Frankreich, mon amour

Transcrição

Frankreich, mon amour
Zeitgeschehen
Nummer 17 • Montag, 21. Januar 2013
80 Tote bei
Geiseldrama
in Algerien
Frankreich, mon amour
Erstürmung des Gasfeldes In Amenas
beendet Terroraktion von Islamisten
Frankreich, Land der Träume und
Sehnsüchte. Ein Land, das seit jeher die
Deutschen in seinen Bann zieht. Als
Austauschlehrer hat es unser Redakteur
Winfried Weithofer in den 70er Jahren
kennengelernt. Die Geschichte einer
gelungenen Annäherung.
Kurz berichtet
Österreicher für Wehrpflicht
Junge Männer müssen in Österreich auch
weiterhin zum Militär: Bei einem Refe­
rendum sprachen sich qm Sonntag etwa
60 Prozent für die Beibehaltung von
Wehrpflicht und Zivildienst aus, wie das
Meinungsforschungsinstitut Sora ermit­
telte. Insgesamt gaben knapp über die
Hälfte der 6,3 Millionen Wahlberechtig­
ten ihre Stimme ab. Damit war die Wahl­
beteiligung deutlich höher als zunächst
erwartet. Eine bundesweite Volksbefra­
gung hatte es in Österreich zuvor noch
nie gegeben. (dpa)
Optimismus in Griechenland
In Griechenland könnte es eine Haus­
haltswende geben. Wie es aus Regie­
rungskreisen hieß, gibt es optimistische
Anzeichen dafür, dass bis Ende 2013
erstmals im Jahresdurchschnitt ein soge­
nannter primärer Überschuss erzielt
wird – ohne die Zinslast für die Schul­
den. Die Einnahmen des Staates werden
erstmals seit Jahrzehnten die Ausgaben
leicht übertreffen. Fortschritte gibt es
auch in der Wirtschaft. So haben die
Exporte 2012 im Vergleich zum Vorjahr
um 13 Prozent zugelegt. (dpa)
Angriff auf Politiker
Auf einem bulgarischen Parteikongress
hat ein Attentäter versucht, aus unmit­
telbarer Nähe auf den Vorsitzenden der
liberalen Türkenpartei, Ahmed Dogan,
zu schießen. Der Angreifer trat an Dogan
heran, als dieser eine Rede vor einem
Kongress seiner Partei DPS hielt. Dogan
blieb unverletzt. Der Mann habe ver­
sucht zu schießen, doch die Gaspistole
versagte, hieß es. Der Angreifer wollte
Dogan „nicht töten, sondern nur ein­
schüchtern“, wie die Polizei nach der
Vernehmung des 25­jährigen Türken
mitteilte. Auch die Patronen in der Gas­
pistole waren ungeeignet zum Töten – es
handle sich um Alarmpatronen. (dpa)
Patriot-Raketen auf dem Weg
Das Hauptkontingent für den Einsatz
deutscher Patriot­Abwehrraketen in der
Türkei ist von Berlin aus abgereist. Zu
den 240 Soldaten zählen auch Unterstüt­
zungskräfte. Die Raketen sollen 100 Ki­
lometer von der türkisch­syrischen
Grenze entfernt stationiert werden. (dpa)
Hintergrund
Zur Person
Frankreich
Deutschland
63,5 Millionen Einwohner 2012
82 Millionen Einwohner 2012
Die Auster
August 1976, an der französischen Atlantik­
küste. Irgendwo südlich von Bordeaux.
