Ausgabe 3VIERTEL Juni 2013

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Ausgabe 3VIERTEL Juni 2013
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JUNI 2013 · AUSGABE XXXIII
HOTSPOT DER VERÄNDERUNG
Mitpreisentwicklung im Leipziger Westen.
ie Mieten im Leipziger Westen steigen und damit der Druck auf jene, die
Schleußig, Plagwitz und Co. einst in
die Riege der ‚hippen‘ Viertel aufsteigen ließen.
Wenn Janek Baumer* (*Name von der Redaktion
geändert) an seine Wohnung in Schleußig denkt, entstehen in ihm zwei gegensätzliche Empfindungen: Da
ist einmal das wohlige Gefühl von Heimat und auf der
anderen Seite die Wahrnehmung akuter Bedrohung.
Ginge es nach seinem Vermieter, hätte Baumer seine
Wohnung schon längst verlassen oder seine Mietzahlungen verdreifachen müssen. Aber der Kulturschaffende bleibt, zum kleinen Preis. Denn Baumer hält die
Forderungen für nicht gerechtfertigt. Modernisierungen wurden in der Wohnung nicht vorgenommen, so
Baumer. Es sind reine Instandsetzungsarbeiten, für
die der Vermieter nun 200 Prozent mehr Miete verlangt – rechtmäßig wäre gerade einmal ein Zehntel
im Verlauf von drei Jahren. „Für mich ist das Mietwucher“, sagt Janek Baumer. Aus seiner vertrauten
Umgebung will er sich auf diese Weise keinesfalls
vertreiben lassen und geht juristisch gegen den Vermieter vor. Seinen richtigen Namen möchte Baumer
deshalb lieber nicht in der Zeitung lesen.
VON ANNE DIETRICH
Mietwucher in Leipzig – kann das sein? Immerhin
gehört die sächsische Metropole laut aktuellem Mietpreis-Ranking des Beratungsunternehmens Empirica zu
den günstigsten Städten Deutschlands. Wie die neueste
Bürgerumfrage ermittelte, zahlten die Leipziger im vergangenen Jahr im Schnitt 5,15 Euro Grundmiete pro
Quadratmeter. Damit kletterten die Preise seit 2002 lediglich um 30 Cent nach oben. Außerdem stehen nach
Schätzungen der Stadt noch mehr als 20.000 Wohnungen leer – Zahlen die eher nach Mietparadies als Alptraum klingen.
Doch auf dem Markt ist einiges in Bewegung. In
den vergangenen Jahren stiegen die Bevölkerungszahlen stark an und die Neu-Leipziger bevorzugen
offensichtlich ganz bestimmte Lagen. Schon jetzt
gibt es eine erhebliche Spanne zwischen den Quadratmeterpreisen in Ost und West der Stadt: Während
in den östlichen Vierteln durchweg weniger als 4,40
Euro Kaltmiete gezahlt wird, gibt es in Schleußig
oder Plagwitz stellenweise Wohnungsangebote für
acht Euro pro Quadratmeter. Und die Tendenz steigt.
Die Feri EuroRating Services AG, eine auf Anlagemärkte spezialisierte Ratingagentur, prognostiziert
für die kommenden Jahre weiter anziehende Mieten
„in guten und sehr guten Lagen der Stadt“, das heißt:
im Leipziger Westen.
Zusätzlich zur Nachfrage sind besonders die sich aktuell rasant füllenden Baulücken und Hausverschönerungen die Preistreiber in diesen Gebieten. Denn bei
einer hohen Neubau- und Sanierungsquote steigen die
Mieten. „Bei neuen Vertragsabschlüssen kann die Miete
frei vereinbart werden“, erklärt Anke Matejka, die dem
Mieterverein Leipzig vorsitzt, die Hintergründe. Sie beobachtet insbesondere in den letzten eineinhalb Jahren,
dass viele Hauseigentümer sich diese Freiheiten zunutze
machen und bei Neubezügen bis zu zwei Euro pro Quadratmeter draufschlagen.
„Wir stehen hier
am Anfang einer
Welle“, warnt deshalb Roman Grabolle (Bild rechts),
Mitglied des Netzwerkes ‚Leipzig –
Stadt für Alle‘ und
Mitbegründer der
Woh nu n g sg e sel l schaft ‚Central LS
W33‘. Er meint damit eine Woge der
Verdrängung,
in
der Stadtsoziologie
auch Gentrifizierung genannt.
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KURZ & BÜNDIG
Ausgabe XXXIII|06 2013
Hörspielsommer 2013
Der Hörspielsommer verzichtet dieses Jahr auf das
Festival im Richard-Wagner-Hain und verlegt seine
Hörspiele und Live-Acts an „versteckte“ Orte. Beginnen
wird die Reihe im Juni im Apothekergarten, Linnéstraaße 1. Dort kann man unter dem Motto „freaky fauna,
funky flora“ Erzählungen über Insekten und über die
Geräusche der Pflanzen hören. Im August wird an einem Feature-Tag dem Trend des Urban Gardening gehuldigt: „wir kamen, sahen und säten“. Weitere Orte
sind ein privater Hinterhof in der Zschocherschen Straße und der Schiffsbug hinter der Gießerstraße 16. Noch
weit über den Sommer hinaus werden im November Veranstaltungen im Zeltplatz-Mitte des Outdoorausrüsters
tapir am Georgiring stattfinden.
Ein Gymnasium für den Westen
Rückseite der Max Klinger Schule aus dem Jahre 1929.
Nachdem die SPD-Fraktion im Leipziger Stadtrat bereits darauf aufmerksam gemacht hatte, dass westlich
des Zentrums ein Gymnasium geschaffen werden muss,
um den Bedarf zu decken, gab es bereits einen Favoriten
für den Standort: Die Karl-Heine-Straße 22b, wo zur
Zeit noch die Erziehungswissenschaftliche Fakultät der
Universität ihren Sitz hat. Die Fakultät zieht aus, der
Termin dafür ist der 31. Mai 2015. Für die Umbau- und
Sanierungsarbeiten sind bereits Gelder in den Haushalten dieses und nächsten Jahres eingestellt worden.
Es handelt sich um 430.000 Euro in diesem und
600.000 Euro im kommenden Jahr. Die Eröffnung des
Gymnasiums ist für das Schuljahr 2018/19 geplant.
Dann sollen Interimsklassen gebildet werden, die als
erste das Gebäude nutzen.
Brücken bauen
Die beiden Brücken, die im Zuge der Antonienstraße die
Eisenbahngleise in Leipzig-Kleinzschocher überspannen, sollen durch Neubauten ersetzt werden. Ebenso ist die Sanierung des rund 530 Meter langen Abschnitts der Antonien-
straße zwischen Diezmann- und Klingenstraße einschließlich
der Straßenbahngleise vorgesehen. Die Maßnahme ist erforderlich, um die volle Leistungsfähigkeit der Antonienstraße,
einer wichtigen Verbindung zwischen Grünau und dem Stadtzentrum, aufrecht zu erhalten. Die Arbeiten sollen – vorbehaltlich der Gewährung der Fördermittel durch den Freistaat
– 2014 beginnen, die Inbetriebnahme der Brücken und Straßen ist für Oktober 2016 vorgesehen und der Abschluss der
Maßnahme für März 2017. Die Gesamtkosten betragen rund
15,5 Millionen Euro. Dafür wurden knapp acht Millionen
Euro Fördermittel beim Freistaat beantragt. Die Deutsche
Bahn (DB) AG beteiligt sich mit 3,8 Millionen. Oberbürgermeister Burkhard Jung bringt auf Vorschlag von Baubürgermeister Martin zur Nedden im Juli die Vorlage zum Bau- und
Finanzierungsbeschluss in die Ratsversammlung ein.
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Vom 22.6. bis zum 10.8. werden verschiedene Programmpunkte die Seebühne an der KAOS-Villa am
Wasserschloss in Lindenau bespielen: Das KAOS-Sommertheater wird mit einem Stück von Federico García
Lorca eröffnen, Premiere: 22.06.2013 20.30 Uhr.
Die westliche der beiden Brücken stammt aus dem Jahre 1971. Die von ihr überspannte Bahn-Anlage umfasste
ursprünglich 16 Eisenbahngleise, nach einem Umbau dieser
Anlage sind es nur noch vier. Die lichte Weite des sie ersetzenden Neubaus kann daher verkürzt werden. Die östliche
Brücke, die 1969 errichtet wurde, überquert ein Eisenbahngelände, dessen Gleise weitgehend abgebaut sind, sowie eine
Ladestraße, über die zwei Märkte beliefert werden. Auch hier
kann die lichte Weite des Neubaus verkürzt werden. Beide
Brücken sind nur durch einen Dammabschnitt getrennt.
Sie weisen eine eingeschränkte Tragfähigkeit auf, was Abriss und Ersatzneubau unumgänglich macht. Auch die Antonienstraße ist in diesem Abschnitt sanierungsbedürftig.
Das Vorhaben steht im Zusammenhang mit den umfangreichen Umbauarbeiten der DB Netz AG am Bahnhof LeipzigPlagwitz und dem geplanten behindertengerechten Ausbau
der Straßenbahnhaltestelle Diezmannstraße durch die LVB.
Kita-Neubau in Neulindenau
Im Stadtteil Neulindenau entsteht eine neue Kindertagesstätte. Auf dem 3.005 Quadratmeter großen
Grundstück an der Thietmarstraße 13 errichtet die
LIMES Projektentwicklungsgesellschaft eins mbH einen
Neubau, der insgesamt 135 Kindern Platz bieten wird,
davon 51 im Krippenbereich und 84 im Kindergartenbereich.
Das Investitionsvolumen beträgt insgesamt rund
1,85 Millionen Euro, von denen rund 500.000 Euro aus
Bundesmitteln gefördert werden. Die Fertigstellung des
Neubaus ist für März 2014 geplant. Nach Fertigstellung
wird die Einrichtung an die Stadt Leipzig vermietet.
„In diesem Neubau entsteht eine Kindertagesstätte, die
in kommunaler Trägerschaft betrieben werden soll“, so
Bürgermeister Thomas Fabian. „Das Leipziger Kita-Netz
wächst. Und wir wollen auch künftig etwa ein Viertel
der Plätze in unserer Trägerschaft anbieten.“
Ein Parcours für alle Generationen
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Der KAOS-Kultursommer
Auch ältere Jahrgänge haben künftig auf einem speziellen Parcours in der Schleußiger Kleingartenanlage „An
der Dammstraße“ die Möglichkeit, an entsprechenden Geräten ihre Kraft, Koordinationsfähigkeit und Beweglichkeit zu trainieren. Die als Pilotprojekt auf einer öffentlich
nutzbaren Grünfläche entstandene Strecke ergänzt die
bereits bestehenden Angebote im Spielbereich des Vereins.
