Kaum ein Moment für YouTube

Transcrição

Kaum ein Moment für YouTube
Dossier
Kritik
Politik
Literatur
16. Oktober 2008
Kaum ein Moment für YouTube
Doch Obama scheint McCain auszustechen
Gerti Schön
Die dritte TV-Debatte zwischen den US-amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama und John McCain ging kämpferisch, jedoch ohne grosse Höhepunkte über
die Bühne. Würde die Wahl im Fernsehen entschieden, wäre das Resultat aber klar.
Armer John McCain. So viele Jahre lang galt er als Exzentriker unter den Republikanern, der sich nicht scheute, den Mächtigen zu trotzen, und sich von niemandem den
Mund verbieten liess. Doch McCain scheint das Opfer seiner eigenen Wahlkampfstrategie geworden zu sein: Statt sich als erfahrener und weiser Staatsmann zu porträtieren,
zeigt er mit dem Finger auf seinen Opponenten Barack Obama und dessen angebliche
Kungeleien mit Gesetzesbrechern. Statt seinen persönlichen Sinn für Ironie für sich
sprechen zu lassen, scheint er sich brav den Ratschlägen seines Beraterteams zu beugen, das vorgibt, negative Attacken zu fahren, um Obama schlecht aussehen zu lassen.
Das hat vor vier Jahren mit George Bush gegen John Kerry geklappt, und so sollten
Halbwahrheiten und Gerüchte auch dieses Mal wieder für einen kräftigen Meinungsumschwung sorgen. Doch statt souverän und gewitzt wie in früheren Jahren tritt McCain
jetzt verbissen und säuerlich auf, als einer, dem das grosse „Loser“-L schon heute auf
der Stirn geschrieben steht, ein Schatten seiner selbst. Und Amerika mag nun mal keine schlechten Verlierer.
„Wind of Change“
So kann man die Dynamik der drei letzten Präsidentschaftsdebatten zusammenfassen,
und so stellt sich die derzeitige Dynamik zwischen den Kontrahenten auch den Wählern
dar: Obama wirkt präsidial. McCain wirkt eifersüchtig. Obama will über die Probleme
des Landes sprechen. McCain will über Obama sprechen. Obama lässt sich von den Angriffen gegen ihn nicht aus dem Konzept bringen. McCain wirkt dadurch nur noch pikierter. „McCain zeigte eine deutlichere, krassere Version seines Wahlkampfs in einem
Impressum
Medienheft (vormals ZOOM K&M), ISSN 1424-4594
Herausgeber: Katholischer Mediendienst, Charles Martig; Reformierte Medien, Urs Meier
Redaktion: Judith Arnold, Adresse: Medienheft, Badenerstrasse 69, Postfach, CH-8026 Zürich
Telefon: +41 44 299 33 11, Fax: +41 44 299 33 91, E-Mail: [email protected], Internet: www.medienheft.ch
kostenloser Bezug via Internet oder Mailingliste: www.medienheft.ch/mailing_abo
Dossier
Kritik
Politik
Literatur
gewohnten Licht: ein nervöser, mitunter ärgerlicher Auftritt, der in vielerlei Hinsicht wie
eine Metapher für seine unkonzentrierte, unglaublich improvisierte Kampagne stand“,
schrieb das Politikmagazin Politico.com.
Verräterisches Stimmungsbarometer
Debatten werden in den Vereinigten Staaten durch angemessenes Benehmen auf der
Bühne gewonnen. Das wurde durch nichts so deutlich demonstriert wie das elektronische Stimmungsbarometer, das bei CNN während der gesamten Diskussion am unteren Rand des Bildschirms zu sehen war. Es zeigte in einem unablässigen Auf und Ab
zweier Kurven (grün für Männer, rot für Frauen), wie eine Gruppe unentschlossener
Wähler auf die beiden Kandidaten reagierte: ihre Statements, ihr Auftreten, ihre Emotionen. Die Kurven zeigten zum Beispiel regelmässig, dass die Zuschauer es nicht mögen, wenn die Kandidaten streiten oder unangemessene Seitenhiebe austeilen. Sie
missbilligen es, wenn die vorgegebenen Diskussionsregeln gebrochen werden, und bevorzugen Fakten statt persönliche Anekdoten. Doch es hängt davon ab, wie diese persönlichen Elemente eingeflochten werden: Handelt es sich um eine authentische Gefühlsregung, wie es etwa dem demokratischen Vizepräsidentschaftskandidaten Joe Biden passierte, als er bei der Erwähnung seines in den Irak abkommandierten Sohnes
eine Träne unterdrückte, schiessen die Sympathiebekundungen nur so nach oben.