Mächtige Dünen, endloser goldgelber
Strand, darüber blauer Himmel. Ein schö­
ner Tag. Ich gehe auf einen Mann zu, der da
einen Stand aufgebaut hat, auf einem Tisch
stehen mehrere Eimer voller Austern. Zum
Verkauf. Auf einmal macht es knack, und er
hält mir die Muschel mit dem schleimigen
Etwas drin entgegen. „Voulez goûter?“ (Wol­
len Sie probieren?) Nach einer Schreck­
sekunde lehne ich ab: „Non, merci.“
Es ist eine Szene, an die ich mich noch
heute lebhaft erinnere. Da bietet mir ein
französischer Fischer eine Köstlichkeit an,
und ich Ignorant verschmähe sie! Sollte ich
nicht besser da urlauben, wo es Weißwürste
und Weizenbier gibt? Ich studiere damals im
zweiten Semester Französisch fürs Lehramt,
aber im Grunde meines Herzen bin ich weit
weg von französischer Lebensart – gern auf
Reisen in der Fremde, allerdings nicht auf
ein bestimmtes Land festgelegt. Ohnehin
bin ich im Jahr zuvor nur zufällig in das
Studium hineingestolpert, die Wartezeit für
Medizin ist mir einfach zu lang, und jene
Flamme für die Grande Nation, die manche
Kommilitoninnen in sich tragen, ist mir
fremd.
Die Ente, der Renault 4 – Kultautos der
68er­Generation – üben auf mich keinerlei
Reiz aus. Die gelben Scheinwerfer halte ich
für merkwürdig. Die Franzosen müssen
ziemlich lichtscheu sein, denke ich mir. Kein
falscher Eindruck: Noch heute fahren sie
gern mit Standlicht. Natürlich, von Paris bin
ich als Schüler mächtig beeindruckt – die
riesige Halle des Gare de l’Est, der Eiffel­
turm, der Arc de Triomphe und die Champs­
Elysées: Großartig, diese Architektur, aber
irgendwie unnahbar, zu gigantisch.
Winfried Weithofer
Deutsch-Französische Beziehungen
¡ Unser Redaktionsmitglied Winfried
Weithofer (58) war
1977/78 Fremdsprachenassistent in der
französischen Kleinstadt Romans. Von
damals rührt seine
tiefe Verbundenheit
zu Frankreich. In
diesem Beitrag erinnert er daran, wie es
dazu kam. (StN)
Foto: StN
ALGIR/PARIS (dpa). Das Geiseldrama in
der algerischen Wüste hat mindestens 80
Menschenleben gefordert. Einen Tag nach
dem blutigen Ende der Terroraktion fan­
den algerische Spezialeinheiten am Sonn­
tag weitere 25 Tote in der Gasförderanlage
In Amenas im Osten des Landes. Sie nah­
men bei der Erstürmung der Anlage fünf
Terroristen fest. Drei weitere Islamisten
sollen geflohen sein, berichtet der algeri­
sche Sender Ennahar am Sonntag unter
Berufung auf Sicherheitskreise. Bei der
mehrtägigen Geiselnahme und der Er­
stürmung des Gasfeldes In Amenas am
Samstag waren mindestens 80 Menschen
ums Leben gekommen. 25 der Leichen wa­
ren am Sonntag gefunden worden.
Mit der Erstürmung der Industrieanla­
ge hatte die algerische Armee am Samstag
die Geiselnahme durch islamische Terro­
risten blutig beendet. Vor dem letzten An­
griff sollen sie sieben ausländische Geiseln
ermordet haben. Die Geiselnahme war seit
Monaten für den Fall vorbereitet, dass Al­
gerien dem Drängen Frankreichs nach
Unterstützung im Mali­Krieg nachgibt.
Nach einer ersten Bilanz der algeri­
schen Regierung konnten sich 685 algeri­
sche Beschäftigte und 107 ausländische
Mitarbeiter während des mehrtägigen
Dramas selbst retten oder befreit werden.
32 Terroristen waren nach diesen früheren
Angaben „neutralisiert“ worden. Die Zahl
der toten Geiseln lag bei 23.
Die Nationalitäten der Opfer sind wei­
ter unklar. Laut dem britischem Premier
David Cameron sind mindestens drei Bri­
ten ums Leben gekommen. Vermutlich ge­
be es drei weitere Tote, sagte Cameron.
