Jesus und die Ehebrecher - Jesus

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Jesus und die Ehebrecher - Jesus
Predigt Rüsselsheim, 8. Juli 2007
Jesus und die Ehebrecher
Joh. 8, 2 - 11
Joh. 8, 2 – 11
2 Am frühen morgen kam Er dann wieder zum Tempel, und alles Volk kam zu Ihm; und Er
setzte sich und lehrte sie. 3 Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, die
beim Ehebruch ertappt worden war, und sie stellten sie in die Mitte 4 und sagten zu Ihm:
„Lehrer, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt worden; 5 im Gesetz nun hat
uns Mose geboten, solche zu steinigen – was sagst jetzt du?“ 6 Dies sagten sie aber, indem
sie Ihn versuchten, damit sie etwas hatten, um Ihn anzuklagen. Jesus aber bückte sich und
schrieb mit dem Finger auf die Erde. 7 Als sie nun weiter in Ihn drangen, richtete Er sich auf
und sagte zu ihnen: „Wer von Euch sündlos ist, soll als erster einen Stein auf sie werfen.“ 8
Und wieder bückte Er sich und schrieb auf die Erde. 9 Da verschwanden die Zuhörer einer
nach dem anderen, angefangen von den Ältesten, und Er wurde allein gelassen mit der Frau,
die in der Mitte stand. 10 Da richtete Jesus sich auf und sagte: „Frau, wo sind sie? Hat dich
niemand verurteilt?“ 11 Sie sagte: „Niemand, Herr.“ Da sagte Jesus: „Auch Ich verurteile dich
nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“
Liebe Gäste,
liebe Gemeindeglieder,
der Predigttext, den wir gerade gehört haben, steht in meinem griechischen Neuen Testament nur als Anhang zum Johannesevangelium, weil die ältesten und angesehensten Handschriften ihn nicht enthalten.
Ihr wißt ja, daß die Bibel von ihrer Entstehung bis zur Erfindung der Buchdruckerkunst nur mit der Hand
abgeschrieben werden konnte und daß sich dadurch trotz höchster Anstrengungen der Abschreiber viele
Abweichungen im Text der uns überlieferten Manuskripte eingeschlichen haben. Die meisten davon sind
allerdings nur minimal und wirken sich nicht oder kaum auf den Sinn aus.
Joh. 8, 1 – 11 ist eine krasse Ausnahme zu dieser Regel. Und weil, wie gesagt, die ältesten und angesehensten Handschriften ihn nicht enthalten, glauben die meisten Theologen, daß dieser Abschnitt später in
den Text eingefügt worden ist. Ich teile diese Ansicht nicht. Warum sollte das jemand getan haben, und
warum sollte das den Kopierern, die diese Einfügung dann mit abgeschrieben haben, nicht aufgefallen
sein? Und warum sollte jemand ausgerechnet einen so außergewöhnlichen Bericht in den Bibeltext
geschmuggelt haben?
Dazu kommt, daß die lateinische Bibelübersetzung aus dem vierten Jahrhundert ihn enthält und alte
Schriften von Theologen aus dieser Zeit daraus als Bibeltext zitieren. Das wäre ein merkwürdiger Zufall,
wenn mehrere Quellen diesen Text unabhängig voneinander und weitgehend übereinstimmend an der
gleichen Stelle in den Bibeltext eingefügt hätten! Nein, ich vermute, daß es noch ältere Manuskripte gibt
als die besten uns erhaltenen, in denen dieser Abschnitt gestanden hat, und daß gewisse Abschreiber
daran Anstoß genommen und ihn deshalb weggelassen haben.
Für mich ist also klar, daß dieser Text zum Wort Gottes gehört – sonst würde ich nicht darüber predigen.
Um diesen Bericht in einem Satz zusammenzufassen, kann man Folgendes sagen:
Unser Herr verurteilt selbstgerechte Ankläger und spricht bußfertige Schuldige frei.