John McCain, „the Plumber“
Weniger zwingend kam jedoch die ständige Erwähnung des mysteriösen „Joe der
Klempner“ an, einem Besucher einer Obama-Veranstaltung in Ohio, dessen Name insgesamt 26-mal fiel, und der in einem Interview am Tag danach gar nicht recht wusste,
wie ihm geschehen war. Joe wurde von McCain als Argument dafür hergenommen,
dass Obamas Pläne in punkto Steuern und Krankenversicherung für Kleinunternehmer
untragbar seien. McCain ignorierte Obamas Erklärungen, dass Kleinbetriebe wie der
von „Joe the Plumber“ keine Steuererhöhungen zu erwarten hätten, so konsequent,
dass selbst Obama eine subtile Ärgerfalte übers Gesicht lief. Ob Joe durch die ständigen Appelle an ihn seine Meinung ändern wird, ist unklar, denn der ist bislang nach eigenen Angaben nicht einmal als Wähler registriert.
YouTube ging leer aus
Obwohl McCain sich alle Mühe gab, Obama in die Ecke zu drängen und ihn zu verunsichern, kam es auch in dieser Debatte zu herzlich wenigen so genannten „YouTube
moments“, Szenen also, die so spontan und unterhaltsam wirkten, dass sie umgehend
als Mini-Clip auf YouTube auftauchten. Obama liess sich nicht aus der Ruhe bringen und
sprach McCains Vorwürfe, die die Republikaner als Trümpfe im Ärmel zu halten glaubten, von selbst an: seine angeblichen Kontakte zu dem einstigen BürgerrechtsRadikalen Bill Ayers und der Wählerrekrutierungsorganisation Acorn. Weder Ayers
noch Acorn seien in seinem Wahlkampf involviert, gab Obama kühl zu Protokoll und
nahm McCain jeden weiteren Wind aus den Segeln, indem er aufzählte, wer seine wirklichen Berater sind: nämliche erfahrene Politikprofis aus beiden politischen Lagern.
Medienheft – 16. Oktober 2008
2
Dossier
Kritik
Politik
Literatur
Patriotismus als Pflicht
Negative Attacken auf den Gegner sind in den USA ein beliebtes Mittel, um Zweifel zu
säen und die Stimmung im Land zum Umkippen zu bringen. Doch Experten glauben,
dass Gespenstergeschichten von Alt-68ern im Licht der gegenwärtigen Krise kaum jemandem grosse Angst einjagen. Weitaus wirksamer wären Anspielungen auf Obamas
Verhältnis zu seinem früheren Pastor, Jeremiah Wright, der als unpatriotisch und antiamerikanisch gilt – ein Attribut, das zumindest gegen John Kerry Wunder wirkte und ein
Grund dafür war, dass die Wahlen im Jahr 2004 zugunsten von George Bush entschieden wurden.
Knockout-Argument als Kür
Die einzige Runde, die McCain gewann und die sicherlich in die Annalen der republikanischen Partei eingehen wird, kam gleich zu Anfang der Debatte, als er auf Obamas
Vergleiche zu George Bush mit dem Statement reagierte: „Senator Obama, ich bin nicht
Präsident Bush. Wenn Sie gegen Präsident Bush antreten wollen, hätten Sie vor vier
Jahren ins Rennen einsteigen sollen“. Der Seitenhieb erinnerte an eine berühmte Szene
während der Debatte zwischen den beiden Vize-Kandidaten Dan Quayle und Lloyd Bentsen im Jahr 1988. Quayle hatte darauf hingewiesen, dass er über genauso viel Erfahrung verfügte wie John F. Kennedy, als der für das Präsidentschaftsamt kandidierte.
Bentsen konterte mit einem schneidenden Kommentar: „Senator, ich habe mit Jack
Kennedy zusammengearbeitet. Ich kannte Jack Kennedy. Er war mein Freund. Senator,
Sie sind kein Jack Kennedy“.