Zwei deutsche Mitarbeiter einer Bohrfir­
ma, die sich mehrere Kilometer von In
Amenas entfernt befanden, wurden aus
Algerien ausgeflogen. Die letzten Tage
hätten sie an einem sicheren Ort in der Ob­
hut algerischer Sicherheitskräfte ver­
bracht, berichtete das Auswärtige Amt.
Nach anfänglicher Kritik am Vorgehen
der algerischen Armee gab es viel interna­
tionale Unterstützung. US­Präsident Ba­
rack Obama machte die Geiselnehmer für
das Blutvergießen verantwortlich. „Die
Schuld an dieser Tragödie liegt bei den
Terroristen, die sie verursacht haben“,
hieß es in einer schriftlichen Erklärung.
Frankreichs Präsident François Hollan­
de verteidigte die Befreiungsaktion eben­
falls. Bei einem Geiseldrama mit so kalt­
blütigen Terroristen, die zum Töten bereit
seien, habe ein Land wie Algerien keine
andere Wahl gehabt, sagte Hollande.
Unser Redakteur Winfried Weithofer erinnert sich an seine Zeit als Austauschlehrer in einer französischen Kleinstadt
Städtepartnerschaften
2295 Gemeinden
Deutsch-französischer
Schulaustausch 2011
29 010
34 011
Schüler
Schüler
Anteil der Auslandsreisen im Urlaub 2011
34 Prozent
11 Prozent
Übernachtungen im Nachbarland 2011
11,6 Millionen
2,9 Millionen
Deutsche in Frankreich
Franzosen in Deutschland
Ausgabenanteil für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke an privaten Konsumausgaben 2010
13,6 Prozent
10,9 Prozent
Erasmus-Austauschprogramme
für Studenten 2011
4555
2971
deutsche
französische
Studenten
Studenten
in Frankreich
in Deutschland
Im Verein organisierte Fußballspieler
Bevölkerungsanteil 2006
7,6 Prozent
2,9 Prozent
Kinobesuche 2011
3,4 pro Jahr
1,6 pro Jahr
Weinkonsum pro Kopf 2007
53,3 Liter
AFP / StN / Hoß / Quelle: Destatis, Eurostat, daad, Atout France, Deutscher Brauer-Verband
4
24,4 Liter
Bierkonsum pro Kopf 2011
30 Liter
107 Liter
Die Sehnsucht
Es ist das französische Chanson, das mich
erstmals von Frankreich schwärmen lässt.
Ich lausche Interpreten, deren Melodien sich
so wunderbar vom angloamerikanischen
Mainstream unterschieden. Michel Sardou,
Michel Polnareff, Gérard Palaprat, Gérard
Lenorman, Pierre Groscolas – große Klasse.
Als Klingelton auf meinem Handy tönt bis
heute Sardous „La maladie d’amour“.
Die Annäherung
Frankreich und ich – wir kommen dann doch
irgendwie zusammen. Anfangs bei Urlauben
an der Côte d’Azur. Das Land lässt mich, den
jungen Studenten, einfach nicht los, es faszi­
niert mich jenseits touristischer Attraktio­
nen. Ganz allmählich, ganz sanft. Was ich
mir gerne gefallen lasse. Ich bin gerade 23,
und im Schuljahr 1977/78 als Fremdspra­
chenassistent an einem französischen Gym­
nasium angestellt – indirekt Nutznießer des
vor 50 Jahren geschlossenen Elysée­Ver­
trags. Gewiss, das Lehreraustauschpro­
gramm wurde schon zu Kaisers Zeiten ge­
gründet, aber erst mit Charles de Gaulle und
Konrad Adenauer erhält die deutsch­fran­
zösische Partnerschaft einen festen politi­
schen Rahmen, bekommen die vielen bina­
tionalen Initiativen feste Strukturen. Es ist
der Pädagogische Austauschdienst (PAD),
der mir die entscheidende Brücke baut. Und
zwar in ein Provinznest irgendwo zwischen
Grenoble und Valence.
Das Croissant
Mit meinem roten Mini 1000 bin ich am 30.