Weitere Höhepunkte des Kultursommers sind das
Literatur-Festival, das Seeklang-Festival mit dem Musikalischen Höhepunkt der Leipziger Band Two Wooden
Stones und das LoopArt-Festival, bei dem Endlosschleifenkunst vorgestellt wird. Die Cammerspiele werden im
August mit dem Stück „Sein oder Nichtsein“ von Ernst
Lubisch den Abschluss des Kultursommers feiern. Termine unter: kaos-kultursommer.blogspot.de
Merseburger Straße 33 · 04177 Leipzig
0341 - 33 11 774
www.3viertel.info · [email protected]
Herausgeber
Chefredakteur:
Lektorat:
Redakteure:
Cesare Stercken
Moritz Arand
Juliane Gall
Anne Dietrich, Cesare Stercken,
Jan-Henning Koch, Franka Henn,
Moritz Arand
Website: Bilder: Matthias Basan, Pixeldepartment
Ildiko Sebestyen Photographie
Auflage: 10.000 Exemplare
Erscheinungsw.:monatlich
Für unverlangt eingesendete Manuskripte übernehmen wir keine Veranstwortung !!!
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Ausgabe XXXIII|06 2013
NEUES AUS DEN FÖRDERGEBIE TEN IM LEIPZIGER WESTEN
Sommer in der Georg-Schwarz-Straße
Ausblick Bildungsspaziergang 2. Juli 2013
Magistralenmanagerin Daniela Nuß lädt am Vormittag Multiplikatorinnen
aus Schulen, Kindergärten, Seniorenclubs und Vereinen ein, soziokulturelle
Angebote rund um die Georg-Schwarz-Straße für ihre Arbeit zu erkunden.
Eine Anmeldung ist unbedingt erforderlich!
Rückblick Forum
Weit über 100 Gäste trafen sich am 25. Mai zum alljährlichen Forum GeorgSchwarz-Straße in der Käthe-Kollwitz-Schule. Grußwort von Baubürgermeiser Martin zur Nedden und Anregungen von Karsten Gerkens, Amtsleiter im
Amt für Stadterneuerung, gingen über in Workshops zu aktuellen Themen,
fruchtbaren Pausengesprächen und der Verabredung „Wir brauchen mehr
Zeit für Gespräche miteinander“.
Ausblick Termine
Der für den 3. Juni geplante Themenabend Georg-Schwarz-Straße muss leider verschoben werden.
08. Juni Leutzsch rockt
02. Juli Soziokultureller Bildungsspaziergang
in Kooperation mit „Lernen vor Ort“
Rückblick Rundgang
Das Leipziger Stadtforum hatte am 13. Mai zum Architektur-Rundgang in die
Georg-Schwarz-Straße eingeladen. Gut 20 Interessierte erkundeten mit Dave
Tarassow (Stadtforum) Baustil, historische und aktuelle Entwicklungen des
Lindenauer „Broadway“. Daniela Nuß und Roman Grabolle vom Magistralenmanagement unterstützten die Beantwortung der zahlreichen Fragen.
Ein Gastgeschenk des Amtsleiters ging im Trubel fast unter: Der Verfügungsfonds wurde erweitert. Zusätzlich zu den baulich-investiven Maßnahmen
können 2013 auch soziale und kulturelle Projekte gefördert werden. Detaillierte Informationen dazu bei Magistralenmanagerin Daniela Nuß.
Berichte zum Forum finden sich auf den Internetseiten des Magistralenmanagements bzw. für Interessierte zum Durchblättern im Stadtteilladen.
Rückblick neue Läden
Am 21. Mai 2013 öffnete der Bioladen „Schwarzwurzel“ seine Pforten. Zu
finden ist er im Eckhaus Erich-Köhn-Straße 65/Georg-Schwarz-Straße. Ökologisch erzeugte Produkte können auch von Nicht-Mitgliedern erworben
werden, diese zahlen etwa ein Viertel mehr.
Weitere Informationen gibt es bei einem Gespräch vor Ort oder im Internet
unter www.schwarzwurzel.org .
Rückblick Festival
Der Verein kunZstoffe e.V. organisierte am Samstag, den 4. Mai das traditionelle Bandfestival Georg-Schwarz-Straße. Erstmals standen Musikangebote
für Ältere auf dem Plan und die gesperrte Holteistraße reichte nicht mehr
aus für die Besucherströme. Auch in der Georg-Schwarz-Straße selbst präsentierten sich zahlreiche Hausprojekte, Galerien, Vereine und hatten Ladengeschäfte wie „Stoff-Kreationen“ bis zur Ecke Calvisiusstraße geöffnet.
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Derzeit gibt es eine erste Ausnahmegenehmigung für die RANAboot GmbH aus Markkleeberg, die
zweimal täglich den Floßgraben
befahren darf. Und nun? Was oder
wer kommt als Nächstes? Wieso die
einen, die anderen nicht? Die Allgemeinverfügung war ein kluger Kompromiss - ohne die darin enthaltene,
weit aufgerissene Hintertür.
Der Floßgraben ist Lebensraum
unter Schutz stehender Tiere (und
Pflanzen), denen Schutz von Gesetzes wegen zusteht. Damit ist
er als Durchgangsstraße für den
Bootstourismus nicht nutzbar –
nimmt man den Naturschutz ernst.
Es sind u.E. also grundsätzliche
Fragen zu stellen bezogen auf die
Nutzung des Floßgrabens innerhalb
der Leipziger WassertourismusPläne und die Umsetzung naturschutzgesetzlicher Vorschriften.
Sprechzeiten Magistralenmanagerin Daniela Nuß
di 13-16 beim kunZstoffe e.V., Georg-Schwarz-Straße 7
mi 10-13 + do 17-20 Uhr im Stadtteiladen Leutzsch, Georg-Schwarz-Str. 122
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erste Ausnahmegenehmigung!
mehr oder weniger qualifizierter,
erhitzter Kommentare gegen diese
Regelung in der Öffentlichkeit war
die leider zu erwartende Folge und
Nach Sichtung des Eisvogels im spiegelt sicherlich den Druck wider,
-Floßgraben wurde dieser per Allge- der auf das Umweltdezernat ausmeinverfügung der Stadt Leipzig im geübt wurde.
-Einvernehmen mit dem Landkreis
mLeipzig für die ungehinderte Nutzu- Entsprechend zu würdigen wäre
ng gesperrt. Dabei gelang der die Allgemeinverfügung gewesen.
-Leipziger Verwaltung eine gerade Wäre da nicht der vollständige Text
zu salomonische Lösung: An Wo- mit Punkt 6. Der wurde in der Medichenenden und bundesdeutschen eninformation – wohl nicht zufällig
Feiertagen dürfen alle, die nicht – weggelassen. Mit dem lapidaren
zu Gunsten des Vogelschutzes da- Satz “Von den Verboten dieser Allrauf verzichten wollen, in Zeitfen- gemeinverfügung kann die Untere
stern von je 2 mal 2 Stunden den Naturschutzbehörde nach § 67
Floßgraben befahren. Dies ist der BNatSchG auf Antrag Befreiung
Kompromiss, der einen wirksamen gewähren” wird die ganze AllgeSchutz des Brutreviers des Eisvo- meinverfügung letztlich wieder
gels mit den Interessen der Allge- aufgehoben. Nur zur Erinnerung:
Das (mögliche) Vorkommen des
meinheit verbinden sollte.
Wer als Natur- und Auwaldfreund Eisvogels im Floßgraben ist allen
nur die Medieninformation der Beteiligten seit Jahren bekannt und
Stadt Leipzig zur Kenntnis nahm, jeder, der sein Unternehmen hier
war beeindruckt von dieser re- ansiedelt, um den Floßgraben als
spektablen Lösung, wenngleich Wasserweg zu nutzen, sollte wismancher naturschutzambitionierter sen, wie die Rechtslage ist und auf
Wasserwanderer dies auch mit ei- welch unsicherem Boden er sein
nem weinenden Auge tat. Eine Flut Unterfangen gründet.
Kontakt Magistralenmanagement
Fon 0341 - 223 04 06
Fax 03222 162 65 79
mobil 0176 - 32 64 93 38
mail [email protected]
Tiefblick Georg-Schwarz-Straße
Die Leipziger Studentin Helena Mohr hatte 2011 eigentlich nur ein Praktikum
absolvieren wollen … und ist hängen geblieben in der Georg-Schwarz-Straße. In ihrem eigenen Blog beschreibt sie in unregelmäßigen Abständen, was
sie entdeckt und erlebt: http://georgschwarzstrasse.wordpress.com
Sperrung des Floßgrabens:
Vor einer Woche wurde
geltenden Gesetzen
Genüge getan:
Das Magistralenmanagement ist außerdem mit einem Stand
vertreten bei Stadtteilfesten im Leipziger Westen:
Lindenauer Markt – Samstag, der 15. Juni 2013 (17-22 Uhr)
Westbesuch – Samstag, der 22. Juni 2013 (10-18 Uhr)
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KlassischeKartoffelKonzerte
zu Gunsten des Leipziger Auwaldes
gehen nach der Sommerpause weiter:
das 9. Konzert wird am 26.9.2013 um 19:30 Uhr im
Telegraph, Gottschedstraße stattfinden.
www.KlassischeKartoffelKonzerte.de
Sie können sich 3VIERTEL auch regelmäßig frisch in den Briefkasten
wünschen. Abonnieren Sie 3VIERTEL wahlweise für 6 (12,- Euro)
oder 12 (24,- Euro) Monate. Schreiben Sie uns ihre Adresse und
Rechnungsanschrift unter:
[email protected] (Betreff: ABO)
KIND & KEGEL
Ausgabe XXXIII|06 2013
„WIR WOLLEN, DASS DIE STRASSE DANN NOCH SCHÖNER IST ALS VORHER“
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Am 8. Juni wird das ‚Mersefest‘ gefeiert – und alle sind eingeladen.