1) Die Fangfrage
(V. 2 - 6a)
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Predigt Rüsselsheim, 8. Juli 2007
Die Schriftgelehrten und Pharisäer haben sich einen schlauen Trick ausgedacht, um den Herrn Jesus aufs
Glatteis zu locken. Sie weisen zur Recht darauf hin, daß das Gesetz des Alten Testaments fordert, daß
Ehebrecher getötet werden (allerdings ist von einer Steinigung nicht die Rede). Sie verschweigen, daß das
für beide galt, nicht nur für die Frau - hatten sie den Mann laufen lassen? Ich habe leider keinen Kommentar gefunden, der auf diese Frage eingeht. Wenn sie ihn wirklich hatten laufen lassen, offenbarte
schon das allein ihre Scheinheiligkeit.
Jedenfalls dachten sie, daß sie Jesus jetzt an der Angel hatten, als sie sagten:
„Lehrer, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt worden; 5 im Gesetz nun hat
uns Mose geboten, solche zu steinigen – was sagst jetzt du?“
Sie machten Ihn zum Richter über diese Frau und sich selbst zu ihren Anklägern. Sie waren sich sicher:
Egal, welches Urteil Er fällte – sie konnten Ihm einen Strick daraus drehen. Wenn Er den Tod der Frau
forderte, konnten sie Ihn an die römischen Machthaber ausliefern, denn die Juden durften Todesurteile
weder fällen noch vollstrecken. Wenn Er sie dagegen freisprach, konnten sie Ihn als Gesetzesbrecher
brandmarken und so seine gesetzestreuen Anhänger gegen Ihn aufbringen.
Der Herr Jesus hatte jetzt anscheinend nur diese beiden Möglichkeiten, und beide würden Ihm schaden.
Das war scheinbar ein Schachmatt: Einer der beiden Spieler ist dann in der unerfreulichen Situation, daß
er machen kann, was er will – er verliert seinen König auf jeden Fall und hat deshalb verloren. Die
Schriftgelehrten und Pharisäer rieben sich innerlich schon schadenfroh die Hände, denn sie konnten jetzt
endlich diesem Volksverführer das Handwerk legen. Aber sie freuten sich zu früh, denn sie unterschätzten
Jesus total.
In dieser Situation steckt eine unheimliche Spannung. Wir empfinden das vielleicht nicht so, weil wir ja
wissen, daß der Herr Jesus Seinen Gegnern nicht in die Falle gegangen ist. Aber Seine Widersacher
wußten das jetzt ja noch nicht. Sie waren auf Seine Antwort gespannt wie ein Flitzbogen. Sie fühlten sich
wie ein Angler, der merkt, daß der Schwimmer auf der Wasseroberfläche hüpft, weil ein großer Fisch am
Köder zupft und ihn hoffentlich gleich schlucken wird. Versuchen wir doch einmal, uns in ihre Lage zu
versetzen!
2) Die Reaktion Jesu
(V. 6b - 8)
a) Das Schreiben im Sand (V. 6b. 8b)
Jesus aber bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.
Das erhöhte die Spannung noch und spannte die Schriftgelehrten und Pharisäer auf die Folter: Was
würde Jesus antworten?
Uns bewegt heute eine ganz andere Frage: Was hat Er da geschrieben? Ich habe ich schon oft darüber
nachgedacht. Warum verrät uns dieser Bericht das nicht? Entweder ist es unwichtig oder so offensichtlich, daß es nicht gesagt werden muß.
Ein Ausleger weist darauf hin, daß das hier verwendete griechische Wort für “schreiben” auch
“zeichnen”, “Figuren malen” bedeuten kann. Es diente also nur dazu, sich die Zeit zu vertreiben und Seinen Gegnern wortlos zu signalisieren, daß Er mitnichten vorhatte, ihre Frage zu beantworten. Das ist
durchaus möglich.
