pdf des Bandes - Historisches Kolleg

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pdf des Bandes - Historisches Kolleg
Schriften des Historischen Kollegs
H erausgegeben von L o th ar G ail
K olloquien
75
R. O ldenbourg Verlag M ünchen 2011
Zwischen Strukturgeschichte und Biograpl
Probleme und Perspektiven einer
neuen Römischen Kaisergeschichte
31 v. Chr. - 192 n. Chr.
H erausgegeben von
A loys W in te rlin g
R. O ldenbourg Verlag M ünchen 2011
S c h rifte n des H istorisch en K o lleg s
herausgegeben von
Lothar Gail
in Verbindung mit
Georg Brun, Johannes Fried, Peccr Funke, Hans-Werner Hahn,
Karl-Heinz Hoffmann, M artin jehne, C laudia Marti, Helmut Neuhaus,
M artin Schulze Wessel und Andreas W irsching
Das Historische Kolleg fördert im Bereich der historisch orientierten Wissenschaften Gelehrte, die sich durch
herausragende Leistungen in Forschung und Lehre ausgewiesen haben. Es vergibt zu diesem Zweck jährlich
bis zu drei Forschungsstipendien und zwei Förderstipendien sowie alle drei Jahre den „Preis des Historischen
Kollegs“.
Die Forschungsstipendien, deren Verleihung zugleich eine Auszeichnung für die bisherigen Leistungen
darstellt, sollen den berufenen Wissenschaftlern wahrend eines Kollegjahres die M öglichkeit bieten, frei von
anderen Verpflichtungen eine größere Arbeit abzuschließen. Professor Dr. Aloys W interling (Berlin) war
- zusammen mit Prof. Dr. Christoph Buchheim t (M annheim ), Prof. Dr. Rüdiger vom Bruch (Berlin), Prof.
Dr. Jan-O tm ar Hesse (Bielefeld), und Dr. Christoph Meyer (Frankfurt a.M .) - Stipendiat des Historischen
Kollegs im Kollegjahr 2006/2007. Den Obliegenheiten der Stipendiaten gemäß hat Aloys W interling aus sei­
nem Arbeitsbereich ein Kolloquium zum Thema „Zwischen Sm ikturgeschichte und Biographie. Probleme und
Perspektiven einer Römischen Kaisergeschichte (Augustus bis Comm odus)“ vom 11. bis 13. Januar 2007 im
Historischen Kolleg gehalten. Die Ergebnisse des Kolloquiums werden in diesem Band veröffentlicht.
Das Historische Kolleg wird seit dem Kollegjahr 2000/2001 - im Sinne einer „public private partnership1 in seiner Grundausstattung vom Freistaat Bayern finanziert, die M ittel für die Stipendien stellen gegenwärtig die
Fritz Thyssen Stiftung, der Stiftungsfonds Deutsche Bank, die Gerda Henkel Stiftung und der Stifterverband Hir
die Deutsche Wissenschaft zur Verfügung. Träger des Historischen Kollegs, das vom Stiftungsfonds Deutsche
Bank und vom Stifterverband errichtet und zunächst allein finanziert wurde, ist die „Stiftung zur Förderung der
Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und des Historischen Kollegs“.
Aloys W interling wurde im Kollegjahr 2006/2007 von der Fritz Thyssen Stiftung gefördert.
Kaulbachstraße I 5, D -80539 München
Tel.:+49 (0) 89 2866 3860
Fax:+49 (0) 89 2866 3863
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sondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, M ikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung
in elektronischen Systemen.
Umschlagbild: As des Auius Vitellins, 69 n. Chr. (BM C 103; Coh. 34: RIC~42); M ünzkabinett W ien, Samm ­
lung Tiepolo, Inv.-Nr. RÖ 6066.
Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht)
Satz: Ricarda Berthold
Druck und Bindung: M em minger M edienC entrum , M emmingen
ISBN 978-3-486-70454-9
Inhalt
V o r w o r t ...................................................................................................................................................................................
VII
V erzeich n is d er T ilg u n g ste iln e h m e r.......................................................................................................................
IX
A lo ys W i n t e r l i n g
Z u T h eo rie u n d M e th o d e e in e r n eu en R ö m isch en K a is e r g e s c h ic h te ................................................
1
A. Q uellen
R a l f v o n d e n H o ff
K aiserb ild n isse als K aiserg e sch ic h te(n ). P ro lego m en a zu ein em m ed ialen
K onzept rö m isch er H e rrsc h e rp o rträ ts..................................................................................................................
15
C h r is tia n W its ch e l
D er K aiser u n d d ie I n s c h rifte n ..................................................................................................................................
45
M a r t in H o se
D er K aiser u n d sein e B eg ren zu n g d u rch d ie a n tik e L iteratur.
B e trach tu n g en zu C assiu s D io ....................................................................................................................................
113
B. Stru ktu rp ro b lem e kaiserlich er H an d lun gsfeld er
D i e t e r T im p e
M o d ern e K o n zep tio n en des K a is e rtu m s .............................................................................................................
127
C h r is te r B r u u n
D ie K aiser, d ie rep u b lik a n isc h e n In stitu tio n en u n d d ie k aiserlich e V e r w a ltu n g .........................
161
M a r t in Z i m m e r m a n n
D ie R ep räsen tatio n des k aiserlich e n R a n g e s .....................................................................................................
181
A lo ys W in t e r lin g
D ie F reundschaft d er röm isch en K a ise r................................................................................................................
207
VI
Inhale
C . F ragestellun gen un d D eu tu n g sm u ster der bio grap hisch en Forschung
U w e W a lter
D er P rinccps als P ro d u k t u n d G estalter.
A u g u stu s, T ib e riu s u n d ihre n eueren B io g r a p h e n ..........................................................................................
2 35
C h r is tia n R o n n i n e
Z w isch en r a t io u n d W ah n .
C a lig u la , C la u d iu s u n d N ero in d er a ltertu m sw issen sc h a ftlich en F o rsc h u n g ...............................
253
D irk S c h n u r b u s c h
R a tio n a litä t u n d Irra tio n alitä t.
D ie F lavier in d er S ich t d er b io g ra p h isch en F o r s c h u n g .............................................................................
277
G u n n a r S e e le n t a g
T rajan , H a d ria n u n d A n to n in u s P ius. D eu tu n g sm u ster u n d P e rsp e k tiv e n .....................................
2 95
O li v ie r H ek ster
E m perors and E m pire. M arcu s A u reliu s and C o m m o d u s ........................................................................
3 17
R e g is te r .................................................................................................................................................................................... ......... 3 29
1. S a c h e n ......................................................................................................................................................................................... 3 2 9
2. P e r s o n e n .................................................................................................................................................................................... 3 3 4
3. O r t e .................................................................................................................................................................................... ......... 3 3 7
4. Q u e lle n ............................................................................................................................................................................. ......... 3 38
Vorwort
B ei d er E rfo rsch un g der G esch ich te der rö m isch en K aiserzeit h ab en sich in den letz ten Ja h re n neue
P erspektiven d u rc h g esetz t: T ra d itio n e lle , le tz tlic h no ch von k o n s titu tio n a lisd sc h e n V o rstellu n gen
des 1 9 .Ja h rh u n d e rts g ep rä g te F ragen n ach S ta a t u n d V erw a ltu n g , aber au ch d ie in d er zw eiten
H älfte des 2 0 .Ja h rh u n d e rts p ro m in e n t g ew o rd en e, g le ic h w o h l eb en falls dem 1 9 .J a h rh u n d e rt z u ­
z u rec h n en d e Frage nach der S c h ic h tu n g d er G esellsch aft sin d z u n eh m en d in den H in te rg ru n d
g etre ten u n d h ab en v erä n d erten P ro b le m ste llu n g en u n d D eu tu n g sk o n z ep tio n en d en W eg frei
g em ach t. Im Z en tru m ein es neu en Interesses steh en sp ezifisch n ic h t-m o d ern e C h a ra k te ristik a
des rö m isch en K aiserreich es: R an g u n d E hre, d ie d ie V ie lfa lt der nach w ie vor stä d tisch g e p rä g ­
ten B ü rg erg esellsch aften s tru k tu rie rte n ; fa m ilia le u n d p a tro n a le B ez ieh u n g ssystem e, d ie sie in
seg m en tärer Form in te g rie rte n u n d d ab ei zu g leic h m u ltifu n k tio n a le A u fg ab en w a h rn a h m e n ;
ko m p lexe p o litisc h e O rd n u n g en , d ie - m o d ern en E rw a rtu n g en z u w id erla u fe n d - in d ie stä d ti­
sch en B ü rgersch aften „ e in g e b e tte t“ b lie b e n ; F orm en sy m b o lisc h er K o m m u n ik atio n , d ie d ie g esell­
sch aftlich en S tru k tu re n im R ah m en d er In tera k tio n v on A n w esen d en in sz e n ie rte n ; u n d sc h lie ß ­
lich d ie S o n d e rsitu a tio n des k a ise rz e itlic h e n R o m , d er a lle an d e re n S tä d te b e h errsch en d e n S ta d t:
H ie r w a r im R ah m en ein er seit Ja h rh u n d e rte n k o lle k tiv u n d äu ß erst erfo lg reic h h errsch en d en
A d clsg ese llsch aft e in e m erk w ü rd ig e F orm d e r M o n a rc h ie en tsta n d en , d ie a u f den fin a n z ielle n und
m ilitä risc h e n R essou rcen des R eich es b asierte, d ie offensichtlich u n a u sw eich lich w ar, d ie aber, d a sie
lan g e g eü b ten p o litisc h e n u n d g esellsch aftlic h en Form en z u w id er lief, m it ein em g ru n d sä tz lic h e n
A k z e p ta n z d e fiz it in n e rh a lb der A d elsg esellsch aft k o n fro n tie rt w a r - ein er A d elsg esellsch aft, a u f die
sie selb st w ie d e ru m a n g ew iesen w ar, um h errsch en zu k ö n n en .
D ie rö m isch en K aiser, d ie im Z en tru m en tsch e id en d e r S tru k tu re n u n d P rozesse d er nach ih n en
b e n a n n ten Z e it stan d en , sin d b islan g n u r an satzw eise G eg en stan d n e u e r F rag estellu n ge n g ew o r­
den . D as D esin teresse d er jü n g eren F o rsch u n g en tsp rich t h ie r dem d er älte re n : D ie „ z ü n ftige“, an
S tru k tu ra n a ly se n des „ K aisertu m s“ o d e r „des K aisers“ als K o llek tiv su b jek t in te re ssierte A lth isto rie
des 2 0 .Ja h rh u n d e rts h a tte d ie ein z eln e n k a ise rlic h e n P erson en fast v o llstä n d ig v ern a ch lä ssig t und
w e itg e h e n d e in e r b io g ra p h isch en S p e z ia lfo rsch u n g ü b erlassen , d ie ih rerseits d ie E rken n tn isse
d er S tru k tu rg e sc h ic h te g la u b te ig n o rie re n zu k ö n n en . P erso n alistisch e, von p sych o lo g isc h en
A n a ch ro n ism e n d o m in ie rte In terp reta tio n en w aren h ä u fig d ie Folge.
H ie r lie g t das D esid e rat, dem sich d er v o rlieg en d e B an d w id m e t. D ie in ih m v ersam m elten
B eiträge v ersu ch en , d ie M ö g lic h k e ite n e in e r neu en , stru k tu rg e sc h ic h tlic h e u n d b io g rap h isch e
F rag estellu n gen v e rb in d en d e n K aisergesch ich te in syste m atisc h er W eise zu e rk u n d en . S ie gehen
davon aus, dass je d e E reig n isg esc h ich te k a ise rlic h e n H a n d e ln s u m fa n g re ich e n stru k tu rg e sc h ic h t­
lich en V orw issens b e d a rf u n d dass u m g e k eh rt g era d e u n e rw a rte te s u n d m e rk w ü rd ig ersch ein en d es
k a iserlich e s H a n d e ln als T estfall u n d H e ra u sfo rd e ru n g e in e r stru k tu rg e sc h ic h tlic h e n A n a lyse jen er
Z e it zu g elten hat.
D ie G lie d e ru n g des B an des versu ch t der sk iz zie rte n P ro b le m lag e g erech t zu w e rd e n . N ach e in le i­
ten d en m e th o d isch -th eo re tisc h e n V o rü b erleg u n g en w ird im ersten Teil zu n äch st d ie v ergleich sw eise
u m fan g re ich e , ab e r in ih rem A u ssag ew ert oft sch w er e in z u sc h ä tze n d e b ild lic h e , ep ig ra p h isch e und
V III
V orwort
lite ra risc h e Q u e lle n la g e an a ly siert. Im z w eite n T eil w ird d ie F o rsch un g zum K aisertu m u n d zu den
z en tra len k a iserlich e n H a n d lu n g sfeld ern k ritisc h a u fg e arb e ite t, w o b ei ein beso n d eres Interesse den
oft: p arad o x ersch ein en d e n , aus dem Z u sam m en treffen von S tru k tu re n d er a lten A d elsrep u b lik und
d er n eu en k a iserlich e n H errsch aft e n tsta n d e n e n aristo k ra tisch en K o m m u n ik atio n sb e d in g u n g e n
g ilt. D er d ritte T eil sc h lie ß lic h a n a ly sie rt d ie u m fa n g re ich e b io g ra p h isch e F o rsch un g zu den rö m i­
sch en K aisern von A u g u stu s bis C o m m o d u s h in sic h tlic h ih rer F rag estellu n gen u n d D eu tu n gsm u ster,
ih rer m eth o d isch en S ack gassen u n d an sc h lu ssfäh ig en A ltern a tiv e n .
D ie B eiträ g e sin d aus ein em w issen sch aftlich en K o llo q u iu m h e rv o rg eg an g en , das vom 11. bis
13. J a n u a r 2 0 0 7 am H isto risch e n K o lleg in M ü n ch e n sta ttg e fu n d e n hat. D ie T eiln eh m er w aren b e­
reit, sich a u fT h e m e n ein z u lassen , d ie ich als S tip e n d ia t des H isto risch e n K ollegs v o rgesch lag en h a t­
te. D ie A rb e it an g em ein sam en P ro b lem en aus u n te rsc h ie d lic h e n P erspektiven m ach te d ie V orträge
u n d D isk u ssio n en zu ein er a u ß e rg e w ö h n lic h e rtrag re ic h e n w issen sc h aftlich en V eran staltu n g. D afü r
m ö ch te ich a llen b e te ilig te n W issen sch a ftlerin n en u n d W issen sch a ftlern , den V o rtrag en d en w ie
auch d en M itd isk u tie re n d e n , n o ch e in m a l h e rz lic h d an k en .
O rg a n isa to risch b e tre u t h ab en das K o llo q u iu m E lisab eth M ü lle r-L u c k n e r u n d das T eam der
K au lb ac h -V illa , in d eren stilv o llem A m b ie n te d ie T a g u n g sta ttfan d . N ach E in g an g d er M a n u sk rip te
h a t R ic a rd a B erth o ld m it g e w o h n te r P ro fessio n a litä t u n d g ro ß em E n g ag em en t d ie D ru ck v o rlag e
für d en v o rlieg en d en B an d erstellt. B ei d er T ex tred a k tio n u n d d er E rstellu n g d er R eg iste r haben
m ir F ab ian G o ld b eck , Ja n M eister, A le x a n d e r D ietz, A lex a n d er D om s u n d F rid erike S e n k b e il gro ße
H ilfe g eleiste t. Ihnen a llen d an k e ich h e rz lic h .
M e in b eso n d erer D a n k g ilt d em H isto risc h e n K o lleg m it sein em K urato rium s-V o rsitzen d en
H errn L o th a r G ail fü r d ie M ö g lic h k e it, ein J a h r la n g in M ü n ch e n u n g estö rt von an d eren
V erp flich tu n g en an ein er G esc h ich te der rö m isch en K aiser zu arb eiten .
B e r lin , im J u l i 2 0 1 1
A lo ys W in t e r l in g
Verzeichnis der Tagungsteilnehmer
PD Dr. M o n ik a B ern ctt, M ü n ch e n
Prof. D r. C h ristel' B ru u n , T o ro nto
Dr. F ab ian G o ld b cck , B erlin
Prof. Dr. R u d o lf H aen sch , M ü n ch en
D r. O liv ie r H ek ster, N ijm eg en
Prof. Dr. R a lf v o n d en H off, F reiburg
Prof. Dr. M a rtin H o se, M ü n ch e n
Prof. Dr. C h ristia n M eier, H o h e n sch äftlarn
Dr. C h ristia n R o n n in g , M ü n ch e n
D r. D irk S ch n u rb u sch , F reibu rg
P D Dr. G u n n ar S e e le n ta g , K öln
Prof. Dr. N atasch a S o jc, L eiden
Prof. Dr. D ieter T im p e , W ü rz b u rg
Prof. D r. U w e W alter, B ielefeld
Prof. Dr. A lo ys W in te r lin g , B erlin (S tip e n d ia t des H isto risch e n K ollegs 2 0 0 6 / 0 7 )
Prof. D r. C h r is tia n W its c h e l, H e id elb erg
Prof. Dr. R e in h a rd W o lte rs, W ie n
Prof. Dr. M a rtin Z im m erm an n , M ü n ch e n
Aloys W interling
Zu Theorie und Methode einer
neuen Römischen Kaisergeschichte
Durch das Nachdenken langer Jahre erwuchsen diese Kaiser der Römer in dem Gefängnis des ßücherzimmers
zu lebendigen Erscheinungen. Da saßen sie nun auf den Borden, den Stühlen, selbst an meinem Schreibtische,
bis mir die gespenstige Umgebung zur Qual wurde. So habe ich denn geschrieben, um mich selbst zu befreien.1
I. K aisergesch ich te als veraltetes F o rsch un gsp arad igm a
D ie S ätze, m it d en en A lfred von D o m aszew ski vor e tw a ein em J a h rh u n d e rt d ie le tz te u m fa n g re i­
che, a u f d e r B asis fa ch w issen sch aftlich er F o rsch u n g g esch rieb e n e R ö m isch e K aisergesch ich te e in ­
le ite te , d o k u m e n tie re n u n g e w o llt ein en ersten G ru n d für d ie g erin g e R ep u tatio n d ieser G a ttu n g
in d er A lth isto rie des 2 0 .Ja h rh u n d e rts: D er V ersuch, d ie rö m isch en K aiser als h a n d eln d e P ersonen
in das Z en tru m h isto risch e r A n alysen zu stelle n , g in g e in h e r m it d er F ik tio n d er N äh e des m o ­
d ern en F orsch ers zu sein en G eg en stän d en , u n d diese F ik tio n b e g ü n stig te P ro jek tio n en z e itg e ­
b u n d e n er m o d e rn er P ersö n lich k eitsv o rstellu n g en au f d ie zw eitau sen d Ja h re z u rü c k lie g e n d e aris­
to k ratisc h e G esellsch aft R om s. P sych o lo gisch e A n a ch ro n ism e n b ei der B e u rte ilu n g rö m isch er
„ H errsch erg e sta lte n “ w aren d ie F olge, d ie oft m eh r ü b er d ie P ersö n lich k eit d er F orsch er als ü b er die
d er E rfo rsch ten au ssag ten .
W eitere A rg u m en te , d ie ein e K aisergesch ich te m eth o d isch o b so let ersch ein en lie ß e n , sin d leic h t
zu e rm itte ln : S ie g a lt g erad ezu als M u ste rfa ll ein er stru k tu rg e sc h ic h tlic h b lin d e n , au f das H a n d eln
„groß er M ä n n e r“ v eren g ten p o litisc h e n E reig n isg esc h ich te, d ie vorgab , d ie G esch ich te d er E poche
zu sein , ta tsäc h lic h ab er n u r d ie a n tik en , von b io g ra p h isch em Interesse e rfü llte n Q u e lle n n a c h ­
e rz ä h lte 2. S p ätesten s seit d er so z ia lg esc h ich tlich en W en d e d er sec h z ig er Ja h re w a r d iese A rt von
G esch ich tsw issen sch aft m eth o d isch a n tiq u ie rt, ja u n h a ltb ar. D er S c h w e rp u n k t des Interesses w a n d ­
1A lfred v. D om aszew sk i, Geschichte der römischen Kaiser [1909], 2 Bde., Bd. 1 (Leipzig : 1922) IV.
2 Vgl. K a rl C hrist, Geschichte der römischen Kaiserzeit von Augustus bis zu Konstantin (M ünchen ''2001) 3:
„In kaum einer historischen l-ormation war so lange die ,personalisierende1 Betrachtung vorherrschend wie
hier [sc. in der Geschichte der römischen Kaiserzeit], die Gleichsetzung einer Reihe von Kaiserbiographien
mit der Geschichte einer historischen Epoche. ... Die Menschen an der Spitze des Reiches und nicht die
Institutionen interessierten das große Publikum . Die Geschichte des Imperium Romanum verengte sich so
zu einer Galerie oft wenig anziehender Kaiserbilder.15 Als späte, fachwissenschaftlichen Standards entspre­
chende Beispiele der von Christ kritisierten Richtung vgl. z.B. A lbino G arzetti, Cimpcro da Tiberio agli
Antonini (Storia di Roma 6, Bologna 1960); H an s-G eorg P flaum , Das römische Kaiserreich, in: A lfred Heuß\
C olo M an n (H g.), Rom. Die römische W elt (Propyläen W eltgeschichte 4, Berlin u.a. 1963) 3 1 7 -4 2 8 .
A loys W in te rlin g
2
te sich d er U n te rsu ch u n g g esellsch aftlic h er S tru k tu re n zu, d ie den E reignissen zu g ru n d e lag en , ohne
d eren K en n tn is E reignisse g ar n ic h t v erstän d lich sein k o n n ten u n d d en en g eg en ü b e r sie den S tatu s
von S ek u n d ä rp h ä n o m en en zu h ab en sch ien en .
Fast ein Ja h rh u n d e rt zuvor h atte sch on T h eo d o r M o m m sen geg en d ie „H of- und S en atsge sch ic h te
in d er W eise des T a c itu s“ ’ p o le m isie rt u n d d a m it ein en d ritte n M a n g e l b e n a n n t: K aisergesch ich te
ersch ien b e sch rän k t d u rch ihre ro m z en trierte P erspektive, d ie w ie d eru m u n k ritisc h von den a risto ­
k ra tisch en Q u e lle n ü b ern o m m en u n d n ic h t in d er L age w ar, das riesige rö m isch e R eich u n d d a m it
d ie w irk lic h e n tsch e id en d e n h isto risch e n B e d in g u n g e n jen er Z e it ü b erh a u p t in den B lick zu b e­
kom m en*. D ie E n tw ic k lu n g en in den S tä d ten u n d V ö lk ersch aften d er P ro vinzen des R eich es, d ie
g ew isserm aß en d en „ U n terb au “ des Z en tru m s R o m d a rste llte n , w aren d u rc h ein e K aisergesch ich te
n ic h t zu erlassen , u n d d iese selb st sch ien g e g en ü b e r ein er rö m isch en R eich sge sch ich te m a rg in a len
C h a ra k te r zu h a b e n '.
S p rach en p sych o lo g isc h e A n a ch ro n ism e n , V eren gu n g a u t p o litisch e E reig n isg esc h ich te u n d ro m ­
z e n trie rte S ic h t g e n e re ll g egen ein e K aiserge sch ic h te, so sta n d en ih r ein e th e o retisch e E n tsch eid u n g
u n d ein m eth o d isch es P ro blem in sp ezifisch er W eise im W eg . D erselb e M o m m sen h atte d u rch
sein ep o ch ales „R ö m isch es S ta a tsre c h t“ d ie an S tru k tu r- sta tt an E reig n isg esch ich te in teressierte
F o rsch un g - n ic h t nu r d ie d eu tsch e - so n a c h h a ltig fa sz in ie rt, dass m an im R ü c k b lic k von ein er
ja h rz e h n te la n g e n K o n z e n tratio n a lth isto risc h e r T h e o rie b ild u n g au f sta a tsre ch tlich e K o n stru k tio n
sp rech en k a n n 6. D er V ersuch, (a u c h ) d ie rö m isch en K aiser u n ter stru k tu rg e sc h ic h d ic h e n F ragen zu
an a ly sieren , fü h rte zur F rage n ach dem „K aise rtu m “ u n d dieses w u rd e im A n sch lu ss an M o m m sen
als S o n d e rfa ll d er re p u b lik a n isc h e n M a g istra tu r, d .h . als p o litisch es „ A m t“ k o n z e p tu a lisie rt. D ie
K aiser selb st g erieten d a m it ten d en z iell aus d em B lic k . S ie sp ielten le d ig lic h als „ A m tsin h a b e r“ ein e
R o lle, d ie n ach d er U n te rsc h e id u n g fä h ig / u n fä h ig zu b e u rte ile n w aren u n d g eg en ü b e r d em A m t
selb st u n b e d eu te n d ersch ien en . Z w ar h a tte M o m m sen selb st an v ielen S te lle n sein es W erkes a u f die
S e le k tiv itä t u n d K o n stru k tiv ität sein er sta a tsre ch tlich en A n a lysen v erw iesen , d ie er au sd rü c k lic h
3 Zitiere bei K a rl C hrist, Von Gibbon zu RostovtzefT Leben und W erk führender Althistoriker der Neuzeit
(D arm stadt 1972) 114.
‘ Vgl. z.B. A lfred H cuß. Römische Geschichte (Paderborn u.a. (T 998) 321: „An der historisch entscheiden­
den Tatsache, der Existenz des Römischen Reiches, hat der einzelne Kaiser im Allgem einen nur einen sehr
geringen persönlichen A nteil.“
’ M om m sen hat bekanntlich in seiner Römischen Geschichte für die Kaiserzeit nur den fünften Band, der
die Entwicklungen in den Provinzen des Reiches behandelt, vorgelegt, nicht aber den vierteil, dessen Thema
die Geschichte des Zentrums' und dam it der Kaiser gewesen wäre. Vgl. das Folgende.
Die ältere Kultur- und Sittengeschichte, der andere wichtige Theorieversuch des späten 19. und frühen
2 0 .Jahrhunderts, ließ die Kaiser als Gegenstand konsequenterweise unbeachtet und führte im Ergebnis
zu einer Konzentration auf antiquarische Deskription. Der Versuch, entsprechende Fragen unter dem
Begriff der „monarchischen Repräsentation“ auf die Kaiser zu beziehen, tendierte - trotz aufschlussreicher
Einzelergebnisse - zu geistesgeschichtlicher Spekulation. Vgl. L u d w ig F ried lä n d er, Darstellungen aus der
Sittengeschichte Roms in der Zeit von Augustus bis zum Ausgang der A ntonine, 4 Bde., hg. von G eorg
W issowa, 10. Aufl. (Leipzig, Bd. 1 und 2 1922; Bd. 3 1923; Bd. 4 1921); A ndreas A lföldi, Die monarchische
Repräsentation im römischen Kaiserreiche [1934, 1935] (D armstadt 1970); zu beiden siehe Aloys W interling,
Aula Caesaris. Studien zur Institutionalisierung des römischen Kaiserhofes in der Zeit von Augustus bis
Com m odus (31 v.Chr. - 192 n.C hr.) (M ünchen 1999) 15-1 8, 2 8 -3 2 .
Heitßy Römische Geschichte (wie A nm .4) 590: „Auffällig wird imm er bleiben, dass gerade das erste
Jahrhundert so viele Versager auf dem Kaiserthron sah . . . “ Noch bei Fergus M illars Konzentration auf
die Konstruktion eines im Büro arbeitenden Kaisers (und bei der dam it einhergehenden Vernachlässigung
der Kaiser, die dies nicht taten) zeigen sich, scheinbar weit entfernt von Mommsens „Staatsrecht“, dessen
Spätwirkungen {Fergus M illa r, The Emperor in the Roman W orld [31 B.C. - A.D. 337] [London ‘ 1992]).
Zu T heorie und M echode einer neuen R öm ischen K aisergeschichte
3
von „ P o litik “ u n d „ G esch ich te“ d er u n tersu c h ten Z e it u n te rsc h ie d 8. Z w ar h atte er d en k a ise rz e it­
lich en „ S taa t“ ab sc h lie ß en d als „ D ya rch ie“ b e sch rie b en 9, w o m it er e in e r p o litisch en P arad o xie der
S te llu n g d er K aiser R ech n u n g tru g (u n d sein em „ S taa tsre c h t“ ein e so lch e e in h a n d e lte ). D ie sim p li­
fizieren d e R ez ep tio n sein es g ro ß en W erkes in d er n a c h fo lg e n d en F o rsch un g (d ie das S ta a tsre c h t für
d as G anze h ie lt) h at er g le ic h w o h l n ic h t d em e n tieren w o llen o d er k ö n n en : D er v ierte B an d sein er
R ö m isch en G esch ich te, in dessen Z en tru m d ie K aisergesch ich te h ä tte steh en m üssen u n d d u rch
d en d e r g ru n d sä tz lic h e U n te rsch ie d von „ P o litik “ u n d „ G esch ich te“ g e g en ü b e r dem S ta a tsrec h t von
d er a n d eren S e ite h e r d e u tlic h g ew o rd en w äre, w u rd e n ie g e sc h rie b e n '11.
N ich t z u le tz t w aren es d ie litera risch e n Q u e lle n , d ie e in e r R ö m isch en K aisergesch ich te im W ege
sta n d e n : S ie fließ en z w ar a u ß e rg ew ö h n lich re ic h h a ltig , sin d jed o ch a u fg ru n d des g esellsch aftlich en
S ta tu s ih rer A u to re n d u rc h g ä n g ig von ein em m o ra lisie re n d e n aristo k ra tisch en B lick w in k el g ep rä g t.
D ie ten d en z iö sen , oft n ach w eisb ar d en u n z iato risch e n C h a ra k te risie ru n g e n d er K aiser in d er an tik en
H is to rio g ra p h ie u n d B io g ra p h ie sch ien en nu r zw ei - g leich erm a ß en u n b e fried ig en d e - A usw ege
z u zu lassen : ih rer T en d en z u n d ihren W e rtu n g e n w id e r besseres W isse n zu fo lgen o d er g eg en die
A ussagen d er Q u e lle n g ru n d le g e n d e U m w e rtu n g en v o rz u n eh m e n . L etzteres w a r m it erh e b lic h en
m eth o d isch en P ro b lem en b e la stet u n d h atte, da d iese k a u m syste m atisc h b e d ach t w u rd en , oft p ro b ­
lem atisch ere F o lgen als das A ussch reib en der a n tik e n B erich te. D er V ersuch, d ie A lte rn a tiv e zu v er­
m eid e n u n d „ w ertfreie“ a n tiq u a risc h e R e k o n stru k tio n e n d er p o litisc h e n E reig n isg esc h ich te oh ne
w e ite re A n a lys en e tw a d er M o tiv a tio n sstru k tu r d er b e te ilig te n P erson en zu liefern , ste llte eb en falls
k ein e L ö su n g d a r: G erad e d ie p ro b lem atisch en u n d a u fsch lu ssreich en B ed in g u n g e n u n d E reignisse
w erd en in d en Q u e lle n in d er R egel n ic h t w e rtfre i, so n d ern ten d en z iö s b e rich tet.
D ie sk iz zie rte n E in w än d e u n d S c h w ie rig k e ite n h ab en n u n in den letz ten Ja h rz e h n te n zum
v ö llig en V ersch w in d en d er G a ttu n g K aisergesch ich te u n d zu e in e r p ro b lem atisch en A u fsp altu n g
z w isch en stru k tu rg e s c h ic h tlic h e r u n d b io g ra p h isch er F o rsch u n g g e fü h rt: „ Seriö se“ A lth isto rie
k o n z e n trie rt sich a u f d ie A n a lyse von S tru k tu re n im U m feld d er K aiser, d .h . a u f sich n u r lan g sam
v erä n d ern d e , d u rc h in d iv id u e lle s H an d eln w e n ig e r b eein flu ssb are Sach verh alte, u n d m e id e t das
P ro b lem d er u n te rsc h ie d lic h e n in d iv id u e lle n D isp o sitio n en d e r je w e ilig e n K aiserp erso n en u n d das
d arau s resu ltieren d e P ro b lem d er K o n tin gen z des k a iserlich e n H a n d eln s. D ies w ird d e u tlic h sich t­
b ar z.B . d a ran , dass d ie K aiser aus n eueren G e sa m td a rste llu n g e n d er K aiserzeit m ittle rw e ile w e it­
g eh e n d v ersch w u n d en s in d " . N im m t m an als ein typ isch es B eisp iel W ern e r D a h lh eim s konzisen
* I h e o d o r M om m sen , Römisches Sraatsrecht (StR) II 2 (Leipzig M 887) z.B. 904: Die . Einwirkung dei• [sc. kai­
serlichen] Diener und der ,Freunde* auf den Gang der Staatsgeschäfte“ gehöre „der Geschichte an, nicht dem
Staatsrecht“. Vgl. die häufigen Dichotomien faktisch/staatsrechtlich, geschichtlich/staatsrechtlich, materiell/
von Rechtsw egen, rechtlich/tatsächlich, formell/tatsächlich, politisch/rechtlich u.a. z.B. 748, 869, 923 A. 1,
960, 1135, 1137, 1138, 1145.
9 StR bes. 111 2. Siehe Aloys W in terling, Dyarchie in der römischen Kaiserzeit. Vorschlag zur W iederaufnahm e
der Diskussion, in: W ilfried N ippel, B ern d S eid en stick er ( Flg.), Theodor M ommsens langer Schatten. Das
Römische Staatsrecht als bleibende Herausforderung für die Forschung (Hildesheim u.a. 2005) 177-198
(engl. Übers, in: Aloys W in terling, Politics and Society in Imperial Rome [M aiden u.a. 2 0 0 9 j 1 23 -14 0 ).
Ul Die Aufgabe einer Kaisergeschichte, den „unter der Schale elender Hofgeschichten sich verbergenden Kern
herauszuschälen,“ sei ihm „nicht gelungen“, so M om msen a u f der Berliner Schulkonferenz im Juni 1900.
(Verhandlungen über Fragen des höheren Unterrichts 1900 [H alle 1901 j I47f., zit. nach: T heodor M om m sen ,
Römische Kaisergeschichce. Nach den Vorlesungsmitschriften von Sebastian und Paul Hensel 1882/86, hg.
v. B arbara u. A lex ander D em a n d t [M ünchen 1992] 21.)
11 Eine Ausnahme stellen althistorische Überblicksdarstellungen dar, die - mal mehr, mal weniger seriös - das
Interesse eines breiteren Publikums zu befriedigen suchen. Vgl. aus den letzten Jahren A lexander D em a n d t,
A loys W in te rlin g
4
Ü b e rb lic k ü b er d en S ta n d d er F o rsch un g zu r rö m isch en K aiserze it in „ O ld en b o u rg s G ru n d riss d er
G esc h ich te“, so fin d en d ie K aiser R om s - m it A u sn ah m e des A u g u stu s - w e d er in d er h isto risch e n
D a rste llu n g , no ch bei d er A n alyse d er F o rsch un g irg e n d ein e E rw ä h n u n g 12. D a m it e in h e r g e h t ein
g e n e re lle r R ü c k g a n g ern st zu n e h m en d er - d .h . stru k tu rg e sc h ic h tlic h ab g esic h erter - p o litisc h e r
E reig n isg esch ich te.
U n te rsu ch u n g e n , d ie d ie K aiser zum T h em a m ach en , sin d d em g eg en ü b er in ein e b io g ra p h isch e
S p e z ia lfo rsch u n g v e rd rä n g t w o rd en , u n d für diese ist oft c h a ra k teristisch , dass sie d ie E rgebnisse
d er stru k tu rg e sc h ic h tlic h e n F o rsch u n g ig n o rie rt und fach w issen sch aftlich e S ta n d a rd s n u r u n ­
z u reic h en d b e ach tet. A n a ch ro n istisc h e W e rtu n g e n u n d g e le g e n tlic h g an z o ffen bar w e rd e n d e
„ G eg en ü b e rtra g u n g en “ b e id e r B eu rte ilu n g d er ein z eln e n K aiser, p erso n alistisc h e E reig n isg esc h ich te
o h n e stru k tu rg e sc h ic h tlic h e K o n textb ezü ge, B e lie b ig k e it im U m g a n g m it d er p ro b lem atisch en li­
terarisch e n Ü b e rlie fe ru n g u n d sp ek u lativ e D eu tu n g e n sin d k ein esw egs selten e E rsch e in u n g en 1’.
A u fg ru n d des G en res w e rd e n d ie K aiser gen e re ll n ic h t p rim ä r als K aiser, d .h . u n ter dem A sp e k t ih rer
g an z b e so n d eren p o litisch -so z ia len R o lle, so n d ern als h isto risch e P erson en ü b erh a u p t (m it E ltern,
K in d h e it, E rzie h u n g , b eso n d erer L eb en sg e sch ich te etc.) zum T h em a g em ach t. O b w o h l also d ie
L ücke, d ie d u rc h das V ersch w in d en tier K aiserge sch ic h te en tsta n d en ist, d u rch K aiserb io g rap h ien
n ic h t g e fü llt w ird , sch ein en d o ch d ie E in w än d e, d ie g eg en jen e erh o b en w o rd en sin d , a u f d ie b io ­
g ra p h isc h e F o rsch un g n o ch v erstärk t zuzu treffen . Insofern ist d ie Z u rü c k h a ltu n g d er „zü n ftigen “
F o rsch u n g k o n s e q u e n t1'1.
D ie Frage ist n u n aber, ob ein e so lch e h isto risch e B io g ra p h ik au f d er H ö h e d er Z eit ist. K önn en die
E in w än d e g eg en ein e K aisergesch ich te, d ie zur A u fsp a ltu n g von stru k tu rg c sc h ic h tlic h e r u n d b io g ra ­
p h isch er F o rsch u n g g e fü h rt h ab en, an g esich ts n e u e r E n tw ic k lu n g en in d er G esch ich tsw issen sch aft
n o ch ü b erzeu gen ?
II. K ritik der K ritik
M an k an n h e u te seh en , dass d ie M ä n g el, d ie e in e r K aisergesch ich te an z u h aften sch ein en , n ic h t
m it d er S ach e selb st, so n d ern m it dem u n z u lä n g lic h e n m eth o d isch -th eo re tisc h e n R ü stz eu g zu
tu n h ab en , m it dem in d er alth isto risc h en F o rsch u n g v o rgegan gen w u rd e. So sin d p sych o lo g isc h e
A n a ch ro n is m e n als P ro b lem h isto risch e r A n a lysen län g st erk a n n t un d k ein e sfalls als u n u m g e h b a r an ­
zuseh en . Ih n en ist seit e in ig e n Ja h rz e h n te n e n tg e g e n g e a rb e ite t w o rd en d u rc h M e n ta litä tsg e sc h ic h te
u n d H is to risch e A n th ro p o lo g ie , d ie gerad e d ie W a n d e lb a rk e it m e n sch lich e r A ffekt-, M o tiv a tio n s­
u n d P ersö n lic h k e itsstru k tu re n zum T h em a g em a ch t u n d d iese d a d u rch h isto risie rt h a b e n 1’ .
Das Privatleben der römischen Kaiser (M ünchen ’ 1997); M a n fred C laim (H g.), Die römischen Kaiser. 55
historische Portraits von Caesar bis Iustinian (M ünchen 1997).
12 W erner D a h lh eim , Geschichte der römischen Kaiserzeit (M ünchen -*2003). Lediglich in der Bibliographie
wird eine kleinere Zahl von Kaiserbiographien aiifgefiihrc.
■ Dies hat dazu geführt, dass die um fangreichen, antiquarischen Artikel zu den Kaisern in „Paulys
Realencyklopädie der classischen Altertumswissenschaft“ nach wie vor als nicht die schlechtesten Exemplare
der G attung „Kaiserbiographie“ zu gelten haben.
] ' Zu Ausnahmen vgl. das Folgende.
Siehe Ihorn as N ipperdey, Bemerkungen zum Problem einer historischen Anthropologie [19671, in: Aloys
W in terlin g (H g.), Historische Anthropologie (Stuttgart 2006) 8 1 -9 9 ; J o ch e n M a rtin , Der W andel des
Zu Theorie unit M eth ode ein er neuen R öm ischen K aisergeschichte
In ä h n lic h e r W eise k ö n n en E reig n isg esch ich re und S tru k tu rg e sc h ic h te n ic h t lä n g e r als k o n k u r­
rieren d e U n te rn eh m u n g e n au lg efasst w e rd e n 16. D er G efah r, im W ir k e n g ro ß er M ä n n e r d ie tre ib e n ­
d en K räfte h isto risch e r E n tw ic k lu n g en zu seh en , ist (a u c h ) d ie A lte G esch ich te d erz eit k a u m m eh r
au sgesetzt. V ie lm e h r k a n n es m ittle rw e ile als a llg e m e in a k z e p tie rt g elten , dass ein e A n alyse der
stru k tu re lle n B e d in g u n g e n u n d d er sich d arau s erg eb e n d en B esch rän k u n gen bzw. S p ie lräu m e des
H an d eln s h isto risch e r A k te u re ein e n o tw e n d ig e V o raussetzu n g fü r d ie E rken n tn is ih rer in d iv id u e l­
len B eso n d e rh eiten u n d L eistu n g en ist. S tru k tu rk e n n tn is ist also V o raussetzu n g d er an gem essen en
W a h rn e h m u n g u n d D e u tu n g von E reignissen, eb enso w ie u m g e k eh rt E reignisse als re stfä lle für die
A n g em essen h eit v on S tru k tu rb e sch reib u n g en g e lte n m üssen.
A u ch d ie G esc h ich te R o m s u n d d ie G esc h ich te der P ro v in zen k ö n n en n ic h t län g er g e g e n e in a n ­
d er in S te ilu n g g e b ra c h t w erd en . E inerseits h at sich bei d er E rforsch un g d er P ro v in z ialge sch ich te
ein e gew isse E rn ü ch teru n g b reitg em a ch t: A u fg ru n d d er sp ezifisch en Q u e lle n la g e - in sb eso n d ere
In sch riften , d ie w e ite rg e h e n d e R ück sch lüsse auf z eitg en ö ssisch e S elb streflexio n en selten zulassen
- ist das S p e k tru m b e a n tw o rtb a re r F rag estellu n gen im V ergleich zur in n errö m isch en G esch ich te
in d er R egel d e u tlic h b egren zt. A n d e re rse its k a n n d ie für v o rm o d ern e G esellsch aften g ru n d le g e n ­
d e B e d e u tu n g d er W e c h selw irk u n g en zw isch en Z en tru m u n d P erip h erie u n d d a m it z u g leic h auch :
d ie V orb ild - u n d O rie n tie ru n g sfu n k tio n des Z en tru m s fü r d ie P erip h erie als a n e rk a n n t g e lte n 17.
Z e n tru m sg e sch ich te u n d R eich sge sch ich te h ab en also als p a ra lle le A n alysen ein es g em ein sam en
Z u sam m e n h an gs m it u n tersch ied lich en F rag estellu n ge n zu g elten , u n d gerad e a n g esic h ts der
Z e n tru m sfu n k tio n R o m s für das R eich g ib t es k ein e n G ru n d , sich von d en m it p ra llem L eb en er­
fü llte n Q u e lle n z u r G esch ich te des Z en tru m s des Z en tru m s - das ist d ie G esch ich te der K aiser
- ab zu w en d en .
B ei d er A n alyse stru k tu rg e sc h ic h tlic h e r S a ch v e rh a lte des k a ise rz e itlic h e n R om sin d in den letz ­
ten Ja h rz e h n te n g e g en ü b e r den ä lteren , e x p liz it o d er im p liz it von sta a tsre ch tlich en V o rstellu n gen
d o m in ie rte n F o rsch u n gsan sätzen d e u tlic h e E rk e n n tn isfo rtsch ritte zu v erzeich n en . S ie betreffen ,
w ie n ic h t an d ers zu e rw a rte n , ganz, u n te rsc h ie d lic h e T h e m e n b e re ic h e 18. W ic h tig ist im h ie r v er­
fo lgten Z u s am m e n h a n g , dass erstm als w ie d e r u n d in n e u e r W eise das u n m itte lb a re H a n d lu n g sfeld
d er rö m isc h en K aiser, d ie S tru k tu re n , E n tw ic k lu n g en u n d B e d in g u n g e n des k a ise rlic h e n H ofes,
Beständigen. Überlegungen zu einer historischen Anthropologie [1994], ebd. 143-157. - Eine methodisch
überzeugende Umsetzung bleibt für die Alte Geschichte allerdings ein Desiderat (vgl. unten Anm. 30).
16 Siehe R ein h ä rt Kose/leck, Darstellung, Ereignis und Struktur [1973], in: O m ., Vergangene Zukunft. Zur
Sem antik geschichtlicher Zeiten (Frankfurt am M ain 1979) 1 4 4 -15 7 ; A ndreas S uter, M a n fred H ettlin g (H g.),
Struktur und Ereignis (Geschichte und Gesellschaft Sonderheft 19, Göttingen 2001).
1 Vgl. E d w ard S hils, Centre and Periphery, in: The Logic o f Personal Knowledge. Essays Presented to Michael
Polanyi (London 1961) 1 17 -13 0 ; Niklas L uhm ann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 2 Bde. (Frankfurt am
M ain 1997) II 6 6 3 -6 7 8 .
ls An theoretisch innovativen Untersuchungen seien exemplarisch genannt: P a u l Veyne, Le pain et le cirque.
Sociologie historique d’un pluralism e politique (Paris 1976; dt. Übers. 1988); R ich a rd P. S a lier, Personal
Patronage under the Early Empire (Cam bridge 1982); K eith H opkins, Death and Renewal. Sociological
Studies in Roman History, Bd. 2 (Cam bridge 1983); F ried rich V ittinghojf, Gesellschaft, in: Ders. (Flg.),
Europäische W irtschafts- und Sozialgeschichte in der römischen Kaiserzeit (Stuttgart 1990) 1 61 -36 9 ; Egon
b la ig, Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im römischen Reich (Frankfurt am M ain, New York 1992);
M a rio Pani, Potere e valori a Roma fra Augusto e Traiano (Bari -1993); A ndrew W allace-H adrill, Suetonius.
Ihe Scholar and his Caesars (London : 1995); J o h n E. L endon, Empire of Honour. Ilu: Art o f Government
in the Roman W orld (Oxford 1997); Itta i G radei, Emperor W orship and Roman Religion (Oxford 2002);
M a tth ew B. R oller, Constructing Autocracy. Aristocrats and Emperors in Julio-Claudian Rome (Princeton
u.a. 2001).
A io vs W in te rlin g
6
in d en B lick g en o m m en w u rd e n 19. D ieser en tzo g sich g ru n d sä tz lic h ein er sta a tsre ch tlich en
B etrach tu n g sw e ise, w o rau f sch o n M o m m sen h in g e w ie se n h a tte 10. W ä h re n d je d o c h M o m m sen
a u sd rü c k lic h d ie W ic h tig k e it des - sta a tsre c h tlic h n ic h t erfassb aren - H ofes b e to n t h a tte, g la u b te
d ie fo lgen d e F o rsch un g lan g e, ihn ig n o rie re n zu k ö n n e n 21. A us d er W a h rn e h m u n g des H ofes als
k a ise rlic h e m H a n d lu n g sfe ld erg eb en sich n u n n eu e K o n z e p tu a lisie ru n g en der R o lle d er K aiser, d ie
w e d er m a g i s t r a t e s n o c h p r i v a t u s w aren u n d d eren K aisertu m n ic h t d u rch R ü c k tritt o d er A b se tz u n g ,
so n d ern n u r d u rc h d en Tod d er je w e ilig e n K aiserp erso n zu ein em E nde ko m m en k o n n te.
D ie Z u n ah m e stru k tu rg e sc h ic h tlic h e n W isse n s schafft sc h lie ß lic h au ch d ie B e d in g u n g e n für
ein en n ic h t d ez isio n istisc h en , so n d ern m eth o d isch k o n tro llie rte n U m g an g m it den te n d e n z iö ­
sen Q u e lle n ü b er d ie K aiser. Z w ar b asieren auch stru k tu rg e sc h ic h tlic h e A n alysen auf eb en d iesen
Q u e lle n , sie z iele n je d o c h a u f d ie E rm ittlu n g von z eitg en ö ssisch en S e lb stv e rstä n d lic h k e ite n u n d
a llg e m e in B ek a n n tem , von S a ch v erh alten also, d ie als so lch e von d er A u ssag eab sich t des je w e ili­
g en A u to rs u n b eein flu sst, ja ih r v o rg e o rd n e t w aren . S tru k tu rg e sc h ic h tlic h e s W isse n lie fe rt d ah e r
K atego rien , d ie es erm ö g lich en , im E in z elfall p la u sib le von d en u n z iato risch e n In fo rm atio n en ü b er
d ie K aiser k la re r zu u n tersch eid en . Es k a n n d a d u rch au ch d ie w e ite rg eh en d e A u fgab e in A n g riff
n eh m en , d ie ten d en z iö sen B ew ertu n g en d er K aiser in d er a risto k ra tisch en G esc h ich tssch re ib u n g
n ic h t n u r z u rü ck zu w e isen , so n d ern d iese selb st als T eil des P ro blem s, das sie n e u tra l zu sch ild ern
v o rgib t, zu erk en n en .
Es g ib t, so k an n m an festh alten , d e rz e it k ein e m e th o d isch -th eo re tisc h e n E in w än d e m ehr, d ie
g ru n d sä tz lic h g eg en ein e K aisergesch ich te ins F eld g e fü h rt w erd en k ö n n ten . V ie lm e h r steh t d ie
A u fgab e an , d ie g etre n n te n F rag estellu n gen von stru k tu rg e sc h ic h tlic h e r u n d b io g ra p h isch er
F o rsch u n g w ie d e r a u fe in a n d e r zu b e z ieh en . D ass b eid e n ic h t o h n e e in a n d er au sk o m m en , ist offen­
sic h tlic h : D ie s tru k tu rg e sc h ic h tlic h e F o rsch u n g h a t lan g e Z e it sc h lic h tw e g ig n o rie rt, dass im a n ti­
ken R o m ü b er Ja h rz e h n te h in w e g P erson en w ie C a lig u la , N ero o d er C o m m o d u s an d er S p itze ein es
sch ein b a r ra tio n a l o rg a n isie rte n „ S taates“ g estan d en u n d das R eich reg iert h ab en , o h n e d ies le tz t­
19 Siehe A ndreiv W allace-H adrill, The Imperial C ourt, CAH X (1996) 2 8 3 -3 0 8 ; Aloys W interling, Hot ohne
„Staat“. Die atila Caesaris im 1. und 2 .Jahrhundert n .C hr., in: Ders. (H g.), Zwischen „Haus“ und „Staat".
Antike Höfe im Vergleich (Historische Zeitschrift Beiii. 23, M ünchen 1997) 9 1 -1 1 2 (franz. Übers, in:
N icole B ela ycb e [H g.], Rome. Les Cesars er la V ille aux deux premiers siecies de notre ere [Rennes 2001]
1 85 -20 6 , 4 06; engl. Übers, in: W interling, Politics and Society [wie Anm. 9] 7 9 -1 0 2 ); d ers., Aula Caesaris
(wie Anm. 6); F red eric H urlet, Les senateurs dans l’entourage d’Auguste et deTibere. Un com plement ä plusieurs syntheses recentes sur la cour imperiale, in: RPh 74 (2000) 1 23 -15 0 ; d ers., Le centre du pouvoir. Rome
et la cour im periale aux deux premiers siecies de notre ere, in: N icole B ela ycb e (H g.), Rome. Les Cesars et la
V ille aux deux premiers siecies de notre ere (Rennes 2001) 1 59 -18 4 , 4 0 5 f; M ario Pani, La corte dei Cesari
fra Augusro e Nerone (Rom 2003). Zur älteren Forschung vgl. Anm. 21.
; Das Kapitel „H of und H aushalt“ des römischen Kaisers im „Römischen Staatsrecht“ beginnt m it den
Worten: „Die in vieler Hinsicht lohnende Aufgabe, das kaiserliche Hauswesen in seiner auch politisch w ich­
tigen Eümvickelung zu schildern, kann innerhalb des römischen Staatsrechts ihre Lösung nicht finden.“ (StR
II 2, 833f.).
21 In der älteren Forschung war der H of in systematischen Zusamm enhängen nur im Rahmen der deskrip­
tiv verfahrenden und den Kaiser selbst ausblendenden älteren Kulturgeschichte behandelt worden (vgl. zur
Forschungsgeschichte W interling, Aula Caesaris [wie Anm. 6] 1 2-3 8): Siehe F ried lä n der, Sittengeschichte
(wie A n m .6) I 3 3 -1 0 3 („Der H o f‘); vgl. die Reproduktion des Friedländerschen Ansatzes bei U lrich
K ahrstedt, Kulturgeschichte der römischen Kaiserzeit (M ünchen 1944) 9 -2 2 („Kaiser und H o f1); R ob ert
Turcan, Vivre ä la cour des Cesars d’Auguste ä D iocletien (I"—III' siecies ap. J.-C .) (Paris 1987) (dazu: Aloys
W interling, Gnomon 64 [1992) 4 1 4 -4 1 8 ); ähnlich zuletzt noch: Je r e m y Paterson, Friends in High Places.
The Creation of the C ourt of the Roman Emperor, in: A nthony J . S. S p a w forth (H g.), The C ourt and Court
Society in Ancient M onarchies (Cam bridge 2007) 121-156.
Zu Ihcoric und M eth ode ein er neuen R öm ischen K aisergeschichte
lieh erk läre n zu k ö n n en . S tattd essen w u rd en d ie (au s d er S ich t a risto k ra tisch er M o ra l) „ sch lech ten “
u n d (au s d er S ic h t sta a tsre c h tlic h e r N o rm ie ru n g ) „ u n fä h ig en “ A m tsträ g er m it dem - u rsp rü n g ­
lich a u f d en d eu tsch e n K aiser W ilh e lm II. g em ü n z ten - B egriff „ C äsaren w a h n sin n “ b e le g t22 und
sp äter d a n n -zusätzlich m it p sych o p a th o lo g isc h en S tig m a tisie ru n g e n versehen - in A rb e ite n , die
D o m asz ew k i in ih rem p sych o lo g isc h en A n a ch ro n ism u s w e it ü b ertrafen , w äh ren d sie, d er d en u n z iato risch en Ü b e rlie fe ru n g fo lgen d , in der Q u e lle n k r itik d e u tlic h h in te r ih m z u rü c k b lie b e n ’3.
D ie 'Ih ese ein es „W ah n sin n s“ so lch er K aiser, d ie, so h at m an den E in d ru ck , n ach w ie vor das im p li­
z ite A llg em ein w issen d er A lten G esch ich te p r ä g t2'1, b e z eich n et ab er o ffen sich tlich n u r das P ro blem ,
dessen L ö su n g sie sein w ill. Sie ersch ein t als b io g ra p h isch -p crso n a listisch e R e sid u a le rk lä ru n g , als
u n u m g e h b a re R estp räsen z der ausgesch lo ssen en K aiser in d er stru k tu rg e sc h ic h tlic h e n F orsch un g.
D ies k a n n h e u te n ic h t m eh r ü b erzeu gen . D ie „ w a h n sin n ig e n “ K aiser ersch ein en v ielm eh r als
ein n ic h t ü b erp rü fter T estfall, als ein e S o llb ru c h ste lle d er sta a tsre ch tlich g e p rä g te n „ ra tio n a ­
len“ K o n stru k tio n en des K aisertu m s u n d d er p o litisc h e n B e d in g u n g e n im k a ise rz e itlic h e n R om
in sg e sam t2*.
Ä h n lic h e s g ilt im u m ge k eh rte n S in n e für d ie b io g ra p h isch e F orsch un g. D ass h isto risch e
P erson en im m er „ K in d er ih rer Z e it“ w aren , d ü rfte als ein e a lte E rken n tn is h isto risch e r B io g ra p h ie
g elten , u n d d ie d a m it a n g esp ro ch en e e x p liz ite o d er im p liz ite V erw en d u n g stru k tu rg e sc h ic h tlic h e n
W issen s für d ie D e u tu n g v ergan ge n er L eb en sge sch ich ten ist in n eu eren h isto risch -b io g ra p h isc h en
F orsch un gen als selb stv e rstän d lich e s P o stu lat v o ra u sg ese tz t26. G ilt d ies für h isto risch e B io g ra p h ik
a llg e m e in , so no ch ein m a l in beso n derem M a ß e fü r M itg lie d e r d er ad lig en O b e rsch ich te n v o r­
m o d e rn er G esellsch aften u n d sc h lie ß lic h in a u ß e rg e w ö h n lic h e r W eise für A lle in h e rrsc h e r so lch er
G esellsch aften , d ie d u rc h ihre h e rau sg eh o b en e P o sitio n p o litisc h e n O rg a n isa tio n sstru k tu re n o der
so ziale n R an g o rd n u n g e n eb enso in ten siv a u sgesetzt w aren , w ie sie sie m ö g lich erw e ise selb st be­
ein flu ssen k o n n ten . Es ü b errasch t also n ic h t, dass sich n a tü rlic h au ch im B ereich d er A lth isto rie
q u a litä tv o lle b io g ra p h isch e A n alysen fin d en lassen , d ie im p liz it o d er e x p liz it a u f E rgebnisse der
S tru k tu rg e sc h ic h te B ez u g n eh m en . S ie betreffen a lle rd in g s v.a. K aiser, d ie d ie p o litisc h e n („ s ta a tli­
ch en “) S tru k tu re n ih rerse its b e ein flu sst h ab en , d eren W irk e n also in den S tru k tu re n n ach zu v o llzic-
22 L u d w ig Q u id d e, C aligula. Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn [1894]. 32. Auflage, ergänzt durch
Erinnerungen des Verfassers. Im Kampf gegen Cäsarism us und Byzantinism us (Berlin 1926); vgl. K a rl H oll
u.a. (Elg.)» C aligula - W ilhelm II. und der Caesaremvahnsinn. Antikenrezeption und wilhelm inische Politik
am Beispiel des „C aligula“ von Ludwig Q uidde (Bremen 2001); vgl. Aloys W in terlin g, Cäsarenwahnsinn im
Alten Rom, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs 2007 (M ünchen 2008) 11 5-1 3 9.
Siehe charakteristisch A lbert Esser, Caesar und die julisch-claudischen Kaiser im biologisch-ärztlichen
Blickfeld (Leiden 1958).
2i Vgl. z.B. W erner Eck, C aligula, DNP 2 (1997) 9 3 7 -9 3 9 , 938: Der Kaiser war „vielleicht auch durch
Krankheit zusätzlich psychisch gestört“; M ich a el Stahl, C om m odus. in: C lauss, Die römischen Kaiser (wie
Anm. 11) 158 -16 9 , 168: Com m odus’ Vorstellungen von seinem Kaisertum waren „Ausgeburten eines
W ahns“, wenn auch nicht ohne „innere Folgerichtigkeit“.
Dazu C hristian WitscheL Verrückte Kaiser? Zur Selbststilisierung und Außen W a h r n e h m u n g nonkonformer
Herrscherfiguren in der römischen Kaiserzeit, in: C hristian R on n in g (H g.), Einblicke in die Antike. Orte ~
Praktiken - Strukturen (M ünchen 2006) 8 7 -1 2 9 ; W in terling, Cäsarenwahnsinn (wie Anm. 22).
26 Vgl. als gelungenes Beispiel der letzten Zeit Jo h a n n es K lin isch , Friedrich der Große. Der König und sei­
ne Zeit (M ünchen 2004) zu theoretischen Fragen bes. 7 -1 0 ; allgem ein: Thomas W ink elbauer (Flg.), Vom
Lebenslauf zur Biographie. Geschichte, Quellen und Probleme der historischen Biographik (Horn 2000);
H ans E. B ödek er (Flg.), Biographie schreiben (G öttingen 2003); Volker R. B ergh a h n , S im o n e Lässig (Flg.),
Biography Between Structure and Agency. Central European Lives in International Fiistoriography (Oxford,
New York 2008).
8
A n » v. W i n t e r li n g
hen ist u n d für d ie sich au f d iese W eise ein B ez u g zur stru k tu rg e sc h ic h tlic h e n F o rsch un g h e rste ilen
lässt. Z u n en n en sin d v.a. v ersch ied en e B io g ra p h ien des K aisers A u gu stu s, d ie dessen W ir k e n bei
d en V erän d eru n g en von „ S taa t“ u n d „G esellsch aft“ verfolgen" .
D as P ro b lem d er (m eist feh len d en ) S tru k tu ra n a ly se n in b io g rap h isch en A rb e ite n zu den
K aisern z eig t sich d ag eg en d e u tlic h w ie d eru m bei den B io g ra p h ien d er als „ w a h n sin n ig “ g e lte n ­
d en K aiser, d en en m an k ein e „ staa tstra g e n d e“ F u n k tio n z u sch reib en k o n n te: D ie R atlo sig k e it h is­
to risch er B io g ra p h ie, d ie im N ach vo llzu g o d e r in d er - oft b e lie b ig ersch ein en d e n - U m w e rtu n g
d er d en u n z iato risch e n Q u ellen sich tb ar w ird , v erw eist auf d ie N o tw e n d ig k e it n euer, k o m p lexe­
rer S tru k tu rb e sc h re ib u n g e n , d ie ein h ö h eres E rk lä ru n g sp o te n tia l als d ie tra d itio n e lle n A n alysen
des k a ise rz e itlic h e n „ S taa tes“ au fw eise n . So zeig en d re i in den letz ten Ja h re n ersch ien en e
B io g ra p h ien zu C a lig u la , N ero und C o m m o d u s - bei a lle r so n stig en D iv ergen z - , dass es ein er
N e u k o n z e p tu a lisie ru n g des p o litisch en , g e sellsch a ftlic h en u n d k o m m u n ik a tiv en K ontextes b edarf,
u m das H a n d e ln d iese r K aiser erk lären zu k ö n n e n 28. S te lle n d ie „ w ah n sin n igen “ K aiser im R ah m en
d er S tru k tu rg e sc h ic h te ein e b io g ra p h isch e S o llb ru c h ste lle dar, so v erw eisen d eren B io g ra p h ien
u m g e k eh rt auf ein en o ffen sich tlic h en M a n g e l an K o m p le x ität d er S tru k tu rg e sc h ic h te - dessen
B eh eb u n g d an n w ie d e ru m n o tw e n d ig e rw e ise au ch ein en v e rä n d erten , neu en B lick au f d ie sch ein b ar
„ gu ten “, „ staa tstra g e n d en “ K aiser zu eröffnen h ätte.
S o k ö n n te m an sag en : B ei stru k tu rg c sc h ic h tlic h e n U n te rsu ch u n g e n des K aisertu m s u n d b io g ra ­
p h isch en U n te rsu ch u n g e n ein z eln e r K aiser h a n d e lt es sich zw ar um jew 'eils le g itim e , von e in a n d er
u n tersch ied en e u n d eig en e F rag estellu n gen v erfo lg en d e F o rsch u n gsrich tu n gen . S ie k o m m en je ­
d o ch n ic h t o h n e d ie B e rü c k sic h tig u n g d er E rgebnisse d er jew eils an d eren F o rsch u n g srich tu n g aus.
D ab ei z e ig t sich , dass es der S tru k tu rg e sc h ic h te an E rk lä ru n g sp o te n tia l für d ie B ed in g u n g e n der
M ö g lic h k e it in d iv id u e lle n k a iserlich e n H a n d e ln s m a n g elt. K aiserb io g ra p h ie v ern a ch lä ssig t d a g e ­
gen d ie S tru k tu rp ro b le m e d er k a iserlich e n R o lle, d ie es erst erm ö g lich en , d ie In d iv id u a litä t der e in ­
z eln en H e rrsc h e rp e rsö n lic h k e ite n k la r zu p ro filieren . W as ab er w ill u n d k an n n u n d em g eg en ü b er
ein e K aisergesch ich te leisten ?
III. N eue K aisergesch ich te
K aisergesch ich tc, d ie m an h eu te sch reib en k a n n , w ill w e d er G esch ich te des K aisertu m s in sgesam t,
n o ch Su m m e d er m ö g lich en K aiserb io g rap h ien sein . S elb stv e rstä n d lich k an n u n d w ill sie au ch
n ic h t - w ie ih ren älteren V orläufern v o rgew o rfen - G esc h ich te des rö m isch en R eich es o d er g a r der
K aiserzeit in sgesam t sein . V ie lm e h r w ird es ih r in h ö ch st selek tiv er W eise d aru m g eh e n , stru k tu r­
g e sc h ic h tlic h e u n d b io g rap h isch e F rag estellu n ge n in B ez u g a u f d ie K aiser g em ein sam zu v erfo lgen .
Ihr Z iel w ird sein , auf der B asis von F o rsch u n gen zu den S tru k tu re n d er P o litik , d er g esellsch aft­
lich en R a n g o rd n u n g u n d d er in n era risto k ra tisch en N a h b ez ieh u n g e n im k a ise rz e itlic h e n R o m
r Z.B. F ried rich V ittinghoff, Kaiser Augustus (G öttingen, Zürich 31991); D ietm a r K ienast, Augustus. Prinzeps
und Monarch (D arm stadt *2009); Jo ch e n B leich en , Augustus. Eine Biographie (Berlin 1998).
^ Aloys W in terling, C aligula. Eine Biographie (M ünchen 2003; Neuausgabe 2007); E dw ard C h a m p lin , Nero
(Cam bridge, M ass., London 2003); O livier H ekster, Com m odus. An Emperor at the Crossroads (Amsterdam
2002). - Als Vorbild solcher Kaiserbiographien kann man C hristian Meiers Caesar-Biographie ansehen,
die dessen Leben in unm ittelbaren Bezug zu den (von M eier neu gedeuteten) strukturgeschichtlichen
Bedingungen, der „Krise ohne Alternative“ der späten römischen Republik gesetzt hat: C hristian iVIeier,
Caesar (M ünchen 41997).
Zu Theorie und M eth ode einer neuen R öm ischen K aisergeschichte
9
zunächst; q u e lle n k ritisc h e A n alysen der an tik e n Ü b e rlie fe ru n g zu den K aisern an z u stellen . D avon
au sgeh en d ist ein e n eu e E reig n isg esch ich te k a ise rlic h e n H a n d e ln s zu versuch en , d ie dieses als k o n ­
tin g en te A k tio n o d er R ea k tio n v or dem H in te rg ru n d d er allg e m e in e n g esellsch aftsstru k tu relle n
B ed in g u n g e n d e u te t. D u rch das H erau sstellen k o n siste n ten o d er in k o n sisten ten , k o n tin u ie rlic h e n
od er d is k o n tin u ie rlic h e n V erhalten s g eg en ü b e r ä h n lic h e n P ro b lem lagen k ö n n en d an n relev an te
In fo rm atio n en so w o h l zu d en a llg em ein en B e d in g u n g e n d er k a iserlich e n R o lle als auch zu d en je ­
w e ilig e n p e rs ö n lic h e n B eso n d erh eiten der ein z eln e n K aiser e rm itte lt w erden.
E ine so v erstan d en e n eu e K aisergesch ich te ist so m it ein e E reig n isg esch ich te, die auf v o rw eg
g eleiste te n S tru k tu ra n a ly se n b asiert. Im G eg en zu g träg t sie zu d eren K o n tro lle, P rä z isie ru n g u n d
V eran sc h au lic h u n g bei. S ie w e ist Ü b ersch n eid u n g en m it d er b io g ra p h isch en F o rsch un g auf, von der
p rin z ip ie ll d iese lb e stru k tu rg e sc h ic h tlic h e und q u e llc n k ritisc h e F u n d ie ru n g bei der B esch reib u n g
k aise rlic h e r Leb en släu fe zu e rw a rte n ist. A n d ers als diese b e sch rä n k t sie sich jed o ch au f das V erh alten
d er in teressieren d en P erson en als K a is e r 9. D ies g ib t ein erseits ein en k lareren B ez u gsrah m e n , er­
m ö g lich t d ie K o n z e n tratio n a u f den N ach vo llzu g d er in n eren L o g ik k a iserlich e n V erh alten s und
en tlaste t d ie U n te rsu c h u n g von w e ite rg eh en d en p sych o lo g isc h en E rk läru n g sp ro b lem en 30. Es eröff­
net an d e re rse its zu sä tz lich e B eo b a ch tu n g sm ö g lich k eiten , in d e m m an m eh rere K aiser m ite in a n d e r
v ergle ich e n u n d das V erh alten sp äterer m it dem frü h erer in B ez u g setzen k an n .
W ie sch o n a n g e d e u te t, w ird ein solches V orgehen a lle rd in g s zu n äch st ein e k o m p lexere
B esc h reib u n g d er g esellsch a ftsstru k tu relle n B e d in g u n g e n im k a ise rz e itlic h e n R om als ü b lic h erfo r­
d ern. V o rw eg w ird m an d ie A n n a h m e a u sd ifteren z ierter „ S ta a tlic h k e it“ fallen lassen u n d stattd essen
d ie w ech se lseitig e B e d in g th e it d er d rei w ic h tig ste n g esellsch a ftlic h en T eilb ereich e, d er p o litisc h e n
O rg a n isa tio n , d er so ziale n R an g o rd n u n g u n d d er freu n d sc h a ftlich -p a tro n a len N ah b ez ieh u n ge n
in R ech n u n g stelle n m üssen. D ann w ird zu b each ten sein , dass es sich um ein e v o rm o d ern e stratih z ie rte G esellsch aft h a n d e lt, in der g esam tg e sellsc h aftlich relev an tes H a n d e ln im R ah m en d er
K o m m u n ik atio n d er d u rc h „E hre“ a u sge ze ich n eten O b ersch ich t sta ttfa n d 31. D ie B eo b a ch tu n g w ird
d ah e r a u f so lch e E reignisse zu fo ku ssieren sein , d ie k aise rlic h e s V erh alten im K o ntext a risto k ra ti­
sch er K o m m u n ik atio n betreffen (w as z.B . auch den R ü c k z u g d arau s e in sc h lie ß t).
A u sg eh en d von d er U n te rsu ch u n g des m it d er E ta b lieru n g d er k a ise rlic h e n R o lle neu e n tsta n ­
d en en H o fes w u rd e v on m ir an an d eren S telle n in d iesem S in n e ein neues D e u tu n g sa n g e b o t d er
p o litisch en O rg a n isa tio n , d er so zialen U n g le ic h h e it, der N a h b ez ieh u n g e n u n d der d arau s resul-
Dies schließt natürlich Sachverhalte ein, die in der älteren Forschung als kaiserliche „Privatangelegenheiten'4
(im Sinne eines modernen Verständnisses von Privatsphäre) missverstanden wurden, z.B. die Veranstaltung
luxuriöser Gastmähler oder kaiserliche Nahbeziehungen zu aristokratischen oder nichtaristokratischen
Personen.
Um hier mehr Sicherheit zu gewinnen, wären - als Gegenstück zu den gesellschaftsstrukturellen Analysen
- Analysen historisch-anthropologischer Art notwendig, die auf allgem eine psychische Strukturen kaiserzeit­
licher Aristokraten zielten, um die jeweilige kaiserliche „Individualität“ dagegen zu profilieren. Überzeugende
Vorarbeiten dazu sind m ir nicht bekannt. Nur von der Fragestellung her interessant ist die Arbeit von Dirk
B a rghop , Forum der Angst. Eine historisch-anthropologische Studie zu Vcrhaltensmustern von Senatoren im
römischen Kaiserreich (Frankfurt am M ain, New York 1994) (vgl. dazu Aloys W in terlin g in: Klio 82 [2000]
272 -27 4 ).
Dazu aufschlussreich: L iibm an n , Die Gesellschaft der Gesellschaft (wie Anm. 17) II 6 7 8 -7 0 6 ; d ers.,
Interaktion in Oberschichten. Z u r ’Fransformation ihrer Sem antik im 17. und 18. Jahrhundert, in: Ders.,
Gesellschaftsstrukrur und Sem antik, Bd, 1 (Frankfurt am M ain 1980) 7 2 -1 6 1 .
10
A loys W in te rlin g
tieren d en B ed in g u n g e n a risto k ra tisch er K o m m u n ik atio n im k a ise rz e itlic h e n R o m sk iz z ie rt32: Es
lassen sich S tru k tu re n b e o b ach ten , d ie je w e ils d u rch d ie D ifferen z u n d a ltern ativ lo se K o existenz
von fo rtb esteh e n d e m A lten und m it d er k a ise rlic h e n H errsch aft en tstan d en e m N eu en g ek e n n z e ic h ­
n e t w aren . S o stan d en d ie tra d itio n e lle n „ re p u b lik a n isc h e n “ neb en neu en k a iserlich e n p o litisch en
O rg a n isa tio n sstru k tu re n (vo n den S e k re ta ria te n am H o l bis zur P ro v in z v e rw a ltu n g d u rc h le g a t i
A u g u s t i p r o p r a e t o r e ); d ie a lte u n u m stritte n g ü ltig e R a n g o rd n u n g d er G esellsch aft n ach m a g istra ti­
sch en h o n o r e s w u rd e k o n te rk a rie rt, ab er k ein esw eg s ersetz t d u rch d ie neue H ie ra rc h ie n ach N ähe
zum K aiser; d ie tra d itio n e ll auf G e g e n se itig k e it b e ru h e n d e n aristo k ratisch en „F reu n d sch aften “
(,a m i c i t i a e ) k o n k u rrie rte n m it der n eu en , ein se itig von o b en v ergeb en en k a iserlich e n „G un st“
{ gra tia )''1. D ies g in g e in h e r m it P arado xien in d e r g esellsch aftlic h en S elb stb esch reib u n g , v.a. in der
S e m a n tik von „ö ffen tlich “ u n d „ p riv at“: N eb en d ie a lte D iffe re n z p u b lic iis / p r iv a tu s trat - o h n e sie zu
ersetzen u n d o b w o h l ih r w id e rsp rech en d - d ie n eu e U n te rsc h e id u n g f r i n c t p s / f r i v a t t ^ * .
A ll d ies h atte z u r F olge, dass K aiser u n d A risto k ra tie parad o x en K o m m u n ik atio n sb ed in g u n g en
a u sgesetzt w aren . Ihre H a n d lu n g e n riefen E ffekte herv o r, d ie den In ten tio n e n d er H a n d e ln d e n w i­
d ersp rach en . U m ein B eisp iel aus dem p o litisc h e n B ereich zu n e n n en : W en n sich d ie K aiser im
R ah m e n des tra d itio n e lle n V erfassu ngsrech tes vom S e n a t A m tsg e w a lte n v erleih en ließ e n , s ta b ili­
sierten sie so ihre S te llu n g . Z u g leich ab er d e sta b ilisie rte n sie ihre S te llu n g , d a d ie B e d e u tu n g der
a lten aristo k ra tisch en p o litisch en O rd n u n g - d ie ein e A lle in h e rrsc h a ft n ic h t n u r n ic h t vorsah, so n ­
d ern g ru n d s ä tz lic h als u n rech tm ä ß ig k en n z e ic h n e te - d a d u rc h b e stätig t u n d u n terstric h en w u rd e.
W en n d ie im S en at v ersam m elte A risto k ra tie d ie S te llu n g d er K aiser d u rch A m tsg e w a lte n le g iti­
m ierte, d o k u m e n tie rte sie ihre p o litisch e B e d e u tu n g , z u g leic h ab er ih re p o litisch e M a c h tlo sig k e it,
d a sie au f d ie Frage, w e r K aiser w u rd e, in a lle r R egel k ein e n E influss neh m en k o n n te.
E n tsch eid e n d für d ie - sich oft bis in d ie m o d e rn e F o rsch u n g fo rtsetzen d e - C h a ra k te risie ru n g e i­
nes K aisers als „ g u ter“ o d er als „ sch lech ter“ bzw . „ w ah n sin n ig e r“ H errsch er in der sen a to risch -ritterlic h e n H is to rio g ra p h ie w aren d ah e r n ic h t z u k u n ftso rie n tie rte S a c h p o litik , g ew o n n en e K riege, g e ­
o rd n ete F in an zen o d e r d ie B e lie b th e it bei den S o ld ate n o d er b eim V olk von R om . A u ssch lag g eb e n d
w a r v ielm eh r das G elin g e n oder S ch eitern d er K o m m u n ik atio n m it d er sen ato risch en A risto k ra tie
u n te r d en g eg eb e n en p arad o x en B ed in g u n g e n . U n d d iese fan d in en tsch e id en d e r W eise a u f den
d rei g e n a n n te n F eld ern sta tt: im K ontext d e r p o litisc h e n O rg a n isa tio n sstru k tu re n , im R ah m e n der
g e g e n se itig e n R an g z u w eisu n g von K aiser u n d A risto k ra tie , d ie d a m it en g z u sa m m e n h in g , so w ie in
d en „ freu n d sch aftlich e n “ N ah b ez ieh u n g e n , d ie sich v.a. in h äu slich -h ö fisch e r In tera k tio n im P alast
m a n ife stie rte n .
N eu e K aiserge sch ic h te im h ie r v o rge sch lag en en S in n e ist so m it fo ku ssiert auf a risto k ra tisch e
K o m m u n ik atio n . S ie lässt sich zu sam m en fassen d ch a ra k te risie re n als ein e in n e u e r W eise scruktur-
2,2 Dazu kurz Aloys W in terling, Introduction: Toward a New Interpretation of Imperial Rome, in: D ers.,
Politics and Society (wie Anm. 9) 1-5; vgl. d ers.. Res dissociabiles. Die K ommunikation von Kaiser und
Aristokratie im Rom des I.Jahrhunderts n.C hr. (in Druckvorbereitung).
" Siehe Aloys W in terling, „Staat“, „Gesellschaft“ und politische Integration in der römischen Kaiserzeit, in:
Klio 83 (2001) 9 3 -1 1 2 (engl. Übers, in: D ers., Politics and Society [wie Anm. 9] 9 -3 3 ); d ers., Freundschaft
und Klientel im kaiserzeitlichen Rom, in: Historia 57 (2008) 2 9 8 -3 1 6 (engl. Obers, in: D ers., Politics and
Society [wie Anm. 9| 3 4 -5 7 ).
' Aloys W in terling, „Öffentlich“ und „privat“ im kaiserzeitlichen Rom, in: Tassilo S ch m itt u.a. (Flg.),
G egenwärtige Antike - antike Gegenwarten. Kolloquium zum 60. Geburtstag von Rolf R ilinger (M ünchen
2005) 2 2 3 -2 4 4 (engl. Übers, in: W interling, Politics and Society [wie Anm. 9] 5 8-7 6).
Zu T heorie und M eth od e einer neuen R öm ischen Kaisergeschichcc
d er aristo k ra tisch en K o m m u n ik atio n , in deren Z en tru m
ög esc h ic h tlic h fu n d ie rte E reism
o iseeschichte
O
- ih r u n te rw o rfe n u n d sie g le ic h z e itig p räg en d - d ie rö m isch en K aiser stan d en .
E ine so lch e K aiserge sch ic h te ist leic h ter zu p o stu lie re n als zu realisieren . D ie in diesem B and v ersam ­
m elten A rb e ite n v ersu ch en , sie v o rzu b ereiten . Im ersten T eil g e h t es um d ie Q u e lle n p ro b le m a tik u n d
h ie rb ei in sb eso n d ere um d ie Frage, w ie w e it d ie h äu fig ten d en z iö sen litera risch e n Q u e lle n (M a rtin
H o se) d u rc h an d ere, v.a. a rch äo lo g isch e (R a lf von den H o ft) u n d in sch riftlich e Ü b erliefe ru n g en
(C h r is tia n W its c h e l) erg ä n z t o der k o rrig ie rt w erd en k ö n n en .
D er z w eite I'cil g ilt d en stru k tu re lle n B e d in g u n g e n k a iserlich e n H a n d eln s im S p an n u n g sfcld
zw isch en n e u e r M o n a rc h ie u n d fo rtb esteh en d en S tru k tu re n d er alten A d e lsre p u b lik . N ach e i­
nem k ritisc h en Ü b e rb lic k ü b er d ie K o n zep tio n en des K aisertu m s in der G esch ich te d er m o d e r­
nen A lth isto rie (D ie te r T im p e ) g ilt das Interesse d er b e so n d eren S itu a tio n d er K aiser im B ez u g auf
d ie d rei z en tra len p o litisch -so z ia len B ereich e: d ie p o litisc h e n O rg a n isa tio n sstru k tu re n , in d en en
sie h a n d e lte n (C h r is te l- B ru u n ), d ie nach m a g istra tisch en A m tsk lassen g e g lie d e rte g esellsch a ftli­
che R a n g o rd n u n g , in n erh a lb , o b erh alb o der neb en d er sie ih ren P latz zu fin den h a tten (M a r tin
Z im m erm a n n ), u n d d ie tra d itio n e ll eg a litä re n aristo k ra tisc h e n F reun dsch afts- so w ie d ie P atronK lien t-B ez ie h u n g en , in d eren R ah m en ihn en a u fg ru n d ih rer K aiserro lle ein e au ß e rg e w ö h n lic h e
P ositio n z u k a m (A lo ys W in te r lin g ).
Im d ritte n Teil w erd en d ie E rgebnisse d er b io g ra p h isch en F o rsch un g zu den K aisern von
A u gu stu s bis C o m m o d u s (U w e W alter, C h ristia n R o n n in g , D irk S ch n u rb u sch , G u n n ar S e e le n ta g ,
O liv ier H e k ste r) k ritisc h a u fg e arb eitet u n d in B ezu g au f ihre m eth o d isch e H a ltb a rk e it so w ie ihre
A n sc h lu ssfä h ig k eit fü r ein e K aisergesch ich te an a ly siert.
N ich t alle für ein e K aisergesch ich te w ic h tig e n S ach v e rh alte k ö n n en in diesem B and b e h a n d e lt
w erd en . S p e z ifisch e k a iserlich e H a n d lu n g sfeld er w erd en n u r en p assan t e rw ä h n t: so d ie k a is e r li­
che „ F a m ilie“, d .h . sein e v erw a n d tsch a ftlich en B ez ie h u n g en u n d d ie d a m it v erb u n d en en d y n a s ti­
schen Im p lik a tio n e n , d er m ilitä risc h e B ereich , der B asis u n d d au erh afte B ed ro h u n g der k a iserlich e n
S te llu n g zu g leic h w ar, d er sta d trö m isch e K o m m u n ik atio n sra u m , d er v.a. d ie In tera k tio n en m it dem
V olk, ab er au ch d ie A u sü b u n g relig iö se r F u n k tio n en b etraf, u n d sc h lie ß lic h d ie W ah rn e h m u n g o rg a ­
n isato risch er (fin a n z ie lle r o d er v e rw a ltu n g ste c h n isc h e r) A u fg ab en , d .h . der „a rb eiten d e“ K aiser, den
Fergus M illa r b esch rieb en h a t5’ . D ie h ie r getro ffen e A u sw a h l h a t jed o ch den A n sp ru ch , d ie B ereich e
zum T h em a zu m ach en , d ie im S in n e d er a n g efü h rten m eth o d isch -th eo re tisc h e n Ü b erleg u n g e n für
ein e R ö m isch e K aisergesch ich te z en tra l sind.
M illar, Emperor (wie Anm. 7); ders., Emperors at W ork, in: JR S 57 (1967) 9 -1 9 .
A. Quellen
R a lf von den H off
Kaiserbildnisse als Kaisergeschichte (n)
Prolegomena zu einem medialen Konzept
römischer Herrscherporträts1
I, P roblem stellung
D ie R elev an z an tik e r B ild n isse o d er P o rträts, d .h . v isu e ller D arste llu n g e n h isto risch e r P erso n en 2,
für d ie G esc h ich tssch re ib u n g h a t sich in den v erg a n g e n en Ja h rz e h n te n g ru n d le g e n d v erän d ert.
S eitd e m K la rh eit d a rü b er h e rrsc h t, dass es sich - en tg e g e n h e u tig em V erstän d n is - w e d er z w in ­
g en d um D arste llu n g e n ä u ß e rlic h e r o d er g a r p h o to g ra p h isc h e r Ä h n lic h k e it m it den D arg e ste llten
h a n d elt, n o ch um B ild er, d ie als C h a ra k te rstu d ie n zu v ersteh en sin d 3, g e lte n an tik e B ild n isse als
ö ffen tlich e R e p rä sen ta tio n sm o n u m e n te. S ie m ach ten rü h m en d e , p o sitiv e A ussagen ü b er d ie
P o r trä tie r te n 1. A ls R e p rä se n ta tio n sb ild e r liefern sie H in w e ise n ic h t zuerst a u t d ie B io g ra p h ie, so n ­
dern auf d as S elb st- u n d F rem d verstän d n is d er D a rg e ste llten , a u f d ie diesem je z u g ru n d e lieg en d en
W e rtv o rste llu n g e n , au f so zialen S tatu s und so ziale R o llen . Z u g leich w aren sie k ein e fu n k tio n sn e u ­
tralen ,K u n s tw e r k e s o n d e r n B esta n d te ile d er v isu e llen K o m m u n ik atio n im S p an n u n g sfeld von
A uftraggeb er, D arg e ste lltem u n d B etrachter.
D ass au ch d ie B ild n isse d er rö m isch en K aiser in d iese r W eise als R ep rä sen ta tio n sb ild er u n d
K o m m u n ik atio n sm ed ien zu v ersteh en sin d , ist k ein e n e u e E rken n tn is. S ie h a t sich in den le tz ­
ten e tw a 35 Ja h re n in dem M a ß e e n tw ic k e lt, in d em ih re E rfo rsch un g m eth o d isch a u f ein e feste
G ru n d la g e g e ste llt u n d d a d u rch k la r w u rd e, w ie sta rk sie in so ziale u n d p o litisc h e D isk urse e in g e ­
1 Für Hinweise und Diskussionen danke ich O rtwin Dally, Salvatore O rtisi, Gertrud Pkuz-Florster und
Christian W itschel. Inge Kader schulde ich Dank für Photovorlagen des M ünchner Museums für Abgüsse.
Die umfangreiche Literatur zum römischen Flerrscherbild kann hier nicht vollständig zitiere werden. Es wird
auf ursprüngliche Urteile oder neuere Werke verwiesen, die ältere zu erschließen helfen. Da das M anuskript
2008 abgeschlossen wurde, konnten nicht im Fanzeinen berücksichtigt werden: J a n e b e fe r , Roman Portraits
in Context (Berlin 2008) und Götz L ahm en, Römische Bildnisse. Auftraggeber, Anlässe, Aufstellungsorte
(Darmstadt 2010).
2 R ich a rd B rillia n t, Portraiture (London 1991); M a rtin B ü chsel, Einleitung, in: D ers., P eter S ch m id t (Flg.),
Das Porträt vor der Erfindung des Porträts (M ainz 200.3) 9 -1 7 ; S hea rer West, Portraiture (Oxford 2004).
•’ Vgl. schon Ernst B u sch or, Bildnisstufen (M ünchen 1947); ders.. Das Porträt (M ünchen 1960), sowie jetzt:
Luca G iu lia n i, Bildnis und Botschaft (Frankfurt am M ain 1986) 11-5 5; K la us E insehen, Griechische Porträts
(Darmstadt 1988) 1 -5 ; Susan Walker, Griechische und römische Portraits (Stuttgart 1999); zuletzt: R a lf von
d en H off, P eter S chultz, Early H ellenistic Portraiture (C am bridge 2007) 1-3.
1 M a ria n n e B ergm a n n , Repräsentation, in: A d o lf H. B orb ein u.a. (Flg.), Klassische Archäologie. Eine
Finführung (Berlin 2000) 166-188.
16
R alf von den Hoff
b u n d en w aren -. D ie R ep rä sen ta tio n sfu n k tio n der B ild n isse als Irä g er id eo lo g isch er A ussagen stan d
d ab ei im M itte lp u n k t, n e u e rd in g s auch ihre B ild sp rac h e u n d d ie S e m a n tik ih rer S tilfo rm e n u n d
Ik o n o g ra p h ie6. Für d ie B e w e rtu n g der R elev an z der K aiserb ild n isse als h isto risch e Z eu gn isse g ilt
es ab er in g leich em M alSe, ih ren Q u e lle n c h a ra k te r im R ah m en ih rer K o m m u n ik atio n sfu n k tio n en
d e u tlic h zu m ach en . A u ch d azu hab en U n te rsu ch u n ge n d er letz ten Ja h rz e h n te b e ige trag en . S o
h e rrsc h t n u n w e itg e h e n d K la rh eit ü b er d ie E xisten z o ffiz ieller B ild n isty p e n des K a iserp o rträ ts'.
S p ätesten s P aul Z än k ers „ A u g u stu s u n d die M a c h t d er B ild e r“ von 198 7 h at d eu tlich g em ach t, dass
w e d er V erb reitu n g n o ch A u fste llu n g der o m n ip rä sen te n K aiserb ild n isse als g elen k te P ro p ag an d a
fu n k tio n ie rte n . S ie w u rd en v ielm eh r von B ü rgern in A u ftrag g eg eb en u n d g estiftet8. D ies gesch ah
in d er T ra d itio n d er P raxis statu arisch er E h ru n gen , d ie sch o n in d er rö m isch en R e p u b lik w ic h ti-
^ M a ria n n e B ergm a n n , M arc Aurel (Frankfurt 1978); K laus Z änk er, Principal und Flerrscherbild, in:
G ymnasium 86 (1979) 3 5 3 -3 6 8 ; Ih o m a s Pekary, Das römische Kaiserbildnis in Staat, Kult und Gesellschaft
(Das römische Herrscherbild III 5, Berlin 1985); P au l Z än k er, Augustus und die M acht der Bilder (M ünchen
1987); jea n C harles S a lty, Porträt und Gesellschaft in der römischen W elt (M ainz 1991); C liffo rd Ando,
Imperial Ideology and Provincial Loyality in the Roman Empire (Berkeley 2000) 2 0 6 -2 7 3 ; R olf M ich a el
S ch n eid er, G egenbilder im römischen Kaiserporträt, in: B iichsel, S ch m id t (H g.), Porträt (wie Anm. 2) 6 0 -6 3 :
P eter Stewart-, Statues in Roman Society (Oxford 2003); Patrick S ch ollm eyer, Römische Plastik (D armstadt
2003) 30f., 36. - Frauen des Kaiserhauses: E lisabeth B a rtm a n , Portraits of Li via (Cam bridge 1999); Susan
W ood, Imperial Women (Leiden 1999); A nnetta A lexandridis, Die Frauen des römischen Kaiserhauses (M ainz
2004). - Forschungsgcschichte:/rfw B azant, Roman Portraiture. A H istory of its History (Prag 1995) mit
Rez. L uca G iu lia n i, in: Gnomon 70 (1998) 1 53 -15 6 . - M ethodische G rundlagen siehe unten Anm. 7 und
21. - Vgl. jetzt auch O rtw in D aily, Das Bild des Kaisers in der Klassischen Archäologie, oder: Gab es einen
Paradigmenwechsel nach 1968? , in: jd l 122 (2007), 2 2 3 -2 5 6 .
Zu Botschaft / Repräsentation, außer den in der vorherigen Anm. genannten Werken: P a u l Z änker, Studien
zu den Augustus-Porträts, Bd. I: Der Actium-Typus (G öttingen 1973); d ers., Herrscherbild und Zeitgesicht,
in: Römisches Porträt, W issenschaftliche Zeitschrift der FI um bold t-Universität zu Berlin, Gesellschafts- und
Sprachwissenschaftliche Reihe 2/3 (1982) 3 0 7 -3 1 2 ; D ietrich B ösch u n g, Die Bildnisse des Caligula (Das rö­
mische Herrscherbild I 4, Berlin 1989) 8 4 -9 9 ; d ers., Die Bildnisse des Augustus (Das römische Herrscherbild
I 2, Berlin 1993) 6 1 -6 5 ; R ola nd R. R. S m ith , Typology and Diversity in the Portraits of Augustus, in: JRA
9 (1996) 4 1 -4 7 ; C harles B. Rose, Dynastic C om m em oration and Imperial Portraiture in the Julio-C laudian
Period (C am bridge 1997); M a ria n n e B ergm an n , Die Strahlen der Herrscher (M ainz 1998) 9 1 -2 9 0 ; D ietrich
B öschu n g, Gens Augusta (M ainz 2002). - Zur Bildsprache siehe unten Anm. 13. - Zur Sem antik: Jo n io
H ölscher, Römische Bildsprache als semantisches System (H eidelberg 1987).
