Befiehl du deine Wege

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Befiehl du deine Wege
Dankeskirche Predigt-Archiv
Befiehl Du deine Wege
(Predigt von Pfarrer Christian Weigl)
Liebe Gemeinde!
"Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt/der allertreusten Pflege des, der den Himmel
lenkt./ Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn,/der wird auch Wege finden, da dein
Fuß gehen kann."
Wie vertraut sind uns Kirchgängern diese Worte. Worte von Paul Gerhardt, aus einem der
lutherischen Kirchenlieder überhaupt.
Warum sind diese Worte und seine Lieder so beliebt? Wenn man sich diese und die folgenden
Strophen ansieht, könnte man versucht sein zu sagen: "Ganz schön billige Vertröstung. Bei mir läuft's
nicht, aber - na ja - der liebe Gott wird's dann schon richten!" Interessanterweise passiert das nicht.
Man nimmt Paul Gerhardt die Tiefe und Ernsthaftigkeit in seinen Zeilen ab. Ich denke, dass hat damit
zu tun - und vielleicht ist das das Genie von Gerhardt - dass er in seiner vollendeten Dichtung (für die
Kunst kann als alte Faustregel für "vollendet" gelten: man kann weder etwas wegnehmen noch etwas
dazutun, ohne das Werk zu zerstören; bei Paul Gerhardt ist das der Fall: es gibt kein Wort zuviel und
keins zuwenig, seine Dichtung ist vollendet), dass er also in seiner vollendeten Dichtung es fertig
bringt, doch sein Leben, seine Lebenserfahrung weiterzugeben. Heute würde man sagen: Er ist
"authentisch", und es gelingt ihm, das in seinen Worten zu transportieren und mit ihnen glaubhaft zu
sein.
Das kann eine Anregung an uns sein: Nämlich nicht "nur" zu glauben - das "nur" in
Anführungszeichen - sondern unser Leben und unseren Lebensweg immer wieder mit unserem
Glauben zu durchdringen und zu deuten; nicht auf der einen Seite Gottesdienst und Gebet und auf
der anderen unser Alltag und unser Leben - sondern an der Aufgabe dran zu bleiben, eine Ganzheit
zu finden in Glauben und Leben.
Es lohnt sich, bei einem Meister wie Paul Gerhardt einzelne Stellen und Worte genauer anzusehen.
Ich will das bei ein paar Strophen tun. Gleich die erste ist die bekannteste, nämlich: "Befiehl du deine
Wege".
Gerhardt sagt nicht: "lege deine Wege in Gottes Hand" oder "gib sie in Gottes Hand" - er sagt:
"Befiehl du deine Wege". Er tut das sicher nicht nur deshalb, um den 37. Psalm korrekt zu zitieren.
"Befiehl du deine Wege", das heißt doch: Gib dir einen Befehl! Da steckt die Lebenseinsicht dahinter,
dass Gottvertrauen nicht einfach etwas Selbstverständliches ist. Es ist lediglich oft und immer dann
selbstverständlich, wenn's einem gut geht. Wenn's einem nicht gut geht, sieht das schon anders aus.
Gerhardt hat dieses Lied gedichtet in einer schweren, zukunftsunsicheren Zeit. Er war gerade Pfarrer
im Landstädtchen Mittenwalde. Das Städtchen war vom Krieg zutiefst gezeichnet. Es herrschte
Hungersnot. Seit 5 Jahren war Frieden, davor dauerte der Krieg 30 Jahre, dieser Krieg, der schon
Gerhardts Heimatort dem Erdboden gleich gemacht hatte. Über den Unverstand, der den Krieg
möglich gemacht hat, schrieb er einmal: Diesen Unverstand "drückt uns niemand besser/in unsre
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Seel und Herz hinein/als ihr verstörten Schlösser/und Städte, voller Schutt und Stein/ihr vormals
schönen Felder/mit frischer Saat bestreut/jetzt aber lauter Wälder/und dürre, öde Heid/ihr Gräber
voller Leichen/und blutgem Heldenschweiß/der Helden, deren gleichen/auf Erden niemand weiß."
Dabei standen Gerhardts schwerste private Schicksalschläge zu dieser Zeit noch aus.