Das Wort hat aber auch die Bedeutung “eine Anklage niederschreiben”. Deshalb hat Er laut zwei
Manuskripten des griechischen Textes (allerdings aus ziemlich später Zeit)1 die Sünden jedes einzelnen der
Schriftgelehrten und Pharisäer aufgeschrieben (wie peinlich!). Das kann ebenfalls sein.
Ein anderer Ausleger vermutet, daß der Herr Jesus das zehnte Gebot in den Boden geritzt hat:
1
9. bzw. 11. Jh.
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Predigt Rüsselsheim, 8. Juli 2007
2. Ms. 20, 17
Du sollst nicht begehren die Frau deines Nächsten
Auf jeden Fall wendet sich das Blatt schon hier. Die frommen Juden meinten, selbst die Agierenden zu
sein und unseren Herrn zum Reagieren nach ihrem Geschmack zwingen zu können. Aber der dreht den
Spieß einfach um: Nicht Er zappelt im Netz der Schriftgelehrten und Pharisäer, sondern sie selbst zappeln
(zumindest innerlich) vor Ungeduld. Sie sind nicht mehr die Agierenden, sondern sie können nur noch reagieren – und nicht einmal das, solange Jesus ihnen die Antwort verweigert!
b) Die Antwort (V. 7)
7 Als sie nun weiter in Ihn drangen, richtete Er sich auf und sagte zu ihnen: „Wer von Euch
sündlos ist, soll als erster einen Stein auf sie werfen.“
Ich vermute, sie mußten ihre Frage noch mehrmals wiederholen, bevor sie eine Antwort bekamen. Und
was Er dann sagte, das schmeckte ihnen ganz und gar nicht. Er anwortete weder: “Steinigt sie” noch:
“Laßt sie laufen”. Sie hatten wahrscheinlich eher Letzteres erwartet, denn sie nannten Ihn ja vorwurfsvoll
einen “Freund der Zöllner und Sünder”.2
Nein, Er forderte den Tod der Frau. Im Grundtext steht hier eine Befehlsform (Imperativ der 3. Person –
diese Form gibt es im Deutschen nicht). Er stellt allerdings eine Bedingung: Nur der durfte einen Stein auf
sie werfen, der selbst ohne Sünde, also sündlos war.
Wenn Er vorher gerade die Sünden jedes einzelnen Mannes auf die Erde geschrieben hatte oder das
zehnte Gebot, dann war ihnen allen sonnenklar, daß sie alle Dreck am Stecken hatten. Das wurde ihnen
jetzt aber ohnehin deutlich. Gerade, weil sie das Gesetz so genau kannten, wußten sie: Sie konnten nicht
einen einzigen Tag hinter sich bringen, ohne vielfach Gottes Gebote zu übertreten.
Sicherlich erinnerten sie sich jetzt auch an das, was der Herr Jesus in der Bergpredigt über Ehebruch
gesagt hatte:
Mt. 5, 27 - 28
27 Ihr habt gehört, daß gesagt ist: Du sollst nicht ehebrechen. 28 Ich aber sage euch, daß
jeder, der eine Frau ansieht, sie zu begehren, schon Ehebruch mit ihr begangen hat in seinem
Herzen.
Vielleicht habt Ihr Euch über die Überschrift über dieser Predigt gewundert: “Jesus und die Ehebrecher”.
Fehlt da nicht etwas? Müßte es nicht heißen: “Jesus und die EhebrecherIN”? Nein, das ist kein Irrtum,
sondern absichtlich so formuliert. Denn diese Frau war nicht die einzige Ehebrecherin. Nach der Definition
des Herrn Jesus waren auch ihre Ankläger Ehebrecher.
„Wer von Euch sündlos ist, soll als erster einen Stein auf sie werfen.“
Damit dreht unser Herr erst recht den Spieß um: Er macht die Ankläger zu Angeklagten. Er führt den
frommen Männern vor Augen, daß sie keinen Deut besser als sind die Ehebrecherin. Und Er entlarvt ihre
Selbstgerechtigkeit.