" Zur Typologie: O tto B ren d el, Ikonographie des Kaisers Augustus (N ürnberg 1931); K lans b u tsch en , Zum
angeblichen Bildnis des Lucius Veras im Thermen museum, in: Jd l 86 (1971) 2 )4 - 2 5 2 ; K laus T rilbnich, Zur
Formgeschichte von Bildnistypen, in: jd l 86 (1971) 1 79 -21 3 ; Z änk er, Actium (wie Ann's. 6); K laus E in sehen ,
Katalog der antiken Skulpturen in Schloss Erbach (Berlin 1977) 6h; d ers.. Die Porträts des Augustus, in:
G erh a rd B in d er (H g.), Saeeulum Augustum, Bd. 3: Kunst und Bildersprache (Darmstadt 1991) 149-186;
B ösch u n g, Augustus (wie Anm. 6) 4 -8 , 5 1 -6 1 ; D ietrich B ösch u n g, Die Bildnistypen der iulisch-claudischen
Kaiserfamilie, in: JRA 6 (1993) 3 9 -7 9 ; C ecile Evers, L.es portraits d’H adrien. Typologie et ateliers (Brüssel
1994) 1 5 -1 7 ; S m ith , Typology (wie A n m .6) 3 6 -4 1 ; K la us E insehen, Prinzenbildnisse anconinischer Zeit
(M ainz 1999) 10-12. - Zur Kreation dieser Typen s. unten Anm. 2 0 f.
8 Verbreitung und Omnipräsenz: Klaus VierneiseU P au l Z änk er, Die Bildnisse des Augustus. Herrscherbild und
Politik im kaiserlichen Rom (M ünchen 1979) 5 8 -6 0 ; Pekary, Kaiserbildnis (wie Anm. 5) 4 -1 2 ; B öschu n g,
Augustus (wie Anm . 6) 2 0 6 -2 1 3 . - Ablehnung des Begriffs ,Propaganda1 in Anwendung auf die römischen
Kaiser: Z änk er, Augustus (wie Anm. 5) passim, bes. 13, 332 („Es wurde nichts vorgeschrieben, es wurde
nichts kontrolliert, und es gab keine W erbekam pagnen“); G regor W eber, M a rtin Z im m erm a n n , Propaganda,
Selbstdarsteilung und Repräsentation, in: D ies. (Flg.), Propaganda - Selbstdarstellung - Repräsentation im
römischen Kaiserreich des 1.Jahrhunderts n.C hr. (H istoria Einzelschriften 164, Stuttgart 2003) 11-4 0;
ausführlich diskutiert von C hristian W itschel, Propaganda für den Prinzeps? M echanismen der kaiserlichen
Repräsentation im Imperium Romanum (unpublizierte Flabilitationsschrift M ünchen 2004).
K aiscrbiidnivsc als K aiscrgcschichtc(n)
ger F akto r d er D e fin itio n von u n d K o n k u rren z u m S o z ia lsta tu s w aren 9. Ihre z en tra le F u n k tio n b e ­
stan d fo lg lic h in d er E h ru n g des K aisers d u rch d ie Stifter. S ie d ie n te n stiftc rlic h e r S e lb std a rste llu n g
eb enso w ie dem F lerrsch erlo b u n d der L o ya litä tsb ek u n d u n g . K aiserp o rträts h a tten im System des
P rin z ip a ts also A n te il an der für dieses System k o n stitu tiv e n D em o n stra tio n von K onsens z w i­
schen H e rrsc h e r und B ü rg ern u n d von a u c t o r it a s u n d A k z e p ta n z des P rm c ep s!!f. D er „p rovozierte
A p p la u s“ das k o m p lexe W echseJspieJ von k a iserlich e m A n sp ru ch und B e stä tig u n g bzw. S te ig e ru n g
dessen d u rch d ie U n te rg eb en en , das für sä m tlic h e E hru n gen g e g e n ü b e r dem K aiser zu b eo b ach -
Abb. 1 a: Statue des Claudius, aus der Basilika
von Herculaneum (48/49 n.C hr.) - Bronze;
Neapel, Museo Archaeologico
Abb. 1 b: Inschrift: der Statue Abb. 1 a.
' Götz L abusen, Untersuchungen zur Ehrenstatue in Rom. Literarische und epigraphische Zeugnisse (Rom
1983) dort 129 -14 3 auch zur grundsätzlichen Bedeutung von Ehrenstatuen in Rom; Luca G iu liani, Bildnis
und Botschaft (Frankfurt am M ain ] 986); M arkus S eh lm eyer, Stadcrömische Ehrenstatuen der republikani­
schen Zeit (H istoria Einzelschriften 130, Stuttgart 1999); Je r e m y T anner, Portraits, Power, and Patronage in
the Late Roman Republic, in: JR S 90 (2000) 18-50.
w VgL Dion Chrys. 31, 149. - Fhrung als zentrale Funktion der Kaiserbildnisse (vgl. Plin. paneg. 55. (>~8:
m erita als Grund, glo r ia als Folge); Z änker, Principal (wie Anm. 5) 359f.; Bergm ann., Strahlen (wie Anm. 6)
91, 9 7 E - Akzeptanz und Konsens: Egon Einig, Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im Römischen
Reich (Frankfurt am M ain 1992); vgl. B ergm a n n , Strahlen (wie Anm. 6) 97; Ando, Ideology (wie Anm. 5) 7f.
18
R a lf von den H off
Abb. 2: Statue des Augustus, aus Rom, Via Labicana
(augusteisch) - M arm or; Rom, Museo Nazionale
ten is t51, k o n s titu ie rte ein en K o m m u n ik atio n sp ro zess
eig en er in n erer D y n a m ik , dessen K läru n g G ru n d la g e
je d e r In te rp re ta tio n d e r B ild n isse s e in m u s s 11.
Es ist w e ite rh in fcstg este llt w o rd en , dass m an das
eh ren d e L ob des K aisers in P orträts u n te rsc h ie d lic h
a r tik u lie r te : in R om an d e rs als in den P ro vinzen , am
F orum an d ers als im H au s. D ies betrifft b e isp ie lsw ei­
se stark ü b erh ö h e n d c ik o n o g ra p h isc h e E lem en te w ie
G ö tte ra ttrib u te o d er -trach t (A bb. 1 a ; 7 ; 8; 12; 1 4 1 7 ) 13. B ild n isse d ieser A rt stan d en in h e llen istisch e r
T ra d itio n u n d im W id e rsp ru c h zum Ideal des ziv ilen
P rin cep s u n d zur A b ie h n u n g m o n a rc h isc h e r A n sp rü ch e
im P rin z ip at. G leic h w o h l ex istie rte n sie. Z u d em d o ­
m in ie rte n in u m c rsc h ie d iic h e n R ep rese n ta tio n s- und
E rsch e in u n g sk o n te x ten des K aisers u n te rsc h ie d lic h e
R o lle n b ild e r - vom z iv ilen H e rrsc h er (A b b . 2 ) bis zum
Im p erato r (A b b . 3)
d ie sich in u n te rsc h ie d lic h e r
G e sc h w in d ig k e it ä n d e rte n 1'1, in A n b e tra c h t dessen
ersch ein t d ie Frage n ach d er R ic h tig k e it* p ro g ra m ­
m atisch -id e o lo g isc h er A ussagen ein z eln e r B ild n isse
“ Weber, Z im m er m a n n , Propaganda (wie Anm. 8) 28 f. m it V cn vcis auf A ndreas A lföldi, Die monarchische
Repräsentation im römischen Kaiserreiche (D armstadt 21977); vgl. auch B ergm a n n , Strahlen (wie Anm. 6)
97f. - „Provozierter Applaus“: Tonio H ölscher, Augustus und die M acht der Archäologie, in: A dalberto
G iou a nn in i (H g.), La revolution romaine apres Ronald Sym e (Entretiens sur l’A ntiquite Classique 46, Gent
2000) 258.
12 Umfassend hat dieses System Z änker, Augustus (wie Anm . 5) als Kommunikationsprozess beschrieben;
zu Bildnissen ebd. 15—21, 4 6 -5 2 , 1 0 3 -10 6 , 1 32 -14 0 , 1 92 -19 6 , 2 29 -23 1 sowie 332 („Selbstläufigkeit
der System bildung“), zusammenfassend jetzt P a u l Z änk er, Un’arce per l’impero (Rom 2002) 9 -2 6 . Zur
D ynam ik des Prozesses schon A lföldi, Repräsentation (wie Anm. 11). - Vgl. zur konkreten Rezeption röm i­
scher Bildnisse: A n d rew P. G regory, ,Powerful Images1. Responses to Portraits and the Political Use of Images
in Rome, in: JR A 7 (1994) 8 0 -9 9 .
13 B ergm a n n , Strahlen (wie Anm. 6); M a ria n n e B ergm a n n , Konstantin und der Sonnengott. Die Aussagen
der Bildzeugnisse, in: A lexander D em a n d t (H g.), Konstantin der Große (Trier 2006) 1 44 -14 6 , 155 -15 9 ;
M a ria n n e B ergm a n n , Zur Bildsprache römischer Kaiserkameen, in; G ertru d P latz-H orster (H g.), M ythos und
M acht. Erhabene Bilder in Edelstein (Berlin 2008) 13-2 1; sowie: C h ristoph er H a llen , The Roman Nude.
Heroic Portrait Statuary 200 B .C .-A .D . 300 (Oxford 2005) 2 3 0 -2 5 6 ; vgl. aber R ola n d R. R. S m ith , Nero
and the Sun-god, in: JRA 13 (2000) 5 3 2 -5 4 2 ; A lexandridis, Frauen (wie Anm. 5) 2f,; sowie schon Z än k er,
Principar (wie Anm. 5) 3 53, 357; Z änker, Augustus (wie Anm. 5) 2 34 f., 3 1 3 -3 1 5 . Methodisch nicht weirerführend: M a ria R .-A lföldi, Bild und Bildersprache der römischen Kaiser (M ainz 1999) 50-5 7.
!'' W eber, Z im m erm a n n , Propaganda (wie Anm. 8) 39; C hristian W itschel, Verrückte Kaiser? Zur
Selbststilisierung und Außenwahrnehm ung nonkonformer Herrscherfiguren in der römischen Kaiserzeit, in:
C hristian R on n in g (H g.), Einblicke in die Antike (M ünchen 2006) 8 9 -9 3 ; sowie ders. in seiner oben Anm. 8
genannten Plabilitationsschrift, und D aily, Bild des Kaisers (wie Anm. 5); vgl. zu statuarischen Rollenbildern
unten zu Anm. 65f., 72, 81, zu M ünzen unten zu Anm. 33, zu Kameen oben Anm. 13, unten zu Anm. 35,
98f. usw.
K aiscrhildnisse als K aisergeschichte(n)
19
Abb, 3 a: Statue des Augustus, aus der Villa der IJvia
bei Pnnvapovra (kurz nach 20 v.Chr.) - Marmor; Rom,
Museo N ationale
o b so let eb enso w ie d ie B eh a u p tu n g ,in o ffiz i­
e lle r4 F o rd eru n g en
od er »offizieller
nach
ü b erh ö h tem
S tatu s
W a h ru n g von ,sch ein b ar' re­
p u b lik a n isc h e n Z ü g en . D ie W id e rsp rü c h e w a ­
ren v ielm eh r 'Feil des K o m m u n ik atio n ssystem s
und b e rü h ren o ffen sich tlic h auf B ed in g u n g e n
von B ild sp rach e, C h a ra k te r u n d F u n k tio n d er
R ep rä se n ta tio n sm e d ie n
H is to risch
als
relev an t k ö n n en
In fo rm atio n sträg er.
B ild n isse fo lg lic h
n u r in te rp re tie rt w e rd e n , w en n d ieser m ed ia le
C h a ra k te r B e rü c k sic h tig u n g Findet.
G ru n d la g e d er h isto risch e n In terp reta tio n von
K aiserb ild n issen m uss m ith in ein e S yste m atik des
K o m m u n ik atio n p ro z esses u n d d er m ed ia le n R o lle
d er B ild n isse s e in 1\ S ch o n v or n u n m e h r 3 0 Ja h ren
h at P aul Z än k er bis h e u te G ü ltig es zur k o m m u n i­
k ativ en F u n ktio n rö m isc h er K aiserb iid n isse festg eh a lten , a u f das sich h ie r au fb au en lässt. G leich e
G ü ltig k e it h at sein e F eststellu n g b e h a lten , dass
„eine z u sam m en fassen d e A rb e it ü b er d ie v ersch ie­
d en en ,M e d ie n ' des rö m isch en H errsch erb ild es
fe h lt“ 16. P ro leg o m en a zu ein em System d ieser M e d ie n zu sk iz zie re n , d .h . zu den k o m m u n ik a ti­
ven E igenschaften d er K aiserb ild n isse als m a terielle T räger von A ussagen im Z u sam m en sp iel von
N u tz u n g so rt u n d -zeit, F u n k tio n , F orm , B ild sp rach e, Ik o n o g ra p h ie u n d B o tsch aft, ist das Z iel dieses
B e itra g e s1 . D er U n te rsu ch u n g von Stifterin teressen u n d B o tsch aften als m a ß g eb lic h en E lem en ten
d er K o m m u n ik atio n m uss d ies v o rg e sch alte t sein . U b e r d ie p au sch ale Z u sam m en fassu n g a lle r
B ild n isse zu ,B ild m e d ie n im K ontrast zu S ch riftm e d ien g e h t es eb enso h in a u s w ie ü b er d ie kunstth e o retisch b e g rü n d e te D iffe re n z ieru n g von ,G attungssp ezifika* u n d A n alysen d er >Biidsprache‘ iS.
° R u d olf Leschke, Einführung in die M edientheorie (M ünchen 2003) 161 —165 {„generelle M edientheorie“);
vgl. W erner F aulstich, Medientheorien» Gottingen 1991; sowie J o a c h im P a ech, Medienwissenschaft, in: Klaus
S a chs-H om b a ch ( Flg.), Bildwissenschaft (Frankfurt am M ain 2005) 7 9 -9 6 .
K’ Z änk er, Principat (wie Anm. 5) 361 A. 16; bestätigt noch 2003 von S ch n eid er, Gegenbilder (wie Anm. 5)
61 A. 18.
! H ans Belting., Bild-Anthropologie. Entwurf für eine Bildwissenschaft (M ünchen 2001) 17 definiert M edien
ab die stoffliche Ver-Körperung von Bildern. Zum rein Stofflichen kommen weitere Bestandteile vom
Rezeptionskontext bis zur W irkungsgeschichte, vgl. M a n fred F aßler, Was ist Kommunikation? (Paderborn
“1997) 1321.; M a rtin S chulz, Die O rdnungen der Bilder (M ünchen 2005) 9 6 -1 2 4 , bes. 122 -12 4 (auch mit
Kritik an der Anw endung des Luhmannschen Medienbegriflrs für die bildhistorische Forschung).
Vgl. H en n er von H esberg, Das griechische Relief als M edium , in: M edien in der Antike. Kommunikative
Q ualität und normative W irkung (Köln 2003) 93--121., der von einem weniger kom m unikativ, als gattungsspezihseh geprägten M edienbegriff ausgeht. Die Analyse bestim m ter „Gattungsspezifika“ stellt gleichwohl
eine der Grundlagen der M edialität von Bildern dar, auch wenn M edium und G attung nicht identisch sind,
vgl. aber B ergm a n n , Strahlen (wie Anm. 6} 91 („Flächenkunst“ als ein „M edium “), 220 („Bildgattungen“
20
Ralf’von den Hoff
So so ll ein e B e w e rtu n g sg ru n d la g e gesch affen w erd en für d ie h isto risch e R elev an z d er B ild n isse
im H in b lic k a u f ih ren id eo lo g isch en G eh alt und ih re so zia le D im en sio n . B eisp ielh aft w ird vor
d iesem H in te r g r u n d so d an n ihre B ed e u tu n g im H in b lic k auf d ie G esch ich te d er K aiser u n d der
P rin z ip a tsid e o lo g ie b e le u c h te t u n d zw ar in ein er d ia ch ro n e n L in ie k aise rlic h e r S e lb std a rste llu n g bis
ins frü h e 3. Ja h r h u n d e r t u n d in e in e r syn ch ro n en S ic h t a u f A u g u stu s und T ib eriu s, d ie d ie R elevanz
k a ise rlic h e r B ild n isse in d er A n w en d u n g des m e d ia le n K onzepts v erd eu tlic h en soll.
II. K aiserbildnisse im K om m unikationsprozess
K aiserb ild n isse w aren T räger von In fo rm atio n en in ein em
d yn a m isch e n
Prozess v isu e ller
K o m m u n ik atio n u n d z w ar in u n te rsc h ie d lic h e n E rsch ein u n g sfo rm en u n d F u n k tio n en , d .h . als u n te r­
sc h ie d lic h e M e d ie n . Ihr je sp ezifisch er m e d ia le r C h a ra k te r sta n d im u n m itte lb a re n Z u sam m e n h an g
m it d en K o m m u n ik atio n sv o rg ä n g en , an d en en sie p a rtiz ip ie rte n . D ie äu ß eren G ru n d la g e n d ie ­
ser V orgänge sin d sch n e ll re fe rie rt19: D er K aiser in R o m v erh alf zu b e stim m te n A n lässen ein em
p ro g ra m m a tis ch e n , u.U. n eu gesch affen en P o rträ tm o d e ll d u rc h sein e A k z e p ta n z zu offiziellem
C h a ra k te r, w en n au ch n e u e rd in g s zu R ech t d isk u tie rt w ird , w ie es zur K reatio n d ieser B ild n isty p e n ,
w ie es zu V erän d eru n g en ih rer G e sta ltu n g k a m 20. D ieses M o d e ll w a r a u f d en K o p f des K aisers b e ­
sc h rän k t u n d w u rd e m a ß g eb lic h fü r K aiserb ild n isse auf den M ü n z e n 21. In Form von G ipsab gü ssen
k o n n te es im Im p eriu m R o m a n u m v erb reitet w e rd e n . W o llte ein S tifter ein K aiserb ild n is h e rste i­
len lassen , so w a r zu e n tsch e id en , w o u n d w o zu dieses B ild n is v erw en d et w erd en so llte : a u f dem
F orum (A bb. 1; 12), im H a u s (A bb. 1 0), an ein em R in g ste in , als K u ltsta tu e in ein em ö ffen tlich en
G eb äu d e usw. D ie d ab ei b ed a ch te F u n k tio n p rä d e stin ie rte b e stim m te B ild n isg a ttu n g e n , d.h.
M a te ria l, G röß e, äu ß ere Form als S ta tu e (A bb. 1 - 3 , 12), B ü ste (A b b .8 - 1 0 ) o d er R elief (A bb. I I ;
1 5 - 1 7 ) usw., u n d le g te au ch den K reis d e r R e z ip ie n te n des B ild n is s e s fest. D ies alles zusam m en cha-
m it bestim m ten Bildsprachen). Sie trennt die Bilder nach ihren „Ausdrucksformen“ in „offizielle" und „po­
etische" (220, 226f.), nun auch nach dem den Bildern eigenen „Um gangsstil“ (B ergm a n n , Bildsprache [wie
Anm. 13]). Ich plädiere hier für eine stärkere Berücksichtigung des Kommunikativen als Ganzem gegenüber
dem Aspekt der Bildsprache. Vgl. zu den kom mimikationsrheoretischen G rundlagen ohne Berücksichtigung
des m edialen Aspekts weiterhin: L a m b ert S ch n eid er u.a., Zeichen - K omm unikation - Interaktion, in:
Hephaistos 1 (1979) 7 -4 1 .
19 Das Folgende im W esentlichen bereits bei Z änk er, Principal (wie Anm. 5), sowie Z änk er, Augustuskatalog
(wie Anm. 8); zusammengefasst bspw. bei G ötz L ahm en , Zur Konzeption römischer Bildnisse, in: W ilhelm
S chlink (Flg.), Bildnisse. Die europäische Tradition der Portraitkunst (Freiburg 1997) 5 7-1 01 .
:o Vgi. die oben Anm. 7 genannten Arbeiten zur Typologie, sowie: B ergm a n n , M arc Aurel (wie Anm. 5) 13 f;
Z änk er, Augustuskatalog (wie Anm. 8) 4 8 -6 0 ; K laus f u t s c h e n , Zur Entstehung und Funktion römischer
Kaiserbildnisse, in: Kaisersaal, Ausstellungskatalog Köln (Rom 1986) 19-24; K u tschen , Prinzenbildnisse (wie
Anm. 7) 10-1 2; vgl. jetzt aber J a n e E ejfer, The Roman Emperor Portrait. Some Problems in Methodology, in:
Ostraka 7 (1998) 4 5 -5 6 ; S ch n eid er, Gegenbilder (wie Anm. 5) 74f.
11 B ergm a n n , M arc Aurel (wie Anm. 5) 22—27; K laus L u tsch en , Die Bildnistypen der Faustina m inor und die
Fecunditas Augustae (G öttingen 1982) 17-21, 3 4 -6 8 ; H ans M. von K a en el, M ünzprägung und M ünzbildnis
des C laudius (Berlin 1986)\ Jo a ch im R aed er, Herrscherbildnis und M ünzpropaganda, in: jd l 107 (1992)
1 75 -19 6 ; B ösch u n g>Augustus (wie Anm. 6) 5 9 -6 1 ; d ers., C aligula (wie Anm. 6) 15-2 6 (Plans-M arkus von
Kaenel); L u tsch en , Prinzenbildnisse (wie Anm. 7) 191., 2 9 -3 1 , 48h, 5 2 -5 5 u.ö.; vgl. aber Euers, Hadrien (wie
Anm. 7) 19-2 5; E ejfer, Problems (wie Anm. 20) 4 6 -5 0 ; E red C. A lbertson, Ihe Creation and Dissemination
of Roman im perial Portrait Types. Ihe Case of M arcus Aurelius Type IV, in: Jd l 119 (2004) 2 5 9 -3 0 6 .
K aiscrbildnissc als K aisergeschichte(n)
ra k te risie rt das M e d iu m , in dem das K aiserb ü d n is gesch affen w u rd e 22. Z u r k o n k reten U m setzu n g
sein er H e rste llu n g w u rd e das im A bgu ss v o rlieg en d e, in R o m gesch affen e K op fm o d ell d er b e n ö tig ­
ten G rö ß e a n g ep asst k o p ie rt23. Falls das M o d e ll n ic h t als A b g u ss v erfü g b ar w a r oder aus an d eren ,
uns u n b e k a n n te n G rü n d en n ic h t v erw en d et w u rd e, o rie n tie rte m an sieh n u r in b estim m ten Z ügen
an an d e re n B ild n issen des K aisers o der v erän d erte es lo k a le n Interessen g e m ä ß 2'. E rken n b ar b lieb
das B ild n is o h n e h in d u rch ein e Inschrift, d ie ihm au f S ta tu e n b a sis bzw. B ü sten fu ß o d er an dem
M o n u m e n t, zu dem es g eh ö rte , b eigegeb en w ar (A bb. 1 a —b ; 10). D ie Insch rift m a rk ie rte - m it dem
K aisern am en oft im D ativ - das B ik in is als E h ru n g für den K aiser u n d b e n a n n te u.U. A n lass der
A u fste llu n g , Q u a litä te n des D argestellten u n d N am en von A u ftra g g e b er u n d / o d er Stifter, d ie d a ­
d u rch ih re L o y a litä t zum K aiser ö ffen tlich k u n d ta te n 2'. Für d ie H e rste llu n g von S ta tu e n u n d B üsten
m u sste so d an n ü b er d en z u g eh ö rig en F ig u re n k ö rp e r(te il) des K aiserb ild n isses en tsch ie d en w erd en ,
ü b er K leid u n g , A ttrib u te , H a ltu n g u n d G esten (A bb. 1 - 3 ; 8 - 1 4 ) . D ab ei k o n n ten auch rein lo k ale
B eso n d e rh eiten b e rü c k s ic h tig t w e rd e n , w ie V esp asian als S p h in x in Ä g y p te n (A bb. 7 ). W o llte m an
d en K aiser g e m a lt o d e r im R e lie f in e in e r H a n d lu n g s situ a tio n zeig en , w aren w e ite re E lem en te w ie
A rt d er H a n d lu n g u n d D a rste llu n g sm o d u s a u szu w äh len (A b b . 1 5 - 1 7 ) . Passte m an also sch on das
K o p fm o d ell lo k a le n B ed ü rfn issen an , so w u rd en für d ie F ig u ren k ö rp er M o d e lle aus R o m k au m je
g eliefert o d er an g efo rd ert, auch w en n b e stim m te D a rste llu n g ssta n d a rd s von d o rt b e k a n n t w aren
u n d v ielfach a u fgegriffen , ab er auch a b g e w an d e lt w u rd en : d er K aiser als to g a t u s (A bb. 2 ), der K aiser
im P anzer als I m p e r a t o r (A b b . 3; 9 - 1 1 ) o d er k äm p fen d zu P ferd, steh en d m it v erh ü lltem H a u p t
beim O p fer (A b b . 2 ) usw. D ies alles w a r u n a b h ä n g ig vom B ild n isk o p f flexibel u n d leg te d ie R o lle
fest, d ie d er K aiser im B ild a n n a h m 26. Insgesam t fä llten A u ftrag ge b er u n d S tifter d er K aiserb ild n isse
also relativ v iele E n tsch eid u n g en o h n e z w in g e n d e V orgaben aus R om .
Die übersichtlichste Zusam menstellung: Z änk er, Augustuskatalog (wie Anm. 8) 10t., 13-39; vgl.
auch Pekäry, Kaiserbildnis (wie Anm. 5) 4 2 -8 0 . - Zu Aufstellungsorten: vgl. L ahusen, Ehrenstatue (wie
Anm. 9) 7 -4 4 ; H u bertu s M a n d ersch eid Die Skulpturenausstattung der kaiserzeitlichen ’Ihermenanlagen
(Berlin 1981); M ich a ela Fuchs, Untersuchungen zur Ausstattung römischer ’[heater in Italien und den
Westprovinzen (M ainz 1987); R ich a rd N eu deck er, Die Skuipturenausstatum g römischer Villen in Italien
(M ainz 1988); C hristian W itschet, Statuen aut römischen Platzanlagen, in: K laus S tem m er (H g.), Standorte.
Kontext und Funktion antiker Skulptur (Berlin 1995) 3 3 2 -3 5 8 ; J a c o b M. H ojte, Roman Imperial Statue
Bases from Augustus to Com modus (Aarhus 2005) 109 -12 3 ; sowie unten Anm. 39 zu Bildnissen im m ili­
tärischen Kontext. - Zu Aufstellungsanlässen von Ehrenstatuen: L ahusen, Ehrenstatue (wie Anm. 9) 6 7 -9 6 .
23 B ergm a n n , M arc Aurel (wie Anm. 5) 16 m it A. 31; M ich a el P Ja n n er, Über das Herstellen von Porträts, in:
Jd l 104 (1989) 157-257.
P au l Z änk er, Provinzielle Kaiserporträts (M ünchen 1983), sowie D aily, Bild des Kaisers (wie Anm. 5);
vgl. Z änk er, Principat (wie Anm. 5) 361: „Ohne diesen Verbreitungsvorgang direkt zu reglementieren,
scheint doch dafür Sorge getragen worden zu sein, dass die offiziellen Typen schnell im ganzen Reich
Verwendung fanden.1' Es gibt keine schlüssigen Gründe, gegen Zänker eine zentralistische Verbreitung der
Kaiserporträtmodelle von Rom aus m it bindendem Charakter für die Bürger zu postulieren, wie bei Hans. G.
N iem eyer, Studien zur statuarischen Darstellung der römischen Kaiser (Berlin 1968) 14, 27; A ndo, Ideology
(wie Anm. 5) 2 2 8 -2 3 0 ; vgl. dazu jetzt F ejfer, Problems (wie Anm. 20); vgl. auch unten Anm. 28 zuv Anfrage
um Bildnisse in Rom, und Anm. 4 1 zur Abweichung von Bildnissen auf M ilitaria vom Bildnismodell.
Z änk er, Augustuskatalog (wie Anm. 8) 4f. - Zu Statuenbasen und ihren Inschriften neben den unten
Anm. 31 genannten Arbeiten und Christian W itscheis Beitrag in diesem Band: F ejfer, Problems (wie Anm. 20)
51 f.; G ötz L ahusen, Antike Schriftzeugnisse zum römischen Porträt, in: M a rtin BüchseL P eter S ch m id t (H g.),
Das Porträt vor der Erfindung des Porträts (M ainz 2003) 4 2 -4 6 . - Seltener waren Kontext, Physiognomie
und Frisur die einzigen Identifikationsm öglichkeiten, so auf Ringsteinen, Trinkgefäßen oder Waffen.
" N iem eyer, Studien (wie Anm. 24); Pekary, Kaiserbildnis (wie Anm. 5) 8 4 -1 0 0 ; Z änk er, Principat (wie
Anm. 5) 3 5 4 -3 6 0 , 367 t.; Z änker, Augustuskatalog (wie Anm. 8) 4 0 -4 7 ; B ösch u n g, Gens (wie Anm. 6) 192-
k a li von den l lufj
22
D er E ntsteh un gsp ro zess rö m isch er K aiserb ild n isse setzte fo lglic h für den d u rch d ie P orträts k o n ­
s titu ie rte n K o m m u n ik atio n sp ro z ess m eh rere B e d in g u n g e n : A lle n fa lls im rek o n stru ierb aren M o d ell
des B ild n isk o p fe s lie g t ein vom K aiser le g itim ie rte s B ild n is, also k a iserlich e S elb std a rste llu n g vor.
Ü b er das M e d iu m d er D a rste llu n g und w e ite re B esta n d te ile d er B ild n isse en tsch ie d en die Stifter. In
d en K aiserb ild n issen z e ig t sich d a m it das Im age, das der K aiser b ei d iesen genoss, das B ild , m it dem
m an ihn in je sp ezifisch en K o n texten zu eh ren g la u b te 2 . D er K aiser selb st als e x p liz it zu E hren der
bekam äu ß e rst viele d iese r B ild n isse n ie selb st zu G esich t. Ihm k o n n te m an sein e L o y a litä t z u m in ­
d est an d e u ten , in d em m an um sein e d e i u r e n ic h t n o tw e n d ig e Z u stim m u n g zur A n fe rtig u n g des
B ild n isses n a c h su c h te “ . K aiserb ild n isse h a tten also zw ei A d ressaten : D er K aiser w ar ih r e x p liz i­
ter A d ressat, sie e rreich ten ab er in d ire k te r K o m m u n ik atio n ta tsäc h lic h nu r d ie je n ig e n , für d ie sie
im g e w ä h lte n V erw en d u n g sk o n tex t k o n k ret sich tb a r w a re n 29. D er P rin cep s in R om w a r allen fa lls
in d er L age, a n h a n d d er ihm ü b e ra ll - au ch in R o m - g em a ch te n E h ru n g en , w en n er v on ih n en
K en n tn is e rh ie lt, sein e S te llu n g zu b e u rteile n u n d au szu w äh len , ob er T eile d ieser A n g eb o te zur
S e lb std a rste llu n g , b e isp ielsw eise in ein em n eu en P o rträ tm o d c ll, aufgriff. D u rch so lches A u fgreifen
e rh ie lte n d ie K aiserb ild n isse w ie d e ru m n eu e W e rtig k e it für d ie B ürger, d ie sie in d er Folge stifte te n '1’.
III. M edien der K aiserbildnisse:
U rheberschaft, Sich tb arkeit und In ten sität der E hrung
Im H in b lic k a u f das m ed ia le System der K aiserb ild n isse u n d ihre P o sitio n als In fo rm atio n sträg er
zw isch en ,S e n d e r“ u n d ,E m p fän ger“ b e d e u te t dies, dass d re i K atego rien für d ie B ew ertu n g e n t­
sch eid en d sin d : d ie U rh eb ersch aft des k o n k reten B ild n isses, d ie S ic h tb a rk e it des B ild n isses fü r d ie
k o n k reten A d ressaten u n d d ie U n m itte lb a rk e it d er E h ru n g g eg en ü b e r dem e x p liz iten A dressaten.
U n te r d iesen K atego rien lassen sich d an n d ie so zialen B e d in g u n g e n d er K o m m u n ik atio n d u rch die
B ild n isse in d as S ystem in te g rieren .
A u f der E bene d er U r h e b e r s c h a ft reich t d as S p e k tru m von k a iserlich e n P orträts ü b er B ild n isse,
d eren S tifter o ffiz ielle In stitu tio n e n w aren , S tifter aus u n te rsc h ie d lic h e n so zialen G ru p p en in R om
o d er im Im p eriu m bis zu den auf S tiftereb en e in d iv id u e ll in A u ftra g g eg eb en en P orträts-'1. D ie S k ala
195; A lexandridis, Frauen (wie Anm. 5) 1-3; S ch ollm eyer, Plastik (wie Anm. 5) 3 6 -4 5 ; sowie weitere Arbeiten
zu Körpertypen der Kaiserbildnisse (siehe unten Anm. 651., 72, 81).
r So schon Z änk er, Principat (wie Anm. 5) 359.
So bei Plin. ep. 10, Bf., oder man bemängelte die „Unähnlichkeit“ der Bildnisse gegenüber dem Kaiser, wie
Arrian, per. p. E. i, 3f., der deshalb ein Bildnis aus Rom erbittet: als lega tu s A ugusti ein deutlicher Fall von
Akzeptanzbekundung gegenüber dem Princeps, aber kein Beweis für die Regeihahigkeit solcher Vorgänge:
vgl. Peknry, Kaiserbildnis (wie Anm . 5) 143-148.
:9 Zu Adressatenkreisen kaiserlicher Bildwerke: lo n io P lölscher, Staatsdenkmal und Publikum (Konstanz
1984); P eter L üm m el, „Zielgruppen“ römischer Staatskunst (M ünchen 1991); R ein h a rd Wolters, Nummi signati (M ünchen 1999) 3 0 8 -3 2 0 ; S m ith, Nero (wie Anm. 13) 541 f.
Vgl. Z änk er, Augustus (wie Anm. 5) 2 6 4 -3 2 8 ; B ergm a n n , Strahlen (wie Anm. 6) 2 2 6 -2 2 8 .
" Z änk er, Principat (wie Anm. 5) 359; sowie: L ahusen, Ehrenstatue (wie Anm. 9) 9 7 -1 1 1 ; Fejfer, Problems
(wie Anm. 20) 5 2 -5 4 . —W ichtig sind hier die Statuenbasen: Geza. A lfbldy, Römische Statuen in Veneeia
und Histria (H eidelberg 1984); G erh a rd Z im m er, Locus datus decreto decurionum (M ünchen 1989); Evers,
I I,id rien (wie Anm. 7) 27-5.3; Elojte, Bases (wie Anm. 22) 1 67 -18 7 m it Rez. von W erner Eck in: Klio 89
(2007) 5 2 4 -5 2 8 ; zu den Bildnissen selbst vgl. die Kataloge/Register in den Bänden der Reihe „Das Römische
Herrscherbild“.
K aiserbildnissc als K aisergcschichte(n)
23
b e g in n t b eim o ffiziellen , vom K aiser le g itim ie rte n K op fm o d ell. D ie .seltenen, von ihm in A uftrag
g eg eb en en B ild n isse w erd en eb en falls sein en S e lb std a rste llu n g sp rin z ip ie n g efo lg t sein , d o ch h at
sich k ein sich eres e r h a lte n '2. D ie M ü n z b ild n isse k ö n n ten d azu g e h ö rt h ab en. Je d e n fa lls fo lgten sie
dem B ild n ism o d e ll des K aiserko pfes zu m eist zuv erlässig, au ch w en n n ic h t sich er d er K aiser selbst
P rägeh err w ar. D ie A es-P räg u n g en aus R om m a rk ie rten zu d em d u rc h ihre häu fige A ufsch rift S C
- s e n a t u s c o n s u l t o , w ie im m er dies k o n k ret zu versteh en ist - ein en K onsens zw isch en K aiser u n d
S en a t als Z eic h en g e g e n se itig e r L o y a litä t33. S ie g eh ö rte n m ith in in das so zial geh o b en e, stad trö m isehe kaiser- u n d sen a tn a h e U rh eb ersch aftsu m feld . D ie auf den R ü ck seite n d ieser u n d d er k a ise rli­
ch en E d e lm e ta llp rä g u n g e n g ez eig ten B ilder, b isw eilen auch g a n z fig u rig e K aiserd arstellu n g en , sin d
d esh alb u.U. als R eflexe realer S ta tu en , z u m in d est ab e r id ee ll als E h ru n gen des K aisers zu verstehen
(A b b . 1 3 - 14 ) 3'1. E tw a d er g le ic h e n U rh eb ersch aft en tstam m en d ie g r o ß e n ,S ta a tsk a m ee n (A bb. 1 6 )3\
D u rch ihre n a c h a n tik e U b erliefe ru n g sg esch ich te ist k lar, dass sie zum k a iserlich e n B esitz g eh ö rten .
D ie K aiser lie ß e n sie also e n tw e d e r für sich h e rste ilen od er, w as w a h rsc h e in lic h e r ist, erh ie lten sie als
G eschen ke. E xp lizite Z eu gn isse für ihre F u n k tio n feh len . E ine G em m e d ie n te als N eu jah rsg esch en k
an C o m m o d u s, ein K am eo als T eil ein es K ästchen s u n k la re r F u n k tio n 36. Z u m in d e st d ie g ro ß en
»Staatskam een* w erd en a u fg ru n d ih res a u fw ä n d ig e n u n d teu re n H e rstellu n gsp ro zesses G eschen ke
so zial h o ch ste h e n d er P ersö n lich k eite n an den K aiser gew esen sein . S c h lie ß lic h b e fan d e n sich am
H of, au f dem P ala tin , in K aiserv ille n u n d k a iserlich e n b o r t i, ru n d p la srisch e K aiserb ild n isse, doch
k en n en w ir n u r v erein z e lte , w ie d ie A u g u stu ssta tu e aus d er V illa d er L iv ia b ei P rim ap o rta (A bb. 3)
o d er d en C o m m o d u s aus den H o rti L a m ia n i3\ Ihre A u fste llu n g im u n m itte lb a re n L eb en sb ereich
’2 Zum Kopfmodell siehe oben Anm. 20. - Zu vom Kaiser initiierten Bildnissen, wie Suet. Cal. 22, 2; Suet.
Nero 25, 2; oder Cass. Dio 59, 4, 4, vgl. Pekäry, Kaiserbildnis (wie Anm. 5) 5f.
W olters, N um m i (wie Anm. 29), zu den SC-Beischriften 1 1 5 -1 6 9 ; vgl. zu M ünzbildern als Zeugnissen:
K a en el, M ünzprägung (wie Anm. 21); W alter Irillrn ich , M ünzpropaganda, in: Kaiser Augustus und die verlo­
rene Republik, Ausstellungskatalog Berlin (M ainz 1988) 4 7 4 -5 2 8 ; R .-A lföldi, Bild (wie Anm. 13); B ergm an n ,
Strahlen (wie Anm. 6) 9 1 -9 8 ; A ndo, Ideology (wie Anm. 5) 2 1 5 -2 2 8 . - Verhältnis M ünzbildnisse zu rund­
plastischen Kaiserbildnissen: siehe oben Anm. 2 i .
B ergm a n n , Strahlen (wie A nm .6) 95.
- W olf-R üdiger M egow , Kameen von Augustus bis Alexander Severus (Berlin 1987); B ergm a n n , Strahlen (wie
A nm .6) 2 1 9 f, 226f.; Erika Z w ierlein-D ieL Antike Gemmen und ihr Nachleben (Berlin 2007) 146-169,
2 0 1 -2 0 6 .
36 Funktion von Kameen: W olf-R üdiger M egoio, Zur Frage der Funktion kaiserzeitlicher Kameen, in: M a th ild e
A visseau-B roustet (F lg.), La glyptique des ntondes classiques (Paris 1997) 7 1 -8 2 ; Luca G iu liani, Leggere
un’im m agine. II Grand Cam ee de France e la suecessione di Tiberio, in: Storicamente. Fond e docum end 2
(2006): http://www.storicamente.org/01_fonti/immagini/giuliani.htm (2 9 .3 .2 0 0 8 ); s. jetzt L uca G iu lia n i,
in Zusam m enarbeit m it G erh ard S ch m id t, Ein Geschenk für den Kaiser. Das Geheimnis des Großen
Kameo (M ünchen 2 01 0 ); Z w ierlein , Gemmen (wie A n m .35) l4 6 f. („hofinterner C harakter“). - Gemme
als Neujahrsgeschenk an Com m odus: G erald Eleres, Römische Neujahrsgeschenke, in: Forschungen und
Berichte \4 (1972) 185. - Die äußerst aufwändigen, großen ,Staatskam een1 sind analytisch deutlicher als
bisher geschehen von kleineren Kameen anderer Funktion zu trennen, vgl. jetzt B ergm a n n , Bildsprache (wie
Anm. 13) 14.
' Statue des Augustus aus Primaporta: Z änk er, Augustus (wie Anm . 5) 192; B öschu n g, Augustus (wie Anm. 6)
179-181 Kat. Nr. 171; J o h n P ollin i, The Augustus from Prima Porta, in: W arren G. M oon (Flg.), Polykleitos,
the Doryphoros and Tradition (M adison 1995) 2 6 2 -2 8 2 ; A llan K lyn n e, W here to put Augustus? A Note on
the Placement of the Prima Porta Statue, in: AmJPhil 121 (2000) 1 21 -12 8 ; In g r id L aube, Thorakophoroi
(Rahden 2006) 118, 233 Nr. 50; siehe unten zu A nm .7 2 -7 7 . - Büste des Com m odus als Hercules: R a lf
von d en H off, Com m odus als Hercules, in: L uca G iu lia n i (Flg.), M eisterwerke der antiken Kunst (M ünchen
2005) 115-135; vgl. jetzt: E ckhard M eyer-Z w iff'elhofjer, Ein Visionär auf dem fhron? Kaiser Commodus,
Hercules Romanus, in: Klio 88 (2006) 189-215.
24
R a lf von den H off
des K aisers erfo rd e rte sich er dessen Z u stim m u n g , d ie U rh eb er k en n en w ir aber n ic h t. Infrage k o m ­
m en neben d em K aiser u n d sein er d o n m s auch h o ch ra n g ig e R ö m er o d er G äste. S in d n eb en dem
K aiser bei d en M ü n z en u n d K am een auch d ie M itg lie d e r der S en a tsaristo k ra tie , bei den h ö fisch en
B ild n issen u.U. au ch h o ch ra n g ig e F rem de als U rh eb er von K aiserb ild n issen d en kb ar, so geh ö ren
S en a t o d e rp o p i d u s R o m a n u s zu d en offiziellen In stitu tio n e n als S tiftern von E h ren statu en b eson ders
in R o m ’8. B ild n isse im m ilitä risc h e n K o n text, sei es an W affen , an s i g n a , als im a g i n e s o d er im Lager,
steilen ein M e d iu m an d e re r U rh eb ersch aft d a r 39. D eren H e rste llu n g w ird d u rch V ertreter h o h er
u n d m ittle re r so ziale r S c h ic h te n in F ü h ru n g sp o sitio n en im H e e r u.U. au ch a u f k a iserlich e n B efehl
erfo lg t sein '10. Z u u n tersch eid en sin d offizielle B ild w erk e, w ie S ta tu e n in L ag ern , o d er im a g i n e s an s i­
g n a v on in d iv id u e lle n B ild w e rk en , w ie dem S ch m u c k von A u srü stu n g sg eg en stä n d en (A bb. 11; 17).
A u ffä llig ist, dass an A u srü stu n g sg eg en stä n d en d ie k a ise rlic h e n K o p fm o d elle im H in b lic k au f die
L o ck en typ o lo g ie z u w eilen u n g en au b e fo lg t w urden'*1. A lle in m it d er g e rin g en G röße d er B ild n isse
k a n n d ies k au m Z u s a m m e n h ä n g e n , d en n d ie n o ch k lein e re n K aiserkö p fe d er K am een fo lgten den
M o d e lle n d u rch au s. M ö g lic h e rw e ise w aren d ie M o d e lle also b ei d er H e rste llu n g n ic h t verfügbar,
o d er m an h ie lt a llg e m e in g e h a lte n e ,B ild n is‘-K öpfe für a u sre ich e n d , d ie m an bei N ach fo lg ern aus
der k a iserlich e n d o m u s z u d em n ic h t än d ern m usste*2. Es b leib en sc h lie ß lic h d ie v ielen BiJdni&se
des K aisers ü b era ll in Ita lie n u n d den P ro vinzen (A b b . 1; 7 ; 9 - 1 0 ; 1 2). Ihre U rh e b er w aren
3S Zu offiziellen Ehrenstatuen: L ahusen, Ehrenstame (wie Anm. 9) 9 7 -1 1 1 .
39 Eine umfassende Studie zu diesen Bildnissen fehlt; vgl. die Bemerkungen von M ich a el M ack en sen , Ein
vergoldetes frühkaiserzeitliches G ladiusortband, in: Bayerische Vorgeschichtsbläffer 65 (2000) 128-131.
- Zu sign a und Ehrenzeichen: W olf-D ieter b leilm ey er , lit u s vor Jerusalem , in: RM 82 (1975) 2 9 9 -3 1 4 ;
Z änk er, Augustuskatalog (wie Anm. 8) 2 1 -2 5 ; D ietrich B öschu n g, Römische Glasphalerae mit Porträtbüsten,
in: BJb J 87 (1987) 1 93 -25 8 ; L ee A. R icca rd i, M ilitary Standards, Imagines and the Gold and Silver Imperial
Portraits, in: AnrK 45 (2002) 8 6 -1 0 0 ; fa n k a Isten ic, A Uni face M edaillon with a Portrait o f Augustus, in:
Germania 81 (2003) 2 6 3 -2 7 6 ; fa ch e n G arbsch, Phalerae, in: Reallexikon der germanischen Altertum skunde,
Bd. 23 (Berlin 2004) 1 3 1 -13 5 ; L lans-H oyer vo n P rittw itz u n d G a ffivn, Der Kaiser ist im m er und überall.
Das Kaiserhaus auf Waffen und Orden, in: G abriele U elsberg (Flg.), Krieg und Frieden. Kelten - Römer Germanen (D arm stadt 2007) 1 25 -13 3 . Umfassend, aber ohne M aterialsam m lung: Ja n Stäcker, Princeps
und miles. Studien zum Bindungs- und Nahverhältnis von Kaiser und Soldat im 1, und 2 .Jahrhundert
n.C hr. (H ildesheim 2003) 153 -21 7 . Die Dissertation von K a i T apfer, Signa mifitaria. Die römischen
Feldzeichen während Republik und Prinzipat, 2006 in M ainz abgeschlossen, ist in Druckvorbereitung. - Zu
Kaiserstatuen in römischen Lagern: Tadeusz S arn ow sk i, Zur Statuenausstattung römischer Stabsgebäude, in:
BJb 193 (1993) 9 6 -1 2 0 , bes. 1 15 -11 9 Tabelle 6; Stäck er, Princeps 2 2 3 -2 4 9 ; H üfte, Bases (wie Anm. 22)
119, 182-184.
i0 Auch Edelmetallobjekte gehörten aber nicht nur Vertretern der höchsren Dienstränge, vgl. S a lva tore O rtisi,
Gladii aus Pompeji, H erculaneum und Stabia, in: G ermania 84 (2006) 3 6 9 -3 8 5 .
41 So ist das sicher iuiisch-claudische Bildnis der Signumscheibe von Niederbieber (Kaiser Augustus und die
verlorene Republik [M ainz 1988] 564f. Nr. 390; Die Römer zwischen Alpen und Nordmeer [M ainz 2000]
326 N r.3 lf.; L lans-H oyer von P rittw itz u n d G a ffivn , Der Reiterhelm des Tortikollis, in: BJb 191 [1991]
233 Abb. 11; P rittw itz , Kaiser [wie Anm. 39] 131 f. Abb. 98; siehe unten zu Anm. 103) lockentypologisch
nicht einzuordnen (vgl. B öschu n g, C aligula [wie Anm. 6] 123 Kac. *85: kein C aligula), ebenso wenig der
Bildniskopf am Fleim vom Typus W eiler aus Xanten (P rittw itz , Kaiser [wie Anm. 39] 129 -13 2 Abb. 9 5 -9 7 );
vgl. aber die vom Toledo M useum of Art (Inv.2 0 0 7 .i I) soeben erworbene M etallscheibe m it Panzerbüste
des Augustus im Blätterkelch (Flinweis S. Ortisi) und das 2003 von Janka Istenic (wie Anm. 39) publizierte
M edaillon m it Augustusporträt in Ljubliana.
Vgl. d ie ,neutralen“ Kaiser(?)-Bildnisse römischer W aagengewichte: H a n na P h ilip p , Z u e in e r Gewichr.sbü.sre
aus dem Kerameikos, in: AM 94 (1979) 1 37 -15 9 ; H ans U lrich N uber, Waage mit Kaiserporträts aus
H eidelberg-N euenheim , in: Fundberichte aus Baden-W ürttemberg 6 (1981) 5 0 1 -5 2 8 ; N obert F ranken,
Aequipondia (Alfter 1994) 4 4 -4 6 , 54f.
Kaiscrbildnis.se als K aiscrgesch id u e(n )
P ro v in z v e rw altu n g en , S tä d te u n d lo k a le E liten , ja ein z e ln e B ürger. E ine syste m atisc h e S ch e id u n g
ist n u r in lo k a le r H in sic h t, k a u m so zial m ö g lich , a lle n fa lls in d em B ild n isse aus reich er a u sg e sta t­
teten H äu sern (A b b . 10) von so lch en im ö ffen tlich en R au m (A b b . 1; 12) g e tre n n t w e rd e n ’ 1. M it
K aiserp o rträts a u f R in g ste in e n u n d S ch m u c k erreich en w ir sc h lie ß lic h ein e ganz in d iv id u e lle
U rh eb ersch aft, aber eh er in h ö h e re n so zialen R än gen , in d en en m an R in g e tru g 4'1.
G ru p p ie rt m an d ie B ild n isse in d er K atego rie ih rer S ich tb a r k e it, so versch ieb en sich d ie g esc h ild e r­
ten L in ie n im S p an n u n g sfeld zw isch en h ö ch ste r V isib ilitiit im ö ffen tlich en R au m , ü b er B ild n isse in
T em p eln bis zu reg io n al u n d so zial stark ein gesch rän k ter, oft n u r h ä u slich er S ic h tb a rk e it, so w ie z w i­
schen S ic h tb a rk e it in R om u n d a u ß e rh a lb d er Z en trale. D as vom K aiser le g itim ie rte P o rträtm o d ell
w a r auf hö ch ste ö ffen tlic h e S ic h tb a rk e it h in a n g ele g t u n d in G ip sab gü ssen verfügbar. Z usam m en
m it d en M ü n z b ild e rn , d ie ü b era ll k u rsierten , w aren d ies d ie M e d ie n , d ie in den ö ffen tlich en R au m
R om s, Italien s u n d d er P ro vinzen w irkten, w o sie je d e r seh en k o n n te. E inen ä h n lic h h o h e n G rad
an S ic h tb a rk e it erreich ten d ie S ta tu e n d er K aiser, d ie in T h eatern , auf Fora o d er in ö ffen tlich en
G eb äu d en (A b b . 1; 1 2), in H e ilig tü m e rn u n d in T h erm en sta n d en , d ie sich in L äd en u n d in v ie ­
len öffentlichen A re a le n d er S tä d te fan d en , u n d K aiserb ild n isse an ö ffen tlich en M o n u m e n te n . D ie
S ic h tb a rk e it so lch e r B ild n isse w ar g le ic h w o h l reg io n al u n te rsc h ie d lic h : B ild n isse in R om w aren für
den K aiser u n d d en S e n a t selb st (p o te n z ie ll) relativ sich tb a rer als so lch e in den P ro v in zstäd ten , die
zud em n ic h t je d e n B ü rger, so n d ern n u r d o rtig e lo k ale G ru p p en e rreich ten . In g erin g erem U m fan g
ö ffen tlich sich tb a r w aren B ild n isse im H e er (A bb. 11; 1 7), d eren R ez ep tio n z w ar stark auf S o ld ate n
b esch rän k t w ar, d ie ab er g e le g e n tlic h d ie P ro v in z ia lb e v ö lk e ru n g erreich ten . W ese n tlich g erin g er h in ­
gegen w ar d er G rad an S ic h tb a rk e it von K aiserb ild n issen im H aus, in G ärte n , A tria un d L a ra rie n , wro
sie jew eils n u r b e stim m te so ziale u n d G efo lg sch aftsg ru p p en d er H au sb e sitze r zu G esich t b ekam en
(A bb. 10). D ie R ez ep tio n d er im hö fisch en K ontext au fg e ste llte n B ild w e rk e (A b b . 3 ) o d er d er d o rt
v e rw a h rten ,S ta a tsk a m e e n ‘ (A bb. 16) w ar g leich fa lls auf den .h äu slich e n K ontext b esch rän k t, h ier
ab er a u f den d es K aisers, sein er .K lie n te n “ u n d d ip lo m a tisc h e n B esuch er, d .h . des H ofes. A llerd in g s
b e d eu te t d ies n ic h t, d ass es sich um h e im lic h e ,H o fk u n st1 h a n d elte. R in g ste in e sc h lie ß lic h w aren
zwar äu ß erst p riv ate B esitz tü m er, ab er o ffen bar auch in der Ö ffe n tlic h k e it n ic h t u n s ic h tb a r ” .
K om m en w ir sc h lie ß lic h z u r I n t e n s it ä t a ls E h r u n g e n , d .h . zur k o m m u n ik a tiv en N ähe, d ie die
B ild n isse g e g en ü b e r d em K aiser als ex p liz item A dressaten erreich ten . A ls h o c h g ra d ig u n m it­
telb are E hrungen sin d d ie je n ig e n K aiserb ild n isse zu v ersteh en , d ie d em K aiser in d er d irek te n
K o m m u n ik atio n ü b erg eb e n w u rd en , d .h . K am een (A b b . 16) u n d an d e re G esch en k e an ih n , u.U.
auch S ta tu en im h ö fisch en B ereich (A b b . 3 ). In w e n ig er d ire k te r W eise, ab e r n o ch im m er u n m it-
'' Öffentlicher Raum: s. oben Anm. 22. - Kaiserbildnisse im Haus: Auch hier fehlt eine systematische
Bearbeitung unter Einbeziehung derjenigen Büsten, die trotz fehlenden Fundortes sicher in einen häusli­
chen Kontext gehören; vgl. vorläufig N eudeck er, Skulpturenausstattung (wie Anm. 22) 8 4 -9 1 ; H ans Jucker,
Die Bildnisstrafen gegen den toten C aligula, i n: B ettin a von F reyta g gen . L ö r in g h o ff (H g.), Praestant in­
terna. Festschrift für U. H ausmann (Tübingen 1982) 110 -11 8 ; G iorgos D ontas, Eine kleine Bronzebüste
Caligulas aus Kos, in: N ezih B asgelen (H g.), Festschrift für Jale Inan (Istanbul 1989) 5 1 -5 8 ; zu kleinfor­
matigen Kaiserbildnissen jetzt: K arsten D a hm en, Untersuchungen zu Form und Funktion kleinformatiger
Porträts der römischen Kaiserzeit (M ünster 2001). Ob die Silberbüste Galbas aus Herculaneum hierher oder
zu den M ilitaria gehört, ist offen: Die Silberbüste des Kaisers Galba, Ausstellungskatalog Bonn (Bonn 1995).
-H Kaiserbildnisse a u f Ringsteinen: Piin. nat. hist. 33, 41; los. ant. lud. 19, 251 f.; Sen. benef. 3, 26, 1; vgl.
C atharina M itd ern a -L m iter, Glyprik, in: Kaiser Augustus und die verlorene Republik, Ausstellungskatalog
Berlin (M ainz 1988) 4 4 1 -4 7 3 ; Z w ierlein , Gemmen (wie Anm. 35) I6f.
° jedenfalls beziehen sich los. ant. lud. 19, 25 lf. und Plin. nat. hist. 33, 41 auf die Sichtbarkeit solcher
Ringe.
R alf von den Hoff
26
telb ar erreich ten ihn d ie M ü n z b ild n isse (A bb. 1 3 - 1 4 ) . H ie r w a r d er K aiser z w ar u.U. A d ressat'16,
ab e r n u r e in e r v o n v ielen R ez ip ien ten . A lle n fa lls m itte lb a r n a h e k am en ih m h in g eg en B ild n isse
im m ilitä risc h e n K o n text (A b b . 11; 1 7), w o ih m als Im p erato r a lle rd in g s d ie R ez ip ien ten u n m it­
telb ar u n te r s ta n d e n '7. F ür d ie z eitw e ise m ilitä risc h tä tig e n M itg lie d e r d er K aiserfa m ilie w aren sie
u.U. ab e r u n m itte lb a re r w ah rn eh m b ar. B ei fast a llen S ta tu e n des K aisers im ö ffen tlich en R au m h in ­
g egen w u rd e d er eh re n d e C h a ra k te r d u rc h Insch riften zw ar ex p liz it d e u tlic h (A b b . 1 a - b ) . D iese
B ild n isse erreich ten d en K aiser selb st ab er w e it w e n ig e r als das je w e ilig e lo k a le P u b lik u m , w u rd en
also n u r äu ß erst m itte lb a r von ih m rez ip ie rt. S c h lie ß lic h m ü ssen in H äu sern d er B ü rg er au fg e ste llte
K aiserb ild n isse als ä u ß e rst m itte lb a re , vom K aiser n ic h t m eh r als so lch e w a h rn eh m b a re E hrungen
v erstan d en w erd en .
IV. K aiserb ildn isse als K aisergeschichte: von A ugustus zu Sep tim ius Severus
D a sjen ige M e d iu m , das uns am zuverlässigsten A ufsch lu ss ü b er das k a iserlich e S elb stb ild g e ­
ben k an n , ist uns z u g leic h am sch lech testen e rh a lte n : D as in R o m k re ierte o der z u m in d est d o rt
vom K aiser le g itim ie r te u n d v erb reitete K o p fm o d ell des H e rsch e rp o rträ ts. K en n tn is h ab en w ir
von d iesem le d ig lic h in d ire k t, in Form d er ü b era ll, oftm als m ec h an isc h a n g e fe rtig te n K opien.
G leic h w o h l lässt es sich aus d iesen in z w isch en äu ß erst zu v erlässig rek o n stru ieren '* . E ine G esch ich te
d er rö m isch en K aiser a n h a n d d er von ih n en bew u sst a u sg e w ä h lte n o d e r z u m in d est a n e rk a n n te n
B ild n isk o n z e p te lässt sich im ch ro n o lo g isch en D u rc h g a n g d u rc h diese B ild n ism o d elle skizzieren ,
w ie es b ereits oftm als g esch eh en ist '9.
D ie G esch ich te d er k a ise rlic h e n B ild n isk o n z ep te b e g in n t m it dem am h äu figsten k o p ier­
ten B ild n is e n tw u r f des A u g u stu s, m it dem so gen an n ten ,P rim a p o rta ty p u s‘ (A b b . 3 b), der aller
W a h rs c h e in lic h k e it n ach m it d er A n n a h m e des T ite ls A u g u stu s im Ja h re 2 7 v .C h r. geschaffen
w u rd e 511. Im V ergleich zu den v o rh erig en , d ie R e p u b lik d o m in ie re n d e n , sta rk in d iv id u a lisie rte n
B ild n issen - u n d au ch den ä lteren B ild n issen des O c tav ian - w a r d iese r E n tw u rf rev o lu tio n är. D er
R ü ck g riff a u fk la ssisc h -g rie c h is c h e Frisur- und S tilfo rm e n u n d d ie w e itg e h e n d e A u sb len d u n g in d iv i­
d u e lle r Z üge u n d A ltersm erk m a le ließ e n das B ild n is als b eisp ie lh a fte V erk ö rp eru n g des „ E rh aben en“,
n ic h t d u rc h M a c h t, so n d ern d u rc h a u c t o r it a s au sg e ze ich n eten P rin cep s ersch ein en . D ieses B ild
d es ersten P rin cep s b e h ie lt w e it ü b er sein e R e g ie ru n g sz e it h in a u s G ü ltig k e it. D ie u n m itte lb a re n
!6 Zum Charakter der M iinzbilder als Ehrungen s. oben Anm. 34. Hierfür spricht auch der bisweilen im
Dativ gegebene Name des Kaisers: B ergm a n n , Strahlen (wie Anm. 6) 94.
S tack er, Princeps (wie Anm. 39).
' Zur M ethode s. oben Anm. 7 und 20, sowie B ösch u n g, Augustus (wie Anm. 6) 8 -1 1 .
' Beispielsweise Z än k er, Principat (wie Anm. 5) 3 6 0 -3 6 6 ; Z änk er, Augustuskatalog (wie Anm. 8) 100-113;
K laus F ittschen , P a u l Z än k er, Katalog der römischen Porträts in den Capitolinischen M useen, Bd. 1 (M ainz
1985); S ch ollm eyer, Plastik (wie Anm. 5) 4 9 -6 2 ; Ulla K reilin ger (H g.), Im Antlitz der M acht (Erlangen
2003); P au l Z änk er, Die römische Kunst (M ünchen 2007) 51 f., sowie im E-Learning Programm VIAM US
des Archäologischen Instituts der Universität G öttingen: http://viamus.uni-goettingen.de/fr/e_/uni/d/05/
index_htm l (3 1 .3 .2 0 0 8 ).
50 Z änk er, Augustus (wie Anm. 5) 1 03 -10 6 ; M a tth ia s H ofier, Porträt, in: Kaiser Augustus und die verlorene
Republik, Ausstellungskatalog Berlin (M ainz 1988) 2 8 9 -2 9 9 ; B ösch u n g, Augustus (wie Anm. 6) 64f., 9 2 -9 5 ;
H ölscher, Bildsprache (wie Anm. 6) 3 3 -3 7 ; K laus F ittschen, Die Porträts des Augustus, in: G erh a rd B in d er
(H g.), Saeculum Augustum , Bd. 3: Kunst und Bildersprache (D arm stadt 1991) 1 49 -18 6 ; P ollin i, Augustus
(wie Anm. 37) 2 6 2 -2 8 2 ; S m ith, Typology (wie Anm. 6) 4 1 -4 7 : B öschu n g, Gens (wie Anm. 6) 18 lf.
Kaiserbildnis.se als K aisergcschichte(n)
27
N ach fo lg er d em o n strie rte n sein e A k z e p tan z d u rc h ein e w e itg e h e n d e A n g le ic h u n g , von T ib e riu s
bis C la u d iu s. D ies g ilt fü r d as ,k lassisch e4 F risursystem , n ic h t ab er für d ie P h ysio g n o m ie. Sch on
m ir T ib e riu s (A bb. 4 ) w u rd e d ie v isu e lle G la u b h a ftig k eit d u rch E in b ez ieh u n g von A lterszü g en
u n d n a tu ra listisc h e n , in d iv id u e lle n E lem en ten g esteig ert, d ie ein e gew isse A b k eh r vom ,zeitlo sen
A u g u stu sp o rträ t m a rk ie rten '’1. N eros 59 gesch affen er d ritte r B ild n isty p u s (A b b . 5 ) stellte n ach fast
9 0 Ja h re n d en ersten ra d ik a le n B ruch m it diesem K o n zep t dar. D ie lu x u riö se B ren n sch eren frisu r
d er c o m a in g r a d i t s f b r m a t a u n d L eib esfü lle w u rd en als Z eic h en von W o h lsta n d zu p ro g ra m m a ti­
sch en A ussagen*2. Im V ie rk a is e rja h r 6 9 sta n d d ieses K onzept z u r D eb a tte g eg en ein w eiteres, a u f
in d iv id u e lle u n d a n ti-lu x u riö se E rsch ein u n g setzen des. M it V esp asian (A b b . 6 - 7 ) setzte sich das
a n ti-n e ro n isc h e M o d e ll d u rc h , o h n e dass aber ein n e u e r A n sc h lu ss an A u g u stu s g esu ch t w u rd e - im
G eg en te il: M it d essen E rh a b e n h e it h a tte d er sch o n u n gslo se N atu ra lism u s des V espasian n ic h ts zu
tu n , d er leb e n d ig e N äh e des P rin cep s ev o zierte, an re p u b lik a n isc h e B ild n isse g em a h n te u n d d u rch
d ie z u sam m e n g ez o g en en B rau en n u n auch d ie a n stren ge n d e c u r a I m p e r ii v isu alisie rte . U n te r T itu s
u n d D o m itia n h ie lt e rn e u t d ie L uxus an z eig en d e F risurm o d e u n d G esic h tsfü lle, d ie N ero sa lo n fä ­
h ig g em a ch t h atte, E in zu g ins K aise rb ild n is>?. A uf v isu e lle B ezü ge zu ih rem V ater V espasian kam
es beid en n ic h t an. T rajan s sc h lic h te r N a tu ra lism u s des G esichtes, d ie ,nach den klich e* M im ik und
d ie b e to n t ein fach e, u n p rä ten tiö se H a a rg e sta ltu n g (A b b . 8 ) k o m b in ie rte n a n sc h lie ß en d auf neue
W eise v isu e lle G la u b h a ftig k e it m it e in e r A n g le ic h u n g an d ie A u g u stu sfrisu r, ein w eiteres neues
K onzept. H a d ria n (A b b . 9 ) b rach m it diesem so gleich w ie d e r a u f rev o lu tio n äre W eise*'1. D er B art,
den er ins K aiserb ild n is ü b ern ah m , b lieb von n u n an lan g e S ta n d a rd , zu n äch st als sem an tisch m ultifu n k tio n a le s, in R o m u n d den P ro vinzen u n te rsc h ie d lic h , m al als m o d isch er, m al als m ilitä risc h e r
od er als k la ssisch -g riech isch er Z ug lesb ares Z eichen"0 . Er w u rd e bei H a d ria n k o m b in ie rt m it ein er
reich en , w ie d e ru m aus d en lu x u riö sen F risuren N eros u n d der sp äten F lavier w e ite re n tw ic k e lte n
L o ck en frisu r. A n to n in u s P iu s w a r d er erste K aiser seit C la u d iu s, d er m eh r o d e r w e n ig er b ru ch lo s
das B ild n isk o n z ep t sein es V orgängers fo rtsetzte. Er e rw e ite rte es g le ic h w o h l d u rc h ein e erh ab en ere,
u n d yn a m isch e K o p fh altu n g v e rm u tlic h als Z eic h en von S ta b ilitä t. Im L au fe sein er m eh r als z w a iv
Ebd. 1 85 -19 0 ; vgl. B ösch u n g, Bildnisrypen (wie Anm. 7) 3 9 -7 9 . - Tiberius: L u igiP ohtcco, II volto diT iberio
(Rom 1955); B ösch u n g, Gens (wie Anm. 6) 187-190; J o h n P o llin i, A New M arble Head of Tiberius. Portrait
Typology and Ideology, in: AntK 48 (2005) 5 5 -7 1 ; ein Band der Reihe „Das römische Herrscherbild“ von
Dieter Hertel ist im D ruck. - C aligula: B ösch u n g, C aligula (wie Anm. 6). - C laudius: A n n e-K ath rein M eissner,
Zum Stilwandel im Kaiserporträt claudischer Zeit, in: Volker M ich a el S trocka (H g.), Die Regierungszeit des
Kaisers C laudius (4 1 -5 4 n.C hr.) (M ainz 1994) 159-176.
■2 U lrich W. H iesinger, The Portraits of Nero, in: AJA 79 (1975) 113 -12 4 ; B ergm a n n , Strahlen (wie Anm. 6)
1 47-149; H erm an n B orn , K la us S tem m er, Damnacio memoriae. Das Berliner Nero-Porträt (M ainz 1996); zu
Nero und den Kaisern bis zu Vespasian: S ch n eid er, Gegenbilder (wie Anm. 5).
x’ Titus, D om itian, Nerva: G eorg D altrop u.a., Die Flavier (Das römische Herrscherbild II 1, Berlin 1966);
M a ria n n e B ergm a n n , P a u l Z änker, Dam nado memoriae. Umgearbeitete Nero- und D om itiansporträts. Zur
Ikonographie der flavischen Kaiser und des Nerva, in: J d l 96 (1981) 3 1 7 -4 1 2 .
v> W alter H. Gross, Bildnisse Trajans (Das römische Herrscherbild II 2, Berlin 1940); M ax W egner, Hadrian
(Das römische Herrscherbild II 3, Berlin 1956); Eifers, H adrien (wie Anm. 7); M a ria n n e B ergm an n , Zu
den Porträts des Trajan und H adrian, in: A ntonio C aballos, P ila r L eon (H g.), Italica M M C C (Sevilla 1997)
1 37-153; D ietrich B öschu n g, Ein Kaiser in vielen Rollen. Bildnisse desT raian, in: A nnette N ünnerich-A sm us
(Flg.), Traian. Ein Kaiser der Superlative (M ainz 2002) 163-171.
M a ria n n e B ergm a n n , Zeittypen im Kaiserporträt?, in: Römisches Porträt, W issenschaftliche Zeitschrift der
H umboldt-Universität zu Berlin, Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe 2/3 (1982) I44f.; P aul
Zänker, Die Maske des Sokrates (M ünchen 1995) 2 0 6 -2 1 3 ; W olfgan g E ischer-B ossert, Der Porträttypus des
sog. Plotin. Zur D eutung von Bärten in der römischen Porträtkunst, in: AA (2001) 137-1 52.
28
R a lf von den H off
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Abb. 3 b: K opfder Statue Abb. 3 a - Gipsabguss
Museum tür Abgüsse München nach M armor­
bildnis in Rom, Museo NazionaJe
Abb. 4: Bildnis des Tiberius (tiberisch) - Marmor;
Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek
Abb. 5: Bildnis des Nero (kurz nach 59) Gipsabguss Museum für Abgüsse München nach
M arm orbildnis in Rom, Museo Nazionale
Abb. 6: Bildnis des Vespasian (vcspasianisch) Gipsabguss Museum für Abgüsse München nach
M armorbildnis in Kopenhagen, Ny Carlsberg
Glyptotek
29
K aiserbildnisse als K aisergeschichte(n)
-'V
Abb. 7: Bildnis des Vespasian als Sphinx, aus Ägypten
(vcspasianisch) - Kalkstein; Kairo, Ägyptisches
Museum
Abb. 8: Büste des Trajan (trajanisch) - Marmor;
München, Glyptothek
vH *
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L
Abb. 9: Kopt des Hadrian aut einer Pair/.erbüste,
aus Ancium (hadrianisch) - M arm or; Rom, Musei
Capitolini
'dl
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UM
Abb. 10: Panzer-Büste des Marc Aurel, aus der Villa
von Lanuvium (antoninisch) - M armor; Rom, Musei
Capitolini
30
R alf von den H off
z ig jä h rig e n R e g ie ru n g sz e it v erä n d erte er den m a ß g eb lic h en B ild n isty p u s als Z eic h en von C on sta n tia
zud em k a u m ’ 6. D as B ild n is M a rc A urels (A bb. 10) b e d eu te te k ein e n p rin z ip ie lle n B ru ch , ab er ein e
V erän d eru n g . D u rch en tsp a n n te M im ik k am d ie u n b e w eg te E rh a b e n h e it des H errsch ers no ch stä r­
ker zum A u sd ru ck , d u rc h das no ch reich er g elo ck te, g erad ezu to u p ie rte H a a r z eig te sich no ch m eh r
lu x u riö se P racht. D en lä n g eren B a rt k o n n te m an als H in w e is a u f p h ilo so p h isch e B e tä tig u n g lesen,
d o ch w a r d ies n ic h t z w in g e n d , w ie d ie d arin äu ß e rst ä h n lic h e n B ild n isse d er ,u n p h ilo so p h isch e n ‘
R egen ten L u ciu s V erus u n d C o m m o d u s z eig en ’ . E rst m it den sp äten , k u rz h a a rig e n B ild n issen des
S e p tim iu s Sev eru s w u rd e ein n eu es B ild n isk o n z e p t e n tw ic k e lt, d as ü b er C a ra c a lla zu den k u rz h a a ri­
gen, u n p rä ten tiö s m ilitä risc h u n d en ergisch ersch ein en d e n S o ld ate n k aise rn fü h rte ’ 8.
D er h ie r sk iz zie rte D u rc h g a n g n im m t v iele P au sc h alisicru n g en in K auf. Im D eta il ließ e n sich
d ie ein z eln e n k a ise rlic h e n B ild k o n ze p te p räz iser b e w erten . D e u tlic h w ird ab er für d ie G esch ich te
des P rin z ip ats z w e ie rle i: Z u m ein en w ar d ie G esch ich te der k a ise rlic h e n B ild n isk o n z ep te k ein e
G esch ich te d er T ra d itio n sw a h ru n g , so n d ern ein e G esc h ich te d er B rü ch e. A lle n fa lls in den ersten
Ja h rz e h n te n b is zu N ero u n d an satzw eise in d er E poche d er A d o p tiv k a ise r d o m in ie rte K onstan z,
d ie ein e L e g itim ie ru n g d u rc h c o n c o r d ia d er d o m u s A u gu sta g e g e n ü b e r den V orgängern in sze n ierte
- bei d en A d o p tiv k a ise rn im P rin z ip n u r d u rch d ie L a n g b ä rtig k e it - , so n st reg ierte d ie In n o vatio n .
D as B ild n isk o n z e p t des A u g u stu s, das des .erh ab en en P rin cep s', w a r k ein E rfo lg sm o d ell u n d w u rd e
sch on seit T ib e riu s a b g e w an d e lt, seit N ero w e itg e h e n d n e g ie rt, so seh r m an bis ins 2. Ja h rh u n d e rt
n .C h r. B ild n isse des ersten P rin cep s no ch ü b era ll seh en k o n n te, ja n eu a u fstellte, auf M ü n z en gar
bis in s 3 .J a h rh u n d e rt n e u p rä g te ’ 9. D as Inno vative sein er N ach fo lg er w u rd e ü b era ll e x p liz it sich t­
bar. Z u m a n d eren k re isten d ie u n te rsc h ie d lic h e n B ild n isk o n z e p te um d ie P räsen tatio n n u r rela ­
tiv w e n ig er, le itm o tiv a rtig e r u n d k o n trärer G ru n d p rin z ip ie n : S c h lic h th e it u n d n atu ralistisc h es
A ussehen als Z eic h en von g la u b h a fter N äh e auf d er ein en , L uxus u n d W o h lsta n d au f d er an d eren
S e ite w aren zw ei Pole, h in z u kam d ie D em o n stratio n d er S o rg e u m das Im p eriu m g eg en ü b e r e rh a ­
ben er R u h e des H errsch ers d u rc h ein e en tsp rech en d e M im ik u n d d ie v isu e llen B ez u gn ah m en a u f
M o d ee rsch e in u n g en , w ie d ie G rad us-F risu ren seit N ero o d e r der B a rt seit H a d ria n , d er zu g leic h
in b e z eich n en d er W eise u n te rsc h ie d lic h e sem an tisch e A n sch lü sse an d ie k u ltu re lle V ie lfa lt des
Im p eriu m s, des M ilitä rs u n d d er a k tu e lle n M o d e erm ö g lich te.
In d en B ild n isk o p f-T y p en g re ifen w ir also rela tiv h äu fig w e ch se ln d e B ild n isk o n z ep te der
H errsch er, d ie z u n äch st u n a b h ä n g ig von d eren so n stig er id e o lo g isc h e r P o sitio n ie ru n g zu b ew er­
ten sin d u n d eig en e G e sc h ic h te (n ) d er rö m isch en K aiser zu sch reib e n erlau b en . D iese G esch ich te
% M ax W egner, Die Herscherbilder antoninischer Zeit (Das römische Herrscherbild II 4, Berlin 1939); C ecile
Evers, Propagande im periale et portraits officiels. Le type de (’adoption d ’Antonin le Pieux, in: RM 98 (1991)
2 4 9 -2 6 2 ; A drian Stählt, Porträt des Antoninus Pius im Typus „Busti 2 84 “, in: H an s-P eter Isler (H g.), Drei
Bildnisse (Zürich 1999) 3 9 -5 7 .
s~ W egner, Antonine (wie Anm. 56); B ergm a n n , M arc Aurel (wie Anm. 5); B ergm a n n , Strahlen (wie Anm. 6)
2 4 8 -2 5 2 ; F ittschen, Prinzenbildnisse (wie Anm. 7); F red C. A lbertson, The Creation and Dissemination oi
Roman Imperial Portrait Types. The Case o f M arcus Aurelius lyp e IV, in: J d l 1 19 (2004) 2 5 9 -3 0 6 .
,s D irk S o ech tin g, Die Porträts des Septim ius Severus (Bonn 1972); J o a ch im R aeder, Herrscherbildnis und
M ünzpropaganda, in: J d l 107 (1992) 175-196; vgl. M a ria n n e B ergm a n n , Zum römischen Porträt des
3 .Jahrhunderts n .C hr., in: Spätantike und frühes C hristentum , Ausstellungskatalog Frankfurt am M ain
(Frankfurt am M ain 1983) 4 1 -5 9 .
^ Das jüngste bekannte Augustusbildnis wurde im mittleren 2 .Jahrhundert hergestellt: B öschu n g, Augustus
(wie A n m .6) 169 Kat. Nr. 147; hadrianisch ist die Basis der Augustusstatue aus Perge: H ejte, Bases (wie
Anm. 22) 261 Augustus 191. —M iinzbildnisse des Augustus bis ins 3. Jahrhundert: Z änker, Augustuskatalog
(wie Anm. 8) 32.
K aiscrhildm sse als K aisergeschichte(n)
crwci.sc sich als d au e rh afte A u sh a n d lu n g des K aiscrid cals, in d er d ie Z e it zw isch en A u g u stu s u n d
C la u d iu s so w ie d ie d er A d o p tiv k a ise r d u rch lan g sam e E n tw ic k lu n g in n erh a lb w e itg e h e n d e r
K o n stan z, d ie zw isch en N ero u n d H a d ria n in d es d u rch steten W an d e l g e p rä g t w a r u n d in der
S e p tim iu s Sev eru s ein en g ru n d le g e n d e n B ru ch m ark ie rte. E ine feste, la n g fristig g ü ltig e N o rm k o n n ­
te sich n ic h t eta b lieren .
V. K aiserbildnisse als R epräsentationsm edien: A ugustus und T iberius
W ie ab er sah en d ie U n te rg eb en en d ie K aiser, in w e lch e K o n texte w u rd en d ie eb en sk iz zierten
B ild n isk o n z ep te von ih n e n g esetz t, in d em d ie K aiserkö p fe in u n te rsc h ie d lic h e n B ild m e d ie n als
S ta tu en , B ü sten un d R eliefs ersch ien en ? L e n k t m an den B lick zur m e d ia le n V ie lfa lt d er K aiserp o rträts
so w ird aus d er G esc h ich te des k a iserlich e n S elb stb ild e s d ie G esc h ich te der B ew ertu n g en dieser
K aiser - zw isch en Italien u n d Ä g y p te n (A bb. 6 - 7 ) , zw isch en V illa u n d F orum (A bb. 1; 3 ) je u n ­
tersch ied lich . D eren S ystem in sein er G esa m th e it d arzu stelle n b le ib t ein D esid e rat in zw eifach er
H in sic h t: ein erseits als G esch ich te d er den K aiserkö p fen je w e ils z u g eo rd n eten K örper, B üsten
u n d B ild z u sa m m e n h än g e, d ie an d ers als d ie B ild n isk ö p fe von la n g e g ü ltig e n , gerad ez u n o rm ierte n
D arste llu n g sfo rm en g e p rä g t w a r60, a n d ererseits als Syn o p se der v ersch ie d en en E rsch ein u n gsfo rm en
jew eils ein es K aisers in u n te rsc h ie d lic h e n B ild m ed ie n . H ie r lässt sich b eid es p a ra d ig m atisc h nu r in
ein em Z u g riff a u f ein e k u rze Z eitsp an n e illu strie re n : am B eisp iel des A u g u stu s u n d des T ib eriu s,
d .h . d er etw as m eh r als 6 0 Ja h re d er ersten b e id en G en era tio n e n des rö m isch en P rin zip ats. D er
m ed ie n sp ez ifisch e C h a r a k te r je d e r D a rste llu n g bem isst sich a n h a n d d er sk iz zie rte n K atego rien
U rh eb ersch aft, S ic h tb a rk e it u n d E h ru n g sin ten sitä t in R e la tio n zum T h em a des B ild es, zu sein er
B ild sp rach e u n d zur R o lle, d ie d er P rinceps in ih m an n ah m .
W ir k en n en m eh r als 2 0 0 ru n d p la stisch e B ild n isse - oft n u r B ild n isk ö p fe o d e r B ü sten, selten er
S ta tu e n - des A u g u stu s (A b b . 2 - 3 ) u n d e tw a eb enso v iele h e u te statu en lo se S ta tu en b a se n sein er
g a n z fig ü rlich en B ild n isse. Von d iesen stam m en e tw a 112 B ild n isse a u fg ru n d äu ß e re r o d er s tilis ti­
sch er K riterien u n d ü b e r 100 B asen a u fg ru n d ih rer In sch riften aus sein er L eb en szeit, also n u r etw a
50 P ro zent. A u g u stu s w u rd e a u ß e rg ew ö h n lich oft n ach sein em T od g e e h rt61. M ic h a e l P fänn ers
S ch ä tz u n g zu fo lg e ist m it e in e r u rsp rü n g lic h e n G esa m tz a h l von um d ie 2 5 0 0 0 bis 3 0 0 0 0 s ta tu a ri­
sch en B ild n issen des ersten K aisers zu rech n en 62. D ie Z a h l der erh a lte n e n T ib e riu sb ild n isse (A b b . 4 )
lie g t e tw a b ei an d ie 100. H in z u ko m m en um d ie 9 0 S ta tu en b a se n dieses K aisers, v on d en en m ehr
als 2 0 vor R e g ie ru n g sa n tritt, in sgesam t ab er n u r w e n ig e n ach sein em T od en tsta n d en sin d 63.
w 'Zänker, Principat (wie Anm. 5) 359; zu diesen Darstellungstypen N iem eyer, Studien (wie Anm. 24);
L a hm en , Ehrenstatue (wie Anm. 9) 4 5 -6 5 , sowie unten A n m .6 5 f, 72, 81.
61 Köpfe: B ösch u n g, Augustus (wie Anm. 6) 107-194 (dort einschließlich der Reliefs und Kameen). - Basen:
B ösch u n g, Augustus (wie Anm . 6) 9 8 f., 102 A. 519; H ojte, Bases (wie Anm. 22) 133, 2 2 9 -2 6 3 , 591, dessen
Zahlenangaben m it Vorbehalt zu bewerten sind, da sie sieh nicht durchweg auf Statuenhasen beziehen, s. die
Rez. von W erner Eick nv. Klio 89 (2007) 5 2 4 -5 2 8 ; eine neue Zusam m enstellung von Christian W itschel zählt
141 Ehreninschriften für Augustus auf Basen oder basisiörm igen Blöcken, von denen 26 postum zu datieren
sind; vgl. seinen Beitrag in diesem Band.
w M ich a el P fä n n er, Ober das Herstellen von Porträts, in: J d l 104 (1989) 178.
l" Köpfe: s. oben Anm. 51; Elojte, Bases (wie Anm. 22) 48 Abb. 9 m it A. 3, 82 m it A. 81; Dieter Hertels
1 iberius-Band der Reihe „Das römische Herrscherbild'1 ist im Druck, dort werden sich genaue Zahlen fin­
den. Postume Tiberiusbildnisse sind offenbar bisweilen durch Um arbeitungen aus Caligulaporträts entstan-
32
R alt von den Hoff
W as d ie Kir dic.sc B ild n isse zu L eb zeiten d er b eid en K aiser v erw en d eten S ta tu e n k ö rp e r a n ­
g eh t - d ie p o stu m en B ild n isse seien z un äch st a u sg e k la m m e rt6'1 ~, so lassen sich k ein e sig n ifik a n ­
ten U n te rsch ie d e erk en n en : A m h äu figsten w u rd en sie in d er "Ibga d a rg e ste llt, w as ihre R o lle als
B ürger, als c iv i l i s p r i n c e p s in den V o rd erg ru n d rü ckte. O ftm als w a r d ab ei das H a u p t v erh ü llt, ein
Z eich en von p i e t a s (A b b . 2 ) 6\ D ies g a lt auch für D a rste llu n g e n in R eliefs, an B au ten u n d A ltären .
H ie r fassen w ir d ie z en tra le R o lle der ersten K aiser in d er S ic h t ih rer U n terg eb en en . A ls w eitere
w ic h tig e D arste llu n gsfo rm g ilt d ie R eiterstatu e, d ie den K aiser als Im p erato r z e ig te “'. B ereits 43/2
v. C h r. e rh ie lt A u g u stu s ein e so lch e S ta tu e an den r o s tr a des F orum R o m an u n v ' . D anach sch ein t
d ie D arste llu n gsfo rm fü r ih n jed o ch an B ed e u tu n g verlo ren zu h ab en , o b w o h l lo k a le P o ten taten
au ß e rh a lb R om s so lch e S ta tu e n auch im 1.Ja h rh u n d e rt n .C h r . e rh ie lte n . N u r zw ei B asen von
R eiterstatu en des A u g u stu s, b eid e n ic h t aus Italien , sin d b e z e u g t68. D ie bro n zen e S ta tu e aus dem
M eer vor E ub oia, d ie A u g u stu s m it d er T u n ica ä h n lic h ein em rö m isch en R itte r zeige, ist d ie e in z i­
ge teilw eise e rh a lte n e 69. R e ite rsta tu e n des T ib e riu s feh len bis a u f d rei B asen , k ein e aus Italien und
alle d rei vor d er R eg ieru n g sü b e rn a h m e en tsta n d en !). R e ite rstatu e n w aren also nach 2 7 v .C h r. für
m ilitä risc h tä tig e A n g eh ö rig e d er d o m u s A u g u sta oder p o ten z ie lle N ach fo lg er ü b lich er als für den
reg ieren d en P rinceps u n d fü r d iesen eh er a u ß e rh a lb Italien s ‘. Ein M a n g e l an Z eu gn issen lie g t auch
für d ie s t a t n a i o r i c a t a , d ie P anzerfigur, vor (A b b . 3 a), ein e h e lle n istisc h e n V orläufern v erp flic h te ­
te, im 1.J a h rh u n d e rt v .C h r. fü r B ü rg er in Italien u n d an d e rn o rts ü b lich e D arste llu n gsfo rm und
später, sch on bei P lin iu s (n a t. 3 4 , 2 8 ), für rö m isch e B ild n isse so typ isch , dass m an sie fälsch lich als
den: H ans R. G oette, Studien zu römischen Togadarstellungen (M ainz 1990) 34 A. 147 I, o, r; vgl. auch die
postume Büste aus Ephesos, unten Anm. 73. - Basen: H ojte, Bases (wie Anm. 22) 133F.>2 6 3 -2 8 8 , 592;
eine neue Zusam m enstellung von C hristian W itschel zählt 88 Ehreninschriften für l iberius auf Basen oder
basisförmigen Blöcken, von denen 24 vor 14 errichtet wurden, nur eine postum.
<v>H a llen , Nude (wie Anm. 13) 161 -16 3 mit A. 3, 166-178 trennt nicht systematisch postume von lebens­
zeitlichen Bildnissen.
Zu Togastatuen des Augustus: Z änk er, Augustus (wie Anm. 5) 1 67 -17 0 ; Goette-, Toga (wie Anm. 63) 22
A. 97; B öschu n g, Augustus (wie Anm. 6) 96 mit A. 4 6 8 -4 7 1 ; H allett, Nude (wie Anm. 13) 160. - Togastatuen
des Tiberius: G oette, Toga (wie Anm. 63) 34 A. 147 1, o, r; 35 A. 152. - Zum Konzept des civ ilis p rin cep s:
A ndrew W allace-H adrilL C ivilis Princeps. Between Citizen and King, in: JR S 72 (1982) 3 2 -4 8 .
K' J o h a n n es B ergem a n n , Römische Reiterstatuen (M ainz 1990); H ojte, Bases (wie Anm. 22) 35f.
Z änk er, Augustus (wie Anm. 5) 4 6 -4 8 ; B ergem a n n , Reiter (wie Anm. 66) 161 -16 3 1,256S Ulia/Spanicn (12 v.C hr.): B ergem a n n , Reiter (wie A n m .66) 140 E63; B ösch u n g, Gens (wie A n m .6)
145f., 154 Tabelle I.-Nr. 9; H ojte, Bases (wie Anm. 22) 246 Augustus 105. - Termessos/Lykien (auguste­
isch): B ergem a n n , Reiter (wie Anm. 66) 154E E I27; H ojte, Bases (wie Anm. 22) 261 Augustus 192. - Die
Inschrift aus Perusia/Umbrien {Hojte, Bases [wie Anm. 22] 237f. Augustus 52) ist eine Bauinschrift (Hinweis
C. W itschel). - Vgl. B ösch u n g, Augustus (wie Anm. 6) 97.
w B ergem a n n , Reiter (wie Anm. 66) 57--59; B ösch u n g, Augustus (wie Anm. 6) 96, 110 Kat.-Nr. 7; eine pos­
tume D atierung ist nicht ganz ausgeschlossen. Hinzu kommen jetzt die Reste der augusteischen vergoldeten
Reiterstatue aus Waldgirmes/Germanien, zu der sich 2009 neue Fragmente gefunden haben, die aber kei­
nesfalls sicher Augustus darstellt: L u d w ig W ämser (H g.), Die Römer zwischen Alpen und Nordmeer (M ainz
2000) 3 8 -4 0 ; S iegm a r vo n S ch n u rb ein , Augustus in Germania and his New Town at W aldgirmes East of the
Rhine, in: JRA 16 (2003) 9 3 -1 0 7 .
11 O lym pia: B ergem a n n , Reiter (wie Anm. 66) 154 E124; H ojte, Bases (wie Anm. 22) 279 Tiberius 101. O lym pia: ebd. 279 Tiberius 99. - Pergamon: ebd. 284 Tiberius 130.
1 Vgl. Reiterstatuen der Augustusenkel (B ergem a n n , Reiter (wie Anm. 661 i 3 1f. E36, 140 E64-65), des
G ermanicus (ebd. 141 E71), oder postume Statuen des Drusus (ebd. 120 E l, 163 L27).
K aiserbiklnissc als K aisergcschichtc(n)
33
rö m isch e E rfin d u n g an sah 2. Für T ib e riu s ist k ein e sic h e r b e z eu g t \ S ic h t m an von den B ild n issen
des O ccavian vor 2 7 v .C h r. ab, so stam m en n u r zw ei zu L eb z eiten g e fe rtig te B ild n isk ö p fe des
A u g u stu s a u fg ru n d ih res ec k ig en B ru stau ssch n ittes v ie lle ic h t von P an z erstatu en
E ine R eih e von
kopflosen P an z erstatu en b eso n d ers aus den sen ato risch e n P ro vinzen des O stens k ö n n te au fg ru n d
stilistisc h gDe w o n n en e r D a tie ru n gOe n A u O
g u stu s zu L eb zeiten d a rste lle n . B ild n isse von P rin zen w ären
aber g le ic h fa lls d en k b ar, d ie au ch in d ieser D arste llu n gsfo rm h äu fig er ersch ein en -5. P an zerstatu en
Kir A u g u stu s sin d im O sten des Im periu m s ab er z u m in d e st als K u ltb ild b e leg t, so in P ergam o n ”6.
A n so n sten steh t in Italien d ie b e k a n n te P an zerstatu e aus P rim a p o rta bei R om (A bb. 3 a) w e itg e ­
h en d a lle in . So oft sie au ch als S ig n u m des ersten P rinceps a b g e b ild e t w ird , sie ist für sein e sta tu a ­
risch e R ep räsen tatio n n ic h t c h a ra k teristisch , so n d ern ein e A u sn ah m e, u n d zud em ein e früh , bereits
kurz n ach 2 0 v. C h r. e n tsta n d en e . D ies v ersteh t m an besser, w en n m an den G rad ih rer S ich tb a rk e it
b e rü c k sic h tig t: S ie sta m m t aus ein er V illa im B esitz der K aiserfa m ilie, also n ic h t aus dem ö ffen tli­
ch en R au m . Ihre U rh e b er g eh ö ren so m it ins k a ise rlic h e U m fe ld ; d ie Ö ffen tlic h k eit sah sie nich t.
D ie Im p erato ren ro lle, d ie R eiter- und P an zerstatu en rep rä sen tierte n - S ta tu e n ty p e n , d ie den
D a rg e ste llten ü b er d en z iv ilen T o gatus erh o b en (vgl. C ic . P h il. 9, 13)
trat in den B ild n issen der
ersten P rin cip es also aufs G an ze geseh en b eso n ders im W esten z u rü ck '* . Ö ffen tlic h sich tb a r für die
B ü rg er w aren an u n te rsc h ie d lic h e n O rte n des Im p eriu m s u n te rsc h ie d lic h e K aiserro llen , zu m eist
ab er n ic h t d er I m p e r a t o r , so n d ern der c i v i l i s p r i n c e p s , an d ers als fü r d as H errsch erh au s im h ö fisch en
B ereich u n d m it ein em b eso n d eren A k z e n t im O sten , w o d ie V o rstellu n g des H errsch ers als M ilitä r
2 K laus S tem m er, Untersuchungen zur Typologie, Chronologie und Ikonographie der Panzerstatuen (Berlin
1978); L aube, "Ihorakophoroi (wie Anm. 37) 101-212.