ie Besonderheiten der Merseburger
Straße zu beschreiben, fällt Lena Philipp nicht schwer: „Dass man sich so
kennt, ist etwas Besonderes. Es gibt
eine sehr vertraute, fast schon dörfliche Atmosphäre. Außerdem treffen hier
ganz viele kreative Köpfe aufeinander, das Potential
ist richtig spürbar.“ – Es sind diese speziellen Merkmale, die am 8. Juni beim ‚Mersefest‘ gefeiert werden
sollen. Lena Philipp gehört zum großen Team, das sich
um die Gestaltung der Straßenfete kümmert, darunter
Anwohner – wie die Studentin selbst – und Freunde
der Merseburger Straße. Insgesamt sind ungefähr 100
Leute an den Vorbereitungen beteiligt. Ihr Ziel: Nicht
einfach noch ein Straßenfest zu veranstalten, das nach
dem Schema ‚hingehen, angucken, einkaufen‘ funktioniert. „Im Mittelpunkt steht die Frage: Wie können die
Menschen sich kennen lernen?“, sagt Jan Barnick, Besitzer des Lehmolandia-Ladens in der Merseburger Stra-
ße. Er gehört zu den Initiatoren des ‚Mersefestes‘. „Die
Leute sollen nicht einfach hinter ihren Ständen stehen
und die Besucher davor, dann findet keine Interaktion
statt.“ So entstand die Idee, den Fokus des Festes auf
Aktionen zu legen, die Menschen zusammenbringen, wie
beispielsweise Nachbarschafts-Speeddating, ein Wettbewerb im ‚Langsam-Fahrrad-Fahren‘, ein Märchenzelt,
eine Geschichtsrallye oder die Möglichkeit, ein Urlaubsbild von der Merseburger Straße mitzunehmen – Palmen und Strohhut inklusive. Auch Musik und unzählige
Vorführungen sind geplant. „Es ist eigentlich gar kein
Fest mehr, sondern ein Festival“, sagt Lena Philipp.
Programme, die an die Besucher verteilt werden, sollen angesichts der Angebotsvielfalt für einen Überblick
sorgen. Starr durchgeplant werde der Tag aber nicht,
erklärt Jan Barnick, stattdessen wird es dynamisch,
mit Mini-Events, die überall aufblühen und wieder verschwinden.
Neben dem vielen Neuen wirft das ‚Mersefest‘ außer-
DIE KITA-PLATZ-MISERE
Und keine Lösung in Sicht.
EINE ZUSAMMENARBEIT DER 3VIERTEL REDAKTION UND DER LEIPZIGER INTERNET ZEITUNG
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er 1. August naht. Und ziemlich sicher ist
schon abzusehen, dass Leipzig den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für
die unter Dreijährigen nicht wird erfüllen
können. Die Stadtverwaltung gab sich im
November 2012 zwar sehr ambitioniert,
die Bedarfsdeckung durch Neubauten, Kapazitätserweiterungen und Modul-Kitas doch noch zu erfüllen. Aber die
meisten geplanten Einrichtungen stehen 2013 nicht zur
Verfügung.
Ein Podium im September 2010 in der Erich-ZeignerSchule, von der SPD moderiert und veranstaltet, weiß
keinen Rat. Die aktuell rund 24.000 Plätze in 220 Leipziger Kitas sind tatsächlich 400 zu wenig, schätzt Oberbürgermeister Burkhard Jung. Erst im August 2013 solle das Minus abgebaut und die Versorgungsquote von
68 auf 70 Prozent gesteigert sein. Auch der Anteil der
Tagespflege solle von 21 auf 25 Prozent zulegen. „Am
Geld scheitert es nicht“, versichert Finanzbürgermeister
Torsten Bonew, „eher fehlen 2013 die Baufirmen, um
alles zu verbauen.“
„Auch wenn es keiner Mutti hilft“, hat Bonew bis zur
erhofften Entspannung Mitte 2013 nur einen passenden
DDR-Witz parat, „In Rostock gibt´s Trabis ohne Anmeldung – du musst dich aber in Suhl anstellen!“
Mit Beginn August 2013 tritt der Rechtsanspruch auf
einen Betreuungsplatz für Kinder ab einem Jahr in Kraft.
Aus Sicht der Leipziger Kita-Initiative tut die Stadt aber zu
wenig, um Eltern aufzuklären. Insbesondere vom Jugendamt fordert die Initiative einen transparenten Umgang mit
dem Rechtsanspruch und die aktive Bereitschaft, Eltern
bei dessen Wahrnehmung zu helfen.
Aber warum sind 9.800 neue Kita-Plätze seit 2007 nicht
genug? Sollten nicht Kapazitäten vorrätig sein, statt immer
gleich weggespart zu werden? Bürokratie, Baukostenpauschale, sächsischer Sparzwang sowie Anti-Kita-Stimmung
der potenziellen Nachbarschaft sind nur einige der vielen
Hemmschuhe. Entscheidend ist: „Wir haben das Zuzugsphänomen nicht erwartet“, gesteht Jung. Die demografischen
Weisen im Dienst der Stadt hätten noch 2005 Stagnation
statt Wachstum prognostiziert und die vielen neuen Leipziger zwischen 20 und 38 Jahren nicht kommen sehen.
VON ANNE DIETRICH
dem einen Blick in die Vergangenheit der Straße. „Man
spürt hier immer noch den alten Charme, dass hier mal
richtig etwas los war“, sagt Lena Philipp. So wie ohne
die vielen alten Ladengeschäfte die aktuellen Entwicklungen gar nicht möglich wären, hält sie ein Straßenfest
ohne die alte Bewohnerschaft für undenkbar. Deshalb
habe man sich auf die Suche gemacht nach den Menschen, die etwas über die Straße erzählen können. Als
Ergebnis wird eine Ausstellung mit Porträts, Dokumenten und kleinen Filmen in der Nummer 38 zu sehen
sein.
„Uns ist ganz wichtig, dass es bunt wird und sich niemand ausgeschlossen fühlt“, betont Lena Philipps und
ergänzt lachend, das werde schon beim Essen sichtbar:
Vom grünen Smoothie über Pizza bis zum Spanferkel ist
alles dabei. Auch Jan Barnick bringt das Ziel des ‚Mersefestes‘ auf eine einfache Formel: „Wir wollen, dass die
Straße dann noch schöner ist als vorher.“
„Momentan erleben wir das ganze Gegenteil von
Transparenz und Hilfsbereitschaft“, kritisiert Victoria
Jankowicz von der Kita-Initiative: „Eltern werden sogar falsche Maßnahmen empfohlen.“ So müsse der Anspruch laut Sächsischem Kitagesetz (SächsKitaG § 4)
sechs Monate vor Beginn der gewünschten Betreuung
beim Jugendamt angemeldet werden, um auch erfolgreich einklagbar zu sein. Das Amt allerdings beschwichtige die Eltern und teile ihnen mit, dass sie sich erst
sechs Wochen zuvor melden bräuchten. „Das kann böse
Folgen haben, weil der Rechtsanspruch so vermutlich
nicht einklagbar ist“, sagt Jankowicz.
„Es fehlt an einer öffentlichkeitswirksamen Informationspolitik der Stadt“, meint auch Christin Melcher.
„Eine Willkommenskultur für Kinder sieht anders aus.“
Aufgabe der Stadt müsse es sein, den Eltern zu erklären, welche Formalitäten sie einhalten müssen, um ihren Anspruch zu wahren, statt sie mit Falschaussagen
und Beschwichtigungen hinzuhalten.
Die Kita-Initiative beobachtet bereits jetzt einige negative Entwicklungen, wenn etwa private Unternehmen
für Eltern kostenpflichtig Betreuungsangebote suchen
und anbieten. Aus Sicht der Initiative dürfe es aber
nicht das Ziel der städtischen Familienpolitik sein, Eltern zur Beschäftigung von Anwälten und Unternehmen
zu zwingen, um ihren Rechtsanspruch durchzusetzen
und einen passenden Betreuungsplatz für ihre Kinder
zu finden.
KIND & KEGEL
Ausgabe XXXIII|06 2013
2009 trafen sich zum ersten Mal
sieben Leipziger Schüler des Anton-Philipp-Reclam-Gymnasiums
und elf französische Schüler
aus Lyon, um gemeinsam das
Recherche-Projekt „Der Brief“
aufzunehmen. Ziel war es die
Lebensgeschichte Martin Kobers nachzuzeichnen, der vor
den Nazis von Leipzig über
die Schweiz durch Belgien
und Frankreich geflohen war,
jedoch noch in Frankreich interniert und, vorbei an Leipzig, nach Auschwitz deportiert
wurde. Juliane Seifert erklärt
den Projektansatz: „Wenn es
kaum noch Zeitzeugen gibt,
ist die Frage, wie in Zukunft
Geschichte aufgearbeitet werden kann und wie Verbindungen zum persönlichen Leben,
gerade auch für Schüler, gezogen werden können. Also
auch: Was bedeutet es für
mich in einer Gesellschaft zu
leben, in der es immer noch
Diskriminierung gibt? Dafür
eignet sich die Arbeit an Einzelschicksalen, auch ohne dass
diese berühmt sind.“
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KEIN HELDENLEBEN
„Der Brief – La Lettre“ – die Geschichte Martin Kobers.
artin Kober zog mit Teilen seiner
Familie 1921 nach Leipzig. Er hatte
erst ein eigenes Geschäft und wurde später Vertreter. Er fuhr Auto,
rauchte und lebte ein Junggesellendasein. Eigentlich ein ganz normales Leben, das ohne die 12 Worte, die dessen Ende bezeichnen, wahrscheinlich in Vergessenheit geraten wäre:
„Bitte, daß ein
gütiger Mensch
diesen
Brief
weiterleitet.
Ich habe keine
B r i e f m a r k e .“
Diese
Worte
sind sein letztes
Zeugnis, 1942 aus dem Deportationszug in der Nähe
von Leipzig geworfen. Vermutlich wurde Martin Kober
schon kurz darauf im KZ Auschwitz ermordet. Doch der
Brief, von dem nur die Worte auf dem Umschlag überliefert wurden, erreichte tatsächlich seine Nichte Käthe
Leibel in Leipzig.