Das erinnert an ein weiteres Wort aus der Bergpredigt:
Mt. 7. 1 - 5
1 Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! 2 Denn mit welchem Gericht ihr richtet,
werdet ihr gerichtet werden, und mit welchem Maß ihr meßt, wird euch zugemessen werden. 3 Was aber siehst du den Splitter, der in deines Bruders Auge ist, den Balken aber in
deinem Auge nimmst du nicht wahr? 4 Oder wie wirst du zu deinem Bruder sagen: Erlaube,
2
Mt. 11, 19/ Lk. 7, 34
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Predigt Rüsselsheim, 8. Juli 2007
ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen; und siehe, der Balken ist in deinem Auge?
5 Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge! Und dann wirst du klar sehen, um den
Splitter aus deines Bruders Auge zu ziehen.
Wer mit dem Zeigefinger auf andere Menschen zeigt, zeigt bekanntlich mit den drei anderen Fingern auf
sich selbst. Und wer am lautesten “Haltet den Dieb!” schreit, ist oft selber der Dieb.
Bedeutet das, wir sollen uns überhaupt kein Urteil über andere Menschen machen? Sollen wir alles gutheißen, was andere Menschen tun und sagen? Die Bibel selbst gibt uns Kriterien an die Hand, mit denen
wir Menschen beurteilen sollen: Wahre Propheten erkennt man daran, daß das, was sie ankündigen, eintrifft.3 Man erkennt sie an ihren Früchten, daß sie nämlich dem Wort Gottes gehorsam sind.4 Wir sollen
angebliche Diener Gottes, die uns ein anderes Evangelium bringen wollen als das biblische, ablehnen.5
Von Menschen, die z.B. in der Gemeinde Zwietracht säen, sollen wir uns abwenden.6 Überhaupt: Wenn
wir sehen, daß sich jemand vom Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes entfernt, sollen wir versuchen,
ihm zurechtzuhelfen; und wenn er nicht auf uns hört, sollen wir uns von ihm trennen.7
Das erfordert sehr wohl die Fähigkeit und Bereitschaft, sich über andere Menschen ein Urteil zu machen.
Aber es ist ganz und gar nicht dasselbe wie jemanden zu verurteilen und sich zum Richter über jemand
zu machen. Denn damit maßen wir uns eine Autorität an, die uns nicht zusteht. Und damit verurteilen
wir auch uns selbst, weil wir ja zumindest in Gottes Augen nicht besser sind als der, den wir verurteilen.
Paulus warnt uns:
Gal. 6, 1
Brüder, wenn auch ein Mensch von einem Fehltritt übereilt wird, so bringt ihr, die Geistlichen, einen solchen im Geist der Sanftmut wieder zurecht. Und dabei gib auf dich selbst
acht, dass nicht auch du versucht wirst!
Wichtig ist, daß das in Sanftmut geschieht (nicht von oben herab) und im Bewußtsein der eigenen Versuchbarkeit und Sündhaftigkeit. Wenn ich jemand negativ beurteile (was manchmal unvermeidbar ist),
muß ich mir der Tatsache bewußt sein, daß es auch an mir Dinge gibt, die keineswegs gelobt werden
können!
Wenn wir hören: Ein Gläubiger geht bewußt falsche Wege, fern von Gott, dann sollten wir auf keinen Fall
denken oder sagen: “Wie kann man nur!” Sondern wir sollten Gott darum bitten, uns davor zu bewahren, daß uns Ähnliches passiert. Wir sollten nie vergessen Es gibt keine Sünde, zu ich nicht fähig wäre
und die mir nicht auch tatsächlich unterlaufen könnte. Paulus warnt uns auch davor:
1. Kor. 10, 12 (meine Üb.)
Darum, wer zu stehen meint, soll aufpassen, daß er nicht fällt.