• Die Panzerbüste des I'iberiusporträts in Neapel, Museo Nazionale 6043 (P o la cco , Vblto [wie Anm. 51] 130
Taf. 26) ist ergänzt. - Die Büste des Tiberius aus Ephesos ist postum: W olf R. M ego w , Tiberius in Ephesos,
in: ÖJh 69 (2000) 2 4 9 -2 9 5 .
'* Augustus: B ösch u n g, Augustus (wie Anm. 6) 97 m it A .4 72, 143 Kat.-Nr. 75; sowie aus Lucus Feroniac
(frühaugusteisch) 108f. Kat.-Nr. 4; B ösch u n g, Gens (wie Anm. 6) 35 Nr. 1.1; vgl. aber ebd. 35 Nr. 3.2
Taf. 22, 2, eine Büste desselben Fundkontextes, die zu einer Togastatue gehört, aber eine ähnlich eckige Form
zu haben scheint, allerdings m it Gewand auf der linken Schulter. - Die Panzerstatue aus Narona datiert
L aube, ’Ihorakophoroi (wie Anm. 37) 2 2 3 -2 2 5 jetzt neronisch. - Zur Panzerstatue aus Cherchel s. unten
Anm. 77. - Zu den frühen Panzerdarsteüungen des Occavian: Z änk er, Augustus (wie Anm. 5) 6 1-6 5>K laus F ittsch en , Zur Panzerstatue aus Sam aria Sebaste, in: L eon h a rd V R utgers (H g.), W hat Athens has to
do with Jerusalem (Leuven 2002) 12-34 A. 10-1 4; L aube, 'Ihorakophoroi (wie A n m .37) 102-315, 126128, 136-139. ~ Vgl. beispielsweise die unsicher datierten oder Prinzen darstellenden iulisch-claudischen
Panzerstatuen wie B ösch u n g, Gens (wie A n m .6) 8 0 -8 2 mit A .499 (M erida), 9 If. (Tarragona); A ndreas Post,
Römische H üftm antelstatuen (M ünster 2004) 290f. m it A. 936, 4 l6 f. Nr. V 4 (Luni); L au be. 1 horakophoroi
(wie Anm. 37) 127 (Caglari).
BM C Greek Coins M ysia 139 N r.2 4 2 -2 4 5 T af.38, 5; 142 N r.2 6 3 -2 6 7 T af.38, IOC BM CRE \ 196
Nr. 228 Iah 34. 4; II 94 Nr. 449 Iah 43, 1 I; H eidi H ä n lein -S ch ä fir, Veneratio Augusti. Eine Studie zu den
’iem peln des ersten römischen Kaisers (Rom 1985) 8 1 -8 4 ; L aube, Ihorakophoroi (wie Anm. 37) 132-134.
S.
oben Anm. 37. - Die kopflose, überlebensgroße Panzerstatue aus Cherchel ist wohl nicht auguste­
isch bzw. nicht sicher ein Bildnis des Augustus, jedenfalls aber in einem Klientelstaat Roms errichtet; vgl.
zu Benennung und D atierung: K laus F ittschen , Zur Panzerstatue in Cherchel, in: Jd l 91 (1976) 175-210;
S tem m er, Panzerstatuen (wie Anm. 72) 1 0-12 I 5; Z änk er, Augustus (wie Anm. 5) 2 2 4 -2 2 6 ; Tonio H ölscher,
Claudische Staatsdenkm äler in Rom und Italien, in: Volker M ich a el Strocka (H g.), Die Regierungszeit des
Claudius (4 1 -5 4 n.C hr.) (M ainz 1994) 100 -10 2 ; F ittschen , Panzerstatue (wie A n m .75) 14 A. 14; Post,
Hüftm antelstatuen (wie Anm. 75) 414h sowie die claudische D atierung und Claudiusbenennung bei C hrista
L a n d w ehr, Die römischen Skulpturen von Caesarea M auretaniae IV: Porträtplastik (M ainz 2008) 10 l - l 14
Nr. 321 (m it Beitrag von W. Trilim ich).
"s Rose, Com m em oration (wie Anm. 6) 74 A. 25; H allett, Nude (wie Anm. 13) 163-166.
R a lf von den Hoff
34
tra d itio n e ll v erw u rz elt w ar, d ie K aiser d ie B ild n isse ab er k au m selb st seh en k o n n ten . M ilitä risc h e
R o llen ü b ern a h m en ü b e ra ll zu m e ist an d ere M itg lie d e r d er d a m n s A u gu sta .
A n d e rs ist d ies le d ig lic h bei so lch en B ild n issen , d ie A u srü stu n g sg eg en stä n d e u n d E hren zeich en
d er M ilitä rs sch m ü c k ten : S c h w e rtsc h e id e n m e d a illo n s ( A b b . i l ), p b a l e r a e u n d an d ere O b jek te
d iese r A r t z eig ten A u g u stu s w ie an d ere M itg lie d e r des K aiserhauses frü h z e itig im P a n z e r 9. D ass
erst m it C a lig u la d ie ru n d p la stisch e P an zerb ü ste des
reg ieren d en K aisers au ftau ch te , v o rh er ab er n u r jü n g e­
re M itg lie d e r des K aiserh auses in P an zerb ü sten d a rg e ­
ste llt w u rd en , u n d erst m it N ero d ie P anzerbü ste des
P rinceps au f M ü n z en e rsc h ie n 80, b e stätig t d ie im früh en
P rin z ip a t syste m atisc h e B esc h rä n k u n g so lch e r im p e ra ­
to risch er B ild er a u f b e stim m te M e d ie n u n d G rup p en
von D a rge ste llten .
Z u den g en a n n ten S ta tu e n k am en B ild n isse, d ie die
K aiser m it id ea l-h e ro isch en S ta tu en k ö rp ern u n d / o d er
m yth isch -h ero isch en
A ttrib u te n
z eig ten
(A b b . 12).
S ie w aren in d er R e p u b lik g ä n g ig e M ü n ze, n ic h t um
reale G ö tter zu zeig en , so n d ern um in h e llen istisch e r
Abb. 11: Schwcrtschcidenmedaillon mit
Panzerbüste des Augustus, aus dem Lager
von Vindonissa (frühkaiserzeitlich) - Zinn*
Blei-Legierung; Brugg, Vindonissa Museum
T ra d itio n a lleg o risc h d ie ü b e rra g e n d en Q u a litä te n der
E liten R o m s u n d Iralien s in Szen e zu setz en 81. A u ch
A u g u stu s w ar dem z u n äch st g efo lg t. Für V erstorbene
M itg lie d e r d er G ens A u g u sta u n d den D ivus Iuliu s ist
d ie D a rste llu n g im g ö tte rg le ic h e n H ü ftm a n tel auch
w e ite r b e le g t82. In A n b e tra c h t d er d em o n strativ en Z u rü c k n a h m e des A u g u stu s seit 2 7 v. C h r. w ird
m an jü n g ere S ta tu e n des P rin cep s zu L eb zeiten in d iese r A rt w e n ig er erw a rte n . D och trifft dies n ic h t
zu, w ie m an la n g e w e iß . D er F reigelassen e M arc u s V arenus stiftete im z w eite n Ja h rz e h n t v. C h r. p r o
s a lu t e des A u g u stu s am F orum v on T iv o li ein A u g u stu sb ild n is (A b b . 1 2). K opflos erh a lten , ist es
d u rc h d ie Insch rift sich er b e n a n n t. Es zeige den P rin cep s im T yp u s des sitz en d en J u p ite r 83. Es la g
79 Vgl. 'Zänker, Augustuskatalog (wie Anm. 8) 23 (Schwertscheidenmedaillons: Augustus, Tiberius), 22
(Schwertscheidenblech: Thronfolger); B ösch u n g, Glasphalerae (wie Anm. 39) 193 -25 8 (Augustus, Tiberius,
C aligula, C laudius und Thronfolger), sowie den G oldtondo in Toledo (Augustus; s. oben A n m .4 1): zu
Bildnissen an M ilitaria s. oben Anm . 39.
80 Erste lebensgroße rundplastische Panzerbüste eines regierenden Princeps: Caligulabüste in Kopenhagen
{B öschung, C aligula [wie Anm. 6| 118f. Kat. 43; zur postumem Tiberiusbüste aus Ephesos s. oben Anm. 73).
- Nero: BM CRE I 215 Nr. U lf . Taf. 41, 1; P ierre B a stien , Le buste m onetaire des empereurs romains, Bd. 1
(Wetteren 1992) 250, 259; W olters, N um m i (wie Anm. 29) 297 Abb. 139.
si A velke D ähn, Zur Ikonographie und Bedeutung einiger Typen der römischen m ännlichen Porträtstatuen
(M arburg 1973); C ath a rin a M a d ern a , luppiter, Diomedes und M erkur als Vorbilder für römische
Bildnisstatuen (H eidelberg 1988); Post, Htifcmantelstatuen (wie Anm. 75); H allett, Nude (wie Anm. 13).
Zur metaphorischen Bedeutung solcher Darstellungen grundlegend: B ergm a n n , Strahlen (wie Anm. 6);
B ergm a n n , Konstantin (wie Anm. 13) 155-159.
w Frühe, ,ideale4 Statuen des O ktavian: Z änker, Augustus (wie Anm. 5) 4 6 -5 2 , 6 1 -6 5 . - Divus Iulius: ebd.
4 3 f. Abb. 25 a; H allett, Nude (wie Anm. 13) 127h; unsicher benannt sind die Hüftmantelfiguren rechts auf
dem Relief in Algier: Post, H üftmaruelstatuen (wie Anm. 75) 4 1 3 f. (m it älterer Lit. auch zur Benennung) und
a u f dem sog. Ravennarelief: ebd. 4201.; vgl. H allett, Nude (wie Anm. 13) 120 -13 2 .
Z änk er, Augustus (wie Anm. 5) 313f.; M a d ern a , luppiter (wie Anm. 81) 26, 173f. J 'l 14; B öschu n g,
Augustus (wie Anm. 6) 97 A. 4 76, 98; B öschu n g, Gens (wie Anm. 6) 76f.; H a llett, Nude (wie Anm. 13) 67,
K aiserbildnisse als K aisergeschichte(n)
35
w o h l dem F reigelassen en als so zialem
A u fste ig e r d aran , m ö g lich st a u ftru m p ­
fend sein e L o y a litä t zu d em o n strieren ,
d ie S tiftu n g en a n d e re r d u rc h ü b erm ä ­
ß iges H errsch erlo b zu ü b erb ie ten und
so so ziales P restige zu e rw e rb en . N u r
als a k ze p ta b le H u ld ig u n g des P rinceps
jed e n falls k an n ein e so lch e S ta tu e ver­
stan d en w o rd en sein . E in z w eite r zu
A u g u stu s L eb zeiten d a tie rte r Fall ist der
Ü b erre st ein er S ta tu e des K aisers aus
d em D e m e te rh e ilig tu m von P ergam o n.
S c h u lte rb a u sch
und
p ath etisch e
K o p fw en d u n g im itie re n d ie k lassisch e
D a rste llu n g g rie c h isc h e r H e ld en
w ie
D io m ed es, so w ie es im S p ä th ellen ism u s
in O st u n d W est für B ild n isstatu en g e ­
läu fig w a rs'\ In b e n a ch b a rten , p o litisch
von
Rom
a b h ä n g ig e n
K ö n ig reich en
w ar d ie S itu a tio n n ic h t an d e rs: Flavius
Jo sep h u s b e ric h te t von e in e r k o lo ssalen
K u ltstatu e des A u g u stu s im T em p el für
ihn u n d R o m a in C a esa rea M a ritim a in
J u d ä a (lo s. bell. lu d . 1, 4 1 4 ). S ie sei der
S ta tu e des Z eu s in O ly m p ia a n g e g li­
ch en 8’ . A u g u stu s saß also m it n acktem
O b erk ö rp er a u f ein em T h ro n . D er vom
rö m isch en S en a t zum b a s ile u s erh o b e­
Abb. 12: Statue des Augustus, vom Forum in Tivoli (Irühaugusteisch) - Marmor; Tivoli
ne H ero d es le g te so w e it ü b er d ie R o lle
des c iv i l i s p r i n c e p s h in a u sg e h e n d e E rw a rtu n g en in den ersten P rinceps. In an d e re n A u g u stu s-u n d R om a-T cm peln im O sten - au ch in n erh a lb des Im p eriu m R o m an u m - w ird d ies ä h n lic h g ew e­
sen sein , w ie u.a. d ie A u g u stu ssta tu e im steh en d en Ju p ite r ty p u s vom M e tro o n , dem au g u steisch en
K aiserk u ltte m p el in O ly m p ia z e ig t86. D er C h a ra k te r d er S ta tu e n als K u ltb ild e r w ar, w ie V arenus’
318 N r.81. - Z.u Statuen im sitzenden Jupiterschema: M a d ern a , Iuppiter (wie A n m .81) 2 4 -3 2 , 163-193:
H allett, Nude (wie Anm. 13) 166-170.
s'‘ B öschu n g, Augustus (wie Anm. 6) 97, 155 Kat.-Nr. 107: vgl. M a d ern a , Iuppiter (wie Anm. 81) 93 (noch
mit claudischer D atierung). - Zu Statuen im sog. Diomedes-Schema: ebd. 5 6 -7 9 , 196-222.
" H ä n lein -S ch ä jer, Veneratio (wie A n m .76) 84f.; Z änker, Augustus (wie Anm. 5) 250; M a d ern a , Iuppiter
(wie Anm. 81) 26; D etlev K reik en b om , Griechische und römische Kolossaiporträts (27. Ergänzungsheft jd l,
Berlin 1992) 73; B öschu n g, Augustus (wie Anm. 6) 97 A .476.
^ M a d ern a , Iuppiter (wie Anm. 81) 161 f. JS 5; K reik en b om , Kolossalporträts (wie Anm. 85) 68; B öschu n g,
Gens (wie Anm. 6) 100 -10 5 Nr. 33.1; H allett, Nude (wie Anm. 13) 163, 317 Nr. 66; R en ate Bol, Augustus
- .Retter der Hellenen und des gesamten bewohnten Erdkreises“, im Zeusheiligtum von O lym pia, in: D e tle f
K reik enbom u.a. (H g.), Augustus - Der Blick von außen (W iesbaden 2008) 3 5 8 -3 6 0 . - Zum stehenden
jupiterschem a: M a d ern a , Iuppiter (wie Anm. 81) 18-2 4, 1 56 -16 3 ; H allett, Nude (wie Anm. 13) 160-163,
170-172; Post, Hüftm antelstatuen (wie Anm. 75).
36
R..ui v o n d en H o ff
S ta tu e vcrdcutJicht, a b e r k ein e B e d in g u n g für ih ren ü b erh ö h e n d en C h a r a k te r 8 . V ie lm e h r lagen
d iesen B ild ern h e llen istisch e H e rrsc h erv o rstellu n g en zu g ru n d e. In so lch er Form - ebenso w ie in der
P an zerfig u r - d rü c k te m an h e rrsc h erlich e L e istu n g sfä h ig k e it im O sten des Im p eriu m sch o n frü h er
g ern e aus, w o d ie B ild n isse in erster L in ie von d o rt A n sässig en , n ic h t vom K aiser g eseh en w u rd en .
D ass d ies aber, w ie g eseh en , auch in d er Ö ffe n tlic h k e it Italien s gesch ah , z eig t, dass so lch e h y m ­
n isch en E hru n gen des A u g u stu s k ein esfalls a lle in e m it ö stlic h en T ra d itio n e n im Z u sam m e n h an g
stan d en - zum al d iese A rt d e r E h ru n g erst u n ter ih m in Italien ihre B e d e u tu n g ein g e b ü ß t h a tte 88.
F ür T ib e riu s lässt uns d ie A ussage S u eto n s, er hab e d ie A u fste llu n g sein er B ild n isse n u r d an n
erlau b t, w en n d iese „ n ich t u n ter den G ö tte rb ild e rn stä n d en “ (T ib . 2 6 ), eb en fa lls k au m h e ro isch ­
id eale S ta tu e n erw a rte n . D em D ik tu m w id e rsp ric h t d er k o lo ssale T ib criu sk o p f, der zusam m en
m it eb en falls v ierfach leb en sgro ß en S ta tu e n des D iv us A u g u stu s u n d d er G ö ttin R o m a so w ie d er
L iv ia im T em p el des A u g u stu s u n d d er R o m a in L ep tis M a g n a sta n d 89. D ie S ta tu e n g ru p p e w u rd e
zu L eb zeiten des T ib e riu s e rric h te t u n d ist in sch riftlich als m it T h ro n en au sg e sta ttet bezeich n et.
T ib e riu s saß also, o h n e dass w ir w ü ssten , ob dies in Ju p ite rp o se g esch ah , w a s bei ein em Thron äuß erst
w a h rsc h e in lic h ist. E ine ä h n lic h kolo ssale S ta tu e des T ib e riu s
w u rd e zu L eb z eiten n eb en d er des D iv us A u g u stu s ab er auch
in Italien , in V eji in E tru rien erric h te t. H ie r k en n en w ir den
S ta tu e n ty p u s n ic h t5“. A u ch den T ib e riu s e h rte n d ie B ü rger in
Ita lie n u n d a n d e rn o rts also d u rc h ü b erh ö h e n d e S ta tu en . H ie r
d ien te d ie d iv in e G esta lt des A u g u stu s, d ie auch in v erm eh rt
h e ro isch -id ea len u n d k o lo ssalen S ta tu e n zum A u sd ru ck k am ,
offen bar als V eh ikel, um d u rc h v isu elle G le ic h ste llu n g u n d
N äh e im p liz it au ch d en reg ieren d e n P rinceps g leich sa m als
D i v i f i l i i i s zu erh ö h e n 91.
W ie dies in R om selb st g esch ah , k a n n d ie S ta tu e ver­
d e u tlic h e n , d ie d ie S tä d te der P ro vinz A sia d em T ib e riu s als
Abb. 13: Sesterz m it S e a ttle des
Tiberius (22/23) - Bronze; Berlin,
S M P K M ü n z k a b i n e 11
D a n k für sein e H ilfe k u rz nach dem E rdbeb en von 17 n. C h r.
a u f dem F orum C aesars erric h te te n , ein e E h ru n g ö stlic h er
P ro v in z ialer im H erzen des Im p eriu m u n d n ic h t n u r d o rt für
a lle sich tb ar, so n d ern au ch a u f M ü n z e n 9': S ie ersch ein t auf
8 Für die Frage nach dem divinen Charakter des Kaisers zu Lebzeiten und den Kaiserkult können solche
Bildnisse also nicht pauschal herangezogen werden, vgl. aber M a n fred C laim , Kaiser und Gott. Herrscherkult
im römischen Reich (Stuttgart 1999).
88 Private Darstellungen m it Görtcrattriburen setzten in Italien erst unter C laudius verstärkt ein: H en n in g
W rede, Consecratio in forinam deorum (M ainz 1981); Hallett:, Nutle (wie Anm. 13) 199-204.
s9 Tiberius Leptis: Rose, Com m em oration (wie Anm. 6) 182 Kat. 125.3; K reik en b om , Kolossalporträts (wie
Anm. 85) 78h, I86f. III 47; B ösch u n g, Gens (wie Anm. 6) 8 -1 8 Nr. 1.3.
9(1 Tiberius Veji: K reik en b om , Kolossalporträts (wie Anm. 85) 77, 187h III 48; B ösch u n g, Gens (wie Anm. 6)
4 8-5 1 Nr. 7.3.
” Vgl. B e rgm a n n , Strahlen (wie Anm. 6) 103.
92 PhlegonvonTralleis, FGrHist B 257 F 36 (XIII); B M C R E 1 129 Nr. 7 0 - 7 3 Taf. 23, 16; Wolters* N ummi (wie
Anm. 29) 280 Abb. 122; vgl. K reik en b om , Kolossalporträts (wie Anm. 85) 75h; H ugo M eyer, Prunkkameen
und Staatsdenkm äler römischer Kaiser (M ünchen 2000) 1 1 3-121; B ern h a rd Weisser, Die Basis von Pozzuoli,
in: A d o lf H. B orb ein (H g.), Antike Plastik 30 (M ünchen 2008) 105 -16 0 . - Vgl. zur Kolossalitäc augusteischtiberischer Kaiserbildnisse den Kopf der frühaugusteischen (?) Augustusstatue aus Rom (?), Musei Vaticani
Inv. 5137 (Z änk er, Augustus (wie Anm. 5] 82 Abb. 60; K reik en b om , Kolossalporträts [wie Anm. 85] 175h III
K aiserbildnisse als K aiscrgeschichtcfn)
S csterzen des Ja h res 2 2 / 2 3 (A bb. 1 3). D ie K o lo ssalität der
F igu r w ar fü r d en reg ieren d en P rinceps in R om a u ß e ro rd e n t­
lich . Er sitz t zud em , d och n ic h t auf ein em T h ro n , so n d ern auf
d er ein em M a g istra t zu k o m m e n d en s e lla c u r u l is u n d träg t e n t­
sp rech en d d ie T u n ica m it d er T oga. G leic h w o h l h ä lt er ein e
S ch a le zum O p fer in d er rech ten H a n d , w ie es für G ö tterb ild er
ü b lich ist, u n d stü tz t d ie lin k e H a n d a u f ein Szepter. W ü rd e
m an d ie F igu r d er T u n ic a e n tk le id e n , h a n d elte es sich um
Ju p iter. D ie S ta tu e des A u g u stu s a u f den D iv u s-A u g u stu sS esterzen (A b b . 1 4), d eren P rä g u n g e tw a z e itg le ic h b egan n ,
w u rd e w o h l sch o n k u rz n ach 14 au fg e ste llt, w ir w issen ab er
n ic h t, w o in R om d ies g esch a h 9’. A n d ers als dem T ib e riu s
sin d dem v e rg ö ttlic h te n P rin cep s k lare H in w e ise a u f sein e
ü b erm en sch lich e n Q u a litä te n g eg eb e n : S tra h le n k ro n e und
Abb. 14: Sesterz m it Statue des
Augustus (tiberisch) - Bronze;
Kiinsthandel
T h ro n. D er D iv us A u g u stu s, für den so lch e A ttrib u te auch
ö ffen tlich in R om eh er u n p ro b lem a tisch w aren , träg t g le ic h w o h l lu n ic a u n d T oga, ist also n ic h t
g ö tte rg le ic h m it n ack tem O b erk ö rp er g ez eig t u n d au ch so n st d em T ib eriu sk o lo ss ä h n lic h . U n ter
C a lig u la ersch ein t A u g u stu s o d er d er reg ieren d e K aiser selb st h in g eg en w ie T ib e riu s a u f d er s e lla
c u r u l i s , ab er m it ein em G lo b us in d er H a n d ; ä h n lic h sitz t sp äter C la u d iu s, dem sch o n zu sein er
R eg ieru n g sz eit im M ü n z b ild w ie d er D ea R o m a ein W affen h au fen u n d g le ic h fa lls ein ü b erh ö h e n d er
G lo b us des W e lth errsc h ers u n ter d er z iv ilen s e lla b e ige ge b e n w e rd e n 9 ', ein e S te ig e ru n g g eg en ü b e r
d er D a rste llu n g des T ib e riu s, g le ic h w o h l im P rin zip d iese lb e A rt der a n g e d e u te te n Ü b erh ö h u n g
d u rch n u r w e n ig e ik o n o g ra p h isc h e H in w e ise. D ie B ild e rre ih e v e rd e u tlic h t, dass auch in R om in ­
novative, ü b er-b ü rg erlic h e Q u a litä te n in sta tu a risch en K aiserb ild n issen im städ tisch e n R au m und
in von d iesen S ta tu e n a b h ä n g ig e n M ü n z b ild e rn a u f das Ideal des c iv ilis p r i n c e p s p ra llte n u n d auf­
g egriffen w u rd en . H ie r su ch te m an g le ic h w o h l z u rü c k h a lte n d e , v erm itte ln d e L ö su n gen , so gar für
d en D iv us A u g u stu s9’ . S e lb st d ie S tä d te des O stens, d ie U rh e b er d er T ib e riu ssta tu e , fü gte n sich den
ziv ilen V o rgaben : Von ih ren ö stlic h en K o n v en tio n en n a h m en sie in R om A b stan d .
U n te r d en n ic h t-sta tu a risch e n B ild m e d ie n sin d zu n äch st d ie je n ig e n zu n e n n en , d ie an d ers als
S ta tu e n u n d M ü n z en p riv ate U rh e b er u n d ein e ein g e sch rä n k te, n ic h t ö ffen tlic h e V is ib ilitä t h a tten .
A ls B eisp iel k ö n n en d ie S ilb e rb e c h e r von B o sco reale aus d er R e g ie ru n g sz e it des A u g u stu s d ien en ,
L u x u sge sch irr aus e in e r c a m p an isch en P ro v in z stad t96. A u f dem A u g u stu sb ech er ersch ein t d er re­
g ieren d e P rin cep s e in m a l im Feld im G estus d er d e m e n t i a , a u f d er G eg en seite in des (A b b . 15) sitzt
er w ie T ib eriu s in d er S ta tu e auf dem F orum C aesars z w ar in z iv iler T rach t auf der s e ll a c u r u l i s ,
32; B ösch u n g, Augustus [wie Anm. 6) 1 19t. Kat.-Nr. 25), sowie K reik en b om , Kolossalporträts (wie Anm. 85)
6 6 -8 0 .
Divus Augustus Sesterze: BM CRE 1 130 Nr. "Mt. Taf. 23, 17; 'Zänker, Augustuskatalog (wie Anm. 8) 32;
B ergm an n , Strahlen (wie Anm. 6) 1 07 -10 8 Taf. 20, 3.
Caligula: BM CRE I 160 Nr. 8 8 -9 2 Iäf. 30, 7f.; B öschu n g, Caligula (wie Anm. 6) 181. Taf. C 7; Wolters,
Nummi (wie Anm. 29) 148 A bb.70. - Claudius: BM CRE I 186f. Nr. 1 57 -15 9 Taf. 35, 7; Tonio H ölscher,
Victoria Romana (M ainz 1967) 23 A. 124. - Zu Lebzeiten erhält später Nero a u f lokalen Prägungen aus
Alexandria bereits Strahlenkrone, Szepter und Thron wie Divus Augustus in Rom: B ergm an n , Bildsprache
(wie Anm. 13) 17 Abb. 10.
51 Ähnliches konstatiert H allett, Nude (wie Anm. 13) 2 2 5 -2 2 9 auf anderer Grundlage.
Boscoreale: Z änk er, Augustus (wie Anm. 5) 231 Abb. 180 a; A nn L. K u ttn er, D ynasty and Empire in the
Age of Augustus. The Case o f the Boscoreale Cups (Berkeley 1995).
R a lf von den H oft
'^ r r if
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V '4 .
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IIi
Abb. 15; Silberbecher
mit Bildnis des
Augustus, aus Boscoreale (augusteisch)
- Silber; Paris, Musee
du Louvre
Abb. 16; Kameo
(,Grand Camec de
France1) mit Bildnis
des Tiberius (tibcrisch) - Gipsabguss
Museum für Abgüsse
München nach
Kameo in Paris,
Bibliothequc N atio­
nale de France
Kaiserbildnis.se als K aisergeschichte(n)
39
h ä lt aber d en G lo b us des W elth errsc h ers u n d e m p fä n g t ein e V ic to ria v on V enus, der S ta m m m u tte r
des iu lisc h e n G esch lech ts, u m geb en von G ö ttern u n d P erso n ifik atio n e n . D e u tlic h e r als in der
Ö ffe n tlic h k e it R om s, a lle rd in g s in ä h n lic h e r Form d u rc h p u n k tu e lle A ttrib u te sp re n g te m an h ier
d ie R o lle des c i v i l i s p r i n c e p s , d iesm a l im B ereich p riv a te r R e p rä sen ta tio n h o c h ra n g ig e r B ürger, d e­
nen d ie S ilb e rb e c h e r g eh ö rte n . A n den K aiser ric h te te n sie sich n ic h t, v ielm eh r an d ie T eiln eh m er
ein es c o n v i v i u m , d en en sie im H au s d ie L o y a litä t des B esitzers g eg en ü b e r dem P rin cep s d em o n st­
rieren so llten .
D en a u fw ä n d ig e n ,S ta a tsk a m een in d er U rh eb ersch aft so zial h o ch steh en d e r G ru p p en am H o f
ist ein e ü b erh ö h e n d e T en d en z eb en falls sch on u n ter A u g u stu s u n d T ib e riu s e ig e n 9'. D ie G em m a
A u g u stea, v erm u tlich um 12 n .C h r . gesch affen , ist e in P arad e b eisp iel98. T ib e riu s als T riu m p h a to r
in d er T o ga lin k s ist eh er g e w ö h n lic h , n ic h t in d es d er reg ieren d e A u g u stu s in d er M itte th ro n en d
in Ju p ite rp o se neb en D ea R o m a : ein e w e it ü b er das b ish er G esehen e h in a u sg e h e n d e Ü b erh ö h u n g .
A uch d ies in d es w ird d u rch d en A u g u ren stab in d er H a n d an d ie m ag istra tisch e R e a litä t g e b u n ­
den. D ie G em m a A u g u ste a w a r ein A n g e b o t an A ugustus* im p eriales S elb stv e rstä n d n is. Er kam
d u rch so lch e M e d ie n d ire k t in K o n tak t m it d iesen E rw a rtu n g en . A uf dem w e n ig jü n g eren G ran d
C a m ee d e F ran ce (A bb. 16) sieh t m an z en tral den n u n reg ieren d e n T ib e riu s neb en sein er M u tte r
L iv ia sitz en d , au ch er m it dem l itu u s , je tz t ab er n ic h t n u r in Ju p ite rp o se , so n d ern so gar m it d er A gis
des J u p ite r b e k le id e t" . U m ihn h eru m fin d en sich , w ie z u le tz t L u ca G iu lia n i ü b erz eu ge n d d a rg e ­
leg t h at, d ie p o te n z ie lle n N ach fo lg er: d ie S ö h n e des G erm an icu s. D er K am eo d ien te w o h l dazu,
dem P rin cep s d iese N ach fo lg ereg elu n g n a h ez u le g e n , d ie n u r k u rz in den sp äten 2 0 e r Ja h re n ü b er­
h au p t relev an t u n d d a m it g eg en ü b e r dem K aiser p rä sen tab el w ar. M a n w ird es p o sitiv u n d h u ld i­
g en d v erstan d en h ab en , d en reg ieren d en P rinceps g ö tte rg le ic h v or sein en m ilitä risc h le g itim ie rte n
N ach fo lg ern zu zeig en , u n d zw ar in d er u n m itte lb a re n E h ru n g an ih n u n te r äu ß e rst e in g e sch rä n k ter
Ö ffen tlic h k eit.
M it d en T erm in i „ m etap h o risch “, „p o etisch “ u n d „ p a n e g y risch “ sin d w e sen tlic h e A sp ekte d ie ­
ser A r t des R ed en s ü b er d en K aiser a u f K am een erfasst. T a tsä ch lich ist d ie B ild g a ttu n g d a rin der
»Poesie*, d er D ic h tu n g am m eisten v erw a n d t, w ie B erg m an n d a rg e le g t h at. D ie A u ssag e in des, dass
d ie S p rach e d er K am een „ p o litisch k au m w ö rtlic h zu n e h m en “ sei, lässt fragen , w er u n d w a ru m so
„ u n -w ö rtlich “ ü b er d en K aiser sp rach u n d w ie d ie n u r g ra d u e ll, n ic h t p rin z ip ie ll a n d e rsa rtig e „ un ­
w ö rtlic h e “ S p rach e in g ö tte rä h n lic h e n S ta tu e n o d er au f d en M ü n z en zu erk läre n ist, w ie d ie erk en n ­
b are S ta ffelu n g des G rad es der Ü b erh ö h u n g in v ersch ie d en en M e d ie n 100. D ie S ach e sch ein t k o m p le ­
xer, als dass m an d ie Ü b e rh ö h u n g der ersten P rin cip es auf K am een a lle in m it der G a ttu n g stra d itio n
d er B ild er o d e r ih re »d ich terisch en B ild sp rach e erk läre n kö n n te.
D afü r sp ric h t a u ch , dass m y th isch -ü b crh ö h e n d cs R ed en ü b er den K aiser n o ch in w eiteren
B ild m e d ie n erk en n b a r ist, u n d zw ar n ic h t in R om u n d in g rö ß erer Ö ffe n tlic h k e it sich tb ar, n äm lich
an s ig n a u n d W affen , w o ja au ch d ie Im p erato ren ro lle des P rinceps d e u tlic h e r a rtik u lie r t w u rde.
D o rt v erw en d ete m an b e isp ielsw eise den P elta sch ild d er A m azo n en als »poetisches* Z eic h en des
S iegers w ie a u f K am e e n 101. A n sp ru ch sv o ll g ib t sich das M ü n d u n g sre lie f e in e r in M a in z g efu n d e9 Vgl. zuletzt besonders die Studien von M arianne Bergmann, oben Anm. 6.
Z w ierlein , Gemmen (wie Anm. 35) 149-154.
99 Ebd. 160—366; s. oben Anm. 36.
i0<! Zitate bei B ergm a n n , Strahlen (wie Anm. 6) 108, 220, 2 2 6 -2 2 7 u.ö.; sic .spricht jetzt, B ergm an n ,
Bildsprache (wie Anm. 13) 18, von der „Stim m ung“ der Bilder und ihrem „Stil des Um gangs”.
UH Am Bildnistondo des Helms Typus W eiher in Bonn (s. oben A nm .41) und auf der Gemma C laudia
{ Z wierlein, Gemmen [wie Anm. 35] 167).
40
R a lf von den H off
Abb. 17: Schwertscheidcnbc-schlag des .sog.
,Schwert des Tiberius“
mit Bildnis des
Tiberius, aus Mainz
(nbem ch) - Silber;
London, British
Museum
nen S ch w ertsch eid e in L o n d o n (A b b . 1 7 ) i02: D ie A u fsch rift F E L IC IT A S T IB E R I b e n en n t den
S itz e n d e n als T ib e riu s, d er vor ihm S teh en d e ist G erm an icu s, d er 17 n .C h r . d ie dem V ar us e n t­
rissen en s i g n a w ie d e rg e w a n n . Im H in te rg ru n d ersch ein t d esh alb M a rs U lto r. S ch o n 19 n .C h r.
starb G erm an icu s, w as d ie H e rste llu n g des R eliefs d a tiert. D ie zw eifach e V ic to ria m a rk ie rt d ie
S ie g h a ftig k e it des T ib e riu s, um dessen h c rau srag e n d e R o lle es o ffen b ar g in g . D afü r k a n n te m an
g e g en ü b e r ein em F eld h errn w ie G erm an ic u s im P anzer k ein e an d ere B ild v o k ab el als d ie der
Ju p ite rp o se m it n ac k tem O b erkö rp er. D er S itz des reg ieren d en P rin cep s ist d em z u fo lg e n ic h t
d ie s e ll a c u n d i s , so n d ern th ro n a rtig m it stein ern er B asis - g a n z an d ers als in der S ta tu e d er S täd te
A sien s in R o m . D as m ilitä risc h e P u b lik u m , das das B ild seh en k o n n te, erfo rd e rte w e d er a p rio ri
ein e so lch e D a rste llu n g , n o ch le g te d ie B ild g a ttu n g sie n ah e o d er e x istie rte in d iesem B ild m e d iu m
ein B ezu g zu ö stlic h en B ild k o n v e n tio n en . N im m t m an n o ch h in z u , dass auch so a u ß e ro rd en tlic h e
D a rste llu n g s m o d i a u f M ilita ria sch o n in iu lisc h -c la u d isc h e r Z e it au ftau ch en w ie d er fro n tal g e z e ig ­
te K aiser o d er k a ise rlic h e F eldh err, d e r ,m e ta p h o risc h ein en Fuß au f ein en U n te rle g e n e n setzt w ie
auf d er S ig n u m sch eib e von N ied e rb ieb er - a u f M ü n z en erst n ach N ero, in d er G ro ß p lastik erst
u n ter H a d ria n b e z e u g t103 - , d a n n w ird der b eso n d ere C h a ra k te r d er m ilitä risc h e n B ild m e d ie n no ch
,Schwcrc des Tiberius': Z änk er, Augustus (wie Anm . 5) 2 34 F. Abb. 183; W olf-D ieter H eilm eyer (Flg.),
Augustus und die verlorene Republik (M ainz 1988) 5 5 8 -5 5 9 Nr. 383.
103 Signum scheibe von Niederbieber: s. oben Anm. 41. - Das Treten des Kaisers auf- einen Feind erstmals
auf Münzen des Dom itian (BM C RE 0 363 Nr. 298 Taf. 71, 2; 381 Nr. 377 Taf. 75, 5; 386 Nr. ,396 Taf. 76,
7) und des Trajan (BMCRE: 111 65 Nr. 242 Taf. 13, 13), rundplastisch zuerst in der Statue Hadrians aus
Flierapyena, Istanbul, Archäologisches Mus. 50 (M ax W egtier, Hadrian [Das römische Herrscherbild H 3,
Berlin 1956] 6 7 L, 71, 98 Taf. 13 a; 16c), vgl. E ugenio La R occa, »Clemenza im periale1, in: Storia, letteratura e
arte a Roma net secondo secolo dopo cristo (Florenz 1995) 2 1 3 -2 3 3 ; H ans P eter L aubscher, Zur Bildtradition
in ptolem äisch-röm ischer Zeit, in: J d l 11 1 (1996) 225—248; sowie Birgit Bergmann in ihrer noch im publizierten M ünchner M agisterarbeit von 2002.
KaLserbiidni.sse als K aiscrgcschichcc(n)
41
besser erk en n b ar. Im m ilitä risc h e n U rheber- u n d R e z ip ie n te n fe ld w a r das ü b erb o rd en d e v isu elle
H e rrsc h erlo b des reg ieren d en P rin cep s w ie au f den K am een m ö g lich u n d g e w o llt. Su eto n s D ik tu m
vom b e sch eid en en T ib e riu s u n d dessen .re p u b lik a n isc h e ' Interessen straft auch das R e lie f des so ge­
n a n n ten T ib e riu s sc h w e rte s“ insofern L ü gen , als dass v iele R ez ip ien ten ein e so lch c Z u rü c k h a ltu n g
n ic h t w o llten .
M it H ilfe d er K atego rien U rh eb ersch aft, S ic h tb a rk e it u n d In ten sitä t d er E h ru n g lassen sich
also E rsch ein u n g sfo rm en der P orträts der ersten b e id en K aiser in e in R aste r c in o rd n c n , d as ihre
M e d ia litä t b esch re ib t u n d zu so zialen B ed in g u n g e n der K o m m u n ik atio n u n d A u ssagen ü b er den
K aiser in R ela tio n setzt. In den .S ta a tsk a m een “ (A b b . 16) w ird eb enso w ie in h ö fisch en B ild n issen
d er D isk u rs um d ie R o lle des P rinceps in g eh o b e n en S c h ic h te n R o m s u n d des H o fes d e u tlic h . In
so lch en u n m itte lb a re n E hru n gen w aren u n ter d er B e d in g u n g äu ß erst e in g e sc h rä n k te r V is ib ilitä t
ü b erh ö h e n d e A ussagen an der T ag eso rd n u n g. A m H o f w u rd e zud em au ch d ie Im p erato ren ro lle
h erv o rg eh o b e n (A bb. 3 ). S o lch e B ild n isse k ö n n en in d es n ic h t als .h e im lic h e “ B ek en n tn isse zur
.w irk lic h e n “ R o lle des P rin cep s v erstan d en w e rd e n . V ie lm e h r w aren sie Z eich en u n m itte lb a r ü b er­
m itte lte r L o y a litä t von S tiftern , d ie in R o m w ic h tig e E lem en te k a iserlich e n M a c h te rh a lts b ild eten .
B ild n isse au f W affen u n d M ilita ria (A b b . 11; 17), u n ter der U rh eb ersch aft d er B esitz er o d e r ver­
a n tw o rtlic h e r M ilitä rs , besaß en ein e w e itg e h e n d auf S o ld ate n b esch rän k te V is ib ilitä t au ß e rh a lb
R om s, b efan d en sich ab er im B esitz von dem K aiser als Im p erato r u n m itte lb a r U n te rg eb en en , d ie
n a tü rlic h e rw e ise lo y a l zu sein h a tten , zu g leic h ab e r w ie d ie S en a to ren sc h ic h t ein en w esen tlic h en
M a c h tfa k to r m a rk ie rten . A uch h ie r fin den sich neb en d er n a tu rg em ä ß b e to n te n R o lle des P rinceps
als Im p erato r h erau sh eb en d e Ik o n o g rap h ien sch o n in iu lisc h -c la u d isc h e r Z e it 10'1. Es sieh t d a m it so
aus, als sei d ie stark m eta p h o risch -ü b erh ö h en d c E h ru n g des K aisers u n d d ie H e rv o rh eb u n g sein er
m ilitä risc h e n M a c h t u n ter A u g u stu s u n d T ib e riu s b eso n d ers da ü b lic h gew esen , w o m it dem K aiser
so zial g le ic h ra n g ig e o d er ihm de iu re lo y a le P a rtn er k o m m u n iz ierten , d ie für sein e P o sitio n äu ß erst
relev an te u n d g eg eb e n en fa lls auch k ritisc h e M a c h tfa k to re n w aren : im k a isern a h e n B ereich am H o f
u n d im H eer. D ie S tifter b e z eu g ten ih re L o y a litä t d o rt m it beso n derem A u f w a n d 101.
Im R au m
h ö ch ste r V is ib ilitä t u n d g e rin g ste r D ire k th e it d er E h ru n g h in g eg en , in der
Ö ffen tlic h k eit d er S täd te, d o m in ie rte u n te r A u g u stu s u n d T ib e riu s d ie R o lle des z iv ilen H errsch ers
(A bb. 2 ). D ieje n ig e des Im p erato rs w a r - b eson ders im W esten - sta rk a u sg e b len d et u n d d en jü n ­
geren M itg lie d e r n d er d o m u s A u gu sta ü b ertrag en . D ie Im p erato ren ro lle d er frü h en P rin cip es w ar
so in d er ö ffen tlic h e n R ep räsen tatio n v isu ell a u ffä llig b e d eu tu n g slo s. D ies m ag m it den realen
E in sch rän k u n gen d er m ilitä risc h e n M a c h t des K aisers in Italien u n d d er n egativ en E rin n e ru n g an
d ie B ü rg erk rie g e Z usam m enhän gen. W o ö ffen tlich a u ß e rh a lb des m ilitä risc h e n K ontextes stark h e r­
aush eb en d es L ob d e u tlic h w u rd e, b ez o g es sich fo lglic h eh er a u f d ie n ic h t-m ilitä risc h e n h e rrsc h er­
lich en , also ju p ite rä h n lic h e n Q u a litä te n (A bb. 12; 1 6). In b e stim m te n F u n k tio n sz u sam m e n h än g en
a u ß erh alb R om s sah en S ta tu en stifter ab er d ie m ilitä risc h e u n d d ie g ö tte rg le ic h e E rsch ein u n g des
K aiserb ild n isses als ad ä q u a te E hru ng an . K aiserk u ltstatu en im O sten erla u b ten d iv in e u n d m ilit ä ­
rische Ik o n o g rap h ien zw an g lo s, d o ch w a r dies n ic h t z w in g e n d g e b u n d e n an den ta tsäc h lic h K ult
!l'! Die Unterscheidung „poetischer“ von „offiziellen“ Ausdrucksformen, wie bei B ergm a n n , Strahlen (wie
Anm. 6) 220, greift hier nicht, eher der von B ergm a n n , Bildsprache (wie Anm. 13) 181. jetzt favorisierte,
durch die Umgebung der Bildnutzung geprägte Umgangsstil des .Sprechens“ über den Kaiser.
Kh Oh dies Zeichen einer ihnen gegenüber eher labilen M achtposition des Princeps waren, bliebe zu
untersuchen.
Ralf- von den H off
42
u n d d en h e llen istisch e n H in te rg ru n d ö stlic h er P rägu n g. D er G eltu n g sd ran g ein es F reigelassenen
n ä m lic h k o n n te auch in Italien zu ein er ü b erh ö h e n d en D a rste llu n g fü h ren , aber a u ß erh alb des d i­
rek ten S ich tb a rk e itsfeld es von K aiser u n d S en a tsaristo k ra tie (A b b . 1 2). In C aesarea w irk te sich so
d er G e ltu n g sd ran g ein es K lien te lfü rsten aus. In d iesem S in n e k ö n n te m an ä h n lich e h e ra u sh e b en ­
de ö ffen tlic h e B ild n isse als V ersuche b eso n d eren P restigegew in n s von p o ten z ie ll als ra n d stä n d ig
an se h b aren S tiftern seh en . S ta tu e n des A u g u stu s u n d T ib e riu s in R om zeigen indes, dass auch im
Z en tru m ein Interesse an Ü b erh ö h u n g ex istie rte , das ab er o ffen b ar au fg ru n d der g ro ß en d irek te n
k o m m u n ik a tiv en N ähe zu K aiser u n d S en a t u n d d er h o h en ö ffen tlich en E h ru n g sin ten sität n u r
z u rü c k h a lte n d v isu e ll u m gesetzt w u rde. D ie B ild n isse im h äu slich en K o ntext so zial h ö h er steh en ­
d er B ü rg er z eich n e te n sich d u rc h ein e seh r g erin g e d ire k te E h ru n g sin ten sitä t aus und w aren äu ­
ßerst e in g e sch rä n k t sich tb ar. A uch in d iesem Z u sam m e n h a n g fin den sich stark ü b erh ö h e n d e Z üge
(A b b . 1 5 ). D ie D em o n stratio n von L o y a litä t zum K aiser im K reis so zial G leic h ra n g ig er sch ein t
eb en falls ein e extrem e H e ra u sstellu n g d er H errsc h erro lle b e g ü n stig t zu haben.
E ine R e g e lh a ftig k e it in den R e la tio n e n zw isch en D arste llu n gsfo rm des K aisers, B ild sp rach e,
A ussage u n d M e d iu m so w ie so zialem K o n text ist m ith in n ic h t au szu m ach en . A llen fa lls ist festzu ­
h alten , dass im m ilitä risc h e n K ontext d ie Im p era to ren ro lle des P rin cep s v isu ell w ic h tig e r g en o m ­
m en w u rd e, im z iv ilen K o n text d ie ziv ile R o lle u n d d ie H e ra u sh e b u n g d u rch Ju p ite ran g le ic h u n g .
B ild n isse aus so lch en so zialen G ru p p en , d ie fü r den P rin cep s relev an te M ach tfak to ren w aren , te n ­
d ie rte n zu ü b erh ö h e n d e r D arste llu n g sw eise (K am een , M ilita ria ), eb enso B ildn isse, d ie e in z ig in h ö ­
heren so zialen G ru p p en re z ip ie rt w u rd en . A u ß e ro rd e n tlic h ü b erh ö h e n d e D arstellu n gen setzte m an
in sgesam t ab e r u m so z u rü c k h a lte n d e r ein , je d ire k te r d ie E h ru n g d en K aiser in b reite r Ö ffen tlic h k eit
e rreich te (S ta tu e n in R o m , M ü n z e n ). Z w ar w aren so lch e E h ru n gen in d er Ö ffen tlic h k eit eh er sel­
ten er als u n te r g erin g er S ic h tb a rk e it (K am een , H a u s), a n d ererseits in h o h er V isib ilitä t ab er auch
n ic h t g ru n d sä tz lic h p ro b lem atisch , so n d ern a k ze p ta b el (S ta tu e n , M ilita ria ). A u ß e rh alb R o m s fan ­
d en sie sich v ie lle ic h t d esh alb h äu figer, w e il m an d o rt stärk er um das so ziale P restige k o n k u rrierte,
das sich im G rad d er L o y a litä t g e g en ü b e r dem P rinceps bem aß , eb enso im O sten , w o es sich um
lan g e g elä u fig e L o y a litä tsb e k u n d u n g e n g e g en ü b e r H errsch ern h a n d elte. D ass d ie .F lä c h en k u n st“
te n d e n z ie ll ein e ü b erh ö h e n d e B ild sp rac h e stärk er b e rü c k s ic h tig te 106, h a t w o h l n ic h t m it ih ren sp e­
zifisch en B ild tra d itio n e n , so n d ern in erster L in ie d a m it zu tu n , dass sie in d er R egel m eh rfig u rig e
H a n d lu n g sk o n te x te z eig te, d ie zu e x p liz ite re n A u ssagen n ö tig te n .
D ie E rw artu n g en an d ie R o llen d er ersten P rin cip es A u g u stu s u n d T ib e riu s w aren also äu ß erst d i­
v ergen t u n d ä u ß e rte n sich u n te rsc h ie d lic h . D ie v ie lfä ltig e n k a iserlich e n B ild ersc h ein u n g e n e n tsp ra ­
ch en w e d er z w in g e n d d er S elb std a rste llu n g d er H errsch er, w ie sie b eisp ielsw eise in den R es G esta e
des A u g u stu s o d er ih ren B ild n isk o p fm o d elle n zum A u sd ru c k k am , n o ch dem U rteil d er H isto rik er,
w ie des S u eto n ü b er d ie S ta tu en des T ib e riu s. D ie h isto risch e R elev an z d er K aiserb ild n isse lie g t
in d er h errsc h erlich en Id eo lo gie ih rer B o tsch aft n u r insofern d er B ild n isk o p f als S e lb stb ild des
K aisers h eran gezo g en w ird . D en fü r d ie B ild n isse in sgesam t v e ra n tw o rtlic h e n S tiftern sch ein t
h in g e g e n d ie D em o n stratio n ih rer eig en en L o y a litä t das w esen tlic h e, B ild sp rach e u n d A ussage
b e stim m en d e A n lie g e n gew esen zu sein , u n d n ic h t d ie fak tisch e p o litisc h e R o lle des P rinceps. Es
z eig t sich zud em , dass v on ein em k o n siste n ten , n o rm ativ e G ü ltig k e it b e an sp ru ch en d e n K aiserb ild
im v isu e llen K o m m u n ik atio n ssy ste m des frü h en P rin z ip ats k ein e R ed e sein k an n . V ie lm e h r b e ­
stan d d ie L e istu n g sfä h ig k e it des S ystem s d a rin , flexib el B ed ü rfn isse im H in b lic k a u f das Im age des
K aisers u n d stifterlich e L o y a litä tsd e m o n stra tio n e n zu erm ö g lich en . W ed e r w a r das K riteriu m der
106 B ergm an n , Strahlen (wie Anm. 6) 91, 132.
K aiserbüdnisse als K aisergcschichte(n)
43
Ö ffe n tlic h k e it e n tsch e id en d für d ie W ah l der D arste llu n gsfo rm en , n o ch w ar ein e H ie ra rc h ie der
v o rb ild lic h e n R o lle (n ) d er K aiser - tro tz d er öff e n tlic h e n D o m in a n z der R o lle des c i v i l i s p r i n c e p s
- festg ele gt. V ie lm e h r b ed u rften d ie L eitro llen des P rinceps orts-, z eit- und k o n te x tb ez o ge n der
A u sh a n d lu n g in d er d irek te n u n d in d ire k te n K o m m u n ik atio n zw isch en B ü rgern u n d H errsch ern
u n d d er B ü rg er u n terein an d er.
W ir k ö n n en h ie r n ic h t to rtfah ren , d ie M e d ie n d er P orträts w e ite re r K aiser zu u n tersu c h en . Z iel
z u k ü n ftig er F orsch un gen m ü sste es sein , das v o rg e stellte System zu p rü fen u n d zu erg än zen , b e so n ­
ders d u rc h d iffe re n z ierte S tu d ie n zu e in z eln e n M e d ie n ,’ auch u n te r B erü ck sich tigOu n gD; d er M ü n z en
u n d d er Insch riften. Es b e d arf d er u m fassen d en B esc h reib u n g d er syn ch ro n für je d e n K aiser c h a ­
ra k teristisch en S u m m e d er K o m b in atio n e n von B ew ertu n g en in K aiserb ild n issen u n d ein es diach ro n en Ü b e rb lic k s ü b er d ie V erän d eru n g en d er B ild k o n ze p te u n d R o lle n b ild e r d er K aiser in den
B ild m e d ie n 10 . Für ein e lin e a r v o rg e stellte G esc h ich te der K aiserzeit sin d d ie K aiserb ild n isse ein
eh er sp errig es u n d ko m p lexes Q u e lle n m a te ria l. Indes: Sie sin d an d ers als d ie m eisten sch riftlich e n
Z eu gn isse P rim ä rq u ellen , o h n e ab er frei von z eitg en ö ssisch en B ew ertu n g en zu sein . In der V ie lfa lt
gerad e d iese r B ew ertu n g en als T eil des D iskurses um d ie R o lle des K aisers k o m m t ein w ic h tig es, zur
N o rm ieru n g v ieler E lem en te der k a ise rlic h e n B ild sp rach e seit A u g u stu s g eg en läu fig es, als so lches
stärk er zu u n tersu c h en d es P h än o m en zum T ra g e n 10*. D u rch d ie v o rgesch lag en en U n te rsu ch u n g e n
k ö n n te sich d iese V ie lfa lt zu ein em K o n zert von V o rstellu n g en su m m ieren , das d ie A u sh a n d lu n g d er
im P rin z ip a t als lab ilem p o litisch em System gerad e n ic h t n o rm ie rte n R o lle des H errsch ers ta tsäc h ­
lich als d yn a m isch e n , so zial g e g lie d e rte n , k o m m u n ik a tiv en Prozess besch reib t.
10 tin entsprechender Versuch zu den Bildnissen des Caligula wurde im Archäologischen Anzeiger (2009)
1. Halbband, 2 3 9 -2 6 3 , vorgelegt.
Die N orm ierung der Bildsprache hält Z änker, Augustus (wie Anm. 5) passim, bes. .329-333, für ein we­
sentliches Element der Stabilität des Systems.
A bbildungsnachw eis
A bb . l a : D eu tsch es A rch äo lo g isch es In stitu t: D -D A I -R O M -1 9 6 5 .1 26 8 . - A bb . l b : D eu tsch es
A rch ä o lo g isch es In stitu t: D -D A I -R O M -1 9 6 5 .1 27 3 . - A b b .2 , 3 a, 4, 8: A b te ilu n g für K lassische
A rch ä o lo g ie d er U n iv e rsitä t F reib u rg, P h o to th ek . - A bb. 3 b, 5, 6, 16: M u se u m für A b gü sse
K lassisch er B ild w e rk e, M ü n ch e n .
-
A bb. 7:
D eu tsch es
A rch äo lo g isch es
In stitu t:
D -D A I-
K A IR O -F 1 7 8 8 0 / 1 . - A bb. 9, 10: n ach K . F it t s c h e n , P. 'Z ä n k er, K atalo g d er rö m isch en P orträts in
den C a p ito lin is c h e n M useen u n d d en an d eren k o m m u n alen S a m m lu n g en d er S ta d t R om 1 (»M ainz
1 9 8 5 ) Taf. 5 0 Nr. 4 6 ; Taf. 8 0 N r. 6 8 . - A bb . 11: K an to n sarch ä o lo g ie A a rg a u , V in d o n issa M useum ,
C F I-5 2 0 0 B rugg. -
A bb. 12: D eu tsch es A rch äo lo g isch es In stitu t: D -D A I -R O M -1 9 3 1 .1 4 2 0 .
- A bb. 13: S ta a tlic h e M u seen zu B erlin , M ü n z k a b in e tt. F oto: L u tz-Jü rg en L übke. - A bb . 14:
nach M . B e r g m a n n , D ie S trah le n d er H errsch er (M a in z 1 9 9 8 ) T a t .2 0 , 3. - A bb . 15: D eu tsch es
A rch ä o lo g isch es I n s t it u t : D -D A I -R O M -1 9 4 2 .1 3 5 1 . - A bb . 17: © C o p y rig h t th e T rustees o f the
B ritish M u seu m .
Christian W itschel
Der Kaiser und die Inschriften
I. E in fü h ru n g
In d iesem Ü b e rb lic k so ll a n h a n d e in ig e r E in zelb eo b ach tu n g e n b e leu ch te t w erd en , w e lch e n B eitra g
Insch riften, d ie ein en B ezu g zum P rin cep s a u fw eisen (im F o lg en d en als ,K aiserin sch riften b e z eich ­
n e t), bei d er E rfo rsch un g des rö m isch en K aisertu m s leiste n k ö n n e n 1. D er V o rteil d er In sch riften g e ­
g en ü b e r an d e re n Q u e lle n g a ttu n g e n lie g t d ab ei a u f der H a n d , h a n d e lt es sich b ei ih n en d o ch um in
g ro ß er Z a h l v o rh an d en e, z u m eist z eitg en ö ssisch e Z eu gn isse, d ie ein en sc h e in b a r d irek te n und u n ­
g efilterten B lick au f d ie G esta lt d er e in z eln e n H e rrsc h er erlau b en . Z u d em w aren sie bis in den le tz ­
ten W in k e l des Im p eriu m R o m an u m v erb reitet, w as helfen so llte, d er R o n v z e n trie rte n S ich tw eise
d er lite ra risc h e n Q u e lle n en tg e g e n z u w irk en . A u f d er an d eren S e ite w erfen Insch riften d u rc h ihren
z u m eist s ta rk fo rm elh aften C h a ra k te r so w ie d u rc h ihre E ig en art, m it w e n ig en (u n d d an n h äu fig
retro sp e k tiv en ) A u sn ah m en n u r P ositives - g era d e in H in b lic k a u f den reg ieren d e n P rin cep s ~ zu
b e rich ten , In terp retatio n sp ro b lem e eig e n e r A rt auf, d ie es im F o lgen d en an z u sp rech en g ilt.
A l s ,Insch riften lassen sich g en e re ll T exte d efin ieren , d ie a u fg ru n d e in e r b ew u ssten E n tsch eid u n g
von G em ein sch aften o d er E in zelp erso n en in ein em d au erh aften M a te ria l (in d e r R eg e l Stein
od er B ro n ze) a u fg e ze ich n et w u rd en , um sie ein em g rö ß eren P u b lik u m zu p rä sen tieren u n d ihren
1 Mein herzlicher Dank g ik dem Herausgeber Aloys W interling für die Einladung zu dem Kolloquium sowie
für den Langmut, m it dem er auf mein arg verspätetes M anuskript gewartet hat. Ebenfalls danken möchte ich
Isabelle Oclschläger für die sorgfältige Durchsicht des Textes. W ie viel dieser Überblick schließlich den weg­
weisenden Untersuchungen von Geza Alfoldy und Werner Eck verdankt, dürfte durchgehend deutlich wer­
den. - Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf den lateinischen Westen des Imperium Romanum
(unter besonderer Berücksichtigung der gallischen und hispanischen Provinzen), versuchen aber, wo möglich
auch die östlichen, griechischsprachigen Reichsteile einzubeziehen. Den chronologischen Rahmen bilden
die Regierungszeiten der Kaiser von Augustus bis Commodus mit einem Schwerpunkt im frühen Prinzipat
und gelegentlichen Ausblicken auf das 3.Jahrhundert. Aus der Fülle des Quellcnmaterials konnten nur we­
nige Beispiele ausgewählt werden; ebenso selektiv .sind die Literaturangaben gehalten. ~ Abgekürzt zitierte
Literatur: CarthNova: J u a n M a n u el A bascal P alazön, S ebastian F. R a m a llo A sensio, La ciudad de Carthago
nova. La documentaciön epigräfica (M urcia 1997); Eck u.a., Senatus consultum: W erner Eck u.a., Das senacus
consultum de Cn. Pisone patre (M ünchen 1996); O liver, Constitutions: /^/;;^ FI. O liver, Greek Constitutions
of Early Roman Emperors from Inscriptions and Papyri (Philadelphia 1989); W itschel, Augustus: C hristian
W itschel, Die W ahrnehmung des Augustus in Gallien, im Illyricum und in den Nordprovinzen des römischen
Reiches, in: D etlev K reik en b om u.a. (H g.), Augustus - der Blick von außen. Die W ahrnehmung des Kaisers
in den Provinzen des Reiches und in den Nachbarstaaten. Akten der internationalen Tagung M ainz 2006
(W iesbaden 2008) 4 1 -1 1 9 . - Inschriftencorpora werden in der Regel nach der Aufstellung bei F rancois B era rd
u.a., Guide de Pepigraphiste. Bibliographie choisie des epigraphies antiques et medievalcs (Paris J2000) I7f.
abgekürzt. Angegeben werden nur die jeweiligen Standardeditionen einer Inschrift, um ausuferndc Belegreihen
zu vermeiden.
46
C h ristian W itsch cl
In h a lt Kir d ie N ach w elt zu b ew ah ren . D iese au f ein e b reite Ö ffe n tlic h k e it a u sg e ric h tcte .e p ig ra ­
p h isch e P raxis' ( e p i g r a p b i c h a b i t ) w a r e in den an tik en K u ltu ren e ig e n tü m lic h e s P h än o m en , das
jed o ch n ic h t in a llen E pochen u n d R eg io n e n g leich erm a ß en sta rk a u sg e p rä g t war". A uf den rö ­
m isch en K u ltu rrau m b ezo gen lässt sich feststellen , dass d ie Z a h l der In sch riften setzu n g en in den
Ja h rh u n d erten d er R e p u b lik g e rin g b lieb u n d au ch im L aufe des 1.Ja h rh u n d e rts v .C h r. zu n äch st
n u r lan g sam an stieg. Erst m it der au g u steisch en Z e it kam es zu ein em w ah re n .B oo m “ in der
In sch riften p ro d u k tio n , d er von R om in den W esten des Im p eriu m R o m an u m a u sstrah lte , w ä h ­
rend sich in w e ite n T eilen der ö stlic h en P ro vinzen sch on in der v o ran g eg an g en e n h e llen istisch e n
P eriod e ein e ko m p lexe In sch riften k u ltu r h e ra u sg c b ild c t h atte. W ä h re n d des 1. u n d 2 .Ja h rh u n d e rts
n. C h r. n ah m d ie Z ah l d er (d a tie rb a re n ) Insch riften - a u f das gesam te R eich geseh en - b e stän d ig zu,
w äh re n d sie im L au fe des 3 .Ja h rh u n d e rts w ie d e r z u rü c k g in g 3. F ür den h ie r b e tra ch teten Z eitrau m
zw isch en A u g u stu s u n d C o m m o d u s b e d eu te t dies, dass w ir m it e in e r b re it a u sd ifferen zierte n und
q u a n tita tiv b e d eu tsam e n ep ig ra p h isch en P raxis rech n en k ö n n en , an der, w ie zu zeig en sein w ird , die
a u f d en K aiser b ezo g en en T it u li ein en erh e b lic h e n A n te il h a tten .
A u f d er an d e re n S e ite d arf n ic h t vergessen w e rd e n , dass uns m it S ic h e rh e it n u r ein g erin g er
A u ssch n itt (in sg esa m t sch ätz u n g sw eise m a x im a l d re i bis fü n f P ro zen t)'1 des ein stm als v o rh an d e n e n
: Zum ep igra p b ic b a b it im römischen Rcich vgl. R am say M a cM td len , The Epigraphie Habit in the Roman
Empire, in: AJPh 103 (1982) 2 3 3 -2 4 6 ; E lizabeth A. M eyer, Explaining the Epigraphie Habit in the Roman
Empire. The Evidence of Epitaphs, in: JR S 80 (1990) 7 4 -9 6 ; D a vid C herry, Re-figuring the Roman Epigraphie
Habit, in: A H ß 9 (1995) 132-156; G reg W oolf, M onumental W riting and the Expansion of Roman Society in
the Early Empire, in: JR S 86 (1996) 2 2 -3 9 .
3 Vgl. hierzu die - allerdings nicht unproblematische - Zusammenstellung von S ta n isla w M rozek, A propos de
la repartition chronologique des inscriptions latines dans le Haut-Empire, in: Epigraphica 35 (1973) 113-118.
'* Genauer bestimmen lässt sich die Überlebensrate bestimmter Inschriftengruppen nur dann, wenn die einstmals
vorhandene Ausgangsmenge einigermaßen präzise bestimmt werden kann, was jedoch nur selten vorkommt.
Die wenigen etwas besser nachvollziehbaren Fälle ergeben zudem ein disparates Bild. So war es in einigen
Provinzhauptstädten, in denen sich das jeweilige co n ciliu m p r o v in cia e versammelte, üblich, jeden aus seinem
Jahresamt ausscheidenden Oberpriester des provinzialen Kaiserkults { fla m m p ro v in cia e) m it einem Standbild
und einem T itulus auf dessen Basis zu ehren (vgl. auch unten Anm. 200). W ir erfahren dies explizit aus der
inschriftlich überlieferten Regelung für die Provinz G allia Narbonensis (C IL XII 6038 = ILS 6964). Gerade
in Narbo, der Hauptstadt der Narbonensis, haben sich aber bislang keine entsprechenden Statuenbaseji gefun­
den; vgl .J ü r g e n D ein in ger, Die Provinziallandtage der römischen Kaiserzeit von Augustus bis zum Ende des
dritten Jahrhunderts n.C hr. (München 1965) 107-110. In großer Zahl sind solche Monumente hingegen aus
Tarraco, der Hauptstadt der Provinz. Hispania citerior, bekannt, nämlich ca. 70 aus der Zeit zwischen Vespasian
und dem Ende des 2.Jahrhunderts, d.h. für (mindestens) etwa die Hälfte der in diesem Zeitraum amtierenden
fla m in es , was einer - sehr beachtlichen - Überlebensrate von um die 50 Prozent entspricht; vgl. hierzu Geza
A lfötdy, Flamines provinciae Hispaniae citerioris (M adrid 1973). Allerdings ist zu bemerken, dass es schon vor
Vespasian, und zwar seit der tibetischen Epoche, Provinzialoberpriester in Hispania citerior gegeben haben muss
und solche auch noch im 3. Jahrhundert gewählt wurden - in diesen Zeiten war es jedoch augenscheinlich nicht
üblich, ihnen ein Ehrenmonument zu errichten. W iederum eine andere epigraphische Praxis findet sich in der
Nachbarprovinz Lusitania, wo der provinziale Kaiserkult etwa zur selben Zeit eingerichtet worde/i sein dürf­
te: Hier finden sich tatsächlich frühe (Ehren-)Inschriften für Provinzialoberpriester, aber zunächst vor allem
in deren Heim atgem einden; vgl. die Übersicht bei S a b in e L efeh vre, Q. (Lucceius Albinus), flamen provinciae
Lusitaniae? Loriginc sociale des flamines provineiaux de Lusitanie, in: M ila gros N avarro C aballero, S ego len e
D em o u gin (H g.), Elites hispaniques (Bordeaux 2001) 2 1 7 -23 9 . In der Provinzhauptstadt Augusta Emerita
sind J la m in e s p ro v in cia e hingegen vornehmlich aus Weih- und Grabinschriften bekannt, und dies in eher ge­
ringer Zahl. Auf die sich hier andeutenden Diskrepanzen in der Inschriftenkultur, aber vielleicht eben auch
bei den Überlieferungsbedingungen in den hispanischen Provinzhauptsrädten hat bereits W alter T rillm ich,
„Foro provincial“ und „Foro m unicipal“ in den Hauptstädten der drei hispanischen Provinzen. Eine Fiktion,
in: Ciudad y comunidad dvica en Hispania, siglos II y III d.C. (M adrid 1993) 115-124 hingewiesen. - Sehr
D er K aiser und die Inschriften
47
In sch riften b estan d es e rh a lten g eb lieb e n ist\ D ie Frage d ab ei ist, ob es im Ü b erlieferu n g sp ro zess
zu e rh e b lic h en V erzerru n gen g ek o m m en ist, d u rch d ie b e stim m te In sch riften g ru p p en in dem uns
b e k a n n ten B estan d besser rep räsen tiert sin d als an d ere. O b w o h l dies g en e re ll n u r sch w ierig n ach z u ­
w eisen ist, lässt es sich gerad e in B ezu g a u f d ie K aiserin sch riften an ein em g u t b e k a n n ten P h än o m en
au fzeigen , n äm lic h d er G ed ä c h tn istilg u n g (d er so gen an n te n d a m n a t i o m e m o r i a e ), d ie p o stu m
ü b er b e stim m te K aiser v erh än g t w u rd e u n d d ie dazu fü h rte, dass v iele ih rer Insch riften im ö ffen t­
lich en R au m m eh r od er m in d e r v o llstä n d ig v e rn ic h te t (u n d n ic h t n u r d u rch ein e E rad ieru n g des
K aisern am en s v e rä n d e rt) w u rd en . D ies m ach t sich auch q u a n tita tiv d u rch au s b em erkb ar, so dass
d ie T it u li .sch le ch te r K aiser im G esam tb e stan d d er K aiserin sch riften g eg en ü b e r d en jen ig e n der
p r i n c i p e s b o n i u n te rre p rä se n tie rt sein d ü rfte n 6.
H in z u k o m m t ein w e ite re r w ic h tig e r P u n k t: W ie sch o n b em erkt, g in g d er A n fe rtig u n g ein er
Insch rift, also d er V erew ig u n g ein es T extes in d a u erh aftem M a te ria l, in d er R eg e l ein e b ew u ss­
te E n tsch eid u n g h ie rfü r voraus (vgl. auch u n ten K ap. 2 ). S elb st w ic h tig e k a ise rlic h e B o tschaften
m u ssten ab er n ic h t n o tw e n d ig e rw e ise in d iese r Form p u b liz ie rt w erd en - um ein e so lch e N a ch rich t
b e k a n n t zu m ach en , g e n ü g te es z u m eist, d eren In h a lt auf ein em P apyrus an z u sch lag en o d er ih n a u f
ein e g ew e iß te H o lz tafel zu ü b ertrag en u n d d iese fü r ein e W eile ö ffen tlich au fzu stelle n \ S o lch e auf
geringe Überlebensraten weisen verständlicherweise Inschriften auf, die regelmäßig in wertvollere M aterialien
eingraviert wurden. Dazu zählen beispielsweise die aus Bronze gefertigten M ilitärdiplom e (s. unten Anm. 83),
die zwischen dem mittleren 1. und dem frühen 3.Jahrhundert in großen Mengen an Veteranen ausgegeben
worden sein müssen. Hierbei lässt sich die Zahl der einstmals vorhandenen Dokumente ziemlich genau be­
rechnen und mit den erhaltenen Diplomen in Relation setzen, woraus sich in aller Regel Überlebensraten von
unter einem Prozent ergeben. Noch sehr viel weniger hat sich von den kaiserlichen Konstitutionen über die
Bürgerrechtsverleihung an ausgeschiedene Soldaten erhalten, die den M ilitärdiplom en zugrunde lagen und die
auf großen Bronzetafeln in Rom publiziert worden waren. Von diesen haben sich nur ganz geringe Bruchstücke
erhalten, nämlich in einigen Fällen, in denen sie für spätere M ilitärdiplom e wiederverwendet wurden - bei
dieser gewiss nicht unwichtigen Inschriftengruppe geht die Überlebensrate somit gegen Null. Vgl. zu dieser
Problematik W ern er Eck, Der Kaiser als Herr des Heeres. M ilitärdiplom e und die kaiserliche Reichsrcgierung,
in: J o h n J. W ilkes (H g.), D ocumenting the Roman Army. Essays in Honour of Margaret Roxan (London 2003)
55-87.
• Vgl. zum Folgenden auch die Überlegungen von W erner Eck, Befund und Realität. Zur Repräsentativität unse­
rer epigraphischen Quellen in der römischen Kaiserzeit, in: Chiron 37 (2007) 4 9 -6 4 .
6 Allgemein zur sog. d a m n a tio m em o r ia e im Imperium Romanum vgl. F ried rich V ittinghoff, Der Staatsfeind in
der römischen Kaiserzeit. Untersuchungen zur damnatio memoriae (Berlin 1936); E ric R. Varner, M utilation
and Transformation. Damnatio memoriae and Roman Imperial Portraiture (Leiden 2004): ferner M ika K ajava,
S o m e Remarks on the Erasure of Inscriptions in the R om a n World (with special reference to the ease a t C n.
Piso, cos. 7 B.C.), in: Heikki S olin u.a. (H g.), Acta colloquii epigraphici Latini, Helsinki 1991 (Helsinki 1995)
2 01 -21 0 ; F la rriet I. F low er, Rethinking damnatio memoriae. The Case of Cn. Caipurnius Piso Pater in A.D. 20,
in: C l Ant 17 (1998) 155-186; S tep ha n e B enoist, Titulatures imperiales et damnatio memoriae. L’enseignement
des inscriptions martelees, in: C CG 15 (2004) 175—
-189. Die gegen bestimmte, bereits verstorbene Herrscher
vom Senat angeordnete Gedächtnis- und Namenstilgung wurde zwar im Einzelfall je nach zeitlichem Kontext
und lokalem Umfeld sehr unterschiedlich strikt gehandhabt (s. dazu unren Anm. 249), führte aber augenschein­
lich in der Regel doch dazu, dass eine größere Zahl von epigraphischen Monumenten vor allem im öffentlichen
Bereich gänzlich vernichtet wurde. Aufzeigen lässt sich dies beispielsweise an den Inschriften für Nero in Rom,
von denen nur sehr wenige erhalten geblieben sind, und dies teilweise durch außergewöhnliche Umstände, etwa
weil sie im Privatbereich aufgestellt waren; dazu W ern er Eck, Die Vernichtung der memoria Neros. Inschriften
der neronischen Zeit aus Rom, in \J ea n -M ich el C roisille, Yves P errin (H g.), Neronia, Bd. 6: Rome a lepoque
neronienne (Brüssel 2002) 2 85 -29 5 .
Vgl. W erner Eck, Inschriften auf Holz. Ein unterschätztes Phänomen der epigraphischen Kultur Roms, in:
P eter KneissL Volker L osem an n (H g.), Imperium Romanum. Studien zu Geschichte und Rezeption. Festschrift
Karl Christ (Stuttgart 1998) 2 03 -21 7 . Eines der wenigen erhaltenen Exemplare einer in Holz eingravierten
48
C h ristian W itsch el
v erg ä n g lic h em M a te ria l g esch rieb e n en T exte sin d für uns je d o c h m it w en ig en A u sn ah m en (etw a in
Ä g y p te n ) u n w ie d e rb rin g lic h verlo ren . S o m it rep räsen tieren d ie (e rh a lte n e n ) Insch riften auf S tein
o d er B ron ze w ie d eru m n u r ein en A u ssch n itt des in d er A n tik e für ein b reites P u b lik u m sich tb aren ,
au f d en K aiser b ezo g en en T extb estandes.
Insch riften d ien ten v ersch ie d en en B ev ö lk eru n g sg ru p p en im Im p eriu m R o m an u m als ein b e­
d eu tsam es M e d iu m d e r K o m m u n ik atio n u n d R e p rä se n ta tio n 8. D as g a lt in beso n derem M a ß e für
d ie Z u rsc h a u ste llu n g des K aisers als Z en tra lfig u r des g esam ten R eich es9. H ie rb ei w irk te n ic h t nu r
d er In h alt des Textes (d er o h n e h in n u r d er relativ k lein e n S c h ic h t der L esek u n d ige n d ire k t zu ­
g ä n g lic h w a r ) 10 auf d en R ez ip ie n te n , so n d ern au ch sein e - oft seh r e in d ru ck sv o lle •- G esta ltu n g
als ep ig rap h isch es M o n u m en t. D ie M a c h t des H errsc h ers k o n n te dem B etra ch te r d u rc h ein über
d ie N orm h e rau srage n d es F o rm a t51, ein a u ffällig es D esign der B u ch stab en (e tw a in F orm v ergo l­
d eter B ro n ze lettern , d er l i t t e r a e a u r e a e bzw. a ir r a t a e 11) o d er ein e beso n dere H e rv o rh e b u n g des
Inschrift ist ein Bautitulus mir N en n u n g des Kaisers vom Hadrianswall in Britannien (RIB 1935), wo cs solche
Inschriften in größerer Zahl gegeben haben dürfte.
Vgl. hierzu Geza A lfoldy, S ilvio P an ciera (Mg.)) Inschrifthche Denkmäler als Medien der Selbstdarstellung in der
römischen Welt (Stuttgart 2001); H eik eN iquet, Inschriften als M edium von ,Propaganda und Selbstdarstellung
im 1.Jahrhundert n.C hr., in: G regor W eber, M a rtin Z im m erm a n n (H g.), Propaganda - Selbstdarstellung
- Repräsentation im römischen Kaiserreich des 1.Jahrhunderts n.C hr. (Stuttgart 2003) 145-173; W erner
lick , Herrschaft und Kommunikation in antiken Gesellschaften - das Beispiel Rom, in: Ulrike P eter, S tephan
J. S eid lm a yer (H g.), Mediengesellschaft Antike? Information und Kommunikation vom Alten Ägypten bis
Byzanz (Berlin 2006) 11-33.
9 Zur Bedeutung der Inschriften als Medien der kaiserlichen Repräsentation vgl. Geza A lfoldy, Augustus und
die Inschriften. Tradition und Innovation. Die Geburt der imperialen Epigraphik, in: Gymnasium 98 (1991)
2 8 9 -3 2 4 ; d ers., Studi suü’epigrafia augustea e tiberiana di Roma (Rom 1992); ders., Die Repräsentation der
kaiserlichen Macht in den Inschriften Roms und des Imperium Romanum, in: Lukas D e ß lo is u.a. (H g.), Ih e
Representation and Perception of Roman Imperial Power (Amsterdam 2003) 3 -1 9 .
10Zu der umstrittenen Frage, wie viele Einwohner des römischen Reiches wenigstens rudimentäre Lesekenntnisse
besaßen, vgl. M ireille C orbier, Lecriturc dans lespacc public romain, in: L’ Urbs. Espace urbain et histoire (Ier
siecie av. j.-C .-H L siede a p .J.-C ). Actes du Coiloque Roma 1985 (Rom, Paris 1987) 2 7 -6 0 ; W illia m V, H arris,
Ancient literacy (Cambridge, Mass., London 1989) sowie die Beitrage in den folgenden Sammelbänden: J o h n
H. H u m p h rey (H g.), Literacy in the Roman World (Ann Arbor 1991) und Alan K. B o w m a n , G reg W oolJ(H g.),
Literacy and Power in the Ancient World (Cambridge 1994). Die meisten Autoren stimmen trotz im Einzelnen
stark divergierender M einungen über die quantitativen Aspekte darin überein, dass eine echte Liberalität, die zu
einer vollständigen Erfassung auch komplexerer Texte befähigt hätte, in der römischen W elt wesentlich weniger
stark verbreitet war, als man früher angenommen hat. A uf der anderen Seite kann durchaus vermutet werden,
dass nicht wenige Stadtbewohner über eine Art von Grundlcsekenntnissen verfügten, die es ihnen ermöglich­
ten, kürzere Inschriften zumindest ansatzweise zu verstehen und die darin enthaltenen stereotypen Wendungen
wiederzuerkennen (nach C orb ier, Lecriture 59f. handelte es sich hierbei um eine „alphabetisation pauvre"; vgl.
jedoch auch W illu vn V. H arris, Literacy and epigraphy I, in: ZPE 52 [1983] 8 7-1 11 ).
11 Unter den Kaiserinschriften, insbesondere den kaiserlichen Ehren- und Bauinschriften, finden sieh die monu­
mentalsten T ituli, die wir überhaupt aus dem Imperium Romanum kennen; vgl. A lfoldy, Repräsentation (wie
Anm. 9) 1 lf. und ders., Die Bauinschriften des Aquäduktes von Segovia und des Amphitheaters von Tarraco
(Berlin, New- York 1997); ferner unten Kap. 3 sowie Anm. 158.
!’ Die Verwendung von solchen littera e a u rea e kam in Italien erstmals gegen Ende der Republik auf, gewann
dann aber vor allem in der augusteischen Epoche stark an Popularität, als diese besonders ins Auge fallende
Gestaltungsform vor allem für Kaiserinschriften Verwendung fand, da sie in ihrem semantischen Gehalt hervor­
ragend zu der von Augustus propagierten a u rea a eta s passte; dazu Geza A lfoldy, Der Obelisk auf dem Petersplatz
in Rom. Ein historisches M onument der Antike (H eidelberg 1990) 6 8 -7 4 ; A lfoldy, Augustus (wie Anm. 9)
2 9 7 -2 9 9 , d ers., Eine Bauinschrift aus dem Colosseum, in: ZPE 109 (1995) 205h Von Italien aus verbreitete
sich die Praxis rasch in die Westprovinzen des Reiches, wie man nunmehr besonders deutlich in Hispanien
sehen kann, wo sich die Zahl der frühkaiserzeitlichen Inschriften mit littera e a u rea e in den letzten Jahren stark
D er K aiser und die Inschriften
49
K aisern am en s (d u rch S c h riftg rö ß e 1-’ o der farb ige G e sta ltu n g 1'*) b ild h aft vor A u g en g e fü h rt w e r­
d en . D ad u rch w aren d ie W o rte des K aisers o d er d ie ih n a u sze ich n en d en E hru n gen im ö ffen tlich en
R au m v isu ell äu ß e rst p räsen t, auch w en n der g en au e W o rtla u t d er Insch riften für viele M en sch en
u n v e rstän d lic h b lie b . D ieser A sp e k t ist erst in den letz ten Ja h re n von d er ep ig ra p h isch en F o rsch u n g
d e u tlic h e r h e ra u sg e a rb e ite t w o rd en . Z uvo r h atte m an lan g e Z e it Insch riften v o rn eh m lich als iso ­
lie rte T exte b e tra c h te t u n d als so lch e p u b liz ie rt. A u ch h e u te fä llt es v ielfach im m er no ch sch w er
- gerad e b eim F ehlen e in e r m o d ern en E d itio n - g en au ere A n g ab e n zum In sch riften träger zu
e rm itte ln u n d d a d u rch den M o n u m e n tc h a ra k te r e in e r Insch rift zu b estim m en . H in z u k o m m t
ein w eiteres, eb en falls oft v ern ach lässigtes P h än o m en : D ie m eisten Insch riften w u rd en von dein
a n tik e n B etra ch te r n ic h t als v erein z e lte S ch riftzeu g n isse w a h rg en o m m en , so n d ern e in g e b u n ­
d en in ein en w e ite re n K o n text, in dem sie m it an d e re n , e tw a b ild lic h e n oder arc h ite k to n isc h e n
B ed e u tu n g strä g ern , in In tera k tio n traten . So w aren b e isp ielsw eise E h ren in sch riften seh r h ä u fig a u t
S ta tu en b a se n an g e b ra c h t u n d so m it g em ein sam m it e in e r sta tu a risch en D a rste llu n g des G eeh rten
zu seh en . B au in sch riften w aren in a lle r R egel d ire k t an dem G eb äu d e an g eb rac h t, dessen E rric h tu n g
o d er R e sta u rie ru n g sie k o m m em o rie rten . G erad e im F alle d er k a iserlich e n R ep rä sen ta tio n m uss also
im m er im A u g e b e h a lte n w erd en , dass versch ie d en e M e d ie n - u n te r d en en den Insch riften n u r ein e
p a rtie lle , w e n n au ch n ic h t zu u n tersch ätz en d e B e d e u tu n g zu k am - zu sam m e n sp ielten , um vor dem
a n tik en P u b lik u m d a s ,Im ag e“ des H errsch ers zu ev o zieren ; u n d dass w ir versuch en m üssen, d iese u r­
sp rü n g lich en W irk u n g sz u sam m e n h ä n g e zu rek o n stru ieren , in d e m e ta b lie rte d isz ip lin ä re G renzen
w ie e tw a d ie je n ig e zw isch en K lassisch er A rch ä o lo g ie u n d E p ig rap h ik ü b erw u n d e n w erd en .
vermehrt hat. Eine Vorreiterrolle könnte hierbei die Kaiserfamilie selbst gespielt haben, wie wir insbesonde­
re in der lusitanischen Provinzhauptstadt Augusta Kmerita sehen können, deren Theater von Agrippa erbaut
wurde. An mehreren prominenten Stellen des Gebäudes wurden im Jahre 16 v. Chr. Bauinschriften angebracht,
die den Namen des Stifters teilweise in vergoldeten Bronzebuchstaben vorführten (andere waren stuckiert und
mit roter Farbe nachgezogen): J o s e L uis R am irez Saäaba, Catälogo de las inscripciones imperiales de Augusta
Emerita (M erida 2003) N r.4 und 5/6 (auch Reste von vergoldeten Buchstaben wurden gefunden: ebd. N r.7).
Aufgegriffen wurde die Praxis rasch von den lokalen Eliten, und zwar sowohl in den größeren Städten wie
Carthago nova (s. J o s e M igu el N o gu era ,Ju a n M a n u el A bascal, Fragmentos de epigrafes e inscription con litterae
aureae del foro y del augusteum de Carthago nova, in: M astia 2 [2003] 5 3 -5 8 ) als auch in kleineren Gemeinden
des Hinterlandes wie Segobriga {Juan M a n u el A bascal u.a., La inscription con letras de broncc y otros documentos epigräheos de! foro de Segobriga, in: AEA 74 [2001] 1 17 -13 0 ). In den germanischen Provinzen wur­
de eine solche Gestaltung ebenfalls bei Inschriften zur Verehrung des Kaisers genutzt; vgl. M ich a el A. S p eid el
Goldene Lettern in Augst, in: ZPE 95 (1993) 179-189. Gleichzeitig verbreitete sich das Phänomen auch im
Osten des Reiches, wo es wiederum vor allem bei solchen T itu ii Verwendung fand, die in direkter Beziehung
zum Kaiserhaus standen. Als Beispiele hierfür lassen sich nennen: Eine Restaurierungsinsehrift des Agrippa am
Zeus-Tempel in Olym pia (IvOlympia 913); die Inschrift eines frühkaiserzeitlichen Tempels auf Samos (IG XII
6, 1, 481) sowie die Inschrift für Nero, die an der Ostseite des Parthenon auf dessen Architrav angebracht war
(IG II/III2 3277). Ein weiteres Beispiel ist die W eiheinschrift des großen Zeus-Tempels von Aizanoi: Auch hier
haben sich auf dem Architrav des Baues Dübellöcher für vergoldete Bronzebuchstaben erhalten, aus denen sich
die Inschrift mit einer W eihung an Zeus und Kaiser Domitian rekonstruieren lässt; vgl. R ich a rd P o sa m en tir,
M ich a el W ö r d e , Der Zeustempel von Aizanoi, ein Großbau flavischer Zeit, in: M D AI(I) 56 (2006) 2 27 -24 6 .
'• Durch eine besondere Buchstabengröße herausgehoben ist der Name des Herrschers etwa in der neronischen
Bauinschrift des Leuchtturms von Patara, die zudem ebenfalls m it vergoldeten Bronzebuchstaben ausgeführt
war (s. unten Anm. 136).
1,! Beobachten kann man dies etwa an einigen Statuenbasen der tetrarchischen Zeit aus dem diokletianischen M ilitärlager im akägyptischen Tempel von Luxor: Auf der geweißten Oberfläche der Basen waren die
Buchstaben der Inschrift in Rot nachgezogen, während die .Kaisernamen hiervon noch einmal m it gelber Farbe
abgesetzt waren, was hier sicherlich als Ersatz für eine goldene Fassung gemeint war; vgl .J o h a n n e s G. Deckers,
Die W andmalereien im Kaiserkultraum von Luxor, in: JD AI 94 (1979) 604t. A. 16.
50
C h ristian W itsch cl
D a d er P rinceps d er allseits a n e rk a n n te M itte lp u n k t des Im p eriu m R o m an u m w ar, v e rw u n d e rt
es n ic h t, dass er u n d sein e F a m ilien a n g e h ö rig en a u f z a h lre ic h e n Insch riften E rw äh n u n g la n d e n .
A ls »K aiserinschriften im w e ite sten S in n e k ö n n en d ab ei sä m tlich e I 'itu li an g esp ro ch en w e rd e n , in
d en en d er N am e des reg ieren d en o d er ein es v ersto rb en en H errsch ers v o rko m m t, ob n u n als a g ie ­
ren d e F ig u r im N o m in ativ, als g e e h rte P erson o d er g a r G o tth e it im D ativ (bzw . im A k k u sativ im
G riech isch en ), o d er ab er in ein em H in w e is a u t ein e vom K aiser au sgeh en d e W o h lta t, B efö rd eru n g
u n d Ä h n lich es m e h r’\ Im en geren S in n e lassen sich d ie K aiserin sch riften v ersch ied en en
U n te rg ru p p e n z u o rd n en , d ie in den n äch sten A b sc h n itte n a u sfü h rlich e r v o rg e stellt w erd en (s. u n ­
ten K ap. 2 - 6 ) . M it ih rer H ilfe k ö n n en z a h lre ic h e F eld er k a iserlich e n H a n d e ln s bzw. d ie R ea k tio n en
h ie ra u f b e leu ch te t w erd en , von d en en h ie r n u r e in ig e w e n ig e kurso risch a u fg e fü h rt seien , a u t d ie im
F o lg en d en n ic h t n ä h e r ein g e g a n g e n w ird : Im B ereich d e r E reig n isg esc h ich te k ö n n en Insch riften,
in sb eso n d ere in sch riftlich a u fg e ze ich n ete F asten u n d K alender*6, w ic h tig e In fo rm atio n en zum
A u ftreten des K aisers liefern u n d d a d u rch d ie A n g a b e n d er lite ra risc h e n Q u e lle n erg än z en bzw. d ie ­
se - g e ra d e in H in b lic k au f d ie g en au e D a tie ru n g b e stim m te r E reignisse - p räz isieren . S o v erz e ich ­
nen b e isp ielsw eise d ie F a sti O s tien s e s zum J a h r 2 n. C h r. m it e in ig e m D e ta il, w ie d er L eich n am des
am 2 0. A u g u st in M a rse ille v ersto rb en en L u ciu s C a esa r (vgl. u n ten K ap. 2 ) in O stia e in tra f u n d von
d o rt u n te r g ro ß er A n te iln a h m e d er B e v ö lk eru n g w e ite rg e le ite t w u r d e 1'. A uch d ie A u fen th altso rte
d er K aiser u n d in sb eso n d ere ih re R eisen lassen sich v o rn eh m lich m it H ilfe des ep ig rap h isch en
Q u e lle n m a te ria ls re k o n s tru ie re n 18. Für d ie B ez ie h u n g en des K aisers zum H e er u n d für d ie m ilit ä ­
risch en A k tio n e n ein z eln e r H e rrsc h er b ie ten In sch riften eb en falls w ic h tig e H in w eise*5*. D asselbe
g ilt fü r d ie a d m in istra tiv e n S tru k tu re n im U m feld des K aisers, so e tw a d ie Z u sam m e n setz u n g des
h Solche Inschriften, in denen der Kaiser als Urheber eines b en eficiu m herausgestcllt wurde, kamen sehr häu­
fig vor, da hierdurch ein von dem kaiserlichen Namen ausgehender Glanz aut den Empfänger der W ohltat
oder Beförderung fiel, welcher in der Regel die Setzung des T itulus veranlagte. Ais ein frühes Beispiel s. die
Grabinschrift C IL III 5232 = ILS 1977 aus Celeia (Noricum): C (aius ') Ju liu s Pepo d o n a tu s / civ ita te R om an a viritim / e t in m u n ita te a b d iv o A ug(usto) / vivos fe c it sib i e t / ß o n ia ta e A ntonif d ( i a e ) co n iu g i / e t suis. Für den m ilitä­
rischen Bereich vgl. W erner Eck, Monumente der Virtus. Kaiser und Heer im Spiegel epigraphischer Denkmäler,
in: G eza A lföldy u.a. (H g.), Kaiser, Heer und Gesellschaft in der Römischen Kaiserzeit. Gedenkschrift für E.
Birley (Stuttgart 2000) 4 8 3 -4 9 6 .
Vgl. die Übersicht bei D ietm a r K ien a st, Römische Kaisertabelle. Grundzüge einer römischen Kaiser­
chronologie (Darmstadt 21996) 1 -1 0 ; ferner Inscrlt XIII zu den Fasten sowie J o h n S cheid, Com m cntarii fratrum Arvalium ejui supersunt. Les copies epigraphiques des protocoles annuels de la confrerie arvale, 2 1 av.-304
ap. J.-C . (Rom, Paris 1998) zu den auch für die Kaisergeschichte ergiebigen Akten der Priesterschaft der fra tres
A rvales, die in Marmorstelen graviert und im Heiligtum der Dea Dia aufgestellt worden waren.
