Melanie Hembera
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Melanie Hembera
Die Außenstelle Ludwigsburg Jahrgängen geordnet. Sämtliche dabei entsta Vorgänge werden nach Vorermittlungsver Ermittlungsakten aufgeschlagen: Aufklärung und Strafverweiteren Ermittlungssachen und Bearbeitun folgung von NS-Verbrechen an den Häftlingen stiger desjustizieller, jüdischen amtlicher und privater Ang heiten und Anfragen klassifiziert. Zwangsarbeitslagers Pustków Meine im Jahr 2008 geschriebene Magisterarbeit zur nationalsozialistischen Ausbeutungs- und Vernichtungspolitik im besetzten Polen am Beispiel des jüdischen Zwangsarbeitslagers (ZAL) Pustków stützte sich in der Hauptsache auf Ermittlungsakten der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen. Wie kaum ein anderer Quellenbestand vermögen es die dortigen Unterlagen, ein multiperspektivisches Bild der nationalsozialistischen Einzel- und Massenverbrechen zu vermitteln. Der vorliegende Beitrag will einen Einblick in diese Unterlagen aus sogenannten NSG-Verfahren geben und exemplarisch veranschaulichen, welcher Erkenntnisgewinn aus der Archivarbeit gezogen werden kann. Im Mittelpunkt meiner Magisterarbeit stand das Zwangsarbeitslager Pustków1. Für die Rekonstruktion des Lagerkosmos habe ich die von der Zentralen Stelle unter dem damaligen Aktenzeichen AR-Z 280/59 angelegten bzw. geführten Vorermittlungsakten herangezogen. Diese haben die Tötungen von Häftlingen des ZAL Pustków im Bereich des SS-Truppenübungsplatzes Heidelager bei Dȩbica im damaligen Distrikt Krakau sowie die Teilnahme des dortigen SS-Bataillons an „Aussiedlungen“2 in Tarnów, Dȩbica und anderen Orten zum Gegenstand3. Die inhaltliche Erschließung erfolgt bei de rakters bieten gerade ermittlungsverfahren diese Dokumenten- und bzw.Ermittlungssache sachthematischen, insbesondere nach orts- u Quellentypen einen guten Einstieg in einen Verheitenbezogenen Gesichtspunkten. Der Ansat fahrenskomplex und seine Aktenüberlieferung. Unterlagen als Sachakten zu erschließen, erm Konkretisierung und Ausdifferenzierun Vor allem die Anklagedie(134 Seiten umfassend) Zusammensetzung. Somit werd sowie das Urteil (310 heterogenen Seiten umfassend) geben Beispiel Hauptakten sehr detailliert Aufschluss überdiedas Gesamtge-der Zentralen Ste Mehrfertigungen staatsanwaltschaftlich schehen des Verbrechens. Gegliedert in der mehrere mittlungen, Abschnitte enthalten sie nicht nurDokumentenAngaben zurund Anlagenbänd auch Sammlungen Vernehmungsniedersc Beweisführung sowie Schilderungen desvon Tatvorund Lichtbildmappen ganges. Ein Überblick Urteile zum historischen Kontext im Einzelnen b in der Datenbank gespeichert. Dies erlau hilft dabei, das konkreteund Geschehen einzuordnen. besondere bei zahlreichsetzt überlieferten mehrbä Das Gros der vorliegenden Verfahrensbände Ermittlungsvorgängen die sich indes zusammen aus den Aussagen, sowohlDarstellung ihrer nen Bestandteile innerhalb von Zeugen als auch von Beschuldigten. Die Aus-einer Serie. sagen, die etwa 70 Prozent des Aktenumfangs Um dieihres Fundstellenangaben ausmachen, können anhand Entstehungs- der Karteisystem in einem anderen Beitrag dieses Heftes ein zeitpunkts nach zwei die Kategorien unterschieden werden: erstens Befragungen, die kurze Zeit nach Kriegsende gemacht wurden und zweitens solche, die hauptsächlich in den 1960er und frühen 70er Jahren entstanden sind. Bei ersteren handelt es sich im wesentlichen um protokollierte Aussagen überlebender Opfer, die durch das Jüdische Historische Institut in Warschau durchgeführt und im Zuge der Ermittlungen in die deutsche Sprache übersetzt wurden. Das Verfahren Summa summarum weist dieses Verfahren 14 Bände, eine Anklage- und eine Urteilsschrift sowie zwei Lichtbildmappen auf. Mit einer Blattzahl von circa 3.800 finden sich in diesen Bänden eine Reihe ganz unterschiedlicher „Quellenarten“, so beispielsweise ein Ermittlungsbericht der Zentralen Stelle, eine Übersicht über die mit dem Verbrechenskomplex zusammenhängenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, eine Einstellungsverfügung der nach der Strafprozessordnung StPO zuständigen Staatsanwaltschaft Hannover, sowie die Anklage- und Urteilsschrift aus der Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht bei dem Landgericht Hannover. Aufgrund ihres die Ermittlungsergebnisse zusammenfassenden Cha- Die Vorermittlungen der Zentralen Stelle sollten die im Zwangsarbeitslager Pustków begangenen nationalsozialistischen Gewaltverbrechen aufklären und dadurch den Kreis derer feststellen, die strafrechtlich noch für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden konnten. Außer gegen die Bewachungsmannschaften des Lagers richteten sich die Ermittlungen auch gegen Angehörige des auf dem Truppenübungsplatz der SS stationierten Bataillons von SS-Soldaten; diese wurden nicht nur wegen Verbrechen an den Häftlingen des ZAL verdächtigt, sondern auch wegen ihrer Teilnahme Vorläufige Klassifikationsgruppen an systematischen antijüdischen Vernichtungs- des Bestandes B 162 maßnahmen im Distrikt Krakau. Mitteilungen aus dem Bundesarchiv – 82 83 Mitteilungen aus dem Bundesarchiv – Themenheft 2008 Die Außenstelle Ludwigsburg Die Außenstelle Ludwigsburg Jahrgängen geordnet. Sämtliche dabei entstandenen Vorgänge werden nach Vorermittlungsverfahren, Der Truppenübungsplatz der Waffen-SS und das weiteren Ermittlungssachen und Bearbeitung sonauf diesem Gelände errichtete ZAL Pustków, stiger justizieller, amtlicher und privater Angelegendas von 1940 bis Juli 1944 bestand, befanden heiten unddem Anfragen klassifiziert. sich auf Gebiet der Kreishauptmannschaft Dȩbica innerhalb des Distrikts Krakau des GeDie inhaltliche Erschließung bei besetzten den Vorneralgouvernements, wie dieerfolgt deutsch ermittlungsverfahren und Ermittlungssachen nach Gebiete Polens, die nicht dem Deutschen Reich sachthematischen, insbesondere orts-4. und eineinverleibt wurden, bezeichnetnach wurden heitenbezogenen Gesichtspunkten. Der Ansatz, diese Unterlagen als Sachakten zu erschließen, ermöglicht Die im Lager und auf dem SS-Truppenübungsdie und Ausdifferenzierung platzKonkretisierung begangenen Verbrechen waren keine ihrer isoheterogenen Zusammensetzung. Somit werden lierten Taten; sie fügten sich vielmehr ein inzum die Beispiel die Hauptakten der Zentralen Stelle, die menschenverachtende, verbrecherische deutsche 5 Mehrfertigungen der staatsanwaltschaftlichen ErBesatzungsherrschaft zwischen 1939 und 1944 . mittlungen, und gewaltvollen Anlagenbände,Überaber Die VielzahlDokumentender spontanen, auch von Vernehmungsniederschriften, griffeSammlungen und die systematisch durchgeführten DeUrteile und Lichtbildmappen im Einzelnenauf benannt portationen und Vernichtungsaktionen dem und in der gespeichert. Dies erlaubt insGebiet derDatenbank Kreishauptmannschaft Dȩbica wurden besondere zahlreich überlieferten in einem bei sogenannten Basis- odermehrbändigen FlächenverErmittlungsvorgängen Darstellung ihrer fahren aufgeklärt. Diedie Vorermittlungen dereinzelZennen Bestandteile innerhalb einer Serie. tralen Stelle (AR-Z 162/67, 9/78, 48/82 u.a.), an welche sich förmliche Ermittlungen der StaatsUm die