Auch hier haben wir wieder einen Imperativ: Dies ist keine unverbindliche Empfehlung, sondern ein Befehl. Und es ist in unserem eigenen Interesse, uns daran zu halten!
Jemand beobachtete vor Jahren an einem kalten Wintertag, wie ein totes Schaf den Niagara-Fluß hinabtrieb. Ein Adler hatte das auch bemerkt und ließ sich auf dem Kadaver nieder, um davon zu fressen,
während er sich dem gewaltigen Wasserfall näherte. Die durchnäßte Wolle des Schafes, die die Krallen
des Vogels umgab, begann zu gefrieren. Der Adler fraß aber seelenruhig weiter. Er wußte um den gefährlichen Wasserfall, aber er verließ sich auf die Kraft seiner mächtigen Schwingen. Erst kurz vor dem Absturz des Schafes breitete er seine Flügel aus, um mühelos abzuheben. Aber da war es schon zu spät.
Seine Füße waren festgefroren. So sehr er auch flatterte, es nützte ihm nichts, und so fiel er mit dem
Schaf in den Tod, weil er die Gefahr unterschätzt hatte. So sind auch wir, wenn wir meinen, daß die
Sünde uns nichts anhaben kann.8
3
4
5
6
7
8
5. Ms. 18, 20
Mt. 7, 15 - 23
Gal. 2, 6 - 10
Röm. 16, 17 - 18
Mt. 18, -15 - 18
Verfasser und Quelle unbekannt
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Predigt Rüsselsheim, 8. Juli 2007
Schon Salomo wußte:
Spr. 16, 18
Vor dem Verderben kommt Stolz und Hochmut vor dem Fall.
„Wer von Euch sündlos ist, soll als erster einen Stein auf sie werfen.“
Neuzeitlich ausgedrückt:
Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.
Unser Herr verurteilt selbstgerechte Ankläger und spricht bußfertige Schuldige frei.
3) Das Verschwinden der Ankläger
(V. 9)
9 Da verschwanden die Zuhörer einer nach dem anderen, angefangen von den Ältesten, und
Er wurde allein gelassen mit der Frau, die in der Mitte stand.
Einige Manuskripte fügen hinter “angefangen von den Ältesten” noch ein: “vom Gewissen überführt”.
Aber das ist gar nicht nötig. Es ist schier mit Händen zu greifen. Die Köpfe dieser frommen Männer haben
mit Sicherheit eine tiefrote Farbe angenommen.
Ich kann mich gut in sie hineinversetzen: Sie hatten sich schlimm blamiert. Der Herr Jesus hatte sie ganz
furchtbar bloßgestellt. Sie, die sie die Ehebrecherin an den Pranger gestellt hatten, befanden sich jetzt
dort selbst. Das muß schrecklich peinlich gewesen sein. Ich an ihrer Stelle hätte mir gewünscht, eine
Maus zu sein und in einem Loch zu verschwinden.
Der Herr Jesus hatte nicht nur sehr effektiv den gefährlichen und raffinierten Angriff der Schriftgelehrten
und Pharisäer abgewehrt, sondern Er hatte sie sogar in die Flucht geschlagen. Die Widersacher Jesu waren sehr schlau, aber die göttliche Weisheit unseres Herrn war ihnen natürlich haushoch überlegen. Seine
Taktik war so genial und so einfach zugleich, daß ich zu bezweifeln wage, daß ein Mensch sich diese
Geschichte ausgedacht haben kann.
Es hatte noch einen zusätzlichen erwünschten Effekt:
und Er wurde allein gelassen mit der Frau, die in der Mitte stand.
Er konnte jetzt ungestört mit der Ehebrecherin sprechen.
Unser Herr verurteilt selbstgerechte Ankläger und spricht bußfertige Schuldige frei.