1 FascOst frgmt. Ba Z. 1 -4 : H o m m u fm p lu s —j/ in ta m illia ca n [d elis a rd en tib u s] o b v ia m p ro cessefru n t.
M a gistra tu sJ/ O stien siu m p u lla [ti corp u s tu lerun tj-, vgl. die Neuedition von B a rb a ra B a rga gli, C ristiana Grosso, I
Fasti Ostienses. Documento della storia di Ostia (Rom 1997).
18 Grundlegend hierzu H eb n u t H alfenann, Itinera principum. Geschichte und Typologie der Kaiserreisen im
römischen Reich (Stuttgart 1986).
1:>Vgl. beispielsweise zur Rekonstruktion der Kriege Domitians, Trajans und Hadrians auf (vornehmlich) epi­
graphischer Grundlage Karl. S trob el>Der Chattenkrieg Domitians. Historische und politische Aspekte, in:
Germania 65 (1987) 4 2 3 -4 5 2 ; d ers., Die Donaukriege Domitians (Bonn 1989); ders., Untersuchungen zu
den Dakerkriegen Trajans (Bonn 1984); M ich a el R S peidel, The Captor o f Decebalus. A New Inscription From
Philippi, in: JR S 60 (1970) 142-153; W erner Eck, The Bar Kokhba Revolt. The Roman Point of View, in:
JR S 89 (1999) 7 6 -8 9 . Siehe ferner unten A nm .45 zu der inschriftlich erhaltenen Ansprache Hadrians an die
afrikanische Armee.
D e r K a i s e r u n d di e I n s c h r i f t e n
Personals am K aiserh of0 oder die Verwaltung des großen kaiserlichen Besitzes, in die der Herrscher
bisweilen direkt eingrifP1. Generell ist die Administration des Imperium Romanum, an deren Spitze
der Kaiser stand, sowie die Auswahl der Verwaltungsheamten durch den Herrscher fast ausschließ­
lich aufgrund von Inschriften rekonstruierbar2.
II. D ie Verbreitung wichtiger kaiserlicher Botschaften
und deren inschriftliche Fixierung
Im Folgenden sollen die wichtigsten Arten von Kaiserinschriften vorgestellt werden. Dabei
wird vor allem danach zu fragen sein, wer jeweils für die Konzeption einer Inschrift und für die
Erstellung bzw. Gestaltung des entsprechenden epigraphischen Monuments verantwortlich zeich­
nete. Beginnen möchte ich mit der Gruppe der kaiserlichen Mitteilungen und der vom Herrscher
ausgehenden administrativen Dokum ente23. An erster Stelle zu nennen sind hierbei umfangreiche
kaiserliche Botschaften, die mittels einer inschriftlichen Fassung an die Bevölkerung kommuniziert
;‘1Dazu Aloys Winterling , Aula Caesaris. Studien zur Institutionalisierung des römischen Kaiserhofes in d e rZ e it
von Augustus bis Com m odus, 31 v. C h r .- 132 n. Chr. (M ünchen 1999). Zu den Vorstehern und zurArbeitswei.se
der kaiserlichen Kanzleien vgl. Waiter Seitz, Studien zur Prosopographie und zur Sozial- und Rechtsgeschichtc
der großen kaiserlichen Zentraläm tcr bis hin zu Hadrian (Augsburg 1 9 7 0 ); Anthony R. Birley, Locus virtutihus
patefactus ? Zum Beförderun»ssystem in der hohen Kaiserzeit (O pladen 1 9 9 2 ); zu den zahlreichen kaiserlichen
Sklaven und Freigelassenen sowie ihren Funktionen vgl. Otto Hirschfeld, D ie kaiserlichen Verwaltungsbeamten
bis au f D iocletian (Berlin '1 9 0 5 ) 3 1 8 - 3 4 2 ; G erard Boulvert , Esclaves et affranchis imperiaux sous le HautEmpire romain. Röle politique et adm inistratif (Neapel 1 9 70); Paul R. C. Weaver, Eamiiia Caesaris. A Social
Study of the Em perors Freedmen and Slaves (Cam bridge 1 9 72); Graham P. Barton , Slaves, Freedmen and
Monarchy, in: J R S 67 (1 9 7 7 ) 1 6 2 -1 6 6 .
•-1 Ein Beispiel hierfür sind die Inschriften, die die Situation der kaiserlichen G üter und der auf ihnen leben­
den coloni in Africa während des 2. Jahrhunderts beleuchten; vgl. dazu D ieter Flach, Inschriftenuntersuchungen
zum römischen K olonat in N ordafrika, in: C h iron 8 (1 9 7 8 ) 4 4 1 - 4 9 2 ; Dennis P. K ehoe , The Econom ics of
Agriculture on Rom an Imperial Estates in N orth Africa (G öttin gen 1988).
11 Hieraus hat sich eine intensive - und wichtige - Diskussion über den W ert prosopographischer Studien entw i­
ckelt, die insbesondere um die Frage kreist, ob sich der Kaiser und seine Berater bei der Auswahl der Amtsträger
an bestim m ten, objektivierbaren Kriterien orientierten (und sich deshalb gewisse Karriere-Schem ata ausmachen
lassen) oder hierbei vor allem Patronage-Beziehungen wirksam wairden. Vgl. Brian C am pbell , W h o Were the viri
m ilitates?, in: IR S 65 (1 9 7 5 ) 11 - 3 1 ; 'ciraham P. Burton , in: JR S 7 0 (1 9 8 0 ) 2 0 3 - 2 0 7 ; Richard P. Sailer , Personal
Patronage under the Early Empire (Cam bridge 1 9 8 2 ); Birley , Beförderungssystem (wie Anm. 2 0 ) sowie zusam­
menfassend W erner Eck , Imperial A dm inistration and Epigraphy. In D efence of Prosopography, in: Alan K.
Bowman u.a. (H g .), Representations o f Empire. Rom e and the M editerranean W orld (O xford 2 0 0 2 ) 1 3 1 - 1 5 2
und die Beiträge in Lukas D e Blois (H g.), Adm inistration, Prosopography and A ppointm ent Policies in the
Roman W orld (Amsterdam 2 0 0 1 ). Zudem lässt sich durch prosopographische Untersuchungen nachweisen,
dass es in der Regel bei Kaiserwechseln - selbst bei Principes m it sehr unterschiedlichen Herrschaftsauffassungcn
- nicht zu größeren Brüchen in der Personalauswahl kam; vgl. etwa zur flavisch-trajanischen Epoche Werner
Eck , Senatoren von Vespasian bis Hadrian (M ünchen 1 9 7 0 ); Brian W. Jones , D om itian and the Senatorial Order
(Philadelphia 1 9 79); R on ald Syme, D om itian. The Last Years, in: C h iron 13 (1 9 8 3 ) 1 2 1 - 1 4 6 .
2-' Vgl. hierzu auch die weiterführenden Beobachtungen von Werner Eck , Adm inistrative Dokum ente.
Publikation und M ittel der Selbstdarstellung, in: Ders., D ie Verwaltung des röm ischen Reiches in der hohen
Kaiserzeit. Ausgewählte und erweiterte Beiträge, Bd. 2 (Basel 1998) 3 5 9 - 3 8 1 . Zu spät zu meiner Kenntnis
gelangte ein Band, in dem zahlreiche wichtige Beiträge zum Them a versammelt sind: R u d olf Flaensch (Hg-).
Selbstdarstellung und Kom m unikation. D ie Veröffentlichung staatlicher Urkunden auf Stein und Bronze in der
römischen W elt (M ünchen 2 0 0 9 ).
52
C hristian W itsch e !
werden sollten. Das berühmteste Schriftstück dieser Art ist ohne Zweifel der Text der Res gestae divi
Augusti, den Augustus mit eigener Hand verfasst und für den er testamentarisch eine epigraphische
Fassung vorgesehen hatte2': Der Text sollte auf zwei imposanten bronzenen Pfeilern eingraviert wer­
den, die vor dem Mausoleum Augusti - mithin im Kontext zahlreicher weiterer Inschriften, die zu
diesem Zeitpunkt bereits an dem Gebäude angebracht waren’* - zur Aufstellung kamen-1'. Eine epigraphische Publikation außerhalb Roms war hingegen von Augustus anscheinend nicht vorgesehen.
Dennoch kennen wir den Text der Res gestae divi Augusti ausschließlich durch drei in frühtiberischer
Zeit angefertigten Kopien auf Stein, die in der inneranatolischen Provinz Galatia gefunden wurden
und jeweils eine unterschiedliche Form aufwiesen. Alle drei Kopien waren offenbar im Kontext von
Kaiserkultanlagen angebracht: Im lateinischen Original sowie in einer griechischen Übersetzung
auf der Innen- und Außenwand des provinzialen Kaiserkulttempels in Ancyra (Ankara); nur in
Latein im Bereich des Propylon eines munizipalen Kaiserkulttempels in der römischen Kolonie
Antiochia ad Pisidiam; sowie nur in Griechisch in der Stadt Apollonia auf dem Sockel einer großen
Statuenbasis, die verschiedene Bildnisse der kaiserlichen Familie trug und vermutlich im Bereich
eines temenos zur Verehrung der Kaiser aufgestellt war. Warum der Text nur in Galatia - dort aber
an einer ganzen Reihe von O rten - in ein dauerhaftes Material übertragen wurde2 , wissen wir nicht
genau, aber wir können zumindest einige begründete Vermutungen hierzu anstellen: Am wahr­
scheinlichsten dürfte sein, dass dabei ein Statthalter von Galatien die treibende Kraft war, der hier­
durch seine besondere Loyalität zum Kaiserhaus demonstrieren woilte2\ Er hatte vermutlich eine
Kopie des Textes auf Papyrus aus Rom erhalten, ihn vor O rt ins Griechische übersetzen und dann
in der Provinzhauptstadt Ancyra anschlagen lassen. Mittels eines begleitenden statthalterlichen
Edikts sowie vielleicht auch eines Rundbriefs ließ er sodann die Bevölkerung der einzelnen Städte
seiner Provinz wissen, dass er die Fierstellung von Kopien in dauerhaften Materialien wünsche oder
zumindest begrüße29. Allerdings konnte er dies kaum im Alleingang durchsetzen; vielmehr war er
für die Verbreitung des Textes auf die Kooperation mit lokalen Institutionen angewiesen. Ein wich­
tiger Ansprechpartner scheint hierbei das koinon , zu dem die einzelnen Gemeinden der Region
ihre Vertreter entsandten, gewesen zu sein, und es ist sicher kein Zufall, dass die umfangreichste
Kopie der Res gestae divi Augusti gerade auf den W änden des vom koinon verwalteten provinzialen
Tempels der Roma und des Augustus in Ancyra angebracht wurde.
Vgl. zum Folgenden ausführlicher Christian Witschel, The Res Gestae Divi Augusti and the Rom an Empire,
in: Fritz-H einer Mutschler, Achim M ittag (H g.), Conceiving the Empire. China and Rome Compared (Oxford
2 0 0 8 ) 2 4 1 -2 6 6 (m ieden Angaben und weiterer Literatur); ferner Paula Botten, Ancyra, Antiochia e Apollonia.
La rappresentazione deile Res Gestae Divi Augusti, in: Lukas De ßlois u.a. (H g.), The Representation and
Perception o f Rom an Imperial Power (Amsterdam 2 0 0 3 ) 2 4 0 - 2 4 9 .
2- Vgl. Flenner von Fiesberg, Silvio Panciera, Das Mausoleum des Augustus. D er Bau und seine Inschriften
(M ünchen 1994) bes. 52, 66, 112, 1 7 4 f.
26 S. Suet. Aug. 101; Cass. D io 5 6, 33, 1.
2 W äre dies auch in anderen Provinzen geschehen, hatten sich hiervon zumindest geringe Reste erhalten sollen,
die bei einem solchen Text selbst in sehr fragmentarischem Zustand leicht zuweisbar sein dürften.
2* Für einen weiteren vergleichbaren Fall s. unten Anm . 39.
19 Eine solche statthalterliche Anweisung ist uns im K ontext der Verbreitung des diokletianischen Preisedikts
bekannt, von dem sich Abschriften auf Stein ebenfalls nur in bestim m ten Provinzen im O stteil des Reiches
gefunden haben. Einer dieser Kopien im phrygischen Aizanoi ist ein Schreiben des Statthalters beigeKigt, mit
dem dieser der G em einde eine Kopie des Preisedikts überstellt, den Sinn der kaiserlichen M aßnahm e erläutert
und anordnet, dass das Edikt proponiert werden solle; vgl. M ichael Fl. Crawford, Joyce Reynolds, The Publication
o f the Prices Edict. A New Copy from Aezani, in: J R S 65 (1 9 7 5 ) 1 6 0 - 163. Von einer inschriftliehen Fassung ist
hier allerdings nicht explizit die Rede.
D e r K aiser u n d d ie Inschriften
53
Line solche Zusammenarbeit zwischen Statthalter und koinon bei der Verbreitung von wichti­
gen Botschaften in Bezug auf den Kaiser hat auch andernorts stattgefunden, so nur wenige Jahre
zuvor in der benachbarten Provinz Asia, von wo ein umfangreiches Dossier bekannt ist, das auf
die Initiative des Paullus Fabius Maximus, Prokonsul der Provinz im Jahre 10/9 v.Chr., zurück­
ging30. Dieser wandte sich zunächst in einem Edikt an das koinon von Asia. Er hob darin die hohe
Bedeutung hervor, die der Geburtstag des Kaisers Augustus für das Wohlergehen des gesamten
Erdkreises habe, und schlug dann eine neue Prozedur vor, um diesen Tag gebührend zu feiern: Es
scheine ihm gut, wenn ab jetzt alle Städte in der Provinz denselben Neujahrstag (also den Tag, an
dem die lokalen Beamten ihr Amt antraten) beachteten, und zwar eben den Geburtstag des göttli­
chen Kaisers am 23. September, wofür ein neuer Kalender einzuführen sei. Das „müsse“ durch einen
Beschluss des koinon zusammen mit einer Lobpreisung des Augustus verabschiedet werden, damit
der von Maximus entwickelte Plan für die Ewigkeit bestehen bleibe; er selbst wolle dafür sorgen,
dass dieser Beschluss zusammen mit seinem Edikt an einem zentralen O rt auf einer steinernen Stele
veröffentlicht werde. Das koinon hat hierauf tatsächlich mit einem psephisma geantwortet, das die
Vorschläge (eigentlich waren es mehr oder minder direkte Anweisungen) des Maximus umsetzte
und diesen daraufhin besonders belobigte, weil er eine solch innovative Form der Verehrung des
Gottes Augustus gefunden hatte. Ferner feierte dieser Beschluss den Kaiser und dessen Leistungen
- auch hierin die Anregung des Maximus aufgreifend - in überschwänglichen Worten als gött­
lichen Retter der M enschheit und Friedensbringer. Gleichzeitig wurde festgelegt, dass das Edikt
des Statthalters und der Beschluss des koinon auf einer Stele aufgezeichnet werden sollten, die man
im zentralen Kaiserkulttempel der Provinz in Pergamon aufstellen wollte, wie es ebenfalls schon
Maximus vorgesehen hatte. Zur Verbreitung des nunmehr aus mehreren Schriftstücken bestehenden
Gesamtdossiers in den Gemeinden von Asia wurde ferner angeordnet, dass Abgesandte des koinon
dafür sorgen sollten, dass es in den conventus-Zcmrcn auf geweißten Steinen publiziert und diese in
den lokalen Heiligtümern des Kaiserkults aufgestellt würden. Man scheint aber auf lokaler Ebene
über diese Publikationsanordnung noch hinausgegangen zu sein, denn einige der Abschriften des
Dossiers (von denen sich insgesamt sechs erhalten haben) sind an kleinen, relativ unbedeutenden
O rten gefunden worden - man hatte hier offenbar ebenfalls das Bedürfnis, sich eine Abschrift des für
das städtische Leben so wichtigen Beschlusses zu besorgen und diesen in Stein zu verewigen31. Diese
Zeugnisse geben uns somit einen hervorragenden Einblick darin, wie ein Statthalter die Gemeinden
seiner Provinz bei der Ehrung des Kaisers beeinflussen und ihnen entsprechende Wünsche mitteilen
O G IS II 4 5 8 ; s. ferner die ausführlichen Editionen (unter Einschluss der lateinischen Teile) des Textes durch
Robert K. Sberk, Rom an D ocum ents From the Greek East. Senatus consult» and epistulae to the Age o f Augustus
(Baltim ore 1969) 3 2 8 - 3 3 7 Nr. 65 und insbesondere von Umberto L a ffi , Le iscrizioni relative all’introduzione
nel 9 a.C. del nuovo calendario della provincia d’A sia, in: S C O 16 (1 9 6 7 ) 5 - 9 8 . Zu einer vergleichbaren
Publikationsanordnung s. das Edikt des Augustus über die Juden von Asia: los. ant. lud. 16, 1 6 0 - 1 6 6 . Zur
lokalen Ausführung eines psephisma des koinon s. auch G IB M IV 8 9 4 ; auf städtischer Ebene waren hierfür die
A rchonten zuständig.
Eine weitere Abschrift aus M etropolis, die jedoch nur einen Teil des Dossiers enthielt, ist erst vor Kurzem
vorgelegt worden: Boris Dreyer, Helmut Engelmann , Augustus und G erm anicus im ionischen M etropolis, in:
Z P E 158 (2 0 0 6 ) 1 7 5 -1 8 2 . D ie Inschriftenstele wurde im Plot des Vereinslokals der presbyteroi von M etropolis
gefunden, m ithin an einem eher privaten O rt, der nicht den Vorgaben der Publikationsanordnung entsprach.
Ausgewählt wurden für die Übertragung in Stein gerade jene Passagen des Gesamtdossiers, die die glücksbringendc Rolle des Augustus besonders deutlich hervortreten ließen - darauf kam es den Erstellern der Inschrift
offenbar vor allem an. D er in den Stein gravierte Text bricht m itten im Satz ab, aber auch dies war offenbar so
geplant.
54
C hristian W itsch el
konnte. Ähnliches ist im Falle der Res gestae divi Augusti vorstellbar: Vom koinon von Galatia mag
ebenfalls eine weitere Initiative zur Verbreitung des Textes in der Provinz ausgegangen sein, so wie in
Asia der Provinziallandtag anordnete, dass das soeben erwähnte Kalenderdekret in den städtischen
Kaisareia aufgestellt werden sollte. Die Entscheidung darüber, wie genau das hieraus entstehende
epigraphische Monument auszusehen hatte, welche Sprache hierfür Verwendung finden sollte und
in welchem Kontext es aufzurichten war, lag dann aber augenscheinlich weitgehend bei den lokalen
Behörden, die hierfür unterschiedliche Vorkehrungen trafen.
Eine weitere in diesem Zusammenhang wichtige Textsorte waren Senatsbeschlüsse, die für das
Kaiserhaus wichtige Vorgänge oder Ehrungen des Herrschers und seiner Familienmitglieder betra­
fen. An der Entstehung solcher senatus consulta hatte der Princeps oft mehr oder minder direkt
mitgewirkt32, und ihr Inhalt trug erheblich zur Formung seines .Images“ bei. Zudem enthielten
sie in der Regel eine Publikationsanweisung, so dass in diesem Falle der Verbreitungsprozess der
Texte einigermaßen rekonstruiert werden kann. Ein gutes Beispiel hierfür stellen die durch den
Tod des Germanicus im Oktober 19 n.C hr. ausgelösten Senatsbeschlüsse dar. Zunächst wurden
im Dezember desselben Jahres - nach ausführlichen Beratungen des Senats mit dem regierenden
Kaiser Tiberius - zwei senatus consulta verabschiedet, die die postumen Ehrungen für den verstor­
benen Prinzen regelten. Dies war bereits seit Langem aus Tacitus bekannt3’; inzwischen kennen
wir aber auch mehrere inschriftliche Kopien dieser Beschlüsse, aus denen entnommen werden
kann, welche Vorkehrungen der Senat (und damit indirekt auch der Kaiser) traf, damit der Text
im gesamten Reich bekannt würde: Eine Kopie des SC sollte auf einer Bronzetafel eingraviert und
in Rom in der Portikus des Apollon-Tempels angebracht werden; weiterhin hatten die Konsuln
den Text zusammen mit ihrem Edikt zu proponieren und Befehl zu geben, dass die (offenbar be­
reits in Rom anwesenden) Magistrate und Gesandten der »tunicipia und coloniae in Italien sowie
der Kolonien in den Provinzen eine Kopie des Textes in ihre Heimatstädte senden sollten''; und
schließlich sollten die Provinzstatthalter den Text an einem möglichst prominenten Platz (d.h.
vermutlich am Forum des jeweiligen Statthaltersitzes) anschlagen. Von einer Fixierung des Textes
in Bronze ist in den letzteren Anweisungen allerdings nicht explizit die Rede. Kopien dieses SC
(bzw. eines aus mehreren Einzeldokumenten bestehenden Gesamtdossiers) auf Bronzetafeln haben
sich in Rom, in Heba in Etrurien (tabula H ebana ) sowie in der Kleinstadt Siarum in tier südspa' Vgl. dazu die wichtigen Bemerkungen von Fergus M illar , Imperial Ideology in the tabula Siarensis, in: Ju lian
Gonzalez J a v ie r Arce (H g .), Estudios sobre ia tabula Siarensis. Actas de lasjorn adas celebradas cn Sevilla 1986
(M adrid 1988) 1 1 -1 9 , bes. 17. Zur (vereinzelten) Korrektur einer als übermäßig empfundenen Ehrung des
Senates für Germ anicus durch Tiberius s. Tac. ann. 2, 83, 3. Einen ähnlichen Vorgang schildert Cass. D io 5 6 ,4 7 ,
1 hinsichtlich der Ehrenbeschlüsse für den toten Augustus: N om inell habe diese der Senat gefasst, aber die ei­
gentliche Entscheidung hätten Tiberius und Livia getroffen, an die die verschiedenen in der Senatsversammlung
geäußerten Vorschläge in schriftlicher Form {biblia) geschickt wurden, dam it sie daraus auswählen konnten.
Tac. ann. 2, 83, lf.
!! Z ur N achrichtenüberm ittlung zwischen Rom und den Städten des Reiches vgl. Werner Eck, Zur Durchsetzung
von Anordnungen und Entscheidungen in der hohen Kaiserzeit. D ie administrative Inform ationsstruktur, in:
Ders., D ie Verwaltung des röm ischen Reiches in der hohen Kaiserzeit. Ausgewählte und erweiterte Beiträge,
Bd. 1 (Basel 1995) 5 5 - 7 9 , bes. 62, 6 6 - 6 8 . Der hier geschilderte Fall stellte allerdings wohl eine Sondersituation
dar, bedingt durch den Tod des Germ anicus, weil wiegen des Trauerfalles im Kaiserhaus viele G em einden ohn e­
hin ihre Vertreter nach Rom entsandt hatten. Vertreter auswärtiger Städte in Rom sind aber auch in anderen
Quellen bezeugt, et'.v.i bei los. am. lud. 19, 2 9 1 . Aus solchen Angaben kann man w'ohl erschließen, dass viele
- jedoch m it Sicherheit nicht alle - Städte eine A rt von dauerhafter Gesandtschaft in der Reichshauptstadt
unterhielten und sich so die nötigen Informationen über wichtige N euigkeiten, aber auch über routinem äßige
Veränderungen etwa in der Kaisertitulatur (vgl. unten Anm. 2 5 1 ) verschafften.
D e r K a i s e r u n d d ie I n s c h r i f t e n
mischen Provinz Baetica (tabula Siarensis) gefunden'''. Das Vorhandensein einer Kopie in Rom
überrascht nicht, und auch Heba fällt - obwohl die Stadt eher unbedeutend war - als colonia in
Italien unter die PubJikarionsanordnung des SC. Das gilt jedoch m it großer Sicherheit nicht für
Siarum, denn in tiberischer Zeit war diese Gemeinde offenbar lediglich ein municipiumK\ Eine be­
sondere Nahbeziehung zwischen Germanicus und der Baetica gab es im Übrigen nicht. Warum
also die Anfertigung einer aufwändigen Bronzekopie des ihn betreffenden SC in einer abgelegenen
Provinzgemeinde, die hierzu augenscheinlich nicht verpflichtet war? W ir wissen es in diesem Fall
nicht, aber die Entscheidung muss entweder auf lokaler Ebene getroffen worden oder aufgrund
einer Initiative des Statthalters erfolgt sein.
Dass Letzterer hierbei erneut eine bedeutsame Rolle gespielt haben könnte, legt der nun zu be­
schreibende Vorgang nahe: Etwa ein Jahr später verurteilte der Senat den vermeintlichen Mörder
des Germanicus, Cn. Calpurnius Piso, und verabschiedete hierzu - nachdem Piso durch Selbstmord
aus dem Leben geschieden war - ein umfangreiches Konvolut von Beschlüssen, die gleichzeitig dazu
dienten, den regierenden Kaiser Tiberius in panegyrischen Wendungen zu feiern. Erneut wairden
Vorkehrungen getroffen, um diese für das Kaiserhaus wichtige Botschaft im Reich zu verbreiten.
Eine Version derselben sollte, eingraviert in Bronze, in Rom an einem Platz errichtet werden, den
der Kaiser selbst bestimmen konnte. Weitere Bronzekopien sollten in der wichtigsten Stadt einer je­
den Provinz an deren zentralem Platz angebracht werden37. Die Kopien des Textes auf Bronzetafeln,
D ie Ehrenbeschlüsse des Senats für den toten G erm anicus sind zusammen m it der zugehörigen rogatio in
folgenden Kopien (jew eils in A usschnitten) überliefert: C IL V I 911 = 3 1 9 9 9 = 4 0 3 4 8 (R o m ); A E 1949, 215
= A E 1952, 164 (H eba); C IL X I 4 6 3 2 (bei Todi; dazu M ichael H. Crawford, The End o f the rogatio Valeria
Aurelia, in: Augusto Eraschetti [H g.], La com m em orazione di G erm anico nclla docum cntazione cpigrafica.
Tabula H ebana c Tabula Siarensis; Convcgno im ernazionaie di studi Cassino 1991 [Rom 2 0 0 0 ] 1 6 3 - 1 7 1 ) ; AE
1984, 5 0 8 (Siarum ). Zusammenfassende Edition: M ichael H. Crawford (H g .), Rom an Statutes, Bd. 1 (London
1 996) 5 0 7 - 5 4 3 Nr. 3 7 ; vgl. ferner Alvaro Sanchez-Ostiz Gutierrez>Tabula Siarensis. Edicion, traducciön y comentario (Pam plona 1999) sowie die Studie von Greg Rowe, Princes and Political Cultures. The New T iberian
Senatorial D ecrees (A nn A rbor 2 0 0 2 ). D abei handelt cs sich um ein Gesamtdossier, das zumindest das zweite
senatus consultum vom Ende des Jahres 19 und die rogatio/lex von Anfang 2 0 umfasste. O b auch das erste SC
vom 16. D ezem ber 19 hierin inkorporiert war, ist um stritten. Zu dem Publikationsverm erk, dessen genaue Form
wir nur für das zweite S C aus dem Jahre 19 kennen, der aber für das in den Kopien vorliegende Gesam tdossier
ähnlich ausgesehen haben wird, vgl. Eck u.a., Senatus consultum 2 6 5 A. 8 6 4 ; Crawford , Rom an Statutes 5 36;
ferner Wolfgang D. Lebek, Sub ed icto su o proponere. Tab. Siar. frg. II col. B 12 und Suet. Aug. 89, 2, in: Z P E 7 7
(1 9 8 9 )3 9 -4 L
•'ö Zu Siarum vgl. Patrick L e Roux , Siarum et la tabula Siarensis. Statut politique et honneurs religieux en Betique
sous T ibere, in: Ju lian Gonzalez, Ja v ier Arce (H g.), Estudios sobre la tabula Siarensis. Actas de las Jornadas
celebradas en Sevilla 1986 (M adrid 1988) 2 1 - 3 3 ; H artm ut Galsterer, The tabula Siarensis and Augustan
M unicipalization in Baetica, in: ebd. 6 1 - 7 4 . Beide vertreten die M einung, dass Siarum in der frühen Kaiserzeit
ein municipium (eventuell civiurn Romanorum) war und deswegen von der Publikationsanordnung des SC nicht
direkt erfasst wurde.
! W ie ein solcher locus celeberrimus , an dem wichtige N achrichten tem porär angeschlagen und zentrale
D okum ente auf Bronzetafeln für längere Z eit ausgestellt wurden, ausgesehen haben könnte, zeigt eine m it
Vcrdübelungslöchern übersäte Wand am Rande des Hauptplatzes von Asisium (Assisi): Pierre Gros, Dinu
Tbeodorescu, Le mur nord du ,forum‘ d’A ssise. O rnam entation parietale et specialisation des espaces, in:
M E F R A 9 7 (1 9 8 5 ) 8 7 9 - 8 9 6 . Trotz des in solchen Inschriften mehrfach angesprochenen Hinweises, man solle
die Tafeln so anbringen, dass sie „vom Boden aus gut gelesen werden könnten“, scheint es mir nich t sicher, dass
dies wirklich ihre vorrangige Funktion war, denn die in winzigen Buchstaben aufgezeichneten und kom pliziert
form ulierten Texte waren sicherlich nur einer kleineren G ruppe von M enschen direkt zugänglich (vgl. oben
Anm. 10). W ich tiger dürfte es gewesen sein, dass ein Eingravieren in Bronze (in aes incidere) den Texten und
damit den W orten des Herrschers oder den für ihn beschlossenen Ehrungen Dauer verlieh. Zudem waren solche
56
C hristian W itsch e l
die wir bislang kennen (es sind mittlerweile mindestens acht)-*, wurden jedoch alle in einer einzi­
gen Provinz, nämlich der Baetica, gefunden; und sie stammen darüber hinaus auch nicht (wie im
Publikationsvermerk vorgesehen) aus der Provinzhauptstadt Corduba (Cordoba), sondern aus klei­
neren und teilweise ganz unbedeutenden Gemeinden. Auf einer der Kopien ist dem Text des .SC ein
T itel vorangesteiit, der darauf hinwei.se, dass offenbar der Provinzstatthalter der Baetica, N. Vibius
Serenus, eine entscheidende Rolle dabei gespielt hat, dass der Text in seiner Provinz nicht nur an
seinem Residenzort, sondern auch in zahlreichen weiteren Gemeinden in Bronze graviert wurde’9.
Die Initiative einzelner Provinzgouverneure im Zusammenspiel mit den lokalen Behörden scheint
also für die Frage, wann und wo solche aus Rom kommenden Texte eine inschriftliche Fassung in
dauerhaftem Material erhielten, sehr bedeutsam gewesen zu sein, was wiederum die sehr ungleich­
mäßige regionale Verteilung der erhaltenen Abschriften der Res gestae divi Augusti oder des SC de
Cn. Pisonepatre zu erklären vermag.
Bisweilen verfasste der Kaiser auch selbst eine Anordnung, um die reichsweite Verbreitung eines
SC zu befördern, dessen Inhalt ihm wichtig erschien. Ein Beispiel hierfür bietet eine auf der Agora
von Kyrene gefundene Stele, die mehrere Edikte des Augustus und ein SC des Jahres 4 v. Chr. ent­
hält'10. Letzterem geht ein Edikt des Kaisers voran, in dem dieser sagt, er habe den Text zur besseren
Kenntnis der Untertanen in alle Provinzen versenden und seinem Schreiben anfügen lassen. Aber
selbst mit einer solchen, an sich recht klaren Regelung konnte (und wollte) der Kaiser nicht fest­
legen, wann und in welcher Form ein Text dieser Art in den einzelnen Städten des Reiches in ein
dauerhaftes Material übertragen und damit für die Nachwelt bewahrt wurde (falls dies überhaupt
geschah). Die Entscheidung hierüber wurde wiederum vornehmlich auf provinzialer und lokaler
Ebene getroffen.
Ähnliches lässt sich in Bezug auf die inschriftliche Verewigung kaiserlicher Reden feststel­
len, wofür wir nur wenige Zeugnisse besitzen. Das bekannteste unter diesen ist wohl die von
Kaiser Claudius im Jahr 48 vor dem Senat gehaltene Rede über das ins honorum der gallischen
Aristokraten, die uns sowohl durch den Bericht des Tacitus'11 als auch durch eine Abschrift auf einer
ßronzetafeln visuell eindrucksvolle M onum ente, die jedem Besucher des Platzes sofort ins Auge fallen mussten
und denen dadurch eine eigene, gleichsam magische Kraft innew ohnte; vgl. zu diesen Aspekten M ary Beard ,
W riting and Ritual, in: P B S R 53 (1 9 8 5 ) 1 1 4 -1 6 2 ; C allie W illiamson , M onum ents o f Bronze. Rom an Legal
D ocum ents on Bronze Tablets, in: C lA n t 6 (1 9 8 7 ) 1 6 0 -1 8 3 .
Vgl. Armin U Styloiv , Sebastian Corzo Perez , Eine neue Kopie des senatus consultum de C n . Pisone patre, in:
C h iro n 2 9 (1 9 9 9 ) 2 3 - 2 8 .
39 Kopie A: S(enatus) c(onsultmn) de Cn(aeo) Pisone patre proposition N (ion en o) Vibio Sereno proco(n)s(ule)\
s. ferner C I L II"/5, 64. Vgl. zu den einzelnen Kopien ausführlich Eck u.a., Senatus consultum 1 - 3 7 . Zu dem
Publikationsvermerk (Z . 1 6 5 -T 7 2 ) vgl. ebd. 2 5 4 - 2 7 2 ; zu der Frage, warum gerade in der Baetica so viele
Abschriften dieses SC auch in ganz kleinen G em einden angefertigt wurden und welche Rolle der Prokonsul
dabei gespielt haben könnte, vgl. ebd. 1 2 6 -1 3 0 , 2 7 9 - 2 8 7 sowie Werner Eck, Das S.C . de C n . Pisone patre und
seine Publikation in der Baetica, in: C C G 4 (1 9 9 3 ) 1 8 9 -2 0 8 .
i!>Fernand D e Visscher, Les edits d’A uguscc decouvercs ä Cyrene (Louvain, Paris 1 9 4 0 ) = Oliver , Constitutions
Nr. 8 - 1 2 .
Tac. ann. 1 1, 2 3 - 2 5 . H ier bietet sich - wie auch im Falle der Vorgänge, die den Tod des G erm anicus begleite­
ten - die relativ seltene G elegenheit, die Berichte der literarischen Q uellen m it den Aussagen der ausführlichen
epigraphischen Zeugnisse vergleichen zu können, wobei die unterschiedlichen Perspektiven und die dadurch je ­
weils bewirkten Um formungen des historischen Geschehens deutlich werden: M iriam Grißin , The Lyons Tablet
and Tacitean H indsight, in: C Q 3 2 (1 9 8 2 ) 4 0 4 - 4 1 8 ; Eck u.a., Senatus consultum 1 0 9 - 1 2 1 , 2 8 9 - 2 9 8 ; Anthony
J . Woodman, R on ald FI. M artin , The Annals o f Tacitus, B ook 3 (Cam bridge 1 9 9 6 ) 6 7 - 7 7 , 1 1 0 - 1 1 8 ; vgl. ferner
R a lf Urban, Tacitus und die Res gestae divi Augusti. D ie Auseinandersetzung des Historikers m it der offiziellen
D e r K a i s e r u n d d i e I n s c h r if t e n
Bronzetafcl bekannt ist, weiche im provinzialen Kaiserkult-Heiligtum der Tres Galliae in Condate
bei Lugdunum (Lyon) gefunden wurde'*2. Die Verewigung der Rede in Bronze ging daher wohl auf
den Wunsch der Provinzialen zurück, die für sie positiven Aussagen des Kaisers für die Nachwelt
zu bewahren. Angeregt worden war diese Angelegenheit vermutlich durch eine Gesandtschaft des
gallischen Provinziallandtages, die Claudius um die Aufnahme verdienter Notabler aus den eigenen
Reihen in den Senatorenstand gebeten hatte und dann den Text seiner Rede nach Gallien zurück­
brachte. Ebenfalls epigraphisch überliefert ist die Rede, die Kaiser Nero im W inter 67 (oder 66)
bei den Isthmischen Spielen vor den versammelten Griechen der Provinz Achaia hielt, um ihnen
die Freiheit zu verkünden. In diesem Falle ist sehr deutlich eine lokale Initiative für die inschriftli­
che Fassung der Rede auszumachen. Entdeckt wurde die Inschriftenstele in der kleinen böotischen
Stade Akraiphia. Sie enthält das Edikt des Nero, mit dem er die Griechen zusammenrief, seine
Ansprache im Wortlaut sowie ein Dekret der Gemeinde, in dem diese eine kultische Verehrung für
den Herrscher beschloss'*3. Antragsteller war der lokale Kaiserkultpriester Epameinondas, der in
seiner Heimatstadt als Euerget und Förderer des Herrscherkults eine herausragende Position ein­
nahm und bereits früher einer Gesandtschaft zu Kaiser Caligula angehört hatte; er scheint somit
auch hier die treibende Kraft gewesen zu sein**. Die Ansprache, die Kaiser Hadrian im Sommer 128
im numidischen Lambaesis vor den afrikanischen Truppen hielt, ist ebenfalls inschriftlich überlie­
fert, und zwar eingraviert auf den seitlichen Pfeilern einer Plattform, die sich auf dem Paradeplatz
{campus) der legio III Augusta in Lambaesis erhob. Dem Text der Kaiserrede ist (auf einer separaten,
zwischen den Pfeilern angebrachten Marmortafel) eine Dedikation beigegeben, aus der hervorgeht,
dass die Legion das gesamte Monument dem Kaiser Hadrian widmete, nachdem dieser Lager und
Heer inspiziert hatte’0 .
In noch höherem Maße gilt das soeben Ausgeführte für administrative Schreiben, die vom Kaiser
entweder an die gesamte Reichsbevölkerung oder - in der Mehrzahl der Fälle - an bestimmte
Mitglieder der Provinzialvcrwaltung, einzelne Gemeinden oder Privatpersonen gerichtet wurden.
Hiermit sind im Wesentlichen edicta , m andata , eplstulae und subscriptiones gemeint, die nicht nur
- oft routinemäßige - Regelungen enthielten, sondern in ihren Formulierungen häufig auch etwas
vom Selbstverständnis des Herrschers vermitteln sollten. Die Zahl solcher in Inschriften erhaltenen
Dokumente hat sich in den letzten Jahren durch Neufunde merklich erhöht16, was den Eindruck
Darstellung, in: Gymnasium 8 6 (1 9 7 9 ) 5 9 - 7 4 ; R onald Syme, Tacitus. Som e Sources of his Inform ation, in:
Ders., Rom an Papers, R d .4 (O xford 1988) 1 9 9 -2 2 2 .
12 C I L X U I 1668 = IL S 2 1 2 ; da7.u zuletzt Werner Rieß, D ie Rede des Claudius über das ius honorum der galli­
schen N otablen. Forschungsstand und Perspektiven, in: R E A 105 (2 0 0 3 ) 2 1 1 - 2 4 9 . Zu dem H eiligtum der Tres
Galliae vgl. unten Anm . 179.
IG V II 2 7 1 3 ~ Syll.3 8 1 4 - IL S 8 7 9 4 = Oliver , C onstitu tions N r.296.
HZu Epameinondas s. IG V II 2711/ 12 s o w Jam es H. Oliver, Epam inondas o f Aeraephia, in: G R B S 12 (1 9 7 1 )
2 2 1 - 2 3 7 ; Eftycbia Stavrianopoulou , D ie Bewirtung des Volkes, ö ffe n tlich e Speisungen in der römischen
Kaiserzeit, in: Olivier Hekster u.a. (Flg.), Ritual Dynam ics and Religious Change in the Rom an Empire (Leiden,
Boston 2 0 0 9 ) 1 5 9 -1 8 3 .
M ichael P. Speidel, Em peror H adrians Speeches to the African Army - a New Text (M ainz 2 0 0 6 ).
So ist in AJexandreia Troas vor Kurzem cine große m arm orne Stele enrdeckr worden, nut der drei Briefe
des Kaisers Hadrian aufgezeichnet wurden, die dieser alle im Jah r 134 an die Vereinigung der dionysischen
I’e chniten gerichtet hatte und die sehr detaillierte Regelungen für bestim m te W ettkäm pfe enthielten, wobei
hier auch auf zahlreiche weitere - nicht erhaltene - kaiserliche Schreiben in derselben Angelegenheit verwie­
sen wird: Georg Petzl, E lm ar Scbicertheim, Hadrian und die dionysischen Künstler. Drei in Alexandreia Troas
neugefundene Briefe des Kaisers an die Künstler-Vereinigung (B on n 2 0 0 6 ). Vgl. ferner Christopher P. Jones , A
Letter o f Hadrian to Naryha in Eastern Locris, in: JR A 19 (2 0 0 6 ) 15 1 -1 6 2 . Aus Kos stam m t ein soeben puh-
C hristian W itsch e]
58
verstärkt, dass Schreiben dieser Art, die sich teilweise mit recht kkinteiligen Angelegenheiten be­
schäftigten, am Kaiserhof in großen Mengen ausgestellt worden sein müssen" . Das wiederum wirft
die - hier nicht weiter zu behandelnde - Frage auf, inwieweit der Herrscher tatsächlich selbst an
der Abfassung dieser Dokumente beteiligt war (und wir in ihnen somit die eigentümliche Diktion
des jeweiligen Princeps lesen können) und welche Rolle hierbei die kaiserlichen Kanzleien spiel­
ten, die viele solcher Schreiben im Namen des Kaisers verfassten und ihm diese dann nur noch
zur Begutachtung vorlegten - Letzteres dürfte über weite Strecken der Normalfall gewesen sein '8.
Im Folgenden soll es aber vor allem darum gehen, wie aus solchen Schriftstücken epigraphische
Monumente wurden und wer dafür verantwortlich zeichnete.
Die meisten dieser Dokumente enthielten offenbar keine explizite Publikationsanordnung. Sie
erreichten ihre Empfänger in der Regel als Schreiben auf Papyrus, und zu ihrer Bekanntmachung
scheint es zumeist ausgereicht zu haben, sie der Bevölkerung - etwa im Theater - vorzulesen''9 und
dann an einem öffentlichen Platz für einen bestimmten Zeitraum auszusteilen, bevor sie ins Archiv
wanderten. Proponiert werden konnte ein solches Schreiben entweder in seiner originalen PapyrusForm oder in einer Abschrift auf geweißten Holztafeln (t a b u la e d e a lb a t a e oder le u k ö m a t a ) ^ . Der
Entschluss, ein solches Schriftstück in ein dauerhaftes Material zu übertragen - was recht teuer
sein konnte - war kein notwendig hierauf folgender Schritt, sondern hing wesentlich von den lo­
kalen Gegebenheiten ab. Zweck dieser Maßnahme war es in der Regel, wohlwollende W orte des
Herrschers einem breiteren Publikum in einer entsprechend aufwändigen Gestaltung zu präsentie­
ren oder eine positive Entscheidung des Princeps bzw. die Bestätigung bestimmter Privilegien für
die Nachwelt zu bewahren.
lizierces Dossier mit mehreren Briefen (aus den Jahren 4 7 - 4 8 ) des Kaisers Claudius (und anderer Personen?),
die die herausragende lokale Figur des C . Stertinius Xenoph on , des Leibarztes des Claudius (zu diesem s. unten
Anm. 6 6 ), betrafen: Dimitris Bosnakis, Klaus H a llo f A lte und neue Inschriften aus Kos III, in: C hiron 3 8 (2 0 0 8 )
2 0 5 - 2 2 4 Nr. 2 5 - 2 9 .
r Insgesamt ist davon auszugehen, dass in der Umgebung des Kaisers oder durch diesen selbst in einem bestän­
digen Rhythmus eine enorm e M enge von Einzelfall- oder Generalentscheidungen getroffen wurde, welche wie­
derum zu einem großen Teil verschriftlicht, d.h. auf Papyrus oder ähnlichem Schreibstoff aufgezeichnet wurden.
Nur ein kleinerer Teil dieser Schriftstücke dürfte aber aus den im Folgenden zu beschreibenden Gründen in ein
dauerhaftes M aterial übertragen worden sein; und nur diesen - durch einen Selektionsprozess entstandenen Ausschnitt haben wir als Q uellenm aterial vor Augen.
iS Zu der Diskussion, wer letztlich den W ortlaut der kaiserlichen Schreiben festlegte, vgl. bezüglich der epistulae
Adrian N Sberwin-W hite, Trajan’s Replies to Pliny. Authorship and Necessity, in: J R S 5 2 (1 9 6 2 ) 1 1 4 - 1 2 5 sowie
Wynne W illiams , Individuality in the Imperial C onstitutions. Hadrian and the Antonines, in: J R S 6 6 (1 9 7 6 )
6 7 - 8 3 ; ders., Caracaila and the Authorship of Imperial Edicts and Epistles, in: Latomus 3 8 (1979) 6 7 - 8 9 , der
die H auptverantw ortung für die Formulierung der kaiserlichen Schriftstücke beim Flerrscher selbst sicht; da­
gegen N apbtali Lewis, Personal Style o r Imperial Style?, in: Latomus 54 (1 9 9 5 ) 6 3 4 - 6 4 1 . Zu den subscriptiones
vgl. Wynne Williams, Epigraphic Texts of Imperial Subscripts. A Survey, in: Z P E 6 6 (1 9 8 6 ) 1 8 1 - 2 0 7 ; Willia?n
Turpin, Imperial Subscriptions and the A dm inistration of Justice, in: J R S 81 (1 9 9 1 ) 1 0 1 - 1 1 8 ; Tony Flonore,
Emperors and Lawyers (Lon don ~1994); Jean-Louis Mourgues , Les formules rescripsi recognovi et les etapes de
la redaction des souscriptions imperiales sous le H aut-Em pire romain, in: M E F R A 107 (1 9 9 5 ) 2 5 5 - 3 0 0 , Vgl.
ferner die verm ittelnde Position von Fergus M illar, L’Em pereur romain com m c decideur, in: C C G 1 (1 9 9 0 )
2 0 7 -2 2 0 .
19 So wird etwa zu dem B rief des D om itian am Ende der lex Irnitana (s. Ju lian Gonzalez, The lex Irnitana. A New
Copy o f the Flavian M unicipal Law', in: JR S 7 6 [1 9 8 6 ] 1 4 7 - 2 4 3 ) vermerkt, er sei am 10. April 91 in C irceii, wo
sich der Kaiser gerade aufhielt, ausgegeben (litterae datae) und dann am 11. O ktober desselben Jahres in Irni
verlesen (recitatae) worden.
50 S. oben Anm. 7.
D e r K a i s e r u n d d ie I n s c h r i f t e n
59
Man kann dies gut am Beispiel kaiserlicher Briefe ( epistulae ) demonstrieren, die an hochrangige
Persönlichkeiten oder Gemeinden gerichtet waren. Diese Schreiben betrafen oft eher unbedeuten­
de Angelegenheiten, für die die Herrscher bisweilen sehr detaillierte Regelungen trafen. Andere
Briefe waren rein routinemäßiger Natur: In ihnen wurden beispielsweise Beschlüsse der lokalen
Behörden bezüglich des Kaiserkults bestätigt oder herausragende Bürger der Provinzgemeinden ge­
lobt. In den meisten Fällen wurden solche kaiserlichen Schreiben durch Anfragen von unten ange­
regt, etwa durch Gesandtschaften von Städten, die dem Herrscher munizipale Dekrete überreichten
und von ihm eine Antwort darauf erbaten. Fiel diese positiv aus, konnten die lokalen Behörden
entscheiden, eine Aufzeichnung des Texts in Bronze oder Stein vorzunehmen. Gut zu verfolgen ist
dieser Vorgang an einem Brief des Vespasian an die Stadt Sabora (Baetica) aus dem Jahr 7 7 ’ 1. Diese
hatte den Kaiser darum gebeten, die Siedlung vom Berg in die Ebene verlegen zu dürfen; außerdem
ersuchte sie um die Bestätigung finanzieller Vorteile, die sie bereits von Augustus erhalten hatte. Der
Kaiser gewährte beides und schrieb am Ende seines Briefes: decretum vestrum accepi V IIIkal(endas)
August(as) [2 5 .Ju li]; legatos dimisi ////kal(endas) easdem [29.Ju li]; diese Gesandten brachten dann
offenbar das kaiserliche Schreiben nach Sabora. Nach der Schlussformel valete folgt ein Zusatz, der
sich auf die lokalen Verhältnisse bezieht: Ilviri C. Cornelius Severus et M. Septimius Severus publica
pecunia in aere inciderunt.
Im Gegenzug wurden für den Empfänger negative kaiserliche Mitteilungen zumeist nicht in
dauerhafte Materialien übertragen. Es gibt zwar einige wenige Ausnahmen hiervon, aber diese be­
stätigen dann doch wieder die Regel. So fand sich am Forum der baetischen Gemeinde Munigua
eine Bronzetafel mit einem Brief des Kaisers Titus aus dem Jahr 7 9 ’2: Die Muniguenser hatten in
einem Rechtsstreit an den Kaiser appelliert, jedoch den Prozess erneut verloren. Der Kaiser stellte
nun fest, dass die Appellation iniusta gewesen war und daher eigentlich hätte bestraft werden müs­
sen; er sah aber aufgrund seiner indulgentia von der Strafe ab und befreite die Muniguenser sogar
von den Verzugszinsen, w arf ihnen jedoch ihre terneritas vor. Der kaiserliche Gunsterweis scheint
den Behörden von Munigua aber so wichtig gewesen zu sein, dass sie sich trotz des wenig freund­
lichen Tonfalls gerade zu Beginn des Briefes dennoch zu einer Aufzeichnung desselben in Bronze
entschlossen.
Auch in Fragen des Kaiserkults fielen die kaiserlichen Antwortschreiben oft nicht rein zustim­
mend aus, denn es gehörte zu der vom Herrscher in bestimmten Kreisen erwarteten modemtio, ihm
angetragene göttliche Ehrungen abzulehnen oder zumindest zu modifizieren. Anschaulich wird
dies in einer umfangreichen Inschrift aus der Stadt Gytheion in Lakonien’ 3. Sie enthält neben ei­
nem Beschluss der Gemeinde über die kultischen Ehren für Augustus, Tiberius und Livia einen
Brief des regierenden Kaisers Tiberius an die Oberbeamten der Stadt. Dieser war als Reaktion auf
eine Gesandtschaft verfasst worden, die den Kaiser und seine M utter aufgesucht hatte, um ihnen
die vorläufigen Beschlüsse der Bewohner von Gytheion hinsichtlich der Verehrung des Kaiserhauses
zu übermitteln. Tiberius belobigte die Gemeinde zunächst vor allem in Bezug auf die kultischen
Einrichtungen für Augustus, merkte dann aber an, dass er selbst sich mit maßvolleren und mcnsch51 C IL I i2/5, 871 = C IL II 1423 = ILS 6092.
^ AE 1962, 2 8 8 - C 1L A U 4. 1052; dazu Herbert Nesselhauf, Zwei Rronzeurkunden aus Munigua, in:
M D A I(M ) 1 (I 9 6 0 ) 1 4 8 -1 5 4 .
S t G 1 1 ,2 (1 9 5 4 ) 922/ 23 = Oliver, Constitutions Nr. 15. Ein weiteres Beispiel bietet ein Schreiben der Kaiser
Marc Aurel und Com m odus an ciie Gerusia von Athen, in dem ebenfalls in den Augen der H errscher zu weit
gehende, göttliche Ehrungeft (darunter Bildnisse aus Edelm etall) zurückgewiesen werden: Oliver, Constitutions
Nr. 196. Vgl. ferner unten Anm . 235.
60
C hristian W itsch cl
lichcren Ehren begnügen wolle. Das anfängliche Lob des Kaisers reichte auch hier aus, um den
W ortlaut des gesamten Briefes einschließlich der ablehnenden Passagen auf Stein zu verewigen.
Deutlich wird dies ferner hei einigen kaiserlichen Antworten {subscriptiones) auf Bittschriften
(libelli), die sozial niedriger stehende Bevöikerungsgruppen an den Kaiser richteten’’*. Solche
Bittgesuche auf Papyrus mussten in der Regel persönlich beim Herrscher eingereicht werden, der
dann seine Antwort direkt darunter schreiben und diese in Rom aushängen ließ, wovon sich die
betroffene Partei wiederum eine Abschrift anfertigen lassen konnte, um diese in die Heimat mitzu­
nehmen. Die kaiserlichen Antworten fielen meist sehr kurz aus und hatten oft einen eher banalen
Inhalt. Recht häufig nämlich delegierte der Princeps die gesamte Angelegenheit an untergeordnete
Behörden der Provinzialverwaltung, ohne selbst eine Entscheidung zu fällen. Dennoch genügte
offenbar bisweilen alleine die Tatsache eines solchermaßen erwirkten Bescheides des Princeps, des­
sen W ort mehr galt als das jeder anderen Person im Reich, um die Empfänger dazu zu bewegen, den
Schriftverkehr mit dem Herrscher in einem dauerhaften Material aufzuzeichnen und in dieser Form
der Öffentlichkeit zu präsentieren. Einen schönen Beleg hierfür bietet eine große Inschriftentafel
aus der Gemeinde Skaptopara in der Provinz Thracia, die mehrere Schriftstücke enthält” : Zunächst
eine Überschrift in Latein, die berichtet, dass es sich um eine beglaubigte Abschrift aus dem
Amtsbuch der Bittschriften und Antwortschreiben des Kaisers Gordianus III. handelte, welche
in Rom in den Portiken der Trajansthermen angeschlagen wurden, sowie einen Vermerk, wer den
libellus eingereicht hatte. Darauf folgt auf Griechisch in mehreren Kolumnen das sehr ausführliche
Bittgesuch der Einwohner von Skaptopara (und ein weiteres Schriftstück). Am unteren Rand des
Steines wurde schließlich - wiederum auf Latein ~ die kaiserliche Antwort eingraviert. Diese fiel
in der Sache eher ernüchternd aus, denn der Herrscher erklärte sich für nicht direkt zuständig und
verwies die Angelegenheit an das Gericht des Provinzstatthalters. Aber das bloße Vorhandensein
eines kaiserlichen Bescheides war den Bürgern von Skaptopara offenbar wichtig genug, um ihn zu­
sammen m it dem gesamten Schriftverkehr in Stein aufzuzeichnen und dadurch die „göttlichen“
W orte des Herrschers-6 für alle sichtbar und erfahrbar zu machen'5 . Anfügen lässt sich an dieser
Stelle noch, dass eine solche Dokumentationspraxis nach Ausweis der erhaltenen Inschriften gerade
v‘ Vgl. hierzu zusammenfassend Tor Hauken, Petition and Response. An Epigraphie Study of Petitions to Rom an
Emperors, 1 8 1- 2 4 9 (Bergen 1998).
IG B u ig IV 2 2 3 6 ; dazu Klaus Hallof, D ie Inschrift von Skaptopara. Neue D okum ente und neue Lesungen, in:
C hiron 24 (1 9 9 4 ) 4 0 5 - 4 4 1 ; H auken , Petition (wie Anm . 54) 7 4 - 1 3 9 Nr. 5.
Anfuhren lassen sich in diesem Zusam menhang auch die Kopien {exem pla) einer M itteilung des Septim ius
Severus und des Caracalla, von der sich in der Provinz Asia mehrere Abschriften (sowohl in Latein wie auch
in G riechisch) au f Srein an verschiedenen O rten erhalten haben. In ihrer Anordnung, die in den Inschriften vermutlich von deren Herstellern - als sacrae litterae bzw. hieragram m ata bezeichnet wird, verweisen die Kaiser
a u f ein (älteres) senatus consultum, das die Senatoren von der Pflicht zur Einquartierung von hospites befreite.
D er Em pfänger des kaiserlichen Schreibens wird nicht genannt (wahrscheinlich handelte es sich dabei um einen
Beamten der Provinzialverwaltung); die inschriftliche Aufzeichnung des Schriftstücks erfolgte som it offensicht­
lich auf'Initiativc der direkt Betroffenen, d.h. der in diesem Raum ansässigen Senatoren, die durch den in dauer­
haftem Material fixierten Verweis auf die W orte der H errscher unliebsame G äste von ihren G ütern fernzuhalten
versuchten. Vgl. dazu Thomas D rew-Bear u . a . , Sacrae litterae, in: C h iron 7 (1 9 7 7 ) 3 5 5 - 3 8 3 . In der Inschrift, die
die eoloni des saltus Burunitanus in der Provinz Africa durch ihren magister C . Iulius Pelops errichten ließen,
um ihre Position in den Auseinandersetzungen mit dem conductor und Teilen der Provinzialvenvaltung durch
die Publikation verschiedener Schriftstücke zu dokumentieren (C IL V III 1 0 5 7 0 - 1 4 4 6 4 = IL S 6 8 7 0 ; H auken ,
Petition (wie Anm. 54} 2 - 2 8 Nr. 1; vgl. ferner oben Anm . 2 1 ), wird die ebenfalls aut dem Stein festgehaltene
subscriptio des Kaisers Com m odus von den Betroffenen selbst, aber auch von einem kaiserlichen procurator ver­
schiedentlich als sacrum rescriptum , divina subscriptio oder sacra subscriptio bezeichnet.
D e r K a i s e r u n d d ie I n s c h r i f t e n
61
im frühen 3. Jahrhundert häufiger wurde und sich in bestimmten Gebieten konzentriert findet, was
aut einen gewissen Nachahmungseffekt und auf einen Wandel im epigraphic habit hindeutet, der
dazu führte, dass nun auch kleinere Gemeinden damit begannen, einigermaßen positive Antworten
des Herrschers in aufwändige epigraphische Monumente umzusetzen1*.
Im Gegensatz hierzu wurde die explizite kaiserliche Zurückweisung einer Anfrage praktisch nie­
mals vom Empfänger selbst in ein dauerhaftes Material übertragen. Solche negativen Mitteilungen
des Herrschers - die nicht selten vorgekommen sein werden - sind uns darum inschriftlich nur
in geringer Zahl überliefert. Dass wir dennoch einige von ihnen kennen, verdanken wir dem inte­
ressanten Phänomen, dass sie an entfernteren Orten abgeschrieben wurden, wo die Bevölkerung
ein Interesse daran hatte, eine kaiserliche Regelung für die Nachwelt zu bewahren, die zwar einer
anderen Gemeinde zum Nachteil gereichte, aber vorteilhafte Formulierungen für die eigene Sache
enthielt. Ein Beispiel hierfür mag genügen: Zwischen 27 und 20 v. Chr. hatten die Bewohner von
Samos bei Augustus durch einen libellus angefragt, ob er ihnen die Freiheit gewähren könne. In sei­
ner subscriptio lehnte der Herrscher das mit dem Hinweis ab, er habe dieses rare Privileg nur den be­
sonders treuen Einwohnern von Aphrodisias verliehen. Die kaiserliche Antwort wurde mit großer
Sicherheit in Samos nicht in einem dauerhaften Material publiziert’9, aber wir kennen sie dennoch,
weil nämlich die Bürger von Aphrodisias diese Mitteilung, die ein großes Lob des Herrschers für
sie selbst enthielt, für bedeutsam genug erachteten, um sie über 200 Jahre später in die Sammlung
der für die Stadtgeschichte wichtigsten Dokumente aufzunehmen, die auf einer Seitenwand des
Bühnengebäudes im städtischen Theater eingeschrieben wurden60.
Drei wichtige Folgerungen ergeben sich aus diesen Beobachtungen: Zunächst ist anzumerken,
dass es auch für andere Parteien als die direkt beteiligten möglich gewesen sein muss, Kopien der
kaiserlichen Schreiben in die Hände zu bekommen, obwohl wir oft nicht genau wissen, wie das im
Einzelnen vor sich ging61. Zum zweiten: Dokumente dieser Art, die auf Papyrus geschrieben waren,
blieben offenbar teilweise für viele Jahre in städtischen oder privaten Archiven liegen, bevor sich
jemand dazu entschloss, sic in Stein einzugravieren. Letzteres geschah oft in Form von Dossiers, die
’ D ie Einwohner von Skaptopara hatten übrigens in ihrer Eingabe den H errscher selbst gebeten, er möge
befehlen, „dass D ein göttliches Schreiben auf einer Stele aufgezeichnet und öffentlich aufgestellt werden sol­
le“ (Z . 1 0 2 -1 0 4 ) . Das kaiserliche Antwortschreiben enthielt dann zwar keine solche Anordnung, aber die
Publikation auf Stein wurde dennoch ausgeführt und war som it wohl vor O r t schon von Anfang an beabsichtigt.
' s Vgl. die in diese Richtung zielende, m.E. überzeugende Interpretation der Zeugnisse durch Walter Scbeidel,
D okum ent und Kontext. Aspekte der historischen Interpretation epigraphischer Quellen am Beispiel der
, Krise des dritten Jahrhunderts', in: RS A 21 (1 9 9 1 ) 1 4 5 -1 6 4 , der sieh gegen die D eutung von Peter H errm ann,
Hilferufe aus römischen Provinzen. Ein Aspekt der Krise des römischen Reiches im 3 .Jahrhundert n .C h r.
(H am burg 1 9 9 0 ) wendet; vgl. ferner Christian Witschel, Krise - Rezession - Stagnation? D er Westen des röm i­
schen Reiches im 3 .Jahrhundert n. Chr. (Frankfurt am M ain 1 9 9 9 ) 6 0 - 6 2 .
Obw ohl der Text Eingang in die N euedition der Inschriften von Samos gefunden hat; s. IG X ü 6, I, 160.
n Joyce Reynolds, Aphrodiasias and Rom e (London 1982) D ok. 13 = Oliver, C onstitu tions Nr. 1.
^ Vgl. etwa einen Brief des Kaisers Antoninus Pius an die Stadt Berenike, der in einet Zusammenfassung der
wichtigsten Punkte auf einem M annorblock - im Rahm en eines Dossiers von Kaiserbriefen - in Kyrcne aufgezeichnet wurde, und zwar offensichtlich deswegen, weil er eine ablehnende Stellungnahm e des Kaisers zur
Aufnahme von Berenike unter die m/wentus-Sridtc der Provinz Creta et Cyrenae wiedergab und dadurch ein
Privileg von Kyrcne bestätigte. Derselbe Stein enthält einen weiteren B rief des A ntoninus Pius aus dem Ja h r
153/54 an Ptolemais, der in Kyrene deswegen in vollem W ortlaut eingraviert wurde, weil er die Ablehnung eines
eigenen Agon in Ptolemais anstatt des provinzweiten, in Kyrene gefeierten zum Inhalt hatte. Vgl .Joyce Reynolds,
Hadrian, Antoninus Pius and the Cyrcnaican Cities, in: J R S 68 (1 9 7 8 ) 1 1 1 -1 2 1 = Oliver, Constitutions
Nr. 122/23.
62
C hristian W itsch e l
mehrere kaiserliche Schriftstücke aus unterschiedlichen Perioden zusammenfassten - im Fall der
,Archivwand* von Aphrodisias reicht die zeitliche Spanne bei den in Stein gravierten Dokumenten
von etwa 4 0 v.Chr. bis in die Regierungszeit des Severus Alexander62. Die hier aufgezeichneten
Dokumente repräsentierten aber sicherlich nicht alle offiziellen Schreiben, die in Aphrodisias vor­
handen waren, sondern spiegelten eine bewusste Selektion durch die lokalen Behörden wider. Neben
solchen städtischen Unternehmungen kennen wir auch eine ganze Reihe von Dossiers, die aufgrund
der Initiative von Einzelpersonen zusammengestellt und in Stein übertragen wurden, um deren
Leistungen zu verewigen. Beispiele für dieses Phänomen sind etwa das sogenannte ,Potamoneion\
ein Monument zu Ehren des hervorragenden Bürgers Potamon von Mytilene auf Lesbos63; eine Stele
mit städtischen Dekreten und einem Brief des Augustus zu Ehren des Menogenes von Sardis6'1; ein
Stein m it einer Reihe von Schriftstücken (darunter ein Brief des Kaisers Caligula) mit Hinweisen
auf die herausragenden Leistungen des Epameinondas von Akraiphia6>; ein vor Kurzem publiziertes
Dossier von Briefen des Kaisers Claudius aus Kos m it Bezug auf den herausragenden Bürger C.
Stertinius Xenophon66; und das wohl spektakulärste M onument unter diesen, das Mausoleum des
Opramoas von Rhodiapolis in Lykien, auf dem nicht weniger als 7 0 Dokumente eingeschrieben
wurden, darunter zwölf Briefe des Antoninus Pius, die Opramoas priesen6 . Offensichtlich wurde
die Auswahl der aufzuzeichnenden Dokumente in diesen Fällen im Wesentlichen von dem betroffe-
62 A u f d e r , Archivwand* im Theater von Aphrodisias wurden zahlreiche Kaiserbriefe und sonstige Schriftstücke,
die in einem Zeitraum von der TViumviratszeit bis in das m ittlere 3 .Jahrhundert entstanden waren, einge­
schrieben; dazu Reynolds , Aphrodiasias (wie Anm. 60) passim. D ie Briefe waren nicht alle an die Aphrodisier
gerichtet: D ok . 10 ist ein Privatbrief Octavians an einen M ann namens Stephanos (wohl ein Beauftragter des
Marcus A ntonius), in dem ein Bürger von Aphrodisias besonders lobend hervorgehoben wird; D ok . 12 ein
B rief des O ctavian an Ephesos mit der Aufforderung zur Rückgabe gestohlener G üter an Aphrodisias; D ok . 13
die subscriptio an die Sam ier (s. oben Anm. 60). D ie Aphrodisier müssen wohl jeweils Abschriften dieser
D okum ente, die in gewissem Maße auch sie betrafen, erhalten haben.
Vgl. Guy L a ba rre , Les cites de Lesbos aux epoques heilcnistique et imperiale (Paris 1996) i 0 9 - 1 1 5 . Trotz des
fragmentarischen Zustands des M onum ents ist erkennbar, dass hier unter anderem - und an prom inenter Stelle
- G esandtschaften zu Caesar und Augustus kom m em oriert wurden, an denen Potam on teilgenom m en hatte,
um Privilegien für seine H eim atstadt zu erreichen.
6'! S. unten Anm . 86. Ein ähnliches, sehr fragmentarisch erhaltenes Dossier, das offenbar Schriftstücke zusam­
menfasste, die m it einer Gesandtschaft der M ilesier zu Kaiser Trajan im W in ter 99 / 1 0 0 zusammenhingen,
ist vor Kurzem vorgelegt worden: Norbert Ehrhardt, Peter Weiß , Trajan, Didym a und M ilet. Neue Fragmente
von Kaiserbriefen und ihr Kontext, in: C hiron 25 (1 9 9 5 ) 3 1 5 - 3 5 5 . Anzufügen ist ein weiteres vergleichbares
D okum ent, näm lich ein Block aus Hadrianopolis Stratonikeia m it drei Briefen des Kaisers Hadrian aus dem
Jahr 127 ( Oliver , C onstitu tion s N r .7 9 -8 1 ). In diesen Briefen wird - neben anderen D ingen - auf- die Rolle
eines Bürgers namens Claudius Candidus Iulianus verwiesen, der im Frühjahr 127 eine städtische Gesandtschaft
zu Fladrian angeführt und die kaiserlichen Briete nach Stratonikeia zurückgebracht sowie dort dem A rchon in
der Volksversammlung übergeben hatte. In dem dritten B rief erwähnt Hadrian ein ihm vorgelegtes D ekret der
Stadt, in dem Candidus belobigt worden war - die Zusam m enstellung und inschriftliche Fixierung des Dossiers
ging som it vermutlich auf die Initiative dieses M annes zurück. Ausgeführt wurde sie aber unter der O b h u t von
städtischen Aufsehern, wie ein Nachsatz zu dem letzten Brief beweist.
^ IG V II 2711 = Oliver , C onstitu tions Nr. 18; zu Epameinondas s. oben Anm . 44.
a- Bosnakis, H a llo f Inschriften (wie A n m .4 6 ); zu Xenoph on , seiner Karriere in Rom und seiner Position auf
Kos vgl. Kostas Buraselis , Kos between Hellenism and Rom e. Studies on the Political, Institutional and Social
H istory of Kos from ca. the M iddle Second C entury B .C . Until Late A ntiquity (Philadelphia 2 0 0 0 ) 6 6 - 1 1 0 .
c‘ Christina Kokkinia, D ie Opram oas-Inschrift von Rhodiapolis. Euergetismus und soziale Elite in Lykien (Bonn
2000 ).
D e r K a i s e r u n d d ie I n s c h r i f t e n
63
nen Mann selbst oder seinen Verwandten vorgenommen** - und dies mussten nicht unbedingt die
bedeutsamsten kaiserlichen Mitteilungen sein, sondern diejenigen, die einen Bezug zu der jeweils
geehrten Person aufwiesen, auch wenn es sich dabei wie im Falle des Opramoas um mehr oder m in­
der routinemäßige Botschaften handelte.
Ein dritter Punkt: Dossiers dieser Art waren augenscheinlich hauptsächlich im östlichen, grie­
chischsprachigen Teil des Imperium Romanum verbreitet69. Auch die Praxis, längere Beschlüsse
der städtischen Institutionen, die häufig herausragende Bürger mit besonderen Beziehungen zum
Herrscher ehrten und die einen wichtigen Bestandteil der soeben angesprochenen Dossiers bilde­
ten, inschriftlich aufzuzeichnen, war nach Ausweis der erhaltenen Inschriften weitgehend auf den
Osten des Reiches beschränkt, wo sie eine längere Tradition besaß
Für diese ungleiche Verteilung
ist vermutlich nicht zuletzt die Wahl des bevorzugten Beschreibstofles verantwortlich: Im Osten
war Stein ein gerne genutztes Material für die Aufzeichnung kaiserlicher Mitteilungen und ver­
wandter Dokum ente; diese haben sich daher in einiger Zahl erhalten. Im Westen war es hingegen
üblicher, wichtige Schriftstücke, insbesondere diejenigen, die vom Kaiser ausgingen, in Bronze ein­
zugravieren. Bronze aber hatte aufgrund des besonderen Materialwertes erheblich weniger Chancen
als Stein, die Zeiten unbeschadet zu überstehen. Das mag ebenfalls ein Grund dafür sein, dass wir
weit mehr ausführliche kaiserliche Schriftstücke aus den östlichen Provinzen 1 als aus dem Westen
kennen, auch wenn sich das Bild in den letzten Jahren durch die spektakulären Neufunde von
Bronzetafeln in Hispanien nicht unerheblich gewandelt hat72. Nichtsdestotrotz bleibt die Tatsache
bestehen, dass die Zahl ausführlicher Dokumente im Osten viel höher ist und wir somit für die­
sen Raum deutlich besser über bestimmte Details etwa des Kaiserkults oder der Kommunikation
6S D eutlich erkennbar ist dies auch bei der tabula Banasitana, einer in der Provinz Mauretania I ingicana ge­
fundenen Bronzetafel, die Abschriften (exempla) zweier Briefe der Kaiser M arc Aurel und Lucius Vcrus bzw.
Marc Aurel und Com m odus sowie einen beglaubigten Auszug aus dem kaiserlichen commentarius civitate
Rom ana donatorum enthält (A E 1971, 5 3 4 - IA M II 9 4 ; vgl. W illiam Seston, M aurice Euzennat, Un dossier
de la chancclleric romainc. La tabula Banasitana. Etude diplomatique, in: C R A I [1 9 7 1 ] 4 6 8 - 4 9 0 ) . H ierin geht
es um die Bürgerrechtsverleihung an führende Angehörige des lokalen Stammes der Zegrenses und an deren
Familienmitglieder. D ie Anfrage auf Gewährung dieses Privilegs w aran die Kaiser durch Bittschriften {libelli) der
betroffenen Personen herangetragen worden, welche wiederum durch den Statthalter in einem Brief ( epistula )
unterstützt wurden. D ie Kaiser antworteten ihrerseits jeweils brieflich an den Statthalter; aber die Entscheidung,
alle diese D okum ente au f einer Bronzetafel einzugravieren und dadurch die Bürgerrechtsverleihung längerfristig
festzuhaken, wurde sicherlich durch die hiervon direkt begünstigten Personen getroffen.
Eine der wenigen Ausnahmen im Westen stellt der bekannte »Marbre de Thorigny* (C IL X I I I 3 1 6 2 ) dar, eine
Statuenbasis zu Ehren des T. Sennius Sollemnis, auf deren beiden Seiten exempla von Briefen hochrangiger
Funktionäre, die den G eehrten betrafen, eingraviert wurden; vgl. Elans-Georg Pflaum, Le marbre de Thorignv
(Paris 1948). S. ferner C IL V I 1585 = IL S 59 2 0 .
S. aber unten Anm . 106 zu den decreta Pisana. Zu den relativ wenigen inschriftlich überlieferten Beschlüssen
städtischer Behörden aus dem W esten des Reiches, von denen einige auch Ehrungen für das Kaiserhaus betrafen,
vgl. zusammenfassend R obert K. Sherk, The M unicipal D ecrees of the Rom an West (Buffalo 197 0 ).
1 Vgl. dazu das bei Sherk, D ocum ents (wie Anm. 30) und Oliver , C onstitu tion s gesammelte Material.
" Es bleibt die Frage, warum gerade in Flispanien und insbesondere in der Baetica so viele Bronzetafen gefunden
wurden: Entweder sind hier die Fundumstände günstiger als in anderen Regionen (etwa durch die Abgelegenhcit
vieler antiker Stätten und die vermehrten Aktivitäten von Flobbv-,Archäologen m it M etalldetektoren in den
letzten Jahren), oder aber es gab hier in der Antike tatsächlich eine größere Anzahl solcher epigraphischen
Monumente als in anderen Provinzen des Reiches, sei es nun wegen des besonderen (M etaü)R eichtum s des
Gebietes oder aufgrund einer speziellen Ausprägung des epigraphie habit. Vgl. dazu die Diskussion bei Francisco
Beiträn [Joris, Inscripciones sobre bronce. ;U n rasgo caracteristico de la cuitura epigräfica de las ciudades hispanas?, in: A tti del X I Congrcsso Internazionale di Epigrafia G reca c Latina, Rom a 199 7 , B d .2 (Rom 1999)
2 1 -3 7 .
64
C hristian W itsch e l
zwischen Einzelpersonen, Gemeinden und dem Kaiser informiert sind als Kir den Westen. Das
epigraphische Queilenmaterial im Westen ist stärker auf Ehren-, Weih-, und Bauinschriften be­
schränke, die m it ihren eher kurzen und formelhaften Wendungen die ausführlichen Angaben
der griechischen Inschriften vermissen lassen. Dennoch ist davon auszugehen (und bisweilen auch
nachzuweisen), dass die Mechanismen, die bei der Entstehung des kaiserlichen .Images1 und da­
mit auch der auf den Kaiser bezogenen Inschriften am Werk waren, insbesondere der beständige
Austausch zwischen Zentrale und Peripherie durch Gesandtschaften zum Kaiser \ die Rolle der
Statthalter als Vermittler"f oder das Wirken herausragender lokaler Persönlichkeiten mit besonde-
Vgl. G abriele Z iethen , G esandte vor Kaiser und Senat. Studien zum röm ischen Gesandtschaftswesen zwischen
3 0 v. Chr. und 117 n .C h r. (St. Katharinen 1994). In Bezug auf den W estendes Reiches finden sich einige Angaben
zu G esandtschaften in den literarischen Quellen. So können wir sehen, dass der Einrichtungdes Kaiserkultes auf
provinzialer Ebene (vgl. unten Anm. 176) in H ispanicn mehrfach Reisen von Gesandten nach Rom vorausgin­
gen, die im Falle der Provinz Hispania citerior im Jahre 15 n. Chr. positiv beschieden wurden (Tac. ann. 1 ,7 8 ,
1), während wenig später die Abgesandten der Provinz Baetica bei der Einrichtung eines Tempels für den regie­
renden Kaiser Tiberius keinen Erfolg hatten - trotz des Verweises auf das Vorbild von Asia (Tac. ann. 4, 37h ).
D ie sich hier andeutenden Querverbindungen zwischen O st und W est lassen sich durch ein konkretes Beispiel
untermauern: Im Jahre 2 6 v. Chr. beschloss die Stadt M ytilene aut Lesbos umfangreiche Ehrungen für Augustus.
Das D ekret enthielt gleichzeitig die implizite Aufforderung, nach noch göttlicheren Ehren für den Kaiser zu
suchen. Inschriftliche Kopien des Beschlusses sollten an mehreren O rten errichtet werden, darunter auch in
Tarraco, wo sich Augustus zu dieser Z e it aufhielt (IG X II 2, 58 = Labarre, Lesbos [wie Anm. 6 3 ] 2 8 5 - 2 8 7
Nr. 2 1 ). Fine weitere Inschrift aus M ytilene erwähnt tatsächlich eine städtische Gesandtschaft nach Tarraco (IG
X II 2, 4 4 ; dazu Labarre , Lesbos (wie Anm. 63] 104f., 112). Diese dürfte dem Kaiser das D ekret überreicht und
gleichzeitig die Kopie in der Stadt publik gemacht haben. Das war offenbar wiederum ein Anlass für die Bürger
von Tarraco, bald darauf selbst einen munizipalen Kult für Augustus einzurichten, als dessen Zentrum ein g ro­
ßer, aus literarischen und numismatischen Q uellen bekannter Altar fungierte: Q u in t, inst. 6, 3, 7 7 ; Duncan
Fishwick , The Imperial C u lt in the Latin West. Studies in the Ruler C u lt of the Western Provinces of the Rom an
Empire, Bd. L i (Leiden 1 9 8 7 ) 1 7 1 - 1 7 9 ; ders., Four Temples at Tarraco, in: Alastair Sm all (H g.), Subject and
Ruler. The C ult of the Ruling Power in Classical A ntiquity (A nn A rbor 1996) 1 6 5 -1 8 4 .
7) Zu der wichtigen Rolle der Provinzgouverneure bei der Erstellung von epigraphischen M onum enten zur
Verherrlichung des Kaisers und bei der Verbreitung entsprechender Botschaften in den östlichen Provinzen des
Reiches s. oben Anm. 2 9 und 30. Vergleichbare Phänom ene finden wir beispielsweise während der augusteischen
Epoche im Nordwesten Hispanicns, wo verschiedene „Statthalter M onum ente zu Ehren des Princeps errichteten
(s. ferner unten Anm . 138). So stellte derselbe Paullus Fabius Maximus, der wenige Jah re zuvor in der Provinz
Asia eine Kalenderreform zu Ehren des Augustus vorgeschlagen hatte, zwischen 4 und 1 v.Chr. als Statthalter
der H ispania citerior in Lucus Augusti drei Inschriften für den Kaiser auf. D ie Funktion dieser Steine ist nicht
ganz klar; nich t zuletzt deswegen, weil bei keinem der Anfang der Inschrift zweifelsfrei gesichert ist und somit
offen bleibt, ob es sich um Ehren- oder W eiheinschriften oder aber um eine A rt von Erinnerungsm onum enten
an die Stadtgründung handelte: C IL II 2581 = IR Lugo 19; IR Lugo 2 0 ; A E 1993, 1030 = H E p 4, 5 0 3 = EiEp
7, 3 9 9 = H Ep 8, 3 3 5 ; dazu Antonio Rodriguez Cohnenero , M aria Covadonga Carreno Gascon, Sobre Paulo
Fabio M äxim o y la fundaeiön de Lucus Augusti. Nuevos testim onies, in: Fernando Acuna Castroviejo (H g.),
Finis Terrae. Estudios en lembranza do Prof. Dr. A. Balil (Santiago de C om postela 1992) 3 8 9 - 4 1 5 - In Bracara
Augusta (Braga) wurde ein Rundaltar gefunden, der dem Augustus von den Bracaraugustani geweiht wurde, w o­
bei die D edikation am G eburtstag des Statthalters Fabius Maximus erfolgte: EphEp V III 2 8 0 = IL S 8 8 9 5 . Am
äußersten Rand Galiciens, au f dem Kap Finisterre, hatte bereits L. Sestius Quirinalis, Statthalter der Hispania
ulterior zwischen 22 und 19 v. Chr., eine G ruppe von drei - offenbar m onum entalen - Airären errichtet, deren
W idm ung m it Augustus in Verbindung stand und die später nach dem Stifter arae Sestianae benannt wurden.
S. Plin. nat. 3, 111; Pomp. Mela 3, 13; Ptolem. 2, 6, 3; dazu Andreas Grüner, D ie Altäre des L. Sestius Quirinalis
bei Kap Finisterre. Zur geopolitischen Konstruktion des römischen Herrschaftsraums, in: M D A I(M ) 4 6 (2 0 0 5 )
2 4 7 -2 6 6 .
D e r K a i s e r u n d d ie I n s c h r i f t e n
65
rcn Nahbeziehungen zum Herrscher \ im Westen nicht deutlich anders strukturiert waren als im
Osten, auch wenn wir sic oft nicht im Detail dokumentieren können. Es ist daher von um so grö­
ßerer Bedeutung, die einzelnen Teile des Reiches nicht isoliert zu betrachten, sondern die teilweise
immer noch spürbare Trennung zwischen lateinischer und griechischer Epigraphik zu überwinden.
Als Zwischenfazit lässt sich somit festhalten, dass es zahllose kaiserliche Schreiben gegeben
haben muss, die sich oft mit eher kleintciligcn oder nur in einem begrenzten regionalen Kontext
bedeutsamen Angelegenheiten beschäftigten. Den Inhalt dieser Botschaften hat der Herrscher zu­
mindest mitbestimmt, denn es ist auf-jeden Fall davon auszugehen, dass die Formulierungen eines
solchen Schreibens nichts enthielten, was seinem W illen und auch seinen generellen Vorstellungen
zuwiderlief. O b allerdings ein solches kaiserliches Schriftstück inschriftlich aufgezeichnet und da­
durch Teil eines epigraphischen Monuments wurde, konnte der Kaiser in der Regel kaum von sich
aus dekretieren oder auch nur beeinflussen. Hierfür war vielmehr ein Selektionsprozess auf der loka­
len Ebene, also bei dem oder den Empfängern, verantwortlich, innerhalb dessen - und oft erst Jahre
später - entschieden wurde, welche Botschaften es wert waren, auf kostspielige Weise verewigt zu
werden. Auch die Form, die diese inschriftliche Präsentation nahm - etwa als Bronzetafel, die am
Forum ausgehängt wurde, oder aber als Teil eines Dossiers mit zahlreichen weiteren Schriftstücken
am Grabbau eines lokalen Notablen - wurde in der Regel vor O rt bestimmt, und in den meisten
Fällen dürfte der Herrscher hiervon gar nichts gewusst haben. Nur selten ist hingegen explizit be­
legt, dass der Kaiser selbst bei einem solchen Vorgang die Initiative ergriff. Ein vereinzeltes Zeugnis
hierfür ist ein Brief des Kaisers Septimius Severus an die Stadt Aizanoi 6: Der Princeps hatte durch
eine Gesandtschaft der Aizanites einen Beschluss der Gemeinde erhalten, der von einem Fest sowie
Dankopfern für seine Siege und die Erhebung des Caracalla zum Caesar handelte. Da zeitgleich
mit der städtischen Gesandtschaft auch eine weitere Siegesnachricht eingetroffen war, nahm der
Kaiser diese frohe Botschaft umgehend in seinen Antwortbrief auf und äußerte die Hoffnung, das
Schreiben - und damit die Verkündigung seines erneuten Sieges - möge bei den örtlichen Göttern
von Aizanoi verwahrt werden. Tatsächlich wurde dort der B rief des Kaisers in die Wand eines der
Haupttempel der Stadt eingemeißelt, auch wenn dies der Herrscher so deutlich nicht eingefordert
hatte.
Etwas anders stellt sich die Situation bei kaiserlichen Edikten dar, die entweder an bestimmte
Gebiete gerichtet waren oder aber reichsweit gelten sollten. Auch diese kaiserlichen Entscheidungen
' Besonders auffällig ist die Rolle einiger herausragender Persönlichkeiten m it lokalen W urzeln und guten
Beziehungen zum H errscher bei der Umgestaltung von Stadtbildern sowie der Einführung des Kaiserkultes
während der augusteischen Epoche in den Städten G riechenlands und Kleinasiens. Sie gehörten vielfach der
von Caesar oder Augustus m it dem römischen Bürgerrecht ausgezeichneten E lk e der C . Iulii an und sind
durch zahlreiche epigraphische Zeugnisse in ihren H eim atgemeinden gut dokum entiert; vgl. Louis Robert ,
Inscriptions d’Aphrodisias, in: A n tC f 35 (1 9 6 6 ) 4 1 3 - 4 3 3 . Prom inente Vertreter dieser G ruppe waren beispiels­
weise C. Iulius Eurykles in Sparta ( Christian Böhm e , Princeps und Polis. Untersuchungen zur H errschaftsform
des Augustus über bedeutende O rte in G riechenland [M ünchen 1995] 7 6 - 8 2 ) , der kaiserliche Freigelassene C.
Iulius Zoilos in Aphrodisias (zusammenfassend R oland R. R. Sm ith , The M onum ent of C . Iulius Z oilos [M ainz
1993] 4 - 1 3 ) sowie C . Iulius Epikrates in M ilet ( Peter HeiTmann , M ilet unter Augustus. C . Iulius Epikrates und
die Anfänge des Kaiserkults, in: M D A I[I] 4 4 [1 9 9 4 ] 2 0 3 - 2 3 6 ) . Vergleichbare Personen gab es aber auch im
Westen des Reiches. Gerade in G allien ist die lokale A ristokratie der C . Iulii ebenfalls recht gut beiegt, und zu­
mindest an manchen O rten wie in Saintes ist ihre Rolle bei der Verherrlichungdes Kaiserhauses und dem damit
verbundenen urbanistischen Ausbau der Städte genauer zu fassen; vgl. hierzu Witsche!, Augustus 7 0 - 7 2 ; sowie
all gemein R obert Bedon, Les viiles des trois Gaules de Cesar ä N eron dans leur contexte historique, territorial et
politique (Paris 1999) bes. 2 1 1 - 2 1 8 , 2 2 7 f , 235(>IG R I V 5 6 6 = Oliver , C onstitu tions N r.213.
66
C hristian W itsch cl
reagierten nicht selten auf an den Herrscher herangetragene Missstände, aber hierbei war seine eige­
ne Initiative wesentlich deutlicher ausgeprägt und insofern auch sein Interesse, solche Anordnungen
- gerade diejenigen, die für das gesamte Imperium bestimmt waren - bekannt zu machen. So ver­
fügte ein nur literarisch (bei Flavius Josephus) " überliefertes, angeblich für alle Provinzen gültiges
Edikt des Kaisers Claudius über die Juden: „Ich wünsche, dass die Beamten der Städte (poleis) und
der Kolonien und der municipia sowohl in Italien als auch außerhalb, sowie (Klientel)Könige und
Dynasten durch ihre eigenen Gesandten dafür Sorge tragen, dass dieses mein Edikt aufgeschrieben
{engrapsasthai) und dass es dann ausgehängt wird für nicht weniger als 30 Tage (an einem O rt),
wo es vom Boden aus gut gelesen werden kann.“'* H ierm it war aber wohl nicht notwendigerwei­
se eine Fassung in einem dauerhaften Material verbunden, denn für die geforderte dreißigtägige
Bekanntmachung dürfte es ausgereicht haben, den Text auf eine Holztafel zu übertragen und diese
öffentlich aufzustellen 9. O b es dann noch zu einer inschriftlichen Fixierung des entsprechenden
Textes kam, hing erneut vornehmlich von lokalen Gegebenheiten ab, und sie scheint nur dann
erfolgt zu sein, wenn eine der hiervon direkt betroffenen Parteien ein besonderes Interesse daran
hatte. Ein Beispiel hierfür bietet ein erst vor Kurzem bekannt gewordenes Edikt des Augustus aus
dem Jahre 15 v. Chr.80, das sich auf einer Bronzetafel im nordwestlichen Hispanien, genauer gesagt
in der Region El Bierzo (d.h. am westlichen Rand des conventus Asturum) gefunden hat, einem
Gebiet, das erst etwa zehn Jahre zuvor unter römische Herrschaft gekommen war. In dem Edikt,
das in Narbo (Narbonne) ausgegeben worden war, wo sich der Kaiser im Februar 15 v.Chr. auf­
hielt, traf Augustus einige detaillierte Regelungen bezüglich einer kleinen indigenen Gemeinde,
des castelluni Paemeiobriga, welches zur gens der Susarri gehörte, und verlieh ihr das bedeutende
Privileg der immunitas. Die ganze Angelegenheit war sicherlich nur von lokalem Interesse und wur­
de dem Princeps vermutlich entweder von den Paemeiobrigenses selbst oder eher vom zuständigen
Statthalter zur Kenntnis gebracht. Augustus scheint im Übrigen im gleichen Kontext auch weitere,
ähnliche Angelegenheiten entschieden zu haben, so dass der vorliegende Text vermutlich nur einen
Auszug aus einem längeren Schriftstück darstellt, das auch die anderen Beschlüsse des Herrschers
enthielt. Dass aber gerade die Paemeiobrigenses sich dazu entschieden, den sie betreffenden Passus
~ los. ant. lud. 19, 2 8 7 - 2 9 1 = Oliver , Constitutions App. 5. D ie A uthentizität dieses Dokum ents ist allerdings
umstritten.
* In ähnlicher Weise wird am Ende eines Edikts des Severus Alexander(?), das sich au f einem Papyrus aus
dem Fayum - wie klar ersichtlich ist, handelt es sich um eine lokale Abschrift - erhalten hat, verfügt ( Oliver ,
C onstitu tions Nr. 2 7 5 ): „D ie Beam ten jeder Stadt mögen dafür Sorge tragen, dass eine Kopie meines Edikts an
einem öffentlichen Platz angebracht wird, und zwar dort, wo sie für die Betrachter/Leser am besten sichtbar ist“
79 So wissen wir durch die Stadtgesetze der flavischcn Z e it aus H ispanien, dass die dortigen G em eindebeam ten
dazu verpflichtet waren, die Anordnungen des Statthalters (darunter auch seine edicta , die wiederum nicht sel­
ten Anweisungen des Kaisers aufgriffen) in ihrer Stadt für eine bestimm te Z e it öffentlich bekanntzum achen,
und zwar offenbar au f Flolztafeln oder einem ähnlichen, leicht bewegbaren M aterial (s. lex Irnitana cap. 8 5 ).
Eine Anordnung (entw eder ein Reskript oder ein Edikt) des Kaisers Vespasian zum reichsweiten Schutz der
Ärzte sollte aufgrund seines eigenen Befehls auf einer H olztafel (en leuköm ati) bekannt gemacht werden - offen­
bar zunächst in Rom aut dem Kapitol, während sich die erhaltene Abschrift aut einem Stein befindet, der in
Pergamon geborgen wurde {Oliver, Constitutions Nr. 3 8 ).
:s;i AE 1999, 9 1 5 = A E 2 0 0 0 , 7 6 9 ; dazu Geza Alfoldy , Das neue Edikt des Augustus aus El Bierzo in Hispanien,
in: Z P E 131 (2 0 0 0 ) 1 7 7 - 2 0 5 ; ders., Fasti und Verwaltung der hispanischen Provinzen. Zum heutigen Stand der
Forschung, in; RudolfH aensch, Johannes Heinrichs (H g.), Herrschen und Verwaltung. D er Alltag der römischen
Adm inistration in der römischen Kaiserzeit (K öln u.a. 2 0 0 7 ) 3 2 8 (jeweils m it weiterer Literatur); terner Felice
Costabile, Orazio L icandro , Tessera Paemeiobrigensis. Un nuovo ed itto Augusto dalla transduriana provincia e
I’im penum proconsulate del princeps (R om 2 0 0 0 ).
D e r K a i s e r u n d d ie I n s c h r i f t e n
67
in Bronze aufzuzeichnen und in ihrem castrum zu präsentieren (wo die Inschrift auch gefunden
wurde), hing sicherlich mit der für sie äußerst vorteilhaften Entscheidung des Augustus sowie sei­
nen lobenden W orten zusammen. Die Paemeiobrigenses werden allerdings die Bronzetafel kaum
selbst angefertigt haben, da in einer zu diesem Zeitpunkt noch kaum von der Inschriftenpraxis
berührten Region die hierzu nötigen Kenntnisse gefehlt haben dürften. Vermutlich war es auch
hier der Statthalter, der aushaif; einige Fehler im Text, die offenbar auf den Abschreibevorgang zurückzuführen sind, machen jedenfalls klar, dass es sich kaum um eine von der kaiserlichen Kanzlei
ausgesandte Kopie gehandelt haben kann'5i. Aufgrund dieser Gegebenheiten ist die Zahl der durch
Inschriften bekannten kaiserlichen Edikte, vor allem der reichsweit gültigen General-Edikte, tat­
sächlich vergleichsweise gering82.