Frauenfalle verfängt nicht
McCain hätte Obama mit einem ähnlichen Seitenhieb so verunsichern können, dass jeder weitere Hieb zum K.O. hätte führen können. Doch Obama machte keinen solchen
Fehler, und die verbalen Rempeleien schienen an seiner Souveränität nur so abzuperlen – eine Stärke, die ein wichtiger Grund für seinen derzeitigen Vorsprung in den Meinungsumfragen sein dürfte. Nicht einmal die Frage nach Sarah Palin, die in den letzten
Wochen dafür benutzt wurde, um Stimmung gegen Obama zu machen, nutzte der Kandidat der Demokraten, um schmutzige Wäsche zu waschen. Er blieb bei seinem ausgeglichen-analytischen Ton und hatte nichts als Komplimente für den selbsternannten
„Pitbull mit Lippenstift“ übrig.
Was wäre wenn…
Umfragen sind in den USA ein wichtiger Bestandteil der Analyse und beeinflussen damit
wiederum das Wahlverhalten der Unentschlossenen. CNN etwa führte im Anschluss an
die Debatte einige spontane Umfragen zu den Stärken der beiden Kandidaten durch, die
Obama alle klar gewann. Es folgten die üblichen Zahlenspiele, was wäre wenn wer welchen Bundesstaat gewinnen würde, und auch da sah McCain so unvermeidlich alt aus,
dass sich eine Art verfrühte Untergangsstimmung für die Republikaner breit machte.
Selbst Brit Hume, ein Kommentator auf dem verlässlich konservativen Fox News Kanal,
sieht kaum noch eine Chance für McCain.
Medienheft – 16. Oktober 2008
3
Dossier
Kritik
Politik
Literatur
Ironie der Geschichte
Michael Beschloss, ein Historiker, der sich ganz der präsidialen Geschichte der USA
widmet, verglich Obama mit Präsidenten wie Bill Clinton und John F. Kennedy, die als
relativ unbeschriebenes Blatt in den Wahlkampf gingen, in den Debatten jedoch so gefasst und selbstsicher herüberkamen und ihre Opponenten George Bush Senior und Richard Nixon damit so nervös machten, dass sie diese am Ende ausstechen konnten.
Bush der Ältere verlor jede Menge Punkte, weil er während der Diskussion mehrmals
auf die Uhr sah, und Kennedy hatte in der ersten Fernsehdebatte der Nation einen ungeahnten Vorteil, weil Nixon sich geweigert hatte, Make-up aufzutragen und verschwitzt
und übernächtigt wirkte.
Wie sehr man diese Debatten und ihre „Gewinner“ und „Verlierer“ beim Wort nehmen
sollte, ist aber fraglich. War es doch George Bush der Jüngere, der im Schlagabtausch
mit Al Gore im Jahr 2000 sagte: „Wenn wir nicht aufhören, unser Militär in der ganzen
Welt herumzuschicken, um andere Nationen aufzubauen, werden wir ein ernsthaftes
Problem haben, und das werde ich verhindern“. Dieses Statement wirkt heute bestenfalls wie eine Ironie der Geschichte.
Gerti Schön lebt und arbeitet in New York.
Quellen:
Debatte Lloyd Bentsen und Dan Quayle:
http://www.youtube.com/watch?v=O-7gpgXNWYI
Politikmagazin Politico.com:
http://www.Politico.com/
Bisher zum US-amerikanischen Wahlkampf erschienen sind:
Schön, Gerti (2008): Sündenböcke, Satiriker und Statisten. Die wechselhafte Rolle der Medien im
US-Wahlkampf. In: Medienheft, 08. September 2008:
http://www.medienheft.ch/politik/bibliothek/p08_SchoenGerti_03.html
Schön, Gerti (2008): Quoten statt Voten. Trivialisierung des US-Wahlkampfs. In: Medienheft, 28.
April 2008:http://www.medienheft.ch/politik/bibliothek/p08_SchoenGerti_02.html
Schön, Gerti (2008): Chronische Sinnlosigkeit. Vorwahlen in den US-Medien. In: Medienheft,
04.Februar 2008: http://www.medienheft.ch/politik/bibliothek/p08_SchoenGerti.html
Schön, Gerti (2004): Kulturkampf in Amerika. US-Wahl polarisiert. In: Medienheft, 04. November
2004: http://www.medienheft.ch/politik/bibliothek/p23_SchoenGerti.html
Schön, Gerti (2004): Wahlentscheidende Medienkommentare. Bush und Kerry im TV-Duell. In:
Medienheft, 02. Oktober 2004: http://www.medienheft.ch/politik/bibliothek/p22_SchoenGerti.html
Der Text befindet sich im Internet unter:
http://www.medienheft.ch/politik/bibliothek/p08_SchoenGerti_04.pdf
Medienheft – 16. Oktober 2008
4

Documentos relacionados