4) Jesu Gespräch mit der Frau
(V. 10 - 11)
a) Die Vergebung (V. 10 - 11a)
10 Da richtete Jesus sich auf und sagte: „Frau, wo sind sie? Hat dich niemand verurteilt?“ 11
Sie sagte: „Niemand, Herr.“ Da sagte Jesus: „Auch Ich verurteile dich nicht.
Diese Frage erwartet eigentlich keine Antwort (wie viele Fragen Gottes an Menschen in der Bibel). Sondern sie will der Frau das verdeutlichen, was die einzig mögliche Antwort beinhaltet: Ihre Ankläger sind
verschwunden; es ist niemand mehr da, der eine Bestrafung ihrer Sünde fordern kann.
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Predigt Rüsselsheim, 8. Juli 2007
Niemand – bis auf einen. Und der hätte als Einziger das Recht, ihr verdientes Todesurteil zu sprechen und
zu vollstrecken. Er hat es nicht nötig, sich wie die überführten und beschämten Schriftgelehrten und
Pharisäer beklommen davonzustehlen. Er ist wirklich ohne Sünde. Und dennoch verzichtet Er darauf wie
Seine Widersacher, aber aus einem ganz anderen Grund.
Ihn bewegt nicht, wie die frommen Männer, der Wunsch nach Strafe für die Sünderin. Sondern Sein Herz
ist voller Liebe, Gnade und Barmherzigkeit. Ihm geht es nicht um das Recht, sondern um einen von Gott
erschaffenen und trotz seiner Sünde innig geliebten Menschen.
Diese Motivation war es auch, die Ihn später dazu getrieben hat, es bewußt auf sich zu nehmen, daß Er
trotz Seiner Unschuld wie ein Schwerverbrecher gefangengenommen, zum Tod verurteilt, verhöhnt, ins
Gesicht gespuckt, ausgepeitscht und gekreuzigt wurde. Es war die Macht Seiner Liebe, die Ihn daran gehindert hat, vom Kreuz herabzusteigen und Seinem schrecklichen und unverdienten Leiden ein Ende zu
machen. Diese Liebe war auch groß genug, um dieser Frau zu vergeben, die ihrem Mann untreu geworden war und sich über Gottes ausdrückliches Verbot des Ehebruchs hinweggesetzt hatte. Sie hätte
sogar für ihre selbstgerechten Ankläger gereicht - wenn sie denn ihre Sünden bereut und sich Vergebung
vom Herrn Jesus gewünscht hätten.
Nun könnte man aber einwenden: Wo steht denn, daß die Frau Buße getan hat? Nirgends, aber die Bibel
sagt, daß Jesus wußte, was in den Herzen der Menschen war,9 und daß es ohne Buße keine Vergebung
gibt.10 Daher ist ist anzunehmen, daß sie ihre Sünde von Herzen bereute und sich Vergebung wünschte.
1. Joh. 1, 8 - 9
8 Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit
ist nicht in uns. 9 Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht, daß er uns die
Sünden vergibt und uns reinigt von jeder Ungerechtigkeit.
Wir werden nach der Predigt ein Lied singen, aus dem ich die zweite Strophe zitieren möchte:
Ich hatte nichts als Zorn verdienet
und soll bei Gott in Gnaden sein.
Gott hat mich mit sich selbst versühnet
und spricht durchs Blut des Sohns mich rein.
Wo kam dies her, warum geschieht's?
Erbarmung ist's und weiter nichts.11
Das gilt auch für unsere Sünden, auch für die der vergangenen Woche. Der Herr Jesus hat das gute
Recht, uns deswegen zu verurteilen und zu bestrafen. Aber weil Er ein Freund der Zöllner und Sünder ist,
möchte Er uns viel lieber vergeben.