Letzterer gilt nun gerade nicht für die kleinformatigen Bronzeurkunden (die sogenannten
Militärdiplome), die Veteranen vornehmlich der Auxiliartruppen ausgehändigt bekamen, um dau­
erhaft zu dokumentieren, dass sie vom Herrscher das Bürgerrecht erhalten hatten83. Die Zahl dieser
Militärdiplome ist in den letzten Jahren durch Neufunde stark angewachsen. Obwohl die erhaltenen
Diplome nach wie vor nur einen Bruchteil der einstmals existierenden Dokumente repräsentieren
dürften, ist mittlerweile doch davon auszugehen, dass die allermeisten entlassenen Soldaten eine sol­
che Urkunde erhielten und an ihren Alterswohnsitz mitnahmen. Die Militärdiplome waren selbst
wiederum beglaubigte Abschriften der kaiserlichen Bürgerrechts-Konstitutionen, die auf großen
Bronzetafeln in Rom publik gemacht worden waren, von denen sich aber fast keine Reste erhalten
haben8'. Da letztere direkt aus der kaiserlichen Kanzlei stammten, sind die Militärdiplome unsere
beste Quelle für die offizielle Ausprägung der Kaisertitulatur (vgl. unten Kap. 6). Gleichzeitig kön­
nen sie demonstrieren, welch hoher Aufwand an schriftlicher Kommunikation in der kaiserlichen
Verwaltung (und unter Einbeziehung des Princeps selbst) getrieben wurde - bis hin zur massenhaf­
ten Anfertigung von Bronzeurkunden im Namen des Herrschers, welche aber offenbar von privaten
Unternehmern durchgeführt wurde85.
Ein weiteres Beispiel für einen solchen Vorgang .stellt ein Edikt dar, das Augustus und Agrippa im Jahre 2 7
v. Chr. als Konsuln (wohl in Umsetzung eines zuvor ergangenen senatus consultum) erlassen hatten und das die
Rückgabe geraubter G üter insbesondere an H eiligtüm er - offenbar im gesamten Reich - betrat. Gefunden
wurde eine Abschrift auf einer Stele in Kyme (Asia), auf der unter dem Edikt ein weiteres Schriftstück aufge­
zeichnet wurde, näm lich ein B rief des Prokonsuls von Asia an die M agistrate von Kyme, in dem dieser (unter
Bezugnahme au f das iussum Augusti Caesaris , also aut den Erlass des Kaisers, der som it in der Provinz bereits
bekannt war) auf die Rückgabe des lokalen Heiligtums des Dionysos an den Verein der Thiasitai drängte. Die
Aufstellung der Stele - wahrscheinlich vor dem zurückgewonnenen Tempel - m it den beiden Schriftstücken
wurde dann offenbar von den Dionysos-Anhängern selbst vorgenommen, nachdem sie ihr Anliegen zu einem er­
folgreichen Abschluss gebracht hatten. S. IKyme (IK 5) 17; dazu A dalberto Giovannini>Les pouvoirs d’Auguste
de 2 7 ä 23 av .J.-C . Une relecture de Fordonancc de Kyme de lan 27, in: Z P E 124 (1 9 9 9 ) 9 5 - 1 0 6 .
i'" Zu der relativ kleinen Zahl von erhaltenen, reichsweit gültigen kaiserlichen Edikten der frühen Kaiserzeit vgl.
Fergus M illar, The Em peror in che Roman World (London 1977) 2 5 2 - 2 5 9 . Dies könnte zumindest teilweise
eine Folge der geschilderten Aufzeichnungspraxis sein und muss nicht unbedingt dafür sprechen, dass solche auf
die Initiative des H errschers zurückgehenden G eneraledikte nur selten erlassen wurden.
Zu den M ilitärdiplom en vgl. allgemein Werner Eck , Flartm ut WoI ff [W g.), H eer und Integrationspolitik. Die
römischen M ilitärdiplom e als historische Quelle (K öln, W ien 1 9 86); M ichael A. Speidel, Alfred M. Flirt (Flg.),
Militärdiplome. D ie Fovschungsbeiträge der Berner Gespräche von 2 0 0 4 (Stuttgart 2 0 0 7 ).
M Dazu s. oben Anm. 4.
50 Vgl. zu den administrativen Abläufen zusammenfassend Werner Eck, D ie Ausstellung von Bürgerrechts­
konstitutionen. Ein Blick in den Arbeitsalltag des römischen Kaisers, in: Ansehno Bnroni (H g .), Amministrare
un Impero. Rom a e le sue province (T ren to 2 0 0 7 ) 8 9 - 1 0 8 .
C hristian W itsch e l
68
W ie rasch sich generell Botschaften bezüglich des Kaiserhauses verbreiten konnten, die dann
in epigraphische Monumente umgesetzt wurden und entsprechende Reaktionen von seiten der
Untertanen hervorriefen, soll zum Schluss dieses Abschnitts anhand eines konkreten Beispiels aus
dem frühen Prinzipat noch etwas ausführlicher erläutert «'erden. Augustus hatte bekanntlich seine
beiden Enkel Caius und Lucius adoptiert und versucht, sic 7.11 seinen präsumtiven Nachfolgern aufzubauen. Ein wichtiger Akt hierbei war der Empfang der toga virilis durch Caius Caesar im Sommer
5 v.Chr., verbunden mit seiner feierlichen Einführung durch den Kaiser vor Volk und Senat sowie
seiner Ernennung zum princeps iiwentutis. Nur kurze Zeit später wurde in Sardis in der Provinz
Asia ein Volksbeschluss in dieser Angelegenheit gefasst. Darin lesen wir, dass die Menschen in der
Stadt durch die Meldung, Caius Caesar habe die toga virilis angelegt, in freudige Stimmung versetzt
worden seien und noch am gleichen Tag beschlossen hätten, dass derjenige 'Lag, „der ihn vom Kind
zum Mann machte“, heilig sein und zukünftig jährlich als Festtag begangen werden solle, sowie ihm
ein agalma im Tempel des Vaters (Augustus) zu weihen. Auch der Tag, an dem die gute Nachricht
in Sardis eingetroffen war, sollte feierlich begangen werden. Zudem wollte man möglichst bald
eine Gesandtschaft nach Rom senden, um Caius Caesar und Augustus zu gratulieren, ihnen eine
Abschrift des Dekrets zu überreichen und mit dem Kaiser über das zu sprechen, was dem asiatischen
koinon sowie der Stadt Nutzen bringen könne. Der Tatsache, dass Menogenes als einer der beiden
Gesandten ausgewählt wurde, verdankt das Dekret seine inschriftliche Fassung. Es wurde nämlich
später zusammen mit dem Antwortschreiben des Augustus an die Magistrate und Boule von Sardis,
in dem der Kaiser die Gesandten erwähnte und lobende W orte für die Stadt fand, in das auf einer
Stele eingravierte Dossier von insgesamt zwölf Schriftstücken zu Ehren des Menogenes aufgenom­
men (s. oben)86. Andere Gemeinden reagierten ähnlich bzw. gingen sogar noch einen Schritt weiter:
Im Heraion von Samos hat sich ein fragmentierter Stein gefunden, der einen Volksbeschluss der
Samier überliefert87. Auch hier ist von der feierlichen Begehung eines besonderen Tages die Rede
und davon, dass die Samier wie alle Menschen durch eine frohe Botschaft - vermutlich die ebenfalls
im Jahre 5 v. Chr. erfolgte Übernahme des 12. Konsulats durch Augustus, die das Präludium für die
feierliche Einführung des Caius Caesar bildete - in Hochstimmung versetzt worden seien, worauf
der Tag zum Festtag erklärt worden sei. Zusätzlich sollte die loyale Haltung der Samier gegenüber
dem Kaiser und seiner Familie durch einen Eid bekräftigt werden, dessen Einzelheiten festgelegt
wurden. Schließlich sollte eine Gesandtschaft zum Kaiser geschickt werden, um ihm das städtische
Dekret zu überreichen und die „Mitfreude“ der Samier zum Ausdruck zu bringen. Zwei Stelen mit
Abschriften des Beschlusses sollten im städtischen Tempel der Roma und des Augustus sowie im
Heraion aufgestellt werden. Besonders interessant ist hier die Erwähnung eines .Treueeides' der
Einwohner von Samos, der offenbar durch das freudige Ereignis im Kaiserhaus ausgelöst wurde.
Ähnliche ,Kaisereide' sind uns gerade aus der frühen Kaiserzeit auch aus anderen Orten des Reiches
in einer inschriftlichen Fassung bekannt8*1. Die Frage, die sich hierbei stellt, ist, ob es sich bei solchen
8t’ I G R I V 1756 = W illiam H. Buckler, D avid M. Robinson, Sardis, Bd. 7 .1 : G reek and Latin Inscriptions (Leiden
1932) 1 6 - 2 7 Nr. 8; der B rief des Augustus auch in Oliver, C onstitu tion s Nr. 7.
' IG X [ 1 6, 1 ,7 ; dazu mit ausführlichem Kom m entar Peter Herrmann, D ie Inschriften röm ischer Z eit aus dem
Heraion von Samos, in: M D A I(A ) 7 5 (1 9 6 0 ) 7 0 - 8 2 Nr. 1 -2 .
** Vgl. zusammeniassend Peter hhrrm ann , D er römische Kaisereid. Untersuchungen zu seiner H erkunft und
Entwicklung (G öttin gen 1968);/ «'/ L e Gail, Le serment ä l’Empcreur. Une base m cconnue de la tyrannie im ­
periale sous le H aut-Em pire?, in: C C G 1 (1 9 9 0 ) 1 6 5 - 1 8 0 ; H ubert Cancik, D er Kaiser-Eid. Zur Praxis der rö ­
mischen H errschcrvcrehrung, in: Ders., Konrad H itzl (H g .), D ie Praxis der H crrscherverehrung in Rom und
seinen Provinzen (Tübingen 2 0 0 3 ) 2 9 - 4 5 .
D e r K a i s e r u n d d ie I n s c h r i f t e n
69
Aktionen um mehr oder minder spontane Aktivitäten einzelner Gemeinden oder um eine von oben
angeordnete und koordinierte Maßnahme handelte. Inzwischen ist nämlich aus dem Westen des
Reiches ein weiterer inschriftlich aufgezeichneter Kaisereid bekannt geworden, der offensichtlich
in denselben chronologischen Kontext (d.h. in die Zeit um oder kurz nach 5 v. Chr.) gehört. Er
wurde in der baetischen Gemeinde Conobaria auf einer Bronzetafel eingraviert und enthält eine
lateinische Eidesformel, die mit der griechischen allerdings nicht völlig identisch ist89. Dennoch
hat der Erstherausgeber aus der zeitlichen Koinzidenz gefolgert, solche Eidesleistungen seien nicht
spontan, sondern auf Wunsch oder gar Anweisung des Kaisers erfolgt9'1. M ir scheint in dieser Frage
eine mittlere Position am ehesten angebracht zu sein: Die meisten Eide wurden wohl nicht völlig
spontan ausgesprochen, sondern folgten Vorgaben aus Rom oder Initiativen von Statthaltern. Diese
müssen aber keine genauen Anweisungen gewesen sein, denn es reichte wohl in der Regel aus, dass
eine Nachricht über ein besonderes, das Kaiserhaus betreffendes Ereignis in den Provinzen eintraf,
um dort die entsprechenden Mechanismen der Loyalitätserweisung (eventuell unter Mitwirkung
des Statthalters) in Gang zu setzen, in die durchaus lokale Vorstellungen einfließen konnten.
Letzteres galt mit Sicherheit auch für die Entscheidung, den performativen Akt der Eidesleistung in
das dauerhafte Medium einer Inschrift zu überführen.
Die dynastischen Entwicklungen im Kaiserhaus wurden also in den Städten des Reiches genau
registriert, und man reagierte hierauf sehr rasch mit einer Fülle von Ehrungen für die beiden jungen
Söhne des Augustus, die uns wiederum vor allem durch epigraphische Zeugnisse bekannt sind und
von denen hier nur wenige vorgestcllt werden können. In einigen Fällen scheinen hierbei erneut die
Provinzialmagistrate eine wichtige Rolle gespielt zu haben. So erfahren wir aus einem Dekret der
Stadt Mcssene, dass ein quaestor pro pmetore , der sich bereits wiederholt bei der Feier des Kaisers
hervorgetan hatte, nach dem Empfang von Nachrichten über die kriegerischen Erfolge des Caius
Caesar an der Ostgrenze des Reiches im Jahre 2 n. Chr. Anweisung an alle Menschen gab, sich zu
bekränzen und O pfer darzubringen sowie einen Festtag einzurichten91. M it Sicherheit nicht von
oben gesteuert waren aber zahlreiche weitere Ehrungen für die beiden Prinzen, die überall im Reich
vorgenommen wurden und sehr unterschiedliche Formen annehmen konnten. M it Blick auf den
Osten fallen hierbei insbesondere die an vielen Orten frühzeitig eingerichteten Kulte auf. Der oben
erwähnte Volksbeschluss der Samier etwa zeigt, dass es bereits im Jahre 5 v. Chr. einen Priester des
Augustus, des Caius Caesar und des Agrippa in der Stadt gab9’. Als neos tbeos wurde Caius Caesar augenscheinlich zu Lebzeiten - auf einer ihm vom Demos von Xanthos gewidmeten Statuenbasis
im lykischen Letoon angesprochen, und ebenso auf einem Altar, den ihm das Volk von Halasarna
M AE 1988, 7 2 3 - C IL A II 3, 99 0 . Schon H errm ann , Inschriften (wie Anm. 8 7 ) 81 hatte auf wx’itere zeitlich be­
nachbarte Eidesleistungen hingewiesen, so den Eid von Gangra in Paphlagonien aus dem Iaht 3 v. Chr. (O G IS II
5 3 2 - IL S 8781 - IG R III 137). Auch hier stellt sich aber die Frage, wer die Eidesleistung veranlasse hat - nach
H errm ann, Kaisereid (wie Anm. 8 8 ) 9 6 - 9 8 geschah dies wohl nicht auf Anweisung von oben, sondern aufgrund
einer Initiative des lokalen koinon.
wJuli/in Gonzalez, The First O ath pro salute Augusti Found in Baetica, in: Z P E 7 2 (1 9 8 8 ) 1 1 3 - 1 2 7 . Er m öch­
te hieraus ableiten, dass der Eid ,vvas not spontaneous but rather reflected Augustus’ wish“, dass auch seine
Adoptivsöhne eine solche Treueversicherung erhalten sollten (1 2 0 ): und er betont deswegen stark eine angebli­
che, mehr oder minder direkte „governmental intervention“ in diesem Vorgang.
91 SEG 23 (1 9 6 8 ) 20 6 ; dazu Jam es E. G. Zetzel, New Light on Gains Caesars Eastern Campaign, in: G R B S 11
(1 9 7 0 ) 2 5 9 - 2 6 6 .
92 S. oben Anm. 87.
70
C hristian W itsch e!
auf Kos weihte; als neos Ares erscheine er auf einer Statuenbasis in Athen93. Besonders zahlreich
haben sich Altäre für Caius und Lucius Caesar sowie weitere Familienmitglieder in Mytilene auf
Lesbos erhalten9'1, und in der benachbarten Stadt Eresos stiftete ein lokaler Euerget ein temenos
und einen naos der beiden Prinzen am prominentesten Platz der Agora9'. Auch im Westen lassen
sich mannigfache Ehrungen ausmachen, bei denen die Rolle der Inschriften deutlich hervortritt.
Kurz erläutert sei dies am Beispiel Hispaniens: Ein herausragender Fall ist das in mittelaugusteischcr Zeit errichtete Theater von Carthago nova (Cartagena; Hispania citerior)96, das den beiden
Augustussöhnen gewidmet war, wie die Inschriften zeigen, die vermutlich zwischen 5 und 1 v. Chr.
auf den Architraven über den beiden Orchestra-Zugängen angebracht wurden9 . A uf diesen ist kein
Stifter genannt, aber aus weiteren epigraphischen Zeugnissen ist klar zu entnehmen, dass sich hier
vor allem Mitglieder der städtischen Elite engagierten: So errichtete ein Mann namens L. Iunius
Paetus, der augenscheinlich zur munizipalen Aristokratie gehörte, im Theater einen Altar für Caius
Caesar98. Bruchstücke von Inschriftentafeln, die vermutlich mit Statuensockeln verbunden waren,
deuten ferner darauf hin, dass Statuen der beiden Prinzen im Bereich der scaenaeßrons des Theaters
standen99. Einer der beiden genannten Stifter, M . Postumius Albinus, ist auf den Münzen der Stadt
als quinquennalis in augusteischer Zeit belegtlu0. Angesichts der mittlerweile bekannten epigra93 X an th os: A ndre Bailand, Fouilles de Xan th os, Bd. 7: Inscriptions depoque imperiale du Letöon (Paris 1 981)
4 8 - 5 0 Nr. 25. Kos: I C R IV 1094. A then: IG II/ III2 3 2 5 0 . In Athen wurde auch Lucius Caesar m it einem au­
ßergewöhnliche» M onum ent geehrt, näm lich einer Reiterstatue über dem Eingangstor des von Augustus ge­
stifteten M arktes: IG II/ III2 3 2 5 1 ; dazu M ichael C. bloß, An Equestrian Statue ot Lucius Caesar in Athens
Reconsidered, in: AA (2 0 0 1 ) 5 8 3 - 5 9 9 .
y‘ S. unten Anm. 185. Aus diesen Denkm älern geht deutlich hervor, wie aufmerksam man auf Lesbos die dynasti­
schen Regelungen im Kaiserhaus verfolgte und in entsprechende epigraphische M onum ente umsetzte.
S. hierzu das D ekret IG X I I Suppl, 124 = Labarre, Lesbos (wie Anm . 6 3 ) 3 5 1 - 3 5 3 Nr. 78, in dem von den
zahlreichen Stiftungen eines Mannes zugunsten des Kultes der Kaiserfam ilie die Rede ist, „so dass es an kei­
nem bedeutenden Platz an seiner eunoia und eusebeia gegenüber dem G oct-K aiser fehle“; dazu M ika Kajava,
Eresian Mem ories, in: Z P E 139 (2 0 0 2 ) 8 9 - 1 0 7 . Zu weiteren Belegen für Kulte des C . und L. Caesar im Osten
s. B alland , X an th os (wie Anm. 9 3 ) 50.
% Vgl. zusammenfassend Sebastian E R äm allo Asensio , Elena Ruiz Valderas, El teatro rom ano de Cartagena
(M urcia 1 9 98); Sebastian F. Ram alto Asensio, Inscripciones honorificas del teatro de C arthago Nova, in: A EA
6 5 (1 9 9 2 ) 4 9 - 7 3 ; ders., El programa epigrafico y arquitectönico del teatro rom ano de Cartagena, un ejemplo
de m onum entalizacion precoz cn Hispania, in: Ju lian Gonzalez (H g .), Ciudadcs privilegiadas cn el occidente
romano (Sevilla 1999) 3 9 7 - 4 1 0 ; ders., Los principes de la familia julio-claudia y los inicios del culto imperial en
C arthago nova, in: M astia 2 (2 0 0 3 ) 1 8 9 -2 1 2 .
97 CarthN ova 14 = A E 1 9 92, 1075 (C . Caesar; Architrav über dem westlichen aditus des Theaters); C arthN ova
15 = A E 1996, 9 2 5 (L. Caesar; Architrav über dem östlichen Zugang).
9S CarthN ova 13 = AE 199 2, 1076: C (ai) Caesaris Augusti f(ilii) / pontif(icis) co(n)s(ulis) desig(nati) / principis
iuventutis / [L(ucius) lujnius L(itci) f(ilitis) 'T(iti) n(epos) Paetus [sjac(rum) [d(e)]d(icauit). Auffällig ist der in der
W eihung verw endete G enitiv; d ie vorgcschhgcncn Ergänzungen (.donum) C. Caesaris oder (exiussu) C. Caesaris
sind m .E. wenig überzeugend. D erselbe M ann stiftete im Theater auch einen Altar für Fortuna (CarthN ova 12
= A E 1992, 1 0 77); auf einem weiteren frühkaiserzcitiichen Fragment einer großen Inschrift (vermutlich mit
litterae. aureae), das eventuell aus dem Theater stammt, liest man ebenhüls den Namen des Paetus (C arthN ova
16 = C IL II 3 5 1 5 ). Ein L. Iunius, vielleicht der Vater des Stifters, ist als städtischer Münzm eister in (früh)augusteischcr Z eit bezeugt.
H E p 10, 3 8 2 (zahlreiche Fragmente einer M arm ortafel; gefunden im hyposcaenimn des Theaters): L(ticio)
Caesari / Aug(usti) f(ilio) / [M (arci) Pjofsjtum ii / [M ajxi[m u sj / e[t Ajlbinus. Eine weitere, ähnlich gestaltete
Tafel (gefunden im Bereich d er portiaispost scaenam) mit nur wenigen erhaltenen Buchstabenresten war even­
tuell C . Caesar gewidmet.
!lX1 S. R P C I 170/71, 1 7 4 - 1 7 8 ; R am allo Asensio , Principes (wie A n m .9 6 ) 1 9 6 - 1 9 8 ; auf dem Revers dieser
Münzen ist ein Tempel m it der Inschrift A V G V S T O auf dem Architrav abgebildet. Ein weiteres, fragmentarisch
D e r K a i s e r u n d d ie I n s c h r i f t e n
71
phischcn Zeugnisse aus dem Theater von Carthago nova, von denen sich bis zu sechs auf" Caius
und Lucius Caesar beziehen durften, ergibt sich der Eindruck eines Repräsentationsraumes, der
ganz auf- die inschriftliche und bildliche Vergegenwärtigung der beiden präsumtiven Nachfolger des
Augustus konzentriert war - eine Lösung, die durchaus individuelle Züge aufweist und daher vor
O rt konzipiert worden zu sein scheint. In anderen Städten Hispaniens gab es zahlreiche Standbilder
für Caius und Lucius Caesar (m it einer entsprechenden Inschrift auf der Basis), die häufig in den
Kontext größerer Statuengruppen der Kaiserfamilie eingebunden waren101. Besonders auffäl­
lig ist eine Gruppe von insgesamt fünf Basen für Reiterstatuen aus Ulia (Montemayor; Baetica),
die zwischen 12 und 6 v.Chr. vermutlich von der Stadtgemeinde für Augustus-, Agrippa, Lucius
Caesar, Tiberius und Agrippa Postumus errichtet wurden - die Gruppe wird sicherlich auch ein
Standbild des Caius Caesar enthalten haben102. Nicht selten wurde den Prinzen wie in Ulia auch
der Stadtpatronat übertragen10-’. Selbst in Regionen, die erst kurz zuvor in das Imperium Romanum
eingegliedert worden waren, wurden entsprechende Monumente errichtet, so an mehreren Orten
in der Provinz Raetia et valiis Poenina (Martigny, Massongex, Chur, Kempten), wobei dies biswei­
len die ersten epigraphischen Denkmäler überhaupt in diesen Gemeinden waren, deren bauliche
Ausgestaltung zu dieser Zeit noch sehr rudimentär gewirkt haben muss10'.
Die in kurzer Zeit aufeinander folgenden Todesfälle des Lucius und Caius Caesar lösten dann
eine vielleicht sogar noch größere Anteilnahme unter der Reichsbevölkerung aus, die sich wiederum
in der Schaffung zahlreicher epigraphischer und sonstiger Monumente niederschlugl0\ Von diesen
sei hierzunächsteines näher beleuchtet, das die unmittelbaren Reaktionen auf die Todesnachrichten
widerspiegelt, nämlich die inschriftliche Aufzeichnung zweier diesbezüglicher Dekrete der itali­
schen Gemeinde Pisa auf zwei großen Marmortafeln106. Lucius Caesar starb als erster der beiden
Prinzen am 20. August 2 n.C hr. in Massilia (Marseille). Der Senat in Rom erließ daraufhin strenge
erhaltenes Statuenpostam ent, offenbar für eine (kaiserliche?) Reiterstatue (gefunden in W iederverwendung im
Bereich d er porticuspost scaenam) nenne vermutlich denselben M ann als Stifter: H E p 10, 3 8 1.
101 So au f den Fora von Emporiae (IR C III 19: C . Caesar) und Saguntum ( C IL II 2/14, 3 0 6 ~ C IL II 3 8 2 8 : C.
Caesar; Dat.: wohl 4/3 v. Chr.) in Hispania ester tor; oder in Urgavo in der Baetica (C IL I l V 7 , 71 = C IL II 210 9 :
L. Caesar). Zu Statuengruppen der kaiserlichen Familie vgl. unten Anm. 2 12.
102 C I L 1 1 7 5 ,4 8 6 - 9 0 = C I L II 1 5 2 5 -2 9 . Eine weitere Basis für eine Reiterstatue des Agrippa Postumus (errich­
tet zwischen 4 und 6 n. C hr.), die eventuell zu einer ähnlichen G ruppe gehörte, h t aus Isturgi (Baetica) bekannt:
C I L II /7, 59a. Gerade dieser jüngste Sohn des Agrippa wurde schon vor seiner Adoption durch Augustus im
Jahre 4 n .C h r. auch im äußersten Nordwesten Hispaniens in Braeara Augusta von den dortigen Einwohnern
geehrt, was erneut zeigt, wie aufmerksam man überall im Reich die Entw icklung der Kaiserfam ilie verfolgte:
A E 1974, 3 9 2 (s. auch C I L II 2 4 2 2 ; ebenfalls aus Braeara Augusta; errichtet für C . Caesar von der G esam theit
der Callaecia). H ierfür sprechen auch die zahlreichen Altäre aus M ytilcnc auf Lesbos (vgl. unten Anm. 185), auf
denen Agrippa Postumus ebenfalls mehrfach (und oft neben seinem verstorbenen Vater Agrippa) genannt wird;
s. etwa IG X I I 2, 170/71.
!i,; VgL die Aufstellung bei Claude E ilen, Rom an Patrons o f G reek C ities (O xford 2 0 0 2 ) 2 8 4 - 2 8 6 .
U)'' S. Witschel, Augustus 9 6 - 9 9 .
t1''’ Allgemein hierzu vgl. A lexander H einem ann , Eine Archäologie des Störfalls. D ie toten Söhne des Kaisers in
der Ö ffentlichkeit des frühen Prinzipats, in: Fernande Hölscher, l'onio Hölscher (H g .), Röm ische Bilderwelten.
Von der W irklichkeit zum Bild und zurück. Kolloquium Rom 2 0 0 4 (H eidelberg 2 0 0 7 ) 4 1 - 1 1 0 .
1(X' Zu diesen sog. decreta Pisana s. C IL X I 1420/21 = IL S 139/40 ~ Inscrlt V II 1, 6/7 m it dem Kom m entar
von A lid aM aroita d.Agata, D ecreta Pisana (C IL , X I, 1 4 2 0 -2 1 ). Edizione cricica, traduztonc e com m ento (Pisa
1980). VgL hierzu zusammenfassend H artm ut Galsterer, Die Trauer der Städte um verstorbene Prinzen in
der frühen Kaiserzeit, in: Augusto Eraschetti (H g .). La com m em orazione di G erm anico nella docum entazionc epigrafica. Tabula H ebana e Tabula Siarcnsis. Convcgno internazionale di scudi Cassino 1991 (R om 2 0 0 0 )
1 7 3 -1 8 7 .
72
C hristian W itsch e l
Trauervorschriften, verbunden mit umfangreichen posthumen Ehrungen für den Verstorbenen.
Der entsprechende Senatsbeschluss ist uns allerdings nicht im Wortlaut erhalten, sondern nur aus
Andeutungen in anderen Dokumenten bekannt*0,; er dürfte aber ähnlich ausgesehen haben wie die
senatus consulta für den verstorbenen Germanicus (s. oben) und enthielt wohl wie dieser eine ent­
sprechende Publikationsanordnung. Die Kenntnis hiervon muss sich rasch verbreitet haben, denn
schon am 19. September 2 n. Chr. traf sich in Pisa der örtliche Stadtrat (und dies offenbar nicht zum
ersten M al)108, um seinerseits über Ehrungen für den toten Lucius Caesar, der auch als Patron der
Gemeinde gewirkt hatte, zu beraten. Man einigte sich darauf, ein Grundstück zu kaufen und darauf
einen Altar zu errichten, auf dem jedes Jahr am Todestag des Prinzen Opfer dargebracht werden
sollten. Ferner sollte auf einem großen Cippus neben dem Altar der Beschluss zusammen mit den
vorangegangenen Dekreten, die zu Ehren des Lucius Caesar verabschiedet worden waren, eingemei­
ßelt werden. M it Letzteren sind unter anderem die Entscheidungen des Senats gemeint, die man
also in Pisa bereits kannte. Das wird auch dadurch bewiesen, dass man gleichzeitig festlegte, sich
in Fragen des Trauerzeremoniells den Anordnungen des Senats anzuschließen. Schließlich wollte
man sobald wie möglich Gesandte nach Rom schicken, um bei Augustus zu erwirken, dass er die
Ausführung der Stadtratsbeschlüsse genehmige.
Der ältere der Brüder, Caius Caesar, verstarb dann am 21. Februar 4 n. Chr. im lykischen Limyra.
Die Nachricht von seinem Tode erreichte Pisa bereits am 2. April desselben Jahres. Spontan - d.h.
diesmal augenscheinlich noch ohne Kenntnis der Senatsbeschlüsse, die zu diesem Zeitpunkt kaum
schon verabschiedet gewesen sein können - erließ der Stadtrat erneut Trauervorschriften. Als der
Tod des Prinzen in Pisa gemeldet wurde, gab es gerade keine regulär gewählten Beamten in der
Stadt. Trotzdem traf man sich sofort zu einer inoffiziellen Versammlung der universi decuriones coloniejue und traf Anordnungen, die dann später in ein ordentliches Dekret überführt werden sollten,
nachdem sie erneut durch Gesandte dem Augustus bekanntgemacht worden waren. Außerdem be­
schloss man die Errichtung eines aufwändigen Bogenmonuments zu Ehren des verstorbenen Caius
Caesar, für das es nicht notwendigerweise ein scadtrömisches Vorbild gab109.
10 So vor allem in den hier behandelten decreta Pisana. D ie Beschlüsse des röm ischen Senats hinsichtlich der
verstorbenen Prinzen (u.a. die Aufzeichnung der entsprechenden senatus consulta auf einem cippus aeneus) sind
ferner bekannt aus Tab. Siar. frg. b, col. I, Z. 4 - 7 .
I0!i D ie N achricht vom Tode des L. Caesar wird au f dem Seeweg von Massilia Pisa früher erreicht haben als Rom ,
Es ist wahrscheinlich, dass daraufhin der Sradtrat - wie später im Falle des Todes von C . Caesar (s. unten) - spon­
tan zusammentrat und erste Ehrungen verabschiedete, denn der erhaltene Stadtratsbeschluss vom i9 . Septem ber
war augenscheinlich nicht der erste seiner Art, sondern erfolgte d e äugen dis honoribus L. Caesaris (so zu Recht
Galsterer , Trauer [wie Anm . 106] 180). Dieses zweite D ekret reagierte dann auf- die m ittlerweile vom Senat
vorgenomm enen Bestimm ungen. W ie sich die Kenntnis von Letzteren in Italien und im Reich verbreitet hatte,
ist in diesem Falle nicht genau bekannt, aber wohl analog zu der tabula Siarensis zu rekonstruieren. Unnötig
und zu kompliziert erscheint mir daher die Annahme von Wolfgang D. L ebek , Mussolini, Lucius Caesar und
die staatlichen Totenopfer am Augustus-Mausoleum, in: Preatti del X I Congresso Internazionale di Epigraha
G reca e Latina (R om 1 9 9 7 ) 3 8 5 - 3 9 3 , dass der Senat neben dem allgemeinen senatus consultum ein spezielles SC
für Pisa (und andere italische Städte?) erlassen habe, das dort dann fast unverändert übernom m en worden sei.
109 Am 2. April wird der Senat in Rom , wo die N achricht vom Tod des C . Caesar nicht sehr viel früher eingetrof­
fen sein kann, kaum bereits entsprechende Beschlüsse erlassen haben (vgl. Galsterer, Trauer [wie Anm. 106] 182).
D ie Bewohner von Pisa handelten diesmal also eigenständig, hatten aber natürlich die früheren Anordnungen
über L. Caesar vor Augen und wussten außerdem einigermaßen darüber Bescheid, welche bonores der Senat in
einem solchen Fall beschließen würde. Dazu konnten - wie später für G erm anicus - auch Bogenm onum ente
gehören; aber es ist zu betonen, dass die genaue Ausführung des ianus in Pisa zu dieser Z e it noch kein direktes
D e r K a i s e r u n d d ie I n s c h r i f t e n
Dieser Fall zeigt erneue, welch große Bedeutung städtischen Institutionen sowohl bei der Ehrung
des Kaiserhauses als auch bei der Erstellung entsprechender epigraphischer Monumente zukam
(dazu s. auch unten Kap. 3 und 6) und welche Rolle dabei das beständige Wechselspiel zwischen
aus Rom kommenden Vorgaben, darauf reagierenden oder eigenständigen lokalen Initiativen sowie
deren Rückvermittlung an die Zentrale - etwa durch Gesandtschaften - spielte. Das wird ferner
dadurch unterstrichen, dass auch andere Gemeinden eigenständig Denkmäler für die verstorbenen
Prinzen entwarfen. Gut zu sehen ist dies in Nordgallien, wo die drei civitates der Senones, Rcmi und
Treveri in diese Richtung tätig wurden. In deren jeweiligen Hauptorten Sens, Reims und Trier wur­
den nach dem Tod von Caius und Lucius Caesar Denkmäler mit teils monumentalen Inschriften
errichtet, die vermutlich die Form großer G rab -arae hatten (zumindest im Falle von Reims ist die
Weihung an die Manes gesich ert)"1’. Ebenfalls einer lokalen Initiative entsprang ein Monument,
das auf der Agora von Iliasos errichtet wurde. Erhalten hat sich davon ein großes rechteckiges
Fundament, das sich als Sockel eines monumentalen Altares interpretieren lässt. Davor befinden
sich zwei Statuenbasen. Ferner berichtet eine Inschrift, dass die Stadt Thasos die Anlage zu Ehren
des verstorbenen Lucius Caesar, der hier als heros bezeichnet wird, erbauen ließ111. Wegen der zwei
Basen ist eine weitere gleichlautende Inschrift für Caius Caesar anzunehmen. Das individuell ge­
staltete Monument erscheint als eine Mischung aus Kenotaph und Altar. Hier dürfte eine kultische
Verehrung der Verstorbenen stattgefunden haben, die wir uns ähnlich vorstellen können wie die
Zeremonien, die man in Pisa nach dem Tode des Lucius Caesar beschlossen hatte. Diese Beispiele
zeigen erneut die Vielfalt der - inschriftlich fixierten - Reaktionen, die wichtige Ereignisse inner­
halb des Kaiserhauses im gesamten Imperium Romanum auslösen konnten und die kaum von oben
gesteuert wurden.
I II. D ie großen M o n u m en te zu Ehren des Kaisers und ihre Inschriften
Bereits im vorangegangenen Abschnitt konnte anhand einiger Beispiele aufgezeigt werden, welche
Bedeutung größere Monumente, die mit entsprechend ausgestalteten Inschriften versehen waren,
für die Vergegenwärtigung des Kaisers sowie seiner Leistungen und Herrschertugenden besaßen.
Dies galt sowohl für die Hauptstadt Rom als auch für Italien und die Provinzen, wie nun noch
etwas näher erläutert werden soll. Überliefert sind solche Denkmäler teils in literarischen Quellen,
teils aber auch in längeren epigraphischen Dokumenten, und nicht zuletzt durch die zu den
Monumenten gehörigen Inschriften selbst.
Eines der wichtigsten Bauprojekte der frühen Kaiserzeit war die große Platzanlage mit dem
Tempel des Mars Ultor, die Augustus im Zentrum Roms errichten ließ und deren endgültige
Pendant in Rom hatte - man sollte also die Kreativität der G em einden bei der Konzeption solcher Ehrungen
nicht untersehätzen.
ik< Reims: C IL X I I I 3 2 5 4 - A E 19 7 9 , 411 ‘ AE 1982, 7 1 5 : dazu A. Vassileion, La dedicace d’un m onum ent de
Reims elevc' en l'honneur de Caius et Lucius Caesar, in: Z P E 4 7 (1 9 8 2 ) 1 1 9 - 1 3 0 ; Robert Neiss, Une dedicace
de la eite des Rcm es ä C . C esar et L. Cesar, in: BSocA C ham p 75/ 4 (1 9 8 2 ) 3 - 8 . Zu den übrigen Denkm älern s.
I-Yitsebcl, Augustus 7 4 - 7 6 .
n! Guide de Ihasos (Paris 1967) 3 1 ; zu der Inschrift s. Christiane Dimant, Je a n Rouilloux , Recherches sur
l'histoire et les cultes de Thasos, Bd. 2 (Paris 1958) 62 Nr. 178.
74
C hristian W itsch el
Einweihung im Jahre 2 v.Chr. erfolg te"2. Sie war mit einem reichen Schmuck an Bauornamentik,
Reliefbildern und einer großen Zahl von Statuen samt zugehöriger Inschriften versehen, die alle in
einem komplizierten Geflecht mehr oder minder expliziter Aussagen auf den Kaiser und dessen
Familie sowie auf seine Taten und Leistungen zum Wohle des Imperium Romanum Bezug nahmen.
Besonders bedeutsam war dabei eine Galerie der wichtigsten Männer der römischen Geschichte (der
principes bzw. summi viri), die die Stadt zur Weltherrschaft geführt hatten. Ihre Taten wurden in den
Inschriften, die unter den Statuen angebracht waren, in kurzen Elogien verherrlicht'15. Diese sollen
von Augustus selbst verfasst worden sein "'1. Das ist in diesem direkten Sinn allerdings wohl kaum
zutreffend; vielmehr wird man annehmen, dass die Sammlung des umfangreichen Materials für die
zahlreichen Kurzbiographien eher einem Mann aus der Umgebung des Kaisers anvertraut worden
war, etwa Caius lulius Hyginus, der als kaiserlicher Freigelassener der palatinischen Bibliothek V or­
stand und in dieser Funktion dem Kaiser zugearbeitet haben dürfte11’ . Immerhin war Augustus der
Bedeutungsgehalt des Monuments so wichtig, dass er durch ein Edikt bekannt gegeben haben soll,
wie er die Statuengalerien der Platzanlage verstanden wissen w o llte"6.
Ein wichtiges Thema solcher Denkmäler war die Feier der kaiserlichen Sieghaftigkeit, insbeson­
dere nach größeren militärischen Erfolgen, die der Herrscher immer für sich beanspruchte. Einige
herausragende Monumente dieser Art, die mit einer entsprechenden Inschrift versehen waren, wur­
den ebenfalls vom Kaiser selbst errichtet. Hierzu zählte beispielsweise das tropaeum, das Octavian/
Augustus an der Stelle erbauen ließ, wo er während der Seeschlacht von Actium sein Zelt aufge­
schlagen h a tte " '. Dieses besaß die Form einer erhöhten Terrasse m it einem großen, reliefverzierten
Altar sowie einer Stacuengruppe auf dem Podium. Die Vorderfront der Anlage war in der Tradition
von Seesiegdenkmälern mit bronzenen Schiffsschnäbeln geschm ückt"8. Darüber befand sich die
riesige, fast 6 0 Meter lange lateinische Inschrift, die als Weihung an die G ötter Mars und Neptun
gehalten war pace parta terra [m arique]'n. Sie verkündete, dass der Herrscher nach seinem Sieg in
dem Krieg, den er in dieser Region für die res publica geführt hatte, das Lager, aus dem er gegen den
Feind ausgezogen war, mit erbeuteten Schiffsteilen geschmückt und geweiht hatte. Solche kurzen
Beschreibungen der militärischen Leistungen des Kaisers sind auch in den Inschriften ähnlicher
Denkmäler zu finden120.
112 Vgl. Paul Zänker, Forum Augustum (Tübingen 1 9 68); den., Augustus und die M acht der Bilder (M ünchen
1 9 8 7 ) 1 9 6 - 2 1 7 und zuletzt ausführlich M artin Spannagel, Exemplaria principis. Untersuchungen zur
Entstehung und Ausstattung des Augustusforums (H eidelberg 1 9 99). Z ur Baustiftung des Augustus s. Suct.
Aug. 29, if. und 56, 2; Aug. res gest. 21 sowie die sehr stark ergänzte D edikationsinschrift C IL V I 4 0 3 1 1 ; dazu
Alfoldy, Studi sullepigrafia (wie Anm. 9) 1 7 -3 2 .
iL'Z u den Statuen der summi viri s. zusätzlich Mist. Aug. Alex. Sev. 2 8 ,6 ; zu den Elogia jetzt C IL V I 8, 3 p. 4 8 3 9 ,
4 8 4 7 - 4 8 7 4 (Nr. 4 0 9 3 1 - 4 1021a).
"• 'S o P Iin .n a t. 22, 13.
m Zu Hyginus s. Suet. gramm. 2 0 ; Gell. 1, 14, 1; 6, I, 2.
116 Suec. Aug. 3 1 ,5 .
l r Suet. Aug. 1 8 ,2 ; Cass. D io 51, 1,3.
118 W illiam M. Murray, Photios M. Petsas, O ctavian’s Cam psite M em orial for the Actian War (Philadelphia
198 9 ); Konstantinos L. Zachos, Tire Tropaeum o f the Sea-battle o f Actium at N ikopolis. Interim Report, in; JR A
16 (2 0 0 3 ) 6 5 - 9 2 .
A E 1992, 1534 = A E 1999, 1448.
,2" Vgl. etwa die Inschrift des großen D enkm als ( tropaeum Traiani), das Kaiser Trajan nach seinen Siegen über
die D aker in Adamklissi (M oesia inferior) erbaute (C IL III 12467 ~ 13 7 3 3 = A E 1 9 7 2 ,5 2 1 = AE 1996, 1355);
M a[rtij V ltori/Im p (erator)[C aejsard iv i/ Nerva[e f(iliu s)N ejrv a/ llr ]a ia n u [s Aug(ustns) G erm (anieus)j/ [D acl
i[c}us p[ont(ifex)l m a[x(im us)j / [trib(unieia) potesjt(ate) X I I I / lim p(erator) F I co(n)s(ul)J V p(ater) p(atriae) /
D e r K a i s e r u n d d ie I n s c h r if t e n
Häufiger als diese vom Herrscher selbst initiierten Siegesdenkmäler waren aber solche, die zur
Verherrlichung der militärischen virtus des Kaisers von anderen Institutionen errichtet wurden, vor
allem von Senat und Volk von Rom {SPQR). Hierzu gehörten neben den Triumphbögen in Rom
weitere Bogenmonumente in Italien und in den Provinzen121, Ein besonders gutes Beispiel für ein
Monument dieser Art ist das von SPQR gestiftete und im Jahr 7/6 v.Chr. eingeweihte tropaeum
Alpium in La Turbie (Alpes maritimae), das an die Eroberung der Alpenregion unter Augustus
erinnerte1” . Hier lässt sich das Zusammenspiel von spektakulärer Plazierung, eindrucksvoller ar­
chitektonischer Form und monumentaler Inschriftengestaltung besonders gut nachvollzichcn: Das
Denkmal wurde nicht am O rt eines tatsächlichen Kampfgeschehens erbaut, sondern an einem weit­
hin sichtbaren Platz hoch über dem M eer an der wichtigsten Straßenverbindung zwischen Italien
und Gallien. Uber einem gewaltigen Podium erhob sich ein großer, säulengeschmückter Rundbau.
Die Inschrift war an dem Sockel des Monuments angebracht und wurde von in R elief ausgeführten
Victorien und Tropaia gesäumt. Sie hatte enorme Ausmaße (ca. 19 m Breite und ca. 4,70 m Höhe
mit Buchstaben von bis zu 37 cm Höhe) und berichtete zunächst, dass Senat und Volk von Rom
das Denkmal dem Augustus geweiht hatten, weil unter seiner Führung alle Alpenvölker unter die
O berhoheit des populus Romanus gebracht worden waren. H ierauf folgte die vollständige Auflistung
der über 4 0 gentes Alpinae devktae , was die Großartigkeit des vom Kaiser errungenen Sieges noch
einmal unterstrich123. Ähnlich beeindruckend muss der Bogen gewesen sein, den vermutlich eben­
falls Senat und Volk von Rom nach der erfolgreichen Niederschlagung des Bar Kochba-Aufstandes
bei Scythopolis (Syria Palaestina) für Kaiser Hadrian errichteten und der eine monumentale, in
lateinischer Sprache abgefasste Inschrift trug121. Bisweilen wurden auch mehrere Siegesdenkmäler
an verschiedenen O rten zur Erinnerung an ein- und dasselbe Ereignis errichtet: Die Eroberung
Britanniens unter Kaiser Claudius im Jahre 43 wurde zum einen durch einen Triumphbogen in
Rom kommemoriert, den erneut Senat und Volk einige Zeit später erbauen ließen. Die großforma­
tige Inschrift, von der sich Teile erhalten haben, hob hervor, dass Claudius elf britannische Könige
in nur wenigen Tagen besiegt und ihre Gebiete und Völkerschaften als erster in die Gewalt des
römischen Volkes gebracht hatte125. Zum anderen ehrte der Senat den Kaiser durch einen weiteren,
nur literarisch überlieferten Bogen am Ausgangsort der Expedition in Nordgallien126. Manchmal
wurden solche Siegesdenkmäler auch von den Truppen konzipiert, die in die Kämpfe involviert
gewesen waren12 . So wurde in der Nähe von Xanten (Germania inferior) eine Inschriftenplatte
[devicto?exerjeitu D[aeorum et Sarm ata?]nw t [ - —]■ Siehe ferner ein nur literarisch überliefertes Siegcsdenkmal,
das Germanicus nach seinen Siegen in G erm anien errichten und m it folgender „stolzer Inschrift“ versehen ließ
(Tac. ann. 2, 22, 1): debellatis inter Rbenum Albirnque nationibus exerätum l'iberii Caesaris e.i m onimenta M arti
et lovi et Augusta sacravisse.
121 Vgl. Sandro D e Marin, G li arclii onorari di Rom a e dcll’ltalia romana (R om 198 8 ).
111Jules Förmige, Le trophee des Alpes, La Turbie (Paris 1 9 49); Le trophee des Alpes, N ice H istorique 108/2
(2 0 0 5 ).
12' Von der Inschrift haben sich vor O rt nur Fragmente erhalten (s. C IL V 7 8 1 7 ); sie lässt sieh aber aufgrund des
Zitats bei Plin. nat. hist. 3, 1 3 6 - 1 3 8 , der den vollen W ortlaut wiedergibt, in ihrer G esam theit rekonstruieren.
A E 1999, 1688; dazu W erner Eck, Gideon Foerster, Ein Trium phbogen für Hadrian im Tal von Beth Shean bei
Tel Shalem, in: JR A 12 (1 9 9 9 ) 2 9 4 - 3 1 3 . D ie Inschrift war ca. 1 1 m breit und ca. 2 nt hoch; die Buchstabenhöhe
beträgt bis zu 41 cm. Ein weiteres aus diesem Anlass errichtetes Siegesm onum ent für Hadrian, ebenfalls gestiftet
von SPQR, Stan d in R om : C IL V I 9 7 4 = 4 0 5 2 4 .
us C IL V I 9 2 0 = 4 0 4 1 6 = IL S 216.
126 Cass. D io 6 0 ,2 2 , 1.
'■ Llierzu auch Eck, M onum ente (wie Anm . 15) 4 8 3 - 4 8 5 ; Eck, Foerster , Trium phbogen (wie Anm. 124)
3 0 5 -3 0 7 .
C hristian W itsch e l
76
getänden, die zu dein Sockel eines größeren Monuments gehört haben muss, welches die legio / /
Victrix nach der erfolgreichen Niederschlagung des Bataver-Aufstandcs für Kaiser Vespasian und
seinen Sohn T itus aufstelltei2\
Ein weiterer wichtiger Anlass für die Errichtung großer, vom Senat oder anderen Institutionen
konzipierter Denkmäler zu Ehren des Kaiserhauses, die innerhalb und außerhalb Roms zur
Aufstellung kamen, war der (frühzeitige) Tod eines Mitgliedes der dornus Augusta, insbesondere
eines präsumtiven Nachfolgers, Zwei Beispiele hierfür mögen genügen: Das eine führt noch ein­
mal zurück auf Caius Caesar, der - wie erwähnt (s. oben Kap, 2) - im Februar 4 n.C hr. in Limyra
in Lykien verstorben war. An diesem O rt wurde daraufhin ein großes Kcnotaph für ihn errichtet.
Der Stifter des Monuments ist nicht explizit überliefert, aber Bauausführung und
-O rn a m en tik
so­
wie die leider nur sehr fragmentarisch erhaltene lateinische Widmungsinschrift (die mit ca. 30 m
Länge erneut ein monumentales Format aufwies) sprechen eindeutig dafür, hierin ein Denkmal
zu sehen, das in Rom konzipiert wurde, vermutlich auf Initiative von SPQR und mit Zustimmung
des Augustus. Dafür sprechen zudem die wenigen Reste des höchst qualitätvollen Reliefschmucks,
denn dieser präsentierte offenbar die wichtigsten Taten (res gestae) des Prinzen an der östlichen
Grenze des Reiches, die in verkürzter Form auch in der Inschrift referiert worden zu sein schei­
nen129. Noch umfangreicher waren die Ehrungen, die der Senat nach dem Tod des Germanicus im
Herbst 19 n. Chr. beschloss und die wir aus den entsprechenden, inschriftlich überlieferten senatus
consulta, insbesondere aus der schon erwähnten tabula Siarensis, kennen130. Neben vielen anderen
Maßnahmen verfügte der Senat die Errichtung dreier Ehrenbögen, um die bemerkenswerten Taten
des verstorbenen Prinzen zu kommemorieren1’1. Diese Bögen sollten an besonders prominenten
Orten plaziert werden, die mit der Karriere des Germanicus in Verbindung standen132: Einer in
Rom, ein zweiter am Ufer des Rheines in der Nähe des tumulus für seinen Vater Drusus (d.h. in
Mainz), und ein dritter auf den Höhen des Mons Amanus in Syrien. Keines dieser Bauwerke hat
sich erhalten13’, aber die detaillierten Beschreibungen in der tabula Siarensis liefern uns zumindest
gewisse Anhaltspunkte zu deren Aussehen. Der Bogen in Rom war mit Reliefs geschmückt, die die
von Germanicus unterworfenen Völkerschaften zeigten (cum signis devictarum gentium)-, und er
sollte mit einer ausführlichen Inschrift versehen werden, die berichtete, dass SPQR das Denkmal zur
Erinnerung an Germanicus erbaut hatten, um dann zur Aufzählung seiner wichtigsten Leistungen
für das Reich in West und O st überzugehen. Der Bogen trug eine Statuengruppe, die Germanicus
im Triumphahvagen zeigte, umgeben von den Mitgliedern seiner Familie. Die Angaben zu den
Bögen in Syrien und am Rhein sind wesentlich kürzer (und schlechter erhalten), aber wir können
recht sicher sein, dass sie ähnlich ausgesehen haben dürften und ebenfalls die wichtigsten Taten des
Germanicus in W ort und Bild vorführten.
) : A i\ 1979, 4 1 3 ; dazu Christoph B. Rüger, Ein Siegesdenkma! der legio V I victrix, in: B J 179 (1 9 7 9 ) 1 8 7 - 2 0 0 .
129 Vgl. dazu Joach im G anzen, Das Kcnotaph für Gains Caesar in Limyra (Tübingen 1984) m it den epigraph i sehen Beiträgen von Peter H erz ( 1 1 8 - 1 2 7 und 1 7 8 - 1 9 2 ); die Aufsätze von G anzert und Jürgen B orchhardt in:
G ötter, Heroen, H errscher in Lykien, Ausstellungskatalog Schloss Schallaburg (W ien , M ünchen 1990) sowie
Jürgen Borchhardt, D er Fries vom Kcnotaph für Gaius Caesar in Limyra (W ie n 2 0 0 2 ) m it zahlreichen, an m an­
chen Punkten zu weit geh enden Spekulationen.
1?l>S. oben Anm . 35Ln Vgl. Wolfgang D. Lebek, D ie drei Ehrenbögen Kir G erm anicus: Tab. Siar. irg. I 9 - 3 4 ; C IL VT 3 1 199a 2 - 1 7 ,
in: Z P E 6 7 (1 9 8 7 ) 1 2 9 -1 4 8 ; ders., Ehrenbogen und Prinzcnrod: 9 v. C h r.- 2 3 n. Chr., in: Z P E 8 6 (J 9 9 1 ) 4 7 - 7 8 .
!3: Zusammengefasst bei Tac. ann. 2, 83, 2: Arcus aclditi R om ae et apud ripa?n Rheni et in monte Suriae A?nano
cimi inscriptione rerurn estarum ac mortem ob rem publicam obisse ...
L' 3 Zur Problematik des Bogens in M ainz vgl. Witschel, Augustus 83L
D e r K a i s e r u n d d ie I n s c h r i f t e n
Andere Denkmäler betonten die Rolle des Kaisers als Wohltäter des Reiches, der in seiner Sorge
{curd) um die Untertanen wichtige Infrastrukturmaßnahmen durchführen ließ. Erst seit wenigen
Jahren bekannt ist ein großes, vermutlich von einer Reiterstatue bekröntes Pfeilermonument, das
auf einem zentralen Platz der bedeutenden lykischen Hafenstadt Patara gestanden haben muss. Es
trug zwei Inschriften: Die eigentliche Widmungsinschrift auf der (schmaleren) Vorderseite war an
den Kaiser Claudius (im Dativ) gerichtet, der als „Retter“ gefeiert wurde und dafür, dass durch
„seine göttliche Vorsehung“ die Unruhen und räuberischen Umtriebe in der Region beigelegt wor­
den waren sowie die innere Ordnung wiederhergestellt wurde. Stifter des Monuments war laut der
Inschrift die Gemeinschaft der Lykier, die als „Römer- und Kaiserfreunde“ bezeichnet werden. Sie
hätten das Denkmal aus Dankbarkeit errichtet für etwas, was sie vom Kaiser durch die Vermittlung
des Statthalters Q . Veranius erhalten hatten (hier ist der Text schlecht erhalten). Auf der linken
Seite folgte eine zweite Inschrift, die nunmehr Claudius im Nominativ anführte, ihn aber in über­
höhender Weise als „Herrscher über den gesamten Erdkreis“ benannte und berichtete, dass auf seine
Veranlassung durch den bereits genannten Statthalter Veranius in ganz Lykien Straßen vermessen
lind ausgebaut worden waren. Das inschriftliche Verzeichnis dieser Straßenverbindungen ist da­
nach angefügt; es zieht sich in Form einer detaillierten Auflistung (m it Angabe der Entfernungen
in Stadien) über beide Nebenseiten. Der Sinn dieser Liste (des sogenannten stadiasmusprovinciae
Lyciae bzw. Patarensis) kann nun kaum darin gelegen haben, dem Betrachter praktische Hinweise
für eine Reise durch Lykien zu geben; vielmehr scheint es in erster Linie darauf angekommen zu
sein, ihm in möglichst umfangreicher Form die Bautätigkeit des Kaisers vor Augen zu führen und
die Erinnerung an diese zu bewahren13'1.
Durch epigraphische Neufunde und -interpretationen der letzten Jahre ist eine weitere Gruppe
von Monumenten stärker in das Blickfeld getreten, die an besonders markanten Plätzen errichtet
wurden und mit dem Namen des Kaisers oder von Mitgliedern seiner Familie verbunden waren,
nämlich Leuchttürme an Hafeneinfahrten oder auf Promontorien. So konnte von Geza Alfoldy
gezeigt werden, dass das Tiberieum, das Pontius Pilatus als praefectus Iudaeae in Caesarea maritima
restaurieren ließ, zusammen mit dem in literarischen Quellen angeführten Drouseion ein ursprüng­
lich von dem Klientelkönig Herodes erbautes Paar von Lcuchttiirmen bildete, die den Zugang zum
Hafen von Caesarea flankierten und nach den beiden Stiefsöhnen des Augustus benannt waren in Anlehnung an stadtrömische Denkmäler, die ebenfalls das Brüderpaar zusammen verewigten1' ’.
Gleichzeitig wird in der Inschrift betont, dass das Bauwerk zur Unterstützung der Seeleute ( nautae )
konstruiert worden war. Dieser Aspekt findet sich auch in der monumentalen und mit vergolde­
ten Bronzebuchstaben versehenen Bauinschrift eines erst vor kurzem entdeckten Leuchtturms in
Patara. Diese berichtet davon, dass Kaiser Nero den pharos (zusammen mit einem Pendant) zum
Lv' S E C 51 (2 0 0 1 ) 1832; dazu Fahri fy k u.a., M iliarium Lyciae. Das W egweiserm onum ent von Patara Vorbericht, in: Lykia 4 (1 9 9 3 / 9 9 [2 0 0 1 ]); Christopher P. Jones, The Ciaudian M onum ent at Patara, in: Z P E
137 (2 0 0 1 ) 1 6 1 - 1 6 8 ; Seneer §abin, Mustafa A dak, Stadiasmus Patarensis. Itinera romana provinciae Lyciae
(Istanbul 2 0 0 7 ).
S. A E 1963, 104 in der Neulesung von Geza Alfoldy, Pontius Pilatus und das T iberieum von Caesarea
Maritima, in: S C I 18 (1 9 9 9 ) 6 5 - 1 0 8 ; vgl. ferner ders., N ochm als: Pontius Pilatus und das Tiberieum von
Caesarea M aritim a, irr: S C I 21 (2 0 0 2 ) 1 3 3 - 1 4 8 . Zu beiden Seiten der H afeneinlahrt standen ferner aut Säulen
je drei überlebensgroße Statuen von M itgliedern der kaiserlichen Familie. D ie gesamte Anlage trug darüber
hinaus die Bezeichnung „Kaiserhafen“ ( Sebastos limen).
C hristian W itsch e !
78
Schlitz der Seefahrenden erbaut hatte131’. Im äußersten Norden Hispaniens, an der asturischen
Küste und in der Nähe der bedeutenden einheimischen Siedlung Noega, ließ der Statthalter Cn.
Calpurnius Piso auf dem Cabo Torres bei Gijön ein Monument errichten. Von diesem hat sich die
Inschrift auf einem großen Block aus importiertem Marmor erhalten, aus der wir erfahren, dass das
Denkmal dem Kaiser Augustus geweiht (sacrum) war13'. Der Stein wurde im Kontext eines antiken
Gebäudes gefunden, welches sich möglicherweise als Leuchtturm identifizieren lässt138. In Gallaecia
gab es, wie wir aus der literarischen Überlieferung wissen, ein weiteres bekanntes Turm-Monument
zu Ehren des Augustus mit einer entsprechenden, vermutlich eindrucksvoll gestalteten Inschrift139.
Man siehe an den hier vorgeführten Beispielen, wie mit H ilfe solcher Denkmäler bedeutsame
Erinnerungsorte gezielt besetzt wurden, wobei den Inschriften im Verbund mit der bildlichen
Austattung der Monumente (Reliefs, Statuen) die Funktion zukam, einerseits genauere Auskunft
über die gefeierten Erfolge zu geben und andererseits selbst wiederum den Betrachter durch ihre
Monumentalität oder ihren Umfang zu beeindrucken und von der Sieghaftigkeit des durch sie ge­
feierten Herrschers zu überzeugen. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass der Kaiser
in der Mehrzahl der Fälle zumindest nominell nicht selbst als Urheber dieser Monumente auftrat.
Die zugehörigen Inschriften weisen vielmehr andere Institutionen (vor allem SPQR , aber auch die
Armee oder die plebs) als Initiatoren aus. Gegen einen in der modernen Forschung weit verbrei­
teten Trend, solche Formulierungen als reine Fassade hinzustellen, hinter welcher der Kaiser die
eigentliche Konzeption der für seine Repräsentation so bedeutsamen Denkmäler vorgenommen
habe, scheinen mir die Inschriften in ihrem Wortlaut doch ernster zu nehmen sein1“’. W ir sollten
demnach davon ausgehen, dass solche Ehrungen tatsächlich an den Kaiser herangetragen wurden,
W'obei den Stiftern ein gewisser Gestaltungsspielraum verblieb, um eigene Vorstellungen bezüglich
des Herrscherideals in das Design des Denkmals einzubringen. Dies schließt keineswegs aus, dass
auch der Herrscher selbst häufiger in den Planungsprozess einbezogen wurde. Zumindest dürfen
wir von einer ständigen Kommunikation zwischen Senat und Kaiser in diesen Angelegenheiten
iU’ Havva l^kan-l^ik u.a., D er Lcucheturm von Patara und Sex. Marcius Priscus als Statthalter der Provinz Lycia
von Nero bis Vespasian, in : Z P E 164 (2 0 0 8 ) 9 1 -1 2 1 .
1,7 C IL II 2 7 0 3 = A E 1971, 197 = A E 2 0 0 5 , 85 1 ; dazu R onald Symc, A G overnor of Tarraconensis, in: Den.,
Rom an Papers, Bd. 2 (O xford 1979) 7 3 2 - 7 4 1 .
138 So jetzt Carmen Fernandez Ochoa u.a., La torre de Augusto en la Cam pa Torres (G ijön , Asturias). Las antiguas excavaciones y cl epigrafe de Calpurnio Pisön, in: A E A 78 (2 0 0 5 ) 1 2 9 - 1 4 6 .
1 Pomp. Meia 3, 11: sars inxta turrem Augusti titulo m emorabilem. Vgl. ferner oben Anm. 7 4 zu den in derselben
Region errichteten arae Sestianae. Sestius markierte mit der W eihung dieser Altäre das Ende der bekannten und
von Augustus Kir das Imperium Rom anum erschlossenen Welt.
1,!> G ut zu verfolgen ist die diesbezügliche Diskussion am Beispiel des Trajansbogens von Benevent. Auch dieser
war nach Ausweis der W idm ungsinschriften (C IL IX 1558 = IL S 2 9 6 ) ein Denkm al, das von SPQR für den
Kaiser errichtet wurde. Das hat größere Teile der modernen Forschung jed och nicht davon abgehalten, in Trajan
selbst den eigentlichen Urheber für den reichen Reliefschm uck des M onum ents, der den H errscher in ver­
schiedenen Handlungszusammenhängen vorführte, zu erkennen; vgl. etwa Klaus Fittschen, Das Bildprogramm
des Trajansbogens zu Benevent, in: AA (1 9 7 2 ) 7 4 2 - 7 8 8 ; Wolfgang Kuhoff, Feiicior Augusto m elior Traiano.
Aspekte der Sclbstdarstellung der röm ischen Kaiser während der Prinzipatszeit (Frankfurt am M ain 1993)
2 3 3 - 2 3 6 (dazu Christian Witschel , in: K lio 78 [1 9 9 6 ] 5 2 6 - 5 2 8 ) . D em iscencgegcnzuhalcen, dass die BiidzvkJen
durchaus eigenständige Facetten aufweisen, was darauf schließen lasst, dass die Aussage der Inschriften ernst
genommen werden sollte; so schon Franz J. Hassel, D er Trajansbogen von Benevent. Ein Bauwerk des röm i­
schen Senats (M ainz 1966) und je tzt noch einmal nachdrücklich Ortwin Daily, Das Bild des Kaisers in der
klassischen Archäologie - oder: G ab es einen Paradigmenwechsel nach 1968?, in: J D A I 122 (2 0 0 7 ) 2 2 3 - 2 5 7 ,
bes. 2 2 5 - 2 3 1 .
D e r K a i s e r u n d d ie I n s c h r i f t e n
79
ausgehen, .so wie sie beim Zustandekommen einiger sen atu s co n su lta , die Ehrungen für Mitglieder
des Kaiserhauses betrafen, auch explizit belegt ist1'11. Dennoch ist es wichtig zu betonen, dass der
Herrscher selbst bei denjenigen Monumenten und Inschriften, die den Menschen im Imperium
Romanum am eindrucksvollsten seine überragende Stellung und seine Leistungen vermittelten,
zumeist nicht die alleinige Verfügungsgewalt hinsichtlich der Planung und Ausführung von deren
textlicher und bildlicher Gestalt besaß.
Die W irkung, die diese Denkmäler bei der Bevölkerung entfalteten, ist daran zu erkennen, dass
sie auf lokaler Ebene vielfach nachgeahmt wurden. Dieses Phänomen ist gut bezeugt und kann hier
nur anhand weniger Einzelfälle vorgeführt werden. Besonders auffällig ist, wie sowohl die architek­
tonische Gestalt des Augustusforums als auch dessen einzelne Bestandteile, inklusive der Tituli, in
zahlreichen Gemeinden des Imperium Romanum zitiert wurden. Dies konnte ausschnitthaft ge­
schehen, indem man etwa einige der Elogien des Augustusforums kopierte1'1’, oder aber in Form ei­
ner Art von Nachbau der gesamten Platzanlage mitsamt ihrer Statuen- und Inschriftenausstattung.
Hierfür kennen wir mittlerweile mit dem sogenannten ,Marmorforum* im lusitanischen Augusta
Emerita (Merida) ein herausragendes Beispiel1i3. Diese um die M itte des 1.Jahrhunderts n. Chr. er­
richtete Baustruktur erweist sich - soweit noch erkennbar - wenn nicht in der Gesamtarchitektur,
so doch in zentralen Elementen der Ausstattung als eine weitgehend getreue Nachbildung des
Augustusforums; darunter befand sich auch eine Kopie des Elogiums für Aeneas und der zugehö­
rigen Statuengruppe1'”.
Die großen kaiserlichen Siegesdenkmäler wurden ebenfalls in erheblichem Umfang rezi­
piert. So errichtete man in den südgallischen Städten während der frühen Kaiserzeit mehrere
Bogenmonumente, deren Reliefschmuck die Überwindung der Barbaren vorführte, oder stellte
auf den Fora Monumente auf, die wie das tro p aeu m A lp iu m die römische Eroberung bestimmter
Regionen feierten1*^. Auch der Britanniensieg des Claudius fand entsprechende Resonanz: Im etrurischen Rusellae erfüllte ein fL m ien A ugustalis und M ilitärtribun im Jahre 45 ein Gelübde, das er
!‘f! Vgl. oben Anm . 32.
l i’ Ausschnitthafte Z itate des Augustusforums in italischen Städten sind aus Arretium und Pompeii bekannt.
Zu Arretium s. Inscrlt X I I I 3, 7 8 - 8 4 = IL S 50, 54, 5 6 - 6 0 : Insgesamt sieben H erm enpfeiler(?) m it Elogien, die
die stadtrömischen Vorbilder inhaltlich offenbar genau kopierten, jedoch deren O rdination veränderten. Zu
Pompeii s. Inscrlt X I I I 3, 85/ 86 = IL S 63/ 64: Aus einer ursprünglich wohl wesentlich weniger umfangreichen
Serie haben sich hier nur die Elogien für Aeneas und Romulus erhalten. Sie gehörten wohl nicht zum sog. Bau
der Eumachia am Forum der Stadt, wie man früher vermutet hat, sondern eher zu dem benachbarten .H eiligtum
dev Lares Publici1. Auf jeden Fall scheint es sich hierbei um ein munizipales Projekt gehandelt zu haben. Auch
andere für die augusteische Selbstdarstellung zentrale stadtrömische M onum ente wurden in Italien und den
Provinzen zitiert, so der clupeus virtutis (s. Aug. res gest. 3 4 ), von dem sich eine Kopie in Arelate gefunden hat,
die auf dem Forum der Stadt zu sehen war: A E 1952, 165: dazu WitscheL Augustus 5 if.
■*»Vgl. hierzu Walter Trillmicb, G estalt und Ausgestaltung des ,Marmorforums* in Merida. Kenntnisstand und
Perspektiven, in: M D A I(M ) 3 6 (1 9 9 5 ) 2 6 9 - 2 9 1 ; Jose L. de la Barrera Antön, La decoraciön arquitectönica
de los foros de Augusta Em erita (Rom 2 0 0 0 ). Rückgriffe auf das Augustusforum gab es in reduzierter Form
im Übrigen auch in den beiden anderen hispanischen Provinzhauptstädten Corduba und Tarraco. Vgl. dazu
Walter Trillmicb , Los tres foros de Augusta Emerita y el caso de C orduba, in: P ilar Leon (H g.), C o lon ia Patricia
Corduba. Una reflexion arqueolögica (Sevilla 1996) 1 7 5 - 1 9 5 : ders., II modello delta m etropoli, in: Hispania
Romana. D a terra di conquista a provincia dell’impcro. Ausstellungskatalog Rom (M ailand 1 9 9 7 ) 1 3 1 -1 4 1 .
111 A E 1996, 8 6 4 = Ram irez Sadaba, Inscripciones (wie Anm . 12) Nr. 7 6 ; dazu Walter Trillmicb, Jose L. de la
Barrera Antön , Eine W iederholung der Aeneas-Gruppc vom Forum Augustum samt ihrer Inschrift in Merida
(Spanien), in: M D A I(R ) 103 (1 9 9 6 ) 1 1 9 -1 3 8 .
ln Zu den südgallischen Bogenm onum enten, die augenscheinlich von den lokalen Eliten konzipiert wurden,
vgl. Annette Kiipper-Böbm , D ie röm ischen Bogenm onumente der G allia N arbonensis in ihrem urbanen Kontext
80
C hristian W itsch e l
[p]ro salute et reditu et victoria Britannica des Claudius abgelegt hatte1'6. Im selben Jahr wurde
Claudius - ebenfalls in Erfüllung eines G elübdes - auch in A ntiochia ad Pisidiam (G alatia) pro
incolumitate eins et victoria Britannica durch einen w eiteren ehem aligen Truppenkommandeur
geehrt1'17. In Korinth (A chaia) ernannte man einen eigenen sacerdos victoriae Britannicaeus: und
in K yzikos (A sia) errichteten die c(ives) R(omani) qui Cyzici [consistuntjet Cyzi[cenij einen arcus
mit einer In sch rift, die d iejenige des B ogens in R om (s. oben) zu zitieren sch ein t“ 9. Gerade
die letztgenannten B eisp iele können zeigen, dass die R eaktion auf die kaiserlichen Siege
keinesw egs nur in den direkt betroffenen R egionen erfolgte, sondern auch in weit entfernten
G ebieten, wo man dennoch genau registriert zu haben scheint, was in Bezug auf die Ehrung
des H errschers gerade angesagt w ar1’0.
Besonders ausgeprägt war dieses Phänomen anlässlich der wiederholten Todesfälle im Kaiserhaus
in der atigusteisch-tiberischen Epoche. Die Nachrichten hierüber lösten überall im Reich die
Errichtung von Monumenten zu Ehren der verstorbenen Prinzen aus. W ir haben dies schon in
Be/Aig auf Caius und Lucius Caesar gesehen (s. oben Kap. 2), aber die Ausrichtung an den vom
Senat und anderen zentralen Institutionen gestifteten Denkmälern ist vielleicht noch besser greif­
bar in der Zeit nach dem Tod des Germanicus und dem des Drusus m inor im Jahre 23 n. Chr., der
postum vom Senat ganz ähnliche Ehrungen erhielt wie sein Adoptivbruder1’ 1. Die Kenntnis von
den Ehrenbögen, die man in Rom und anderen Orten für Germanicus und Drusus erbaut hatte,
scheint sieh rasch verbreitet zu haben, nicht zuletzt durch Abschriften der diesbezüglichen senatus
consulta und deren inschriftliche Publikation. An verschiedenen O rten entschloss man sich darauf­
hin, ähnliche Bauten zu errichten. Diese stellten allerdings in der Regel keine exakten Kopien ihrer
Vorbilder dar, sondern variierten diese, indem etwa ein einziger Bogen für mehrere Mitglieder der
dom us Augusta konzipiert1’2 oder lediglich die bekrönende Statuengruppe in Form eines partiellen
Zitats umgesetzt wurde” -’.
(Espelkamp 19 9 6 ); Witschel, Augustus 57f. Ein gutes Beispiel für die zweite angesprochenc Kategorie ist das
tropaeum von Saint-Bertrand-de-C om m inges (A quitania): ebd. 73.
,K' A E 1 9 8 0 ,4 5 7 ; s. auch 45 8 .
'"’ A E 2 0 0 1 ,1 9 1 8 .
:: Das Am t ist mehrfach belegt, so in: Allen Brown [Vest, C orin th , B d .7 .2 : Latin Inscriptions 1 8 9 6 - 1 9 2 6
(Cam bridge, Mass. 19 3 1 ) 71 - 7 4 Nr. 86.
; C I E UI 7061 ~ IE S 2 1 7 :... vin d (ki) lib(ertatis) devi[ctori regum X IJ / Britanniae ar[cumposnerimtj.
' Ähnliches lässt sich bei der Verherrlichung von D om itians Germ anensiegen beobachten, die auch im lernen
Asia aufgegriflen wurde: M ichael Dräger, D ie Städte der Provinz Asia in der Fiavierzdt (6 9 - 9 6 n. C hr.). Studien
zur kieinasiatisehen Stadt- und Regionaigeschichte (Frankfurt am Main 1 9 9 3 ) 1 2 2 - 1 3 6 .
s->! S. Tac. ann. 4 ,9 , 2: M em oriae Drusi eaciem quae in G erm aniaim decernuntur, plerisque additis ... Es gibt in die­
sem Fall erneut einige inschriftiiche Evidenz zu den entsprechenden senatus consulta , die allerdings nicht so gut
erhalten ist wie bei Germ anicus: Crawford >Roman Statutes (wie Anm . 3 5 ) 5 4 4 - 5 4 7 Nr. 38. Vgl. dazu Wolfgang
D. Lehek , D ie posthumen Ehrungen und der Triumph des Drusus Caesar (C IL V I 3 1 2 0 0 B col. I 1 - 4 ; Tac. ann.
4, 9 ,2 ) . in: Z P E 7 S (i9 S 9 ) 8 3 - 9 1 .
02 Außerdem vereinfachte man zumeist die Aussage der Vorbilder, indem man auf den Reliefschm uck und die
ausführlichen Eiogien verzichtete. So ließ in Spoletium der lokale Stadtrat im Jahre 2 3 einen ursprünglich wohl
Hir Augustus erbauten Bogen am Eingang zum Forum aut die beiden Prinzen umwidmen: C IL X I 4 7 7 6 / 7 7 ;
dazu D e M aria, Archi onorari (wie Anm. 121) 328f. Nr. 109; Henner von Hesberg , Zur D atierungdes römischen
Ehrenbogens von Spoleto, in: K J 2 3 (1 9 9 0 ) 1 0 9 -1 1 6 . In Saintes errichtete hingegen ein reicher Bürger der Stadt
namens Caius lultus Rufus, der zu der frühzeitig romanisierten, einheim ischen Elite (s. oben Anm. 7 5 ) gehörte,
an der Ausfallstraße nach Lyon einen Bogen für Tiberius, Germ anicus und D rusus minor, der wohl m it einer
entsprechenden Statuengruppe auf der A ttika versehen war. D er Bogen weist eine ungewöhnliche zweitorige
Form auf, die als Zeichen für die architektonische Eigenständigkeit des Projektes zu werten ist: C IL X I I I 1036
D e r K a i s e r u n d d ie I n s c h r i f t e n
81
Die Errichtung des großen Pfeilermonuments in Patara, das die Straßenbautätigkeit des Kaisers
Claudius in Lykien feierte, wurde begleitet von der Konzeption weiterer Denkmäler (Statuen und
Altäre), die ebenfalls und in teilweise ganz ähnlichen Formulierungen die Leistungen des Herrschers
feierten und in den Städten Lykiens sowie am Rande der kurz zuvor ausgebauten Straßen zur
Aufstellung kamen1’ '. All die hier angeführten Fälle zeigen sehr deutlich, welche Wirkung von den
großen Monumenten, die den Herrscher ehrten und seine la te n kommemorierten, ausging, und
in welchem Maße sich die Bevölkerung des Reiches an ihnen orientierte. Die hieraus entstehen­
den Nachahmungen waren jedoch in der Regel keine sklavischen Kopien, und es gibt auch kaum
Anzeichen dafür, dass ihre Errichtung von oben gesteuert worden wäre.
IV. Kaiserliche Bauinschriften und Meilensteine
W ie im vorigen Abschnitt zu sehen war, gab es im gesamten Reich zahlreiche Gebäude und an­
dere Monumente, die dem Kaiser vom Senat, von Stadtgemeinden oder von Einzelpersonen ge­
widmet wurden, und zwar sowohl im profanen wie auch im kultischen Kontext (zu Letzterem s.
unten Kap. 5). Ausgedrückt wurde dies in Bauinschriften, an deren Beginn der Name des Kaisers
im Dativ aufgeführt und der Herrscher somit als Empfänger der W idmung prominent herausge­
stellt wurdei5>. Für unser Thema interessanter sind jedoch diejenigen ßautituli, in denen der Kaiser
im Nominativ genannt156 und damit - zumindest im Inschnftenformular - als handelnde Figur
bei einer Baumaßnahme ausgewiesen wurde1>7. Diese Inschriften waren oft besonders aufwändig
= IL A Santons 7; dazu Louis M aurin, Sainces antique des origines ä la fin du V L siecle apres f.-C . (Saintes 1978)
7 1 - 8 1 ; Em m anudle Rosso, Presence de ia domus imperiale julio-claudienne ä Saintes. Statuaire et epigraphie, in:
A qukania 17 (2 0 0 0 ) 1 2 1 - 1 4 9 ; Witschel, Augustus 7 l f.
ix' So in Lepeis magna auf der Plattform , die dem Rom a und A ugustus-lem pel vorgelagert war; s. IR T 3 3 4 a -h
in der Neulösung von Walter Trilbnich, D er G erm anicus-Bogen in Rom und das M onum ent für Germ anicus
und Drusus in Lepds Magna. Archäologisches zur Tabula Siarensis (I 9 - 2 1 ) , iw. Ju lian G onzalez , Javier Arce
(H g.), Estudios sobre la tabula Siarensis. Actas de Jas Jornadas celebradas cn Sevilla 1986 (M adrid 1 9 8 8 ) 5 1 - 6 0 .
m S. S E G 52 (2 0 0 2 ) 1438 (altarartiges M onum ent an der Straße von Myra nach Lim yra); SE G 50 (2 0 0 0 ) 1350
(Statuenbasis für Claudius aus Gagai; der Kaiser erscheint hier als epiphanestatos soter theos); dazu Thomas
M arksteiner, M ichael Wörrle, Ein Altar für Kaiser Claudius auf dem Bonda tepesi zwischen Myra und Limyra,
in: C hiron 32 (2 0 0 2 ) 5 4 5 - 5 6 9 (zu weiteren Statuenbasen für Claudius in Lykien m it ähnlich formulierten
Inschriften s. ebd. 5 6 2 A. 6 1 ); Sahin, A dak, Stadiasmus Patarensis (wie Anm. 134) 42f.
^ D aneben begegnet der Name des Kaisers am Beginn von Bauinschriften gelegentlich im Ablativ. Er ist in
diesen Fällen vorrangig aus Datierungsgründen genannt, aber durch die prom inente Platzierung des Herrschers
in solchen Inschriften konnten naturgemäß auch diese zur Verherrlichung des Princeps beitragen.
Anzuschließen sind hier Inschriften, die davon berichten, dass eine bestim m te Baum aßnahm e „auf Befehl“
( iussu) o.a. des Kaisers durchgeführt wurde; s. etwa IR T 9 3 0 (Lepcis magna/Africa proconsularis) oder
IAJexandreia Troas (IK 53) 34 = A E 1975, 8 0 6 , eine Ehreninschrift aus Alexandreia Troas (Asia) für einen
praef(ectus) ... operttm quae in colonia iussu Augustifa c ta sunt; dazu Peter A. Brunt, C . Fabrieius Tuscus and an
Augustan dilectus, in: Z P E 13 (1 9 7 4 ) 1 6 1 -1 8 5 . Zu Gebäuden, die unter den auspicia des regierenden Kaisers
errichtet wurden, vgl. G eza Alföldy, Traianus Pater und die Bauinschrift des Nymphäums von M ilet, in: R EA
1 0 0 (1 9 9 8 ) 3 6 7 -3 9 9 .
° Zu den kaiserlichen Bauinschriften im O sten des römischen Reiches vgl. Ram say MacMidle.ru Roman
Imperial Building in the Provinces, in: H SP h 6 4 (1 9 5 9 ) 2 0 7 - 2 3 5 ; Stephen M itchell , Imperial Building in the
Eastern Rom an Provinces, in: H SP h 91 (1 9 8 7 ) 3 3 3 - 3 6 5 ; Benjam in Isaac , The Lim its of Empire. The Roman
Army in the East (O xford 21992) 3 3 3 - 3 7 1 sowie die Studie von Engelbert Winter, Staatliche Baupolitik und
Baufürsorge in den röm ischen Provinzen des kaiserzeidichen Kleinasien (B o n n 1 996). D ie entsprechenden
82
C hristian W itsch e l
gestaltet und hoben durch ihre Monumentalität oder die Verwendung von litterae aiireae die Rolle
des Kaisers als des größten Bauherren im Imperium Romanum hervor1™. Sie waren somit ein be­
deutsames M ittel der kaiserlichen Repräsentation, indem sie eine der wichtigsten Tugenden des
Herrschers, seine Freigebigkeit (verschiedentlich als libcralitas , rnunificentia oder indulgentia be­
zeichnet) und Fürsorge (cum) für die Bevölkerung des Reiches, in Rom, Italien und den Provinzen
zum Ausdruck brachten, wobei hier einmal mehr der lext der Inschrift, deren Form sowie ihr
Kontext - die Architektur, in die der Titulus eingebunden war - in der Aussage zusammenwirkten.
Zwei Probleme verbinden sich mir der historischen Interpretation dieser Zeugnisse. Zum ersten
muss danach gefragt werden, inwieweit der Kaiser in die praktische Umsetzung einer in seinem
Namen durchgeführten Baumaßnahme involviert war!>9; und insbesondere, ob und in welcher
Form er den genauen W ortlaut sowie die Ausgestaltung einer an einem solchen Gebäude ange­
brachten Inschrift, die seinen Namen im Nominativ anführte, selbst festlegte oder zumindest mitbestimmte. In der Regel geht man davon aus, dass die Texte der kaiserlichen Bauinschriften nicht
ohne Weiteres von den Gemeinden, in denen das entsprechende Bauwerk errichtet wurde, oder
von den örtlichen Bauaufschern konzipiert werden konnten; vielmehr sei hierfür eine Rücksprache
mit dem Herrscher oder noch eher eine direkte Anweisung von Letzterem erforderlich gewesen160.
Explizit belegen lässt sich dies allerdings fast nie161. In einem Fall erfahren wir immerhin, dass ein
T iculi aus Italien und den W estprovinzen des Imperium Romanum hat jüngst M arietta Hörster , Bauinschriften
röm ischer Kaiser. Untersuchungen zur Inschriftenpraxis und Bautätigkeit in den Städten des westlichen
Imperium Romanum in der Z e it des Prinzipats (Stuttgart 2 0 0 1 ) zusammentassend behandelt.
G enannt seien hierfür nur zwei Beispiele aus H ispanien und Südgallien, die bezeichnenderweise beide
Stadtmauern bzw. -tore betreffen, denn hierbei handelte es sich um bauliche Strukturen, die gerne vom Kaiser
gestiftet wurden und an denen sich sein Name in einem aufwändig gestalteten Titulus besonders wirkungsvoll
inszenieren ließ (s. ferner oben Anm . 1 1): Ein erst vor Kurzem entdecktes Zeugnis aus Ilunum (H ispania eiterior) berichtet davon, dass Augustus dem municipimn die Stadtbefestigung geschenkt hatte (A E 1996, 9 07a).
D ie m onum entale Bauinschrift m it einer Länge von ca. 8 m wurde an einer prom inenten Stelle in die Blöcke der
vorher errichteten M auer eingem eißclt; die Einweihung wurde vom Provinzstatthalter vorgenom m en. Vgl. dazu
Lorenzo A bad Casal, La epigrafia del Tolm o de M inateda (H ell in, Albacete) y un nuevo nnm icipio romano del
conventus Carthaginicnsis, in: A E A 6 9 (1 9 9 6 ) 7 7 - 1 0 8 sowie Alfoldy, Fasti und Verwaltung (wie Anm . 8 0 ) 340 f.
mit Abb. 2. In Ncmausus (G allia Narbonensis) stiftete Augustus ebenfalls portas murosq(ue). D ie an einem der
Stadttore, der sog. Porte d’Auguste, angebrachte Inschrift ist wiederum ca. 8 m lang und war aus (vergoldeten)
Bronzebuchstaben gefertigt, die in der ersten Zeile eine H öhe von 25 cm erreichten (C IL X I I 3 1 5 1 ). Zu den
Bauinschriften des Augustus in Rom vgl. Alföldy , Augustus (wie Anm. 9) 2 9 3 - 2 9 9 .
5,9 Zur Problem atik der Bauinschriften m it einer Kaisernennung im N om inativ vgl. M itchell , Imperial Building
(wie Anm . 157) 3 4 2 - 3 4 4 m it einigen instruktiven Beispielen. Besonders bemerkenswert ist der Fall von
Philadelphia in Lydien: Kaiser Caracalla gestand den Bürgern von Philadelphia lediglich eine N cokorie zu, auf
der Architravinschrift des daraufhin wohl von der G em einde errichteten Tempels erscheint er jedoch selbst (im
Nom inativ) als Stifter des Baues; s. IG R IV 1619 = Oliver, C onstitu tions N r.2 6 3 . Es ist also keineswegs klar,
dass die N ennung des Kaisers im N om inativ in jedem Fall bedeutete, dass die Initiative zur Errichtung eines
Bauwerkes (direkt) von ihm selbst ausgegangen war. Für Winter, Baupolitik (wie Anm . 157) 7 2 hingegen drück­
ten diese Inschriften „ein weitestgehendes Engagem ent des Kaisers“, d.h. seine „aktive Beteiligung ... an einer
Baumaßnahme'* aus.
It0 So etwa Hörster, Bauinschriften (wie Anm. 157) 4 2 - 4 4 , die u.a. auf die Tatsache verweist, dass die kaiserli­
chen Bauinschriften nur selten Fehler enthielten (vgl. dazu aber unten), was auf direkte Anweisungen der kaiser­
lichen Zentrale bei der K onzeption dieser T itu li schließen lasse.
1M So wissen wir fast nichts darüber, in welchem Um fang die örtlichen Aufseher bei kaiserlichen Bauprojekten
(cumtores operum) vom H errscher detaillierte Anweisungen hinsichtlich der Bauausführung und der Gestaltung
der zugehörigen T itu li erhielten. Immerhin berichtet eine Inschrift aus Kibvra ( IG R IV 9 0 2 ), der Statthalter Q.
Vcnuuus habe als Aufseher über die „kaiserlichen
Bauten“ gemäß dem Auftrag des Kaisers Claudius gehandelt.
D e r K a i s e r u n d di e I n s c h r i f t e n
83
Statthalter der Provinz Asia brieflich aiiordnete, weiches Formular die Inschrift an einem Tempel
nehmen sollte, der auf Befehl des Augustus restituiert worden war]t'\ Allerdings ist auch hier nicht
zu beweisen, dass dies in direkter Absprache mit dem Herrscher erfolgte. In einem weiteren, ver­
gleichbaren Fall erscheint ein solches Vorgehen sogar eher unwahrscheinlich: Hierbei handelt es
sich allerdings nicht um eitle Bau-, sondern um eine Weiheinschrift, die im Namen des Tiberius im
baetischen Tucci dem in dieser Stadt besonders verehrten G ott Hercules Invictus gewidmet wur­
de11-’’. Verantwortlich hierfür war offenbar ein am Ende der Inschrift genannter Provinzstatthalter,
dessen Name später cradiert wurde. I:ir hat sich bei der Formulierung der Inschrift einige Freiheiten
genommen, denn in Abweichung von der zu dieser Zeit gültigen Titulatur des Tiberius wurde
dieser nicht als Divi Augusti filius bezeichnet, dafür aber das in Tibcrius-Inschriften sonst nur sel­
ten vorkommende Nomen Iulius verwendet. Das spricht wohl dagegen, dass der Wortlaut dieser
Inschrift vom Kaiser selbst konzipiert worden war"-’1.
W eiterhin lassen sich einige Bauinschriften anführen, die nominell vom Princeps selbst hcrrührten, aber solch gravierende Ungenauigkeiten in der Kaisertitulatur aufwiesen, dass sie kaum
direkt von der kaiserlichen Kanzlei angefertigt worden sein können. Im zivilen Bereich kamen sol­
che Fehler zugegebenermaßen eher selten vor, aber es gab sie: So war die Titulatur des Augustus
in einer Inschrift in Fano, die von der Stiftung der Stadtmauern der colonia lulia Fanestris durch
den Kaiser berichtete, offensichtlich fehlerhaft, da hier die 26. imperatorische Akklamation des
Augustus angeführt ist, obwohl dieser nur einundzwanzig Mal zum Imperator ausgerufen worden
war16’ . Gerade im militärischen Sektor sind solche fehlerhaften kaiserlichen Bautituli durchaus
nicht selten. So wurde in einer Inschrift, die von dem durchgreifenden Umbau des Kleinkastells
Ellingen (castdlum Sablonetum) am raetischen Limes berichtete und dem Kaiser Commodus ge­
widmet war, in der Titulatur des Herrschers dessen Siegerbeinamen falsch wiedergegeben, obwohl
die Baumaßnahme auf direkte Anordnung ( iussu) des Provinzstatthalters erfolgt war166. Zumindest
M an wüsste nun zu gerne, was genau in diesen kaiserlichen entolai gestanden hat, aber darüber sagt die Inschrift
leider nichts N äheres; und andere Erwähnungen dieser A rt sind selten.
H'2 IKyme (IK 5) 17 (vgl. oben Anm. 8 1 ): ...restitnat fa[num ejt in eo inscreibatur: Im p(erator) Caesar Deivei
f(ilius) Augustufs] refstitnitj.
! C I L I I 2/5, 65 - C IL II 1660 - IL S 161 (D at.: nach 15 n .C h r.); dazu G eza Alfoldy , Epigraphica Hispanica
VIH. Eine kaiserliche W idm u ng in der Stadt Tucci, in: Z P E 59 (1 9 8 5 ) 1 8 9 - 1 9 9 , bes. 193: Ein ähnliche Situation ist im Falle der Bauinschrift des Leuchtturm svon Patara vorstellbar (s. oben Anm. 136):
D er Tituius nennt Nero im N om inativ als Initiator der Baum aßnahm e; auffällig ist dabei aber, dass die im­
peratorischen Akklam ationen nich t in der üblichen Form angeführt, sondern m it der überhöhenden Formel
„Imperator über Land und See“ versehen werden (s. auch oben Anm . 134 zu der vergleichbaren Formulierung
im stadiasnms Patarensis). Diese W ortwahl könnte au f den am Ende der Inschrift genannten Statthalter von
Lykien, Sex. Marcius Priscus, z.urückgehen, über den ferner gesagt wird, er sei der eigentliche BauausKihrende
gewesen. D ies wird unterstrichen durch den Text einer direkt vor dem Leuchtturm aufgestellten Statuenbasis
Für Priscus, denn hier wird ausdrücklich berichtet, er werde geehrt, „weil er den Pharos und den Antipharos zur
Sicherhcit der Seeleute errichtet hat' “.Vgl. die Diskussion bei
u.a., Leuchtturm (wie Anm. 136) 11 Of.
^ C I L X I 6 2 1 8 = IL S 104. D ie Angabe der 2 2 . tribimicin potestas würde auf das Jah r 9/ 10 n .C h r. führen.
Hörster , Bauinschriften (wie Anm . 157) 3 0 8 - 3 1 1 Kat. N r.V I 2,1 vermutet allerdings eine nachträgliche
Verwechslung der Bronzebuchstaben bei einer konstantinischcn Restaurierung des Bauwerkes; ihrer Meinung
nach sei der originale Text in das Jah r 14 n .C h r. zu datieren und so zu rekonstruieren: tribimicin potestate
XXX'<V>11 irnp(erator) X.X(V}I. Bei anderen kaiserlichen Inschriften, die im heute sichtbaren Zustand Fehler
autweisen, ist nicht auszuschließen, dass diese in der Antike durch Stucküberzug oder eine farbige Fassung ka­
schiert wurden.