Befiehl Du deine Wege - manchmal muss man es sich bewusst befehlen, sein Gottvertrauen nicht
über Bord zu werfen. Was für Gerhardt diese schwere Zeit war, sind für uns vielleicht andere
Situationen, eine Krankheit, ein Schicksalsschlag, eine belastende Erfahrung, die Zweifel daran
nähren, ob denn da ein guter Gott über uns wacht. Gerhardts Lied sagt uns: Werft euer
Gottvertrauen nicht weg - haltet daran fest, auch wenn es ein bewusster Akt ist, auch wenn man sich
dazu zwingen muss, wenn man es sich befehlen muss. "Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf
und Bahn,/der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann."
An einer Stelle, in der zweiten Strophe, findet sich eine Lebenserkenntnis Gerhardts, die ich
gleichfalls aufgreifen möchte: "Dem Herren musst du trauen, wenn dir's soll wohlergehen/auf sein
Werk musst du schauen, wenn dein Werk soll bestehen./Mit Sorgen und mit Grämen, und mit
selbsteigner Pein/ lässt Gott sich gar nichts nehmen, es muss erbeten sein."
Das kennen wir, liebe Gemeinde: Das Sorgen, das Grämen, die "selbsteigne Pein". Gerhardt sagt uns
zunächst einmal etwas ganz Einfaches, das wir im Grunde alle wissen: sorgen und grämen - das nutzt
nichts. Keine Not ist noch durch Sorgen und Grämen behoben worden. Trotzdem tun wir's immer
wieder. Warum eigentlich? Wenn wir doch wissen, dass es nichts bringt? Zum einen kommt darin
wohl tiefe Existenzangst zum Tragen. Gerade Angst und Not sind Zeiten, in denen es drum geht, sich
ein Gottvertrauen zu befehlen - sorgen und grämen sind ein Indiz dafür, dass das Gottvertrauen nicht
mehr so einfach trägt, sondern dass es Existenzangst gibt, die uns das Leben schwer macht und unser
Vertrauen auf die Geborgenheit unseres Lebenswegs in Gott trübt. Zum anderen, denke ich, sind
"Sorgen, Grämen und selbsteigne Pein" etwas, dass wir uns anlernen und aneignen schon in der
frühen Kindheit: Wer ein trauriges Gesicht macht, bekommt Zuwendung. Wenn ein Kind weint, wird
es sofort getröstet. Und wir alle kennen das kindliche Verhalten, dass manches Kind auf einmal nicht
mehr nur weint, wenn es traurig ist, sondern auch dann, wenn es etwas durchsetzen will. Ein sicherer
Weg, sich den Lolly an der Supermarktkasse zu sichern! Die Gleichung "Grämen = Zuwendung", sagt
uns Gerhardt, geht bei Gott nicht einfach auf.
Das ist keine unbedingt erbauliche Erkenntnis. Es ist vielmehr eine Erkenntnis, zu der man durch
manche schwere, bittere Erfahrung im Leben kommen kann - eine Erkenntnis, die man sich
eingestehen muss -: Gott handelt an uns nicht nach einfachen Gleichungen. Das Gottvertrauen wird
in Situationen, in denen man das merkt, zu einem Vertrauen trotzdem: Trotz der Erfahrung, dass
Gott meine Not nicht einfach wendet, weil ich jetzt weine, sorge, mich gräme - trotzdem befehle ich
mir ein Gottvertrauen, das Gottes Wege für größer hält als meine Wege und seine Gedanken für
weitaus umfangreicher als meine Gedanken. Wenn Gerhardt sagt "es muss erbeten sein" - dieses
"erbeten" ist nicht von "bitten" abgeleitet, sondern vom Beten - , dann sagt er uns, was uns bleibt:
Das Gebet nämlich. Das vertrauensvolle Wenden an Gott.