September 1977 um 4 Uhr in der Früh ge­
startet – von Stuttgart sind fast 800 Kilome­
ter zu bewältigen. Das Ziel: Romans. Auf den
ersten Blick kein heimeliger Ort. Da soll ich
neun lange Monate verbringen? Frankreich
ins Herz schließen, flüssig Französisch spre­
chen lernen? Allenthalben verfallene Häu­
ser, Gassen, in denen Schutt liegt, hässliche
Supermärkte und stillose Wohnblöcke. Das
Lycée Albert Triboulet, das Gymnasium, in
dem ich arbeiten soll, ein unansehnlicher
Zweckbau.
Aber da ist dieser grandiose Ausblick auf
die Berge! Im Massiv des Vercors mit seinen
schwindelerregenden Serpentinen sollte ich
alsbald in einer kalten Winternacht eine
Etappe der Rallye Monte Carlo verfolgen,
lange Wanderungen und viele Loipenkilo­
meter erleben. Ein Land mit dieser Kulisse:
So lasse ich mich gern gewinnen. An der
Schnittstelle zwischen Nord und Süd – die
Alpen sind nah, die Provence ist nur 100 Ki­
lometer entfernt. Und gleichzeitig verspüre
ich heimatliche Gefühle – die Isère erinnert
mich an den Neckar, der Wochenmarkt an
Bad Cannstatt. Nein, Brezeln gibt es nicht,
aber Croissants. Und was für welche! Vier
Stück, mit Honig bestrichen, kann ich locker
hintereinander verschlingen.
Die Kollegen
Im Gymnasium fühle ich mich schnell integ­
riert, mit dem Direktor spiele ich bald regel­
mäßig Tennis. Bei den Gesprächen im Spei­
sesaal des Gymnasiums kann ich anfangs
mit meinem noch recht mageren Französisch
Geschützte Käsesorten mit regionaler Herkunftsangabe 2012
45 Käsesorten
(A.O.C.-Siegel)
6 Käsesorten
(DIGH-Siegel)
Die Jubiläumsfeiern
¡ Um den 50. Jahrestag der Unterzeichnung
des Elysée-Vertrags zu feiern, haben Frankreich und Deutschland ein Deutsch-Französisches Jahr ausgerufen. In dessen Rahmen
finden noch bis Juli 2013 zahlreiche Veranstaltungen statt.
¡ Am Dienstag, 22. Januar, kommen die französische Regierung, Staatspräsident François
Hollande und der Senat nach Berlin. Auch
die Abgeordneten beider Parlamente wol-
nicht richtig mithalten, aber inmitten der
Zigarettenschwaden – Gauloises und Gi­
tanes – verfolge ich die angeregten Plaude­
reien mit Neugier. „Il pleure dans mon cœur
comme il pleut sur la ville“ (In meinem Her­
zen weint es, wie es über der Stadt regnet),
zitiert eine Französisch­Lehrerin den Dich­
ter Paul Verlaine. Alle Achtung, denke ich,
da geht es gebildet zu, da kann ich was ler­
len gemeinsam an das historische Ereignis
erinnern; alle 577 Abgeordneten der französischen Parlaments sind nach Berlin eingeladen. Im Mittelpunkt des Festakts stehen
Regierungserklärungen von Hollande und
Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie Ansprachen von Bundestagspräsident Norbert
Lammert und dem Präsidenten der Nationalversammlung, Claude Bartolone. Die
ARD berichtet ab 14.10 Uhr. (StN)
nen. Ich bin der „cher collegue allemand“,
der nette deutsche Kollege. Mein Deputat
beträgt gerade mal zehn Stunden in der Wo­
che, und so habe ich viel Zeit für allerlei
Unternehmungen. Die Deutschlehrerin
Françoise B., die mir zugeteilte Betreuerin,
nimmt sich meiner freundlich und geduldig
an, lädt mich zu sich nach Hause ein, ich
freunde mich mit ihrem Mann an, zusammen
machen wir Ausflüge, etwa zum Goethe­Ins­
titut nach Lyon. Es ist die ideale Gelegen­
heit, Französisch zu sprechen – dazu bin ich
schließlich da. Allein schon durch die fran­
zösische Umgebung dringt die Sprache in
mich ein. Franzosen, stelle ich fest, sind ja
mitteilsam, und ich bin wahren Redefluten
ausgesetzt. Allmählich komme ich mehr und
mehr herum, verbringe Abende beim Buch­
händler und auch beim Hausmeister­Ehe­
paar des Lycée, das mir – vielleicht mit Hin­
tersinn – seine Tochter vorstellt. Kino, Thea­
ter, Diaabende, Konzerte: Der Anschluss
klappt immer besser. Dass Franzosen zu mir
auf Distanz gehen, weil ich ein Deutscher
bin, erlebe ich nicht bewusst.
