Artikel aus „Folha de São Paulo“ (eine der größten brasilianischen
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Franziskanerstr. 1 – 44143 Dortmund – Tel. 0231-176 337 5 – Fax. 0231-176 337 70 e-mail:[email protected] - www.franziskanermission.de Artikel aus „Folha de São Paulo“ (eine der größten brasilianischen Tageszeitungen) São Paulo, Mittwoch, 12. Dezember 2007 Ich faste nicht zuletzt für eine wahre Demokratie Luiz Flávio Cappio Man wirft mir vor, ich sei ein Feind der Demokratie, weil ich mit Fasten und Beten ein autoritäres und verlogenes Projekt bekämpfe: die Umleitung der Wasser des São Francisco Stroms. Ich werde als demokratie-feindlich gescholten, weil ich mit Fasten und Beten jenem autoritären, lügnerischen und rückschrittlichen Mammut-Projekt der Bundesregierung entgegentrete, das die Wasser des São Francisco Stroms umleiten will. Meine Reaktion lässt sich aber nicht so hinstellen, als hätte ich mir freiwillig und allein von mir selbst ausgehend auferlegt, was ich nun tue. Wäre dem so, so könnte ich bestimmt nicht mit soviel Unterstützung rechnen, die mir von großen Teilen der Gesellschaft in steigender Intensität zugesichert wird, selbst aus den Reihen der Regierungspartei PT. Wenn wir tatsächlich in einer republikanischem Geist verpflichteten, unverwässerten Demokratie lebten, so bräuchte ich nicht so weit gehen, wie ich es jetzt tue. Eine der schlimmsten Übel der „Demokratie“ in Brasilien besteht darin, dass gemeint wird, mit dem Mandat aus der Wahlurne sei in der Folge schrankenlose Macht zuerkannt und eine Lizenz für das völlige Abschreiben der im Wahlkampf vertretenen Positionen erteilt; als wäre mit der Wahl eine Art Blanko-Scheck erstellt für alles, was mehr Macht und mehr Vermögen verspricht. Deshalb gehören nach wie vor alle möglichen Formen von Bevorteilung, Abzweigung öffentlicher Mittel, Interessens-Schieberei und Bestechung zum Repertoire der brasilianischen Politik, und leider sind die Aussichten sehr gering, daß sich dies bald ändern würde. Der Gesellschaft aber hängen diese Praktiken längst beim Hals heraus, und es ist höchste Zeit, dass sich die Gesellschaft massiv dagegen auflehnt. Es gibt Politiker – und leider sind es nicht eben wenige - , die eine Spur von Übergriffen, Korruption und unrechtmäßiger Bereicherung ziehen, wo immer sie in das öffentliche Leben eingreifen. Da Unsitten wie klientilistischer Wählerfang, Glorifizierung der Kandidaten, unerfüllbare Wahlversprechen und die „Wie-du-mirso-ich-dir“-Schablone weiterhin ziehen und viel eher politische Verführung als politische Bildung angesagt bleibt, gelingt es besagten Kandidaten und Kandidatinnen, immer auf’s Neue wiedergewählt zu werden und in immer höhere Positionen vorzurücken, ganz unabhängig davon, welcher Partei oder welchem politischen Bündnis sie angehören. Im Wahlkampf des Präsidenten Lula wurde das zentrale Thema „WasserUmleitung“ soweit wie möglich gemieden. Und doch werden unsere Wahlgänge, die auf nichts anderem als bloßem Marketing-Kalkül und abgedunkelter ParteienFinanzierung durch die Unternehmer aufbauen, als hehre Ausdrucksformen unserer Demokratie-Kultur hingestellt und gern mit dem Verweis auf unser elektronisches Urnen-System dekoriert, womit wir selbst den USA als Beispiel dienten ... Das Wasserumleitungs-Projekt der Regierung ist undemokratisch, just deshalb, weil es den Menschen im Nordosten Brasiliens, die an Wassermangel leiden, den Zugang zum Wasser eben nicht erleichtert, ganz gleich, ob sie nun nahe dem Flusslauf oder weitab vom Rio São Francisco leben. Die Regierung lügt, wenn sie behauptet, sie würde 12 Millionen Durstleidende mit Wasser versorgen. Vielmehr handelt es sich um ein Projekt, das öffentliches Geld zur Begünstigung der Ausführungs-Firmen ausgeben will; ein Projekt, welches das Wasser des Nordostens Brasiliens privatisieren und in den Händen der immerselben Eliten konzentrieren wird, sowohl die Wasser der großen Stauseen wie die Wasser des São Francisco Stroms. Die Umleitung des Wassers vom São Francisco hat absolut nichts mit der Trockenheit im Nordosten zu tun. Das zeigt sich allein schon darin, dass der Nordkanal, in