Angeregt durch ihren Sohn, Jochen Leibel, und in
Zusammenarbeit mit dem Erich-Zeigner-Haus e. V. ent-
Auf 150 qm Ladenfläche finden Sie: Regionales, frisches Obst u. Gemüse • Große Käsetheke
mit ausgewählten Spezialitäten • Tofu- und Frischwaren Kühltheke • Biofleisch • Kinder- und
Babysortiment • Regionales Getreide direkt vom Erzeuger • Weine, Biere und Säfte • Täglich
frisches Vollwert Brot und Brötchen von regionalen Bäckern • Honig vom Lindenauer Hafen
• Fairtrade gehandelter Tee, Kaffee und Schokoladen • Kosmetika und Drogerieartikel…
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Dein Bioladen in Leipzig-Plagwitz
Mo - Fr 9 - 19 Uhr, Sa 9 - 16 Uhr
Karl-Heine-Straße 77 • 04229 Leipzig
Interdisziplinäre Frühförderstelle
Therapiezentrum für Erwachsene
und Kinder
- Ergotherapie
- Logopädie
- Physiotherapie
therapaedica · Schönauer Landstraße 6 · 04178 Leipzig
Telefon: 0341 - 55 01 88 17 · Internet: www.therapaedica.de
VON FRANKA HENN
stand das Projekt „Der Brief“. Nach der Recherche-Arbeit, die über zwei Jahre dauerte und Reisen an Orte
beinhaltete, an denen Martin Kober gelebt hatte, ist im
November 2012 auch das Buch „Der Brief“ in der Edition Hamouda erschienen, in dem man die Arbeitsweise
und -ergebnisse der Jugendlichen nachlesen kann und
das während der Leipziger Buchmesse 2013 der Öffentlichkeit präsentiert wurde. „Das Erich-Zeigner-Haus hat
in den letzten Jahren die Zusammenarbeit mit selbstständig nachforschenden Jugendlichen öfter begleitet.
Das Buch, und hoffentlich auch bald der Film, sollen
natürlich auch die Öffentlichkeit erreichen und die Geschichte selbst, aber auch unsere Erfahrung mit dieser
Art, sich Geschichte zu nähern, teilen und vielleicht
eine Inspiration für neue Projekte zu sein.“, so Juliane
Seifert.
6
KAPITAL & GESELLSCHAFT
D
er Begriff bezeichnet einen Prozess,
bei dem Menschen ihr Viertel verlassen
müssen, weil die Mieten steigen. Ihren
Platz nehmen dann Besserverdienende
ein.
Um sich selbst muss sich Roman Grabolle nicht sorgen, denn er wohnt in einem Kollektivhaus: Anstelle
eines gewinnorientierten Vermieters kümmert sich das
organisierte Kollektiv aller Bewohner darum, dass die
Kosten für den gemeinsamen Kauf des Hauses, die Sanierung und weitere Instandhaltungen gedeckt werden.
Auf diese Weise bleibt günstiger Wohnraum dauerhaft
erhalten. Gegen den Austausch weiter Teile der Bevölkerung im Leipziger Westen können solche Einzelprojekte
jedoch nichts ausrichten. Die Angst vor den künftigen
sozialen Entwicklungen ist deshalb groß. „Verdrängungsprozesse, die bislang kleinräumig waren, betreffen
nun ganze Stadtteile wie Schleußig oder Plagwitz“, beschreibt Grabolle die Lage. Noch sei die Entwicklung auf
dem Papier vielleicht nicht sichtbar – deutlich spürbar
sei sie allemal.
„Ich kann nachvollziehen, dass die momentanen Entwicklungen zu Sorgen führen. Meiner Meinung nach ist
die Diskussion aber zu hoch gekocht“, sagt Stefan Heinig, Leiter der Abteilung Stadtentwicklungsplanung. Er
schätzt den Leipziger Wohnungsmarkt nach wie vor als
entspannt ein. In der Vergangenheit seien die Mieten
durch den hohen Leerstand gedrückt worden, vielfach
so sehr, dass sie nicht einmal die Kosten deckten. Dass
nun mit dem Bevölkerungszuwachs die Nachfrage und
damit die Mietpreise stiegen, wertet Heinig erst einmal
als einen Normalisierungsprozess. „Die Sensibilität hinsichtlich der Mietpreissteigerungen ist besonders hoch,
weil man sie hier nicht gewöhnt ist“, glaubt der Stadtentwicklungsplaner. Wer seit Jahren in Frankfurt oder
Hamburg lebe, kenne das Problem dagegen bereits.
Auch Heinig hat Erfahrung mit Verdrängungsprozessen. Vor acht Jahren suchte er in Schleußig eine neue,
größere Wohnung – und fand keine bezahlbare. Also
zog er mit seiner Familie ins damals noch weniger hippe
Plagwitz um. Eigentlich ein klassischer Fall von Gentrifizierung. Den Begriff vermeidet der Stadtentwicklungsplaner jedoch: „Ich tue mich mit dem Begriff Gentrifizierung schwer, weil er undifferenziert verwendet wird.
Durch den Anstieg der Neuvertragsmieten ist es für
Menschen, die umziehen wollen oder müssen, schwierig
eine adäquate Wohnung im selben Stadtteil zu finden.
Daraus entstehen auch Verdrängungsprozesse, die sehen
aber anders aus als in Hamburg oder Berlin.“ Außerdem
gebe es in Schleußig diese Phänomene bereits seit Jahren, sie wurden nur nicht so öffentlich diskutiert.
Dieter Rink, stellvertretender Leiter des Departments Stadtund Umweltsoziologie am Umweltforschungszentrum.
Also alles eine Frage der Wahrnehmung? „Nein“, sagt
Dieter Rink, stellvertretender Leiter des Departments
Stadt- und Umweltsoziologie am Umweltforschungszentrum. „Der Verdrängungsdruck, der von den Menschen
hier im Leipziger Westen wahrgenommen wird, hat seine Berechtigung.“ Leerstand und vergleichsweise niedrige Mieten bilden keinen Widerspruch zur Verdrängung,
jedenfalls nicht in Leipzig. Denn hier gebe es einen gespaltenen Wohnungsmarkt, so Rink. Es gibt Gebiete,
in denen die Mieter den Markt bestimmen und Viertel,
die aktuell einen sehr dynamischen Aufwertungsprozess
durchlaufen – hohe Mietforderungen inklusive. Rink
nennt das Kind deshalb beim Namen: „Neben Connewitz
halte ich den Leipziger Westen für einen der Hotspots
von Gentrifizierung in Leipzig.“ Hier werde nicht nur im
gehobenen Segment gebaut, wie es in der ganzen Stadt
beobachtbar ist, sondern ein Luxussegment implantiert.
Verdrängungen sind da vorprogrammiert. Zum einen
verändern die Einwohner der neugebauten und sanierten Häuser das soziale Milieu, zum anderen schraubt
im hiesigen Vergleichsmietensystem jeder neue LuxusBau den allgemeinen Kostendurchschnitt des Quartiers
in die Höhe. Gerade in Leipzig, mit dem höchsten Anteil einkommensarmer Haushalte deutschland- und den
niedrigsten Löhnen sachsenweit, sind die Spielräume
Ausgabe XXXIII|06 2013
für Mietsteigerungen in weiten Teilen der Bevölkerung
winzig, erklärt Rink.
N
eben der alteingesessenen Bevölkerung der westlichen traditionellen Arbeiterviertel trifft die Gentrifizierung
vor allem die stadtsoziologisch als ‚Pioniere‘ bezeichneten Gruppen, Studenten, Künstler und Kulturschaffende,
die das Potential der Stadtteile ursprünglich entdeckt
und für sich entwickelt haben. Es ist auch dieses kreative Image, das nun die Kostensteigerungen bedingt und
die Pioniere in Bedrängnis bringt.
Der Künstler Wolf Konrad Roscher kennt das Phänomen bereits: „Bevor ich vor fünf Jahren hierhergezogen bin, habe ich zehn Jahre in der Südvorstadt gewohnt. Dort gab es die ganz klassische Verdrängung
und nun findet eigentlich dasselbe Spiel hier statt, nur
in wesentlich kürzerer Zeit.“ Geht das so weiter, ist es
wahrscheinlich, dass Roscher mit seinem Atelier aus
Lindenau verschwindet. Doch wohin? Übrig bleibt nur
der Osten der Stadt, sagt Roscher. „Dort gibt es noch
Stadtviertel, in denen etwas möglich ist.“
Im Stadtplanungsamt werden solche Pläne gern vernommen, hofft man dort doch auf eine Auffüllbewegung
im Leipziger Osten, wo die Leerstandsquote aktuell
noch erheblich ist. „Stadtentwicklungspolitisch sind solche Bewegungen auf jeden Fall nicht unerwünscht“, sagt
Stefan Heinig und fügt hinzu, man müsse akzeptieren,
dass in anderen Stadtteilen nicht mehr jeder die gewünschte Wohnung findet, wenn sich der Osten wieder
füllen soll.
Die Gentrifizierung als Triebfeder für gleichmäßig
niedrige Leerstände – das klingt nach einer wenig sozialen Rechnung. Entsprechend warnt Dieter Rink, dass
die Konflikte zunehmen werden, wenn die Entwicklungen so weitergehen.
Für Janek Baumer gehört die Auseinandersetzung
um sein Zuhause bereits zum Alltag. Mit einer schnellen
Lösung rechnet er nicht, auch wenn es ihm am liebsten wäre, einen Burgfrieden zu schließen und in seiner
Wohnung zu bleiben. Aufgeben kommt für ihn nicht in
Frage. „Ich will mich nicht freiwillig entwurzeln lassen“,
sagt Baumer. Immerhin verkauften die Leute mit ihrer
Wuchermiete auch sein Lebensgefühl, das ruft seinen
Kampfgeist wach. „Eine Mieterhöhung würde mich 420
Euro kosten, Widerstand erst einmal gar nichts.“
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Ausgabe XXXIII|06 2013
„Vorhang auf!“ an der GeorgSchwarz-Straße
Vermietungsstart lässt altes Herz für neue
Generationen schlagen
Veranstaltungen
Galerie artescena im Juni 2013
(Georg-Schwarz-Straße 70, Montag bis Freitag 1419 Uhr und nach Voranmeldung unter Telefon 0151
59103215) seit 25. Mai pure + poetic* Ernst J.
Petras (sculptures), Kathi Sarue (tv-stills), *Clara
Schink (sound collagen) | ab 28. Juni Roland Beer
(Fotografie)
Die Innenhöfe mit Parkcharakter verleihen dem Brunnenviertel eine besondere Lebensqualität. Darstellung: Gärtner & Christ, Leipziger Stadtbau AG
Das Brunnenviertel ist am 26. Mai in die Vermietung gestartet. Nach intensiven Planungen und vielen Gesprächen mit lokalen Akteuren rund um die Entwicklung eines
historischen Herzstücks der Georg-Schwarz-Straße hat
Leipzigs Westen nun eine neue Bühne, die Impulse für
die weitere Entwicklung gibt.