Uv AE 1983, 7 3 0 (D at.: 182); vgl. den Kom m entar von Karlheinz D ietz , Kastellum Sablonetum und der Ausbau
des raetischen Limes unter Kaiser Com m odus, in: C h iron 13 (1 9 8 3 ) 4 9 7 - 5 3 6 , bes. 5 0 3 : „Offenbar hatte der
84
C hristian W itsch e !
einige dieser Texte scheinen also, obwohl sie im Namen des Kaisers ausgebracht wurden, vor O rt
konzipiert worden zu sein; und sie wurden wohl noch nicht einmal von einer übergeordneten
Behörde abeenommen,
weil sonst die Fehler ausgefallen
sein müssten. Hinzu kommt,’ dass sich die
O
’
D
komplexen Mechanismen und administrativen Abläufe, die bei den kaiserlichen Bauprojekten zur
Anwendung kamen und schließlich zur Ausarbeitung eines entsprechenden Titulus führten, aus
dem stark verkürzten Formular der meisten Bauinschriften kaum mit hinreichender Genauigkeiten
rekonstruieren lassen16.
Das zweite wichtige Problemfeld, das hier nur kurz angerissen werden kann, betrifft die Frage, in­
wieweit in den durch diese Inschriften bekannten Bauprojekten eine zentral koordinierte, zielgerich­
tete und längerfristig angelegte kaiserliche,Baupolitik4oder gar eine entsprechende,Baupropaganda4
erkannt werden sollte. Eine solche wurde in der aitertumswissenschaftlichen Forschung häufiger
postuliert168. Dagegen hat Marietta Hörster in ihrer vor Kurzem erschienen, umfassenden Studie zu
den kaiserlichen Bauinschriften zu Recht eingewandt, dass es kaum Anzeichen hierfür oder für weit
ausgreifende ,Bauprogramme4 gibt, durch die einzelne Städte oder Provinzen vom Herrscher nach
genauen Planvorgaben flächendeckend mit bestimmten Gebäudetypen ausgestattet worden wären,
um damit klar definierte Ziele, etwa eine reichsweit koordinierte Selbstdarstellung, zu verfolgen169.
Vielmehr erfolgten die kaiserlichen Baustiftungen fast immer selektiv (wobei die Motivation in vie­
len Fällen unklar bleibt) und punktuell, so dass sie in den jeweiligen Gemeinden im Vergleich zu
der übrigen Bautätigkeit von untergeordneter Bedeutung blieben. Es handelte sich somit in der
Regel um Einzelmaßnahmen der Herrscher, die zudem häufig von unten, etwa durch die Statthalter
oder die betroffenen Städte selbst, angeregt worden waren oder auf ganz bestimmte, jeweils aktuelle
Konzipient der Inschrift nur vage von der Veränderung der Kaisertitulatur, die eine Umstellung der Reihenfolge
der Beinamen m it sich brachte, geh ört“, was für eine Konzeption der Inschrift vor O rt sprechen dürfte. Von
einem höheren M aß an zentraler K ontrolle auch bei militärischen Bauprojekten geht hingegen Marcus Reuter ,
Zu den Befugnissen röm ischer Provinzstatthalter bei militärischen Bauprojekten, in: Willy Groenman-van
Waateringe u.a. (H g .), Rom an Frontier Studies 1995. Proceedings of the X V Ith International Congress of
Rom an Frontier Studies (O xford 1 9 9 7 ) 1 8 9 -1 9 4 aus.
16 Die Kom plexität der einzelnen Vorgänge bei der Verwirklichung eines kaiserlichen Bauprojektes, die von
den zumeist lapidaren Bauinschriften weitgehend verschleiert wird, kann die relativ ausführliche epigraphische
D okum entation zu einem Aquädukt in Dyrrachium , einer römischen K olonie, verdeutlichen. D ie Bauinschrift
C IL III 7 0 9 berichtet, dass Kaiser Severus Alexander ein aquaeductum divi H adrian i parentis sui liberalitatc
Dyrrachinis faction restaurieren ließ (s. auch A E 1 9 7 8 ,7 6 2 ). D urch die Aufschriften auf einigen ebendort gefun­
denen Bleirohren (A E 1 9 8 4 ,8 1 1 - 8 1 3 ) wissen wir aber, dass die eigentliche Bauaufsicht bei den O berm agistraten
der Stadt lag, während als Beauftragter des Kaisers bzw. des Statthalters offenbar ein gewisser Epagathus, wohl
ein kaiserlicher Sklave, fungierte. D ie Bleirohre selbst wiederum wurden von einem lokalen oßicinatoi\ einem
Gemeindesklaven, hergestellt.
l6' Vgl. etwa die Arbeiten von Gerhard W aldherr , Kaiserliche Baupolitik in N ordafrika. Studien zu den
Bauinschriften der diokletianischen Z eit und ihrer räumlichen Verteilung in den röm ischen Provinzen
N ordafrikas (Frankfurt am M ain 1989) und von W inter , Baupolitik (wie Anm . I5 7 ) bes. 2 2 6 - 2 4 0 , für den
feststeht, dass bei der baulichen Ausgestaltung der Städte in Kleinasicn „der Kaiser und dessen Vertreter in den
Provinzen eine maßgebliche Rolle (spielten)“ und dass „das Engagement des römischen Staates im Bauwesen für
die Entwicklung provinzialer Verhältnisse von signifikanter Bedeutung war“ (2 2 6 ). W eiterhin nim m t Winter
eine gezielte Verteilung der kaiserlichen Bauprojekte an, denn: „D er Kaiser baute dort, wo es gesehen wurde,
wo der Propagandawert einer Baum aßnahm e am größten war“ (2 3 4 ). Zur K ritik an einem solchen M odell vgl.
Heinz Herzig , G ibt es eine Baupolitik in der Schweiz zur römischen Z eit?, in: La politique edilitaire dans les pro­
vinces de l’Em pire romain. Actes du 1er C olloque roumano-suisse, D eva 1991 (C lu j 1993) 9 - 1 3 , der zu Recht
darauf hinweist, dass sich nur relativ wenige Anhaltspunkte für eine kaiserliche (Bau )Politik ausmachen lassen,
die langfristigen Zielvorgaben gefolgt wäre und diese planm äßig in die T at umgesetzt hätte.
Hörster , Bauinschriften (wie Anm . 157) bes. 2 2 2 - 2 5 0 .
D e r K a i s e r u n d di e I n s c h r i f t e n
85
Bedürfnisse antworteten. Auch ist kaum auszumachen, dass damit propagandistische Ziele verfolgt
wurden, die über die von jedem Herrscher erwartete Demonstration der kaiserlichen lib era lita s
deutlich hinausführten. Dagegen spricht nicht zuletzt die oben angesprochene Vermutung, dass die
Inschriften, die die kaiserliche Bautätigkeit konimemorierten, häufiger vor O rt und ohne strenge
Kontrolle von oben konzipiert worden sein dürften.
Im weiteren Sinne ebenfalls zu den Bauinschriften zu zählen sind jene epigraphischen Zeugnisse,
die an Straßenbaumaßnahmen erinnerten, welche unter der (nominellen) O berhoheit des Kaisers
durchgeführt wurden1 u. Hierzu zählten neben großen Straßenbaumonumenten und längeren Tituli,
die den Ausbau der Straßen kommemorierten l''\ vor allem die massenhaft an den Straßenrändern
aufgestellten Meilensteine, die in der Regel die Form von beschrifteten Rundsäulen hatten. Am
Beginn der Meilenstein-Inschriften wurde Fast immer der regierende Kaiser mit einer mehr oder
minder ausführlichen Titulatur genannt. In der frühen Kaiserzeit erschien der Name des Kaisers zu­
meist im Nominativ, oft verbunden mit einem Verb des Bauens (etwa fecit oder muniuit ), das auf sei­
ne Rolle als offizieller Bauherr dieser Straßen verwies. Hieraus hat ein Teil der Forschung geschlos­
sen, der Kaiser selbst habe jeweils das Formular der Inschriften entworfen, und die Anfertigung der
Meilensteine sei dann von der Zentrale überwacht worden, um die nötige Einheitlichkeit dieser
für den Herrscher wichtigen Form der Selbstdarstellung entlang der wichtigsten Verkehrswege des
Reiches zu gewährleisten5 2. Ein solcher Ablauf ist allerdings nirgends explizit belegt; und es gibt
einige Argumente, die gegen eine zu starke Zentralisierung der Meilensteinaufstellungen sprechen.
So ist nicht klar, inwieweit die Kaiser im Einzelnen tatsächlich in die Straßenbauaktivitäten in­
volviert waren, denn die konkrete Bauausführung oblag den Gemeinden, durch deren Territorium
die jeweilige Straße führte. Wer den ,U rtext4 für die Meilensteine entwarf, die nach Ende einer
Baumaßnahme (zunehmend aber auch unabhängig von einer solchen) oft in größeren Serien er­
richtet wurden, ist ebenfalls nicht klar; es gibt aber einige Hinweise darauf, dass hierfür nicht selten
die Provinzstatthalter verantwortlich waren, was dazu führte, dass sich das Formular von Provinz
! 0 Zum römischen Straßenbau und zu den dam it verbundenen Problem en vgl. allgemein Thomas Pekäry,
Untersuchungen zu den römischen Reichsstraßen (B on n 1 9 68); Heinz E. Elerzig, Probleme des römischen
Straßenwesens. Untersuchungen zu G eschichte und R echt, A N R W II I (1 9 7 4 ) 5 9 3 - 6 4 8 ; M ichael Rathm ann,
Untersuchungen zu den Reichsstraßen in den westlichen Provinzen des Imperium Rom anum (M ainz 2 0 0 3 );
zu den M eilensteinen vgl. Christian IVitschel, M eilensteine als historische Q uelle? Das Beispiel Aquileia, in:
C hiron 32 (2 0 0 2 ) 3 2 5 - 3 9 3 .
1 1Zu nennen sind hier beispielsweise der stadiasmus Patarensis (s. oben Anm . 134) oder ein größeres M onum ent
mit mehreren Inschriften in Salona, das die Straßenbaum aßnahm en in Dalmatien unter Kaiser Tiberius und
dem Statthalter P. Cornelius D olabella kom memorierce; dazu M anfred G. Schmidt, , Regional Developm ent1
under Tiberius and the tabulae Dolabellac, in: M aria G. Angeli Bertinelli , Angela D onati (H g .), Misurare il
tempo, misurare lo spazio. Atti del C o llo qu io Borghesi 2 0 0 5 (Faenza 2 0 0 6 ) 4 2 3 - 4 4 0 ; Witschel, Augustus 109f.
1 • Dass die Beschriftung der M eilensteine ein zentral gesteuerter, also von Rom ausgehender und von dort
überwachter Vorgang war, behaupten vor allem Pekäry , Reichsstraßen (wie Anm. 170) 1 6 - 2 2 (bes. 19h: „Es
konnte dem H errscher keinesfalls gleichgültig sein, in welcher Form er auf diesen zahlreichen und von vielen
Leuten gelesenen Inschriften geehrt wurde ... W ollte man aber den Kaiser ehren, musste die Bewilligung dafür
bei ihm cingeholt werden“); Thomas Grünewald, Constantinus Maximus Augustus. H errschaftspropaganda in
der zeitgenössischen Überlieferung (Stuttgart 1990) 15, 146f. und K ubo(J Selhstdarstellung (wie Anm. 140)
1 5 0 -1 7 0 . Autgegriften wurde dies jüngst etwa von Isik u.a., M iliarium Lyciae (wie Anm . 134) 7 6 f. Vgl. dagegen
die überzeugende A rgum entation von Ingemar König, Zur D edikation röm ischer M eilensteine, in: C hiron 3
(1 9 7 3 ) 4 1 9 - 4 2 7 und Eberhard Sauer, M . Annius Florianus. Ein D rei-M onatc-K aiser und die ihm zu Ehren
ai^gesteliten Steinm onum ente (2 7 6 n .C h r.), in: H istoria 4 7 (1 9 9 8 ) 1 7 4 - 2 0 3 , bes. 1 9 2 - 1 9 7 ; zum Folgenden
ferner W itschel M eilensteine (wie Anm. 170) 3 2 6 - 3 3 0 , 3 5 4 - 3 5 6 , 3 6 6 - 3 6 8 .
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C hristian W itsch e l
zu Provinz unterscheiden konnte. Die eigentliche Herstellung der Meilensteine lag dann offenbar
zumeist in der Verantwortung der Gemeinden, und zahlreiche Fehler bei der Umsetzung des Textes
auf die Steine (insbesondere Ungenauigkeiten in der Wiedergabe der Kaisertitulatur) deuten dar­
aufh in , dass dieser Vorgang nicht allzu strikt überwacht worden sein kann10. Die Zuständigkeit
provinzialer oder lokaler Behörden für die Konzeption von Meilenstein-Inschriften ist noch deut­
licher für die spätere Kaiserzeit fassbar, als das Meilensteinformular einem generellen Wandel
unterworfen war: In der Mehrzahl der Fälle wurde der Kaiser nicht mehr als handelnde Person
im Nominativ genannt, sondern sein Name erschien nun im Dativ, wodurch der Meilenstein den
Charakter eines Ehrenmonuments für den Herrscher annahm. Gleichzeitig verschwand häufig der
Bezug auf konkrete Straßenbaumaßnahmen. In manchen Regionen, etwa in Gallien, bürgerte es
sich zudem ein, den Auftraggeber eines Meilensteines in dessen Inschrift anzuführen, und an dieser
Stelle taucht in der Regel die jeweilige civitas auf. Andere Meilensteintexte wurden weiterhin vom
Provinzstatthalter oder von den Provinziallandtagen entworfen und dann seriell verbreitet. Dabei
entstanden teilweise recht eigenwillige Kreationen, die nochmals verdeutlichen, dass ein größerer
Teil dieser Inschriften nicht in der Zentrale konzipiert, sondern von der Bevölkerung an den Kaiser
gerichtet wurde.
V. W eiheinschriften und das P hänom en des Kaiserkults
W ie schon gesehen, haben die Kaiser einige Male selbst Weihungen an die G ötter errichtet und
m it entsprechenden Inschriften versehen1
Weitaus häufiger waren aber solche Weiheinschriften,
die sich an den Herrscher (der darum in ihnen im Dativ aufgeführt war) richteten und für ihn
von anderen Personen oder Gemeinschaften erstellt wurden. Sie waren vornehmlich auf kultisch
genutzten Gebäuden und insbesondere auf Altären angebracht, die wiederum verschiedenste
Formen annehmen konnten1 \ An der Spitze standen dabei die großen Anlagen des provinzialen
Kaiserkults1''6 wie der im Jahre 12 v.Chr. eingerichtete Heiligtumsbezirk der Tres Galliae bei Lyon,
173 Vgl. hierzu einige Fallstudien; Antonietta Boninu , Armin U Stylow, M iliari nuovi e vccchi daila Sardegna, in:
Epigraphica 4 4 (1 9 8 2 ) 2 9 - 5 6 , bes. 4 8 , 55f. zu Sardinien (hier lassen sogar sich Unterschiede zwischen den im
Territorium ein- und derselben G em einde zeitgleich errichteten M eilensteine beobachten); Joelle Napoli, Rene
Rebuffat, Les milliaires ardechois d Ä nton in le Pieux, in: G allia 4 9 (1 9 9 2 ) 5 1 - 7 9 zur G allia N arbonensis; ferner
König , M eilensteine (wie Anm . 172) 425.
1 1S. oben Anm. 163.
1 ’ Vgl. etwa Güstau G am er , Formen röm ischer Altäre au f der hispanischen Halbinsel (M ainz 1 989) und insbe­
sondere Pierre Gros, Les autels des Caesares et leur signification dans l’cspace urbain des villes julio-claudicnnes,
in: R oland Etienne , M arie-Therese L e D inahet (H g .), Lespace sacrificiel dans les civilisations mediterrancennes
de l’antiquite. Actes du C olloqu e Lyon 1988 (Paris 1991) 1 7 9 - 1 8 6 .
rc> Zum provinzialen Kaiserkult vgl. Deininger , Provinziallandtage (wie A n m .4 ) bes. 1 5 8 - 1 6 1 ; Duncan
Fishwick , The Imperial C ult in the Latin West. Studies in the Ruler C u lt o f the Western Provinces o f ehe Rom an
Empire, Bd. 3, 1 - 4 (Leiden u.a. 2 0 0 2 - 0 5 ) . Allgemein ist zum römischen Kaiserkult auf folgende grundlegende
Arbeiten der letzten Jahre zu verweisen: Simon R. E. Price, Rituals and Power. The Rom an Imperial C u lt in Asia
M in o r (Cam bridge 1 9 84); Duncan Eishwick , 'Ehe Imperial C ult in the Latin West. Studies in the Ruler C ult
of the W estern Provinces o f the Roman Empire, Bd. 1 und 2 (Leiden 1 9 8 7 - 9 2 ) ; M anfred Clauss, Kaiser und
G o tt. H errscherkuit im römischen Reich (Stuttgart, Leipzig 1 9 99); Ittai Gradei, Em peror W orship and Roman
Religion (O xford 2 0 0 2 ); sowie auf die Beiträge in: A lastair Sm all (H g .), Subject and Ruler. The C u lt of the
Ruling Power in Classical A ntiquity (A nn Arbor 1996) und in: Elubert Cancik, K onrad Elitzl (H g.), Die Praxis
der Herrscherverehrung in Rom und seinen Provinzen (Tübingen 2 0 0 3 ).
D e r K a i s e r u n d d ie I n s c h r i f t e n
87
in dessen M ittelpunkt sich ein monumentaler Altar erhob, der der G öttin Roma und dem Augustus
geweiht war. Er ist vornehmlich durch literarische und numismatische Zeugnisse
bekannt,’ aus deO
O
nen hervorgeht, dass das Monument neben der eigentlichen W eiheinschrift1 auch ein Verzeichnis
der 6 0 gallischen ciuitates aufwies1 s, deren Abgesandte sich einmal im Jahr an diesem O rt zu ver­
sammeln pflegten1 9. Ebenfalls imposante Formen konnten die auf den öffentlichen Plätzen der
Städte errichteten Altäre annchmen, die dem Vollzug des munizipalen Kaiserkults dienten180.
Nur zwei Beispiele hierfür: Im Jahre 12/13 n.Chr. errichtete die plebs von Narbo (Narbonne) auf
dem Forum der Stadt aufgrund eines im Jahr zuvor abgelegten votum einen Altar für das mimen
des Augustus1-1. Dabei muss es sich um ein größeres Monument gehandelt haben, das auf allen
Seiten mit Marmor verkleidet war und in das der erhaltene Block eingelassen war. Dieser trug zwei
Inschriften: Auf der Vorderseite die Weiheinschrift, die auch Details zu den Opfern enthielt, die auf
dem Altar an bestimmten, m it dem Kaiser in Verbindung stehenden Fest- und Erinnerungstagen
dargebracht werden sollten; und auf der rechten Seite eine lex der am bzw. des Kultes. Im his­
panischen Segobriga ist erst vor wenigen Jahren in der Südporticus des Forums ein großer Altar
entdeckt worden, dessen fragmentarisch erhaltene Weiheinschrift sich wahrscheinlich ebenfalls
auf Augustus ergänzen lässt562. Hier ist deutlich zu erkennen, in weichem Maße sich die gesam­
te Ausstattung des Forums mit Ehreninschriften und -statuen auf dieses M onument hin ausrichtetel*-\ Sehr viel zahlreicher waren kleinere (und teilweise transportable) Altäre m it Weihungen
an den Kaiser, die auch in privateren Kontexten Verwendung fanden. Auch hierfür mögen zwei
Beispiele, dieses Mal aus dem Osten des Reiches, genügen: In Athen wurden - insbesondere im
Umkreis der Agora - zahlreiche einfache Block- und Rundaltäre gefunden, die den Namen des
Augustus (im Dativ oder ~ weitaus häufiger - im Genetiv) trugen und zumeist vom Demos gestif­
tet worden waren. Sie waren wohl an Straßenrändern aufgestellt und wurden für Opfer genutzt,
die etwa zur Feier des kaiserlichen Geburtstags monatlich veranstaltet wurden18'1. In Mytilene auf
Lesbos hat sich eine Vielzahl von kleinformatigen Steinen mit Inschriften erhalten, die ebenfalls als
r r Zu dieser gehörte eventuell das Inschriftcnfragm cnt C I L X I I I 1664.
1 y So Strab. 4, 3, 2.
r9 Vgl. R obert Turcan, L’autei de Rom e et d’Auguste Ad Confluentem , A N R W II 12.1 (1 9 9 2 ) 6 0 7 - 6 4 4 ; Duncan
Fishwick, The Imperial C u lt of the Latin West. Studies in the Ruler C u lt o f the Western Provinces o f the Roman
Empire, B d .3 .3 : The Provincial Centres. Provincial C u lt (Leiden, Boston 2 0 0 4 ) 1 0 5 - 1 2 7 ; Witschet, Augustus
8 Of.
isa Vgl. auch das eindrucksvolle M onum ent im Vorhof des Bouleuterion von M ilet, das als Augustus-Altar ge­
deutet worden ist: Klaus Tucbelt, Bouleuterion und ara Augusti. Bemerkungen zur Rathausanlage von M ilet, in:
M D A I(I) 25 (1 9 7 5 ) 9 1 - 1 4 0 .
iSl C IL X I I 4 3 3 3 - IL S 112: plebs Narbonensium aram N arbone in foro posu it... . Vgl. Peter Kneifst, Entstehung
und Bedeutung der Augnstalität. Zur Inschrift der ara Narbonensis (C IL X I I I 4 3 3 3 ), in: C h iro n 10 (1 9 8 0 )
2 9 1 - 3 2 8 ; M ichel Gayraud , N arbonne antique des origines ä la fin du U I1' sieclc (Paris 1 9 8 1 ) 3 5 8 - 3 6 6 .
I:'- A E 2 0 0 3 , 9 7 9 ; dazu Geza Alföldy u.a., Nuevos m onumenros epigräficos del foro de Segobriga. Parte primera:
Inscripciones votivas, imperiales y de empleados del Estado romano, in: Z P E 143 (2 0 0 3 ) 2 5 8 - 2 6 0 Nr. 3.
VgX.fuan M anuel Abascal u.a., EpigraHa, arquitectura y decoracion arquitectönica del foro de Segobriga, in:
Sebastian F. R am allo Asensio (H g .), La decoracion arquitectönica cn las ciudades romanos de occidente (M urcia
2004) 2 1 9 -2 5 6 .
1 Vgl. Anna Benjamin, Antony E. Raubitschek, Arae Augusti, in: Hesperia 2 8 (1 9 5 9 ) 6 5 - 8 5 (m it Verweisen
auf zahlreiche weitere Stücke im griechischen Raum). Z ur Feier des kaiserlichen Geburtstags in Athen s. das
D ekret IG II/ III2 1071 = SE G 17 0 9 6 0 ) 3 4 = Agora X V I 4 7 3 f Nr. 3 3 6 ; sowie zum Vergleich IG X I I 2, 58 aus
Mytilene.
88
C hristian W itsch cl
Altäre anzusprechen sind,Ä\ Sie sind häufig mehreren Personen zusammen geweiht und nennen in unterschiedlicher Zusammensetzung - neben Pompeius, Caesar und lokalen Persönlichkeiten
auch verschiedene Mitglieder des augusteischen Kaiserhauses (Augustus selbst, Agrippa, Caius und
Lucius Caesar, Agrippa Postumus), die teilweise als theos angesprochen werden, wodurch vielfältige
Kultaktivitäten in der Gemeinde bezeugt sind. Solche mittel- und kleinformatigen Altäre für den
Kaiser und seine Familie müssen in den Städten des Imperium Romanum an sehr vielen Orten zu
sehen gewesen sein1*6.
Die Verehrung des lebenden Kaisers als eines „gegenwärtigen G ottes“ {deus praesens oder theos
epipbanes)XK: war nach dem Zeugnis der Inschriften ein nicht zu unterschätzender Aspekt des
Alltagslebens in der römischen W elt188. Die Ansprache des Herrschers konnte in solchen Inschriften
unterschiedliche Formen annehmen. Im Westen des Reiches war die direkte Bezeichnung des Kaisers
als deus selten, kam aber bereits seit Augustus durchaus vor189. Häufiger war die Kombination des
Namens Augustus (im Dativ) mit dem W ort sacrum™ oder in Verbindung mit einer Weiheformel
wie votum solvit libens merito. Nicht selten wurde der Kaiser dabei - mit oder ohne verbinden-
Ls5 S. etwa IG X II 2, 164, 166, 168 (jeweils m it Ansprache der genannten Personen im D ativ). W ichtige
Hinweise zu diesen M onum enten verdanke ich der noch unpublizierten A rbeit von Caroline Rödel, Im Osten
nichts Neues? Stiftungen und Ehrungen röm ischer M agistrate im O sten des Röm ischen Reiches vom Ende des
3 .Jahrhunderts v. Chr. bis zum Ende der augusteischen Z eit (D iss. Heidelberg 2 0 0 8 ); vgl. ferner Labarre , Lesbos
(wie A n m .6 3 ) 116-128.
Ksc’ S. etwa die erst kürzlich entdeckten Altäre für Augustus und Germ anicus aus dem Theater von M etropolis:
Dreyer, Engelmann, Augustus und G erm anicus (wie A n m .31) 1 7 3 - 1 7 5 ; oder aber einen kleinen Altar für
die Tvche des Autokratör K aisar (also wohl des Octavian vor 2 7 v.C h r.), gestiftet von einem Dem archos in
einem D o r f au f dem Territorium der Ivkischcn Stadt Arykanda, der zeigen kann, wie rasch sich die kultische
Verehrung des ersten Princeps selbst in den ländlichen G ebieten verbreitete: M ichael l-Vörrle, Ein W eihaltar aus
Kilepe/Ye^ilköy, in: Eritz Blakolm er u.a. (H g .), Fremde Z eiten. Festschrift für J. Borchhardt, Bd. 1 (W ien 1996)
1 5 3 -1 6 0 /
!S~Vgl. M anfred Clauss, Deus praesens. D er römische Kaiser als G o tt, in: K lio 7 8 (1 9 9 6 ) 4 0 0 - 4 3 3 .
iw Dass die Verehrung des lebenden Kaisers als G o tth eit für die allermeisten M enschen in den Provinzen und
auch in Italien (dazu s. unten Anm. 2 0 6 ) bereits seit Augustus keinerlei Problem darstellte, ja geradezu die Regel
war, belegt eine Vielzahl von epigraphischen und anderen Zeugnissen zur Genüge. Lediglich im Bereich des in
Rom betriebenen und vom Senat initiierten Staatskultes hatte es sich eingebürgert, eine solche Ehre erst dem
verstorbenen H errscher nach einem aufwändigen Ritual zukommen zu lassen. Von diesem Z eitpunkt an wurden
die verstorbenen Kaiser in Ehren- und W eiheinschriften sowohl in Rom wie auch in den Provinzen - auch wenn
sie dort schon zuvor kultisch verehrt worden waren - als divi angesprochen; dazu Andre C hastagnol Un chapitre
neglige de lepigraphie latine. La titulature des empcrcurs morts, in: R E L 6 2 (1 9 8 4 ) 2 7 5 - 2 8 7 . Diese beiden
Ebenen sind in der m odernen Forschung oft nich t genügend auseinandergehalten worden, was jedoch unbe­
dingt notw endig ist, weil sich sonst leicht eine verzerrte Sichtweise auf das G esam tphänom en des Kaiserkults
einsteile, die vernachlässigt, dass aufs G anze betrachtet die Situation in Rom eine Ausnahme darstellte; vgl. dazu
G radei Em peror W orship (wie Anm. 176) bes. 102f., 1 4 0 -1 4 4 .
189 Ein Beispiel hierfür bietet die Inschrift A E 1912, 51 = IL S 9 4 9 5 (Thinissuc/Africa proconsularis), die offen­
sichtlich zu Lebzeiten des Augustus errichtet wurde: Augusto deo / fives Rom ani / qui Ihinissut / negotiantur/
curatore L(ucio) Eäbricio\ vgl. A lßldy, Augustus (wie Anm . 9) 302f.
190 Zahlreiche Beispiele hiefür sind aus dem gallischen Raum bekannt, so IL G N 8 8 = A E 190 6 , 144 (Martigues/
G allia N arbonensis): Ti(berio) Augusto / sacrum / Sex(tus) Aelanius Pisinns / d (e) s(ua) p(ecunia) d(edit)\ vgl.
hierzu M arcel L e Glay , Le culte d’Auguste dans le vilies augustcennes ... et les autres, in: Christian Goudineaii ,
Alain R ebourg{ H g.), Les vilies augusteennes de Gaule. Actes du Collocjue Autun 1985 (Autun 1991) 1 1 7 - 1 2 6 ;
IVitschel, Augustus 8 8 f. W enn nur Augustus alleine genannt ist, kann sich dies auf jeden regierenden Kaiser
beziehen; vgl. Andre Chastagnol, Lexpression epigraphique du culte imperial dans les provinces gauloises, in:
R EA 97 (1 9 9 5 ) 5 9 3 - 6 1 4 .
D e r K a i s e r u n d d ie I n s c h r i f t e n
89
des et - in eine Reihe mir anderen G ottheiten, sowohl römischen195 wie einheimischen192, gestellt.
Weiterhin wurden die Weihungen des Öfteren an das mimen oder den Genius des Herrschers ge­
richtet. In den östlichen, griechischsprachigen Regionen des Imperium Romanum war hingegen
die Ansprache des lebenden Herrschers als theos völlig geläufig19'. Überall häufig waren schließlich
Weiheinschriften, in denen die G ötter pro salute , pro reditu , pro victoria o.ä. der Herrscher angeru­
fen wurden. Eine solche Formel, in der die Kaiser als Schutzbefohlene der G ötter auftreten, lässt
auf eine gewisse Abstufung zwischen den als übermenschlich empfundenen Herrschern und den
etablierten G ottheiten im Bewusstsein der Zeitgenossen schließen1**. Auf der anderen Seite gibt es
aber genügend Weihungen, die sich - etwa in Erfüllung eines Gelübdes - direkt an den Herrscher
richteten, der hierbei in derselben Position erscheint wie in anderen Weiheinschriften die jeweils
angesprochene G otth eit19’ . Es erscheint mir daher nicht gerechtfertigt, an diesem Punkt zu genau
zu differenzieren und dadurch die kultische Verehrung des Kaisers als religiös zweitrangiges, aus rein
politischen Motiven gespeistes Phänomen abzutun, wie es nicht selten immer noch geschieht191'.
Das hiermit angesprochene Phänomen des Kaiserkultes im Imperium Romanum entfaltete sich
bekanntlich aufverschiedenen Ebenen, nämlich der des Staatskultes in Rom, der Provinzialkulte, der
zahllosen städtischen Kulte sowie schließlich im individuellen (privaten) Bereich. Alle diese Ebenen
werden mehr oder minder stark durch epigraphische Zeugnisse beleuchtet, die über weite Strecken
sogar unsere Hauptquelle hierfür bilden. Bei einer einigermaßen günstigen Uberlieferungssituation
lässt sich beispielsweise aufzeigen, wann und wo es zur Einrichtung eines Kultes für den Herrscher
kam und von wem die Initiative hierfür ausging19 . Allerdings ist an dieser Stelle anzumerken,
m S. beispielsweise C IL I I : /7, 69 = C I L II 2 1 0 6 (Urgavo/Baetica): Imp(eratori) Caesari Aug(usto)pont(ifici)
m ax(im o) / trib(im iäa) pot (estate) X X X I II I cofn)s(uli) X III / patri p atriae Victoriae sacr(imi) / L(ucius) Aemilins
L(uci) f(ilius) Nigellus aed(ilis) llv ir d(e) s(ua)p(ecim ia) f(ecit).
192 Dies lässt sich erneut besonders gut in G allien beobachten; vgl. hierzu Alain Villaret , L’association de
l’empereur et desdieux en Aquitaine. Son rö led ansla societe et les mentalites, in: Aquicania 16 (1 9 9 9 ) 1 2 7 -1 5 1 .
'r' Day.ii Simon R .E Price, G ods and Emperors. The G reek Language of the Rom an Imperial C ult, in: IH S 104
(1 9 8 4 )7 9 -9 5 .
m Simon R .E Price , Betw een M an and G od. Sacrifice in the Rom an Imperial C ult, in: J R S 7 0 (1 9 8 0 ) 2 8 - 4 3 .
Ein gutes Beispiel hierfür sind zwei kleine bronzene Büsten des Augustus und der Livia aus NeuiHy-Ic-Real
(Aquitania), die ein Peregriner vermutlich in einem H eiligtum aufgestellt hatte, um ein Gelübde zu erfüllen,
wie die Inschriften auf den Sockeln der Bildnisse berichten (C IL X I I I 1366 = IL S 8 8 9 6 ): Caesari Augusto (bzw.
L iviae Augnstae) / Atespatus C rixiJd(ius) v(otnrn) s(olvit) l(ibens) m (erito). Einen weiteren interessanten Befund
bietet ein indigenes H eiligtum in C h ateauneu f in Savoyen, d.h. im G ebiet der Allobroger, das dem lokalen
G o tt Limetus geweiht war. H ier wurden zahlreiche G raffiti auf W andresten und Ziegeln aus dem 1 .Jahrhundert
n. Chr. gefunden, die kurze W eiheform eln der örtlichen Bevölkerung wiedergeben (IL N V 2, 4 6 3 - 5 0 0 ) . Neben
den einheim ischen G otth eiten werden dabei - m it demselben Formular - auch die G ö ttin Rom a und insbe­
sondere der lebende Kaiser angerufen, der zumeist einfach als Imperator , Caesar oder Augustus ohne Nennung
des Individuainamens aufgeführt ist. D er H errscher war hier also vollständig in die lokale Kultpraxis eingebun­
den. Vgl. Christian Mermet, La sanctuaire gallo-rom ain de Chateauneuf (Savoie), in: Gaüia 50 (1 9 9 3 ) 9 5 - 1 3 8 ;
Bernard Re'my, Religion populairc et culte imperial dans la sanctuaire indigene de C hateauneuf (Savoie), in:
RA N 32 (1 9 9 9 ) 3 1 - 3 8 ; W itschel Augustus 69f.
!vf’ So etwa durch Duncan Eishwick , Votive Offerings to the Em peror?, in: Z P E 8 0 (1 9 9 0 ) 1 2 1 - 1 3 0 ; der in
H inblick auf die Ansprache von Kaisern und G öttern in solchen Denkm älern zwischen einem „honorific da­
tive“ und einem „votive dative“ unterscheiden m öchte; dagegen - m.E. zu Rech t - Clauss, H errscherkult (wie
Anm. 176) 3 3 - 3 5 , 2 8 5 - 2 8 9 .
19 Ein Beispiel hierfür bietet die Situation in der Provinz G ailia N arbonensis, wo ein Provinzialkult offenbar
erst um oder nach der M itte des 1. Jahrhunderts n. Chr. eingerichtet wurde, wo es aber nach Ausweis der epigraphischen und archäologischen Q uellen in vielen G em einden schon in früh- oder m ittelaugusteischer Z eit
zur Begründung eines munizipalen Kultes für den H errscher durch die lokalen Eliten kam. Vgl. Emilienne
90
C hristian W itsch e !
dass einige Aspekte des Kaiserkultes in den Inschriften wesentlich besser zu fassen sind als ande­
re. Einigermaßen gut bekannt sind durch entsprechende Bau- und Weiheinschriften die baulichen
Strukturen, innerhalb derer der Kult vollzogen wurde. Diese reichten von klassischen Tempeln über
Kulträume in anderen Gebäuden und heiligen Bezirken bis hin zu den bereits angesprochenen
Altären. Dabei ist eine große Vielfalt in der architektonischen Ausgestaltung der Kulteinrichtungen
zu beobachten198, die es nicht immer leicht macht, einen bestimmten Bau mit Sicherheit als
Kultanlage zu identifizieren, obwohl klar ist, dass der Kaiserkult an zahlreichen Stellen innerhalb
einer Stade oder einer Landschaft vollzogen werden konnte199. Ebenfalls recht gut bezeugt ist das
Kultpersonal, so die zahlreichen Kaiserkultpriester, die auf provinzialer oder munizipaler Ebene
eingesetzt wurden200, sowie weitere mit dem Kaiserkult in Verbindung stehende Organisationen wie
die mehrheitlich aus Freigelassenen bestehenden Augustalen-Kollegieir01.
Demongeot , Remarques sur les debuts du cuite imperial en Narbonnaise, in: Provence H istorique 18 (1 9 6 8 ) 3 9 65; M ichel Christo!, Lepigraphie et les debuts du culte imperial dans les colonies de veterans en Narbonnaise, in:
R A N 3 2 (1 9 9 9 ) 1 1 - 2 0 ; Witsche!, Augustus 6 1 - 7 0 . Ausführliche Studien zur jeweiligen regionalen Ausprägung
des Kaiserkults, die vornehm lich aut epigraphischer Grundlage erarbeitet worden sind, liegen inzwischen tür
eine Reihe von Regionen vor; vgl. beispielsweise zu Hispanien Robert E tiem ie , Le culte imperial dans la peninsule iberique d’Auguste ä D iocletien (Paris 1 9 5 8 ); zu Germ anien Uta-M aria Liertz, Kult und Kaiser. Studien zu
Kaiserkult und Kaiserverehrung in den germanischen Provinzen und in G aüia Beigica zur röm ischen Kaiserzeit
(Rom 19 9 8 ); zu Achaia M aria K antirea, Les dieux et les dieux augustes. Le culte imperial en G rece sous les
Julio-C laudiens et les Flavicns. Etudes epigraphiques et archeologiques (Athen 2 0 0 7 ); zu Kleinasien Jürgen
Süß, Kaiserkult und Stadt. Kultstätten für römische Kaiser in Asia und G alatia (M annheim 199 9 ); Barbara
Burrell, N eokoroi. G reek C ities and Rom an Emperors (Leiden, Boston 2 0 0 4 ); Ihom as Witidski, Kaiserkult in
Kleinasien, D ie Entw icklung der kultisch-religiösen Kaiserverehrung (G öttin gen , Fribourg 2 0 0 7 ).
m Vgi. etwa die Studie von Heidi ElänUin-Schäfer , Vcncratio Augusti. Eine Studie zu den Tem peln des ersten
römischen Kaisers (Rom 1985).
i9‘; Zu den dam it verbundenen Fragen vgl. Klaus Tuchelt, Zum Problem ,Kaisareion - Sebasteion. Eine Frage
zu den Anfängen des römischen Kaiserkultes, in: M D A I(I) 31 (1 9 8 1 ) 1 6 7 - 1 8 6 und Christian Witsche /, Zum
Problem der Identifizierung von munizipalen Kaiserkultstätten, in: Klio 84 (2002) 1 1 4 -1 2 4 .
21X1 Besonders zahlreich sind solche Priester beispielsweise aus Asia und Lykien bekannt; vgl. M aria D.
Cam panile , I sacerdoti del koinon d’Asia (I sec. A .C .- I l l sec. D .C .). C ontribu to alio studio della romanizzazione delle elites provinciali neH’O riente greco (Pisa 1 9 94); M artin 'Zimmermann , D ie archiereis des lykischen
Bundes. Prosopographische Überlegungen zu den Bundespriestern, in: C hristof Schuler (Flg.), G riechische
Epigraphik in Lykien - eine Zwischenbilanz. Akten des Kolloquium s M ünchen 2 0 0 5 (W ien 2 0 0 7 ) 1 1 1 - 1 2 0 .
Zu den provinzialen Oberpriestern im Westen des Reiches vgl. Duncan Fishwick , The Imperial C ult in the
Latin West. Studies in the Ruler C u lt o f the W estern Provinces of the Rom an Empire, Bd. 3 .2 : The Provincial
Priesthood (Leiden u.a. 2 0 0 2 ). D ie epigraphischen Belege für munizipale Kaiserkultpriester (flamines, sacerdotes
u.ä.) sind systematisch etwa für die afrikanischen und gallischen Provinzen zusammengestellt worden: M aria
SUvia Bassignano , II flaminato nelle province romane dell’Africa (R o m 1 9 7 4 ); Jacques Gascon , Magistratures et
sacerdoces municipaux dans les cites de Gaule Narbonnaise, in: Miche! Christo /, Olivier Masson (H g .), Actes
du X ' Congres International d’Epigraphie grccque et latine, N im es 1992 (Paris 1 9 9 7 ) 7 5 - 1 4 0 ; W illiam van
Andringa , Pretrises et cites dans les Trois Gaules et les G erm anics au Flaut Empire, in: M onique Dondin-Payre,
Marie-Therese R aepsaet-C hariier (H g .), C ites, municipes, colonies. Les processus de m unicipalisation en Gaule
et en G erm anic sous ic H aut-Empire romain (Paris 1999) 4 2 5 - 4 4 6 ; Bernard Re my, Loyalisme politique et culte
imperial dans les provinces des Alpes occidentales (Alpes C ottiennes, Graies. M aritim es et Poenines) au Haut
Empire, in: M E F R A 112 (2 0 0 0 ) 8 8 1 - 9 2 4 .
201 Zu den Augustalen und ihren Aufgaben im Kaiserkult vgl. Robert Duthoy , Les augustales, A N R W II 16.2
(1 9 8 2 ) 1 2 5 4 - 1 3 0 9 ; Andrik Abramenko, D ie munizipale M ittelsch ich t im kaiserzeitlichen Italien. Zu einem
neuen Verständnis von Sevirat und Augustalität (Frankfurt am M ain 199 3 ). D ie Vereinshäuser der Augustalen
waren, soweit sie sich denn identifizieren lassen, häufig ebenfalls m it Kaiserstatuen und entsprechenden
Inschriften ausgestattet; vgl. hierzu Beate Bollmann, Röm ische Vereinshäuser. Untersuchungen zu den scho-
lae der römischen Berufs-, Kult- und Augustalen-Kollegien in Italien (M ainz 1 9 9 8 ). Ein gutes Beispiel ist die
D e r K a i s e r u n d d ie I n s c h r i h c n
91
Ein weiterer, bereits angcsprochener Aspekt des Kaiserkults202, der insbesondere in den östlichen
Provinzen des Reiches mehrfach in Inschriften auftaucht, ist die Kommunikation der Bevölkerung
mit dem Kaiser über Fragen der Kulteinrichtung und -ausführung. Es hatte sich nämlich eingebür­
gert, dass man in Bezug auf umfangreichere kultische Ehrungen das Einverständnis des Herrschers
erbat. Das gab diesem wiederum die Möglichkeit, eigene Vorschläge einzubringen und dabei ins­
besondere seine von der traditionsbewussten Aristokratie eingeforderte Mäßigung {moderatio) zu
demonstrieren, indem er scheinbar zu weit gehende Kultpraktiken zurückwies oder modifizierte.
Auch solche eher negativen Antworten des Kaisers auf Anfragen, die seinen Kult betrafen, wur­
den bisweilen von den Empfängern inschriftlich festgehalten, wie wir bereits gesehen haben. Es
ist jedoch zu betonen, dass sich aus diesen Belegen keine allgemeine Genehmigungspflicht für die
munizipalen Kulte ablesen lässt - vielfach dürften diese eingerichtet worden sein, ohne dass der
Kaiser hiervon erfuhr. Gegen eine systematische und zentrale Steuerung des Kaiserkults spricht je ­
denfalls die überall zu beobachtende Vielfalt und Variabilität der damit verbundenen Strukturen
und Institutionen, die augenscheinlich kaum übergreifenden Regelungen unterworfen war.
Andere, nicht minder bedeutsame Elemente des Kaiserkults tauchen hingegen in den Inschriften
nur vereinzelt auf. Das betrifft insbesondere den konkreten Ablauf der einzelnen Kulthandlungen203.
So wissen wir beispielsweise kaum etwas darüber, was die in den Städten des Westens zahlreich
belegten flam ines und augustales eigentlich im Rahmen des Kults genau taten. Etwas besser ist
die Situation in Bezug auf die östlichen Provinzen, denn hier haben sich immerhin einige längere
Inschriften erhalten, die ausführliche Vorschriften für die Durchführung der mit dem Kaiserkult
verbundenen Rituale enthalten. Dies betrifft etwa die Organisation der zu bestimmten Anlässen
veranstalteten Prozessionen, bei denen tragbare Kaiserbildnisse mitgeführt wurden und die teilwei­
se mit Opfern an oder für den Kaiser an verschiedenen Punkten der Stadt verbunden waren20'1. Die
Details der eigentlichen Kultpraktiken (Opfer, Gebete, Hymnen an den Kaiser etc.) sind aber auch
hier schlecht bekannt, zumal die Inschriften kaum ausführlichere Beschreibungen der tatsächlich
vollzogenen Handlungen bieten.
Obwohl also nicht alle Facetten des Kaiserkults durch die zahlreichen Inschriften, die sich in der
einen oder anderen Weise auf dieses Phänomen beziehen, gleichermaßen erhellt werden, lassen sich
doch einige generelle Aussagen machen. W ichtig scheint mir vor allem, dass sich aus den epigraAnlage in Misenum, die nach Aussage einer ebendort gefundenen Statuenbasis als templum Augusti quod est
Augustalium bezeichnet wurde (s. A E 1993, 4 6 8 ; ebenso A E 1996, 4 2 4 b ). D ie weiteren in situ geborgenen
Inschriften und Statuen machen klar, dass der Kult des lebenden Kaisers und der Divi in dem Auguscalensitz
von Misenum eine große Bedeutung besaß; vgl. Paola M iniero (H g.), II sacello degi Augustali di M iseno (Neapel
2 0 0 0 ), zu den Inschriften s. A E 1993, 4 6 6 - 4 7 9 ; AE 1994, 4 2 6 ;" a E 1996, 4 2 4 ; A E 2 0 0 0 , 3 4 4/ 45; dazu>Ew
IT. DArms , Memory, M oney, and Status at M isenum. Three New Inscriptions From the Collegium of the
Augustales, in: J R S 90 (2 0 0 0 ) 1 2 6 - 1 4 4 ; T'austo Z evi , in: M iniero, Sacello, 4 7 - 6 2 .
2,12 S. oben Kap. 2, insbesondere Anm. 53.
Vgl. zum Folgenden zusammenfassend Angelos Cbaniotis, D er Kaiserkult im O sten des Röm ischen
Reiches im Kontext der zeitgenössischen Ritualpraxis, in: H ubert Cancik , K onrad H itzl (Flg.), D ie Praxis der
Herrscherverehrung in Rom und seinen Provinzen (Tübingen 2 0 0 3 ) 3 - 2 8 ; ferner Price, Rituals (wie Anm. 176)
1 8 8 -1 9 1 , 2 0 7 - 2 3 3 ; Gradei , Em peror W orship (wie Anm. 176) 9 1 - 9 7 .
S. dazu etwa die umfangreichen Stifterinschriften des Salutaris in Ephesos und des D em osthenes in
Oinoanda: Guy M. Rogers, The Sacred Identity of Ephesos. Foundation Myths of a Rom an C ity (London, New
York 1991); M ichael W önie, Stadt und Fest im kaiserzeitlichen Kleinasien. Studien zu einer agonistischen
Stiftung aus O inoanda (M ünchen 19 8 8 ). Zum Einsatz von tragbaren Kaiserbildnissen vgl. Christian W itschel
Herrscherbildnisse im römischen Kaiscrkult. D ie Goldbüste des Kaisers Marc Aurel aus Avenchcs, in: Claus
Ambos w.a. (H g.), Bild und Ritual - visuelle Kulturen in historischer Perspektive (D arm stadt 2 0 1 0 ) 5 5 - 6 7 .
92
C hristian W itsch e l
phi,sehen Zeugnissen der klare (wenn auch möglicherweise etwas einseitige) Eindruck ergibt, dass
sich der Kaiserkult gerade auf der städtischen Ebene weitgehend spontan entwickelte und durch
die Initiative der lokalen Elsten vorangetrieben wurde, die auch die Ausgestaltung der mit dem
Kult verbundenen Einrichtungen - inklusive der in diesem Zusammenhang errichteten Inschriften
- bestimmten. Der Kaiser scheint hierbei nur selten eine aktive, seinen eigenen Kult fördernde
Rolle eingenommen zu haben, denn er reagierte in der Regel lediglich auf an ihn herangetragene
Anfragen, die die Ausgestaltung des Kultes betraten. Bisweilen lassen sich zudem allzu apodikti­
sche Angaben in den literarischen Quellen hinsichtlich des Kaiserkults korrigieren, indem man das
epigraphische Material heranzieht. So erweckt etwa eine Passage bei Cassius D io den Eindruck, es
habe unter Augustus und seinen Nachfolgern in Italien keine oder nur eine sehr eingeschränkte bzw.
indirekte kultische Verehrung des lebenden Herrschers gegeben20’. Dies kann aber nach Aussage der
Inschriften so keineswegs richtig sein, da auch in Italien bereits zu Lebzeiten des Augustus zahlrei­
che munizipale Kulte für ihn eingerichtet wurden206,
V I . Ehreninschriften und die E ntw icklung der K aisertitulatur
Die Mehrzahl der Inschriften, die auf den Kaiser bezogen waren, gehörte zu Ehrenmonumenten,
welche den Herrscher und seine Leistungen für das Reich feierten. Diese wiesen sehr unterschiedli­
che Formen auf; sie reichten von großen Denkmälern wie Ehrenbögen20 (dazu ausführlicher oben
Kap. 3) bis hin zu den massenhaft errichteten Meilensteinen, die ab dem späteren 2 .Jahrhundert
ebenfalls zunehmend den Charakter von Ehrungen für den Herrscher annahmen (s. oben Kap. 4).
Die geläufigsten Denkmäler waren sicherlich die statuarischen Monumente, welche aus einer
beschrifteten Basis, einem Statuenkörper sowie dem Porträtkopf des Kaisers bestanden und von
denen sich häufig nur noch die Sockel mit der an den Princeps gerichteten Ehreninschrift erhal­
ten haben208. Auch diese Statuenbasen können jedoch bereits wertvolle Hinweise auf das eins­
tige Aussehen des Gesamtmonuments geben209. Der Standardtypus war augenscheinlich das
" b Cass. D io 5 1 ,2 0 , 8 (es ist aber nich t ganz klar, ob sich D io hier tatsächlich au f die m unizipalen Kulte bezieht);
vgl. ferner Suet. Aug. 52; T ib . 26, 1.
a* Vgl. hierzu Ittai Gradei, M am ia’s D ed ication: Em peror and Genius. The Imperial C ult in Italy and the genius
coloniae in Pompeii, in: A R ID 2 0 (1 9 9 2 ) 4 3 - 5 8 ; G m del , Em peror W orship (wie Anm. 176) 7 3 - 1 0 8 .
:or A u f solchen Ehrenbögen waren vielfach Bildnisse von M itgliedern der kaiserlichen Fam ilie zu sehen. Hierzu
zahlte beispielsweise ein Bauwerk, zu dem die Inschriften gehörten, die ein m ittelalterlicher Kopist als in porta
Papiae befindlich beschrieb (s. C IL V 6 4 1 6 = IL S 107), Diese Inschriften überliefern eine Statuengruppe m it
insgesamt zehn M itgliedern der Kaiserfam ilie, die im Jah re 7/8 n. Chr. geweiht wurde. Entgegen dein Versuch,
dieses M onum ent in Rom an der V ia Appia zu lokalisieren (vgi. Charles B. Rase, The Supposed Augustan Arch
at Pavia [T icin u m j and the Einsiedeln 3 2 6 M anuscript, in: J R A 3 [1 9 9 0 ] 1 6 3 - 1 6 8 ) , ist wohl doch davon auszu­
gehen, dass es sich um ein als Ehrenbogen gestaltetes Stad ttor mit einem reichen Skulpturenschm uck in Pavia,
dem antiken T icinu m , handelte; so Emilio G abba, L’arco augusteo di Pavia, in: Athenaeum 7 8 (1 9 9 0 ) 5 1 5 - 5 1 7 ;
Geza Alfoldy , in: C IL V I 8, 2 p. 4 3 0 1 .
:üs \/g]_ zum folgend en insbesondere die reiche Materialsamm lung von Thomas Pekary, Das römische
Kaiserbildnis in Staat, Kult und Gesellschaft (Berlin 1985).
209 Eine Pionierstudie zur Typologie röm ischer Statuenbasen und zur Auswertung der darauf angebrachten
Inschriften hat Geza Alfoldy, Röm ische Statuen in Venecia et H istria. Epigraphische Quellen (H eidelberg 1 984)
vorgelegt. Dieser Ansatz ist in den letzten Jahren zwar m ehrfach aufgegriffen, aber nicht immer zufriedenstel­
lend weitergeführt worden: D ie jüngst erschienene M onographie vo n Ja k o b M. H ojte , Rom an Imperial Statue
Bases. From Augustus to Com m odus (Aarhus 2 0 0 5 ) bietet zwar eine verdienstvolle Materialsam m lung, ist aber
D e r K a i s e r u n d d ie I n s c h r i f t e n
93
etwa lebensgroße Standbild des Herrschers. Daneben gab es auch Basen fü r Kolossalstacuen210,
Reitermonumente211, Darstellungen des Kaisers in der Q u a d rig a sowie Statuengruppen, die meh­
rere Mitglieder des Kaiserhauses gemeinsam präsentierten212. Keiner dieser Monumenttypen war
exklusiv dem Herrscher V o rb eh a lte n , a b e r es ist dennoch auffällig, dass die Principes des Öfteren
b e s o n d e rs aufwändig gestaltete Ehrungen erhielten, unter denen Bildnisse aus (purem) Edelmetall
h e ra u sra g e n 213. Statuarische Monumente zu Ehren der Kaiser wurden an den verschiedensten Orten
errichtet, insbesondere im öffentlichen Raum der Städte, bevorzugt auf den Fora21'1, aber auch in
m ethodisch problematisch, da die D enkm äler zumeist nicht durch Autopsie erschlossen wurden. Dadurch ist es
zu nicht wenigen Fehlzuwcisungen bzw. zur Vermischung verschiedener M onum entform en gekom m en, so dass
die Statistiken von Flojte m it großer Vorsicht zu betrachten sind. Vgl. hierzu auch die Rezensionen von Werner
Eck, in: Klio 89 (2 0 0 7 ) 5 2 4 - 5 2 8 und Andreas Kropp, in: C R 58 (2 0 0 8 ) 2 8 3 - 2 8 5 . Was immer noch weitgehend
fehlt, ist eine Zusammenschau von cpigraphischcn und archäologischen Quellen zu Kaiserbildnissen in einer
bestim mten Region oder Epoche. Exemplarisch hat die A rbeit von Em m anuelle Rosso, L’image de l’Empereur
en Gaule romain. Portraits et inscriptions (Paris 2 0 0 6 ) aufgezcigt, welche Fortschritte in diesem Bereich zu
erzielen sind.
210 Brigitte Ruck , D ie G roßen dieser W elt. Kolossalporträts im antiken Rom (H eidelberg 2 0 0 7 ) bes. 1 2 9 - 1 4 9 ,
2 9 2 - 3 0 0 zu den Statuenbasen und Inschriften.
251 Dazu,Johannes Bergemann, Röm ische Reiterstatuen. Ehrendenkmäler im öffentlichen Bereich (M ainz 1990)
bes. 1 2 0 - 1 5 5 (Katalog der epigraphischen Zeugnisse und Basen für Reiterstatuen).
2i2 Zu den Statuengruppen vgl. Charles B. Rose, Dynastie C om m em oration and Imperial Portraiture in the
Julio-C laudian Period (Cam bridge 1 9 97); Frederic Elurlet, Les collegues du prince sous Auguste ec T ibere
(R om 1997) und vor allem Dietrich Böschung, G ens Augusta. Untersuchungen zur Aufstellung, W irkung und
Bedeutung der Statuengruppen des julisch-claudischen Kaiserhauses (M ainz 2 0 0 2 ) bes. 1 4 4 - 1 5 8 zu den epi­
graphischen Q u ellen; zu Letzteren s. auch Isabelle Cogitore, Series de dedicates italiennes ä la dynastic julioclaudienne, in: M E F R A 104 (1 9 9 2 ) 8 1 7 - 8 7 0 . N ich t immer stimmen allerdings archäologischer und epigraphischer Befund überein. So wurden in einem kleinen Apsidenraum am Forum von Rusellae (dem sog. l'äno
Statue) zahlreiche Reste von Inschriften und Skulpturen geborgen, die eine m ehrfach erweiterte Bildnisgalerie
von M itgliedern des julisch-claudischen Herrscherhauses bezeugen, sich aber in Bezug auf die durch sie belegten
Personen nur teilweise zur D eckung bringen lassen: Stefano Conti, Dinastia giulio-claudia a Roselle. Una serie di
dediche imperiali in Etruria, in: A F L S 18 (1 9 9 7 ) 1 0 1 - 1 2 7 ; Böschung, Statuengruppen 6 9 - 7 6 .
2!’ Kaiserbildnisse aus Edelmetall sind nicht selten in Inschriften erwähnt: So errichtete die Provinz Baetica
auf dem Augustusforum eine Statue aus 100 Pfund (purem ) G old quod benejicio eins etperpetua cura provincia
pacata est: C IL V I 3 1 2 6 7 = IL S 103; dazu Alföldy, Augustus (wie A n m .9 ) 30 9 h In Augusta Em erita stiftete
die Provinz Lusitania ein (tragbares) Bildnis des Kaisers T itus aus fü n f Pfund G old: C I L II 5 2 6 4 = IL S 261 =
Ram irez Sädaba, Inscripciones (wie Anm. 12) Nr. 24 ; dazu Duncan Fishwick, A G old Bust o f T itu s at Em erita,
in: A JA H 6 (1 9 8 1 ) 8 9 - 9 6 . Ein Privatmann ehrte in Rom den Kaiser Tiberius m it einem Bildnis(?) aus je fün f
Pfund Silber und G old: C IL V I 9 0 4 . Zur Wahl des Materials ist zu bemerken, dass Bildnisse aus reinem Gold
in der Regel wohl nur an G ötter und H errscher vergeben wurden (vgl. Thomas Pekäry, G oldene Statuen der
Kaiserzeit, in: M D A I[R ] 75 [1 9 6 8 ] 1 4 4 - 1 4 8 ; Pekäry, Kaiserbildnis [wie A n m .2 0 8 ] 6 6 - 8 0 ; Büsten aus rei­
nem Silber sind hingegen auch für Privatpersonen bekannt), während vergoldete Statuen auch zur Ehrung von
besonders herausragenden Bürgern Verwendung fanden (so Götz Lahusen, G oldene und vergoldete römische
Ehrenstatuen und Bildnisse, in: M D A I[R ] 85 [1 9 7 8 ] 3 8 5 - 3 9 5 ; unterstützt wird dies durch den epigraphischen
und archäologischen Befund). Dass auch m it der Vergoldung eine gewisse Ü berhöhung in Richtung au f die
Erhebung in eine überm enschliche Sphäre verbunden war, ist wohl kaum zu bezweifeln. Insbesondere gilt dies
für Bildnisse aus reinem Edelm etall, denn sonst hätten die Principes eine solche Ehre nicht relativ regelmäßig
und teilweise m it genau dieser Begründung abgelehnt, wenn sie ausdrücklich um Erlaubnis hierfür gefragt wur­
den (vgl. oben Anm. 53 und unten Anm . 23 5).
lu Besonders gut lässt sich aufgrund der in situ gefundenen Statuenbasen die Inschriften- und
Skulpturenausstattung einiger Fora in Africa rekonstruieren; dazu G erhard Zitnm er (m it epigraphischen
Beiträgen von Gabriele Wesch-Klein), Locus datus decreto dccurionum . Zur Statuenaufstellung zweier
I-orumsanlagen im römischen Afrika (M ünchen 1 9 89); Christian Witschel, Statuen auf röm ischen Platzanlagen
unter besonderer Berücksichtigung von Tim gad (Algerien), in: Klaus Stemmer (H g.), Standorte. Kontext
94
C hristian W itsch e !
Thermen und Theatern21’. D ort waren sie jeweils im Kontext weiterer Statuen zu sehen, die G ötter
oder verdiente Bürger der Gemeinde darstellten, aber man reservierte für sie nicht selten besonders
hervorgehobene Plätze o d e r,Schauseiten.
Die Inschriften auf den Statuenbasen geben wertvolle Hinweise auf die Stifter von statuarischen
Denkmälern zu Ehren der Herrscher. In Rom, wo auf den zentralen Plätzen die Kaiserbildnisse
eine absolut dominante Stellung einnahmen, waren hierfür hauptsächlich der Senat, aber auch die
plcbs und deren Unterabteilungen, die tribus, zahlreiche Vereine und Vereinigungen (collegia), die
stadtrömischen Truppen, auswärtige Städte und Provinzen sowie Einzelpersonen aller Art (darun­
ter auch hohe kaiserliche Beamte) verantwortlich. In den Provinzstädten wurden Kaiserstatuen
zumeist auf Veranlassung des Stadtrates errichtet und aus städtischen Geldern bezahlt. Es handelte
sich hierbei augenscheinlich um kollektive Loyalitätsbekundungen, die im Namen der gesamten
Gemeinde ausgesprochen werden sollten und die man deshalb nur recht selten Einzelpersonen
überließ. Das bedeutet allerdings nicht, dass es für individuelle Amtsträger oder Privatpersonen
irgendwelche grundsätzlichen Beschränkungen gegeben hätte, ebenfalls ein Kaiserbildnis auf­
zustellen. Auch Menschen aus eher niedereren sozialen Verhältnissen wie Freigelassene durften
Statuen dieser Art errichten, wenn sie denn über die nötigen M ittel zur Herstellung eines solchen
Monuments verfügten216. Bei einem Durchschnittspreis von etwa 5 0 0 0 Sesterzen für eine lebens­
große Marmorplastik ist allerdings leicht verständlich, dass nur eine relativ kleine Gruppe von
Personen für eine Statuenaufstellung infrage kam21'.
Nur sehr selten kam es hingegen nach Ausweis der erhaltenen epigraphischen Zeugnisse vor,
dass Kaiser Statuen (und entsprechende Inschriften) ihrer selbst errichteten, obwohl dies ein
und Funktion antiker Skulptur. Ausstellungskatalog Berlin (Berlin 19 9 5 ) 3 3 2 - 3 5 8 ; C laudia Kleinwächter,
Platzanlagen nordafrikanischer Städte. Untersuchungen zum sogenannten Polyzentrismus in der Urbanistik der
röm ischen Kaiserzeit (M ainz 2 0 0 1 ). D abei lässt sich teilweise eine Aufteilung der Platzanlagen in bestim m te
Z onen, denen augenscheinlich bei der Errichtung von Standbildern eine unterschiedliche W ertigkeit zukam,
beobachten. An der wichtigsten Seite eines Forums, dem locus celeberrimus (vgl. oben Anm. 3 7 ), fanden wie
in Thamugadi oft besonders aufwändige M onum ente (etwa Quadriga-Darstellungen) zu Ehren der Kaiser
ihren Platz. Ä hnlich dicht m it Statuen, darunter kaiserlichen Bildnissen, besetzte Plätze gab cs in Hispanien,
wo m ittlerweile das Forum von Segobriga besonders gut bekannt ist; vgl. Abascal u.a., Foro de Segobriga (wie
Anm. 183) sowie Ju an M anuel Abascal u.a., La imagen dinästica de los julio-claudios en ei foro de Segobriga
(Saelices, C uenca, conventus Carthaginiensis), in; Lucentum 1 7 - 1 8 ( 1 9 9 8 - 9 9 ) 1 8 3 - 1 9 3 . Für Italien lässt sich
das Beispiel des Forums und der Basilica von V eleiaanführen:ifa>r/;/^, Statuengruppen (wie Anm . 2 1 2 ) 2 5 - 3 5 .
2l-> Zu Statuenaufstellungen in den Therm en vgl. Hubertus M anderscheid, D ie Skulpturenausstattung der kai­
serzeitlichen Thermenanlagen (Berlin 1 9 8 1 ); zu solchen im Theater M ichaela Fuchs, Untersuchungen zur
Ausstattung röm ischer Theater in Italien und den W estprovinzen des Imperium Rom anum (M ainz 1987).
2U' Zu der V ielzahl von belegten Stiftern von Kaiserstatuen vgl. allgemein Pekäry, Kaiserbildnis (wie Anm. 2 0 8 )
4 - 1 2 . Zur Situation in R om s. vor allem die zahlreichen epigraphischen Belege in C IL V I (vgl. insbesondere
die ausführlichen Angaben in C IL V I 8, 2), von denen im Folgenden nur einige wenige exempli gratia zitiert
werden sollen: Z u r plebs als Stikerin s. C I L V I 909/ 10 (= IL S 168/ 76); 9 4 3 (= IL S 6 0 4 5 ); zu den tribus ebd.
9 5 5 = (IL S 2 8 6 ); zu den collegia bzw. cidtores ebd. 9 5 6 ; 9 6 7 a ; 4 0 3 0 7 ; zu den stadtröm ischen Truppen ebd.
1 023; zu den auswärtigen Städten und Provinzen ebd. 1010 (= IL S 3 5 6 ); 1 0 9 0 ; 4 0 3 1 3 ; zu hohen kaiserlichen
Beam ten ebd. 1088 (= IL S 4 9 9 ). Zu den Verhältnissen in den Provinzstädten vgl. Geza Alföldy, Bildprogramme
in den römischen Städten des Conventus Tarraconensis. Das Zeugnis der Statuenpostam ente, in: Flom enaje a
G arcia Bellido, Bd. 4 (Revista de la Universidad Com plutense 28, 118, Madrid 1 9 7 9 [ 1 9 8 1]) 1 7 7 - 2 7 5 ; Alföldy,
Röm ische Statuen (wie A n m .2 0 9 ) bes. 5 1 - 5 7 ; Z im m er , Statuenaufstellung (wie Anm. 2 1 4 ) passim. In den
(n ich t ganz seltenen) Fällen, in denen in der Inschrift au f der Basis einer Kaiserstatue gar kein Stifter genannt
wird, ist ebenfalls davon auszugehen, dass hierfür die G em einde verantwortlich zeichnete.
?J Zu den durchschnittlichen Preisen für ein Standbild vgl. Janos Szilagyi, Zu den Statuenpreisen in der röm i­
schen Kaiserzeit, in: C orolla m emoriae E. Swoboda dedicata (Graz, Köln 1 9 6 6 ) 2 1 4 - 2 2 4 .
D e r K a i s e r u n d di e I n s c h r i f t e n
95
Standardvorwurf der literarischen Quellen, gegenüber den ,schlechten Kaisern ist2i\ So soll
Caligula den Befehl gegeben haben, berühmte Götterbilder in Statuen seiner selbst umzuwan­
deln bzw. durch solche zu ersetzen219. Auch Nero wird nachgesagt, er habe Bildnisse seiner selbst
aufstellen lassen, die ihn als Sänger zeigten220. Besonders bekannt ist die berühmte Kolossalstatue,
die er angeblich mit seinem Porträtkopf im Vestibül der gewaltigen Domus Aurea errichten lassen
wollte und die ihn nackt sowie mit einem Steuerruder und dem Strahlenkranz des Sol, also in gött­
licher Gestalt, dargestellt haben soll (wobei aber ganz unklar bleibt, ob die Sol-Statue tatsächlich
ein Bildnis des Nero trug)2“1. Domitian soll dem Hercules einen neuen Tempel an der Via Appia
erbaut und darin eine Statue aufgestellt haben, die ihn in Gestalt des Gottes zeigte222. Und auch
von Commodus wird berichtet, er habe im Reich Standbilder im Kostüm des Hercules erhalten22-'.
Schließlich soll Commodus sogar die berühmte Kolossalstatue vor dem Colosseum in ein Bildnis
seiner selbst als Hercules umgewandelt und mit einer ganz außergewöhnlichen Inschrift versehen
haben22'*. Inschriftliche Zeugnisse für all diese Behauptungen gibt es nicht - nach meinem Wissen
kennen wir praktisch überhaupt keine Basis für ein vom Kaiser in der Öffentlichkeit errichtetes
Standbild (m it entsprechender Inschrift), das ihn selbst zeigte22’ . Auch epigraphische Belege für
die Ehrung des Kaisers oder von Angehörigen der domus Augusta durch Familienmitglieder sind
selten. Immerhin existieren einige wenige Beispiele hierfür, die aber nicht sonderlich spektakulär
sind226. Mehrfach finden sich Berichte hierzu ferner in der (allerdings oft unzuverlässigen) Historia
Augusta, so in Bezug auf Kaiser Septimius Severus, der zahlreiche Standbilder seiner ersten Ehefrau
2I* Vgl. auch Pekary , Kaiserbildnis (wie Anm. 2 0 8 ) 5t.
:i '> Suet. Cal. 22, 2; s. auch Claud. 9, I zu Standbildern von Fam ilienm itgliedern. Von Caligula wird sogar be­
hauptet, er habe selbst Statuen angefertigt: Cass. D io 59, 4 ,4 .
22!>S. Suet. Nero 25, 2: statuas suas citharoedico habitu (posuit).
221 Suet. N ero 31, 1: vestibidum
in quo colossus C X X pedum staret ipsius e/figie; s. ferner H ist. Aug. Hadr. 19,
12f. Zur Diskussion um diese Statue vgl. M arianne Bergmann , D er K oloß Neros, die D om us Aurea und der
Mentalitätswandel im Rom der frühen Kaiserzeit (M ainz 1994) un ä R olan d R.R. Smith , Nero and the Sun-god:
Divine Accessoires and Political Symbols in Rom an Imperial Images, in: JR A 13 (2 0 0 0 ) 5 3 2 - 5 4 2 , bes. 537f.
222 M art. 9 ,6 4 ; 9, 65; 9, 101.
22:’ H ist. Aug. Com m . 9, 2: accepit statuas in Herculis habitu.
22'! Cass. D io 73 (7 2 ), 2 2 , 3; H erodian. 1, 15, 9; H ist. Aug. C om m . 17, 9f. Auch hier verbleiben aber erhebliche
Zweifel; vgl. Oli vier Hekster, Com m odus. An Em peror at the Crossroads (Amsterdam 2 0 0 2 ) 1 2 2 - 1 2 4 .
Jedenfalls ist es im epigraphischen Material nur sehr selten bezeugt, dass die Kaiser selbst in der Ö ffentlichkeit
M onum ente errichteten, die (auch) Statuen ihrer selbst oder von Angehörigen der domus Augusta enthielten.
Vgl. aber ein offenbar m it Statuen geschmücktes D enkm al der claudischcn Fam ilie (monumentmn Claudianum)
an der Via Flam in ia, das von Tiberius im Jahre 22 n. Chr. geweiht und von Claudius wohl zwischen 41 und 4 3
restauriert wurde: C IL V I 4 0 4 2 0 - 4 0 4 3 0 ; dazu Francesca D e Caprariis , Un m om um ento dinastico tiberiano nel
cam poM arzio settentrionale, in: B C A R 9 5 (1 9 9 3 ) 9 3 - 1 1 4 .
226 Anzuführen ist hier eine Inschrift (offenbar zu einer Statuenbasis gehörig) aus Avennio, die der lulia Drusiüa
von ihrem O nkel, dem späteren Kaiser Claudius (hier lediglich als [T }i[b]erius aufgeführt) gewidmet wurde,
und zwar nach ihrem Tod im Jahre 38 und der dam it verbundenen Konsekration: parenti num(inis) honore
delato [pos(iät)J ; s. C IL X Ü 1026 ~ IL S 195 = A E 1998, 88 8 ; dazu Jacques Gascon, Claude et D rusilla d’apres
une inscription dAvignon, in: Z P E 121 (1 9 9 8 ) 2 9 1 - 2 9 6 . Ansonsten ist festzuhalten, dass epigraphische Belege
für die Ehrung des Kaisers durch Fam ilienm itglieder selten sind; s. etwa SE G 2 0 (1 9 6 4 ) 157 = IK ourion 85
(Kaiser Hadrian ehrt seinen Vater, den theos Traianus) oder C I L III 4 3 6 6 = IL S 3 1 9 = R IU I 251 (Ehrung
Hadrians durch L. Aelius Caesar, der sich als f(ilius) bezeichnet). Ein weiteres Beispiel für eine solche Ehrung im
Familienkreis stellt w ohl die berühm te Augustus-Statue von Prim aporta dar, die auf der Gartenterrasse in einer
Villa der Livia gefunden wurde.
96
C hristian W itsch el
Paccia Marciana und anderer Verwandter errichtet haben soll22 . Der epigraphische Befund insbe­
sondere in seiner Heimatstadt Lepcis magna zeigt allerdings erneut ein abweichendes Bild, denn
es wird klar, dass hier zwar tatsächlich umfangreiche Bildnis-Galerien von Mitgliedern des severischen Herrscherhauses zur Aufstellung kamen, diese aber ausschließlich von der Gemeinde, ande­
ren Vereinigungen oder Privatpersonen gestiftet wurden228; und dasselbe gilt für die Situation in
anderen Städten des Reiches229. Festzuhaltcn bleibt somit, dass die überwältigende Mehrheit von
Kaiserstatuen und der damit verbundenen Ehreninschriften nicht vom Kaiser selbst, sondern von
anderen Institutionen und Personen in Auftrag gegeben wurde.
Die erhaltenen Basen von Kaiserstatuen geben ferner wertvolle Aufschlüsse über die Anlässe,
zu denen solche Standbilder auf'gestellt wurden. W ir können dabei erkennen, dass Kaiserbilder zu
jeder Zeit errichtet werden konnten, ohne dass ein Bezug auf bestimmte, das Kaiserhaus betreffen­
de Ereignisse vorliegen musste. In der Regel waren augenscheinlich eher die lokalen Verhältnisse
oder die individuellen Bedürfnisse der Stifter - nicht zuletzt der Wunsch nach inschriftlicher
Repräsentation - hierfür ausschlaggebend23'1. Die kaiserlichen Ehreninschriften verteilen sich in der
Regel chronologisch über die gesamte Regierungszcit eines bestimmten Kaisers, häufig m it einem
mehr oder minder stark ausgeprägten, leicht erklärbaren Schwerpunkt zu Beginn der Herrschaft.
Auffällig ist dabei aber, dass die Basen mit den zugehörigen Statuen zumeist nicht direkt nach dem
Herrschaftsantritt errichtet wurden, sondern eher im zweiten oder dritten Regierungsjahr eines
Kaisers. Das spricht gegen eine zentrale Steuerung dieser Bildnisaufstellungen. Vielmehr ist da­
von auszugehen, dass Gemeinden oder Einzelpersonen hierüber aus eigenem Antrieb entschieden
und sich dafür zunächst geeignete Vorlagen für die Gestaltung der Inschrift und insbesondere des
Porträts besorgen mussten, was die zeitliche Verzögerung erklärt251.
Es bleibt die Frage nach einer möglichen Genehmigungspflicht für die Errichtung von
Kaiserstatuen und der damit verbundenen Ehreninschriften. Ein solches Verfahren hätte es dem
Herrscher ermöglicht, direkten Einfluss auf seine Darstellungen im gesamten Reich zu nehmen. Ein
Teil der modernen Forschung hat tatsächlich vermutet, dass auf Grundlage eines (postulierten) kai-
22 Hist. Aug. Sept. Sev. 3, 2: cui postea in imperio statuas eonloeavit; 14, 4: patri, matri, avo et uxori priori per se
statuas cunloca uit.
2JS S. IR T 3 8 7 - 4 4 4 .
; i Vgl. beispielsweise zu den Statuen der Paccia M arciana IR T 410/ 11; C I L V III 1 9 4 9 4 = IL S 4 4 0 . Im m erhin
hat Septimius Severus in Rom nach Ausweis einer Inschriftentafei (C IL V I 9 5 4 - 3 1 2 1 4 - IL S 4 1 8 ) eine Statue
seines atavus, des Divus N erva, errichtet.
2M! Zu den Zeitpunkten, an denen Kaiserstatuen errichtet wurden, vgl. Pekäry, Kaiserbildnis (wie Anm. 2 0 8 )
2 2 - 2 8 und Plojte, Statue Bases (wie Anm. 2 0 9 ) 1 4 3 -1 6 6 .
] Eine Untersuchung zur julisch-claudischen Z eit hat ähnliche Ergebnisse erbracht: M eriwether Stuart,
W ie worden Kaiserporträts im römischen Reich verbreitet?, in: Hel^a von H eintze (H ^.\ Röm ische Porträts
(D a rmstadt 1974) 2 3 2 - 2 6 5 . Vgl. weiterhin zu den Bildnissen Hadrians die Auflistung der epigraphischcn
Belege bei Cecile Evers, Les portraits d'H adricn. Typologie c t ateliers {Brüssel 1 9 9 4 ) 2 7 - 5 3 : Auch hier gibt es
nur wenige Zeugnisse aus dem Jahr 1 17, deutlich mehr dann aus 118, aber diese hohe Zahl setzt sich kontinu­
ierlich bis 122 tort. Starke Ausschläge nach oben gibt es noch einmal in den Jahren 129 und 131/32. M anche
Städte scheinen gar jährlich ein Kaiserbildnis aulgestellt zu haben, wie dies etwa im kretischen Lyttos Hir das
frühe 2. Jahrhundert belegt ist: Angelos Chaniotis , Giorgos Retbemiotakis, Neue Inschriften aus dem kaiserzeit­
lichen Lyttos (K reta), in: Tyche 7 (1 9 9 2 ) 2 7 - 3 8 , bes. 3 1 - 3 3 . N ochm als bestätigt hat sich dieses Bild bei einer
Sam m lung der Statuenbasen für L. Aelius Caesar, den designierten Nachfolger Hadrians, der aber schon vor
diesem verstarb: Jakob M. Elojte, The Epigraphic Evidence C oncerning Portrait Statues of H adrians H eir L.
Aelius Caesar, in: Z P E 127 (1 9 9 9 ) 2 1 7 - 2 3 8 , bes. 2 2 9 : „there is no sign of active involvement in prom oting the
new heir by the imperial adm inistration“.
D e r K a i s e r u n d di e I n s c h r i f t e n
97
serlichen ,Bildnisrechtes* jede statuarische Ehrung des Herrschers bei der Zentrale - unter Angabe
aller Details - beantragt werden musste"3”. Dafür gibt es aber keine expliziten Elinweise, denn
ein reichsweit zur Anwendung kommendes, regelmäßig durchgeführtes Genehmigungsverfahren
ist aus den literarischen Quellen, den juristischen Texten sowie vor allem aus den Tausenden von
Inschriften auf den erhaltenen Statuenbasen der Kaiserzeit nicht abzuleiten. Die hierfür in der
Reeei
angeführten
Zeuenissc
sind vielmehr differenziert zu betrachten. Sie betreffen zum einen die
ö
O
O
Situation in der Hauptstadt Rom, wo die Herrscher bisweilen regulierend in die Statuenaufstellung
auf öffentlichen Plätzen eingriffen und Bestimmungen zur Errichtung ihrer eigenen Bildnisse erlie­
ßen, wenn es um besonders heikle Kontexte, etwa Tempel, ging233. Zum anderen scheint es sich bei
besonders aufwändigen, etwa den kultischen Bereich betreffenden Ehrungen für den Kaiser in den
Provinzstädten eingebürgert zu haben, dass man zur eigenen Absicherung beim Herrscher nach­
fragte, ob ihm dies genehm sei13'1. Hierfür kennen wir eine Reihe von Beispielen aus literarischen
und epigraphischen Q uellen2'^. Diese Einzelfalle sollten aber nicht verallgemeinert und als Belege
für eine generelle Genehmigungspflicht gewertet werden2*'0. Es dürfte nämlich ausgeschlossen sein,
232 D ie Existenz eines kaiserlichen ,Bildnisrechtes1 ist vor allem von Je a n P. Rollin , Untersuchungen zu
Rechtsfragen röm ischer Bildnisse (Bonn 1979) 9 4 - 1 1 6 postuliert worden. Ebenso wie er geht auch Elans G.
Niemeyer, Studien zur statuarischen Darstellung der röm ischen Kaiser (Berlin 1 9 6 8 ) 26h davon aus, dass jede
Kaiserstatue in Rom genehmigt werden musste und dass der Kaiser aut diese W eise alle seine Darstellungen
im gesamten Reich bis in die Einzelheiten festlegen konnte; vgl. dazu ebd. 111: „(es) muss eine zwingende
Zuständigkeit der Kaiser zur G enehm igung ihrer einzelnen öffentlichen Bildnisse angenommen werden“. Die
Anträge auf Errichtung eines kaiserlichen Standbildes in der Ö ffen tlich keit hätten regelmäßig Angaben zum in
Aussicht genom menen Material, zur Form des Denkm als und zu sonstigen Merkm alen der Ausführung enthal­
ten. In den Q uellen ist all dies aber kaum nachzuvollziehen.
23i So soll Tiberius angeordnet haben, dass man ihm in diesem Falle Statuen und Büsten nur m it seiner aus­
drücklichen Erlaubnis widmen dürfe (Suet. T ib . 26, 1: p robibu it... statuas atque imagines nisiperm ittenteseponi;
ähnlich Cassius D io 57, 9, If.), und zwar unter der Bedingung, dass diese nicht zwischen den G ötterbildern im
Innersten des Tempels zur Aufstellung kämen, sondern lediglieh unter den Gegenständen, die das H eiligtum
schmückten.
•••V! H ierbei lässt sich in den literarischen Q uellen ein bestimmtes Stereotyp ausmachen: W 'ährend principes boni
überhöhende Ehrungen, etwa Statuen aus Edelm etall, regelmäßig ablehnten, nahmen sie .schlechte* Kaiser an­
geblich gerne an, so Caligula nach Phil. leg. 3 4 6 oder D om itian nach Plin. paneg. 52, 3 und Cass. D io 67, 8,
I. Allerdings kann das selbst bei diesen Kaisern kein durchgängiges Verhaltensmuster gewesen sein, wie andere
Zeugnisse beweisen; s. IG V II 2711 = Oliver , C onstitu tions Nr. 18 zu Caligula oder Täc. arm. 13, 10, 1 zu Nero.
255 S. etwa Plin. ep. 10, 8 f. Bei solchen Anfragen war den Elerrschern dann auch die M öglichkeit gegeben, re­
gulierend in die Produktion von Darstellungen ihrer selbst einzugreifen und gewisse Anweisungen bezüglich
ihres Aussehens zu geben, vor allem um ihrer M einung nach zu weit gehende Ehrungen abzulehnen; s. dazu die
in Anm . 53 zitierten Belege sowie IEph 25 - Oliver , Constitutions Nr. 170. D ie überlieferte Kom m unikation
der U ntertanen m it dem Kaiser bezüglich einer Statuenaufstellung folgte jeweils einem ähnlichen Muster (vgl.
zusätzlich noch I G R I V 1756 = Oliver , C onstitu tions Nr. 7; O G IS I I 4 7 5 = I G R I V 561 = Oliver, Constitutions
Nr. 35 sowie Suet. Vesp. 23, 3; Cass. D io 65 [6 6 ], 14, 5): Ein provinziales koinon, eine G em einde oder auch eine
Einzelperson beschloss herausragende, oft kulcischc Ehrungen für den Herrscher. Das entsprechende D ekret
wurde dann durch G esandte nach Rom geschickt und dem Kaiser vorgelegt. D ieser antw ortete darauf m it ei­
nem Brief, korrigierte gegebenenfalls die Vorschläge und belobigte die Stifter, die deswegen das gesamte Dossier
in ihrer Heim atstadt inschriftlich aufzeichnen ließen (vgl. oben Kap. 2). Nur dadurch wissen war in der Regel
überhaupt von diesen Vorgängen, und es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass sie häufiger vorkamen, als es uns die
relativ wenigen diesbezüglichen Zeugnisse glauben lassen.
Eine solche Vorstellung findet sich aber noch in der jüngsten archäologischen Literatur, so bei Rose,
Com m em oration (wie Anm. 2 1 2 ) 8h, 51h und bei Böschung , Statuengruppen (wie A n m .2 1 2 ) 1 7 2 -1 7 4 ,
die allerdings beide nicht daran glauben, dass die Kaiser auch die Details der provinzialen Statuensetzungen
beeinflussten.
98
C hristian W itsch el
dass ein vergleichbarer Aufwand bei jedem normalen Standbild betrieben wurde, das in irgendeiner
Provinzstadt zur Aufstellung kam - weder gibt es hierfür, wie gesehen, Hinweise in den Quellen,
noch würde es zu dem Bild passen, das wir von den administrativen Strukturen im römischen Reich
gewonnen haben23 .
W ie bereits erwähnt wurde, ist nur eine sehr geringe Zahl von Ehreninschriften für Mitglieder
des Kaiserhauses vom Herrscher selbst konzipiert und dann in ein epigraphisches (und statuari­
sches) Monument umgesetzt worden. Die allermeisten dieser T itu li sind dem Princeps vielmehr
von anderer Seite gewidmet worden. Dennoch weisen die Tausenden von Ehreninschriften, die
sich für die Kaiser des 1. und 2 .Jahrhunderts erhalten haben, in der Regel keine rein individuell
oder gar willkürlich anmutenden Formulierungen auf. Vielmehr erscheinen sie - zumindest auf
den ersten Blick - eher einheitlich. Das liegt daran, dass sich in der Ansprache des Herrschers seit
dem Beginn des Prinzipats ein standardisiertes Formular durchgesetzt hatte, welches die kaiser­
liche Kanzlei verwendete, wenn Schriftstücke im Namen des Herrschers zu erstellen waren, und
das auch fast alle Stifter von kaiserlichen Ehreninschriften - aufgrund einer nie in Frage gestell­
ten Konvention - übernahmen. W ir sprechen hier von der »offiziellen Kaisertitulatur, der für die
öffentliche Wahrnehmung des Kaisers augenscheinlich eine hohe Bedeutung zu k an r’8. An der
Ausformulierung dieser Titulatur war der Princeps mehr oder minder direkt beteiligt; sie bildete
somit das wichtigste Instrument, mit dem er die Form beeinflussen konnte, in der sein Name in
den T itu li erschien. Dabei handelte es sich um ein eher konservatives Element der Kommunikation
mit bzw. über den Herrscher239, denn die wichtigsten Bestandteile der Titulatur waren bereits un­
ter Augustus etabliert worden und wurden in der Folgezeit nur noch wenig verändert2'0. Gewisse
23 Vgl. in diesem Sinne auch Pekary, Kaiserbildnis (wie A n m .2 0 8 ) 144 und Horst Blanck, in: G nom on 55
(1 9 8 3 ) 5 3 4 - 5 3 6 . G elegentlich wird eine Bestätigung von Ehrungen für den Kaiser o.ä. durch den curator rei
publicae oder den Statthalter erwähnt (so in C IL III 6 8 8 5 ; dazu Wilhelm IJeb e n a m , Städteverwaltung im
röm ischen Kaiserreiche [Leipzig 1900] 3 8 1 t. m it einer m .E. unrichtigen Einschätzung); aber hierbei handelt
cs .sich zumeist um Sonderfälle, in denen etwa finanzielle Fragen berührt wurden. Sie können auf keinen Fall
generalisiert und im Sinne eines ailgemeingültigen, die ganze Kaiserzeit hindurch bestehenden kaiserlichen
Bildnisrechtes interpretiert werden. Für die Z eit vor dem 4 .Jahrhundert gibt es jedenfalls keine sicheren Belege
dafür, dass die öffentliche Aufstellung von Kaiserstatuen in den Provinzstädten von einer regelmäßig einzuho­
lenden Zustim m ung abhängig gewesen wäre; so nochm als nachdrücklich Thomas Pekary, „Bildnisrecht“, in:
Boreas 13 (1 9 9 0 ) 51 f.
23s Als heuristisches Instrum ent hat sich die Unterscheidung in »offizielle* und .inoffizielle* Titulaturelem ente
m .E. durchaus bewährt. ,Offiziell* war demnach diejenige T itulatur, die vom Kaiser selbst bzw. von seiner
Kanzlei in am H of ausgestellten Schriftstücken verwendet wurde. Am besten zu tassen ist sie in den kaiserlichen
K onstitutionen zur Bürgerrechtsverleihung an Veteranen, von denen sich in den M ilitärdiplom en eine hohe
Zahl beglaubigter Abschriften erhalten hat; dazu s. oben Anm. 85.
239 Zur offiziellen Kaisertitulatur vgl. allgemein Kienast, Kaisertabelle (wie Anm . 16) 1 9 - 5 8 ; ferner Dora Alba
Musca, Le denom inazioni del principe nei doeum enti epigrahei romani (Bari 1 9 7 9 ); Andreina M agioncalda,
Lo sviluppo della titolatura imperiale da Augusto a G iustiniano attraverso lc testim onianze epigrafichc (Turin
1991). Zur späteren Entw icklung im 3. und 4. Jahrhundert vgl. M ichael Peach in, Rom an Imperial T itulature and
Chronology, A .D . 2 3 5 - 2 8 4 (Amsterdam 1 9 9 0 ); Andre Chastagnol, Le formulaire de l’epigraphie latinc officielle
dans l’antiquite tardive, in: Angela Donati (H g .), La terza etä dell’epigrafia (Faenza 1 9 8 8 ) 1 1 -6 5 .
2i0 D ie wichtigsten Elem ente dieser T itu latu r waren zum einen die an die tria nomina eines röm ischen Bürgers
erinnernden, bereits für den ersten Princeps - aufbauend auf spätrepublikanischen Vorläufern - gebrauchten
Nam ensbestandteile Im perator, Caesar und Augustus, die sich in der frühen Kaiserzeit zu regelmäßig gebrauch­
ten T iteln verfestigten; vgl. hierzu R onald Syme, Im perator Caesar. A Study in N om enclature, in: H istoria 7
(1 9 5 8 ) 1 7 2 - 1 8 8 -,Jürgen Deininger, Von der Republik zur M onarchie. D ie Ursprünge der H errschertitulatur des
Prinzipats, A N R W I 1 (1 9 7 2 ) 9 8 2 - 9 9 7 . Hinzu traten die Aufzählung der vom Kaiser bekleideten Konsulate
D e v K a i s e r u n d d ie I n s c h r i f t e n
99
Erweiterungen der offiziellen Titulatur, die schrittweise eingeführt wurden, betrafen etwa die zu­
nehmende Bedeutung von kaiserlichen Siegerbeinamen (welche vom Senat verliehen wurden) ab
dem späten 1.Jahrhundert n.C hr. und insbesondere unter Trajan3'11. Radikale Neuerungen, wel­
che die Herrscher gleichsam von oben durch eine stark veränderte Konzeption ihrer offiziellen
Titulatur durchzusetzen versuchten, waren hingegen selten. Zumindest ist das der Eindruck, der
sich aus den Inschriften selbst ergibt. Die literarischen Quellen hingegen behaupten nicht selten,
dass sich vor allem die sogenannten schlechten Herrscher zahlreiche ihre Leistungen oder ihre
Person überhöhende Beinamen oder Titulaturelemente zugelegt hätten, aber dies lässt sich nur
in den seltensten Fällen am epigraphischen Beiund verifizieren2'*2. So fällt beispielsweise die von
Caligula oder Nero2'-0 benutzte Titulatur keineswegs aus dem Rahmen. Und der für Domitian
postulierte Gebrauch der von der augusteischen Prinzipatsidee stark abweichenden Formulierung
dominus et deus, die selbst in offiziellen Dokumenten Verwendung gefunden haben soll, ist in den
Inschriften ebenfalls nicht nachw eisbarH. Einzig Commodus hat mit den neuen Beinamen felix
und der im peratorischen Akklam ationen, die N ennungder trihunkiapotestas (ab 2 3 v. C hr.), des O berpontifikats
(ab 12 v. Chr.) und schließlich des Ehrennamens pater patriae (ab 2 v. Chr.).
2i! Zu den Siegerbeinam en vgl. Peter Kneißl, D ie Siegestitulatur der römischen Kaiser. Untersuchungen zu den
Siegerbeinam en des ersten und zweiten Jahrhunderts (G öttin gen 1969).
Vgl. zum Folgenden Christian Witschel , Verrückte Kaiser? Zur Selbststilisierung und Außenwahrnehmung
nonkonform er H errscherfiguren in der römischen Kaiserzeit, in: Christian Panning (H g .), Einblicke in die
Antike. O rte - Praktiken - Strukturen (M ünchen 2 0 0 6 ) 8 7 - 1 2 9 , bes. 1 0 8 - 1 2 2 . S. ferner unten Anm . 2 7 0 zu
Caligula - m it der ebendort form ulierten Einschränkung, dass möglicherweise gerade diejenigen Inschriften,
die besonders außergewöhnliche Beinamen für die H errscher enthielten, aufgrund der posthum verhängten
G edächtnisstrafen vernichtet worden sein könnten.