Der Hasenbraten
Dann mache ich mich auf, das Land zu er­
kunden, in Begleitung der Kollegen Hillary
und Genesio, Fremdsprachenassistenten am
Triboulet aus Birmingham und Salerno –
oder auch ganz allein. Nîmes, Arles, Avig­
non, Aix­en­Provence, Tarascon, Château­
neuf­du­Pape, Pont du Gard, Fontvieille,
Marseille – die ganzen Perlen des Südens er­
obere ich Sonntag für Sonntag.
Richtig geborgen fühle ich mich in einem
abseits gelegenen Dorf in den Savoyer­
Alpen, Heimat einer weiteren jungen Lehre­
rin vom Lycée. Le Moutaret heißt das warm­
herzige, liebenswürdige Nest. Hier bin ich
nicht Gast, sondern wie selbstverständlich
Teil der Familie. Die Eltern tischen Hasen­
braten auf, dazu gibt es Kartoffelgratin. Nie
hat es besser geschmeckt. Die Söhne – einer
ist heute in Le Moutaret Bürgermeister wie
damals der Vater – schenken Pastis der Mar­
ke „51“ aus, ein Klassiker. Besuch schneit
herein, an Unterhaltung herrscht kein Man­
gel. Zu dem Zeitpunkt ist mein Französisch
schon deutlich besser, den Witzen und Wort­
spielen kann ich einigermaßen folgen. Integ­
ration geht über Sprache – das ist schon da­
mals so gewesen.
Die Politik
Womit ich bei der Politik bin: Auch hier ver­
schafft mir der Aufenthalt in Romans prä­
gende Eindrücke. Zu den Parlamentswah­
len 1978 ist dort ein riesiges Plakat zu be­
staunen: „La merde reste la même, y’a que
les mouches qui changent.“ (Die Sch. . .
bleibt dieselbe, nur die Fliegen wechseln.)
Erfrischend despektierlich gegenüber der
Obrigkeit, so was gefällt mir. Und ich lerne,
dass den Franzosen die Aufmüpfigkeit in
die Wiege gelegt ist. Gestreikt und
demonstriert wird in Frankreich stets mit
erheblich mehr Heftigkeit als rechts des
Rheins. Auf der anderen Seite bewundere
ich die von Staatspräsident Charles de
Gaulle gepflegte Toleranz. Über den Dich­
ter und Kommunistenfreund Jean­Paul
Sartre soll er gesagt haben: „Sartre, c’est
également la France.“ (Sartre, das ist eben­
falls Frankreich).
Das ist das Land, wie ich es liebe. (wei)
Mit Hip-Hop Barrieren überwinden
Wie Zwillingsbrüder aus Freiburg Deutsche und Franzosen zusammenbringen
Von Christian Ignatzi
FREIBURG. Till und Felix Neumann können
sich derzeit vor Aufträgen kaum retten. Im
Jubiläumsjahr der deutsch­französischen
Freundschaft merken sie, dass ihre Arbeit
erstmals richtige Früchte trägt. Vorurteile,
Argwohn oder gar Hass zwischen Deutschen
und Franzosen, das kennen die 29 Jahre al­
ten Zwillinge aus Freiburg im Breisgau
nicht. Sie geben deutsch­französische Hip­
Hop­Kurse dies­ und jenseits des Rheins.