Fundstellenangaben der Karteisysteme, auf anwaltschaft Hannover anschlossen, richteten die einem zahlreiche anderen Beitrag dieses Heftes eingegansichingegen Angehörige der deutschen Besatzungsorgane von Wehrmacht, Waffen-SS, Sicherheitspolizei, Gendarmerie und der Zivilverwaltung sowie in einzelnen Fällen auch gegen einheimische Kollaborateure, die zwischen 1939 und 1944 in der Kreishauptmannschaft Dȩbica eingesetzt waren. Die Liste der Beschuldigten war dementsprechend umfassend, ebenso die Zahl der gegen polnische Zivilisten, hauptsächlich jüdischen Glaubens, verübten Gewalttaten. Ausgelöst wurden die Ermittlungen durch Anzeigen der polnischen „Hauptkommission zur Erforschung der HitlerVerbrechen in Polen“, die über die Ludwigsburger Zentrale Stelle der Staatsanwaltschaft Hannover zugeleitet wurden6. Die auf die Verbrechen im ZAL Pustków und seine Umgebung fokussierenden Ermittlungen hatten schon vor 1967 eingesetzt. Wie auch im Fall des Basis- bzw. Flächenverfahrens ist die lange Verfahrenschronologie augenfällig. Der Ursprung der Ermittlungen war eine Anzeige eines ehemaligen Häftlings des ZAL Pustków vom 2. Januar 1959 bei der Kriminalpolizei in Bielefeld: Ignatz Vorläufige Klassifikationsgruppen des Bestandes B 162die auf W. bezeugte eine Reihe von Tötungen, dem SS-Truppenübungsplatz, insbesondere je- gen wird, transparent zu halten, werden neben der Aufnahme des Aktenzeichens insbesondere auch die doch im dort befindlichen Lager, an Häftlingen Band- und worden Blattangaben konsequent berücksichtigt1. begangen waren. Zusätzlich werden Verlauf und Ausgang des Verfahrens durch den Hinweis aufBielefeld einschlägige Dokumente Die Staatsanwaltschaft leitete daraufwie ein Abschlussberichte, Einstellungsverfügungen, hin förmliches Vorermittlungsverfahren ein, Anklageundeingestellt Urteilsschriften dokumentiert. das jedoch wurde, da der Aufenthalt des Beschuldigten nicht festgestellt werden 7 Vorgänge, die zum Zweck der Bearbeitung sonstiger konnte . Noch im gleichen Jahr, 1959, wurde eine justizieller, amtlicher und privaterAkten Angelegenheiten Mehrfertigung der Bielefelder der Zenund Anfragen angelegt worden sind und oft nur wetralen Stelle in Ludwigsburg zu weiteren Vorernige Blatt beinhalten, neu geordnet und zu mittlungen übersandt.werden Dort stellte man zunächst sinnvollen und kompakten Akteneinheiten zusameine Verbindung zum Strafverfahren der Staatsmengefasst, über die Aktenzeichen recherchieranwaltschaftdieFlensburg gegen Martin Fellenz bar gehalten und Anderewerden. her. Martin Fellenz, Stabsführer beim SS- und Polizeiführer Krakau, dem regiVorermittlungsund Ermittlungsvorgänge, die uronalen Entscheidungsund Koordinationszensprünglich einem bestimmten eigenen Betreff trum für diezuNS-Vernichtungspolitik im Distrikt begonnenwurde wurdenimund als solche den KarteisyKrakau, Januar 1966 in wegen Beihilfe stemen erfasst im Laufe der Ermittlungen zum Mord zu sind, eineraber mehrjährigen Haftstrafe ver8 aufgrund eines identischen Sachverhaltes mit andeurteilt . ren Vorgängen verknüpft und ab diesem Zeitpunkt nichtVerlauf mehr eigenständig geführt wurden Im der Vorermittlungen der (sogenannZentralen te verbundene Vorgänge) werden in bestimmten Stelle ergaben sich aber auch konkrete Hinweise Archivnummernbereichen (ohne Aufbewahrungsauf den Täterkreis des ZAL Pustków: Der ehemalige SS-Oberscharführer Ernst Kops, dem die Leitung des Lagers von Juni 1941 bis Oktober 1942 oblag, wurde zahlreicher Mordtaten an jüdischen Häftlingen verdächtigt, die er eigenständig sowie gemeinschaftlich mit weiteren SS-Angehörigen der ZAL-Lagermannschaft begangen haben sollte. Gegen Kops ermittelte die Zentralstelle in Dortmund ab dem Jahre 1963. Das Verfahren wurde eingestellt, nachdem Ernst Kops im Jahre 1965 Suizid verübt hatte9. Allerdings gingen aus den Ermittlungen gegen den ehemaligen ZAL-Lagerkommandanten zahlreiche Unterverfahren hervor, so etwa auch gegen Hans P. Frühzeitig war der Angehörige des damaligen Kommandantur-Stabes des SSTruppenübungsplatzes beschuldigt worden, eine Vielzahl von Tötungshandlungen begangen zu haben. Auf den Antrag der Staatsanwaltschaft Hannover eröffnete der Untersuchungsrichter beim Landgericht Hannover am 19. Juli 1971 die gerichtliche Voruntersuchung gegen P.10. Fortan galt Hans P. als Hauptbeschuldigter des Pustków-Ermittlungsverfahrens. Hans P. wurde im Jahre 1973 wegen Mordes in zwei Fällen zu einer zweifachen lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt11. Mitteilungen aus dem Bundesarchiv – Themenheft 2008 Mitteilungen aus dem Bundesarchiv – Themenheft 2008– Themenheft 2008 Mitteilungen aus dem Bundesarchiv Die Außenstelle Ludwigsburg Die Quellen in den zum ZAL Pustków angelegten Ermittlungsakten der Zentralen Stelle erstrecken sich somit über einen Zeitraum von 1945 bis 1973 und beinhalten alle wichtigen Erkenntnisse und Ergebnisse der strafrechtlichen Aufklärungs- und Verfolgungstätigkeit mehrerer bundesdeutscher Justizbehörden. Aktenimpressionen I: Opferschicksale Die Arbeits- und Existenzbedingungen der Häftlinge des ZAL Pustków differierten sehr stark: Nicht zu jeder Zeit des Bestehens des Arbeitslagers gestaltete sich der Alltag für die Häftlinge gleich; somit muss in der Betrachtung einerseits der Faktor Zeit berücksichtigt werden. Ein weiterer maßgeblicher Faktor stellte die Art der Beschäftigung und der jeweilige Einsatzort, an welchem diese verrichtet werden musste, dar. Nicht nur die Lebensbedingungen der Facharbeiter waren zumindest zeitweise aufgrund der anfänglichen Gewährung von Privilegien erträglicher, sondern auch die auszuführende Arbeit wies nicht überall derart mörderische Züge wie auf den Baustellen auf. Dort wurden den jüdischen Zwangsarbeitern häufig Arbeiten abverlangt, die vor allem aufgrund der mangelnden Ernährung kaum auszuführen waren. Nachdem im März 1942 eine „Aussiedlung“ in der nahe gelegenen Stadt Mielec stattgefunden hatte, wurde ein Teil der jüdischen Einwohner auf den SS-Truppenübungsplatz verschleppt, wo innerhalb des bereits bestehenden ZALs ein abgetrennter Lagerkomplex errichtet wurde. Dieser bestand jedoch nicht lange. Denn schon im September des Jahres fand eine groß angelegte „Aussiedlung“ der jüdischen Zwangsarbeiter des ZAL Pustków statt, wobei die überwiegende Zahl der Häftlinge des so genannten „Z-Lagers“ mit aller Wahrscheinlichkeit in das Vernichtungslager Belźec deportiert wurde. Zurück blieben hauptsächlich jüdische Häftlinge, die als unersetzbare Facharbeiter galten12. Die nachstehenden, exemplarisch ausgewählten Auszüge aus den Ermittlungsakten vermitteln einen konkreten Eindruck vom Leidensweg der Opfer. Sie dokumentieren den alleinigen Zweck des ZAL: Ausbeutung bis zur Erschöpfung - Arbeit, Jahrgängen geordnet. Sämtliche dabei entsta Vorgänge werden nachderVorermittlungsver Gewalt und Sterben bestimmten den Alltag weiteren Ermittlungssachen und Bearbeitun Häftlinge. stiger justizieller, amtlicher und privater Ang heiten und Anfragen klassifiziert. Der Weg der Opfer in das ZAL Pustków Die inhaltliche Erschließung erfolgt bei de Anfangs wohnte ich inermittlungsverfahren Warschau und im und JahrErmittlungssache