Vis-à-vis des Diakonissenkrankenhauses mausern sich
die ehemaligen „Leutzscher Höfe“ zu einem Generationen
verbindenden Quartier, das nun mit Leben gefüllt werden
möchte. In der Klopstockstraße 9 und Rinckartstraße 12
stehen ab sofort modern ausgestattete Familienwohnungen
mit vier bis fünf Zimmern zum Erstbezug nach Sanierung
frei. Mit Flächen zwischen 120 und 145 m2 bedienen sie
nicht nur eine Marktlücke, wie die für das Konzept und die
Vermietung des Brunnenviertels zuständige Projektleiterin
Yvonne Manthei weiß. „Sinnvoll geschnittene Wohnungen
sind neben Ausstattung, Infrastruktur und Freizeitwert das
A und O, das zum Umzug bewegt, egal, in welchem Alter
man in kleiner oder großer Familie lebt.“ Großer Wert wird
daher auf eine denkmalschutzgerechte und energetisch
nachhaltige Sanierung der Häuser gelegt, die EffizienzStandards erfüllt. Eine ökologische Fernwärme-Versorgung
auf Basis der Kraft-Wärme-Kopplung trägt dazu bei.
Blick in das liebevoll restaurierte Treppenhaus der Rinckartstraße 12.
Foto: P. Usbeck/photoness.de, Leipziger Stadtbau AG
Hinter den Wohnungstüren erfüllen die 1- bis 5-ZimmerWohnungen im 2. Karree unterschiedliche Ansprüche auf 40
bis 150 m2. Während das Wohnen „Highline“ die ComfortAusstattung in Fragen des Designs übertrifft, spricht das
Wohnen 50+ aufgrund der weitgehenden Barrierefreiheit
auch Menschen mit Handicap an. Allen gemein sind die
schwellenlos verlegten Parkettböden, sorgfältig ausgeführte
Arbeiten von Handwerksfirmen aus der Region und das
anliegende, hochleistungsfähige Glasfasernetz, das unter
anderem auch das Smart-Wohnen möglich macht.
Zum verbindenden Element werden sich zweifelsohne die
parkähnlich gestalteten Innenhöfe entwickeln, die allen
Bewohnern Räume zur Freizeitgestaltung bieten. Rund
um das Thema Brunnen entstehen hier Spielplätze, Grillecken und Sitzgelegenheiten zum Erholen, Klönen und
Nachbarschaft leben.
Handweberei Tino Hentschel
(Georg-Schwarz-Straße 70 Telefon 01577 3111724)
Jeden Mittwoch ab 18 Uhr Textiler Werkstatttreff
Kaffee Schwarz im Juni 2013
(Georg-Schwarz-Straße 56, Telefon 0341 26586086)
Jeden Sonntag ab 10 Uhr Sunday Brunch and
Junk | jeden Mittwoch ab 21 Uhr Jazz Session |
7. Juni 19 Uhr Jenn Kelly (USA; Anti Folk) |
8. Juni 19 Uhr LLLL (Leipzig; Electronica/Spacy
Jazz) | 12. Juni 19 Uhr Jan Kyncl (Czech; Jazz) |
15. Juni Sommer Pause Party: ab 10 Uhr Trödel,
ab 21 Uhr Musik | 20. Juni 19 Uhr Finissage von
Günther (Charlie) Berger
gelungener auftakt.
Lichte Zimmer mit Parkettböden und neuen Innentüren gibt es in allen
Wohnungen. Foto: P. Usbeck/photoness.de, Leipziger Stadtbau AG
Doch auch darüber hinaus wird sich im und um das Brunnenviertel noch einiges tun. „Ein Quartier wie das Brunnenviertel lässt sich nicht losgelöst von seiner Umgebung
entwickeln“, ergänzt Yvonne Manthei. So engagiert sich der
Vorhabenträger seit längerem für den barrierefreien Ausbau
der anliegenden Straßenbahn-Haltestelle und arbeitet an
einem Zukunft orientierten Mobilitätskonzept. „Heutigen
Mietern stehen bereits großzügige, straßenseitig zugängliche Fahrradkeller und das Angebot zum CarSharing in
der William-Zipperer-Straße zur Verfügung.“ Eine Fahrradmietstation sowie eine Stromtankstelle werden sehr
wahrscheinlich folgen. Auch für das PKW-Parken liegt eine
mögliche Lösung in der Schublade.
Ebenso ist an die Ergänzung der kurzen Wege vor Ort
gedacht. So sollen weitere Dienstleistungsangebote und
Einkaufsmöglichkeiten geschaffen werden. Dabei geht es
vordergründig um die Ansiedelung eines kleinen Supermarktes, die Etablierung eines Gesundheitszentrums nebst
einem Standort für Betreutes Wohnen. Stets aktuell bleiben
die Idee, Eigentum zum Selbstausbau zur Verfügung zu
stellen, und die Offerte, Wohnen mit Arbeiten zu verknüpfen. „Auf zu entwickelnden rund 38.000 Quadratmetern
findet sich für alles Raum, das zu einem funktionierenden,
lebendigen Quartier beiträgt“, so Manthei.
Die kommenden Vermietungs-Sonntage bieten zwischen
14 und 18 Uhr neben Informationen die Gelegenheit zum
Gespräch vor Ort. Lokale Player gestalten den thematischen
Rahmen. Aktuelle Themen: www.brunnenviertel-leipzig.de
DAS BRUNNENVIERTEL ist ein Projekt der Leipziger Stadtbau AG.
Ihre Ansprechpartnerin ist Yvonne Manthei, Tel. 0341 213930, [email protected], www.brunnenviertel-leipzig.de
Viele Interessierte nutzten den 26. Mai zur Information und Besichtigung. Das Vermietungsbüro in
der Rinckartstraße 12 ist jeden Sonntag zwischen 14 und 18 Uhr geöffnet. In dieser Zeit präsentieren sich auch lokale Akteure, denn sie gestalten
das Rahmenprogramm! Den Auftakt gab die Initiative
für zeitgenössische Stadtentwicklung (IFZS). Mit dem
Projekt „Annalinde“ stellte sie einen ebenso besonderen Garten in der Stadt vor, bot Kostproben und
Jungpflanzen aus ihrem ökologischen Landbau an.
Das Vermietungsteam ist jederzeit telefonisch unter
0173 28 377 48 erreichbar.
Fotos: P. Usbeck/photoness.de, Leipziger Stadtbau AG
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KUNST & KULTUR
Ausgabe XXXIII|06 2013
THEATER IN GARTENPARZELLE 183
Romy Kuhn inszeniert ihr Stück „Utopie eigene Sparte“ im Kleingartenverein in Schleußig.
L
VON JAN-HENNING KOCH
eipzig ist und bleibt SchrebergartenHochburg. Nicht nur die Dichte an Kleingärten pro Einwohnerzahl liegt deutschlandweit mit über sechs Kleingärten
pro 100 Einwohnern landesweit an der
Spitze, auch der Leipziger Arzt Moritz
Schreber (obwohl nur vermeintlicher Erfinder der Gartensparte) verleiht dem gemeinläufigen Schrebergarten
nach wie vor seinen Namen. Und auch das Deutsche
Kleingärtnermuseum ist in Leipzig zu Hause.
Junge Paare, Familien und Singles pachten sich wieder
vermehrt ihren eigenen Kleingarten, den sie als „etwas
Eigenes, das einen festhält“ betrachten, so eine Hypothese von Regisseurin Romy Kuhn.
Für ihre neue Inszenierung „Utopie eigene Sparte“, die
am 27. Juni Premiere feiert, begibt sie sich direkt an den
Ort des Geschehens: Exemplarisch dient ihr die Gartenparzelle 183 im Kleingärtnerverein „An der Dammstraße“ in Schleußig als Spielfläche.
„Das Publikum ist Zaungast und blickt in die Parzelle
hinein. Wir haben eine Terrasse, Hochbeete und sogar
einen kleinen See. Und überall um uns herum wächst
etwas und es kommt immer wieder etwas Neues aus dem
Boden geschossen“, beschreibt Kuhn ihr ungewöhnlich
botanisches Naturbühnengelände. Auf künstliches Licht
und aufwändige Kulissen verzichtet sie. „Es gibt Musik
und Ton – und uns.“
Kuhn legt in ihrer Inszenierung den inhaltlichen Fokus
auf die neue, junge Sparten-Generation und wie sie sich
ihren Platz inmitten der Alteingesessenen sucht. Und sie
zeigt auf, wie der „Traum von etwas Eigenem“ schnell zu einer Utopie zusammenschrumpfen kann. Denn, wer im eigenen Kleingarten einen arglosen Erholungsort sucht, findet
sich, neben diversen Vorschriften und Verpflichtungen, die
befolgt werden wollen, schnell mit der „Realität der Natur
und allem, was kreucht und fleucht“ konfrontiert.
Die Theatermacherin verfolgt aber nicht in erster Linie eine kritische Auseinandersetzung. Viel mehr will sie
„exemplarische Geschichten, die über mehrere Generationen gehen“ zeigen. „Es werden die Ergebnisse unserer
Forschungen zum ‚Generationenreservoir’, wie es nur hier
vorherrscht, zu sehen sein“, verspricht Kuhn. Dabei werde
stark „die soziale Komponente der Gartensparte“ gespiegelt.
Das Stück – eine Mischung aus Tanz- und Erzähltheater – entwickelt sie gemeinsam mit ihren beiden Darstellern aus dem abgezäunten Spielort im Grünen heraus.
Und sie greift auf die reichhaltigen Chronikschätze diverser Kleingartenvereine zurück. „So gut wie jeder Gartenverein hat einen eigenen Chronisten. Es ist eine richtig eigene Welt, die sich hier seit Anfang des 20. Jahrhunderts
entwickelt hat“, erzählt die Theatermacherin.
Neben dem Schauspieler Detlef Vitzthum (67) spielt
Tänzerin Jana Rath (34) von der Leipziger Tanz- und
Performance-Gruppe „compagnie mintrotundschwarz“.
Für Vitzthum ist „das, was wir machen perfomativ theatrale Gartenarbeit“. Seit vierzig Jahren steht er im Theater der Jungen Welt auf der Bühne und feiert in diesem
Jahr folglich sein 40. Bühnenjubiläum. „Zu meinem Jubiläum bekomme ich nun die Rosen im Stück gleich mit
dazu“, sagt er schmunzelnd.