- ,3 D ie Neuausrichtung der kaiserlichen Selbststilisierung durch Nero spiegelt sich jedenfalls in seiner Titulatur
und auch in den (erhaltenen) Inschriften aus dem W estteil des Reiches kaum wider. So ist die von ihm so
stark betonte N ahbeziehung zu Sol und Apollo in den lateinischen Eituli kaum nachzuweisen. Eine seltene
Ausnahme hiervon führt in das direkte Umfeld des H errschers: D er kaiserliche Sklave und Hofangestellte
Eumolpus stiftete einen A ltar für Sol und Luna ( C iL V I 3 7 1 9 = 3 1 0 3 3 = IL S 1 774). A u f der Vorderseite befin­
det sich eine Reliefbüste des Sonnengottes, dessen Bildnis Züge des Nero aufweist. Diese A rt der weitgehenden
Verschmelzung von Kaiser und G otth eit war jedoch ungew öhnlich; vgl. dazu die ausführliche Diskussion bei
M arianne Bergm ann , D ie Strahlen der Herrscher. Theom orphes H errscherbild und politische Sym bolik im
Hellenismus und in der römischen Kaiserzeit (M ainz 1998) 1 9 4 - 2 0 1 . D eutlicher lassen sich Bezüge dieser Art
im griechischen O sten ausmachen, so in einer Inschrift aus Akraiphia (s. oben Anm. 4 3 ). Sie feiert den Kaiser
mit folgenden W endungen: „Elerr der gesamten W elt, größter Im perator .... die neue Sonne (neos Helios ), die
den G riechen erstrahlt“ sowie „Zeus der Befreier ( bleutherios ) und Philhellene“. Zu Nero als Helios s. ferner
IG R 111 345 (Sagalassos) sowie AE 1961, 2 2 = S E G 18 (1 9 6 2 ) 5 6 6 (Prostranna); außerdem eine (verlorene)
Reliefplatte aus dem Sebasteion von Aphrodisias, au f der Nero laut der Inschrift (S E G 31 [1 9 8 4 ] 9 1 9 ) neben
H elios dargestelk war. Interessant ist schließlich die - bei den bekannten Vorlieben des Kaisers naheliegende Benennung des Nero als neos Apollon in einigen Inschriften des O stens; so in IG II/ III2 3 2 7 8 und in AE 1971,
4 3 5 (beide Athen).
Behauptet wird die (offizielle) Verwendung der Anrede dominus et deus für D om itian von Suet. D om . 13,
If.; D ion. Chrys. or. 4 5 , 1; Cass. D io 57, 4, 7; Eutr. 7, 23, 2 (dominum se et deum primus appellari iussit) und
Aur. V ia , Caes. 1 1 ,2 (se dominum deumque dici coegerit). D ie angebliche Einführung der Bezeichnung dominus
et deus als zumindest halboffizielle Titulatur datieren die spätantiken C hroniken in das Jah r 85/ 86; sie folgen
dabei aber recht unkritisch der von Sueton vorgegeben Zweiteilung der Regierungszeit D om itians in eine gute
und in eine tyrannische Phase. In den epigraphischen Zeugnissen findet sich diese Formel jedoch fast nie; vgl.
Werner Eck, in: G nom on 53 (1 9 8 1 ) 3 4 7 sowie insbesondere die Zusam m enstellung des Materials bei Alain
M artin, La titulature epigraphique de D om itien (Frankfurt am Main 1987). D ie einzige m ögliche Ausnahme
ist eine bei M art. epig. 5, 8 erwähnte Verordnung des Kaisers über die Sitzplätze im Theater (s. auch Suet. D om .
8, 3), denn hier ist von einem edictum dornini deique nostri die Rede. Es ist aber m .E. sehr fraglich, ob dies die
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invktus Hercules Romanus und pacator orbis, die er im Sommer 192 in seine offizielle Titulatur cinKigen ließ, wirkliches Neuland betreten2'0. Selbst diese außergewöhnliche Selbscstilisierung, die im
Übrigen nur wenige Monate bis zum Tod des Kaisers am letzten Tag des Jahres 192 Bestand hatte,
ist aber von der Bevölkerung des Reiches rezipiert und bei der Erstellung eigener epigraphischer
Monumente für den Herrscher umgesetzt worden’ 16.
Das letztgenannte Beispiel kann noch einmal zeigen, in welch hohem Maße sich die Stifter
von Ehrenmonumenten für den Kaiser bei der Konzeption der entsprechenden T itu li2'* an den
Vorgaben ausrichteten, die ihnen in Form der an den meisten Orten gut bekannten kaiserli­
chen Titulatur zur Verfügung standen. Die bereits angesprochene hohe Standardisierung bei der
Ansprache des Herrschers ist vor allem durch diesen Nachahmungseftekt zu erklären. Dieser kann
allerdings keineswegs auf eine zentrale Steuerung der kaiserlichen Ehrungen zurückgeführt werden.
Das ist schon daran zu erkennen, dass offenbar kein Zwang bestand, alle Elemente der offiziellen
Kaisertitulatur in einer Inschrift in toto anzuführen, denn häufiger begnügten sich die Auftraggeber
mit einer Auswahl einzelner T itel oder gar mit der schlichten Ansprache des Herrschers als
Augustus1'*. Dass auch die Ausführung von epigraphischen Monumenten zu Ehren des Herrschers
kaiun flächendeckend kontrolliert worden sein kann2'9, zeigen die zahlreichen Fehler250, die sich
am tliche Ü berschrift war; eher handelt es sich um eine dichterische Um schreibung, die zu der panegyrischen
Sprache Martials passen würde. Zu den beiden einzigen inschriftlichen Belegen für D om itian als dominus s.
C I L X 4 4 4 = Inscrlt III 1 ,7 = IL S 3 5 4 6 und C IL V I 2 3 4 5 4 . Beide Inschriften sind jedoch von kaiserlichen
Freigelassenen bzw. Sklaven gestiftet worden, für die eine solche Anrede normal war; dazu M artin, Titulature,
1 9 4 - 1 9 6 . Hinzu kommt eventuell ein heute nicht mehr auffindbarer M eilenstein aus der Baetica, dessen
Inschrift laut den frühen Gewährsm ännern m it D(ominus) n(oster) begonnen haben soll, was von den m oder­
nen Editoren aber aufgrund allgemeiner Erwägungen - vielleicht zu U nrecht - getilgt worden ist (s. C IL II
4 7 2 2 ). W eitere gesicherte Fälle sind nicht bekannt; M artin, Titulature, 2 0 7 gelangt daher zu folgendem Fazit:
„D om itien innove peu en matiere de denom inations im periales... D om itien , par sa titulature, s’inscrit dans une
continuite imperiale“.
S.
Cass. D io 73 (7 2 ), 15, 3 - 5 m it den Anmerkungen von Pieter J Si/pesteijn, C om m odus’ T itulature in
Cassius D io L X X I I 15, 5, in: M nem osyne 41 (1 9 8 8 ) 123h; ferner Christian Witschel, Kaiser, Gladiator, G o tt Zur Selbstdarstellung des Com m odus, in: S C I 23 (2 0 0 4 ) 2 5 5 - 2 7 2 .
z'*!’ S. C IL X IV 3 4 4 9 ~ IL S 4 0 0 ; IA M II 3 6 3 und insbesondere A E 2 0 0 2 , 1 5 0 1 ; dazu M ichael P. Speidel,
Com m odus the G od-Em peror and the Army, in: J R S 83 (1 9 9 3 ) 1 0 9 -1 1 4 .
21 Dasselbe gilt im Übrigen für die G estaltung des Kaiserporträts; vgl. dazu den Beitrag von Ralf von den Hoff,
in diesem Band.
~"s Dazu Alföldy, Repräsentation (wie Anm. 9) 7h
- l9 Dies gilt auch für die D urchführung von G edächtnisstrafen gegen bestim m te Kaiser (vgl. oben Anm. 6),
die keineswegs überall gleichermaßen streng gehandhabt wurde, was wiederum darauf himveist, dass es hierbei
wohl keine zentrale Steuerung oder flächendeckende Kontrolle gab. So wurde nach dem Tod des D om itian vom
Senat angeordnet, dass der Name des D om itian überall aus den Inschriften zu tilgen sei (s. Suct. D om . 23, 2:
senatus adeo laetatus est, u t ... eradendos tibique titulos abolendam que omne?n m em oriam decerneret ; vgl. ferner
Lact. mort. pers. 3, 2 - 4 ) . Von den erhaltenen T iculi D om itians weisen jedoch nur ca. 4 0 Prozent eine deutlich
erkennbare Eradierung seines Namens auf, wobei dies vor allem die öffentlich aufgestellten Inschriften betraf;
^ .M a r t in , T itulature (wie Anm . 2 4 4 ) 1 9 7 - 2 0 4 . Eine Steuerung solcher Aktionen war immer nur partiell m ög­
lich, da die Zentralverwaltung hierbei auf die M itarbeit der lokalen Behörden angewiesen war; so auch Kajaua,
Erasure o f Inscriptions (wie Anm. 6) 2 0 3 (m it weiteren Beispielen): „The central adm inistration in Rom e must
have realized that carrying out consistently the penalty of epigraphie erasure would have n ot only been nonsense
but impossible“; sowie 2 0 4 : „Individual provincial cities could act independently in such m atters“.
2>0Sclbst in Rom waren die Kaiserinschriften nicht imm erganz korrekt ausgeführt, auch wenn sich hier die Zahl der
gröberen Fehler stark in G renzen hielt; vgl. hierzu den Ü berblick von Hans Krummrey, Irreguläre Schreibungen
in stadtröm ischen Kaiscrinschriften von Augustus bis Com m odus, in: Ulrike Peter (Flg.), Stephanos nomismatikos. Festschrift E. Schönert-G eiss (Berlin 1998) 3 6 9 - 3 9 8 . Häufiger waren Verschreibungen in den Provinzen,
D e r K a i s e r u n d d ie I n s c h r i f t e n
gerade in diejenigen Elemente der Kaisertitulatur eingeschlichen haben, die wie etwa die Zählung
der imperatorischen Akklamationen variabel waren und darum eine besonders gute Kenntnis der
aktuellen Ausprägung der offiziellen T itulatur voraussetzten2'’1. Es gibt aber noch wesentlich deutli­
chere Elinweise darauf, dass man im Imperium Romanum bei der Konzeption einer Kaiserinschrift:
zwar gehalten war (auch wenn dies kaum überprüft: wurde), sich in der Ansprache des Herrschers an
dem Formular der vom Kaiser verwendeten Titulatur zu orientieren, dies aber durchaus Spielraum
für eigene Gestaltungsmöglichkeiten ließ. So konnte man dem Herrscher einen T itel zugestehen,
den dieser selbst gar nicht führte. Tiberius etwa hat das von Augustus etablierte praenomen im -
peratoris abgelehnt; nicht alle Menschen, die im Reich Inschriften für ihn errichteten, sind ihm
und zwar auch bei prom inenten M onum enten, .so au f einem Ehrenbogen, den die Stadt Volubilis in der Provinz
Mauretania T in gitan a zu Ehren des Kaisers Caraeaüa, der die G em einde offenbar besonders begünstigt hatte,
ganz am Ende von dessen Regierungszeit (d.h. zwischen D ezem ber 2 1 6 und April 2 1 7 ) errichten ließ; s. IA M
II 390/ 91. H ier ist für Caracalla eine vierte im peratorische Akklam ation angegeben, obwohl er offiziell bis zu
seinem Lebensende nur imp. I l l war (seit 2 1 3 ). Zwei Erklärungsm öglichkeiten bieten sich an: Entweder handel­
te es sich tatsächlich um einen unbewussten Fehler, wie er offenbar auch a u f einigen M eilensteinen vorliegt, die
Caracalla zwischen 2 1 4 und 2 1 6 ebenfalls als imp. II II führten. O d er der Stadtrat von Volubilis wollte beson­
ders aktuell sein, indem er dem H errscher, der zu dieser Z eit gegen die Parther kämpfte, eine vierte Ausrufung
zum siegreichen Feldherren zugestand, obwohl eine solche noch gar nicht erfolgt war (und dann eben auch
nicht m ehr stattfand). D am it wäre der Fall m it der zeitgleichen Inschrift für Caracalla aus Tarraco zu verglei­
chen; dazu ausführlicher unten Anm. 255- Auch im griechischen O sten kamen Fehler bei der W iedergabe der
Kaisertitulatur nicht selten vor; vgl. Chaniotis, Retbemiotakis , Lyttos (wie Anm . 2 3 1 ) 34.
N icht einfach zu klären ist die Frage, wie die Reichsbewohner Kenntnis von den Neuerungen in der o f­
fiziellen Kaisertitulatur erhielten - insbesondere in den Fällen, in denen cs sich nicht um routinemäßige
Veränderungen wie die Zählung der tribunicia potestas handelte. Auch hierbei scheint in einigen Situationen den
Provinzgouverneuren eine wichtige Vermittlerrolle zugekommen zu sein. Besonders gut lässt sich der Einfluss
der Statthalter auf die Ausformung der Kaisertitulatur in Ägypten anhand der Papyri verfolgen; vgl. hierzu
etwa Fritz Mitthof, Vom hierötatos Kaisar zum epiphanestatos Kaisar. D ie Ehrenprädikate in der T itu latu r der
T hronfolger des 3 .Jahrhundert n .C h r. nach den Papyri, in: Z P E 99 (1 9 9 3 ) 9 7 - 1 1 1 . M itth o f denkt darüber
hinaus auch an direkte Anordnungen aus der Reichszentrale, für die es jedoch keine sicheren Elinweise gibt
(1 0 3 f.). Unklar ist ferner, ob der Postverkehr zwischen dem Kaiser, der Provinzialverwaltung sowie den lokalen
Behörden in einem regelmäßigen Rhythmus erfolgte und som it eine K ontinu ität der N achrichtenüberm ittlung
gewährleistet war. D ies erscheint zwar durchaus vorstellbar; dennoch bem erkt Eck, Administrative Infrastruktur
(wie Anm . 3 4 ) 7 9 m .E. zu R ech t einschränkend: „Ein völlig einheitliches, rationales System der Überbringung
von N achrichten wurde offensichtlich in den ersten Jahrhunderten nicht entw ickelt; damit fehlt aber auch
ein wesentliches Elem ent, das es erlauben würde, die kaiserzeitliche Verwaltung in erster Linie unter den
G esichtspunkten von bürokratischer Effektivität und Rationalität zu sehen“* Ähnlich äußert sich Anne Kolb,
Transport und N achrichtentransfer im Röm ischen Reich (Berlin 2 0 0 0 ) bes. 3 0 6 : „[es] ist davon auszugehen,
dass kein geregeltes System der administrativen N achrichtenüberm ittlung im Imperium Romanum existierte“.
D em nach war man wohl auf lokaler Ebene doch häufig darauf angewiesen, selbst Inform ationen einzuholen
(etwa durch G esandte in R o m ; dazu oben Anm. 3 4 ), w obei es je nach Region oh mehrere M onate dauern
konnte, bis die N achrichten vor O r t eintrafen; vgl. dazu auch Richard Duncan-Jones, Com m unication-Speed
and C o n tact by Sea in the Roman Empire, in: Ders., Structure and Scale in the Rom an Econom y (Cam bridge
1990) 7 - 2 9 . Anderseits zeigen etwa Kaiserinschriften aus dem m ittleren 3. Jahrhundert, als sich teilweise sehr
kurzlebige H errscher in rascher Folge ablösten, dass man in vielen Städten so aktuell wie möglich zu reagieren
versuchte. So hat sich beispielsweise für die beiden älteren Gordiane, die zu Beginn des Jahres 2 3 8 für weniger
als einen M onat als Augusti fungierten, eine ganze Reihe von Inschriften aus verschiedenen Teilen des Reiches
erhalten, und zwar nicht nur auf schnell herzustellcnden M eilensteinen, sondern auch auf Statuenbasen, die mir
einem entsprechenden Bildnis verbunden gewesen sein müssen; vgl. X avier Loriot, Un miiliaire de G ordien II
decouvcrt pres de Cesaree de Palestine et {’extension aux provinces de l’insiirrection de 2 3 8 apres J.-C ., in: REA
8 0 (1 9 7 8 ) 7 1 - 8 4 , bes. 8 1 - 8 4 (K atalog der Zeugnisse).
102
C hristian W itsch e l
darin jedoch gefolgt"'2. Auffällig ist auch, dass in einigen Fällen ehrende Beinnamen des Herrschers
in Inschriften, die weit entfernt von Rom errichtet wurden, bereits Verwendung fanden, bevor sie
dem Kaiser offiziell (d.h. in der Regel durch den Senat) verliehen wurden; das gilt beispielsweise im
Falle des Augustus für die Verwendung der B e z e i c h n u n g / w / e r v o r 2 v. Chr.2’3 oder im Falle
Traians für den Beinamen Optimus vor dessen offizieller Verleihung (vermutlich) im Spätherbst des
Jahres 1 1325'1. Ein besonders gutes Beispiel für eine solche lokal initiierte Vorwegnahme eines kaiser­
lichen Titulaturelements kennen wir aus Tarraco (Tarragona): D ort wusste man sicherlich von dem
2,2 Tiberius lehnte es ab, das praenomen imperatoris und den Ehrentitel pater patriae zu führen: praenomen
quoque imperatoris cognomenque patris patriae ... recusauit (Suet. T ib . 26, 2; s. ferner Tac. ann. 1, 72, 1; 2, 87;
Cass. D io 57, 8, 1). D ennoch kennen wir einige Inschriften, die für ihn das praenomen imperatoris, das inan
von der T itu latu r des ersten Kaisers Augustus her gewohnt war, aufführen; s. beispielsweise C IL V III 10023
= 2 1 9 1 5 - IL S 151; C IL II 4 9 0 5 = IL S 152; IR T 3 3 5 ; IL A fr 558. D aneben gibt es einige Inschriften, die den
T itel Im perator zwar nicht zu Beginn der T itu latu r nennen, aber an einer ungew öhnlichen Stelle, nämlich direkt
hinter Caesar bzw. Augustus , w om it wohl ein Kom prom iss zwischen den Vorstellungen des Kaisers und dem
W unsch des Stifters, den H errscher angemessen zu ehren, erreicht werden sollte; s. etwa C IL III 6 7 0 3 = IG L S I
164; C IL X I I I 11513 = A E 1958, 7 9 ; C IL 1175, 7 4 7 - C IL II 2 0 3 7 = IL S 155. W eitere Belege finden sich bei
Robin Seager , Tiberius (London 1972) 142 A. 2. Viele dieser Inschriften entstam m en allerdings der Anfangszeit
von Tiberius’ Regierung, als vermutlich noch erhebliche U nsicherheit über die neue Titulatur herrschte.
Interessant ist in diesem Zusam menhang auch eine Inschrift aus Paphos auf Zypern, auf der ein Treueeid der
Bew ohner für Tiberius festgehalten wurde. Vor bzw. hinter dem N am en des Kaisers wurde dabei jeweils eine
größere Lücke freigelassen; offenbar, um hier eventuell später das W ort autokratör einfiigen zu können. Man
wusste hier also augenscheinlich von dem W unsch des Kaisers, erwartete aber eine nachfolgende Änderung
seiner H altung; dazu Terence ß. M itford , A Cypriot O ath of Allegiance to Tiberius, in: J R S 50 (1 9 6 0 ) 7 5 - 7 9
= IPaphos 151. Bei der Aufstellung von zwei Statuen für Tiberius in derselben G em einde zeigte man diese
Zurückhaltung im Übrigen nicht, denn beide Male findet sich in der Inschrift auf den Basen der T itel autokratör
(IG R III 941/ 42 = IPaphos 147/48). Auf ähnliche Weise versuchte man, die Vorstellung vom pater patriae
doch in den Inschriften für Tiberius unterzubringen, ohne den vom Kaiser zurückgewiesenen T itel explizit zu
gebrauchen. So wurde Fiberius etwa als conservator p atriae gefeiert, w om it ein ähnlicher Sinngehalt erreicht
war; s. C I L X I 3 8 7 2 = IL S 159 (principi optumo ac iustissimo conservatoripatriae)-, A E 1 965, 113; C I L I I 2/5 ,7 4 8
~ C I L II 2 0 3 8 . Ein weiteres Zeugnis für die (inoffizielle) Verwendung sowohl von autokratör als auch von pater
tes patridos für Tiberius stellt die sog. lex sacra von G ytheion dar (s. oben Anm . 53). In dem zum selben Dossier
gehörigen Brief des Tiberius ist die Kaisertitulatur hingegen korrekt wiedergegeben.
^ S. etwa C IL X I I 136 = IL S 6 7 5 5 ; C I L I I 2/ 7 ,7 0 = C I L II 2 1 0 7 = IL S 9 6 ^ 0 ^ I I I 6 8 0 3 = IL S 101; A E 1952,
166; dazu Witschel, Augustus 5 lf. Diese Inschriften zeigen, dass die Ehrenbezeichnung/w/fr bzw. parens patriae
dem Augustus in den Provinzen vereinzelt schon vor Februar 2 v. Chr. angetragen wurde; Ähnliches berichtet im
Übrigen Cass. D io 55, 1 0 ,1 0 . A u fein er Serie von südgallischen M eilensteinen, die vor 2 v.Chr. errichtet worden
waren, wurde hingegen der Beiname p ater patriae nachträglich am Beginn der Inschrift hinzugefügt; so in C IL
X V II/ 2, 82 - C I L X ü 5 4 9 7 = IL N IV 150 - IL S 100.
2y‘ Zu der neuen D atierung der offiziellen Verleihung des Beinamens Optimus an Frajan im Spätherbst 113 oder
zu Beginn des Jahres 114 vgl. R M D IV p. 6 l9 f . App. IV. In einigen M ilitärdiplom en, die im Frühjahr 114 aus­
gegeben wurden, ist die Bezeichnung optimus nachträglich über Z. 1 hinzugefügt worden: R M D IV 225/ 26.
Trajan war aber bereits zuvor in Inschriften nicht selten als optimus princeps o.a. angesprochen worden; so etwa
in C I L I I 2/5, 8 4 6 = C IL II 2 0 1 0 ( optumo maxsumoque principi)-, C IL V I 9 5 9 = IL S 2 9 2 ([optjim e de re pu bli­
ca (m eritjo dom i ß rifsq u ef); C IL V II 1 0 1 1 7 = 2 2 1 2 5 a = IL S 2 9 3 (Optimus [Au]g(ustus))-, ferner Plin. paneg.
2, 7; dazu M artin Fell, Optim us princeps? Anspruch und W irklich keit der imperialen Programmatik Traians
(M ünchen 1992) 4 0 - 4 2 , 5 2 - 6 1 , 73f. Interessanterweise kam es im provinzialen Kontext bisweilen auch zu
einer Vorwegnahme der Siegesbeinamen Trajans, bevor diese ihm offiziell vom Senat verliehen wurden, etwa
im Falle von Parthicus (offiziell ab dem 2 0 .2 .1 1 6 nach den FastO st; s. jedoch auch Cass. D io 6 8 , 23, 2; 28, 2).
Zwei Inschriften aus der Baetica sprechen den Kaiser bereits im Jahre 114, als der Krieg gegen die Parther gerade
begonnen hatte, als Parthicus an: C IL ü 2/5, 2 9 5 = C I L II 2 0 9 7 - IL S 2 9 7 und AE 1987, 4 9 9 (errichtet wurde
hier eine statua triumphalis des Kaisers) mit dem Kom m entar von Julian Gonzalez, T rajano: Part(h)icus, trib.
pot. X I I X , imp. X , in: A E A 6 0 (1 9 8 7 ) 2 3 7 - 2 5 0 (der m .E. jedoch nicht völlig überzeugend argumentiert).
D e r k a i s e r u n d d ie I n s c h r i f t e n
103
Partherfeklzug, den Kaiser Caracalla im Sommer 216 begonnen hatte. Da man in der Hauptstadt
der Provinz Hispania citerior bei der Verehrung des Kaisers nicht zurückstehen wollte und wohl
aiich gehört hatte, dass dieser seinen angeblichen Parthersieg - mit Zustimmung des Senats - be­
reits feiern ließ, errichtete man auf Beschluss des Stadtrats Ende 216 oder Anfang 217 ein bedeuten­
des Monument für den Herrscher, vermutlich eine Retterstatue, deren Basis mit einer eindrucksvol­
len Inschrift versehen wurde. Im Frühjahr des Jahres 217 schienen sich dann die Anzeichen dafür
zu verdichten, dass Caracalla vom Senat auch offiziell den Siegerbeinamen Parthicus verliehen be­
kommen würde, und dies schon zum zweiten Mal, denn er führte den T itel bereits seit 211. Um
nun besonders aktuell zu sein und der plakativ zur Schau gestellten Siegesideologie Caracallas
entgegenzukommen, änderte man in Tarragona - ohne eine definitive Bestätigung der neuen
Titulatur aus Rom erhalten zu haben - die gerade fertiggestellte Inschrift entsprechend ab, in­
dem man - handwerklich durchaus geschickt - aus dem PA R T H (für Parthico) ein PA R T II (für
Partbico iterum) machte. Das war auch insofern innovativ, als die Iterierung von Siegerbeinamen
im frühen 3.Jahrhundert eine weitgehende Neuheit war, die sich noch kaum verbreitet hatte und
erst Jahrzehnte später in die offizielle Praxis übernommen wurde. In diesem Fall erfüllte sich die
Erwartung der städtischen Behörden von Tarragona jedoch nicht, denn Caracalla wurde bereits im
April 2 17 ermordet, ohne zuvor nochmals m it einem Siegertitel geehrt worden zu sein2s\ Dieser
Fall demonstriert sehr klar, welcher Freiraum bei der Konzeption von Kaiserinschriften auf loka­
ler Ebene herrschte. Dies ermöglichte es den Stiftern solcher T itu li wiederum, hierin auch eigene
Vorstellungen über die Ausprägung der kaiserlichen Macht einzubringen2-6.
!^ S . RIT 83 mit der verbesserten Lesung und dem ausführlichen K om m entar von Armin U. Stylow, Änderungen
in Kaiserinschriften. Zwei Beispiele aus Hispanien, in: C hiron 19 (1 9 8 9 ) 3 8 7 - 3 9 9 (= AE 1989, 4 8 3 ). Zur
Propagierung von Caracallas victoria Parthica , die vom Senat nach entsprechender Benachrichtigung durch den
Kaiser anerkannt wurde, s. Cass. D io 7 9 (7 8 ), 1,4L ; H crodian. 4, 1 1 ,9 . N ach dem Zeugnis der H ist. Aug. Carac.
6, 5 soll sich unter den vom Senat zuerkannten Ehrungen auch der Siegestitel Parthicus befunden haben; dabei
handelt es sich aber offenbar um ein Missverständnis, obwohl nicht völlig sicher ausgeschlossen werden kann,
dass der Senat kurz vor der Erm ordung Caracallas doch noch einen neuen Ehrenbeinam en für diesen beschlos­
sen hatte. Dass aber weder die Korrektur in der Inschrift aus Tarraco noch die allm ähliche Durchsetzung der
iterierten Siegestitel, die keineswegs einheitlich verlief, aufgrund einer Anordnung aus der Zentrale erfolgte,
betont Stylow (3 9 8 f.) zu Recht.
Ä hnliche Vorwegnahmen finden sich auch in Bezug auf die T itu latu r des Com m odus: So lässt sich die unter
Com m odus überhaupt erstmals verstärkt auftretende Ansprache des H errschers als dominus noster (vgl. unten
Anm. 2 6 4 ) bereits zu Beginn seiner Alleinherrschaft nachwcisen; s. A E 1 986, 5 3 2 m it dem K om m entar von
K arlheinz D ietz , D ie älteste W eihinschrift aus dem Regensburger Legionslager, in: BVB1 4 9 (1 9 8 4 ) 7 9 - 8 5 , bes.
82f. Ebenso frühzeitig erfolgte die Verwendung des Beinamens Invictus schon im fahre 189 (s. AE .1957, 5 0 ), o b ­
wohl diese Bezeichnung erst 192 offizieller Bestandteil der Kaisertitulatur wurde. Auf einem in seiner Echtheit
allerdings um strittenen M edaillon aus Asia wurde Com m odus bereits vor der M itte des Jahres 191 Helios und
Hercules Romanus genannt: Hekster, Com modus (wie Anm. 2 2 4 ) 170f. Schließlich wurden die von Com m odus
ebenfalls im Som m er 192 etablierten, neuen M onatsnam en offensichtlich vereinzelt schon vor ihrer regulären
Einführung gebraucht: Ist dies bei einer Inschrift aus Lanuvium (C IL X I V 2 1 1 3 = IL S 5 1 9 3 ) von 187 (?) wegen
der möglicherweise verderbten Lesung unsicher und bei einem G raffito in O stia (A E 1924, 6 4 ) nicht genauer zu
datieren, so haben wir hierfür doch einen klaren Beleg aus Dakien, der in das Jah r 190 führt (s. A E 1 992, 1484).
Vgl. zusammenfassend W itschel Selbstdarstellung des Com m odus (wie Anm. 2 4 5 ) 2 6 1 - 2 6 5 . Interessant ist
auch die weitere Entw icklung der T itu latu r nach der Erm ordung des C om m odus: D ie übersteigerten Elemente
des Jahres 192 wurden sofort zurückgenomm en (so schon in der G rabinschrift des Com m odus: C I L V I 9 9 2
= ILS 4 0 1 ), und das Andenken des Kaisers verfiel zunächst der dam natio , bevor er unter Septim ius Severus
rehabilitiert wurde. D en n och lebten zumindest einzelne Elemente der extravaganten T itu latu r des Com m odus
auch in der Folgezeit fort. So wurde Invictus nach Com modus zum regelmäßigen Bestandteil der (offiziellen)
Kaisertitulatur. Bei pacator orbis erfolgte dies zwar nicht, aber die Bezeichnung wurde schon unter den Severern
104
C hristian W itsch e l
Noch sehr viel offenkundiger wird all dies, wenn wir den Blick über die offizielle Titulatur
hinauslenken. Viele Kaiserinschriften begnügten sich nämlich keineswegs mit der mehr oder
minder getreuen Umsetzung der aus Rom kommenden Vorgaben, sondern fügten diesen weitere
Beinamen oder rühmende Adjektive (oft im Superlativ) für den Herrscher und seine Leistungen
hinzu. Diese Epitheta, die zumeist einen panegyrischen Charakter hatten, werden als ,inoffiziel­
le4 Titulaturelemente bezeichnet'-' . Bei ihrer Formulierung und Auswahl war nach allem, was wir
wissen, der Stifter einer Kaiserinschrift keinerlei Restriktionen unterworfen, sondern konnte seinen
eigenen Vorstellungen über den aus seiner Sicht idealen Herrscher freien Lauf lassen. So können
wir in diesem Bereich bisweilen völlig singuläre Wortschöpfungen beobachten2’*. Häufiger waren
aber Beinamen, die eine weitere Verbreitung fanden, wobei sich nicht selten gewisse regionale oder
chronologische Verdichtungen ausmachen lassen. So wurden etwa im Osten des Reiches bei der
Ansprache des Kaisers sehr oft die Bezeichnungen eiicrgetes, ktistes und söter gebraucht. Diese wa­
ren bereits für hellenistische Herrscher verwendet worden, knüpften dabei aber in der Regel an
die Vergabe spezifischer Wohltaten an. Ab dem 2.Jahrhundert v. Chr. wurden sie auf die im Osten
agierenden römischen Magistrate übertragen und lösten sich bei den großen Persönlichkeiten der
späten Republik wie Pompeius oder Caesar zunehmend vom Bezug auf konkrete Ereignisse, um
dann für Augustus universell eingesetzt und auf dessen Leistungen zugunsten des gesamten Reiches
bezogen zu werden. Für diese Epitheta finden sich keine echten Äquivalente im Westen, so wie auch
die Ansprache des lebenden Herrschers als theos im Osten sehr viel geläufiger war als die entspre­
chende Anrede als d e m im Westen2'’9.
n icht selten gebraucht. Exsuperantissimus blieb rarer, ist aber in inoffizieller Anrede belegt für Caracalla (C IL
X IV 2 0 7 3 ) und Gaiiienus (C IL X IV 5 3 3 4 ).
Vgl. dazu Leo Berlinger, Beiträge zur inoffiziellen T itu latu r der römischen Kaiser. Eine Untersuchung ih­
res ideengeschichtlichen G ehaltes und ihrer Entwicklung (Breslau 1 9 3 5 ); Regula Frei-Stolba , Inoffizielle
Kaisertituiaturen im 1. und 2 .Jahrhundert n .C h r., in: M H 26 (1 9 6 9 ) 1 8 - 3 9 ; Andreas Alföldi, Die m onarchi­
sche Repräsentation im röm ischen Kaiserreiche (D arm stadt 1970) 2 0 4 - 2 1 3 .
Nur drei Beispiele hierfür: In einer Inschrift des Jahres 143 aus O stia (A E 1 9 4 0 ,6 2 ; dazu Guido Calza, Un docum ento del culto imperiale in una nuova iscrizione ostiense, in: Epigraphica 1 [1 9 3 9 ] 2 8 - 3 6 ) , die aus der statio
eines dortigen collegium stam m t und ein Verzeichnis der von den Vereinsmitgliedern gestifteten Kaiserporträts
und anderer G eschenke enthält (vgl. Peter H erz , Kaiserbilder aus O stia, in: B C A R 8 7 [ 1 9 8 0 - 8 1 ] 1 4 5 - 1 5 7 ) ,
werden drei Bildnisse des Verissimtis Caesar (also des späteren Kaisers Mare Aurel) erwähnt. Dieser kaiserliche
Beiname scheint im epigraphischen M aterial nur hier belegt zu sein (er soll jedoch schon zuvor in Elofkreisen
verwendet worden sein: Cass. D io 69, 21, 2; H ist. Aug. Marc. 1, 10; 4, 1). Vgl. ferner Brian K. Harvey, Two
Bases of Marcus Aurelius Caesar and the Roman Imperial Succession, in: H istoria 53 (2 0 0 4 ) 4 6 - 6 0 . Ganz
außergewöhnlich sind die Form ulierungen, die das corpus piscatorum et urinatorum in Rom gewählt hat, um
in einer längeren Inschrift auf einer Marmortafel, die in einem als Vereinslokal genutzten N ym phenheiligtum
aufgestelk war, den Kaiser Caracalla und dessen G eburtag zu feiern; s. C IL V I 1080 = 3 1 2 3 6 = 4 0 6 3 8 ; dazu
ausführlich G eza Alfoldy , Nox D ea fit lux! Caracallas G eburtstag, in: Giorgio Bonamente, M arc M ayer (H g.),
H istoriae Augustae C olloquium Barcinonense (Bari 19 9 6 ) 9 - 3 6 . D er Kaiser wird hier u.a. als de us (vgl. oben
Anm. 189), [T jonitrator Augustus (das Epitheton ist ansonsten lediglich für Iuppiter bezeugt: C IL Ul 2 7 6 6 a
= 8 3 7 4 - IL S 3 0 4 5 ) und [dom inusj maximus angesprochen, und es wird von ihm gesagt, er sei sidcribu[s in
terram delapsusj, was sich nur in literarischen Quellen parallelisieren lässt. Auf einem Meilenstein des frühen
4 .Jahrhunderts schließlich findet sich für Kaiser M axentius die singuläre Bezeichnung als sacrosanctus dominus
noster: A E 1990, 2 2 4 ; dazu Cecilia Roncaioli Lam berti, L’appeüativo sacrosanctus su un nuovo m iliario massenziano della Valeria, in: Epigraphica 52 (1 9 9 0 ) 7 7 - 8 4 . D er (uns unbekannte) Verfasser der Inschrift wollte
also offenbar den Kaiser m it einer besonders ausgefallenen Form ulierungehren. Eine Anweisung von oben ist
hierfür ganz unwahrscheinlich. Insofern ist m.E. nicht nachzuvollziehen, warum Roncaioli L am berti (8 1 ) hierin
ein Indiz für eine „articolata programmazione centrale“ sehen kann.
Vgl. oben Anm. 193.
D e r K a i s e r u n d d ie I n s c h r i f t e n
105
Interessanter als diese eher traditionellen Bezeichnungen, die sich durch ihre weite Verwendung
in gewissem Sinne abgeschliffen hatten, sind aber wohl solche, die im Laufe der Zeit neu entwickelt
wurden und dann eine mehr als nur lokale Verbreitung fanden. An diesem Punkt stellt sich die Frage,
wer diese Epitheta entworfen haben könnte - geschah dies gleichsam spontan und auf Betreiben
einzelner Personen, die den Kaiser mit neuartigen Formulierungen preisen wollten; oder wurde
es in irgendeiner Form von oben koordiniert oder gar vom Kaiser selbst vorgegeben? Letzteres hat
man in der modernen Forschung des Öfteren vermutet, um die bisweilen rasche Verbreitung be­
stimmter inoffizieller Titulaturelemente über weite Entfernungen hinweg erklären zu können260.
Dieses Phänomen ist in der Tat erstaunlich, muss aber m.E. nicht notwendigerweise mit einem zen­
tralen Entw urf und dessen gezielter Weiterleitung erklärt werden. Vielmehr ist ebenso gut vorstell­
bar (wenn auch nicht beweisbar), dass man vor O rt auf bestimmte zeitgenössisches Vorstellungen
reagierte, indem man neue Lobpreisungen für den Kaiser formulierte, und diese dann sehr rasch
von anderen Personen oder Gemeinden nachgeahmt wurden, welche - gerade in Gebieten mit ei­
ner besonders ausgeprägten StädterivaUtät wie in Kleinasien - dahinter nicht zurückstehen wollten
und zudem im selben ,Klima‘ der Herrscherverehrung agierten261.
Von großem Interesse ist es ferner zu beobachten, wie längerfristig einzelne Bestandteile der in­
offiziellen Ansprache des Herrschers Eingang in die offizielle Kaisertitulatur fanden. Als Beispiel
hierfür kann die Anrede des Princeps als dominus dienen262: In Hofkreisen war sie in der direkten
Kommunikation mit dem Herrscher offenbar schon seit der frühen Kaiserzeit nicht ungewöhn-
:(4i Vgl. hierzu zuletzt C hristof Schuler, Augustus, G o tt und H err über Land und Meer. Eine neue Inschrift aus
Tyberissos im K ontext der späthellenistischen Herrscherverehrung, in: C h iron 3 7 (2 0 0 7 ) 3 8 3 - 4 0 3 anhand der
in einer Ivkischen Inschrift für Augustus verwendeten Bezeichnung epoptes ges k a i thalasses. Diese - im epi­
graphischen Material selten anzutrefFcnde - Form el ist erstmals in zwei Inschriften aus verschiedenen O rten
Kleinasiens für Pompeius bezeugt. Schuler m eint deshalb, die W endung sei am ehesten von Pompeius selbst
oder in dessen unm ittelbarem Umkreis, etwa durch griechische Intellektuelle wie Theophanes von Mytilene,
entwickelt worden ( 3 9 3 - 3 9 7 ) . Ähnliches ist für das Aufkommen der Formel super omnes retro principes ... ver­
m utet worden. Sie ist im cpigraphischen Material des lateinischsprachigen Reichsteiles - nachdem der Topos
bei den Schriftstellern schon früher begegnet - ab dem spateren 2. Jahrhundert belegt, mit einer besonderen
Häufung unter Caracalla; vgl. A ndrea Scheithauer , Super omnes retro principes ... Zur inoffiziellen T itu latu r
röm ischer Kaiser, in: Z P E 7 2 (1 9 8 8 ) 1 5 5 -1 8 0 . Scheithauer sieht hierin ein Indiz dafür, dass die Formulierung
möglicherweise gezielt von der kaiserlichen Propaganda lanciert wurde, was m ir aber nicht beweisbar er­
scheint. M öglich ist eben auch die Alternative, die Scheithauer (1 6 7 ) erwägt: „Andererseits könnte sich aber
die Tatsache, dass Caracalla nach G etas Tod massiv auf den Vergleich m it den Vorgängern zurückgriff, auch auf
die D cdikanten ausgewirkt haben, indem sie die Nachahmung des kaiserlichen Vorbildes und schließlich eine
einheitliche Denkweise auslöste, die sich allmählich in weiten Teilen des Reiches durchsetzte.“
2o1 Vgl. hierzu die m .E. überzeugenden Anmerkungen von Rödel , Stiftungen (wie Anm . 185) 1 6 2 - 1 6 4 zu dem
Modell von Schuler, Augustus (wie Anm. 2 6 0 ). Zum Austausch zwischen verschiedenen Städten des Reiches
über die Ehrungen zugunsten des Herrschers s. oben Anm. 73.
’c’: Eine etwas andere Entw icklung lässt sich für den griechischsprachigen Raum ausmachen, denn im O sten des
Reiches war die Anrede des Kaisers als kyrios (und auch als theos k a i kyrios) schon recht frühzeitig anzutreffen
(ohne dass dies notwendigerweise als ein Unterwerfungsgestus gedeutet werden muss), so - zunächst allerdings
noch vereinzelt - in den ägyptischen Papyri. Um 3 0 0 wurde dann in Ägypten die inzwischen zur Floskel er­
starrte Bezeichnung kyrios allm ählich (d.h. ohne eine zentrale A nordnung) durch despotes ersetzt, da dies den
Respekt der U ntertanen vor dem H errscher offenbar besser zum Ausdruck brachte; vgl. dazu Dieter H agedorn ,
Klaas A. IVorp, Von kyrios zu despotes. Eine Bemerkung zur Kaisertitulatur im 3-/4.Jahrhundert, in: Z P E 39
(1980) 1 6 5 -1 7 7 ; aber auch die differenzierenden Bemerkungen von E leanor Dickey , Kyrie, despota, domine.
Greek Politeness in the Rom an Empire, in: J H S 121 (2 0 0 1 ) 1 -1 1 .
106
C hristian W itsch e l
lieh’63, was unter einem Kaiser wie Domitian zugenommen haben dürfte, der jedoch - wie gesehen
- trotz der gegenteiligen Behauptungen der literarischen Quellen nicht versucht zu haben scheint,
den Gebrauch dieser Bezeichnung auch in öffentlich präsentierten Dokumenten durchzusetzen.
Nach seiner Ermordung setzte sich die Verwendung der Bezeichnung am Hof fort, aber erst ge­
gen Ende des 2 .Jahrhunderts tauchte sie - zumeist in Form der Anrede d(omino) n(ostro) - auch
in Inschriften auf, die an den Kaiser gerichtet wurden2**. Die hierin zum Ausdruck kommende
Untergebenheit eines Großteils der Bevölkerung, die dem (vornehmlich) senatorischen Ideal des
civilis princeps entgegenstand, wurde durch die wenig später entwickelte, ebenfalls an den Herrscher
herangetragene Devotionsformel devotus numini maiestatique eins verstärkt20-’. Ab dem späteren
3. Jahrhundert ist dann dominus noster auch als offizielle Bezeichnung des Herrschers anzutreften266.
Man sieht hieran noch einmal sehr gut, wie stark die Vorstellungen, die die Menschen im gesamten
Reich in Bezug auf den für sie zumeist fernen Herrscher ausbildeten und die sie unter anderem in
epigraphische Monumente umsetzten, auf dessen Repräsentation zurückwirkten.
2!’; Dass die Anrede des Herrschers als dominus in Hofkreisen frühzeitig aufkam, ist daraus ersichtlich, dass schon
Tiberius diese Bezeichnung vehement zurückgcwiesen haben soll; so Suet. T ib . 27: dominus appellatus a quo-
dern demmtiavit, ne se amplius contimieliae causa nom inaret (ebenso Tac. ann. 2, 8 7 ). Auch Cass. D io 57, 8, 1
berichtet, Tiberius habe es abgelehnt, von freien Bürgern despotes genannt zu werden, denn er sei H err lediglich
für seine Sklaven. Ähnliches wird von Augustus überliefert: dom ini appellationem ut maledictum et obprobium
semper exhorruit (Suet. Aug. 53, l )■ Offiziell wurde nach der Regierungszeit D om id am die Bezeichnung dom i­
nus für den H errscher weiterhin deutlich abgelehnt. Dass er nie wieder den Kaiser dominus et deus nennen wolle,
betont etwa Plinius d.J. gleich zu Beginn seiner Lobrede auf Trajan (paneg. 2, 3). Zur durchgängigen Praxis des
Plinius, Trajan in seiner Korrespondenz dennoch mit dem als Anrede inzwischen weit verbreiteten dom ine anzusprechen, s. nur Plin. ep. 10, 2, 1; 3a, 1 usw. Generell ist zu beachten, dass im Umkreis des Hofes iiberhöhende
Anreden für den H errscher schon früh üblich gewesen zu sein scheinen, wie man etwa an den W idm ungen der
Werke röm ischer Schriftsteller an den Kaiser ablesen kann; so Vitr. praef. 1 (zur divina mens des Herrschers);
Val. M ax. 1 praef., wo Tiberius in eine göttliche Sphäre erhoben wird; das Rezeptbuch des Arztes Scribonius
Largus, der Claudius m ehrfach als deus noster Caesar anspricht (so praef. 6 0 : tradendo scripta rnea ... deo nostro
Caesar/)-, oder Plin. nat. hist, praef. 11 m it ähnlichen W endungen für Fitus.
2f"‘ D ie Bezeichnung des Kaisers als d(ominus) n(oster) ist in m ehrfacher Ausführung in den Inschriften erst­
mals für Com m odus belegt (vgl. oben Anm. 2 5 6 ). Einige wenige Zeugnisse aus der Z eit zuvor führen zumeist
in die unm ittelbare Umgebung des H errschers; vgl. Willy Hi'ittl, A ntoninus Pius, Bd. 1 (Prag 1 936) 6 4 - 6 9 zu
Vorläufern in antoninischer Zeit. In der severischen Epoche wurde diese Anrede dann recht regelmäßig in den
T itu li gebraucht; vgl. Attilio M astino , Le titolature di Caracalla c G eta attraverso le iscrizioni (Bologna 1981)
58f.
■
’■■■Dazu Hans G. Gtmdel, Devotus num ini maiestatique eius. Zur D evotionsform el in W eihinschriften der röm i­
schen Kaiserzeit, in: Epigraphies 15 (1 9 5 3 ) 1 2 8 -1 5 0 . D er früheste Beleg hierfür sind stadtröm ische Inschriften
aus der Z e it um 2 1 0 ; s. etwa C I L V I 1058 (= IL S 2 1 5 7 ); 4 0 6 2 1 ; 4 0 6 2 3 . D ie W endung num'mi eins devotissimus
ist hingegen schon für das Jah r 197 bezeugt: A E 1967, 237.
2w’ Ab der tetrarchischen Epoche war die Bezeichnung dominus noster ein fester Bestandteil der Kaisertitulatur;
dazu Chastagnol, Form ulairc (wie Anm. 2 3 9 ) 1 2 -1 4 . Dass sie nun teilweise auch offiziell verwendet wurde, zei­
gen die Münzlegenden; dazu Jean-P ierre C allu , D N . La genese d u n e tituiature m onetaire, in: B S F N 4 0 (1 9 8 5 )
6 1 6 - 6 1 9 . Interessant ist im Übrigen, dass nach späterer Überlieferung noch Severus Alexander die Anrede do­
minus abgelehnt haben soll (H ist. Aug. Alex. Sev. 4, 1: dominum se appellari vetu.it), wom it er sich jedoch nach
Ausweis der Inschriften nicht mehr durchsetzen konnte.
D e r K a i s e r u n d d ie I n s c h r i f t e n
107
V I I . Schluss: D er Kaiser und die Inschriften
Aus dieser kurzen Vorstellung des Materials ergeben sich einige wichtige Schlussfolgerungen:
Für die Mehrzahl der Inschriften, die den Kaiser nannten, ist nicht davon auszugehen, dass der
Herrscher in irgendeiner direkten Form Einfluss auf ihre Konzeption nehmen oder die Art ihrer
Ausführung festlegen konnte. Das gilt m it Sicherheit für die große Masse der überall im Reich für
den Kaiser errichteten Ehren- und Weiheinschriften, von deren schierer Existenz der Princeps kaum
je detaillierte Kenntnis gehabt haben dürfte (s. oben Kap. 5 - 6 ). Es trifft m.E. aber auch für einen
nicht geringen Teil der im Namen des Herrschers angefertigten Inschriften zu, etwa der Bautituli
oder Meilensteine, in denen der Herrscher als scheinbar handelnde Figur im Nominativ erschien.
Denn auch bei diesen epigraphischen Zeugnissen scheint die genaue Formulierung des Textes und
die Gestaltung des Monuments - vor allem außerhalb Roms - häufig in der Verantwortung pro­
vinzialer und lokaler Institutionen gelegen zu haben, und es kann zumindest in einzelnen Fällen
wahrscheinlich gemacht werden, dass dabei nicht immer eine Rücksprache mit der Zentrale er­
folgen musste. Das ist allerdings zugegebenermaßen in der epigraphischen Forschung umstritten,
da andere Wissenschaftler - wenn auch zumeist ohne klare Evidenz - eine wesentlich stärkere
Einflussnahme des Herrschers selbst oder zumindest des Kaiserhofes auf die Formulierung und
Anfertigung von Bau- und Meilensteininschriften postulieren (s. oben Kap. 4). Am ehesten ist ein
direkter Zugriff des Princeps bei den umfangreichen kaiserlichen Mitteilungen und administrativen
Dokumenten anzunehmen, aber auch hierbei war es, wie gesehen (s. oben Kap. 2), in der Regel
seiner Kontrolle entzogen, wie, wo und wann die entsprechenden Texte in ein auf Dauerhaftigkeit
ausgerichtetes epigraphisches Monument umgestaltet wurden. Und selbst bei den besonders bedeu­
tungsvollen Denkmälern zur Feier des Herrschers in der Metropole Rom lag die Initiative oft nicht
beim Kaiser selbst, sondern bei anderen Gruppierungen wie Senatus Populusque Romanus oder der
plebs. So zumindest besagt es der Wortlaut der an diesen Monumenten angebrachten Inschriften,
und dieser sollte m.E. durchaus ernst genommen werden, auch wenn es gerade in der Hauptstadt
natürlich möglich war, dass der Kaiser gleichsam hinter den Kulissen auf die Gesamtplanung und
vielleicht auch die Detailgestaltung dieser Ehrungen Einfluss nahm (s. oben Kap. 3).
Insofern sind Kaiserinschriften nur in relativ begrenztem Maße eine Quelle für eigenmäch­
tiges kaiserliches Handeln; sie eignen sich hingegen wesentlich besser für die Erforschung von
Kommunikations- und Rezeptionsprozessen, die sich im Wechselspiel zwischen der kaiserlichen
Zentrale, der provinzialen Administration und der Bevölkerung des Imperium Romanum vollzo­
gen. Auch auf diesem Feld ist jedoch bei der Interpretation epigraphischer Zeugnisse eine gewisse
methodische Vorsicht angebracht, bei der insbesondere die folgenden Punkte im Auge behalten
werden sollten: Zunächst einmal ist festzuhalten, dass das Bild, das sich aus den epigraphisch festge­
haltenen Texten in Bezug auf den Kaiser ergibt und das uns zumindest in Ausschnitten bekannt ist,
grundsätzlich positiv gefärbt war, da im Medium der Inschriften zu Lebzeiten eines Herrschers kei­
ne Kritik an diesem geäußert werden konnte26 . Spottverse auf den Princeps, wie sie nach Ausweis
Möglich war explizit geäußerte K ritik in den Inschriften eigentlich nur im Rückblick auf bereits verstorbe­
ne Herrscher, vor allem solche, die der sog. dam natio m em oriae vertaüen waren. Vgl. dazu etwa die claudische
Bauinschrift C I L V I 1252 = IL S 2 0 5 aus Rom : Ti(berius) Claudius Drusi f(ilius) Caesar Augustus Germanicus
/ pontifex m axim (im us) trib(unicia)potest(ate) V im p(erator) X Ip (a te r )p (a tr ia e) co(n)s(ul) desig(natus) 1111/
areas ductus aqu ae Virginis disturbatos per C (aium ) Caesarem / a fltndamentis novos fecit ac restituit. Vgl. Edwin
S. Rarnage, D enigration ofP redeccesor Under Claudius, G alba, and Vespasian, in: H istoria 32 (1 9 8 3 ) 2 0 0 - 2 1 4 .
108
C hristian W itsc h c l
der literarischen Quellen in Form von Flugschriften und Graffiti zumindest in Rom recht weit
verbreitet waren24*, oder die oft mit kritischen Untertönen verbundenen Spitznamen der Kaiser,
die ebenfalls in ziemlich großer Zahl im Umlauf gewesen sein sollen269, finden sich in den erhalte­
nen Titu li praktisch nie - Inschriften fallen somit auf diesem G ebiet als Korrektiv zu den mögli­
chen Übertreibungen der literarischen Quellen, insbesondere in Bezug auf die in der senatorischen
Überlieferung als principes m ali erscheinenden H errscher
weitgehend aus.
26S Zu Schm ähschriften, Spottgedichten und G raffiti, die sich gegen den H errscher und dessen Auftreten richte­
ten, s. etwa Suet. Aug. 7 0 ; T ib . 59; Claud. 38, 3; Nero 39, 2; O th o 3, 2; D om . 14, 2; von einem allgemeinen (d.h.
offenbar unter allen Kaisern verbreiteten) Phänom en spricht auch Cass. D io 6 5 (6 6 ), 1 1 ,1 . Dass die Verbreitung
von Pamphleten dieser Are vor allem in Krisenzeiten wie H ungersnöten in der Stadt Rom stark zunahm, berich­
tet Cass. D io 55, 27, 1 - 4 zum Jah r 6 n. Chr. Schon Augustus war gegen famosi libelli bzw. biblia - vor allem die
anonymen - vorgegangen (.s. Tac. ann. 1, 7 2 , 3; Cass. D io 56, 27, 1; aber auch Suet. Aug. 5 5 ); ebenso D om itian
(Suet. D om . 8, 3 ); dazu Giancarlo Muciaccia, In tema di repressione delle opere infamanti (D io 55, 2 7 ), in:
Scudi in onore di A. Biscardi, Bd. 5 (M ailand 1984) 6 1 - 7 8 . In materieller Form haben sich solche Schriften nur
selten erhalten; vgl. zu einigen G raffiti Paolo Cugusi, Spunti di polem ica politica in alcuni graffiti di Pompei e di
Terracina, in: Z P E 61 (1 9 8 5 ) 2 3 - 2 9 .
269 Zu den kaiserlichen Spitznam en vgl. Christer Brunn , Rom an Emperors in Popular jargon. Searching for
Contem porary Nicknames, in: Lukas D e Blois u.a. (H g .), The Representation and Perception o f Rom an Imperial
Power (Amsterdam 2 0 0 3 ) 6 9 - 9 8 , der 88h auf die sehr geringe Evidenz für solche Namen (die von inoffiziellen
Titulaturelem enten zu unterscheiden sind; dazu oben K ap .6) in den Inschriften verweist.
2 ü Im m erhin bieten die Inschriften ein gewisses G egengewicht zu den Behauptungen der literarischen Q uellen
in Bezug auf die principes mali. So sollen Letzteren - oft auf deren eigenes Betreiben - zahlreiche Eitel zu­
erkannt worden sein, die die etablierten Normen überstiegen, aber dennoch angeblich sogar in offiziellen
Schriftstücken Verwendung fanden (vgl. auch oben Kap. 6 mit Anm. 2 4 4 ). Ein gutes Beispiel hierfür stellt der
Kaiser Caligula dar: E.r soll mehrfach Britanniens genannt worden (Cass. D io 59, 25, 5a) und siebenmal zum
imperator ausgerufen worden sein (Cass. D io 59, 22, 2), obwohl er weder Britannien unterworfen noch eine
einzige Sch lach t gewonnen hatte. Bei Suet. Cal. 22, 1 werden weitere ehrende Beinamen erwähnt, die Caligula
angenommen habe, nachdem sie ihm offenbar von anderen Personen angeboten worden waren: compluribus
cognominibus adsumptis - nam et pius et castrorinn filius et pater exercituum et optimus maximus Caesar vocabatur
... . Schließlich wird berichtet, Caligula sei am Ende seines Lebens offiziell als theos und Iuppiter angesprochen
worden; und diese Bezeichnungen wären auch in D okum enten verwendet worden (Cass. D io 59, 28, 8). Keine
dieser Behauptungen lässt sich bei einer M usterung der erhaltenen Inschriften des Caligula verifizieren. Einige
Maie wird zwar Caligula im O sten des Reiches als theos bezeichnet (so in ID idym a 148 aus Didvma oder in
AE 1995, 1459 = S E G 4 5 [1 9 9 5 ] 1645 aus Sardis; in S IG 3 7 9 9 erscheint Caligula als megistos k a i epiphanestatos theos ; s. ferner den in S I G 5 7 9 7 = IG R IV 25 überlieferten Treueeid der Einw ohner von Assos aus dem
Jahre 3 7 ). Diese Inschriften gehören aber alle, wie leicht zu erkennen ist, in den K ontext des Kaiserkultes, wo
zumindest in den östlichen Reichsteilen eine solche Benennungdurchaus nichts Ungew öhnliches war; vgl. dazu
oben Anm . 193. In einer weiteren Inschrift aus Kyzikos wird Caligula, wohl zu Beginn seiner Regierungszeit,
ho neos Helios Gaios K aisar Sebastos Germanikos genannt (S IG '>7 9 8 ). Diese Benennung ist insofern interessant,
als die Sol-Identifikation für Caligula selbst (anders als später für Nero) keine Rolle gespielt zu haben scheint.
In den Provinzen wurde sie jed och - offenbar ohne Einfluss aus Rom - m ehrfach vorgenommen, wie auch
lokale Münzprägungen zeigen, die Caligula (zum ersten Mal bei einem lebenden Kaiser) m it der Strahlenkrone
verführten: Bergmann, H errscherbild (wie A n m .2 4 3 ) 1 2 7 - 1 2 9 . W enn also in Bezug auf Caligula in den
Inschriften Bezeichnungen auftauchen, die eher außergewöhnlich wirken, so scheinen sie von unten an ihn
herangetragen worden zu sein, ohne dass jeweils klar würde, inwieweit der Kaiser hiervon überhaupt gewusst
hat. Allerdings ist noch anzumerken, dass gerade bei den principes m ali davon auszugehen ist, dass ein g röße­
rer Teil der sie betreffenden Inschriften aufgrund einer postum verhängten G edächtnisstrafe vernichtet wurde
(dazu s. oben Anm . 6). D arunter könnten sich insbesondere diejenigen T itu li befunden haben, die anstößige
Titulaturelem ente enthielten. Das wiederum würde bedeuten, dass uns die erhaltenen Inschriften dieser Kaiser
ein schiefes Bild in Bezug au f die von ihnen verwendeten oder für sic gebrauchten Bezeichnungen verm itteln.
O e r K a i s e r u n d d ie I n s c h r i f t e n
109
Die sich in den Inschriften widerspiegelnden Kommunikationsprozesse zwischen Herrscher und
Untertanen sind vermutlich ebenfalls einseitig
o dareestellt,
o
’ da auch hier Konfliktsituationen weiteeo
hend ausgeblendet wurden - nicht zuletzt dadurch, dass negative kaiserliche Mitteilungen von den
Empfängern nur sehr selten inschriftlich aufgczcichnct wurden (s. oben Kap. 2). Beim Vorliegen ei­
ner (literarischen) Parallelüberlieferung ergibt sich aber nicht selten ein abweichendes Bild, in dem
die durchaus vorhandenen Spannungen sehr viel deutlicher hervortreten. Ein Beispiel hierfür bietet
die Situation in Athen (Achaia) während der augusteischen Zeit. Wenn wir nur auf'die epigraphi­
sche (und archäologische) Überlieferung blicken, bietet sich ein Bild, wie wir es auch aus vielen
anderen Städten im Imperium Romanum kennen: Es gab einige Stiftungen des Kaiserhauses, auf
die die Stadt mit mannigfachen Ehrungen für Augustus selbst, vor allem aber für Mitglieder seiner
Familie wie Agrippa, Caius und Lucius Caesar antwortete2 '. Besonders hervorzuheben ist dabei die
frühzeitige Einführung des Kaiserkultes, der in Athen offenbar an mehreren Orten ausgeübt wur­
de2 2. Unter diesen fällt ein Rundtempel für Roma und Augustus auf, der an einem besonders promi­
nenten Platz, nämlich vor der Ostseite des Parthenon auf der Akropolis, stand und dessen Inschrift
sich erhalten hat2, 3. Weiterhin zeugen zahlreiche kleinere Altäre von der offenbar weit verbreiteten
kultischen Verehrung des Augustus2 '1. Schließlich lassen die epigraphischen Zeugnisse erkennen,
dass bei der Kommunikation zwischen Herrscher und Untertanen wie üblich einige herausragende
Figuren der lokalen O berschicht, die nicht zuletzt Gesandtschaften nach Rom unternahmen, eine
wichtige Rolle spielten
. Dieses harmonische Bild stellt sich allerdings ein wenig anders dar, wenn
auch die literarische Überlieferung einbezogen wird, denn in dieser ist mehrfach von erheblichen
Spannungen zwischen Augustus und der Bevölkerung von Athen die Rede. Diese rührten zunächst
offenbar daher, dass Athen einer der bevorzugten Aufenthalte des Marcus Antonius gewesen war;
aber sie traten später (etwa bei dem Besuch des Augustus in der Stadt im W inter 22/21 v. Chr.) er­
neut auf und setzten sich, wenn wir den Angaben einiger spätantiker Autoren trauen dürfen, sogar
bis in die spätaugusteische Zeit fort2 6. Von solchen Störungen der Kommunikation erfahren wir
2 ! Vgl. allgemein M ichael C. Hoff, Augustus, Apollo, and Athens, irr: M H 4 9 (1 9 9 2 ) 2 2 3 - 2 3 2 ; Susan
Walker, Athens under Augustus, in: Adichael C. H off , Susan I. Rotroff (H g .), The Rom anizadon o f Athens.
K ongreßbericht Lincoln 1996 (O xford 1997) 6 7 - 8 0 . Zu den Ehrungen für C . und L. Caesar in Athen s. oben
Anm. 93. M it B lick auf die Initiatoren dieser M aßnahm en ist zu betonen, elass es sieh dabei nicht um ein vom
Kaiser gesteuertes Programm handelte, sondern die kaiserlichen Stiftungen nur punktuelle Akzente setzten,
während der G roß teil der den H errscher verherrlichenden M onum ente von der Stadtgem einde bzw. von
M itgliedern der lokalen Elite konzipiert wurde; so zu Rech t Ortwin Daily, Athen in der frühen Kaiserzeit - ein
Werk des Kaisers Augustus?, in: Stavros Vlizos (H g .), Athens during the Rom an Period. Recent Discoveries,
New Evidence (Athen 2 0 0 8 ) 4 3 - 5 3 .
2 - Vgl. M ichael C. Hoff, The Polities and Architecture of the Athenian Imperial C ult, in: A lastair Sm all (H g.),
Subject and Ruler. The C u lt of the Ruling Power in Classical Antiejuity (A nn Arbor 1 9 9 6 ) 1 8 5 - 2 0 0 ; Antony
J.S . Spawfbrth, Tire Early Reception of the Imperial C ult in Athens. Problems and Am biguities, in: M ichael
C. Hoff, Susan I. R otroff { H g.), The Rom anizadon of Athens. Kongreßbericht Lincoln 1 9 9 6 (O xford 1 997)
1 8 3 -2 0 1 (m it etwas abweichender, m.E. nicht völlig überzeugender W ertung).
2 1 IG II/H L 3 1 7 3 (gestiftet vom D em os); dazu Paola BaULissari , Augusco soter. Ipotesi sul monopteros
dellAcropoli ateniesi, in: O stra k a 4 (1 9 9 5 ) 6 9 - 8 4 .
•■' S. oben Anm. 184.
2 ^S. etwa die Inschrift des Eingangstores zur Röm ischen Agora: IG 11/1112 3 175.
~ ° S. insbesondere Cass. D io 54, 7, 2 h; dazu und zu weiteren Belegen vgl. M ichael C. Hof}] Civil D isobedience
and Unrest in Augustan Athens, in: Hesperia 58 (1 9 8 9 ) 2 6 7 - 2 7 6 ; temex Diet??iar Kienast, Antonius, Augustus,
die Kaiser und Athen, in: Klassisches Altertum , Spätantike und frühes C hristentum . Festschrift A. Lippold
(W ürzburg 1993) 1 9 1 - 2 2 2 .
110
C hristian W itsc h e l
aus den Inschriften naturgemäß nichts, die uns somit zumindest in diesem Fall ein ziemlich einsei­
tiges Bild der antiken Realität vermitteln.
Bisweilen ist in Fällen, in denen die Aussagen der literarischen und der epigraphischen Quellen
bei der Schilderung kaiserlichen Handelns oder der Reaktionen hierauf in unterschiedliche
Richtungen weisen, nicht sicher zu entscheiden, welchem Überlieferungsstrang der Vorzug zu
geben ist, da beide aus jeweils ganz bestimmter und eingeschränkter Perspektive berichten und
darum ein- und denselben Vorgang unterschiedlich akzentuieren konnten. So stellen bei einigen
Bauprojekten, die mit dem Kaiserkult verbunden waren, die literarischen Quellen eine angeblich
direkte Initiative des Kaisers hierfür heraus, während die Inschriften eher die Rolle provinzialer
oder munizipaler Institutionen betonen. Hadrian etwa werden in seiner Biographie zahlreiche
Tempelbauten in Kleinasien zugeschrieben, die er auf seinen Reisen durch die Region erbaut und
dadurch seinen eigenen Kult befördert haben soll2"'. Einen Beleg hierfür hat man in einem m o­
numentalen, ursprünglich dem Zeus geweihten Tempel in Kyzikos erblicken wollen, der - nach
der Aussage späterer literarischer Quellen, insbesondere des Johannes Malalas2,8 - tatsächlich von
Hadrian selbst nach einer Erdbebenzerstörung wiedererrichtet und seinem Kult gewidmet worden
sein soll. Zugleich ist jedoch ein Bauepigramm überliefert, aus dem hervorgeht, dass ein Architekt
namens Arist(o)netos das Gebäude von den Fundamenten errichtete, und zwar auf Kosten „von
ganz Asien“, womit mit Sicherheit der Landtag der Provinz Asia gemeint ist2'9. Hier fallen die
Widersprüche zwischen den einzelnen Quellengattungen klar ins Auge: Die späten literarischen
Quellen machen Hadrian selbst, die Inschrift hingegen das koinon zum Initiator des Projekts.
Hierfür ließe sich immerhin als mögliche Erklärung anführen, dass sich eventuell beide Seiten an
den Baukosten beteiligten, wobei dann immer noch die Frage often bliebe, wer den ursprünglichen
Anstoß zu den Baumaßnahmen gegeben hatte. Vermutlich hatten dies - wie in solchen Fällen üb­
lich - die Provinzialen getan, während sich Hadrians Beitrag im Wesentlichen auf einen Zuschuss
zur Finanzierung des Riesenbaues beschränkt haben dürfte. Dagegen steht freilich die Aussage des
Malalas. Bei ihm ist jedoch fraglich, wieviel er über die Vorgänge zur Zeit Hadrians noch wusste. Fis
könnte sehr wohl sein, dass er den Bau mit der Widmungsinschrift an Hadrian (im Dativ) kannte,
dann aber aus eigener Vorstellungskraft hinzufügte, der Kaiser sei selbst für diesen Bau verantwort­
lich gewesen280.
2 Flist. Aug. Had r. 13, 6: eodemqtie m odo p er Asiam iter faciens templa sui nominis consecmuit.
2 sJo h . Mal. 1 1 ,1 6 (ed. Thurn, p. 2 1 0 ); dazu A lexander Schenk G raf v. Staaffenberg, D ie röm ische Kaisergeschichte
bei Malaias. G ricch isch cr Text der Bücher I X - X I I und Untersuchungen (Stuttgart 1931) 2 9 9 f ; s. ferner C hron.
Pasch. I p .4 7 5 [Bon n] und Sokr. H E III 23, 59. Eine Angabe zur Finanzierungsart findet sich in einem Scholion
zu Lukian aus dem 6 .Jahrhundert (danach habe Hadrian lediglich einen wesentlich älteren Tempel vollen­
det). D ie einzige einigermaßen zeitgenössische Quelle ist die or. 2 7 des Aelius Aristides, gehalten 166 bei der
W iedereinweihung des Tempels nach einer weiteren Erdbebenzerstörung im Jahre 161. Allerdings bietet leider
gerade dieser Text für unsere Fragestellung nicht allzu viele Inform ationen. Im m erhin erfahren wir aus § 22, dass
auch bei der Restaurierung in antoninischer Z eit wieder der Name des Kaisers Hadrian an dem Bau angebracht
wurde.
2 9 Zu dem von Cyriacus von A ncona überlieferten Bauepigramm s. IG R IV 140. D a Cyriacus leider nicht genau
angibt, wo er diese Inschrift gesehen hat, kann nicht endgültig gesichert werden, dass sich diese tatsächlich auf
den großen Tempel bezieht.
:i,° Zur Diskussion um den Tempel in Kyzikos vgl. Price , Rituals (wie Anm . 176) 1 5 3 - 1 5 5 , 251 Nr. 17 (m it
der älteren Literatur); Armin Schulz , Engelbert W inter , H istorisch-archäologische Untersuchungen zum
H adrianstempel in Kyzikos, in: E lm ar Schwertheim (H g .), Mysische Studien (Bonn 1 990) 3 3 - 8 2 ; Andrea
Barattolo, The Temple of H adrian-Zeus at Cyzicus, in: M D A I(I) 4 5 (1 9 9 5 ) 5 7 - 1 0 8 .
D e r K a i s e r u n d d ie I n s c h r i f t e n
Einen von der Q u ellenp ro b lem atik her vergleichbaren Fall kennen wir aus M ilet. Er be tri fit
den Kaiser C aligu la, der tatsächlich in relativ starkem - in der frühen Kaiserzeit jedenfalls ganz
ungew öhnlichem - M aße versucht zu haben scheint, den K u lt seiner eigenen Person zu fördern.
Trotzdem ist dies in jedem einzelnen Fall zu überprüfen, denn bei genauerem H insehen ergeben sich
oft W id ersprü che zwischen den entsprechenden Zeugnissen. S o berich tet Cassius D io, C aligula
habe b efohlen, für ihn in M ilet ein H eiligtum ein zurich ten ; w eiterhin lässt der H istoriker durch­
scheinen, C aligu la habe die Stadt gerade deswegen gew ählt, weil er vorgehabt habe, sich den in der
N ähe gelegenen Tem pel des A pollo, d.h. das berühm te H eiligtu m von D idym a, für seinen Kult
an zu ei^ n crrsl. G erade dieser zweite Teil der G esch ich te w irkt w enig glaubhaft, da D io hier offenbar
verschiedene Fakten zusam m enw irft. So wissen wir zwar, dass C aligu la den W eiterbau des A polloTem pels unterstützte, aber dies besagt noch n ich ts h in sich tlich seiner m öglich en w eitergehenden
Interessen. V iel w ichtiger ist je d o ch ein inschriftlicher Beleg, der klar m acht, dass an dem Bau des
Tem pels Kir C aligu la in M ilet federführend die w ichtigsten Städ te der Provinz Asia b eteilig t waren;
und d o rt steht n ich ts von einem direkten B efeh l des Kaisers2' 2. Es muss jed o ch n ich t notw end iger­
weise ein un überbrü ckbarer W id erspru ch zwischen diesen divergierenden Q uellenaussagen vorlicgen, denn sie kö n n ten durchaus zwei Facetten desselben Vorganges aus einer jew eils u n tersch iedli­
chen Perspektive schildern. So ist es m öglich, dass es h in ter den Kulissen einen m ehr oder m inder
deutlich ausgesprochenen W unsch des Kaisers gab, ihm einen Tem pel zu errichten, der dann von
den Städten Asiens prom pt aufgegriften wurde - D io h ätte dann einfach Letzteres, die Inschrift
Ersteres n ich t für erw ähnensw ert gehalten. D as würde zur jew eiligen A usrichtung dieser Q u ellen
passen, denn D io interessierte sich nun einm al vor allem für die Person des Kaisers, w ährend die
vor O r t errichteten Inschriften die nach außen h in propagierte Fassade des Vorganges aus lokaler
S ich t präsentierten. M an kann aber beide Zeugnisse auch w esentlich kritischer betrachten und sich
fragen, ob sie die volle W ah rh eit wiedergeben. Es ist näm lich n ich t ganz unw ahrscheinlich, dass
D io aus der ihm b ekan n ten T atsache, dass unter C aligula in M ilet ein Tem pel für diesen errichtet
wurde, auf einen direkten B efeh l des in der h istoriographischen T rad ition als besonders tyrannisch
und exzentrisch geltenden Kaisers geschlossen und so m it die tatsächliche Initiative um gedreht hat.
A u f der anderen Seite ist es durchaus vorstellbar, dass man in der Inschrift den H inw eis a u f eine
kaiserliche A n o rd nu ng einfach deswegen unterschlagen hat, weil man die eigene Leistung bei der
E in richtu n g des K ults und beim Bau des Tem pels herausstreichen w ollte, zumal dies den gew ohnten
M echanism en im U m gang zwischen den Städten und dem H errsch er besser entsprach28'.
W ir sollten also davon ausgehen, dass die K om m unikationsprozesse zwischen dem H errscher
und den U n tertan en , für die gerade die epigraphischen Z eugnisse unsere w esentliche Q u elle dar­
stellen, in gewisser W eise verzerrt dargestellt sind, da in den erhaltenen Inschriften die Initiative von
ISI Cass. D io 59, 28, 1.
::s2 S. IDidym a 148 m it dem K om m entar von Albert Rehm ; der term inologische Unterschied zwischen dem
temenos des Cassius D io und dem naos der Inschrift scheint m ir dabei n ich t so gravierend zu sein. Ein entspre­
chendes H eiligtum ist allerdings in M ilet bislang nicht gefunden worden. Zu den Bauaktivitäten am ApolloTempel von Didyma unter Caligula s. Suet. Cal. 2 1 ; ID idym a 107 sowie zusammenfassend Louis Robert, Le
eultc de Caligula ä M ilet et la province dAsie, in: H ellen ica7 (1 9 4 9 ) 2 0 6 - 2 3 8 und Peter Herrmann, Ein Tempel
für Caligula in M ilet?, in: M D A I(I) 39 (1 9 8 9 ) 1 9 1 - 1 9 6 (m it etwas abweichender M einung). D ie Stiftung einer
Statue für Caligula durch die neopoioi in Didyma (belegt eben durch ID idym a 148) erfolgte eventuell als D ank
dafür, dass der Kaiser sich für die Errichtung eines Tempels für seinen Kult in M ilet dadurch erkenntlich zeigte,
dass er G elder für den Fortbau des Didymeions bereitstellte.
'•s3 Vgl. ferner Aloys W interling , Caligula. Eine Biographie (M ünchen 2 0 0 3 ) 148 zu der Situation in Alexandria.
112
C hristian W itsch cl
G em einden und Einzelpersonen m öglicherw eise ü b erb eton t ist, weil diese dazu neig ten, gerade so l­
che Vorgänge insch riftlich aufzuzeichnen, in denen sie selbst eine bestim m ende R olle gespielt h at­
ten oder die sie in einem günstigen L ich t erscheinen ließen. Insofern sind die zahllosen A nfragen,
die von unten an den H errsch er gerich tet wurden, unverhältnism äßig gut d okum en tiert - zum in­
dest in dem M aße, wie sie positiv beschiedcn wurden. U n ter anderem aus solchen Zeugnissen hat
Fergus M illar seine These vom „reagierenden K aiser“ en tw ickelt, der n ich t so sehr von sich aus eine
eigene, längerfristig geplante P olitik durchzusetzen versuchte, sondern im Einzelfall auf an ihn h er­
angetragene Problem e an tw o rtete und hieraus die Leitlin ien seines Rcgierens en tw ickelte28'1. D ieses
M odell scheint m ir in den G rundzügen im m er n och rich tig zu sein. W erner E ck hat jed o ch zu
R ech t w iederholt darauf aufm erksam gem acht, dass unsere Sichtw eise n ich t unerheblich von der
A rt der Q u ellen, die uns erhalten geblieben sind, beeinflusst wird - und dies trifft in besonderem
M aße auf die Inschriften zu285. D iejen igen A nordnungen etw a, die von oben, also vom Kaiser oder
der Z entralverw altung, an einzelne Städte oder gar an alle G em einw esen des R eiches gerich tet w or­
den waren, wurden häufig n ich t in Stein übertragen, sondern led iglich auf vergänglichem M aterial
in den Städten zur Schau gestellt und dann im A rchiv verw ahrt (s. oben Kap. 2 ). D avon hat sich
naturgem äß kaum etwas erhalten, und so m it ist dieser gesam te Bereich für uns schw er zu fassen.
Das w iederum hat n ich t unw esentlich zu unserem B ild von einer zum eist n ich t aktiv handelnden,
sondern lediglich reagierenden und darum w enig intensiven A d m in istratio n beigetragen. V ielleich t
haben wir dabei die M ö g lich k eiten unterschätzt, die auch in einem System wie dem röm ischen dem
H errscher verblieben, um von sich aus gewisse V orstellungen und H andlungsanleitungen bei seinen
U n tertan en zu verbreiten.
T ro tz dieser E inschränkungen bilden aber die zahlreichen Inschriften, die in irgendeiner Form
Bezug auf den K aiser nehm en, eine unserer w ichtigsten Q u ellen für die Erforsch un g des im
Im perium R om anu m verbreiteten ,Im ages4 des H errschers und des intensiven D ialogs, der darüber
zwischen dem Princeps und der Bevölkerung des R eiches stattfand .
2st M illar, Em peror (wie Anm. 8 2 ) passim; zur Diskussion um dieses M odell vgl. Jochen Bleichen , Zum
Regierungsstil des römischen Kaisers. Eine A ntw ort auf Fergus M illar (W iesbaden 1982) und zuletzt Sebastian
Schmidt-Hofner, Reagieren und Gestalten. D er Regierungsstil des spätröm ischen Kaisers am Beispiel der
Gesetzgebung Valentinians I. (M ünchen 2 0 0 8 ) 1 1 -1 8 , 3 3 7 - 3 4 4 sowie die Beiträge in: Hans-Ulrich W iemer
(H g.), Staatlichkeit und politisches H andeln in der römischen Kaiserzcit (Berlin u.a. 2 0 0 6 ).
\Verner Eck , Kaiserliches H andeln in italischen Städten, in: Ders., D ie Verwaltung des röm ischen Reiches in
der hohen Kaiserzeit. Ausgewählte und erweiterte Beiträge, Bd. 2 (Basel 1998) 2 9 7 - 3 2 0 ; ders., Zur Einleitung.
Röm ische Provinzialadm inistration und die Erkenntnism öglichkeiten der epigraphischen Überlieferung, in:
Werner Eck (H g .), Lokale Autonom ie und römische O rdnungsm acht in den kaiserzeitlichen Provinzen vom 1.
bis 3 .Jahrhundert (M ünchen 1999) 1 - 1 5 .
M artin Hose
D er Kaiser und seine Begrenzung durch die antike Literatur
Betrachtungen zu Cassius D io
Vor die A ufgabe gestellt, über die K aiser in der literarischen Ü berlieferun g zu .schreiben, ist man zu­
nächst versucht, das Them a system atisch zu behandeln und eine A rt von K atalog zu erstellen. Eine
Auflistung von antiken T extsorten oder G attu n gen, dann Einzelw erken und den in diesen W erken
genannten und b eschriebenen Kaisern wäre das Resultat. Es würde sich - aller W ah rscheinlichk eit
nach - ein Spektrum ergeben, das von panegyrischen F o rm e n 1 über p hilosop hische" und h istoriographische T exte bis zu satirischen T raktaten und G e d ich te n 3 reichte, ein Spektrum , das eine
zeitliche D ifferen zierun g erlaubte oder sogar forderte - und doch am E n de für die Fragen nach
Inform ationsgehalt und V alidität der Ü berlieferung ein erw artbares Ergebnis liefern müsste. Dass
A utoren aus dem Senatoren stan d K aiser positiv bew erten und also beschreiben, die den Senat - in
w elcher Form auch im m er ~ n ich t bedrohen'*, Kaiser, die eine solche Bedroh un g darstellen, aber
entsprechende negative A bschilderungen erfahren, dass A u toren aus der G efolgschaft eines Kaisers
diesen selbst panegyrisch überhöhen\ gegebenenfalls Vorgänger kritisieren6, dass der tote Kaiser
eines Satirikers dessen O p fer wird, der lebende jed o ch dessen G o tt - all dies dürfte seit längerem
vertraut sein. W as kann dieser B eitrag angesichts eines solchen Befundes bieten?
Es sei daher neu begonnen und die gestellte Aufgabe dadurch reduziert, dass dieser B eitrag sich
auf einen A spekt der antiken literarischen Ü berlieferun g zu den Kaisern konzentriert. Es soll im
Folgenden um G ren zlin ien gehen, die in der Literatu r - und h ier soll die Analyse a u f einen einzigen
Text, das G esch ich tsw erk des Cassius D io 8, beschränkt b leiben - um die K aiser gelegt werden. D ies
ist freilich näher zu erläutern. Auszugehen ist von einer kom m unikativen Fu nktion von (antiker)
1 Hierzu gehörten dann etwa Eusebios’ Konstanstinsvita, Lucans Landes Neronis (Pharsalia 1, 4 5 - 6 6 ) , Velleius
Paterculus’ Preis des Tiberius 2, 1 2 4 -1 3 1 (dazu zuletzt Ulrich Schmitzer, Velleius Paterculus und das Interesse an
der G eschichte im Z eitalter des Tiberius [H eidelberg 2 0 0 0 ] 2 9 3 - 3 0 6 ) , Martials L ib er spectacularum.
1 Hierzu gehörten Senecas De dem en tia . oder A d Polybium.
-1Vgl. Sen. apocol.; Juv. sat. 4; Julian, Caesares.
4 Vgl. die Rolle Nervas in Täc. hist. I, I, 4 bzw. Agr. 3 oder die Rolle des Pertinax bei Cass. D io 7 4 (7 3 ), 1 - 5 .
^So Tiberius bei Velleius Paterculus.
6 Vgl. Tacitus und die Flavier, insbesondere D om itian.
Vgl. neben Sen. apocol. den Gegensatz zwischen Juv. sat. 4 und 7, l: E t spes et ratio stiidionim in Ca esa re tantum.
x D er griechische Text wird zitiert nach Ursulas Philippus Boissevaiti (H g .), Cassii D ionis C occeiani Historiarum
Romanarum quac supersunt, Bd. 1 - 3 (Berlin 18 9 5 - 1 9 1 9 [N D 1 9 5 5 ]), die Übersetzungen (m it gelegentlichen
Anpassungen an den griechischen Text) sind entnom m en Otto Feh (Ü b ers.), Cassius D io, Röm ische G eschichte,
5 Bde. (Z ürich, M ünchen 1 9 8 5 -1 9 8 7 ) . Ich knüpfe m it meinen Überlegungen an zwei eigene Arbeiten an:
M artin Elose, Erneuerung der Vergangenheit. D ie H istoriker im Imperium Rom anum von Florus bis Cassius
D io (Stuttgart, Leipzig 1994) 3 5 6 - 4 5 1 ; bzw. ders., Cassius D io. A Senator and H istorian in an Age o f Anxiety,
in: Joh n M arincola (H g .), C om panion to G reek and Roman Historiography, Bd. 2 (M alden 2 0 0 7 ) 4 6 1 - 4 6 7 .
114
M artin H ose
Literatur, nach der sich jed er T ext in einen Sinnzusam m enhang (od er D iskurs) stellt und durch
seine spezifischen (od er unspezifischen) Aussagen zu diesem Sinnzusam m enhang beiträgt und ihn
zugleich m odifiziert. D ieser D iskurs ist dabei zugleich eine Form von „Aushandlungsraum “, in dem
sich die an der K om m u n ikatio n B eteiligten über ästhetische, soziale, kulturelle Felder verständi­
gen (od er streiten) können. So weit, so eigentlich banal. Ich kom m e nun zum eigentlichen Punkt,
dem .Sch reiben über K a ise r. Dass dieses .Sch reiben über K aiser1, sofern es in zur V eröffentlichung
bestim m ten Texten geschieht, für die ersten drei Jah rh u n d erte des Prinzipats (um die es in diesem
Zusam m enhang geht) stets eine p olitische D im en sio n hat, bed arf keines Nachweises, G leich falls
selbstverständlich
dürfte sein, dass ein grundsätzliches M achtgefälle zwischen
Kaiser und
.Sch reibend em ' besteh t - jed en falls wenn beide Z eitgenossen sind. D ass ferner durch Tod eines
Kaisers oder gar W echsel der D ynastie dem Sch reiben den ein Freiraum entstand, zeigt etwa das
Beispiel Juvenals, der im M odus der Satire dezidiert „nur“ von denjenigen handeln will, quorum
Flaminia tegitur cinis atque Latina (sat. 1, 1 7 1 ). G leich w oh l steh t auch das retrospektive .Sch reiben
über K aiser“ unter p o litischen V orzeichen, es stellt einen Versuch dar, eine - nachträgliche Stellungnahm e des Schreibers zum to ten K aiser zu artikulieren, es bew ertet in dieser Stellungnahm e
das R egim en t wie auch den C h arakter des H errschers. Freilich, und dies ist die hier entw ickelte
These, geht m it einem solchen T o ten gerich t - zeitversetzt - der Prozess der V erhandlungen9 zwi­
schen K aiser und Sen at/ U n tertan en / Ö ffen tlich keit w eiter: D e r K aiser hatte zu Lebzeiten in einem
prinzipiell dynam ischen Prozess seine H andlungsspielräum e im R ah m en seiner R egierung genutzt
(nutzen m üssen). D ieses M o m en t der D yn am ik, also der m eh r oder w eniger deutlich erkenn­
baren Veränderungen, das sich für die A usübung der M ach t wie die Form en der R epräsentation
erkennen lässt, trifft (n ach träglich ) auf eine Evaluation durch den l e x t . D er T ext .bew ertet' und
zieht dam it den kaiserlichen H andlungen ideelle G ren zen, G renzen zw ischen als .rich tig' und als
.falsch' bew ertetem H andeln. D ie durch den T ext dam it vorgenom m ene G ren zd efin ition stellt
wiederum ein A n g eb o t an den .neuen“ Kaiser dar: E r kann sich an den gezogenen G renzen als
K onsensinitiative des Senats orientieren - oder sie neuerlich überschreiten (und dabei m öglich er­
weise diese G ren zübersch reitun g durch T exte begleiten lassen, die seinerseits ein A n g eb o t an den
Senat darstellen).
Sow eit V orbem erkungen und These. Ich m öch te im Folgend en die Begrenzungsleistung bzw.
-fun ktion am Beispiel des Cassius D io erläutern und dabei zugleich m eine These plausibel zu m a­
chen versuchen. Dass das W erk des Cassius D io dabei im Z en tru m stehen soll, scheint m ir insofern
gerech tfertigt, als es eine w esentliche Q u elle für jed e Beschäftigung m it den röm ischen Kaisern dar­
stellt und - im G egensatz etwa zu T acitus - erst in A nsätzen sow eit w issenschaftlich durchdrungen
ist, dass sichere Aufschlüsse über die V alidität des d o rt M itg eteilten vo rlieg en "1. Es scheint bislang
’ Vgl. R onald Srme, Tacitus, Bd. 2 (O xford 1958) 481 f.; D ieter T im fe , Röm ische G eschichtc bei Flavius
Josephus, in: H istoria 9 (1 9 6 0 ) 4 7 4 - 5 0 2 , dort 4 9 0 abstrakter: „Es liegt aber auch im Wesen der senatorischen
Geschichtsschreibung, im Spiegel der Vergangenheit die Gegenwart zu sehen und den Verständigen sichtbar zu
m achen!1
K1 W ich tig zu D io sind insbesondere: E du ard Schwartz, Cassius 4 0 , R E 3, 2 (1 8 9 9 ) 1 6 8 4 - 1 7 2 2 -Jochen Bleie ken.
D er politische Standpunkt D ios gegenüber der M onarchie, in: Hermes 9 0 (1 9 6 2 ) 4 4 4 - 4 6 7 : Fergus M illar, A
Study o f Cassius D io (O xford 1 9 64): Cesare Letta, I,a com posizionc dellopcra di Cassio D ione. Cronologia e
sfondo storico-politico, in: Em ilio Gahha (H g .), Ricerche di storiografia greca di etä romana (Pisa 1979) 1 1 7 189 \B ernd M anuwald, Cassius D io und Augustus (W iesbaden 1 9 7 9 ); Timothy D. Barnes, 'th e C om position of
Cassius D io s Rom an H istory, in: Phoenix 38 (1 9 8 4 ) 2 4 0 - 2 5 5 : D etlevEechner, Untersuchungen zu Cassius D ios
Sicht der röm ischen Republik (H ildesheim 1 9 86); Alain M. Gowing, The Triumviral Narratives o f Appian and
Cassius D io (Ann A rbor 19 9 2 ); Andrew W. Lrntott, Cassius D io and the H istory o f the Late Rom an Republic,
D e r K a i s e r u n d se in e B e g r e n z u n g d u r c h d ie a n t i k e L i t e r a t u r
115
insbesondere in der airhistorischen Forschung die Tendenz vorherrschend, Cassius D io als Träger
ungetrü bter Info rm atio n en auch der frühen Kaiserzeit zu lesen 15. W enn dieser Beitrag hier zu grö­
ßerer V orsicht anregen kö n n te, h ätte er bereits sein eigentliches Z iel erreicht.
I
„Und keiner möge glauben, dass ich die Würde der Geschichtsschreibung durch die Erwähnung solcher Dinge in
den Schm utz trete. Ich hätte sie ja gewiss überhaupt nicht berichtet, doch da es vom Kaiser her geschah, und ich
selbst anwesend war und jedes einzelne sah, hörte und sprach, hielt ich es für berechtigt, nichts davon zu unter­
drücken, vielmehr die Vorgänge wie sonst Ereignisse von höchster W ich tigkeit und Bedeutung dem G edächtnis
der späteren G eschlechter zu überliefern.“
So u n terbrich t Cassius D io (nach der E p itom e des X ip h ilin o s) einen B e rich t über die Theater- und
C ircus-A uftritte des C o m m o d u s (7 3 [7 2 ], 1 8 ,3 ), in denen er H u nd erte von T ie ren tö tete und selbst
als G lad iato r Sch ein g efech te siegreich b estritt, zudem auch n o ch das Publikum und die Senatoren
zu glückverheißenden Z uru fen „M ögest du lan^e leben“ veranlasste. W enn der H istoriker hier aus­
drücklich das Z iel form u liert, das V erhalten des Kaisers, auch wenn es n ich t in die K ategorie der
ueyicnr« und äv ay K a to r a x a , also der „H aupt- und Staatsaktionen “ fallt, der N achw elt (und dam it
eben auch der Leserschaft um 2 3 0 ) zu überliefern, so lässt er zwar die Fu nk tion dieses U berlieferns
offen, doch ist durch den K o n te x t deutlich, dass C o m m o d u s’ H an deln als paradigm atisches
Fehlverhalten gelesen werden so ll12. D ie E inzelheiten dieses Fehlverhaltens entw irft das 73 . Buch
des D io n isch en G cschichtsw erks. Bem erkensw erterw eise wird bereits im Eröffnungskapitel eine
G eneraldeu tung des C o m m o d u s gegeben, die säm tliche folgenden A ngaben und Inform ationen
strukturiert:
„Dieser M ann war nicht von N atur ein Schurke, sondern harmlos («K«>:oi;) wie jeder andere M ensch, wurde
aber aufgrund seiner großen Einfalt (ä~a6t>]^) und insbesondere seiner Feigheit (ost/.i#) zum Sklaven seiner
Umgebung, und nachdem er zunächst unter deren Einfluß aus U nkenntnis das Bessere verfehlte (äv.a ptwv),
wurde es dann zur G ew ohnheit und aus dieser zu einer schamlosen und mordiüsternden N atur gebracht!1 (73
[7 2 ], 1 ,1 ).
In diesen knappen W o rten en tw irft D io ein Psychogram m der „Verfehlung des R ich tig en “ (auf­
schlussreich ist der G eb rau ch des Begriffs a u a p ra v g iv , der h ier - im Sin n e der aristotelischen
P oetik - den n ich t m oralisch gefassten Fehler b ezeich n et), das zu zeigen vorgibt, wie ein eigentlich
harm loser M ensch denn och zum D esp oten geraten kann. D ie Auswüchse des C om m odus-R egim es,
so will der H isto riker sagen, sind n ich t in d e r ,N atu r‘ des Kaisers angelegt gewesen, sondern wurden
durch die U m w elt, den H of, erzeugt und zur N atu r des Kaisers gem acht.