insbesondere nach orts- u 1939 siedelte ich nach sachthematischen, Rzeszow ueber. Dort blieb heitenbezogenen Gesichtspunkten. Der Ansat ich bis April 1940. An [sic!] diesem Monat wurde Unterlagen als Sachakten zu erschließen, erm ich bei einer Strassenrazzia von SS-Leuten aufgedie Konkretisierung griffen und ins Lager Pustkow verschickt. und Ausdifferenzierun Zusammensetzung. Somit werd (Aussage Leopold Arieheterogenen W. vom 10.8.1961, in: Beispiel die Hauptakten der Zentralen Ste BArch, B 162/5283, Bl. 170) Mehrfertigungen der staatsanwaltschaftlich mittlungen, Damals zwangen die Deutschen denDokumentenJudenrat, einund Anlagenbänd auch Sammlungen Kontingent für die Arbeitslager zu stellen.von DerVernehmungsniedersc JuUrteile und Lichtbildmappen denrat schickte die ärmste Bevölkerung und die im Einzelnen b und in der Datenbank gespeichert. Dies erlau Flüchtlinge hin, unter ihnen befand auch ich mich. besondere zahlreich überlieferten mehrbä Die Reichen konnten sich mit Geldbeifreikaufen. Ermittlungsvorgängen die Darstellung ihrer (Aussage Samuel S., o. D., in: BArch, B 162/5291, nen Bestandteile innerhalb einer Serie. Bl. 1967) UmMielec die Fundstellenangaben Nach der Aussiedlung aus gelangte ich am der Karteisystem diePustkow. in einem anderen Beitrag 9. März 1942 in das Lager Nachdem man dieses Heftes ein die Älteren zu einem Transport zusammengestellt hatte und die Jüngeren ins Lager zuteilte (ca. 600 Menschen), trieb man uns 24 km mit 25 kg Gepäck pro Person zu Fuß zum Lager Pustkow. (Aussage Maurycy B. vom 9.9.1946, in: BArch, B 162/5291, Bl. 1973) Ich kam in das Ghetto nach Reichshof [Rzeszów, M.H.], wo ich bis etwa Ende 1942–Anfang 1943 blieb. Zu jener Zeit hörten wir, dass das Ghetto aufgelöst werden sollte. Da ich wusste was das bedeuten würde, meldete ich mich als Freiwilliger zum Arbeitslager Pustków. (Aussage Jehuda K. vom 29.12.1970, in: BArch, B 162/5292, Bl. 2162) Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Häftlinge Als ich im Frühjahr 1942 nach Debica kam, waren am SS-Truppenübungsplatz einige Arbeitskommandos, die aus Juden bestanden, mit dem Ausbau des Übungsplatzes (Straßenbau, Barackenbau) beschäftigt. Vorläufige (Vernehmung Alois K. vom Klassifikationsgruppen 16.10.1967, in: des Bestandes B 162 BArch, B 162/5288, Bl. 1185) Mitteilungen aus dem Bundesarchiv – 84 85 Mitteilungen aus dem Bundesarchiv – Themenheft 2008 Die Außenstelle Ludwigsburg Die Außenstelle Ludwigsburg Jahrgängen geordnet. Sämtliche dabei entstandenen Vorgänge werden Aufenthalts nach Vorermittlungsverfahren, Zu Beginn meines in Pustkow habe ich weiteren und Bearbeitung gearbeitetErmittlungssachen in der Unterkunftsverwaltung. Ich sonwar stiger justizieller, amtlicher und privater Angelegenmit verschiedenen Aufgaben betraut, z.B. habe ich heiten und Anfragen gedolmetscht. klassifiziert. fuer die Deutschen (Aussage Mosche B. vom 30.5.1972, in: BArch, Die inhaltliche erfolgt bei den VorB 162/5293, Bl.Erschließung 2380) ermittlungsverfahren und Ermittlungssachen nach sachthematischen, insbesondere nach und einWir verlegten Telephonleitung und ortsrichteten die heitenbezogenen Ansatz, diese Anschlusse [sic!]Gesichtspunkten. ein. Bei solchenDer Gelegenheiten Unterlagen Sachakten zu erschließen, ermöglicht kamen wir als auch in die Wohnungen der SS Offidie Konkretisierung Ausdifferenzierung ihrer ziere, die aus diesemund Grund Wert darauf legten, heterogenen Zusammensetzung. Somit werden dass wir sauberer und besser gehalten wurdenzum als Beispiel die Hauptakten der Zentralen Stelle, die die übrigen jüdischen Häftlinge. Mehrfertigungen der vom staatsanwaltschaftlichen Er(Aussage Salo S. 7.1.1971, in: BArch, mittlungen, B 162/5292,DokumentenBl. 2214f.) und Anlagenbände, aber auch Sammlungen von Vernehmungsniederschriften, Urteile und Lichtbildmappen im Einzelnen benannt Mit Ausbruch des Krieges zwischen Deutschland und in der Datenbank gespeichert. erlaubt insRussland im Jahre 1941 undDies mit der Ueberbesondere zahlreich überlieferten mehrbändigen nahme desbei Lagers durch SS-Unterscharführer K. Ermittlungsvorgängen die Darstellung ihrer einzel[...] hat sich die Lage der Juden im Lager Pustkow nen einer Serie. wie Bestandteile auch auf deninnerhalb Arbeitsstellen sehr verschärft. (Aussage Leopold Arie W. vom 10.8.1961, in: Um die B Fundstellenangaben BArch, 162/5283, Bl. 170)der Karteisysteme, auf die in einem anderen Beitrag dieses Heftes eingeganIm Judenlager war ich nur einmal. Es war eine Seuche ausgebrochen oder es bestand die Gefahr eines Ausbruchs einer solchen. Ich war damals entsetzt, weil es Flöhe in Massen gab. (Vernehmung Berndt v. S. vom 19.6.1962, in: BArch, B 162/5284, Bl. 329) Vorläufige Klassifikationsgruppen des Bestandes B 162 gen wird, transparent zu halten, werden neben der Aufnahme des Aktenzeichens insbesondere auchhaldie Die Kost war miserabel, aber die Menschen 1 BandBlattangaben konsequent berücksichtigt . fen sichund damals noch dadurch, daß sie Kontakt zur Zusätzlich werden Verlauf und Ausgang des VerfahAußenwelt und zu den Polen hielten, die noch als rens durch den auf einschlägige Tagelöhner zurHinweis Arbeit dorthin kamen. Dokumente wie Abschlussberichte, (Aussage Oskar F. vomEinstellungsverfügungen, 27.6.1946, in: BArch, AnklageundBl. Urteilsschriften dokumentiert. B 162/5291, 2003) Vorgänge, die zum derein Bearbeitung Zum Frühstück gabZweck es Brot, Laib von sonstiger 1 ½ Kilo justizieller, amtlicher undStück privater Angelegenheiten für 6 Personen und ein Margarine von 15 g und Anfragen angelegt worden sind und oft nur wesowie schwarzen bitteren Kaffee. nige Blatt beinhalten, werden neu geordnet und zu Mittagessen: Schwarzer Kaffee. sinnvollen und kompakten Akteneinheiten zusamAbendbrot: 1 Ltr. Suppe, vorwiegend Wasser, einimengefasst, die über die Aktenzeichen recherchierge Gerstengraupen, Rüben, selten einmal Kartofbar gehalten werden. feln und wenn, dann schwarz in der Pelle. Nach einiger Zeit wurde die Brotration erhöht. Es Vorermittlungsdie urgab zwei Brote und für 5Ermittlungsvorgänge, Personen – das 4 Wochen sprünglich– zu eigenen Betreff hindurch undeinem dann 1bestimmten Brot für 5 Personen. begonnen wurden undvom als solche in den (Aussage Jozef H. 7.7.1945, in:KarteisyBArch, stemen erfasstBl. sind, aber im Laufe der Ermittlungen B 162/5291, 2015) aufgrund eines identischen Sachverhaltes mit anderen sind Vorgängen verknüpft und und ab diesem Zeitpunkt Es auch viele Häftlinge Zwangsarbeiter nicht eigenständig gebracht geführt wurden (sogenannzu mirmehr zur Behandlung worden. Die meite verbundene Vorgänge) werden in bestimmten sten von ihnen waren schwer misshandelt worden, Archivnummernbereichen (ohne und Aufbewahrungsein Teil litt an Unterernährung ein anderer Teil an körperlicher Erschöpfung. Es gab auch viele Fälle von Flecktyphus. Mir ist nicht bekannt, auf welchen Arbeitsstellen die Misshandlungen stattgefunden haben. Geschlagen wurde überall, von wenigen Ausnahmen abgesehen. So war beispielsweise die Telefonabteilung für die jüdischen Baustelle der Schießstände im Anfangsstadium. BArch B 162/401, Bild 3 Mitteilungen aus dem Bundesarchiv – Themenheft 2008 Mitteilungen