„Als wir Kinder waren, waren wir immer
mit unseren Eltern in Frankreich im
Urlaub“, erinnert sich Till, der derzeit
hauptberuflich als Journalist in Lahr arbei­
tet. „Über die Jahre hat sich eine Liebe zu
unserem Nachbarland entwickelt.“ Nach
Abitur und Zivildienst gingen die Brüder ge­
meinsam nach Lons le Saunier im französi­
schen Jura und arbeiteten dort in einer Ein­
richtung für behinderte Kinder. Anschlie­
ßend studierte Till Französische Literatur,
Sprachwissenschaften und Medien. Bruder
Felix entschied sich für Soziale Arbeit und
Politik. Die Liebe zum Nachbarland blieb
bei beiden bestehen.
Heute sprechen die Brüder fließend Fran­
zösisch. Ihre Hip­Hop­Band heißt in
Deutschland Zweierpasch und in Frank­
reich Double­Deux. „Wir rappen schon, seit
wir 16 waren“, erinnert sich Till. „Zunächst
Rapper Till und Felix Neumann
Foto: StN
nur auf Deutsch, aber als wir in Lons eine
Band kennengelernt haben, mit der wir
einen französischen Song gemacht haben,
war die Idee geboren, zweisprachige Musik
zu machen.“ Für die Brüder spiegelt Musik
wider, was sich gerade im Leben abspielt,
„daher war es ein ganz normaler Schritt,
diesen Weg zu gehen“, sagt Till.
Ein nicht ganz so normaler Schritt folgte
2006, als Felix und Till eine Ausbildung zum
deutsch­französischen Sprachlehrer und
Jugendbetreuer bei der Gesellschaft für
übernationale Zusammenarbeit (GUEZ) in
Wasserburg machten. „Der Verein organi­
siert Jugendbegegnungen zwischen Deut­
schen und Franzosen“, sagt Till. „Jeder Be­
treuer sollte bei diesen Begegnungen eine
Langzeitaktivität anbieten, und wir haben
uns dann überlegt, dass es doch eine gute Sa­
che wäre, Rap­Workshops anzubieten.“
Die Idee wurde mit Begeisterung ange­
nommen. Eltern, Lehrer und Schüler hatten
großen Spaß an den Projekten der Neu­
mann­Brüder. Die Workshops haben die bei­
den mittlerweile gut ausgebaut, und sie sind
so beliebt, dass sie etwa alle zwei Wochen
unterwegs sind. „Wir geben Konzerte als
Zweierpasch, geben Workshops oder ver­
knüpfen auch beides“, erzählt Till. Mittler­
weile sind sie auch verstärkt in Frankreich
unterwegs und werden oft von Schulen ge­
bucht. „Das Problem ist, dass sie meist kein
Budget für so etwas haben, deshalb versu­
chen wir momentan, in Förderprogramme
aufgenommen zu werden“, sagt Till.
Das Interesse an der anderen Sprache ist
bei den Schülern oft nur sporadisch vorhan­
den. „Und dass sich immer weniger Kinder
für die Sprache des Nachbarlandes interes­
sieren, ist kein Geheimnis“, sagt Till. Mit
Hip­Hop­Kursen könnte man da gegensteu­
ern, denkt er. „Es wäre größenwahnsinnig,
wenn wir sagen, dass wir in der Gesellschaft
generell etwas verändern können, aber wir
merken schon, dass die Kinder großen Spaß
daran haben, wenn wir ihnen die jeweils an­
dere Sprache näherbringen.“
Die Musik soll dabei helfen, die Sprach­
barrieren zu überwinden. „Wenn du rappst
und im Rhythmus der Musik drin bist, dann
vergisst du, dass du das gerade in einer ande­
ren Sprache tust“, sagt Till.

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