Theaterstück „Utopie eigene Sparte“ Premiere:
27.6., 19.30 Uhr; weitere Termine: 29.6., 19.30 Uhr,
30.6., 16.00 Uhr, 13.7., 19.30 Uhr, 17.8., 16.00 Uhr &
19.30 Uhr | im Kleingärtnerverein „An der Dammstraße
e. V.“, Dammstraße 1, Gartenparzelle 183 (am Ort ausgeschildert)
www.kgv-anderdammstrasse-e-v.de
Infotelefon: 0176 - 64 29 84 73
KUNST & KULTUR
Ausgabe XXXIII|06 2013
WAS VOM MYTHOS ÜBRIG BLEIBT
Die Ausstellung „Mythos Wagner“ im Klinger Forum.
W
agner, Wagner über alles? Zumindest überall! Briefmarken,
Gedenkmünzen,
ein
neues
Denkmal an der Klinger-Treppe
und vieles mehr. Die Flut der
Ehrungen anlässlich des 200.
Geburtstages von Richard Wagner hätte dem gebürtigen Leipziger sicherlich gefallen. Ob oder inwieweit diese Ehrungen gerechtfertigt sind, ist eine andere, wenngleich auch durchaus berechtigte Frage.
Wagner polarisiert. Auf der einen Seite der Musiker der
die Oper revolutionierte und die Musikwelt nachhaltig prägte, auf der anderen Seite die Speerspitze des bürgerlichen
Antisemitismus, dem er, wenn nicht allein, so doch aufgrund seiner exponierten gesellschaftlichen Stellung dazu
verholfen hat, salonfähig zu werden. Daran laboriert das
Phänomen Wagner bis heute. Hinter der Fassade des Mythos lauert viel Fragwürdigkeit, viel Ambivalentes.
Dieser Mythos „Wagner“ ist Gegenstand der derzeitigen
Ausstellung des Klinger Forums, das bis zum 7. Juli Positionen deutscher Gegenwartskünstler präsentiert, die sich
mit Wagner und dessen Werk auseinandergesetzt haben.
„Die Ausstellung stellt sich der Frage, was die Kunst
nach 1945 zum Thema Wagner anbietet.“, so die Kuratorin
Dr. Margit im Schlaa. Zu sehen ist ein Querschnitt durch
die Wagnerrezeption der deutschen Gegenwartskunst, der
die verschiedenen Herangehensweisen an die mythische
Rezeption Wagners zum Gegenstand macht. „Auch wenn
an diesem Mythos gekratzt wird, verschwindet er nicht,
sondern dehnt sich im Gegenteil dadurch immer weiter aus,
dass er die Vielfalt und die Widersprüche, die in ihm stecken, offenbart.“, so im Schlaa.
Vielfalt und Widersprüche finden sich in der Ausstellung
zu Hauf. Neben den Werken von Anselm Kiefer und Markus Lüpertz findet man Arbeiten des enfant terrible der
deutschen Gegenwartskunst Jonathan Meese. Hinzu kommen die Rauminstallationen von Henning von Gierke und
Thorsten Brinkmann.
Kiefers Holzschnitt „Brunhilde Grane“ kann als kritische Position zum zentralen Wagner-Motiv vom Liebestod gelesen werden. Als großes Andachtszeichen in einem
abgedunkelten Raum offenbart der sakrale Charakter des
Bildes – es erinnert durch seine T-Form an die frühe Form
des Kreuzes – die Schattenseite eines nihilistischen Liebestod-Ideals. Analogien zu Dürers „Ritter, Tod und Teufel“
drängen sich auf, wenn der Betrachter dem Skelett Granes
– Siegfrieds Pferd, das er als Liebespfand von Brunhilde
geschenkt bekam – gegenüber steht. Die Ödniss und Leere
gemahnen an die Auswirkungen der Politik der verbrannten Erde. Verdun und Auschwitz sind nicht wegzudenken.
Grane ist als untotes Pferd der trauernde Geist eines fatalistischen Ideals, das durch sein Streben nach Totalität
keine Vollendung finden kann.
Für im Schlaa repräsentiert die Arbeit nur vordergründig den Tod. „Grane steht stolz und aufrecht, wenn auch
als Skelett, im Scheiterhaufen und repräsentiert damit ein
sehr idealistisches Liebes-Ideal, da es den Tod der beiden
Liebenden überwindet und in die Ewigkeit transzendiert. “
9
VON MORITZ ARAND
Faden durch sein Werk ziehen.“, so im Schlaa. Diese Konstanten finden sich auch in der Ausstellung wieder. Gleichwohl werden diese an gegebener Stelle kritisch reflektiert
und in den verschiedenen Kontexten unterschiedlich dargestellt und wahrgenommen. Das Nebeneinander der verschiedenen Ansätze zeigt, wieviel Vielfalt möglich und in
Bezug auf Wagners ästhetisch-ideologische Fragwürdigkeit
nötig ist.
Bild oben links: Kuratotrin Dr. Margit im Schlaa.
Bild oben rechts: Thorsten Brinkmannsrosafarbenes Zimmer.
Bild Mitte: Thorsten Brinkmann
Bilder: © Robert Raithel | B&B PR
Unter dem Arbeitstitel „Männer ohne Frauen – Parsifal“
setzt sich Markus Lüpertz in seinen Linolschnitten mit dem
Ideal der Keuschheit auseinander. Die dargestellten Männerköpfe, die alle frontal ausgerichtet und auf wenige lineare Formelemente reduziert sind, stellen Leidensmänner
dar, die, wenn ihre Masken verschwinden, Gefahr laufen
sich aufzulösen. Das asketische Ideal, falsch verstanden als
weltfeindliche Entsagung und nicht als Einübung in Praktiken der Selbststeigerung, ist hier Ausdruck der Ich-Auflösung. Andererseits kann das Verschwinden männlicher
Idealität auch als progressiver Akt begriffen werden, der
die archaischen Männlichkeitsideale demontiert und die
verdrängten weiblichen Anteile zu integrieren versucht.
Ähnliches findet sich auch in der Rauminstallation
von Thorsten Brinkmann. Unter dem Titel „La vie en RoseRock“ zeigt Brinkmann ein rosafarbenes Zimmer, in dem
er die Figuren der Nibelungen-Saga präsentiert. Das rosa
Zimmer referiert auf Wagners Privatgemach, in dem er
sich, so die Legende, mit Damenkleidern geschmückt haben
und seinen Neigungen, welcher Art auch immer diese gewesen sein mögen, nachgegangen sein soll. Wagner als Transvestit? Warum nicht! Brinkmann zeigt hier neue Wege zu
Wagner. Auf den Fotografien, die an den Wänden hängen,
verschwinden die dargestellten Körper von Siegfried, Brunhilde und dem Zwerg Alberich hinter den Gegenständen,
die sie verkleiden. Es sind keine Gesichter zu sehen, nur
Ausdrucksprothese in Form von verbeulten Blecheimern.
Verstümmelt, zugemüllt und überfrachtet sind die Objekte
mit dem Überschuss unserer Wegwerfgesellschaft. Denn
Brinkmann arbeitet mit Materialien, die Abfall im allgemeinsten Sinne sind. Wagners Figuren erscheinen in einem kitschig-trashigen Antlitz und erhalten dadurch eine
höchst interessante und amüsante Kontur.
Die Ausstellung bietet ein differenziertes Bild, das der
Person und dem Werk Wagners durchaus gerecht wird.
Vom heroischen Überton Meeses, der beweist, dass Wagner
auch für eine nächste Diktatur erneut als Ikone genutzt
werden kann, über die Travestieshow Brinkmanns bis hin
zu den Arbeiten von Lüpertz und Kiefers, die an das Dunkle und Fragwürdige der Wagnerei gemahnen, ist alles dabei, was dem Diskurs „Wagner“ innewohnt.
„Die allgegenwärtige Aktualität und Relevanz Wagners
zeigt sich in den Leitmotiven Wagners, die sich in ihrer
Eigenschaft als anthropologische Konstanten wie ein roter
Zuwendung und Vertrauen
– seit über 110 Jahren
Ihre Vor- und Nachbehandlung
zur stationären Versorgung findet
im neuen Ärztehaus statt. Eine
telefonische Terminvergabe ist
erforderlich:
1.OG 0341 444 - 5015 Gefäßchirurgie
3.OG 0341 444 - 5016 Sprechstunden
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S
BEWEGEN & LEBEN
Ausgabe XXXIII|06 2013
FAIRPLAY MIT HAUDRAUF
1. Leipziger „Peppermint Bike Polo Cup“ in Böhlitz-Ehrenberg.
VON LAURA BIERAU
Rad, Schläger, Körpereinsatz sind die Grundelemente beim Bike Polo
ie heißen „Rasende Rabauken“, „Melonenmilch“ oder auch „Dialektische Dialyse“ –
die Teams des 1. Leipziger „Peppermint
Bike Polo Cups“, der am 25. und 26. Mai
auf dem Rollhockeyplatz in Böhlitz-Ehrenberg stattfand. 20 Mannschaften zu je
drei Mitspielern radelten und rempelten um die Wette,
um den kleinen Ball mit einem speziellen Schläger ins
Tor zu hauen.
Bikepolo, das ist eine Art urbaner Hybridsport, bei
dem sich Elemente aus dem Radball, dem Pferdepolo
und Hockey mit purer Fahrradbegeisterung verbinden.
Ein festes Regelwerk ist erst am Entstehen, weil Bikepolo in dieser Form seit gerade einmal 15 Jahren existiert
und bisher kaum institutionalisiert ist. Dem Ursprungsmythos nach begannen unterbeschäftigte Fahrradkuriere in Seattle um die Jahrtausendwende, sich mit diesem
Spiel ihre Zeit zu vertreiben. Seit 2006 rollen die PoloRadler auch in Großstädten Deutschlands. Gespielt wird
praktisch überall, wo fester Boden auf einer Größe von
ca. 22 x 44 m zu finden ist. Das Tor ist so lang und
hoch wie ein Fahrrad, die Schläger bestehen aus Skistöcken und einem Stück Rohr, Marke Eigenbau, die Räder
sind liebevoll zusammengefrickelt und „polotauglich“ gemacht. Das heißt, sie sind äußerst wendig und robust;
einige haben Speichenschutz, damit der Schläger sich
nicht verhakt. Mit einer Hand wird das Rad gelenkt, mit
der anderen der Schläger dirigiert, der Boden darf nicht
mit dem Fuß berührt werden. Passiert das, muss der
Spieler zu einem bestimmten Punkt an der Bande fahren und diesen abschlagen, bevor er weiterspielen kann.