aus dem Bundesarchiv – Themenheft 2008– Themenheft 2008 Mitteilungen aus dem Bundesarchiv Die Außenstelle Ludwigsburg Wie ich in meinen Aussagen bereits angab, kam es des oefteren zu Toetungshandlungen an den Arbeitsstellen. Besondere Anlaesse zur Erschiessung gab es keine. Es herrschte damals voellige Willkuer und wer einen Juden erschoss, konnte mit einer Auszeichnung, wie z.B. zusaetzlichen Urlaub etc. rechnen. Es gab damals nur wenige Deutsche fuer die wir Juden auch Menschen wie alle andere waren. (Aussage Icchak M. vom 30.6.1970, in: BArch, B 162/5291, Bl. 1908) Jahrgängen geordnet. Sämtliche dabei entsta Vorgänge werden nach BVorermittlungsver (Aussage Abraham B. vom 9.4.1946, in: BArch, 162/5291, Bl. 1958) weiteren Ermittlungssachen und Bearbeitun stiger justizieller, amtlicher und privater Ang heiten und Anfragen Ich war damals krank und rückte an diesemklassifiziert. Tage nicht zur Arbeit aus. Ich sah an diesem Tage, wie DieKüche inhaltliche K. im Lager neben der einen Erschließung jüdischen erfolgt bei de ermittlungsverfahren und Ermittlungssache Gefangenen, dessen Namen ich nicht mehr weiß, sachthematischen, insbesondere nach orts- u zuerst schlug und nachher mit dem Revolver erDer Ansat schoß. Ich habe diesenheitenbezogenen Vorfall von der Gesichtspunkten. KrankenUnterlagen als Sachakten zu erschließen, erm stube aus gesehen, in der ich mich befand und wo ich am Fenster stand. die Konkretisierung und Ausdifferenzierun heterogenen Somit werd (Aussage Chaim P., o. D., in: BArch,Zusammensetzung. B 162/5283, Beispiel die Hauptakten der Zentralen Ste Bl. 144) Mehrfertigungen der staatsanwaltschaftlich DokumentenBei der Firma Krause mittlungen, war ein deutscher Vorar-und Anlagenbänd auch Sammlungen von Vernehmungsniedersc beiter, von kleinerer und kompakter Statur – er Urteile war vielmehr der Meister [...] und – einLichtbildmappen gefaehrlicher im Einzelnen b in Haeftling, der Datenbank gespeichert. Dies erlau Mann. Ich sah, wie er und einen der beim besondere zahlreichwar überlieferten mehrbä Zementabladen mit einem Sackbei gestuerzt Ermittlungsvorgängen die – der Zementsack war dabei geplatzt – mit einerDarstellung ihrer Bestandteile innerhalb ochsenziemeraehnlichennen Peitsche zu Tode schlug.einer Serie. Die Peitsche war etwa ein Meter und enthielt inUm die Fundstellenangaben der Karteisystem nen ein Drahtende. die19.1.1971, in einem anderen Beitrag (Aussage Naftali S. vom in: BArch, B dieses Heftes ein 162/5292, Bl. 2247f.) Es gab Fälle, in denen der Lagerkommandant, der Scharführer K., sich mit dem Schlagen nicht selbst abmühen wollte. Dann suchte er die größten und fleißigsten Juden dazu aus, und als sie zu schwach schlugen, bekamen sie selbst Prügel. Auch Juden wurden auf den Baustellen erschossen. Polnische Kinder spielten „tote Juden“. Sie trugen sich gegenseitig auf Tragbahren herum. (Vernehmung Bernd v. S. vom 19.6.1972, in: BArch, B 162/5284, Bl. 329) Zwangsarbeiter dort im Lager Pustkow die beste Stelle. (Aussage Dr. Yudell T. vom 14.2.1973, in: BArch, B 162/5294, Bl. 2696) Gewalttaten Ja, es kam zu Toetungshandlungen und insbesondere bei den Arbeitsstellen. Der Anlass war die Tatsache, dass die Haeftlinge Juden waren. (Aussage Salo S. vom 21.6.1970, in: BArch, B 162/5290, Bl. 1853) Hans P. auf der Baustelle des Schießstandes BArch B 162/401, Bild 4 Vorläufige Klassifikationsgruppen des Bestandes B 162 Mitteilungen aus dem Bundesarchiv – 86 87 Mitteilungen aus dem Bundesarchiv – Themenheft 2008 Die Außenstelle Ludwigsburg Die Außenstelle Ludwigsburg Jahrgängen geordnet. Sämtliche dabei entstandenen Vorgänge werden nach Vorermittlungsverfahren, Häftlingsodysseen nach der 13 weiteren Ermittlungssachen und Bearbeitung sonLagerräumung stiger justizieller, amtlicher und privater Angelegenheiten unduns Anfragen Man lud zu 80 klassifiziert. Mann in einen Waggon ein, die Fenster waren mit Brettern und Stacheldraht Die inhaltliche Erschließung erfolgt bei den vernagelt, die Türen waren verschlossen undVordie ermittlungsverfahren Ermittlungssachen nach Bewachung war sehrund streng. Während des Transsachthematischen, nachheiß, orts- und einportes waren die insbesondere Tage besonders wir heitenbezogenen Gesichtspunkten. Der Ansatz, starben am Luftmangel. Zum Sitzen war diese kein Unterlagen als das Sachakten erschließen, ermöglicht Platz, sogar Stehenzuwar eine Unmöglichdie Ausdifferenzierung ihrer keit.Konkretisierung Wir fuhren dreiund Tage. Nachts kamen wir in heterogenen Zusammensetzung. werden zum Auschwitz an. […] Erst gegen Somit Morgen bekamen Beispiel Hauptakten der Zentralen Stelle, Wir die wir den die Befehl, die Waggons zu verlassen. Mehrfertigungen Erlebten alle kaum.der Wirstaatsanwaltschaftlichen gingen in das Schwitzbad. mittlungen, Dokumentenund Anlagenbände, Auf dem Wege zum Schwitzbad wurden wiraber geauch Sammlungen von Vernehmungsniederschriften, trieben und geschlagen. Im Schwitzbad zog sich Urteile und Lichtbildmappen Einzelnen benannt jeder nackt aus, man durfteimnichts mitnehmen. und der Datenbank erlaubtdenn insWir in bitten um etwas gespeichert. Wasser zumDies Trinken, besondere bei zahlreich mehrbändigen wir kommen vor Hitzeüberlieferten und Müdigkeit um. FriErmittlungsvorgängen Darstellung ihreruns einzelseure rasieren uns diedie Köpfe und führen ins nen Bestandteile innerhalb einerAugenblick Serie. Schwitzbad hinein. In diesem erklärt der Rapportführer, das Bad solle abgebrochen Um die Fundstellenangaben der Karteisysteme, auf werden und das Schwitzbadpersonal geht von die in einem anderen Beitrag dieses Heftes eingeganunseren Köpfen weg. (Aussage Markus S. vom 9.9.1946, in: BArch B 162/5291, Bl. 1999) In Pustkow war ich bis Juli 1944. Im Juli 1944 wurde ich von Pustkow nach Auschwitz verbracht, von wo aus ich nach 3 Tagen nach Laurahütte kam und dort der Firma „Borsig-Werke“ zugeteilt wurde. Ich blieb dort bis Januar 1945. Im Januar 1945 wurde ich in das Lager nach Mauthausen gebracht und nach einer Woche von dort aus in das Lager in Hannover, wo ich bis April 1945 war. In [sic!] diesem Zeitpunkt überführte man uns nach Bergen-Belsen und dort wurden wir am 15. April durch die Engländer befreit. (Aussage Josef D., o. D., in: BArch, B 162/5283, Bl. 166) Aktenimpressionen II: Täterprofile Die Ermittlungsakten fokussieren den Täter Hans P. Dieser wurde am 11. September 1972 angeklagt, im Bereich des ehemaligen SS-Truppenübungsplatzes Heidelager bei Dȩbica in den Jahren 1940 bis 1943 aus Mordlust und anderen niederen Vorläufige Klassifikationsgruppen des Bestandes B 162 Beweggründen, heimtückisch oder grausam in mehreren Fällen, Menschen getötet zu haben. Die gen wird, transparent zu halten, werden neben der Aufnahme des Aktenzeichens insbesondere auchdass die Staatsanwaltschaft sah es als erwiesen an, 1 Bandund Blattangaben konsequent berücksichtigt . der damalige SS-Hauptsturm(Obersturm-) FühZusätzlich werden Verlauf und Ausgang des Verfahrer wenigstens zwölf jüdische Zwangsarbeiter des rens durch den Hinweis auf einschlägige Dokumente ZAL Pustków erschießen ließ oder eigenhändig 14 wie Abschlussberichte, Einstellungsverfügungen, erschlug . Anklage- und Urteilsschriften