"Hoff, du arme Seele, hoff und sei unverzagt!" heißt es in der 6. Strophe. Gerhardts Lied ist keine
Vertröstung. Es ist in Wirklichkeit nämlich kein Trostlied. Es ist ein Durchhaltelied. Er spricht uns in
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Imperativen an, in Aufforderungen: Befiehl deine Wege! Dem Herrn musst du trauen! Hoff und sei
unverzagt! Ein Durchhaltelied, liebe Gemeinde - vielleicht kommt es uns deshalb so nahe:
Weil es uns in der Tiefe klar ist - nicht immer wollen wir's wahrhaben, aber klar ist es -, dass unser
Glaube, unser Vertrauen eben kein Wissen sind, sondern Vertrauen und Glaube. Weil's doch in
Wirklichkeit nicht so ist, dass wir den liebenden, gütigen Gott auf jedem Meter unseres Weges
mühelos entdecken können. Gerhardt ist da knallharter Realist. Er beschreibt das eben Erwähnte
nämlich in der 9. Strophe: "Er wird zwar eine Weile mit seinem Trost verziehn/und tun an seinem
Teile, als hätt in seinem Sinn /er deiner sich begeben und sollt'st du für und für/in Angst und Nöten
schweben, als frag er nichts nach dir.!" Wenn Sie jetzt fragen: Was heißt das?, dann liegen Sie mit der
Frage völlig richtig, denn hier haben wir es mit einem Deutsch der Barockzeit zu tun, das heute so
nicht mehr verständlich ist. So viele Ausführungen gibt's über dieses Lied, und so viele davon tun
ganz ganz klug; aber um diese Strophe drücken sich alle. Ich habe lange nachrecherchiert nach
diesem Barockdeutsch und bin fündig geworden. Die Strophe bedeutet: Gott wird eine Weile nicht
trösten - "mit seinem Trost verziehn", das heißt "in Verzug geraten" - und es hat den Anschein, als
hätte er sich von uns abgewendet - das bedeutet "als hätt in seinem Sinn er deiner sich begeben" - ,
und zwar so, als ob wir immer weiter in Ängsten und Nöten schweben sollen, als ob sich Gott für uns
nicht interessiere. Die folgende Strophe löst es dann auf, dass dieser Zustand nicht ewig dauern wird
- aber Gerhardt ist da sehr klar: Ja, manchmal schaut's im Leben aus, als ob sich da kein Gott für uns
interessiert.
Ich betone diesen Realismus Gerhardts so, liebe Gemeinde, weil ich das Gefühl habe, dass wir uns da
doch manchmal gern drum rum mogeln: "Gott interessiert sich nicht für uns"- darf man denn so was
als frommer Christ überhaupt sagen?! Ja, dass wir uns nicht für ihn interessieren, das können wir
beklagen, aber umgekehrt - so was sagt man doch nicht… Doch, liebe Gemeinde. Paul Gerhardt lehrt
uns dieses. Er lehrt uns, am Gottvertrauen festzuhalten, ohne unsere Welt durch einen rosa
Weichzeichner sehen zu müssen. Es gibt furchtbare Ängste und Nöte, bei denen man nur sagen: Jetzt
tröstet Gott grad nicht. Und es gibt Situationen, da kommen wir mit einem herzlieben Jesulein nicht
weiter, da hilft viel eher die Erkenntnis: Im Moment ist es so, als ob sich Gott nicht für mich
interessiert!
Die Konsequenz aber ist für Gerhardt nicht, seinem Gott abzuschwören. Vielmehr ruft er dazu auf,
bei allem Belastenden nicht aufzuhören darauf zu vertrauen, dass Gottes letztes Ziel mit uns ist - so
schreibt er in der 9. Strophe -, "dein Herz zu lösen von der so schweren Last. Gott ist ein weiser Fürst,
sagt Gerhardt, einer mit wunderbarem Rat - dass wir Menschen ihn nicht begreifen, darf zu dem
Realismus führen, dass es so ist, als ob er gerade kein Interesse an mir hat. Aber dieses
Nichtbegreifen muss und braucht nicht automatisch zu der Konsequenz führen, zu meinen, Gott sei
kein guter Regent und meine es letztlich nicht gut mit uns.
Gott hat Gutes mit uns vor - daran hält Gerhardt fest, dass ist das Vertrauen, das wir haben und uns
manchmal befehlen sollen. "Erwarte nur die Zeit, so wirst du schon erblicken, die Sonn der schönsten
Freud", heißt es in der 6. Strophe. Gott hat Gutes mit uns vor. Vielleicht habe ich ihnen schon mal
einen meiner Lieblingssprüche gesagt: Man muss mit allem rechnen - auch mit dem Schönen. Darauf
können wir vertrauen. Das letzte Ziel in Gottes Walten ist das Schöne, das Heil, die Seligkeit, die
"Sonn der schönsten Freud".
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Dieses Vertrauen wünsche ich uns, in guten Zeiten als gelassenes, ruhiges Vertrauen, in schweren
Zeiten als Vertrauen zum Durchhalten, als Vertrauen trotzdem, und manchesmal als befohlenes
Vertrauen. "Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt/der allertreusten Pflege des, der den
Himmel lenkt./ Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn,/der wird auch Wege finden,
da dein Fuß gehen kann."
AMEN.
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