Schleppst Du unbereinigte Schuld mit Dir herum? Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie belastend das sein
kann. Dann bring sie zu Jesus. Sag Ihm, daß Du sie bereust. Und bitte Ihn um Vergebung. Er wird es von
Herzen gerne tun. Wenn Du damit alleine nicht zurechtkommst, dann komm zu mir oder bitte sonst jemand um Hilfe, dem Du vertraust. Der Herr Jesus hat uns Sein Wort gegeben, und Er erfüllt Sein Versprechen: Er wird Dir die Last Deiner Schuld für immer abnehmen.
Unser Herr verurteilt selbstgerechte Ankläger und spricht bußfertige Schuldige frei.
b) Die Ermahnung (V. 11b)
Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“
9 Mt. 9, 4/ Mk. 2, 6 – 8/ Mk. 8, 17 usw.
10 z.B. 1. Joh. 1, 9
11 “Mir ist Erbarmung widerfahren”; Text: Philipp Friedrich Hiller 1767; Liederbuch “Ich will Dir danken” Nr. 254
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Predigt Rüsselsheim, 8. Juli 2007
“Geh” bedeutet: “Mit Deinem Freispruch ist das Gerichtsverfahren für immer abgeschlossen. Du bist frei.
Du kannst gehen.”
Dann sagt Er aber auch noch:
sündige von jetzt an nicht mehr
Ohne diese Ermahnung hätte sie die Vergebung vielleicht als Freibrief mißverstanden, fröhlich weiterzusündigen.
Wenn wir betonen, daß unser Herr die Sünder liebt, dann dürfen wir die andere Seite der Medaille nicht
vergessen: Er haßt genauso intensiv die Sünde! Wenn uns jemand um Vergebung bittet wegen eines
bestimmten Fehlverhaltens und wir sie ihm gewähren, dann erwarten selbstverständlich, daß das in
Zukunft nicht mehr vorkommt. Erst recht kann Jesus das von uns verlangen:
sündige von jetzt an nicht mehr
Bedeutet das, daß Er von der Frau verlangt, von jetzt an absolut sündlos zu leben? Mit Sicherheit nicht.
Das Gespräch Jesu mit den Schriftgelehrten und Pharisäern hat ja gerade bewiesen, daß das absolut unmöglich ist. Statt dessen soll sie gerade auf dem Gebiet der Sexualität wachsam sein, damit sie nicht noch
einmal in die Sünde des Ehebruchs fällt.
Jeder Mensch hat mindestens ein Gebiet, auf dem er besonders versuchbar und schwach ist. Man spricht
hier von den drei großen Gs: Geld, Genuß, Geltung. Darum ist es wichtig, daß wir unsere Schwachpunkte kennen und auf diesen Gebieten besonders wachsam sind.
Dazu noch zwei Aussprüche von unbekannten Verfassern:
Wenn Dir die Früchte des Teufels nicht schmecken, dann halte Dich von seinem Obstgarten
fern.
Die beste Art, Versuchungen zu meiden, ist, Situationen zu meiden, in denen man versucht
wird.
SCHLUSS:
Mein hauptsächliches Ziel mit dieser Predigt war und ist, daß unsere Faszination für Jesus wächst. Ich
kann immer wieder nur staunen, wie Er mit Menschen umgegangen ist. So auch hier. Wie Er die höchst
geschickt vorbereitete Attacke gegen Ihn nicht nur souverän abgewehrt hat, sondern gleich zum Gegenangriff übergegangen ist und die scheinheiligen Frommen zutiefst beschämt hat, das ist schon toll. Daß
Er sich dann aber auch noch um die Frau kümmert und sie nicht in erster Linie wahrnimmt als einen von
einer schlimmen Sünde besudelten Menschen, sondern als ein Geschöpf, das nichts dringender braucht
als Seine Liebe, Barmherzigkeit und Vergebung, das setzt dem Ganzen die Krone auf. Was haben wir für
einen wunderbaren Herrn!
Er verurteilt selbstgerechte Ankläger und spricht bußfertige Schuldige frei.
Ihm sei Dank, Lob und Anbetung dafür!
AMEN
Copyright © 2007 Detlev Fleischhammel
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