dokumentiert. Geboren im Jahr 1907, bewegte sich Hans P. beVorgänge, die zum Zweck der Bearbeitung sonstiger reits in jungen Jahren in rechtsextremen Kreisen. justizieller, amtlicher underprivater Als 21 Jähriger wurde MitgliedAngelegenheiten im sogenannund angelegt worden15sind oft nur weten Anfragen „Bund der Artamanen“ . P. und gehörte dieser nige Blatt beinhalten,geprägten werden neu geordnet und zu national-rassistisch Organisation vom sinnvollen undbiskompakten Akteneinheiten 1. Mai 1928 zum 31. Dezember 1931 zusaman. Im mengefasst, über die Alter von 24dieJahren tratAktenzeichen Hans P. im recherchierJahre 1931 bar gehalten der NSDAP werden. (Mitgliedsnummer 651 096) und der SA bei. Nach einer nur kurzen Mitgliedschaft Vorermittlungsundsich Ermittlungsvorgänge, die urin der SA schloss Hans P. der Allgemeinen sprünglich einem dort bestimmten eigenen Betreff SS an undzuerhielt die Mitgliedsnummer begonnen 19 38016. wurden und als solche in den Karteisystemen erfasst sind, aber im Laufe der Ermittlungen aufgrund eines1940 identischen Sachverhaltes mit andeIm September wurde Hans P., der inzwischen ren Vorgängen und ab diesem Zeitpunkt den Dienstgradverknüpft eines SS-Offiziers bekleidete, zur nicht mehr Ib eigenständig geführt wurden (sogenannAbteilung des Kommandantur-Stabes des SSte verbundene Vorgänge) werden bei in Dȩbica bestimmten Truppenübungsplatzes Heidelager verArchivnummernbereichen Aufbewahrungssetzt. Die Abteilung Ib war(ohne für Waffen und Geräte sowie für den Aufbau des Truppenübungsplatzes in militärischer Hinsicht zuständig17. Als Ib-Offizier war P. insbesondere für den Bau von Schießund Übungsanlagen verantwortlich; dazu wurden unter anderen auch die jüdischen Zwangsarbeiter aus dem ZAL Pustków eingesetzt. Ab März 1941 wohnte auch seine Ehefrau Anna Maria mit den gemeinsamen Kindern in der SSeigenen Siedlung auf dem Gelände des SS-Truppenübungsplatzes18. Aus der Ehe gingen sechs Kinder, vier Söhne und zwei Töchter, hervor. Ein weiteres Kind verstarb während des Krieges19. Dass Familie P. innerhalb der SS-Offizierssiedlung ein mehr oder weniger „normales“ Leben führte beziehungsweise dies so wahrnahm, wird an einer Äußerung von Frau P. deutlich: Sie betonte, dass sie „dort gelebt [habe] wie jede Hausfrau und [...] mit [ihrem] großen Haushalt genügend zu tun [hatte]“20. Während sich Frau P. um den Haushalt kümmerte, ging ein Teil der gemeinsamen Kinder vermutlich in die Schule, die speziell für die Kinder der SS-Offiziere eingerichtet wurde. Über das Verhalten aus der Parallelwelt des Hans P. bieten die Ermittlungsakten zahlreiche und zugleich verschiedene Quellen. Mitteilungen aus dem Bundesarchiv – Themenheft 2008 Mitteilungen aus dem Bundesarchiv – Themenheft 2008– Themenheft 2008 Mitteilungen aus dem Bundesarchiv Die Außenstelle Ludwigsburg Opferwahrnehmungen Schon bevor ich P. persönlich kennenlernte, berichteten mir länger in dem Lager ansässige Häftlinge, dass P. ein gefährlicher Mann sei. (Aussage Benzion D. vom 31.12.1970, in: BArch, B 162/5292, Bl. 2183) Von alen [sic!] SS Leuten hatten wir vor P. am meisten Angst. Es gab viele SS Leute, die brutal waren, [...] aber ausgesprochenen [sic!] Angst hatten wir vor P. (Aussage David E. vom 4.1.1971, in: BArch, B 162/5292, Bl. 2197) Es gab einige SS Offiziere, von denen man sagte, dass sie Juden aus Sadismus ohne einen Befehl toeteten, auch von P. sagte man das. (Aussage Benjamin E. vom 30.5.1972, in: BArch, B 162/5293, Bl. 2382) Der Mann P. ist fuer mich ein Begriff. Er war einer der Lager beruechtigten SS Fuehrer. Es gab gute und schlchte [sic!] SS Fuehrer, an die ich mich entsinne. P. gehoehrte [sic!] zu den schlechten. (Aussage Jakob S. vom 31.5.1972, in: BArch, B 162/5293, Bl. 2386) Wir kannten damals P. sehr gut, und wenn er sich näherte, fürchteten sich alle und begannen, angestrengter zu arbeiten. (Aussage Abraham N. vom 7.3.1973, in: BArch, B 162/5294, Bl. 2711) In der ersten Zeit meines Lageraufenthalts in Pustkow, als wir uns noch ziemlich frei bewegen konnten, hatten auch die SS-Leute, die nicht unmittelbar zur Lagerwachmannschaft gehoerten, die Moeglichkeit ins Lager zu kommen und zu tun was sie wollten. So z.B. hat P. uns oefters mitten in der Nacht geweckt, aus den Betten geholt und geschlagen. Wenn es galt saubere Fuesse vorzuzeigen, so war derjenige nicht zu beneiden, dessen Fuessen [sic!] nicht ganz sauber waren. [...] P. kam übrigens nicht allein, er brachte eine Gruppe SS-Leute mit sich, fuer die eine solche Schlaegerei ein Zeitvertreib war. (Aussage Icchak M. vom 30.6.1970, in: BArch, B 162/5291, Bl. 1911) Jahrgängen geordnet. Sämtliche dabei entsta Vorgänge werden nach Vorermittlungsver P. war so streng, dass er wegen jeder Kleinigkeit Ermittlungssachen die Häftlinge schlug. weiteren Wenn beispielsweise ein und Bearbeitun stiger justizieller, amtlicher Häftling nicht rechtzeitig seine Mütze vom Kopf und privater Ang und Anfragen klassifiziert. zog, so bekam er von P.heiten Schläge. (Aussage Mosche B. vom 11.1.1971, in: BArch, B 162/5292, Bl. 2229) Die inhaltliche Erschließung erfolgt bei de ermittlungsverfahren und Ermittlungssache insbesondere nach orts- u Schläge waren damalssachthematischen, etwas gewöhnliches. Ich heitenbezogenen Der Ansat habe auch ein paar Mal gesehen, dassGesichtspunkten. der AnUnterlagen als Sachakten zu erschließen, erm geklagte jüdische Häftlinge mit der Reitpeitsche die Konkretisierung geschlagen hat. Ich selbst wurde von ihm und nichtAusdifferenzierun heterogenen Zusammensetzung. Somit werd geschlagen. die Hauptakten (Aussage Abraham N. Beispiel vom 7.3.1973, in: BArch,der Zentralen Ste B 162/5294, Bl. 2710) Mehrfertigungen der staatsanwaltschaftlich mittlungen, Dokumenten- und Anlagenbänd auchließ Sammlungen von Vernehmungsniedersc Er rief die Juden zu sich, sie hinknien und und Lichtbildmappen schlug sie erheblich mitUrteile dem Stock. Wenn die Ju- im Einzelnen b undvon in der Datenbank gespeichert. Dies erlau den umfielen, wurden sie anderen zur Seite beimit zahlreich überlieferten mehrbä getragen [...] P. schlugbesondere die Juden GenugtuErmittlungsvorgängen die ung mehrfach, die einen während sie knieten, dieDarstellung ihrer nen Bestandteile innerhalb einer Serie. anderen stehend. (Aussage Jan U. vom 4.5.1973, in: BArch, B 162/5294, Bl. 2638) Um die Fundstellenangaben der Karteisystem die in einem anderen Beitrag dieses Heftes ein P. war an den Arbeitsstellen ein berüchtigter Antreiber. Ich habe zwar nicht gesehen wie er selber geschlagen hat, aber ich hörte wie er die SS Wachmänner dazu aufrief. Er rief: „Weitermachen, weitermachen, nicht stehenbleiben“ und ähnliche Ausdrücke. (Aussage Schlomo K. vom 5.1.1971, in: BArch, B 162/5292, Bl. 2208) Als ich noch neu im Lager war, hatte ich es einmal gewagt, P., der eine stattliche Erscheinung war, anzusehen. Bei einer solchen Gelegenheit passierte es mir, dass er mir mehrmals seine Reitpeitsche durch das Gesicht zog. [...] Er hatte zu mir gesagt: „Komm her, Kleiner, ich will meine Peitsche ausprobieren.