Das Team, das als erstes fünf Tore erzielt, gewinnt.
„Das erfordert eine Menge Körperbeherrschung auf dem
Rad bis hin zu akrobatischen Fähigkeiten“, erklärt Bikepolospieler Richard, genannt Richie, die Besonderheit
dieses actionreichen Straßensports. „Bikepolo ist aber
auch klar ein Teamsport und Fairness auf dem Platz
oberstes Gebot.“, so der Leipziger weiter. Doch auch ge-
Das Siegerteam „Apollo 3“ aus Warschau ist bereits
polnischer Meister im Bike Polo
genseitiges Blocken oder an den Rand drängen gehört
zum Spiel, Stürze vom Rad kommen immer wieder vor.
Vom Parkhaus zum Rollhockeyclub
Richie kam vor sechs Jahren über Kontakte in die
Münchner Radszene zum Bikepolo und brachte das Spiel
mit nach Leipzig. Inzwischen gibt es gut ein Dutzend
Spieler in der Stadt, die sich bis zu zweimal wöchentlich
zum Polospielen treffen. Zuwachs ist immer willkommen, da man so in mehr Teams spielen kann – auch
zwei Leihräder stehen für Neulinge parat.
Lange Zeit hatten die Leipziger jedoch keinen festen
Spielort, nutzten leere Parkhäuser oder Straßenunterführungen. Vor einem Jahr kam dann der Kontakt zum
Rollhockeyclub „Aufbau Böhlitz-Ehrenberg e. V.“ zustande und kurzerhand entschieden sich die Spieler, Mitglieder im Verein zu werden. „Der Platz bietet beste Bedingungen für uns. Das und die sehr gute Kooperation mit
dem Verein hat uns schließlich motiviert, einen eigenen
Bikepolo-Cup in Leipzig auszurichten“, so Mario, der seit
einigen Jahren beim Polo dabei ist.
Da die Szene europaweit noch recht überschaubar ist,
kennen sich viele Spieler persönlich und sind untereinander gut vernetzt. Somit war es nicht schwer, BikepoloEnthusiasten aus ganz Deutschland, Polen, England,
Ungarn, Tschechien und sogar den USA nach Leipzig zu
locken. „Die Suche nach Sponsoren verlief überraschend
gut. Es gab viel positive Resonanz seitens angefragter
Sponsoren, sowohl aus Leipzig, als auch bei großen internationalen Firmen“, freut sich René, der schon bei
der Organisation der Bikepolo-Weltmeisterschaft in Berlin im Jahr 2010 mitwirkte.
„3 - 2 - 1 ... Polo!“
Trotz des kühlen Regenwetters herrscht entspannte
Stimmung auf dem Open-Air-Platz in Böhlitz-Ehren-
berg: Eine Mischung aus konzentriertem Wettbewerb
und Festivalfeeling. Während auf dem Spielfeld die
Mannschaften zunächst im 10-Minuten-Takt gegeneinander antreten, wird hinter der Bande bei Beats,
Bratwurst oder Tofuburger zugeschaut, über Regeln
diskutiert und angefeuert. Wer Gegner auf dem Feld
ist, nimmt sich nach Spielende wieder lachend in die
Arme. Bikepolo ist ein Teamsport für Individualisten
und gleichzeitig eine eigene Subkultur.
Nachdem am ersten Spieltag aus den 20 Startteams die besten 16 herausgefiltert wurden, geht es
am zweiten Spieltag um den Pokalsieg. Durchnässt
vom Dauerregen wird der neonrote Ball von den
hartnäckigsten und versiertesten Teams durch die
Pfützen gepeitscht. Wegen der rutschigen Spielfläche
häufen sich die Stürze, die Stimmung auf dem Platz
wird gegen Turnierende rabiater. „Das ist normal“,
sagt Karsten, einer der erfolgreichsten Leipziger
Spieler, der bereits selbst auf Turnieren gewann. „Einige Teams sind sehr engagiert dabei, bei denen ist
Bikepolo Lebensmittelpunkt und daher nehmen die
es sehr ernst.“ Und so machen die Profis am Ende
auch den Leipziger „Peppermint Bike Polo Cup“ unter
sich aus: Die polnischen Meister von „Apollo 3“ aus
Warschau gewinnen vor „Bambule“ aus Berlin und
„Endboss“ aus München.
Richie, Aline, Mario, René und Karsten sind nach
über einem halben Jahr Vorbereitungszeit sichtlich
zufrieden mit dem Ablauf und der Atmosphäre beim
Cup. Den jubelnden Siegern wird der selbst gebastelte Pokal überreicht, dem Rollhockeyclub und dem
großen Kreis an freiwilligen Helfern gedankt. Für sie
steht fest: Eine Wiederholung im nächsten Jahr ist
garantiert!
www.facebook.com/BikePoloLeipzig
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BEWEGEN & LEBEN
Ausgabe XXXIII|06 2013
10 Jahre Senioren-Wohnpark „Stadtpalais“ – Ein Grund zum Feiern
Am 15. Mai 2003 lud der Senioren-Wohnpark
„Stadtpalais“ das erste Mal zu einem großen
Fest in seinen historischen Garten ein – damals
zur Eröffnungsfeier des schönen Palais.
Seither haben viele Senioren in diesem wunderschönen Gebäude ein neues Zuhause gefunden und genießen das erstklassische Ambiente.
Genau 10 Jahre später, am 15. Mai 2013 öffnete der Senioren-Wohnpark erneut seine
Türen und lud zur großen Jubiläumsfeier ein.
Gemeinsam mit den Gästen, zu denen u. a.
auch der ehemalige Regionalleiter Herr Heckmann zählte, welcher das Haus vor 10 Jahren
eröffnete, blickte die Einrichtungsleiterin Maria
Franze auf die vergangenen 10 Jahre zurück.
Eine Präsentation in Bild & Ton über die kulturellen Höhepunkte der vergangenen 10
Jahre begleitete den Vortrag und gab vielen
Gästen einen Einblick in das Leben der Senioren im „Stadtpalais“.
Am Nachmittag wurde es dann richtig
gemütlich. Viele schattige Plätze unter den
Zelten und Pavillons luden Bewohner, Angehörige, Gäste und Mitarbeiter an diesem sonnigen Nachmittag zum Verweilen und Mitfeiern ein.
Und wie es bei einem runden Geburtstag
üblich ist, begann der Nachmittag nicht nur mit
Glückwünschen zum Jubiläum, sondern auch
mit dem Anschneiden einer großen, extra angefertigten Geburtstagstorte.
Der Morgen dieses sonnigen Tages begann
mit einem ganz besonderen Frühstück für die
Bewohner und einem Sektempfang mit Feierstunde für geladene Gäste.
Das bunte unterhaltsame Musikprogramm mit
Torsten Gräbert sorgte für gute Laune und lud
alle Bewohner und Gäste zum Mitsingen und
Mitschunkeln ein. Für große Freude sorgte
der Auftritt der kleinsten Gäste an diesem Tag,
den Kindern aus dem Patenkindergarten und
ihrem unterhaltsamen Programm.
Beim abendlichen Grillfest waren sich alle Bewohner, Angehörige, Gäste und Mitarbeiter
einig, dass es eine rundum gelungene Geburtstagsfeier war. Und so wurde an diesem Abend
noch einmal gemeinsam angestoßen – auf die
vergangenen 10 Jahre Senioren-Wohnpark
„Stadtpalais“ und auf die Zukunft des Hauses!
Mehr Informationen unter:
Senioren-Wohnpark Leipzig – Stadtpalais
Maria Franze, Einrichtungsleiterin
Sebastian-Bach-Straße 51
04109 Leipzig
Telefon: 0341 / 14 91 -0
Internet:
www.senioren-wohnpark-stadtpalais.de/
DER SCHLAF IST EINE TRENNUNG
Fouad Boutahars lyrisches Kurzfilmdebüt „Nachtschwärmer“.
„Lahab stammt aus Marokko und lebt mit seinem
Kind und seiner deutschen Frau in einem für ihn
fremden Land. Arbeit und Familienalltag lassen
ihm nur in der Nacht Zeit seinen Musen nachzugehen. Sein Atelier ist Schutzort, Inspiration und
Zuflucht nach Exzessen, bis ihn sein zeitintensives Doppelleben zu einer Entscheidung zwingt.
Die Liebe zu den schönen Künsten, zur Heimat
und zum Alkohol soll er gegen ein konservatives
Familienleben eintauschen?“ So lautet der Einführungstext zum Kurzfilm „Nachtschwärmer“ von
Fouad Boutahar.
D
er fünfsprachige Student der
Fremdsprachenkorrespondenz
lebt seit vier Jahren in Leipzig
und hat zusammen mit dem Kameramann Andreas Giesecke das
27-minütige Filmwerk geschaffen,
in dem sich der Protagonist mit den Diskrepanzen zwischen dem Familienalltag, dem Künstlerleben und dem Berufsalltag konfrontiert sieht und
mit zunehmender Dauer in diesem Kampf seine
Kräfte verbraucht. Seine Existenz ist vom Verfall
bedroht. Ständig müde eilt er durch seinen Tag,
ohne Ruhe zu finden. Überall tickt erbarmungslos
der Takt der Zeit und treibt ihn auf einer Kreisbahn, deren Sog ihn haltlos zu machen scheint.
Immer wieder erscheint ihm dabei eine Geisterfigur, die durch ihre Aufmachung an den Mephisto von Gustav Gründgens erinnert. „Diese Figur
VON MORITZ ARAND
reflektiert die Situation, in der der Protagonist
sich befindet.“, so Boutahar. Sein bedrohliches
Antlitz spiegelt die Gefahr wider, in der sich Lahab selbst befindet. Auf der Grundlage des Migrationshintergrundes von Lahab kann der Film auch
als Suche nach Identität in einem fremden Land
verstanden werden. Und trotzdem ist Lahab ein
normaler Mensch, ein Arabistikdozent, mit normalen Problemen, wie sie jeden Menschen ereilen.
Und wie jeder Mensch, findet auch Lahab eine Lösung.
Boutahar versteht den Film damit auch als
Kritik an der „unkonstruktiven Philosophie der
Medien hinsichtlich eines stigmatisierten Araberbildes. Der Araber ist eingedönert. Diese Situation
versuche ich dadurch zu bekämpfen, dass ich mit
meinem Film eine andere Seite des stereotypen
Araberbildes darstelle. Es ist ein Film, der meine
Koexistenz verteidigt.“ Auch wenn der Film eigene Geschichten verarbeitet, so ist er doch kein Autorenfilm, sagt Boutahar.