dem 71% des abgezweigten Wassers in den Norden fließen sollen, weitab von den tatsächlich regenarmen und von Wassernot geplagten Regionen geplant ist. Von diesem Wasser sind nicht weniger als 87% für Produktionszweige mit sehr hohem Wasserverbrauch bestimmt: für bewässerten Obstbau, für die Garnellen-Zucht und für die Stahl-Industrie, allesamt Export-orientierte Investitionen mit äußerst bedenklichen sozialen und ökologischen Folgewirkungen. Die genannten Zahlen sind den offiziellen Studien und der abschließenden Umweltverträglichkeitsstudie des Wasserumleitungs-Projekts zu entnehmen, wie sie dem Gesetz entsprechend veröffentlicht worden ist – wogegen die Regierung im Internet nur Propagandistisches über das Projekt veröffentlicht. Das Wasserumleitungs-Projekt ist illegal und wird auf eine ebenso willkürliche wie autoritäre Art forciert: Die Untersuchungen zu den ökologischen Folgen sind nicht abgeschlossen, der rechtmäßige Weg zur Erlangung der umwelt-technischen Bewilligung wurde verfälscht, indigene Gebiete sind vom Projekt betroffen, ohne dass dies – wie in der Verfassung vorgesehen – Gegenstand einer Anhörung im Nationalkongress gewesen wäre. Insgesamt sind 14 Gerichtsverfahren im Laufen, die Gesetzesverletzungen und Verfahrensmängel anprangern, doch vom Obersten Gerichtshof bislang nicht entschieden worden sind. Dessen ungeachtet hat die Regierung Militär-Einheiten zum Kanal-Anstich mobilisiert, was einem Missbrauch der Heeres-Befugnisse und einer Militarisierung jener Gegend gleichkommt. Dass der Entscheid des Regionalen Verwaltungsgerichtshofs vom vergangenen 10. Dezember einen einstweiligen Baustopp bewirkt hat, gilt als weiteres beredtes Zeugnis für die rechtswidrige Durchdrücken des Projekts. Doch die empörendste, weil wirklich schon an Grausamkeit heranreichende Methode der Regierung besteht darin, die öffentliche Meinung – besonders in den Bundesstaaten, die als besonders begünstigt hingestellt werden – mit haltlosen Versprechen zu manipulieren, die von reichlicher und einfacher Wasserzustellung reden, ohne die wirklichen Nutznießer zu nennen, und auch mit keinem Wort sagen, wie die Wasserzuleitung funktionieren soll, welche Kosten dann zu bezahlen sein werden, wie die kleinen Nutzer die großen Verbraucher indirekt subventionieren werden, ähnlich, wie dies jetzt schon mit den Stromkosten geschieht. Demgegenüber lässt der offizielle Umwelt-Bericht keinen Zweifel am Endzweck des abgeleiteten Wassers: 70 % für Bewässerung, 26 % für industriellen Gebrauch, 4 % für den Konsum der verstreuten Anwohner. Demgegenüber liegt uns ein weitaus umfassenderes Projekt vor: Wir wollen Wasser für die 44 Millionen Bewohner und Bewohnerinnen des Trockengürtels Nordostbrasiliens - für alle neun Bundesstaaten, nicht nur für vier; für 1.356 Gemeinden, und nicht nur für 397. Und das alles zum halben Preis dessen, was im Regierungsprogramm zur Anheizung des Wirtschaftswachstums für das Wasserumleitungs-Projekt vorgesehen ist. Was vom „Atlas des Nordostens“, herausgegeben von der Nationalen Wasserbehörde (Agência Nacional das Águas), und von den Initiativen der ASANetzwerks (Articulação do Semi-Árido) an Vorschlägen präsentiert wird, ist wesentlich breiter, stellt die Versorgung mit Trinkwasser für Mensch und Tier in den Mittelpunkt und baut auf der Nutzung der reichen, durchaus genügenden Wasserreserven des Nordostens auf. Man nannte mich einen Fundamentalisten und Feind der Demokratie, weil ich das Volk aufgerufen hätte, sich aufzulehnen. Davor haben die „Demokraten“, die mir diese Vorwürfe machen, offenbar Angst. Warum aber wird die Wahrheit über dieses Projekt nicht eingestanden, und warum wird nicht offen darüber diskutiert, welches das bessere Projekt ist bzw. welcher Weg tatsächlich zur Entwicklung des Trockengebiets im Nordosten führt? In genau dieser Auseinandersetzung liegt die Essenz meines Widerstands, und in genau dieser Auseinandersetzung vollzieht sich, was Demokratie tatsächlich ist. Dom Frei Luiz Flávio Cappio, 61, ist Diözesan-Bischof von Barra (Bahia) und Autor des Buches „Der São Francisco Strom – ein Gang zwischen Leben und Tod“ Übersetzung: Martin Mayr