“ Dabei hat er mir die Schläge versetzt. Das ist mir noch zweimal passiert. Danach verstand ich es, mich aus seiner Nähe fernzuhalten. (Aussage Chaim G. vom 31.12.1970, in: BArch, B 162/5292, Bl. 2192) Der Angeschuldigte ging immer mit einer Pistole und hat diese nicht nur getragen, sondern hat oft mit seiner Hand eine Bewegung gemacht, als Vorläufige Klassifikationsgruppen ob wenn [sic!] er daran gewesen waere, diese des Bestandes B 162 Pistole auf [sic!] dem Halfter zu ziehen. Das hat Mitteilungen aus dem Bundesarchiv – 88 89 Mitteilungen aus dem Bundesarchiv – Themenheft 2008 Die Außenstelle Ludwigsburg Die Außenstelle Ludwigsburg Jahrgängen geordnet. Sämtliche dabei entstandenen Vorgänge werden nach Vorermittlungsverfahren, uns sehr geangstigt [sic!]. Wenn er jemanden weiteren und Bearbeitung schlagen Ermittlungssachen wollte, hat er befohlen, man soll sonihm stiger justizieller, amtlicher und privater Angelegeneinen Stock bringen. heiten und Anfragen (Aussage David E.klassifiziert. vom 25.5.1972, in: BArch, B 162/5293, Bl. 2355) Die inhaltliche Erschließung erfolgt bei den Vorermittlungsverfahren und Ermittlungssachen nach Was den Anlass zu diesen Tötungen betrifft, so sachthematischen, nach ortseingenuegte es, wie insbesondere ich sagte, wenn man und hinfiel, heitenbezogenen Gesichtspunkten. DerVorarbeiters Ansatz, diese ausrutschte, oder mit Erlaubnis des Unterlagen als Sachakten zu erschließen, ermöglicht austreten ging. die Konkretisierung ihrer (Aussage Ozjasz H.und vomAusdifferenzierung 3.7.1970, in: BArch, heterogenen Somit werden zum B 162/5292,Zusammensetzung. Bl. 2094) Beispiel die Hauptakten der Zentralen Stelle, die Mehrfertigungen der staatsanwaltschaftlichen ErMein Zusammentreffen mit P. ereignete sich mittlungen, DokumentenAnlagenbände, aber auf dem Schießstand undund verlief für mich recht auch Sammlungen schmerzhaft. An von dasVernehmungsniederschriften, genaue Datum erinnere Urteile undnicht. Lichtbildmappen im Einzelnen benannt ich mich Während ich beim Kommando und in der Datenbank gespeichert. erlaubt ins„Schießstand“ arbeitete, stellte Dies ich mich plötzbesondere bei zahlreich überlieferten mehrbändigen lich hin und stützte mich auf meinen Spaten. Ermittlungsvorgängen Darstellung ihrer einzelDaraufhin kam P. aufdie mich zu und schlug mich nen Bestandteile innerhalb einer Serie. mehrfach ins Gesicht. Vermutlich schlug er mich deswegen, weil ich still stand und mich auf den Um die stützte. Fundstellenangaben der Karteisysteme, auf Spaten die in einemWladyslaw anderen Beitrag eingegan(Aussage G. dieses vom Heftes 27.6.1973, in: BArch, B 162/5294, Bl. 2654) gen wird, transparent zu halten, werden neben der Aufnahme insbesondere auch die Die Sicht des derAktenzeichens Mittäter Band- und Blattangaben konsequent berücksichtigt1. Zusätzlich werden Verlauf Ausgang VerfahDie mir gestellten Fragen und bezüglich derdes einzelnen rens durch den Hinweis aufnur einschlägige Dokumente Erschießungen kann ich negativ beantworten, wie Abschlussberichte, Einstellungsverfügungen, denn ich habe weder solche mitgemacht noch jeAnklageund Urteilsschriften dokumentiert. mals darüber erfahren. Ich will nicht bestreiten, dass man mal gesprächsweise einige Brocken daVorgänge, die zum Zweck Bearbeitung rüber aufgeschnappt hat.der Aber es war sonstiger doch so, justizieller, amtlicher und privater Angelegenheiten dass man diesen Dingen zu damaliger Zeit keine und Anfragen angelegt worden Bedeutung beigemessen hat. sind und oft nur wenige Blatt beinhalten, neu geordnet und zu (Vernehmung Josef L.werden vom 4.6.1969, in: BArch, sinnvollen und Akteneinheiten zusamB 162/5290, Bl.kompakten 1809) mengefasst, die über die Aktenzeichen recherchierbar gehalten werden. Ich bin befragt worden, ob ich von derartigen Erschießungen, wie sie P. zur Last gelegt werden, Vorermittlungsund Ermittlungsvorgänge, urgehört habe. Hierauf antworte ich, daß im die Kamesprünglich zu einem eigenendarüber Betreff radenkreise schon hinbestimmten und wieder einmal begonnen wurden solche in den Karteisygesprochen wurde,und daßals einer „umgelegt“ worden stemen erfasst sind,sind abermir im aber Laufewenigstens der Ermittlungen sei. Einzelheiten heute aufgrund eines identischen Sachverhaltes mit andenicht mehr in Erinnerung. ren VorgängenAlfred verknüpft und31.3.1966, ab diesemin: Zeitpunkt (Vernehmung E. vom BArch, nicht mehr eigenständig B 162/5287, Bl. 923) geführt wurden (sogenannte verbundene Vorgänge) werden in bestimmten Archivnummernbereichen (ohne AufbewahrungsErschießungen auf den Baustellen kann ich mir nicht vorstellen. Schon gar nicht durch P., denn Vorläufige Klassifikationsgruppen des Bestandes B 162 Lohnauszahlung an polnische Arbeiter durch einen Unterführer der SS-Standortverwaltung. Mitteilungen aus dem Bundesarchiv – Themenheft 2008 Mitteilungen aus dem Bundesarchiv – Themenheft 2008– Themenheft 2008 Mitteilungen aus dem Bundesarchiv BArch B 162/401, Bild 5 Die Außenstelle Ludwigsburg der konnte doch niemandem etwas antun und war viel zu weich dazu. Meiner Erinnerung nach hatte er sich immer so verhalten, dass er den Juden noch etwas gab und versuchte hatte ihnen entgegen-zu-kommen [sic!]. (Vernehmung Franz B. vom 4.6.1969, in: BArch, B 162/5290, Bl. 1805) Zu seiner Person könnte ich noch anführen, dass ich ihn so in Erinnerung habe, dass er doch keinem Mensxhen [sic!] etwas zu Leide tun konnte. Ich kann mir daher nicht vorstellen, dass er Juden pp [sic!] erschossen haben soll. (Vernehmung Michael G. vom 9.10.1968, in: BArch, B 162/5288, Bl. 1382) Äußerungen der Ehefrau des Täters Mir ist von Erschießungen von Zwangsarbeitern oder Häftlingen nie etwas bekannt geworden. Auch mein Mann hat mit mir über solche Vorgänge nicht gesprochen. Wie er überhaupt über den Dienst mit mir nur wenig gesprochen hat. (Aussage Anna Maria P. vom 23.2.1973, in: BArch, B 162/5294, Bl. 2705). Über die Einstellung meines Mannes zu den Juden und Polen damals kann ich eigentlich nichts sagen, weil wir auch damals über diese Dinge selten gesprochen haben. Es war damals auch eine andere Zeit und schon der Kinder wegen wurde bei uns über dienstliche und ähnliche Dinge nicht gesprochen. Es war meine Einstellung, daß in dem Augenblick, in dem mein Mann von seiner Arbeit nach Hause kam, alles war [sic!] mit seiner Arbeit zusammenhing sozusagen draußen zu bleiben hatte. (Ebd., Bl. 2707). Selbstdarstellung des Täters Hans P. Die Frage nach einer Pistole muß ich bejahen. Es dürfte allgemein bekannt sein, daß Offiziere am Koppel eine Pistole trugen. Es war das also in meinem Falle keine Besonderheit. Gerade zur Zeit dieser durchgeführten Waldarbeiten brachte mir einer der Juden laufend Bücher mit, damit ich was zu lesen hatte. Ich meine, daß dieser Mann Jahrgängen geordnet. Sämtliche dabei entsta Vorgänge werden bestimmt nicht so gehandelt hätte, wennnach es soVorermittlungsver Ermittlungssachen gewesen wäre, daß ich weiteren seine Glaubensbrüder er- und Bearbeitun stiger justizieller, amtlicher und privater Ang schossen oder erschießen lassen hätte. heiten und Anfragen klassifiziert. (Vernehmung Hans P. vom 17.12.1969, in: BArch, B 162/5290, Bl. 1760f.) Die inhaltliche Erschließung erfolgt bei de So bleibe ich auch trotzermittlungsverfahren der mir gemachtenund Vor-Ermittlungssache