Heiße Fracht in eisiger Kälte Heiße Fracht in eisiger Kälte

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Heiße Fracht in eisiger Kälte Heiße Fracht in eisiger Kälte
REPORT
Holz-Trucking in Kanada
Heiße Fracht
in eisiger Kälte
Mit 150 Tonnen über die Eispisten im Norden Kanadas, das ist
das tägliche Brot der Holztrucker. In halsbrecherischer Fahrt halten
sie die Holzindustrie des riesigen Landes in Schwung.
u musst den Wald lieben! Einfach
Chauffeur zu sein, genügt hier
nicht.“ Egide diskutiert mit Kollegen bei einer heißen Suppe am
roh gezimmerten Holztisch der Kneipe
von Rémy und Sylvain. Draußen stehen
bei eisigen 30 Minusgraden ihre gigantischen Trucks. Egide: „Dieses Metier lernst
du nicht. Du hast es im Blut oder nicht!
Wenn du hier anfängst und Angst verspürst, hat’s keinen Sinn.“ Kurz gesagt,
wer zur geschlossenen Kaste der Holzfahrer zählen will, braucht Nerven wie
Stahlseile.
D
Wir sind in den eisigen Wäldern nördlich des Lac Saint Jean, genauer gesagt in
Saint Ludger de Milot. Das ist der Ausgangspunkt einer der wichtigsten Pisten
für den Holzeinschlag in den Wäldern
nördlich des fünfzigsten Breitengrads,
das ist in Nordamerika schon eine eisige
Gegend. Allein aus diesem Einschlaggebiet werden jährlich 1,5 Millionen Festmeter Holz herausgeholt – 15.000 Rundläufe mit 100 Tonnen.
Camp de la Brodeuse – 160 Kilometer
vom Startpunkt entfernt, stellt Patrick
Für eine Hand voll Dollar.
Der Job als Holz-Trucker ist hart,
aber sehr gut bezahlt
David und Goliath.
Das Foto beweist: Gegen die 150-TonnenTrucks sind normale Holzlaster Spielzeuge
Safety first.
Alle 40 Kilometer müssen
die Fahrer Reifen und
Ladung checken
Muss man im Blut haben.
REPORT
Die kanadischen Holz-Trucker sind
eine eingeschworene Gemeinschaft.
Nicht jeder wird aufgenommen
Bouchard seinen Mack RD
800 zur Beladung bereit.
Kranführer Jean greift die
Stämme wie Mikadostäbchen. Er legt sie mit dem
dicken Ende zum Heck auf
den 16-Meter-Auflieger.
Nach zwanzig Minuten ist der
Truck abfahrbereit – 100 Tonnen Holz, 50 Tonnen Truck
und weitere zehn Tonnen Eis
am Fahrwerk. Mehr geht
nicht, die Waage des Sägewerks streikt bei 155 Tonnen!
Patrick fährt seit zwanzig
Jahren in den kanadischen
Wäldern. Was sind für ihn
schon 150 Tonnen, wo er
doch früher mit bis zu 200
Tonnen über die vereisten Pisten donnerte. Die gigantischen Schwerlaster wurden
eigens für diese Titanenarbeit
gebaut und sind nur auf den
Wegen im Wald zugelassen.
Ohne Vorwarnung
in den Graben
Der 500-PS-Motor heult
beim Anfahren auf. Jetzt ist
Vorsicht geboten. In den
zwanzig Jahren hat Patrick
zweimal dem Tod ins Auge
geblickt, als sich sein Gespann
samt Ladung überschlug! Das
letzte Mal im Herbst, als es in
Strömen regnete und die
Fahrbahn glatt wie Schmierseife wurde. Patrick rinnt bei
dem Gedanken noch heute
der kalte Schweiß in den
Nacken: „Plötzlich lag ich
zehn Meter tief unten, auf
dem Dach. Zwei Wochen lang
habe ich kein Lenkrad mehr
angerührt.“
Heute abend nähert sich
die Quecksilbersäule des
Thermometers der Null-GradGrenze. Da wird der Schnee
besonders rutschig. Einmal
am Berg zu hart geschaltet,
und die hundert Tonnen nasser Stämme schlittern nach
hinten auf die Fahrbahn!
Ein Rundlauf hat 320 Kilometer, die man bei guten Bedingungen in acht Stunden
schafft. Mit 3,5 Meter breiter
Ladung ist unterwegs noch
Begegnungsverkehr möglich.
Alle vierzig Kilometer muss
an einem Kontrollposten ge-
80
Saisongeschäft.
Patrick fährt bis Ende
März, dann weicht die
Sonne die Piste auf
stoppt werden – Reifen- und
Ladungskontrolle, Abzeichnen der Ladepapiere, dann
geht’s weiter. Sicherheit wird
groß geschrieben. In manchen Abschnitten müssen sich
die Fahrer vorher anmelden.
Dann heißt es Spiegel einziehen, weil eines der anderen
PS-Monster an einer Engstelle
vorbei will!
Jean-Michel Leligny / GF