beherrschen : Wahrnehmung und Repräsentation in der frühen Kolonialgeschichte Europas, Zeitsprünge Bd. 7 (2003), H. 2/3 1431-7451, S. 425. Digitaler Bildnachweis: Tanja Michalsky: „Geographie - das Auge der Geschichte. Historische Reflexionen über die Macht der Karten im 16. Jahrhundert.“ In Die Macht der Karten oder: was man mit Karten machen kann, hg. v. Freundeskreis der Prof. Dr. Frithjof Voss Stiftung und Georg-Eckert-Institut. Eckert.Dossiers 2 (2009). http://www.edumeres.net/urn/urn:nbn:de:0220-2009-0002-091 und http://www.edumeres.net/publikationen/details/d/die-macht-der-karten-oder-was-man-mit-karten-machenkann/p/geographie-das-auge-der-geschichte-historische-reflexionen-ueber-die-macht-der-karten-im-16jahr.html, Stand: 10.Oktober 2011. Bild 4: Unica Zuern, Ohne Titel, 1965, Zeichnung in ost-indischer Tinte, 49,8x64,2cm in: Unica Zuern, Bilder 1953-1970 (Berlin, 1998), ill. Cxxxvi. Copyright: Verlag Brinkmann&Bose Berlin. Bild 5: Nachbildung, Schokoladenmuseum Köln, Quelle; anonym. Bild 6: Sabine Scholl. mitsprache unterwegs.de, vom 22.12.2009 22.12. Puerto de Santiago/Keisd (Saschiz) | Kirchen Ghettos Paranoia, in: in|ad|ae|qu|at. Gefunden unter: http://www.zintzen.org/2010/01/04/sabinescholl-22-12-puerto-de-santiagokeisd-saschiz-kirchen-ghettos-paranoia. Stand 29.6.2012. Bild 7: http://www.kapstadt.org/kapstadtreiseangebote/suedafrika-jugendreisen/suedafrika-san-geschichte. 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