sachthematischen, insbesondere nach orts- u halte bei meiner bisherigen Angaben, daß es auf heitenbezogenen Der Ansat unseren Baustellen keine ErschießungenGesichtspunkten. gegeben Unterlagen als Sachakten zu erschließen, erm hat. Zumindest keine, von denen ich Kenntnis erdie Konkretisierung und Ausdifferenzierun halten hätte. Es gab auch keine Erschießungen Zusammensetzung. Somit werd durch mich. Die gegen heterogenen mich erhobenen BeschulBeispiel die Hauptakten der Zentralen Ste digungen entbehren jeglicher Wahrheit. Auch der der staatsanwaltschaftlich Vorwurf, ich habe stetsMehrfertigungen eine Nagaika [Peitsche, mittlungen, Dokumenten- und Anlagenbänd M.H.] bei mir gehabt und damit Mißhandlungen auch Sammlungen von Vernehmungsniedersc vorgenommen, entspricht nicht der Wahrheit. Zuund Lichtbildmappen geben muß ich, daß ich Urteile eine Reitgerte trug und es im Einzelnen b undauch in der Datenbank gespeichert. Dies erlau möglich ist, daß ich damit mal zugeschlagen besondere bei zahlreich überlieferten mehrbä habe. Wenn, dann aber nur in den Fällen, in denen Ermittlungsvorgängen die ich feststellte, daß der Betroffene offensichtlichDarstellung ihrer Bestandteile innerhalb einer Serie. nicht verstehen und sichnen nicht einfügen wollte. (Ebd., Bl. 1759f.) Um die Fundstellenangaben der Karteisystem dieeinen in einem Ich bestreite nach wie vor, deranderen mir zurBeitrag Verfü- dieses Heftes ein gung gestellten Unterführer oder auch Wachmann dazu angestiftet zu haben, einen Menschen zu erschießen. Es ist einfach unverständlich, wie man solche Dinge von mir behaupten kann. Trotzdem mir nochmals die Belastungen seitens der Zeugen eindringlich vorgehalten wurden und für den Außenstehenden der Eindruck entstehen kann, sie könnten der Wahrheit entsprechen, betone ich immer wieder, daß diese Beschuldigungen gegen meine Person einfach aus der Luft gegriffen worden sind. (Ebd., Bl. 1761) Die Arbeit war für die Juden nicht schwer. Sie konnten aber nicht regulär arbeiten. Man war bei ihnen schon froh, wenn sie etwas Sand auf der Schaufel hatten. Da sie noch nie wie etwa die Deutschen gearbeitet hatten, konnten sie nicht arbeiten. Ich hatte den Eindruck, daß sie schwach oder entkräftet waren. (Urteil LG Hannover 11/2 Ks 1/72 vom 14.11.1973, in: BArch, B 162/14516, Bl. 143f.) Bei all diesen heute gemachten Angaben bitte ich, die inzwischen verstrichene Zeit zu berücksichtiVorläufige Klassifikationsgruppen gen und mir zuzubilligen, daß ich, auch infolge der des Bestandes B 162 Tatsache, daß ich verschiedene Vernehmungen Mitteilungen aus dem Bundesarchiv – 90 91 Mitteilungen aus dem Bundesarchiv – Themenheft 2008 Die Außenstelle Ludwigsburg Die Außenstelle Ludwigsburg Jahrgängen geordnet. Sämtliche dabei entstandenen Vorgänge nach Vorermittlungsverfahren, habe über werden mich ergehen lassen müssen [Herv. weiterennicht Ermittlungssachen und Bearbeitung M.H.], mehr genau unterscheiden kann, sonwas stiger justizieller, amtlicher und privater Angelegenich evtl. inzwischen gehört oder aus damaliger heiten und Anfragen Zeit tatsächlich nochklassifiziert. in Erinnerung habe. (Vernehmung Hans P. vom 17.12.1969, in: BArch, Die162/5290, inhaltliche erfolgt bei den VorB Bl.Erschließung 1762) ermittlungsverfahren und Ermittlungssachen nach sachthematischen, insbesondere nach orts- und einheitenbezogenen Gesichtspunkten. Der Ansatz, diese Fazit Unterlagen als Sachakten zu erschließen, ermöglicht die Konkretisierung Ausdifferenzierung Ermittlungsakten ausund NSG-Verfahren bieten,ihrer wie heterogenen werden zum am Beispiel Zusammensetzung. des jüdischen ZALSomit Pustków verdeutBeispiel die Hauptakten der Quellenmaterial, Zentralen Stelle, das die licht wurde, umfangreiches Mehrfertigungen der staatsanwaltschaftlichen Eroffen ist für unterschiedliche historische Fragestelmittlungen, DokumentenundAnschaulichkeit Anlagenbände, aber lungen. Allerdings sollte die der auch Sammlungen vonvorhandenen Vernehmungsniederschriften, Unterlagen und die Schilderungen Urteile und Lichtbildmappen Einzelnen benannt historischer Ereignisse nichtimdazu verleiten, auf und inquellenkritische der Datenbank gespeichert. erlaubt insdie Reflexion Dies zu verzichten. besondere bei zahlreich überlieferten mehrbändigen Denn tatsächlich begegnet dem Archivbenutzer Ermittlungsvorgängen die Darstellung einzelvon NSG-Verfahrensakten eine ganzeihrer Reihe menen Bestandteile innerhalb Serie. thodischer Probleme. Zu einer nennen ist hierbei zu allererst der Entstehungszusammenhang dieses Um die Fundstellenangaben der Karteisysteme, auf Materials. die in einem anderen Beitrag dieses Heftes eingeganErmittlungsakten dokumentieren die juristische Ermittlungsarbeit von Polizeibeamten, Staatsanwälten und Richtern. Deren erkenntnisleitendes Interesse liegt weder in einer Analyse der historischen Zusammenhänge und Prozesse, noch an der Untersuchung beispielsweise der Alltagsoder Mentalitätsgeschichte. Die Ermittler konzentrierten sich vielmehr auf das strafwürdige Tatgeschehen und auf den strafrechtlichen Beitrag eines oder mehrerer Beschuldigter. Ein weiteres methodisches Problem wirft der Zeitpunkt einer Aussage auf: Die meisten Protokolle wurden erst Jahrzehnte nach den Ereignissen aufgenommen, so dass das Erinnerungsvermögen der Beteiligten - sowohl der Täter als auch der Opfer - zwischenzeitlich vielfältigen Einflüssen und Veränderungen ausgesetzt war. Stets muss bei der Heranziehung der Vernehmungsprotokolle differenziert werden, in welcher Situation bzw. Rolle die befragte Person stand: Gehörte sie zum Opfer- oder Täterkreis? Die Täter waren zumeist bestrebt, Fakten zu beschönigen, zu verschweigen oder gar andere Personen für die Vorläufige Klassifikationsgruppen B 162 ihnen vorgeworfenen TatendeszuBestandes beschuldigen, sofern sie sich überhaupt an etwas erinnern konnten. gen wird, transparent zu halten, werden neben der Aufnahme Aktenzeichens insbesondere auch der die Und nicht des selten lässt das Aussageverhalten 1 Band- und konsequent berücksichtigt . Täter auf Blattangaben regelrechte Absprachen untereinander Zusätzlich werden Verlauf und Ausgang des Verfahschließen, etwa auf einem Kameradschaftstreffen 21 rensAngehörigen durch den Hinweis auf einschlägige Dokumente der des SS-Truppenübungsplatzes . wie Abschlussberichte, Auch fällt auf, dass einigeEinstellungsverfügungen, Beschuldigte - allen ErAnklage- und Urteilsschriften dokumentiert. innerungslücken über die Verbrechen zum Trotz - genaue Angaben zu den Wohnorten und zur BeVorgänge, dieanderer zum Zweck der Bearbeitung sonstiger rufstätigkeit ehemaliger SS-Angehöriger justizieller, amtlicher undlässt privater Angelegenheiten machen konnten. Dies den Schluss zu, dass und Anfragen angelegt worden sind und oft nurzwiweauch nach Kriegsende weiterhin zumindest nige Blatt beinhalten, werden neunoch geordnet zu schen einigen SS-Angehörigen regerund Konsinnvollen und kompakten zusamtakt bestand, was wiederumAkteneinheiten auch die Wahrscheinmengefasst, die über Aktenzeichen recherchierlichkeit erhöht, dass die Abmachungen getroffen und bar gehalten werden. abgestimmt wurden. Aussagen aufeinander