Der Ton des Filmes ist Boutahar genau so wichtig wie das Bild und wurde aufwendig produziert.
Mehrere Bands und verschiedene Künstler waren
am Entstehen des Soundtracks beteiligt. Die einzelnen Tracks formieren sich vor dem Bild zu einer völlig neuen und vielschichtigen Soundcollage.
Die öffentliche Teampremiere findet am 12.
Juli um 19.30 Uhr im Luru-Kino statt. Im Anschluss besteht die Möglichkeit, mit dem Team ins
Gespräch zu kommen.
12
DAS PORTRAIT
Ausgabe XXXIII|06 2013
LEBEN IST
BEWEGUNG
Maria Schüritz ist 27 Jahre alt und in Leutzsch aufgewachsen.
Sie hat in Leutzsch die 57. Grundschule besucht und anschließend in Lindenau das Robert-Schumann-Gymnasium. Sie ist
in den Bands Funky Zebra, Damario und mit dem Soloprojekt
Looped SoulSongWriting musikalisch aktiv. Bei der Kulturwerkstatt KAOS ist sie groß geworden. Sie war Kurskind, Praktikantin, ehrenamtliche Mitarbeiterin und schließlich ist sie seit 2011
für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Zudem ist
sie Initiatorin des KAOS-Kultursommers.
3VIERTEL: Wie war es damals in Lindenau?
Maria Schüritz: Lindenau war als Viertel ein bisschen
gruselig. Die Schule war eine Insel. Wir waren immer froh
in der Straßenbahn zu sitzen. Heute ist es freundlicher
und offener geworden.
3VIERTEL: Wie war Ihre Schulzeit?
M. Schüritz: Ich bin Linkshänderin und meine Kindergärtnerin hat das meiner Mutter mitgeteilt, darauf zu achten, dass das nicht umgewöhnt wird. Ich habe mich total
auf die Schule gefreut als Kind, aber kam dann immer
heulend nach Hause, weil mir der Stift immer in die rechte
Hand gedrückt wurde.
Danach war ich auf dem Robert-Schumann-Gymnasium,
das stark musisch orientiert ist. Ich war in einer Schulband und wir haben auch mal auf dem Lindenauer Markt
gespielt. Das war gut und hat Spaß gemacht.
3VIERTEL: Heute leben Sie in Schleußig?
M. Schüritz: Es wird ja oft behauptet, dass dort die Ökofaschisten leben. Ich fühle mich aber wohl zwischen diesen Menschen, die in der Lage sind, miteinander offen
und freundlich zu kommunizieren. Als ich mal in Plagwitz
wohnte und regelmäßig in der Elsterpassage einkaufen
ging, fand ich das nicht so lustig.
3VIERTEL: Was haben Ihre Eltern gemacht?
M. Schüritz: Mein Papa arbeitet schon seit gefühlten hundert Jahren im Museum für Völkerkunde. Meine Mutter
hat in Verlagen gearbeitet und gibt heute Computerkurse
für Migranten.
3VIERTEL: Sind Sie Einzelkind? Wie war Ihr Elternhaus?
M. Schüritz: Ich habe einen kleinen Bruder, der mittlerweile größer ist als ich. Wir wurden kulturell viel gefördert.
Ich bin schon 1992 im KAOS gewesen. Ich war zunächst
im Zeichenzirkel, dann habe ich ganz lange getöpfert und
getanzt. Ich war auch in einer Tanzschule, hatte seit der
dritten Klasse Gitarrenunterricht und ich war im Chor.
3VIERTEL: Warum haben Sie nicht später Kunst oder
Musik studiert?
M. Schüritz: Ich habe auch früher nie gedacht, dass ich
Kulturpädagogin werde. Ich wollte aber mal Gesang studieren, habe aber beobachtet, dass dort die Emotionalität
verloren geht, wenn die Stimmen so geschliffen werden.
Ich komme selbst vom Blues, ich mag diese Rohheit, das ist
mir wichtig. Es darf auch mal schief klingen. Alle Musiker,
die ich bewundere, haben niemals Gesang studiert. Denen
wird nachgesagt, dass sie ihre Stimmen kaputt machen,
aber das machen die seit 40 Jahren und zwar ganz fantastisch.
Ich habe eine Weile lang kommerzielle Auftritte als Sän-
gerin gemacht. Dort hat sich kein Schwein darum geschert,
dass ich mir die Seele aus dem Leib schreie, das hat mich
sehr verletzt. Deshalb will ich auch nicht abhängig davon
sein, die Lieder, die alle kennen und hören wollen, singen
zu müssen. Ich will die Lieder singen, die mich bewegen.
3VIERTEL: Wie kam es dann zu der Entscheidung für
Kultur- und Medienpädagogik?
M. Schüritz: Mein damaliger Freund, der selbst Sozialpädagogik studierte, hat mir dazu geraten. Ich habe mich
dort blind eingeschrieben und während des Studiums gemerkt, dass mir das wirklich total liegt.
3VIERTEL: Sie sind in den Bands, Funky Zebra, Damario und ihrem Solo-Projekt Looped SoulSongWriting aktiv, Mitarbeiterin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im
KAOS, Initiatorin des KAOS-Kultursommers und bieten
auch selbst Kulturpädagogische Angebote im KAOS an.
Wann schlafen Sie?
M. Schüritz: Nachts. Ich arbeite sehr effektiv, sehr schnell
und mache auch keine Pausen. Ich gebe immer 120 Prozent, deswegen schaffe ich es, genügend zu schlafen. Aber
ich merke teilweise schon, dass es gut täte, manchmal einen Gang runter zu schalten.
3VIERTEL: Schaffen Sie Ihren Tagesplan abzuarbeiten?
M. Schüritz: Nein, das ist einfach so viel. Wir sind auch
zu wenige im KAOS um dieses große Projekt adäquat bespielen zu können. Früher haben hier zwölf Festangestellte gearbeitet, heute sind es vier Vollzeitkräfte. Wir haben
trotzdem ein ähnliches Anforderungsdenken an uns selbst.
Es ist ganz schwer zu akzeptieren, dass wir in dem kleinen
Team weniger schaffen.
3VIERTEL: Sie singen in Ihren Texten von den Utopien
einer besseren Welt. Wie sieht Ihre bessere Welt aus?
M. Schüritz: Ich, als alter Star Trek Fan, träume von
einer Welt ohne Geld, in der die Aufgaben vernunftbasiert
verteilt werden und es nicht um Bereicherung geht.
3VIERTEL: Sie haben als Kind im KAOS diverse Bildungsangebote nutzen können, als Schülerin oder Jugendliche haben Sie hier Praktikum gemacht, zeitweise haben
Sie auch ehrenamtlich hier gearbeitet. Heute haben Sie
eine Vollzeitstelle. Wie schafft es die Generation Praktikum die unbezahlte Tätigkeit in eine vergütete Vollzeitstelle umzuwandeln?
M. Schüritz: Ich muss dazu sagen, dass ich eine Bürgerarbeitsstelle habe. Die ist gefördert, ein Nachfolgemodell
der ABM-Stellen. Ich arbeite hier also dreißg Stunden für
einen äußerst geringen Lohn. Und brauche noch einen
Nebenjob, um mir meine 35 Quadratmeter in Schleußig
finanzieren zu können. Ich sage mir immer, ich brauche
nicht so viel Geld, aber das ist wirklich zu wenig.
3VIERTEL: Das KAOS ist Ihr zweites Zuhause?
M. Schüritz: Der Ort verändert sich natürlich schon,
wenn man hier arbeitet. Das ist anders als wenn man als
Kind die Zeit genießt, spielt, oder als Praktikantin, wenn
man keine Verantwortung hat. Aber trotzdem ist es für
mich immer noch sehr heimisch hier, und das Team ist
auch sehr familiär.
3VIERTEL: Wie kommt Ihr Anspruch an Sie selbst zustande? Waren Ihre Eltern so streng?
M. Schüritz: Nein, mein Vater ist ganz sanft. Ich habe als
Kind immer wahnsinnig viel gemacht, war immer gewohnt
in Bewegung zu sein. Mehr Probleme haben mir die Zeit
der Ferien bereitet, die Zeit der Leere, ohne die Aufgaben.
Das ist heute immer noch so, ich arbeite aber daran zu
lernen, dass freie Zeit auch etwas Gutes sein kann.
Dazu kommt, dass ich sehr begeisterungsfähig bin und
mich die Veranstaltungen, die ich organisiere, in dem
Moment, wo sie stattfinden, faszinieren. Gerade auch die
Verschiedenartigkeit der Dinge, die ich tue. Ich mag gerne verschiedene Musik machen, also sind es gleich drei
Projekte, in denen ich mich musikalisch auslebe. Und noch
eine ganze Reihe anderer Dinge, die mich immer wieder
begeistern und nicht zur Ruhe kommen lassen.
3VIERTEL: Die Aktivitäten sind aber nie geldorientiert.
Sie machen nichts, mit der Erwartung dort endlich das
große Los zu ziehen, oder eine Karriere zu machen.
M. Schüritz: Ich habe mit fünfzehn Che Guevara gelesen,
seitdem lehne ich Geld ab.
3VIERTEL: Wir sind doch aber alle in der erzwungenen,
auferlegten Situation, uns nur mittels Geldes befreien zu
können.
M. Schüritz: Ich merke natürlich auch dort ein Umdenken.
Wenn ich freier werden möchte, heißt das natürlich auch,
dass ich in einem gewissen Maße mehr Geld benötige.
3VIERTEL: Wie stehen Sie dann zu dem bedingungslosen Grundeinkommen?
M. Schüritz: Das ist schwierig, weil damit das System ja
weiter bestehen bleibt und nach wie vor von staatlicher Seite alimentiert wird. Das ist wie ein Pflaster. Das profitorientierte Wirtschaften wird sich dadurch ja nicht ändern.
Wobei es sicher vielen Menschen helfen würde.
Aber zurück zu Star Trek: die Replikatoren-Idee beispielsweise ist doch fantastisch. Es ist natürlich eine Utopie, aber die Menschen haben immer mit Utopien gelebt,
die irgendwann vielleicht umgesetzt werden. Es ist einfach
wichtig, die Menschen dafür zu öffnen, dass die Gesellschaft anders sein könnte.
www.maria-schueritz.de
www.kaos-leipzig.de
KOMISCHE STREIFEN
Marcel Happich
http://www.emeins-x.com/