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Das Bohemia im Jahr 1982: Gunter Schmidt fertigte das im amerikanischen Stil gehaltene Interieur selbst. Archivfoto: privatfnh Kneipe für neuen Zeitgeist Vor 31 Jahren eröffnete das Bol}emia an der Friedrich-Ebert-Straße in Kassel DasThema Kassel hat ei~e lange Gaststättentradition und eine beachtliche Kneipendichte. Einige Lokale gibt es schon seit vielen Jahrzehnten. ln einer Serie stellen wir Kult-Kneipen vor. Rechtsanwälte, die Fußballer des KSV und solche; die sich einfach vom Einheitsgrau der Masse abheben wollten, kamen hierher. Auch Künstler besuchten häufig das Bohemia, das tagsüber ein Cafe war. Zeichnungen an den Wänden zeugten von deren Fähigkeiten, das Geschehen in der Kneipe einzufangen. . Besitzer des Bohemias ist noch immer Gunter Schmidt, heute Inhaber des Restaurants Gutshof in Bad Wilhelmshöhe. De:t; 58-Jährige hat das einstige Szenelokallängst vermietet, erfreut sich aber immer noch, an den schönen Erinnerungen. Vor der Eröffnung hatte sich der gelernte Schreiner eine Schaffenspause in Idaho in den USA gegönnt. Mit der Idee, das Lokal in seiner Heimatstadt Kassel zu eröffnen, kam er zurück. Die gesamte Innenausstattung hat er damals sell;ler gefertigt. HNA·SERIE K~lt-Kneipen in Kassel Vom amerikanischen Stil geprägt, schaffte er auch eine neue Arbeitskultur: Gunter Vo~ SusANNE SEIDENFADEN man duzte sich sofort- wollte eine richtige große MannKASSEL.A1?d.as .Bohemia 1982 schaft haben, ·in der man sich in der Friedrich-Ebert-Straße untereinander kannte, sich eröffnete, war es ein Exot ungegenseitig respektierte und ter den Kneipen: weißer ein Miteinander pflegte. So Schleiflack, rosa Lederpolster, gab es einmal im Monat sonnviel Glas und Licht, aus den tags eine Teambesprechung Lautsprechern kam jazzige mit - AnwesenMusik von Raul de Souza oder heitspflicht, und Neue Deutsche Welle von Trinkgelder kaSpliff. Die anderen Kneipen men in eine Gewaren mehr in Dunkelbraun · meinschaftskasse. · gehalten und unterschieden Bis spät in die · sieb im Wesentlichen durch Nacht war das Bo· das Getränke- und Musikange- ,hemia Tag für Tag bot voneinander. proppenvoll. Im Das Bohemia aber traf .den Sommer standen Zeitgeist: Wer hier herkam, die Gäste bis auf hielt etwas auf sich, hatte die die Straße und ge· Nase voll von den Zeiten, als nossen die Atmoman sich in gestrickte Pullosphäre, die tatver, Parl,<:as und pflanzengesächlich etwas färbte Indienklamotten hüllvon der Boheme te. Bohemia war keine Kneipe,· von Lebensleich· .sondern ein Lebensgefühl. Dem Zeitgeist auf der Spur: Gunter Schmidt tigkeit und -lust Junge Intellektuelle, Stu- fühlt sich noch heute hinter der Theke hatte. Noch heute denten, Popper, Ärzte und WOhl. Foto: S. Seidenfaden besteht das Bohe- mia an gleicher Stelle. Das In· terieur und die Stimmung sind aber anders geworden. In der Woche 'ist es 'laut dem Betreiber Oliver Bertram abends eine ganz normale Bar und nachmittags ein Cafe mit Wohnzimmercharakter. "80 Prozent .der Besucher sind Stammgäste", sagt Bertram. Am Wochenende kehrt etwas von der Atmosphäre vergange· ner Zeiten zurück. Dann legt ein Discjockey auf. ..fu\\ Weitere Fotos dazu gibt es ab Montagmittag auf · http:ffzu.hna.de{Bohemia0306 V Warum Bohemia? Auch wenn das Bohemia ein außergewöhnliches Lebensgefühl vermittelte und den Besuchern das Gefühl gab, etwas Besonderes zu sein, hatte der Name der Bar zunächst wenig damit zu tun. In seiner Namensfindung hatte Gunter Schmidt etwas ganz anderes ats Lebensstil im Sinn. "Bohemia- das war ganz einfach der Name eines mexikanischen Biers, der mir gefiel", sagt Gunter Schmidt. Dass er mit einem Biernamen auch den Nerv der Zeit treffen würde, war nicht beabsichtigt, aber im Endeffekt durchaus ge· wollt. (phe)