VorermittlungsErmittlungsvorgänge, die urDass Vorbehalteund gegenüber den Vernehmungen sprünglich zu einem berechtigt bestimmten eigenen Betreff der SS-Angehörigen erschienen, wurde begonnen wurden die undvon als einem solche SS-Angehörigen in den Karteisyin einer Aussage, stemen erfasst sind, aber im Laufe der Ermittlungen während der Verhandlung getroffen wurde, nur aufgrund eines identischen Sachverhaltes andeallzu deutlich: Nach der Feststellung desmit Gerichts ren Vorgängen verknüpft und abRundschreiben diesem Zeitpunkt hatte sich dieser mit einem an nicht mehr geführt wurden stationierte (sogenannfrühere aufeigenständig dem Truppenübungsplatz te verbundene Vorgänge) werden in bestimmten SS-Angehörige gewandt, um zu einer Entlastung 22 Archivnummernbereichen (ohne des Angeklagten beizutragen . AufbewahrungsBei der Auswertung von Zeugenaussagen des Opferkreises wird man zwangsläufig mit einem weiteren Problem konfrontiert: Viele der ehemaligen Zwangsarbeiter versuchten, die traumatischen Erlebnisse, die sie unter dem nationalsozialistischen Regime erleiden mussten, zu verdrängen. Dieser Verdrängungsmechanismus kann sich mit fortschreitendem zeitlichem Abstand verstärkt haben. Zugleich pflegten aber ehemalige Häftlinge untereinander Kontakt. So existierte beispielsweise eine Vereinigung von Überlebenden des ZAL Pustków in Israel23. Dort dürfte man sich bei zahlreichen Gelegenheiten über das Unmenschliche, das die Opfer individuell wie auch im Kollektiv erlebten, ausgetauscht haben. Hier stellt sich allerdings die Frage, ob traumatisierte Menschen, die häufig über Geschehnisse sprechen, nicht früher oder später auch das Durchlebte ihres Gegenübers als Selbsterfahrenes begreifen, sozusagen in ihre eigene Vergangenheit mit einbeziehen, persönlich Erlebtes nicht mehr von dem anderer trennen können. Vielen Personen ist es – so scheint es – nach einer gewissen Zeitspanne nicht mehr möglich, das individuell Erfahrene von dem Erlebten anderer Personen, die demselben „Erlebniskreis“ angehörten, zu trennen. Dies geschieht nicht wil- Mitteilungen aus dem Bundesarchiv – Themenheft 2008 Mitteilungen aus dem Bundesarchiv – Themenheft 2008– Themenheft 2008 Mitteilungen aus dem Bundesarchiv Die Außenstelle Ludwigsburg lentlich, sondern stellt vielmehr einen unterbewussten Prozess dar. Eine wichtige Voraussetzung für den angemessenen quellenkritischen Umgang mit den Unterlagen ist sicherlich das Bemühen, möglichst viele Aussagen zum gleichen Sachverhalt heranzuziehen und zu vergleichen. Rückschlüsse auf den intentionalen Charakter oder die Fähigkeit, sich überhaupt an bestimmte Ereignisse oder Zusammenhänge erinnern zu können, gestattet vor allem die Analyse der Situation, in welcher sich die aussagende Person sowohl im Zeitpunkt des Jahrgängen geordnet. Sämtliche dabei entsta Vorgänge werden nachderVorermittlungsver historischen Geschehens als auch während weiteren Ermittlungssachen und Bearbeitun Ermittlungen befand. Nicht alle quellenkritischen justizieller, amtlicher Imponderabilien lassenstiger sich gleichermaßen lösen. und privater Ang heiten und Anfragen klassifiziert. Am Ende geht es um die Plausibilität historischer Feststellungen. Dazu entfalten die Unterlagen der Die das inhaltliche Zentralen Stelle, wie auch BeispielErschließung des ZAL erfolgt bei de ermittlungsverfahren und Ermittlungssache Pustków belegt, ein breites „Panorama“ authensachthematischen, insbesondere nach orts- u tischer Quellen, die einzigartige Einblicke in die heitenbezogenen Gesichtspunkten. Der Ansat damalige soziale Wirklichkeit der Verbrechen verUnterlagen als Sachakten zu erschließen, erm mitteln können. die Konkretisierung und Ausdifferenzierun Melanie Hembera heterogenen Zusammensetzung. Somit werd Beispiel die Hauptakten der Zentralen Ste Mehrfertigungen der staatsanwaltschaftlich mittlungen, Dokumenten- und Anlagenbänd auch Sammlungen von Vernehmungsniedersc Urteile und Lichtbildmappen im Einzelnen b und in der Datenbank gespeichert. Dies erlau besondere bei zahlreich überlieferten mehrbä Ermittlungsvorgängen die Darstellung ihrer nen Bestandteile innerhalb einer Serie. Um die Fundstellenangaben der Karteisystem die in einem anderen Beitrag dieses Heftes ein Anmerkungen 1) Zur Geschichte der ZAL vgl. insbesondere Dieter Pohl, Die großen Zwangsarbeitslager der SS- und Polizeiführer für Juden im Generalgouvernement 1942-1945, in: Ulrich Herbert/Karin Orth/Christoph Dieckmann (Hrsg.), Die nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. 1, Frankfurt a. M. 2002, S. 415-438. 2) Der verschleiernde, zeitgenössische Begriff „Aussiedlung“ meint vor allem die Deportation der jüdischen Bevölkerung in die Vernichtungslager. Diese „Aussiedlungsaktionen“ – häufig von ganzen jüdischen Gemeinden – liefen meist nach einem ähnlichen Schema ab. 3) Der Ermittlungsvorgang trägt die Archivsignaturen BArch, B 162/401, 4631, 5283-5297, 14516. 4) Gegliedert wurde das Generalgouvernement zunächst in die vier Distrikte Krakau, Warschau, Lublin und Radom. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion kam am 1. August 1941 als fünfter Distrikt Galizien hinzu. 5) Zur NS-Vernichtungspolitik im besetzten Polen vgl. zuletzt Jacek Andrzej Młynarczyk, Judenmord in Zentralpolen. Der Distrikt Radom im Generalgouvernement 1939-1945, Darmstadt 2007. 6) Der Schlussvermerk der Zentralen Stelle vom 7.5.1976 befindet sich in Band 18 (BArch, B 162/7478). 7) StA Bielefeld 5 Js 4/59 gg. R. und Andere. 8) Urteil LG Kiel 2 Ks 6/63 vom 27.1.1966, in: BArch, B 162/1358, Bl. 150ff. 9) Vermerk der Zentralen Stelle vom 30.7.1965, in: BArch, B 162/5286, Bl. 866. 10) Beschluss LG Hannover vom 19.7.1971, in: BArch, B 162/5293, Bl. 2325ff. 11) Urteil LG Hannover 11/2 Ks 1/72 vom 14.11.1973, in: BArch, B 162/14516, Bl. 308. 12) Aussage Israel R., o. D., in: BArch, B 162/5283, Bl. 185; Aussage Leopold Arie W. vom 10.8.1961, in: BArch, B 162/5283, Bl. 170. 13) Zahlreiche der von Pustków nach Auschwitz deportierten Häftlinge wurden von dort aus in andere Zwangsarbeitslager und Konzentrationslager, auch innerhalb des Reichsgebiets, verbracht, wo schließlich ein Teil von ihnen 1944/45 von den Alliierten befreit wurde. 14) Anklage StA Hannover 2 Js 178/65 vom 11.9.1972, in: BArch, B 162/4631, Bl. 2431f. 15) Ausführlich zu diesem Bund: Michael H. Kater, Die Artamanen – Völkische Jugend in der Weimarer Republik, in: Historische Zeitschrift 213 (1971), S. 577-638. 16) Anklage StA Hannover 2 Js 178/65 vom 11.9.1972, in: BArch, B 162/4631, Bl. 2451f. 17) Aussage Franz B. vom 4.6.1969, in: BArch, B 162/5290, Bl. 1804. 18) Aussage Anna Maria P. vom 23.2.1973, in: BArch, B 162/5294, Bl. 2704. 19) Urteil LG Hannover 11/2 Ks 1/72 vom 14.11.1973, in: BArch, B 162/14516, Bl. 120. 20) Aussage Anna Maria P. vom 23.2.1973, in: BArch, B 162/ 5294, Bl. 2704. 21) Abschrift eines Schreibens vom 4.6.1954 an die „Heidelagerianer“, in: BArch, B 162/5284, Bl. 294ff. 22) Urteil LG Hannover 11/2 Ks 1/72 vom 14.11.1973, in: Vorläufige Klassifikationsgruppen des Bestandes B 162 BArch, B 162/14516, Bl. 149. 23) Ebd., Bl. 147. Mitteilungen aus dem Bundesarchiv – 92 93 Mitteilungen aus dem Bundesarchiv – Themenheft 2008