A N R W II 34 .3 (1 9 9 7 ) 2 4 9 7 - 2 5 2 3 ; M anfred G. Schmidt , D ie zeitgeschichtlichen Bücher im W erk des Cassius
D io - von Com m odus zu Severus Alexander, A N R W II 34.3 (1 9 9 7 ) 2 5 9 1 - 2 6 4 9 .
!i Zwei Streiflichter mögen genügen: M anfred G. Schmidt , Politische und persönliche M otivation in Dios
Zeitgeschichte, in : M artin Z'uwnermatm ( H g.), Geschichtsschreibung und politischer Wandel im 3. Jahrhundert
n.C h r. (Stuttgart 1999) 9 3 - 1 1 7 sieht in der berühm ten M aecenas-Rede eine Spiegelung der Intentionen au­
gusteischer Politik, „und er lässt in seiner Gesam theit keinen konkreten Bezug zu jenen Positionen erkennen,
die der Senator D io in seinen Kom m entaren zur Zeitgeschichte durchscheinen lässt“ (1 1 6 ). Afoys Winterling ,
Caligula. Eine Biographie (M ünchen 2 0 0 3 ) schreibt über Caligulas Rede (5 9 , 16, 1 - 8 ) : „Der Kaiser hielt eine
Rede im Senat, die von Cassius D io ausführlich zitiert wird“ (93).
Vgl. hierzu auch Tac. ann. 3, 65 und Aur. V ict. Caes. 3, 6.
116
M artin H ose
N ach diesem A uftakt gerät die D arstellu ng der Regierung des C om m od u s zu einem Katalog der
V erfehlungen: C o m m o d u s verspielt die Erfolge seines V ater gegen die M arkom annen - obgleich
sie leicht zu besiegen gewesen wären
weil er A nstrengungen scheut und die Vergnügungen der
H auptstadt sucht ( ukjo-kovoc Se 5v] wv Kai r.poi; tos; äcrriK ä? paa-Twvai; ir s iy ijte v o « , 7 3 [7 2 ],
2, 2), er reagiert auf A tten tate durch die Erm ordung aller, die sich unter M arc Aurel hervortaten
(7 3 [7 2 ], 4, 1), er hält bei seiner R ückkehr nach R o m eine A nsprache vor dem Senat, in der er
unter viel G eschw ätz sich m it N ichtig keiten selbst lo b te (4 , 2 h ). M ord e und unwürdiges Verhalten
(d.h. Verschwendung und A uftritte als W agenlenker und G lad iator) des Kaisers prägen die weitere
D arstellung seiner Regierung. Cassius D io lässt es jed o ch n ich t allein m it einem K atalog bew enden,
er .amplifiziert* den E in d ru ck des D argestellten durch - sow eit in der E p itom e erkennbar - zwei
rhetorische K unstgriffe. Z um einen gebraucht er eine A rt von .A b b ru ch sto rn ier:
„Ich würde m it meinem G eschichtswerk sehr lästig fallen, wenn ich in Einzelheiten von all den Personen schrei­
ben wollte, die Com m odus aufgrund falscher Anzeigen oder unbegründeter Verdächtigungen oder wegen ih­
res auffallenden Reichtum s, ihrer vornehmen Abstammung, ihrer ungewöhnlichen Bildung oder sonst eines
Vorzugs aus dem Wege räumte“ (7, 3).
H ierm it insinuiert er eine den Leser erm üdende Fülle von grundsätzlich grotesk m otivierten
M ord en des Kaisers. D en n die G rün d e für eine H in rich tu n g sind die üblichen K riterien gesell­
schaftlicher D istin k tio n : R eich tu m , A bstam m ung, B ildu n g - bei C om m o d u s verkehren sie sich in
ihr G eg en teil und werden zu causae mortis.
Z um anderen h eb t D io eine .gute Tat* des C om m od us eigens heraus: „C om m odus lieferte in
R om selbst viele Beispiele seiner Prunkliebe. T atsäch lich vollbrach te er auch einm al eine Leistung,
welche dem W ohl des Volkes d ien te“ (iern Si t i xa\ drju(dp£Ast; v n ’ ceürov npayßiv, 7, 4 ). D ie
B eton u n g dieser guten T at insinuiert ihre So n derstellu ng und e contrario, dass der A lltag des
C om m o d u s-R egim en ts eben n ich t dem W oh l des Volkes diente.
Besonderen N achd ru ck verw endet D io a u f die D arstellu ng der circcn sischcn Leistungen des
Kaisers, die die Staatsfinanzen ru in ieren 13, und der Angst, die das inn en p olitisch e K lim a beherrscht
habe, indes aut beiden Seiten.
C o m m o d u s als Fech tm eister erscheint deswegen an stößig , weil er m it seinen A uftritten zu­
nächst sein eigentliches A m t vernachlässigt: „D enn da C o m m o d u s nur W agenrennen und
Ausschw eifungen kannte und fast keine einzige m it seinem A m t in V erbindung stehende P flich t
erfüllte [...]“ (9, 1), n o tiert D io und legt dam it den M aßstab einer P flich terfü llu ng an das Verhalten
des Kaisers. Ferner sind die A u ftritte im T h eater und in der A rena exotisch :
„Bevor er das Theater betrat, pflegte der Kaiser eine langärmelige, weiße, golddurchwirkte Seidentim ika anzulegen und in solcher Aufm achung unsere G rüße entgegenzunehmen. W enn er dann sich anschickte hineinzuge­
hen, nahm er eine reinpurpume, goldbestickte Robe und eine gleichfarbige Chlamys nach griechischem Sch n itt
und setzte sieh einen Kranz atifs H aupt, der aus indischen Edelsteinen sowie aus G old gefertigt war. Außerdem
hielt er einen H eroldstab wie den des Merkur in den H änden
(1 7 , 3).
Im C ircus „erschien er ganz in der A ufm achung des M erkur sam t einem vergoldeten Stab und nahm
Platz auf einer ebenfalls vergoldeten T rib ü n e“ (1 9 , 4 ).
D irek t m arkiert wird die G ren zübersch reitun g des circensischen Kaisers durch zwei Texthinw eise,
zum einem durch die N o tiz, dass C o m m o d u s für seine Sch ein g efech te „tagtäglich eine M illion
Sesterzen aus dem G lad iatoren fon d s bezog“ (1 9 , 3 ), zum anderen durch den H inw eis auf den
" V g l. etwa 16, 1.
D e r K a i s e r u n d s e in e B e g r e n z u n g d u r c h d ie a n t i k e L i t e r a t u r
Senator Claudius Pom peianus, der sich der Präsenzpflicht des Senats bei den Spielen entzog: „lieber
w ollte er dafür den Tod erleiden als zuschauen, wie der Kaiser, der Soh n der M arcus, derartige D inge
trieb“ (2 0 , 1).
Nun zum M otiv der „A n gst“1'1 im Text: Im Ja h r 189 m acht die röm ische M enge C om m o d u s’
G ü nstlin g C leander, einen Freigelassenen, zum Schuldigen in einer H ungerkrise. Im Zirkus p ro­
testiert man gegen C leander. D ie Prätorianer schreiten zwar ein, doch die Lage d roht zu eskalie­
ren: „C om m odus, an sich ein Erzfeigling (a/Ckoic, re Kai £st7>oTci7oc cov), geriet dadurch so sehr in
Angst, dass er so fo rt den C lean d er und dessen kleinen So h n , der doch unter der O b h u t des Kaisers
erzogen wurde, zu tö ten b efa h l“ (1 3 , 6 ).
A ndererseits versetzen C o m m o d u s’ W illk ü rak te alle in Angst, die der K aiser absichtlich zu ver­
stärken scheint:
„Diese Angst steckte allen gemeinsam in den Gliedern, uns sowohl wie den übrigen Bürgern. Er tat aber uns
Senatoren noch etwas anderes dieser A rt an, das uns ziemlich bestim m t m it unserem Tode rechnen ließ. Er
tötete einen Sperling, sch n itt ihm den Kopf- ab und kam in unseren Sitzungssaal. Und indem er m it der Linken
den Kopf, mit der Rechten das blutige Schw ert em porhiclt, sprach er kein einziges W ort, bew'egte aber grinsend
sein Flaupt und ließ deutlich erkennen, dass er auch m it uns ebenso verfahren werde!“
D o ch schlägt diese Situ a tio n der D em ü tig u n g1^ zugleich in die G rotesk e um:
„Und viele, die darüber in G eiächter ausbrachen - denn Lachen, nicht Unwille überkam uns - wären auf der
Steile durchs Schw ert ums Leben gekommen, wenn ich nicht einige Lorbeerblätter, die ich von meinem Kranz
genom men, selbst gekaut und die anderen, die in meiner Nähe saßen, G leiches zu tun veranlasst hätte, dam it wir
durch die dauernde Bewegung des Mundes die Tatsache, dass wir lachten, verbergen konnten“ (2 1 , 1f.).
D e r A u ftritt des Kaisers ist lächerlich - und diese L äch erlich k eit ist A usdruck einer G ren z­
überschreitung des C om m odus. D e r K aiser m acht sich in einer Situ atio n stärkster B ed roh u n g für
den Senat selbst zum G esp ö tt. D ieser U m schlag der Stim m un g und der W irku n g zeigt - jed en ­
falls auf der Ebene der D arstellu ng, dass C om m od us bei seinem Versuch, die von ihm ausgehende
G efah r durch ein Sym bol - den to ten Sperling - zu visualisieren und dam it einzuschüchtern, n ich t
erreicht, ja im G eg en teil, die erhoffte W irk u n g a u f den Senat sich in ihr G eg en teil verkehrt.
C om m o d u s verfehlt h ier ebenso das Z iel seiner Selbstdarstellung wie bei anderen G elegen heiten ,
in denen D io s B eschreibung eine Transgressionshgur bereits en th ält: in den Ehrungen.
„Denn ein ärgerer Fluch als säm tliche Krankheiten und sämtliche Ü beltaten war für die Röm er Com m odus un­
ter anderem auch deshalb, weil man alle Ehren, die seinein Vater gew öhnlich aus herzlicher Zuneigung gewährt
worden waren, nunm ehr aus Angst und auf unm ittelbaren Befehl dem Sohne zuerkennen musste. Jedenfalls
ordnete er an, dass Rom selbst C om m odiana, die Legionen die Com m odianischen und der Tag, an dem diese
Beschlüsse getroffen wurden, der Com m odianische heißen sollten. Sich selbst legte er neben zahlreichen ande­
ren Bezeichnungen den Namen Hercules bei. Rom aber betitelte er als die ,unsterbliche, glückliche Kolonie des
ganzen Erdkreises4; war es doch sein W unsch, dass man sie als seine eigene Gründung betrachtete. Com m odus
zu Ehren wurde ferner ein goldenes Standbild, tausend Pfund schwer, errichtet, das ihn mit einem Stier und
einer Kuh zusammen darstellte, und schließlich empfingen säm tliche M onate neue Namen nach ihm (...] So
weit in seiner Verrücktheit hatte sich der Verfluchte verstiegen (oürw kc/.-J ' ü~£pßo),vp susurjvsi xo zä-Jcipuc/.)“
(1 5 ,1 -4 ).
M it dem B egriff ÜTrspßoAr] b ezeich net D io ausdrücklich C o m m o d u s’ „G renzüberschreitung“, und
G renzüberschreitung wird in diesem K apitel ausdrücklich als Ü b ersch reitu n g der G renze zwischen
i f Vgl. dazu A lfred Kneppe, M etus tem porum . Zur Bedeutung von Angst in Politik und Gesellschaft der röm i­
schen Kaiserzeit des 1. und 2 .Jahrhunderts n .C h r. (Stuttgart 1994) 1 7 9 - 1 9 8 .
n D ie Dem ütigungen des Senats schildert D io ferner in 16, 3; 18, 2; 20, 1.
118
M artin H ose
»N orm alität1 und W ahnsinn bestim m t, da das Verb aaivziv gebrauch t ist, um die geschilderten
H andlungen - sie betreffen alle die kaiserliche Selbstdarstellung - zusam m enfassend zu benennen.
D ie D efin itio n sfu n k tio n dieser Partie wird dadurch gestärkt, dass n ich t nur die .Ü b ersch reitu n g4
durch C o m m o d u s n o tiert ist, sondern als M aßstab M arc A u rel16 eingeK ihrt w ird1 .
N o ch eine weitere M aßlosigkeit schild ert der T ext: C o m m od u s ließ den C olossus nach seinem
Bilde um gestalten:
„Er ließ das Haupt des Colossus abnehmen und darauf ein Abbild des Seinen setzen. Dann gab er ihm eine Keule
in die Hand und legte einen Bronzelöwen zu seinen Füßen, so dass er einem Hercules glich. Schließlich ließ er
neben seinen schon genannten Beinamen noch folgende W orte darauf schreiben: .M eister der secutores; nur
L inkshänder1*, hat er doch zwölfmal‘ - ich betone - »eintausend M ann besiegt“* (2 2 , 3).
In bizarrer W eise d eutet D io die U m gestaltung des C olossus als T estim on iu m für seine Verm utung,
C om m od us habe die K on su ln für 193 noch vor dem A m tsan tritt töten und am N eujahrstag selbst
als Konsul und G lad iato r aus den Q u artieren der G ladiatoren heraus auftreten wollen (2 2 , 2 ). D o ch
liegt auch h ier im T ext eine Feststellung der G ren zübersch reitun g vor: D en n der zunächst unauffäl­
lige Ein schu b „ich b e to n e “ (o iu a i) stellt die Z ahlenangabe als bem erkensw ert, sei es als hem m ungs­
lose Ü b ertreibu n g , sei es als Verlust von M aßstäben, dar.
Verlassen wir für einen A u gen blick den T ext D io s und versuchen wir, die R egierung des
C om m od us als Versuch zu lesen, die G renzen kaiserlicher R epräsentation auszuloten. Gew iss wird
m an anhand der Forschungen zur kom m unikativen B edeu tu ng der Theater- und C ircus-Spiele
behaupten kön n en , dass C o m m o d u s - wie N ero 19 - dieses Forum zu nutzen suchte. U nd m an
wird in A n leh nu ng an die Ü berlegungen O livier H ek sters20 schließ en können, dass C om m odus
offensich tlich diesen K om m unikationsrau m zur L egitim ieru ng seiner H errschaft zu instru m enta­
lisieren trach tete und gerade deswegen auf die A nw esenheit der Senatoren n ich t verzichten durfte.
V ielleich t kann m an auch C o m m o d u s’ circensische A u ftritte als Versuch sehen, ein neues K onzept
von virtus - gerade in A bgrenzung von dem durch M arc Aurel verkörperten K on zept - zu p rofilie­
ren, bei dem, p o in tiert gesprochen, die H erakles-G estalt neu und durch C om m o d u s selbst besetzt
wurde. Dass eine solche N eubesetzung des H errscherkonzepts (wie auch im m er man sie konkret
verstehen w ill) zu Friktion en gerade m it der alten Führungselite führen musste, ist w ahrscheinlich.
So ungefähr ließe sich C o m m o d u s’ von D io w ahrgenom m ene G ren zübersch reitun g bestim m en, a u f
die der Text reagiert. D as Z iel der D arstellu ng läge dann in der R ekon stru k tion des G renzgefiiges,
das das R egim en t M arc Aurels beachtete. D ie G eneralstrategie D ios bei dieser R ekon stru k tio n liegt
nun, wie gezeigt, in einer B eschreibung
gesta Commodi , die m it der R h eto rik der M aßlosigkeit
arb eitet und nahezu alle Regierungsäußerungen des Kaisers als negativ übertrieben zeichnet. Es
16 Zur Funktion von M arc Aurel als hiscoriographischer M aßstab bei Flerodian, der in dieser H insicht Cassius
D io weiterfuhrt, siehe zuletzt .Martin Z im m erm ann , Kaiser und Ereignis. Studien zum Geschichtswerk
Herodians (M ünchen 1 9 9 9 ); Thomas H idber , Herodians Darstellung der Kaisergeschichte nach Marc Aurel
(Basel 2 0 0 6 ).
L Freilich ,kom m entiert1 auch der vorangehende Text des Geschichtswerks, da hier etwa (5 7 , 18, 2) eine
Ablehnung des Tiberius n otiert war, einen M onat nach seinem Namen benennen zu lassen: „Als der Senat an
Tiberius m it dem Verlangen herantrat, der M onat November, an dessen 16. Tag er geboren war, solle den Namen
Tiberius erhalten, gab er zur A ntw ort: "Was werdet ihr dann tun, wenn es dreizehn Kaiser werden?“
is Vgl. dazu K athleen M. Colem an , A Left-H anded Gladiator at Pompeii, in: Z P E 114 (1 9 9 6 ) 1 9 4 - 1 9 6 . Siehe
dazu ferner Edith Ehtmer , Linkshändigkeit im Altertum . Zur W ertigkeit von links, der linken Fland und
Linkshändern in der Antike (T ö n n in g 2 0 0 6 ) 2 3 2 - 2 3 5 .
Vgl. Egon Einig , Ritualisierte Politik. Zeichen, Gesten und Herrschaft im Alten Rom (G öttingen 2 0 0 3 ) 256.
Olivier Elekster, Com m odus. An Emperor at the Crossroads (Amsterdam 2 0 0 2 ).
D e r K a i s e r u n d s e in e B e g r e n z u n g d u r c h di e a n t i k e L i t e r a t u r
119
scheint dam it ein n ich t eigens them atisiertes K on zept eines .com m on sense' als Folie und im plizier­
ter Bew ertungsm aßstab auf. Die G renzüberschreitungen des C o m m od u s sind daher im Text stets
B rüch e m it dem co m m o n sense.
Bem erkensw erter W eise verzichtet D io jed o ch darauf, C o m m od u s als per se w ahnsinnig zu
präsentieren. E r d iagnostiziert stattdessen eine Pervertierung einer eigentlich ängstlichen und ein ­
fältigen N atur durch die U m gebung. M an kann sich fragen, w arum D io diese „Sch on u n g“ wal­
ten lässt. M ein e V erm utung ist, dass dies dem Um stand geschuldet ist, dass M arc Aurel (bzw. sein
Paradigm a) n ich t als V ater eines später w ahnsinnigen H errschers figurieren soll. G leich w oh l ist
D ios Psychogram m h in reich en d , um in der G esam tzeichn un g des C o m m o d u s, die durch M ordlust,
Faulheit, V ergnügungssucht und Feigheit b estim m t ist, genügend P oten tial anzulegen, um die beund erschriebenen Exzesse als stim m ig zum C h arakter des H errschers erscheinen zu lassen.
II
Vergleichen wir nun die T ech n ik der D arstellu ng C aligulas durch D io. K om p ositorisch ist auffällig,
dass die R egierungsantritte des C aligu la und des C om m od us Parallelen aufw eisen21. So gib t M arc
Aurel kurz vor seinem T od einem M ilitärtrib u n en , der das Losungsw ort e rb ittet, die A n tw o rt: „Geh
zur aufsteigenden So n n e; ich bin schon am U ntergehen“ (7 2 [7 1 ], 3 4 , 1), w ährend T ib eriu s M acros
H inw endung zu C aligu la so erw idert: „Ganz recht, wenn du die untergehende So n n e verlässt und
der aufgehenden zueilst“ (5 8 , 2 8 ,4 ) . M arc Aurel wie T ib eriu s Ende steh t jew eils im Zusam m enhang
m it M ach in atio n en des N achfolgers (5 8 , 2 8 , 3 bzw. 7 2 [7 1 ], 3 3 , 4 ). F erner stellt D io wiederum an
den Beginn des B erichts über die H errschaft C aligulas ein »Psychogramm4 des neuen Kaisers:
„Denn Gaius war von Natur aus in allen D ingen so sehr von W idersprüchen bestim m t, dass er die Zügellosigkeit
und den Blutdurst seines Vorgängers, derentwegen er ihn zu tadeln pflegte, nich t nur zum Vorbild nahm, son­
dern sie sogar noch überbot, während er dessen von ihm gepriesene Eigenschaften in keinem Falle nachahmte
[...]“ ( 5 9 ,4 ,1 ) .
Es ist also n ich t „W ahnsinn“2-, den D io diagnostiziert, sondern „W id ersprü chlichkeit“. D iese
D iagnose erlaubt es D io , im gesam ten 59. Bu ch C aligulas H errschaft als eine R eih e von
Z usam m enhang- und Logiklosigkeiten des Schreckens zu zeichnen (und dam it eine D eutungslinie
fortzusetzen, die w ohl auch Tacitus b o t, wenn er von der turbata mens des Kaisers spricht [ann. 13,
3, 2 ]). Im A nschluss an das Psychogram m liefert D io die M aßstäbe nach, gem äß denen Caligula
versagte:
„So stand es um den Kaiser, dem damals die Röm er ausgelicfert wurden, und so kam es, dass Tiberius’ Taten, o b ­
schon sie bereits die allerschitmmsten zu sein schienen, gleichwohl ebenso hoch über denen des Gaius standen,
wie Augustus’ Tiuen die seines N achfolgers überragten“ (5 9 , 5, 1).
21 So ist etwa Iiberius der Charakter des Gaius genau bekannt: „Dessen Charakter war ja dem Kaiser bis ins
Letzte hinein w ohlbekannt [...] und außerdem genau wusste, dass Gaius einen vollendeten Schurken abgeben
werde, so war er, wie man berichtet, herzlich froh, ihm die Herrschaft zu überlassen, dam it seine eigenen Untaten
hinter den riesigen Verbrechen seines N achfolgers zurückträten und der größte und vornehmste Teil des noch
vorhandenen Senats nach seinem eigenen H inscheiden zugrunde gehe“ (5 8 , 2 3 , 3f.).
22 Vgl. dazu Winterling, Caligula (wie Anm. 11) 1 7 5 - 1 8 0 .
120
M artin H ose
D iese Bem erkung zeigt eine K om plizierung der Bew ertung bzw. der G ren zd efin ition en im Vergleich
m it dem ,FaII C om m odus'. D en n für C aligu la gibt es neben einem »absoluten Maß*, das Augustus
verkörpert (und das aufgrund der A usführlichkeit, m it der D io die augusteische Z e it schildert,
recht elaboriert zur D arstellu ng gekom m en ist), d a s ,relative M aß', die H errschaft des T iberiu s. Und
so tauchen im T ext des 5 9 . Buches beide M aßstäbe bzw. beider G renzziehungen nebeneinand er auf:
„Gaius aber traf folgende gute und lobenswerte M aßnahm en: Nach dem Vorbild des Augustus machte er säm t­
liche Abrechnungen über die öffentlichen Gelder, was in der Abwesenheit des Tiberius unterblieben war, allge­
mein bekannt“ (59, 9, 4 )'\
H an d elt C aligu la wie Augustus, billig t dies der Text, handelt er wie T ib eriu s, ist es m indestens b e­
denklich, ü berschreitet er die von T ib eriu s gesetzten G renzen des Prinzipats, tadelt es der Text:
„[Gaius] wurde aber später ein ausgesprochener Autokrat und ließ sich an einem einzigen Tag sämtliche
Ehrungen geben, zu deren Annahm e sich Augustus in der so langen Z eit seiner Regierung nur m it Mühe und
dann nur Schritt für Sch ritt, wie sie ihm jeweils zuerkannt wurden, bereitgef unden hatte und von denen Tiberius
einige überhaupt abgelehnt hatte'1 (5 9 , 3, 1).
Bem erkensw ert ist nun, dass die G ren zlin ien ziehu ng, sow eit erkennbar, den Senat n ich t einbezieht.
Zwar werden H andlungen der Senatsaristokratie benannt, die man als knechtisches V erhalten wer­
ten kön n te - und die etw a T acitus so w ertet: at Romae m ere in servitium consides, patres, eques (ann.
1, 7 ) und für die er etw a Tiberius* bitteres W o rt o homines a d seruitutem paratos zitiert (ann. 3,
6 5 ); dass es durchaus h ätte nahe liegen können, den Senat als zunächst servil, dann, nach Caligulas
Tod, als h ohl und w irklichkeitsfrem d zu zeichnen, bezeugt der so genannte ,Josep h u s-H istorik er‘,
aus dessen zwar C aligu la- aber auch Senats-kritischem G esch ich tsw erk d\t AntiqnitatesJudaicae in
Buch 19 schöp fen 2’1. Stattd essen entw irft D io den Senat und die A m tsträger als eine perm anenten
D em ütigungen und E in sch ü ch teru n g en 2’’ ausgesetzte G ruppe, oh n e an deren Verhalten den leises­
ten A n stoß zu nehm en. S o schild ert er etwa die R eaktio n des Senats auf die Sch eltrede des Kaisers,
in der er - m it einer T ib eriu s-P roso p o p o iie - den Senat der H eu chelei b ezich tig t26, wie folgt:
„D er Senat aber und das Volk gerieten darüber in große Angst, indem sie sich zugleich der Beschuldigungen erin­
nerten, die sie m ehrfach gegen Tiberius vorgebracht hatten, und bedachten, was für gegensätzliche Äußerungen
aus dem Munde des Kaisers gegen früher zu vernehmen waren. Im Augenblick lähmte sie Schrecken und
Niedergeschlagenheit, so dass sie nichts zu sagen und zu unternehmen verm ochten. D och tags darauf versam­
melten sie sich w ieder und fanden viele Lobesw orte für Gaius als den aufrichtigsten und frömmsten Herrscher,
ihm herzlich dankbar, dass sie nicht gleich den Tod gefunden hatten“ (5 9 , 16, 8f.).
D ie Angst des Senats, n ich t sein V erhaken steh t also in Z en tru m , und in äh nlicher W eise wird von
D io ein anderer Bereich der Interak tio n zwischen Senat und K aiser ,senats-freundlich‘ dargestellt:
das Feld der Ehrungen. D en n sein C aligu la em pfindet Ehrenbezeugungen als E inschränkung:
„Auch darüber war er heftig aufgebracht, dass sie ihn m it dem Zuruf Ju n g e r Augustus' zu loben versuchten;
denn er war der Ansicht, dass er nicht deswegen zu beglückwünschen sei, weil er schon in so jungen Jahren
regierte, vielmehr, dass es einen Tadel darstelie, in einem solchen Alter bereits ein derartiges Riesenreich beherr­
schen zu wollen“ (59, 13, 6).
2:5 Vgl. ferner zu Tiberius als ,M aß ‘ für Caligula 59, 8, 4f.; 9, 6; 13, lf.; 16, 1; 20, 5; 24, 7 ; zu Tiberius und
Augustus 9, l f.; zu Augustus 2 4 ,4 .
2i Siehe hierzu Timpe, G esch ich te (wie Anm . 9) passim.
^ Vgl. etwa 59, 26: Protogenes’ Auftritt im Senat und der Tod des Scribonius Procuius.
Zu dieser Rede Winterling, Caligula (wie Anm. 11) 9 3 - 1 0 2 .
D e r K a i s e r u n d se in e B e g r e n z u n g d u r c h d ie a n t i k e L i t e r a t u r
121
U nd so bringt C aligu la auch D o m itiu s A fer vor ein Senatsgerich t, der ihm ein Stand bild hatte
errichten lassen, dessen Inschrift ihn pries, weil er m it 2 7 Jah ren schon zum zw eiten M al Konsul
sei (5 9 , 19, 2 f.). A uf die von C aligu la dem Senat gem eldete H in rich tu n g des G aetulicus und der
Bestrafung seiner Schw estern b esch ließt dieser eine O v atio n und sch ickt eine Ehrengesandtschaft
unter Leitun g des C laudius: „D o ch auch das kon n te den K aiser so w enig zufriedcnstellen, dass er
das V erbot erneuerte, irgend etwas, was m it L o b und Lhre zu tun hatte, seinen V erw andten zuteil
werden zu lassen; außerdem fü hlte er sieh selbst n ich t genügend g e eh rt“ (5 9 , 23 , If-)- H ieraus leitet
D io den Schluss ab:
„Denn alle ihm jeweils gewahrten Auszeichnungen achtete er für nichts, und er ärgerte sich, wenn irgendwelche
kleinen Ehren beschlossen wurden, als verachte man ihn, und grollte nicht minder, wenn es größere Ehren wa­
ren, als gehe er dadurch weiterer M öglichkeiten verlustig. D enn er wünschte ganz und gar nicht den Eindruck zu
erwecken, dass irgend etwas, was ihm Ehre bringe, in den Händen der Senatoren liege; man könne sonst glauben,
sie seien seine Vorgesetzten und in der Eage, ihm als ihrem Untergebenen Gefälligkeiten zu erweisen“ (23, 3).
O h n e dass D io es d am it d irekt erklären muss, werden durch diese Erläuterung alle Ehrungen, die
der Senat für K aiser b esch ließt, zu M ö glich k eiten des Senats, wenigstens in sym bolischer Form
eine A rt von M ach t über den K aiser auszuüben. Desw egen, so kann man verm uten, ist in seinem
G eschichtsw erk, wenn ich n ich ts übersehen habe, keine K ritik am Sen at selbst bei übertriebensten
Ehrenbeschlüssen für K aiser erkennbar. Stets stellt D io, wie etwa auch im Falle des C om m odus
gezeigt, eine G ren zübersch reitun g des Kaisers an diesem P unkt fest:
„Als man Gaius, teils atts Furcht, teils auch aus ehrlicher Überzeugung (s ir ' ÄA^Ssta:;) lobte und die einen ihn
Heros, die anderen ihn sogar G o tt nannten, verlor er gewaltig den Verstand (o -' v ok ils^ p o y r^ sv : man beachte,
auch hier ist nicht von Wahnsinn, sondern von .Schwachsinn1die R ede)“ (5 9 , 26, 5).
Von diesem P unkt aus skizziert D io C aligulas seltsame Auffassung, ein G o tt zu sein. D iese
iSelbstdeifizierung* ist n atürlich eine G renzüberschreitung, und sie wird zusätzlich durch das M otiv
des .Lachens1, wie auch im Fall des C om m odus, kenntlich gem acht:
„Einmal sah ihn ein Gallier, wie er auf einer hohen Bühne in Iuppitergestait Orakelsprüche von sich gab, und
musste darüber lachen. Gaius ließ ihn darauf zu sich rufen und fragte: ,Als was komme ich dir denn vor?1 Der ich gebe seine Rede w örtlich wieder - antw ortete: ,Als ein großes Schw ätzer4“ (5 9 , 26, KL) .
A uf der L in ie dieser B eo b ach tu n g en liegt auch die R olle des d ion ischen Senats bei der Erm ordung
Caligulas und der T h ro n fo lg e des Claudius. D en n zunächst ist der dion ische Senat frei von der
Schuld an vorgängigen A ttentatsversuchen auf den K aiser (D io sch ein t dieses T h em ag an z auszublen­
den), zum anderen ist er je tz t so gedem ütigt und bedroht, dass das A tten ta t gleichsam als N otw ehr
erscheint, zu der alle bereit sind28. N ach dem T od des Tyrannen h and elt D io s Sen at um sichtiger als
etwa der Senat des ,Jo sep h u s-H isto rik ers‘29, er debattiert zwar auch, d och fällt die E n tscheidu ng für
die M on archie und Claudius durch das M ilitär, der Senat ist m ach tlos: „Als jed och die Soldaten
in ihrem G efolge sie allein ließen, da fügten schließlich auch sie sich den G eg eb en h eiten , und
man beschloss, dem neuen H errn all die übrigen V orrechte, die zur R egierungsgew alt gehörten , zu
übertragen“ (6 0 , 1 ,4 ) . Bei Josep hu s n im m t sich die T hro nfo lg e des C laud ius anders aus: N achdem
Claudius sich als H err der Truppen und der Lage erweist, fallen die Senatsunterhändler a u f die K nie
' Vgl. zum Terminus ~ap«Arjpv]u.ci die Charakterisierung der ersten Rede des Com m odus vor dem Senat, 73
(7 2 ), 4, 2: diz&AYip-qas..
2sVgL 59, 2 9 ,1 . la.
Vgl. Timpe , G eschichte (wie A n m .9) 4 7 8 A. 11.
122
M artin H ose
und bitten Claudius, er m öge, w enn er nach der H errschaft strebe, diese als G abe des Senats em pfan­
gen (A n t. lud. 19, 2 3 5 ). M an hat diese Version als .schim pfliche K ap itu lation des Senats' gelesen30.
D ie neue Regierung des Claudius, die D io in Bu ch 6 0 darstellt, ist gekennzeichnet von
R ücknahm en der M aßn ah m en des C aligu la. D am it wird die G renzziehu ng im konkreten h isto ­
rischen Raum vorgenom m en. D er neue K aiser n im m t m it seiner H errsch aft und R epräsentation
au f die B efind lich keiten des Senats sorgfältig R ücksich t. Feh lb ar wird Claudius allein durch die
Einflüsse seiner U m gebung, Freigelassenen und .starken Frauen“. D ies fü h rt D io bereits in der ein ­
leitenden C harakteristik des neuen Kaisers aus, die weniger ein Psycho- als ein Soziogram m ist,
gleichw ohl die grundlegende Logik der Beurteilung des Kaisers h erstellt:
„Es waren indessen nich t so sehr die erwähnten körperlichen Leiden, die einen solch schlim m en Zustand im
Befinden des Claudius herbeiführten, als vielmehr seine Freigelassenen und die Frauen seiner Umgebung. Denn
am offensichtlichsten unter den ihm G leichgestellten ließ er sich zugleich von Sklaven und Frauen beherrschen.
War er doch von Kind au f in K rankheit und großer Angst herangewachsen und legte nun eine Einfalt, ärger als
sie wirklich war, an den Tag, was er selbst im Senat zugab“ (6 0 , 2, 4).
D am it sind auch hier wiederum a limine die Interp retation slin ien des Claudius-R egim es en t­
w ickelt, und zudem ist über die superlativische Feststellung „offensichtlichsten unter den ihm
G leich gestellten “ (iTtpitfavkcrTcna. tm v ä u o iu v ) eine G ren zlin ie d efiniert, die Claudius über­
schritten habe. D ie Bestätigun g der G renze folgt im L o b : „Kurz gesagt, Claudius war solch eine
P ersönlichkeit, doch brach te er, sooft er von den vorgenannten Schw ächen frei und sein eigener
H err war, n ich t wenige Leistungen und diese in gebührender W eise zustande“ (6 0 , 3, 1). D iese
Leistungen liegen nun, wie die folgenden K ap itel zeigen, in der H erstellu ng eines Einvernehm ens
m it dem S en a t31: C laudius lässt die wegen M ajestätsbeleidigung Inh aftierten frei (6 0 , 4, 2 ), sitzt
täglich - teilweise gem einsam m it dem Senat - zu G erich t (4 , 3 ), unterstützt die K onsu ln (4, 4 ),
räum t m it der H interlassenschaft des C aligu la auf:
„Die Schriftstücke endlich, die Gaius verbrannt haben wollte, man jed och im Kaiserpalast entdeckte, wies er den
Senatoren vor und gab sie speziell denen zu lesen, die sie abgefasst und gegen die sic gerichtet waren, worauf er
alles den Flammen überließ. G leichw ohl verhinderte er, als damals der Senat die danm atio m em oriae für Gaius
beschließen wollte, persönlich diese M aßnahm e, ließ aber auf eigene Verantw ortung säm tliche Bildnisse seines
Vorgängers bei N acht entfernen“ (4, 5).
D am it, so deutet der T ext an, hat Claudius zwar zunächst gegen den Sen at gehandelt, in letzter
K onsequenz je d o ch sich dessen W un sch gebeugt. So fü hrt die A u torstim m e fo rt: „So kom m t es,
dass der N am e des G aius in der Liste der Kaiser, derer wir bei unseren Eid en und G eb eten gedenken,
ebensow enig wie der des T ib e riu s ersch ein t; und doch ist keiner der beiden H errscher aufgrund
eines offiziellen Beschlusses g eäch tet“ (4 , 6 ).
U nd entsprechend dem .Soziogram m ' erklären sich im T ext auch die negativen Seiten des
Claudius:
„Nachdem Claudius gelernt hatte, sieh an Blut und M ordtaten zu ersättigen [hier liegt eine interessan­
te Konstruktion zugrunde, nach der Claudius zunächst an Circus-Spielen G efallen finden und dann zu
Todesurteilen fähig wird], wandte er unbekümm erter auch die sonstigen A rten des T öten s an. Verantwortlich
■'»Ebd. 489.
' Entsprechende N otizen Hilden sich allenthalben in Buch 6 0 eingestreut, etwa 12, 1: „Ansonsten war der
Kaiser im Verkehr m it den Senatoren leutselig und freundlich, besuchte sie bei Erkrankungen und beteiligte sich
an ihren Festen!1; 12, 3; 6, 1; 7, 4; 10, 1 -3 .
D e r K a i s e r u n d s e in e B e g r e n z u n g d u r c h di e a n t i k e L i t e r a t u r
123
dafür waren die kaiserlichen Freigelassenen und Messalina. D enn wenn sie jem anden beseitigen w ollten, ver­
setzten sie den Kaiser in Schrecken; und erhielten dann die Erlaubnis, alles zu tun, was sie w ollten” (60, 14, 1).
D iesen M echanism us schild ert D io als charakteristisch für die gesam te H errsch aft des Claudius:
S o genügt es auch, dass N arcissus den Kaiser m it der V orstellung erschreckt, M essalina wolle statt
seiner Silius zum K aiser m achen, um Claudius zur H in rich tu n g der eigenen Frau zu bewegen (61
[6 0 ], 3 1 , 5: £Kfoßi'jcrac aiiTov).
So ist es im Falle des C laudius ein etwas anderes G ren zlin ien geflccht als bei C aligu la, das D io an­
legt. E r bestätigt zunächst einige H andlungen des Kaisers als ,gu t‘, durch die ein Einvernehm en m it
dem Senat hergestellt erscheint, um dann, wie im Falle des C o m m od u s, anderen H andlungen, zu­
mal H in richtu n gen von A ristokraten , als frem dbestim m te negativ zu kon n otieren. Bem erkensw ert
ist nun, dass w enigstens an einigen der .positiven' H andlungen des Kaisers eine unter Um ständen
ahistorische, d.h. n ich t der claudianischen Z e it angem essene B ew ertu ng erkennbar wird. S o nahm
sich die genannte U n terstü tzun g der K on su ln und Prätoren (6 0 , 4, 4 ) und das Engagem ent für
die R echtsprech un g für die Z eitgenossen offenbar anders aus: Im M odu s der Satire zeichn et
Seneca in der Apocolocyntosis ( 1 1 , 2 ) C laud ius’ Ju risd ik tion als Verfall des röm ischen Rechtsw esens,
und Su eton rech n et unter die positiven Leistungen des C aligu la den U m stand, dass dieser den
Beam ten „volle, durch keine B erufun g an ihn selbst beh ind erte Freiheit in der R echtsp rech u n g“
verliehen habe (Suet. C al. 16, 2 ), unter die D in ge, die das A nsehen des Claudius schädigten, dessen
U n b erech en b arkeit in der Prozessführung (Suet. Claud. 15). D iese Perspektive sch ein t bei D io zu
fehlen 32.
N im m t man die C aligu la- und C laud ius-D arstellung zusam m en, so sind zwei A spekte erkennbar:
D io ist bem üht, die R egierung des C aligu la als eine sprunghafte, sinnlose O rgie von G rausam keiten
oh ne M otivation zu zeichnen, als Ä ra des Schreckens und der V erschw endung, die des Claudius
als eine H errschaft m it positiven A spekten, die den K aiser zwar im B esitz der K o n tro lle über den
Staat zeigen, ihn je d o ch , ,sozialisationsbedingt', als leichtes O p fer seiner U m gebung erw eisen, die
ihn m anipuliert - zu schlech ten T aten . Z um anderen fehlt jeg lich e T hem atisieru ng einer m öglichen
M itsch uld des Senats an den diagnostizierten D efiziten der beiden Regim e. D ie taciteischen homi­
nes a d servitutem parati sch ein t D io n ich t zu kennen. D er Senat ist entw eder O p fer oder er agiert
besonnen. D io sch ein t - im G egensatz zu etwa Tacitus oder dem Jo se p h u s-H isto rik er' - keine
A m bitio n en zu haben, auch G ren zlin ien für den Senat zu definieren. W arum ?
III
N achdem Septim ius Severus 1 9 7 bei Lyon - unter eigener T odesgefahr - seinen letzten Rivalen
C lodius A lbinus geschlagen hatte, zog er nach R om und h ielt eine R ede vor dem Senat, der ihn nur
halbherzig u nterstützt und vielleicht sogar m it A lbinus sym pathisiert hatte. D io (der hier leider nur
durch die E p itom e des X ip h ilin o s vorliegt) berich tet von Sever us’ A u ftritt:
„Besonders uns [sc. Senatoren] jagte er Schrecken ein, indem er sich als den Sohn des Marcus und den Bruder
des Com m odus bezeiehnete, und dem Com m odus, den er erst jüngst noch geschm äht hatte, göttliche Ehren
erwies. D em Senat las er eine Rede vor, in der er die Strenge und Grausam keit des Sulla, Marius und Augustus
V ielleicht ist das durch die Überlieferung bedingt; lediglich eine Anekdote, die Claudius kritisch sieht, ist
überliefert, 61 (6 0 ), 3 3 ,6 .
124
M artin H ose
als den sichereren Regierungskurs prices, eies Pompeius und Caesar M ilde aber als eben jenen Männern verderb­
lich schmähte. Dann flocht er eine Art Verteidigung für Com m odus ein und schalt den Senat, er habe diesen
Kaiser zu Unrecht verdammt, wo doch die Mehrzahl seiner M itglieder ein übleres Leben Führten. [...] Nach
Verlesung dieser Adresse ließ Severus fünfunddreifsig Gefangene frei, die beschuldigt waren, auf Albinus’ Seite
gestanden zu haben, und legte gegen sie ein Verhalten an den Tag, ais habe überhaupt gegen sie keine Anklage
bestanden - sie zählten zu den angesehensten M itgliedern des Senats, - verurteilte aber neunundzwanzig andere
Persönlichkeiten zum lo d e , zu denen natürlich auch Sulpicianus, der Schwiegervater des Pertinax gehörte“ (7 6
( 7 5 1 , 7 ,4 - 8 ,4 ) .
D iese Sequenz äh nelt auf den zw eiten B lick D io s Sch ild eru ng des A uftritts C aligulas vor dem Senat,
die oben erw ähnt wurde. D er K aiser vollzieht jeweils eine radikale K ehrtw end ung, statt sich von
T iberius/ C om m odu s zu distanzieren, stellt er sich in die T rad ition des Vorgängers, ja verteidigt
ihn sogar. D er Kaiser d iagnostiziert die Schuld des Senats, er w ählt den W eg der Strenge und der
G rausam keit, der für ihn selbst Sich erh eit bedeutet. In beiden Fällen reagiert der Senat unterw ürfig
und erschrocken: D io fä h rt m it einer Sch ild eru ng der Verstellung der Senatoren , die alle behaupten
müssen a u f Severus’ Seite gestanden zu haben, fo rt (7 6 [7 5 ], 8, 5). In beiden Fällen war zudem der
Kaiser zu Beginn seiner R egentschaft ostentativ senats-freundlich aufgetreten (5 9 , 6, 7: der Senat
b esch ließt sogar, dass C aligulas erste R ede vor dem Senat jedes Ja h r vorgelesen werden solle; 7 5
[7 4 ], 2, l f : „[Severus] m achte uns einige großsprecherische Zusagen, wie sie uns auch schon die gu­
ten K aiser der früheren Z e it gegeben h atten, zum Beispiel, dass er keinen Senator h in rich ten lassen
w olle; und er schw or in dieser Sach e einen Eid, und, was noch m eh r bedeutet, er befahl auch, dies
solle durch einen gem einsam en Beschluss bestätigt werden [...] Indessen war er selbst der erste, der
das eben genannte G esetz übertrat [...]“).
H ier liegen die G ren zlin ien , die Severus Ü bertritt, offen zutage. D er K aiser soll die physische
Existenz des Senats n ich t antasten. Es b ed a rf keiner großen Spekulation, um Cassius D io selbst,
den Augen- und O h ren zeu gen der Severus-R ede, hierin eines der A nliegen seines G eschichtsw erkes
begründen zu sehen. D ie existenzielle B ed roh u n g des severischen Senats dürfte dam it der arch i­
m edische P unkt des G renzliniensystem s im W erk sein. D io hat in C aligu la eine Parallele n ich t
zu C om m odus, sondern zu Severus konstruiert. E r stellt, indem er C aligu la dem Severus ähnlich
m acht, das R egim en t des Severus in die T rad itio n eines einhellig als sch lech t b eu rteilten Kaisers.
Indem Severus sich a u f C o m m o d u s beruft, m acht er sich zum zw eiten C aligu la, auch wenn ihm die
W id ersp rü ch lich k eit abgeht. G ren zlin ien , die um C aligu la h istorisch gezogen w erden, gewinnen
dam it auch für Severus V alidität. D a m it zeigt das W erk D io s eine beach tlich e und subtile persuasive
T echn ik. Leider verliert es zugleich an h istorisch er Zuverlässigkeit in einem engeren Sinn.
B. Strukturprobleme
kaiserlicher Handlungfelder
D ieter Timpe
M oderne Konzeptionen des Kaisertum s
G roß e gesch ichtlich e Erscheinungen bleiben ein vager Besitz der M em o ria, aber wo die Z unft
der H istoriker sich ihrer an nim m t,’ kom m t ein Prozess des Forsch cns und N achdenkens in G an e,
O’
der seiner eigenen D ialek tik fe lg t und dabei durchkreuzt wird von den Im pulsen im m er neuer
G egenw arten. D a fü r b iete t die m oderne Beschäftigung m it dem röm ischen K aisertum ein cindrückliches Exem plum . W ann und warum aber, so lautet die Vorfrage, hat denn das W echselspiel
aus autonom em Forschungsprozess und erfahrungsgeleitetem Erkenntnisinteresse am Prinzipat
überhaupt begonnen? D en n es ist allzu deutlich, dass hier die lebensbeherrschenden M äch te der
T rad ition zunächst die D istan z gar n ich t zuließen, die n ötig gewesen wäre, um die M on archie des
Augustus nach ihrem institu tio neilen Charakter, ihrer sozialgesch ich tlichen Bedeu tu ng und ihrer
kulturellen Integratio n sfu n ktio n o b jektiv zu erfassen. G ib b o n verfolgte das Im perium und seine
H errschaftsform entlang dem L eitseil seiner in stitu tionellen K o n tin u itä t bis 1 4 5 3 ; jenes war ihm
kein ausschließliches P hänom en der antiken G esch ich te, diese kein G egenstand isolierender m o­
nographischer Betrach tu ng. A u f dem K o n tin en t war der A bstand n och geringer: Als M om m sen
geboren wurde, war es kaum zw ölf Jah re her, dass der letzte regierende röm ische K aiser auf die
W ürde des Augustus h atte verzichten m üssen; danach em pörte ein K aiser der Franzosen als Erbe
der R evolu tion die Legitim isten . Als politisch-rom an tische R ückgriffe nehm en sich dem gegenüber
das K aisertum N apoleons III. und das R eich des D eutsch en Kaisers von 1871 aus. U b er alldem blieb
der h eilsgeschichtlichen K oin zid en z des K aiserfriedens m it dem E rschein en des Erlösers ihr uner­
m essliches G ew ich t und der .konstan tinisch en W ende' ihre die w eltliche M ach t prägende K raft; es
blieb der glanzvollen kaiserzeitlichen K unst und Literatu r ihr norm ativer kultureller A nspruch und
der tiefen Sy m bolik der U niversalherrschaft ihre unvergleichliche W ürde, aber der ungeteilten irdi­
schen G ew alt auch der dunkle Sch atten der M achthybris. D ie Aura dieser vielfältigen T raditionen
umgab das röm ische K aisertu m : eine m ächtige, vielgestaltige und einzigartige Erscheinung, in
herköm m liche Ep och en grenzen n ich t zu bannen, aber der R en ovation en und M etam orph osen fä­
hig. Sie kon n te deshalb anders als partiell weder von der W arte der Z eitgenossen n och m it dem
(verlaufsgeschichtlichen oder institu tio n en g esch ich tlich en ) O ku lar des Forschers w ahrgenom m en
werden. A b er das E rlöschen der Lebenskraft eines gesch ichtlich en P hänom ens und seine C h ance,
zum O b je k t w issenschaftlichen Sezierens zu w erden, stehen auch hier, wie so oft, in einem direkten,
kom pensatorischen Verhältnis.
M oderne w issenschaftliche K o n zep tio nen des röm ischen K aisertum s zu besichtigen -
im
Vogelflug, wie es bei der ungeheuren w issenschaftlichen P rodu ktion zum T hem a n ich t anders sein
kann, dabei aber in der H o ffn u n g , wenigstens den w issenschaftsgeschichtlichen P rop ortionen ge­
recht zu werden
h eiß t darum zunächst, dem N acheinander, G egen einan d er und M itein an d er
derjenigen Aspekte nachzugehen, unter denen dem Kaisertum vorzugsweise Interesse entgegenge­
128
D i e t e r I in ip e
bracht wurde. D ieser Prozess ist durch n ich ts anderes dauerhaft so sehr angeregt und bestim m t, aber
auch eingeengt worden wie durch das singuläre w issenschaftliche W erk T h eo d o r M om m sens, insbe­
sondere sein „R öm isches Sta a tsrech t“. D arüber sind die Vorgänger vergessen w orden, n ich t zuletzt
dank M om m sens sparsam er Z itierw eise,•er n en n t vor allem N iebuhr, R u b in o und Schwegler, h in ter
denen aber eine ältere, bis ins 1 6 .Jah rh u n d ert zurückreichende antiquarische Literatur ste h t1. Sie
war infolge der Q u cllen lage für die R epu blik ergiebiger als für die K aiserzeit, und ihre N utzung
schm älert den A nspruch M om m sens, etwas N eues und Einm aliges geschaffen zu haben, n icht.
D ann haben das un fruchtbare H adern m it dem R echtsform aiism us, der wachsende Abstand von
der alteuropäischen m onarch ischen T rad ition , das grö ßer werdende G ew ich t struk turgesch ich t­
licher B etrach tu ng und neue zeitgesch ich tliche Erfahrungen zunehm end anders ausgerichtete
Entw ürfe hervorgerufen, die die G esam terscheinung des Kaisertum s zu erfassen suchten. A ber auch
sie beziehen sich in Z ustim m un g, A useinandersetzung oder W id erspru ch ausgesprochen oder still­
schweigend auf M om m sens P osition zurück; sein „Staatsrech t“ ist dadurch aktueller Bestandteil
der Forschungssituation geblieb en 2: ein aporetischer Befund, der ebenso auf den andauernden
Einfluss einer suggestiven w issenschaftlichen K on zeption wie auf das anhaltend unbefriedigende
Verständnis des h istorischen G egenstandes schließen lassen mag. M an kann sich n ich t vorstellen,
wie oh ne M om m sens W erk und W irk en das röm ische K aisertum heute b etrach tet und b eu rteilt
würde3.
i
N ach der bis ins 1 9 .Ja h rh u n d ert lebendigen h istoriographischen T rad ition erzählte die Verlaufsgeschichte die G ew inn un g, O rgan isation und W eitergabe der augusteischen A lleinherrschaft
als personale res gestae in zeitlich er Folge, und rubrizierten die Staatsaltertü m er die institu tionellen
Regelungen der röm ischen M o n arch ie in sachlicher O rd n u n g, aber deskriptiv und oh ne rechtssyste-
1 Jacob Bernays, D ie Behandlung des röm ischen Staatsrechts bis auf Theodor M om m sen [1 8 7 5 ], in: Gesammelte
Abhandlungen, Bd. 2 (Berlin 1885) 255fL ; Alfred Heuß, Theodor Mom m sen und das 19.Jahrhundert (Kiel
1 9 5 6 ) 21 ff., 4 2 f.; H erbert Grziwotz, D er moderne Verfassungsbegriff' und die „Röm ische Verfassung“ in der
deutschen Forschung des 19. und 20. Jahrhunderts (Rechtshistorische Reihe 51, Frankfurt am Main u.a. 198 6 );
Adalberto Giovannini , D ie wissenschaftlichen Vorläufer von Mommsens Staatsrecht, in: W ilfried Nippel, Bernd
Seidensticke?-, T heod or Mommsens langer Schatten (Spudasmata 107, H ildesheim 2 0 0 5 ) 6 1 - 7 4 , 66fL; Wilfried
Nippel, Das „Staatsrecht“ in der Diskussion, in: W ilßied Nippel, Bernd Seidensticker, Theod or M ommsens langer
Schatten (Spudasmata 107, H ildesheim 2 0 0 5 ) 9 - 6 0 , 27ff. - Zur antiquarischen Tradition: Arnaldo Momigliano,
A ncient H istory and the Antiquarian. Introduction [ 1950], in: Ders. [Prim o] C ontribu to alia Storia degli Studi
Classici (Storia e letteratura 4 7 , Rom 1979) 6 7 fh
’ Heuß ’, Mommsen (wie Anm. 1) 4 5 „heute noch so unersetzlich wie am ersten Tag seines Erscheinens“; Jochen
Bleichen , Lex publica. G esetz und R ech t in der römischen Republik (Berlin 1 9 7 5 ) 2 3 ; Stefan Rebenicb , Theodor
M om m sen. Eine Biographie (M ünchen 2 0 0 2 ) 109ff., 246fL ; Yan Thomas , M om m sen et ,Is o lie r u n g 1 du droit
(Rom e, rAliemagne et l’Etat) (Paris 19 8 4 ); K arl-Joachim Hölkeskamp, Zwischen .System1 und ,G esch ich te1.
Theodor Mommsens „Staatsrecht“ und die röm ische Verfassung' in Frankreich und Deutschland, in: Hinnerk
Brubns (H g.), D ie späte vömischc Republik / La fin de la Republique rom aine (C o llectio n de l’Ecole franpüse
de Rom e 235, Rom 1997) 9 3 - 1 1 1 ; Nippel, Diskussion (wie Anm . 1) 43ff.
' „M ommsen cannot be replaced by people who are smaller than M om m sen“: Momiglia.no , C ontribu to (wie
Anm . 1) 3 9 9 (Rez. Ernst Meyer, Röm ischer Staat und Staatsgedanke, 194 8 ); Jerzy Linderski, Mom m sen and
Syme. Law and Power in che Principacc o f Augustus (1 9 9 0 ), in: Ders. (H g.), Rom an Questions (Stuttgart 1 9 9 5 )
32.
M o d e r n e K o n z e p t i o n e n de s K a i s e r t u m s
129
m anschen A nspruch. - D as eine, die Geschichtscrzäblung, schild erte - so in den älteren KaiserzeitD arstellungen, Rankes W eltgesch ich te oder n o ch M om m sens Kaiserzeit-Vorlesung'' - den Sieg
Q ctavians im Bürgerkriege und die Etablierung der neuen O rdn un g. D as A rrangem ent des Jahres
2 7 als Begrü nd ung des augusteischen Prinzipats wurde also aus der h istorischen Situ ation entw i­
ckelt. D ie institu tionalisierte A lleinherrschaft beruh te dem nach unzw eifelhaft a u f dem drei Jah re
zuvor gew onnenen m ilitärischen M a ch tm o n o p o l, aber der - unverm eidliche oder klug gesuchte Kom prom iss m it den A nsprü chen der senatorischcn H errschaftsklasse fügte sie in eine begrenzende
O rd n u n g ein und kleidete sie dezent in die Form en republikanischer Legalität. D as Ergebnis konnte
deshalb als W ied erh erstellu n g der res publica ausgelegt oder als Preis des Friedens hingenom m en,
als weiser, zukunftsfähiger A usgleich gelobt oder als scheinhafte D ekoratio n verachtet werden. In
jedem Falle waren dabei die Auswirkungen auf das Im perium und die R eichsgesellschaft zu bed en­
ken, die fortbcsteh en den oder unter den veränderten Bedingungen zu lösenden G renzproblem e
und die Fürsorge-Erw artungen des M ilitärs, die von Erschöpfung und Friedenssehnsucht geleiteten
R eaktionen Italiens und der Provinzen a u f den novus status.
Jed es je n e r h istorisch en U rteile durfte sich zwar auf antike Stellungnahm en berufen, aber
keines war unabhängig vom W issen der N achlebend en und frei von der Farbe ihres p olitischen
Standpunktes und subjektiven U rteils. D ie G esch ich te bewies, dass die rech tliche Festlegung
m öglich e W illk ü r des H errsch ers n ich t wirksam verhinderte und die in stitu tion elle Verfestigung
den stets m öglich en R ü ckfall in die historische Ausgangslage, die E n tsch eidu n g der M achttrage
durch W affengew alt, n ich t ausschloss. D ie spezifische Form der rech tlichen Selbstbind ung des
R egim es ließ dieses als h öch stp ersön lich e Sch ö p fu n g des Augustus beschreiben und zugleich als
M uster für eine gedeihliche Z uku nft der A lleinherrschaft verstehen. D ie verlaufsgeschichtliche
Erzählung unterstrich dabei - im Sin ne der augusteischen Selbstdarstellung - den epochalen (und
m ysteriös bleib en d en !) W andel des Bürgerkriegsgenerals zum ,Friedenskaiser‘, von D ram atik und
Terror zu pax Augusta und R echtsord nu ng , schilderte die H errschaftsorganisation als definitiven
Stiftungsakt, verfolgte aber die w eitere, n unm ehr scheinbar stillgestellte G esch ich te der fast 50jäh rigen H errschaft des Princeps n ich t entw icklungsgeschichtlich, sondern them atisch aufgefachert;
sie m arkierte w eiter die Z äsur seines Todes als H errschaftskrise und b ew ertete die N achfolger nach
dem vom G rü n d er gesetzten M aßstab. D a die republikanische Spannung zwischen dynastischem
R ang- und Erbanspruch der Senatoren und dessen im m er neu geford erter Behau ptu ng durch in d i­
viduelle Bew ährung sich in und an der einen führenden Fam ilie bis zur Z erstöru ng von deren natür­
lichen B in n en beziehu n gen verschärfte, lieferten H o f- und D ynastiegeschehnisse ein H au ptthem a
der gesellschaftlichen W ahrnehm u ng und der sie reflektierenden G esch ich tssch reibu n g. A uch diese
A kzentuierung ist in die m oderne Verlaufserzählung übergegangen.
A u f der anderen Seite gelangte die herköm m liche deskriptive antiquarische Institutionenkunde nicht
zur sachlogisch-systernatischen Durchdringung ihres Stoffes, strebte dieses Ziel auch je länger desto we­
niger an und zog sich (in ihren letzten Vertretern) deshalb die Verachtung M om m sens zu\ Zw ischen ru-
4 Z .B . Charles M erivale , A H istory o f the Romans under the Empire (Lon don 1 8 6 2 ); C arl Peter, G eschichte
Rom s, Bd. 3 (H alle T 8 7 0 ) ; Victor Duruy, G eschichte des römischen Kaiserreichs von der Schlacht bei Actium
und der Eroberung Aegyptens bis zum Einbrüche der Barbaren (dt. v. Gustav Friedrich H ertzberg), Bd. 1
(Leipzig 18 8 5 ); Leopotd von R an ke , W eltgeschichte (Leipzig 1883) Bd. 1, 2/ Ieil, 2. Abt., 14. Kap.; Theodor
Mommsen, Röm ische Kaisergeschichte, hg. von A lexander und Barbara Oemanclt (M ünchen 1992).
5 Es sind Ludwig Lange, Röm ische Alterthiimer, Bd. 1 (Berlin ’18 7 6 ), Bd. 2 (Berlin 21 8 6 7 ), Bd. 3 (Berlin T 8 7 6 ) ;
Jo b a n N icolai Madvig, D ie Verfassung und V envaltungdes röm ischen Staates, 2 Bde. (Leipzig 1 8 8 1 - 8 2 ) ; Ernst
von Herzog, G eschichte und System der römischen Staatsverfassung, 2 Bde. (Leipzig 1 8 8 4 - 9 1 ) ; Herman
130
Dieter T im p e
brizicrende Beschreibung und entw icklungsgeschichtliches Verstehen von Staatsaltertüm ern gestellt
m achte sie sich vielm ehr im m er stärker die genetische Perspektive zu eigen, in der Betrachtungder einzel­
nen Institute ohnehin, aber auch im Bem ühen, deren sachlichen und geschichtlichen Zusam m enhang
dem Verständnis näher zu erschließen, also in der Verfassungsgeschichte. Ludwig Lange z.B. lehnte
in seinen „R öm ischen A ltertüm ern“ 1 8 6 1 6 ab, Staatsaltertüm er und Verfassungsgeschichte zu tren­
nen und postulierte aufgrund seiner organischen Staatsauffassung „eine Verbindung
der histori­
schen und system atischen D arstellung“. Sie bestand bei ihm in einer Verlaufserzählung, die an den
verfassungsgeschichtlichen K n otenpu nkten die Beschreibung der Institu tionen einschaltete. Ernst
von H erzog schrieb 18 8 7 , also bereits in K enntnis des „Staatsrechts“, über den Prinzipat in seinem
W erk „Geschichte und System der röm ischen Staatsverfassung“ und beharrt dort (2, 1, IV ) auf sei­
nem Konzept, „Geschichte und System nebeneinander zu geben“; er sei zwar überzeugt, „dass ein
Incinanderarbeiten der beiden Seiten jede beeinträchtigt, eine systematische D arstellung allein aber
ohne die historische Auffassung desselben Verfassers vieles unverständlich lässt“.
Solchen zu seiner Z eit geläufigen A nschauungen widersprach M om m sen schroff und en tsch ie­
den. Als er die S taatsaltertü m er des B eck er-M arq u ard tsch en H an d b u ch es zu b earbeiten unternahm
und ab 1871 durch sein „R öm isch es Staatsrech t“ ersetzte, erklärte er program m atisch (1, V I II ) ,
„dass, wie für die G esch ich te die Z eitfolg e, für das Staatsrech t die sachliche Z usam m engehörigkeit
die D arstellu ng“ bedinge. M eh r n o ch : D as Bestreben , in ihr auch „die gesch ichtlich e Entw ickelung
in ihrem Verlauf zur A nschauung zu bringen“, sei n otw end ig vergeblich und erschwere nur die
O rientieru ng. M om m sen w ollte zwar ebenso wie Lange und andere seiner Z eitgenossen die O rgane
des röm ischen Staatsorganism us sow ohl für sich wie in ihrem fu nktion alen Z usam m enhang dar­
stellen, leistete das auch und b en utzte hierzu notw endigerw eise die ganze breite, vorw iegend n ich t­
ju ristisch e Ü berlieferun g, aber er bestand dabei ausdrücklich a u f einer „begrifflich geschlossenen“
D arstellung des Staatsrechts als eines ein heitlich en Rechtssystem s und berief sich dafür auf die juris­
tische A xiom atik, oh ne andere Betrachtungsw eisen eines Vergleichs oder ein er A useinandersetzung
zu w ürdigen7. D a m it übertrug er, wie er selbst andeutet und A lfred H eu ß am prägnantesten darge­
stellt hat, den System anspruch der zeitgenössischen Pand ektistik a u f das röm ische Verfassungsrecht8.
D ie rechtlich fassbaren E lem ente des röm ischen Staates, also die In stitu tion en , N orm en und
Verfahrensregeln, ihre V eränderungen im Einzelnen und ihr fu nktionelles Zusam m enw irken, soll-
Schiller, D ie röm ischen Staats-, Kriegs- und Privataltertümer (H andbuch der klassischen Altertumswissenschaft
4 ,2, M ünchen 1887, J 1893). Zu M omm sens U rteil über Schiller s. L othar W ickert , Theodor M om m sen. Eine
Biographie, Bd. 3: W anderjahre: Leipzig - Zürich - Breslau - Berlin (Frankfurt am M ain 1969) 661 (B rief an
H. D egenkolb v. 1 8 83); die A n tikritik an den Rezensenten des Staatsrechts im Vorw ort von Theodor Mommsen,
Abriss des römischen Staatsrechts (Leipzig 1893). Vgl. Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit
(G öttingen 21 9 6 7 ) 4 2 3 („H istorisierung der Rom anistik“ bedeutete „Opfer für die normativen und pädagogi­
schen W erte der juristischen Ausbildung“.)
Lange, A ltcrthüm er (wie Anm . 5 ) 1 4 5 .
~S tR 1, IX „Allerdings gestattet die begrifflich geschlossene und ..iuf consequent durchgeführten Grundgedanken
wie auf festen Pfeilern ruhende Darlegung, [...] in der systematischen Entwickelung selbst keine Polem ik gegen
prinzipiell entgegengesetzte Auffassungen
vgl. Nippel, Diskussion (wie Anm. 1) 35ff. A u f diesen selbstbe­
wussten Standpunkt bezieht sich wohl Heuß, M omm sen (wie Anm. 1) 56: „Das M om m scnsche System war nur
zu akzeptieren oder zu zerbrechen:1 Es ist freilich die Frage, ob beim „Zerbrechen“ unbrauchbare Trüm m er oder
wieder verwendbarer StofFzuriickbleibt; die M omm sen selbst unwillkom m ene Ausbeutung des Staatsrechts als
bloßes H andbuch und Stoffsam m lung beweist das Zweite.
8 Heuß, M om m sen (wie Anm . 1) 43ffi, 5 Iff.; vgl. Bleichen, Lex publica (wie A n m .2 ) 23f}.; Okko Behrends,
M ommsens Glaube. Zur G enealogie von R ech t und Staat in der H istorischen Rechtsschule (N achrichten der
Akademie G öttingen, Phil.-H ist. Klasse 2 0 0 5 Nr. 4, G öttingen 2 0 0 5 ) 326ff.
M o d e r n e K o n z e p t i o n e n de s K a i s e r t u m s
131
teil nach den Q u ellen beschrieben und analysiert, aber dam it und vor allem in ihrem zeitlosen,
rechtslogischen K ern erfasst, aus ihren ju ristisch en G rundgedanken en tw ickelt und in ihrem syste­
m atischen Z usam m enhang erklärt, nötigenfalls erschlossen werden. N ich trech tlich e Aspekte, wie
z.B. die R o lle der cimici Caesaris, fehlten keineswegs und werden h and buchgem äß überall m itb e­
handelt, aber sie bestim m ten den G rundriss des M om m sen ’schcn G ebäudes nich t.
D ie eigenartige, einm alige und oft m issverstandene K o n zep tion 9 wird n ich t von dem Einwand
getroffen, dass darin die R ealitäten der M ach t zu kurz käm en, denn darum geht es ihr n ich t, und
sic wird andererseits durch den b erechtig ten R uhm u nübertroffener Sach ken n tn is n och n ich t ge­
rech tfertigt, denn ihr eigentliches Z iel, die D u rch fü h ru ng des System gedankens am historischen
G egenstand, wird davon kaum b erü h rt; n ich t zuletzt M om m sens kom prim ierter „Abriss des röm i­
schen Staatsrech ts“ (1 8 9 3 ) bew eist das. D iese Inten tio n m acht M om m sens Klage darüber verständ­
lich , dass N ich tju risten sein W erk nur als M aterialsam m lung benützten, als Stein b ru ch ausbeuteten.
D em M odus der fiktiven G eltu n g , m it dem H eu ß die von G esch ich te und E n tw icklun g abstra­
hierende System konstruktion M om m sens zutreffend erk lä rt10, liegt
O auch keine Verw echslung
O der
K ategorien Geltung und Entwicklung zugrunde; er ist vielm ehr diejenige D en kform , in der allein
ein vergangener gesch ichtlich er Z ustand als dogm atischer Z usam m enhang gedacht werden kann.
Paradox ist freilich die Ü b ertrag u n g des System gedankens vom röm ischen Privatrecht, wo er durch
dessen A ktu alität bis in die G egenw art, durch eine adäquate Q u ellenlage und entsprechende ju risti­
sche D u rch arb eitu n g des Stoffes nahegelegt war, a u f das Staatsrecht. D en n h ier fehlten, vor allem für
den Prinzipat, was M om m sen selbstverständlich klar w ar11, all diese A nknüpfungspunkte, und war
die rechtslogische D u rch b ild u n g in der A n tike h öchstens ansatzweise erfolgt. Sie kon n te aber nach
M om m sens A nschauung als K o n stru k tio n , die n ich ts hinzuerfand, sondern nur die N atur der Sache
erhellte, n ach geholt werden. D ieses, ju ristisch er M eth o d ik geläufige und notw end ige Verfahren
unterliegt freilich d o rt b erechtig ten Zw eifeln, wo es extrapolierend auf h istorisch n ich t fassbare
Ep och en angew endet wird; doch solche Bedenken tat M om m sen als U n zulän glich keit realitätsge­
bundenen h istorisch en D enkens ab: „Vor der P latth eit derjenigen h istorischen Forschung, welche
das, was sich nie und nirgend begeben hat, bei Seite lassen zu dürfen m ein t, schü tzt den Ju risten
seine genetisches V erständnis fordernde W issenschaft.“12 M ö g lich wurde die System atisierung des
Staatsrechts, wie scho n öfter hervorgehoben worden ist, auch nur dadurch, dass der relativ kons­
tan te und h in reich en d bezeugte Verfassungszustand der klassischen und späten R epu blik als n or­
m ative G rundlage dafür genom m en wurde. A b er die K on stanz der republikanischen Verfassung
beruh te w eniger auf der Leistungsfähigkeit ihrer rech tlichen als a u f der D eh n b ark eit ihrer n ich t­
rech tlichen E lem ente. D ass dieser U n terschied für M om m sen keine R olle spielte, verweist a u f eine
Erkenntnisgrenze, die in diesem Falle der K on stitution alism us des 19. Jah rh u n d erts zog.
In dieses System röm ischen öffentlich en R ech tes ordnete M om m sen die augusteische M onarchie
ein. Sein e K on zep tion des röm ischen K aisertum s, für das er, der Selbstbezeichn un g des Augustus
folgend, den Begriff „P rincipat“ als terminus technicus e in fü h rte1-', d efiniert das a u f D auer ge­
9 Klar erfasst wurde der sachlogische Unterschied zwischen idealtypisch konstruierendem Staatsrecht und de­
skriptiven Staatsaltertümern verhältnismäßig spät und von Juristen eher als H istorikern, so u.a. etwa bei Otto
K arlow a , Röm ische Rechtsgeschichte, Bd. 1 (Leipzig 1885) 21 (s. N ippel Diskussion [wie Anm. 1] 21 ff').
10 Heuß, M omm sen (wie Anm . 1) 52f.
11 S tR 2, Vf.
12 M om m sen, Abriss (wie Anm . 5) X V II.
1’ S tR 2 , 7 4 8f, ( Prinzipat staatsrechtlich keine M onarchie, Gegensatz zur „wirklichen M onarchie“ seit Diokletian).
W eitläufige Untersuchungen des Sprachgebrauchs erhärten, dass die augusteische Selbscbezeichnung princeps
132
Dieter T im p c
stellte augusteische M a ch tm o n o p o l als R echtsord nu ng. Sie besteht danach aus republikani­
schen Bausteinen, aus von Senat und C o m itien verliehenen Ä m tern, vor allem aber davon abge­
lösten A m tskom p etenzen und Son d errech ten. D iese Stellung, als die eines außerordentlichen
M agistrats aufgefasst, entstand n ich t uno actu, sondern bildete sich in einem langen, schrittw ei­
sen und experim entierenden V orgehen heraus und verfestigte sich dann durch W ied erh olu n g zur
Q u asiin stitu tio n . Sie war (und blieb noch lange) auf das rech tliche und p olitische Zusam m enw irken
ihres Inhabers m it dem Senat angew iesen, ist deshalb ,D y -A rch ie‘. D ass die form alrcch d ich e
B etrach tu ng der Senatskom petenz der M achtlage n ich t entsprach, war M om m sen natürlich n ich t
im m indesten zweifelhaft, aber w iderlegt sie n ic h t1',- die ganze ständ isch e und gesellschaftliche
O rd n u n g der K aiserzeit, n am entlich das jah rh un d ertelang respektierte Privileg der Senatoren, die
H eereskom m andcn zu besetzen, bezeugt aber auch die elem entare B edeu tu ng des augusteischen
„praktischen C om p rom isses“ m it der aristokratischen G esellschaft.
D er n ich t zu verschleiernde irreguläre (M om m sen sagt: revolutionäre) U rsprung der kaiser­
lichen M achtstellu ng1'’ wird als A usdruck des G em einw illens gerech tfertigt, durch förm lichen
G ew altverzicht geheilt oder durch A nerkennung des Senats legitim iert. D iese Auffassung en t­
spricht, wie o ft bem erkt w orden ist, w eitgehend der augusteischen Selbststilisieru ng, der D oktrin
vom Consensus omnium als Legitim ationsbasis und der kon tin uierlich fortb esteh en d en oder res­
tituierten R epu blik. Sie sch ließ t die Caesarenherrschaft an G esetzesregulierungen der späten
R epu blik (wie vor allem die sullanische) an. D a m it verschiebt sich ciie G renze zwischen repub­
likanischem G esetzesstaat und m onarch ischer D esp o tie aus der augusteischen oder severischen
Z eit in die D iok letian s. D en n erst ein vergleichsweise unbed eutender Vorgang, das A ufhören der
Im peratorbestätigung durch den Senat unter Carus, gew innt nun den R an g einer E p och en scheid e:
M it der form ellen D yarch ie endet dam it der durch sie definierte Prinzipat, um auch rechtlich von
nich t m ehr ko n tro llierter m onarch ischer G ew alt, die M om m sen „ D o m in a t“ nennt, abgelöst zu
w erden“’.
A u f diese W eise wird das K aisertum der ersten drei Jah rh u n d erte, gegen alle politische R ealität,
aber ganz im Sin ne der von seinem Begrü nd er proklam ierten Theorie, republikanisch kom m ensura­
bel. D araus folgt dann, dass senatsfeindliche K aiser aus B ild erbuch tyran nen zu m essbaren Versagern
gegenüber den prägnanten Forderungen des System s w erden, dass die instabile Sukzession w eni­
ger einen verfassungspolitischen D efek t als eine notw endige K onsequ enz der R echtsord nu ng
anzeigt und dass N achfolgekrisen als regelm äßige R ückfälle in die h istorisch e A usgangssituation
der augusteischen O rd n u n g erscheinen. D er gegenüber der W illk ü r caesarischer T yrannen oh n ­
m ächtige Senat ist gleichw ohl als form eller G egenspieler des Im perators un en tbehrlich und als
m oralische Instanz und G arant der T rad ition unangreifbar. - A b er eine K onsequ enz dieser S ich t
kein technischer Begriff war, vielmehr die überragende, aber amtfose auctoritas des ersten Mannes zum Ausdruck
bringen sollte. Zum Begriff -. Jea n Beranger , Reeherches sur l’aspeet ideologique du principat (Schweizerische
Beiträge zur Altertumswissenschaft 6, Basel 1953) 5 5 ;i .; Loth ar Wickert, princeps, R E 2 2 (1 9 5 4 ) 2 0 5 7 f f ; ders..
Neue Forschungen zum römischen Prinzipat, A N R W II 1 (1 9 7 4 ) 3 - 7 6 .
11 D ie communis opinio lehnt bekanntlich Mommsens Begriff als vor allem der M achtlage nicht gemäß ab; m it
Recht betont dagegen Aloys Winterling, Dyarchie in der römischen Kaiserzeit. Vorschlag zur W iederaufnahm e
der Diskussion, in: W ilfried Nippel, Bernd Seidensticker, Theodor Mom msens langer Schatten (Spudasmata 107,
Hildesheim 2 0 0 5 ) 1 7 7 -1 9 8 , dass der Begriff zwar nicht auf die politischen M achtverhältnisse bezogen wxrden
kann, aber den strukturellen Bedingungen der kaiserzeitlichen Gesellschaft angemessen ist.
11 S tR 2, 1133; vgl. Alfred Llettß, T heodor M om m sen und die revolutionäre Struktur des römischen Kaisertums
(1 9 7 4 ), in: Ders., Gesam m elte Schriften in 3 Bänden, Bd. 3 (Stuttgart 199 5 ) 1730ff.
,c S t R 2, 8 4 3 .
M o d e r n e K o n z e p t i o n e n de.s K a i s e r t u m s
133
ist cs auch, dass Struk turelem en te des Prinzipats, wie der G egensatz zwischen G em eindestaat
und Provinzenim perium oder Bürgern und socii, die form elle M itw irkun g des Senats an der p o ­
litischen W illen sbild u n g oder das term inologisch n ich t verein heitlich te K om petenzenbündel
des Im perators, als konstitutive Elem ente der Verfassungspraxis konserviert wurden. D er Einfluss
politischer, sozialer oder m entaler Entw icklungen, w elche die politische R ealität zugunsten der
M o n archie veränderten, wird dagegen w eitgehend ausgeblendet. D erjen ig e A u sschnitt aus dem
G esam tph änom en K aisertu m , den die staatsrechtliche K o n stru k tion zutreffend abbildet, wird also
im Verlauf der Kaiserzeit im m er schmaler.
N atü rlich war M om m sen sich gerade beim Kaisertum über die G renzen einer juristischen
B etrach tu n g völlig im K laren und er b rin g t dies auch oft genug in A n tithesen wie ,rech tlich 1
- ,faktisch*, ,formell* - ,sachlich*, in der n üchternen Feststellung, dass die ,form ale und offizielle
Auffassung des Prinzipats* „h o h l“ sei (S tR 2, 7 4 7 ), oder ähnlichen Form ulierungen deutlich zum
A usdruck: D ie m agistratische K om peten z z.B. bed eutet ihm eine rechtliche Schranke, aber ihre
U berdeh n un g im P rinzipat fü hrt faktisch zur Sch ran ken losigkeit der H errschaft (7 4 8 ). O d er:
D er Prinzipat ist keine M o n archie, sondern D yarchie - staatsrechtlich, und doch fehlt „keinem
R egim en t der B egriff der L eg itim ität so völlig wie dem P rinzip at“ (8 4 4 ). Es ist im H in b lick auf sol­
che eindeutigen Präzisierungen m erkwürdig, dass das „Staatsrech t“ überhaupt so lange gegen den
V orw urf verteidigt werden musste, abstrakter Begriffsjurisprudenz zu huldigen und eine einseitig
form alistische B etrach tu n g des Kaisertum s begründet zu h ab en 1".
D ie - durch M om m sens T hem a und K on zeption gerech tfertigte - gedankliche T rennung der
Bereiche erlaubte indessen, die rech tliche Seite der K aiserherrschaft schärfer zu erfassen als zuvor
und dam it eben auch ihre n ich trcch tlich c. B ek an n tlich sah M om m sen in der um fassenden, na­
m en tlich m ilitärischen und iurisdiktionellen K om petenz des m agistratischen Im perium s d iejen i­
ge R echtsfigur, die alle h istorisch en Form ationen röm ischer H errschaft von den K önigen bis zu
D iok letian einem ein h eitlich en System gedanken zu unterstellen erlaubte. D a die „einzige bestim m t
d efinierte“, notw endige und h in reich en de „K om petenz für den Princeps“ das prokonsularische
Im perium ist (8 4 0 ) , wird auch die H errschaft der C aesaren rechtlich zu einer »M odifikation des
G rundbegriffes der M agistratur*, „und der Princeps ist n ich ts als ein B eam ter m eh r“ (7 4 9 ). D en n er
leitet seine M ach t n ich t aus eigenem oder g ö ttlich em U rsprung her, sondern aus der Beauftragung
durch Senat und Volk, aus der Volkssouveränität. D as d em on strierte der Staatsakt von 2 7 v. Chr.,
in w elchem der V erzicht des Bürgerkriegssiegers auf seine irreguläre potestas - als R estitu tio n der
res publica ausgegeben - das legale Imperium proconsulare, die Provinzenteilung und die D yarchie
m it dem Senat erm öglich te und nach sich zog. W eitere K o m petenzerteilungen form ten dann jenes
Bündel von V ollm ach ten aus, das den Prinzipat rechtlich ausgestalten sollte. D er Erste M an n steht
insow eit n ich t über oder außerhalb der Verfassungsordnung, sondern ist in sie eingebunden und
den G esetzen untertan. So w enig dieser Auffassung auch die po litische R ealität entsprechen m och ­
te, die Logik der R ech tsko n stru ktio n hat sie für sich.
N ich t in der zwar einseitigen und die D im en sio n gesch ichtlich er E n tw icklun g bew usst vernach­
lässigenden, aber unter ihren Präm issen stim m igen rechtsdogm atischen Betrachtungsw eise liegt
deshalb das größte Paradox der P rinzipatstheorie M om m sens, w ohl aber in seinem V erständnis der
1 D ie Ambivalenz der M om m senschen Sich t des Prinzipats ist heute im Allgem einen anerkannt; s. dazu Aloys
W interling,,Staat1, ,Gesellschaft1 und politische Integration in der römischen Kaiserzeit, in: Klio 8 3 (2 0 0 1 ) 9 3 112, 96f.; M ichael Peachin, M ommsens Princeps, in: W ilfried N ippel Bernd Seidensticker, Theodor Mommsens
langer Schatten (Spudasmata 107, H ildesheim 2 0 0 5 ) 1 6 1 -1 7 6 .
134
D ieter T im p e
V olkssouveränität'8. W ie er b eto n t ( 8 4 2 f f ) , kann das Im perium auf .A ufforderung“, näm lich auf die
A kklam ation jedes beliebigen Bürgers und Soldaten hin, .genom m en' werden. D ie Z ustim m ung
des Senats, die im Falle des G elingens dem neuen Im perator sicher ist, legitim iert streng genom ­
m en n ich t nachträglich die usurpatorisch gew onnene faktische M acht, sie tritt vielm ehr einem
bereits rechtsgültigen Vorgang bei oder bestätigt ihn ihrerseits. D en n die A kklam ation wird hier
n ich t nur als H errschaft begründendes Faktum kon statiert, sondern als Rechtsakt qualifiziert, die
M achtstellu ng des akklam ierten Im perators also m it der R echtsstellu ng des Inhabers eines Impe­
rium proconsulare gleichgesetzt: „Wen die Soldaten durch ihren Z u ru f auffordern, sich Im perator
zu nennen, ist rechtlich befugt, dies zu tu n “ (8 4 3 ) ; um gekehrt hatte „jeder bew affnete M M\ngleich­
sam (!) das Recht, jeden anderen zum Kaiser zu m achen“ (8 4 4 ), denn der Prinzipat fällt m it dem
Im perium rechtlich zusam m en (8 4 1 ).
D iese K o n stru k tio n 19 beruh t au f der w irklichkeitsfrem den Prämisse, dass „die handelnden
Soldaten “ unabhängig von ihrer Z ahl und ihrer M otiv ation „Vertreter des gesam ten H eeres“ seien
und dieses wiederum R epräsentant d es populus Romanus (vgl. Abriss d. R .S tR . 194fi). So wird der
Prinzipat erstaunlichcrw eise, so sehr ihm der Begriff der L eg itim ität auch abgeht, zum „Ausdruck
von V olkssouveränität“ und bed eutet er gar „V ollendungder D em o k ratie“. D as sind System gedanken,
die zwar G rundbegriffe der röm ischen staatlichen Existenz, kaiserzeitliche Q uellenaussagen
und historische Präzedenzfälle voraussetzen, aber in der Sch ärfe ihrer D istin k tio n en wie in der
E n tsch ied en h eit ihrer K onsequenzen und n ich t zuletzt in dem , was sie außer B etrach t lassen, ohne
den Bezug zu verfassungspolitischen K ategorien des 1 9 .Jah rh u n d erts kaum verständlich sind und
aus solcher G leich rich tu n g auch ihre Suggestion bezogen haben.
M om m sens D arstellung des P rinzipats im „Staatsrech t“ ist als Sy stem en tw urf im m er dem Einwand
ausgesetzt geblieben, der gesch ichtlich en En tw icklun g n ich t genügend R echn u ng zu tragen.
Problem atisch ist jed o ch n ich t die Strukturanalyse einer langfristig stabilen Verfassungssystematik
(w enn es sie denn gab) und erst rech t n ich t die dogm atische D u rch d rin gu ng fest um rissener
R echtsgebiete. W ohl aber ist es der Versuch, auch die lebensw eltlichen Bedingungen p olitischer
H errschaft als Teil der R echtsord nu ng selbst - statt als ihre Voraussetzungen - zu begreifen (also
etwa U surpationen als R echtsakte zu interpretieren ), oder R echtsord nu ng als Lebensordnung zu
verstehen auch da, wo die R ealität sich ihren A nsprüchen n ich t oder n ich t m ehr fügt. M om m sen
w eiß zwar stets um die grundsätzliche und m anchm al w eite D ifferen z zwischen der Idealität der
R echtsn orm en und der w iderständigen W irk lich k eit, und er lässt auch am durchsichtigen p o liti­
schen Zw eck des augusteischen A rrangem ents, seinem Fassadencharakter, keinen Zweifel. A b er dass
der röm ische Staat die souveräne, im Zusam m enw irken ihrer O rgan e rechtlich verfasste G em ein de
freier Bürger Italiens sam t ihrem im perialen A n nex sei und die P rinzipatsordnung diese Lebensform
der „N ation“ (wie er gern sagt) trotz der M acht des w eltbeherrschenden Im perators im Kern b e­
stehen lasse und erhalte, das ist ihm keine im m er lebensfrem der werdende D o k trin , sondern ein
idealtypischer Leitgedanke, der die Ep ochen röm ischer G esch ich te verbind et und der p olitischen
W irk lich k eit ihr M aß gibt.
Frank B ebne , Volkssouveränität und verfassungsrechtliche Systematik. Betrachtungen zur Struktur des
Röm ischen Staatsrechts von Theodor M om msen, in: Jö rg Spielvogel (H g .), Res publica reperta. Zur Verfassung
und Gesellschaft der römischen Republik. Studien zum 75. G eburtstag von Joch en Bleicken (Stuttgart 2 0 0 2 )
1 2 4 - 1 3 6 , 134f.
Heinrich Siber , Röm isches Vcrfassungsrecht in geschichtlicher Entw icklung (Lahr 1952) 2 6 9 nennt sie eine
„abenteuerliche Vorstellung“.
M o d e r n e K o n z e p t i o n e n des K a i s e r t u m s
135
II
D ie K on zeption des „R öm ischen Staatsrech ts“ entstam m te n ich t den vom Entw icklungsgedanken
geprägten Anschauungen, die das h istorische D en ken ihrer Z e it beh errschten ; viel eher stand sie zu
ihnen im G egensatz. D a M om m sens W erk aber in seiner gedanklichen G esch lossen h eit und souverä­
nen Stoffbeh errschu n g unübertroffen blieb, bestim m te es denn och auf- D auer Niveau und R ich tu ng
der w issenschaftlichen Beschäftigung m it dem röm ischen Staat. D ie Forschung fügte sich in einer
eigentüm lichen V erschränkung von U nverständnis und Bew underung, epigonaler A bhängigkeit
und D istanzierungsbedürfnis zum eist nur verfeinernd und erw eiternd dem M om m sensch en
System gebäude ein, reflektierte aber w enig dessen generelle gedankliche V oraussetzungen und da­
durch bed ingte G ren zen (od er blieb w ohl auch dah in ter zurück). Auch au f den w iederholt (n ich t
zuletzt von Ju risten ) erhoben en A nspruch, M om m sen zu korrigieren oder zu ü berholen, folgte ge­
w öh n lich der ernü chternde Zw eifel am S in n des angestrebten Zieles und an der T auglichkeit der dazu
angew endeten m eth odisch en M itte l20. D ies gilt auch für die S tudien zum röm ischen K aisertu m , die
unter diesem A spekt resüm iert werden k ö n n en : Lange Z e it haben M om m sens A nschauungen, na­
m en tlich die T hem atisieru ng des kon stitution ellen Charakters des Prinzipats, h ier die einschlägige
Forschung, vor allem in D eutsch lan d, geprägt. D ass die M achtstellu ng des Augustus und seiner
N achfolger faktisch schrankenlos war, aber sich als konform m it den M achtbeschränkungen der
aristokratischen R epu blik ausgab, galt als fundam entale Paradoxie und schien das „R ätsel dieser
Staatsform “ zu sein, h in ter dem die rätselhafte P ersön lich keit ihres Begründers steck te21. W ar also
die ,Staatsform ' listig verkleideter A bsolutism us oder ech te G ew alten teilu ng zwischen Im perator
und Senat, war die Form el von der res publica restituta Lüge, W ahrheit oder T eilw ahrheit ? Auch wo
die h istorisch e Forschung schließ lich in andere R ich tu ngen fü hrte, nahm sie doch bei der kon stitu ­
tionellen Fragestellung ihren Ausgang.
Dass sich daran auch in der G en eratio n nach M om m sen n ich ts grundsätzlich änderte, lag aber
w ohl n ich t nur an dem w issenschaftsgeschichtlichen Z ufall, dass ein röm ischrechtlich geschulter
Ju rist seiner ingeniösen K o n stru k tio n des republikanischen Staatsrechts die augusteische M on archie
einzupassen verstand, sondern auch an der T atsache, dass sich m angels dynastischer Festigkeit
des Prinzipats ein besserer, d.h. beständigerer und um fassender bezeugter L eitfad en durch die
"° Gegenentwürfe zum „Staatsrecht“: Otto Jh. Schulz, Das Wesen des röm ischen Kaisertums der ersten zwei
Jahrhunderte (Studien zur G eschichte und Kultur des Altertum s 8.2, Paderborn 1 9 1 6 ) (nach Eduard Meyer,
Kaiser Augustus [1 9 0 3 ], in: Ders., Kleine Schriften, Bd. 1 [H alle 2192*4] 423ff., und wieder aufgenommen
von Elelmut Castritim , D er römische Prinzipat als Republik [H istorische Studien 4 3 9 , Husum 1 9 8 2 ]); Eugen
Täubler, Röm isches Staatsrecht und römische Verfassungsgeschichte [1 9 1 9 ], in: Ders., D er röm ische Staat
( 1 9 3 5 ), eingel. v. Jürgen von U ngern-Sternberg (Stuttgart 1985) (dazu Rez .Jochen Bleichen [1 9 9 3 ] in: Ders.,
Gesam m elte Schriften, Bd. 1 [Stuttgart 1998] 169ff.; A lfred H eiß , Eugen T äubler Postumus [1 9 8 9 ], in: Ders.,
Gesam m elte Schriftcn, B d .3 [Stuttgart 1995] 1 8 9 Iff.); Siber, Verfassungsrecht (wie Anm . 19) (dazu Wolfgang
Kunkel, Bericht über neuere Arbeiten zur römischen Verfassungsgeschichte [1 9 5 5 ], in: Ders., Kleine Schriften
[W eim ar 1974] 4 4 Iff.); Wolfgang Kunkel, Staatsordnung und Staatspraxis der römischen Republik, Bd. 2: Die
M agistratur (H andbuch der Altertumswissenschaft 10/3/2, M ünchen 1995 ) (dxm fochen Bleichen, Im Schatten
M ommsens [1 9 9 6 ], in: Ders., Gesam m elte Schriften, Bd. 1 [Stuttgart 1998] 5 2 6 - 5 5 0 , 534ft.; ders., Gedanken
zum Fach Alte G eschichte, in: Ders., G esam m elte Schriften, Bd. 2 [Stuttgart 1998] ll4 9 f f .) . Vgl. Nippel,
D iskussion (wie Anm. 1) 46f.
21 So exempli gratia Wolfgang Kunkel, Ü ber das Wesen des augusteischen Prinzipats (1 9 6 1 ), in: Ders., Kleine
Schriften (W eim ar 1 9 7 4 ) 3 8 5 (= Walter Schmitthenner [H g.], Augustus [W ege der Forschung 128, Darm stadt
1 969] 3 1 3 ) oder Ulrich von Liibtow, Das römische Volk. Sein Staat und sein Recht (Frankfurt am M ain 1955)
367ff.
136
D ie te r 1 im p c
G esch ich te des röm ischen Kaisertum s als seine form ale institu tionelle K o n tin u ität n ich t finden Heß.
D a die ko n stitution elle Form des Prinzipats im Laufe der Kaiserzeit grundlegende Veränderungen
n ich t erfahren hat, kon n te aber die E ntw icklung der R eichs- und Verw altungsgeschichte, der
Sozial-, K u ltur- und M en talitätsgesch ich te, in die die röm ische M on archie so vielfältig ein gebettet
ist, an kon stitu tio n ellen Elem enten n ich t abgelesen werden. D esh alb ließ sich von diesem A nsatz
aus die gesch ichtlich e E ntw icklung der m onarchischen H errschaft in ihrer ganzen, auch n ich trech t­
liche Aspekte einschließend en Breite und K om plexität kaum erfassen und beschreiben. So blieb
der wissenschaftliche O r t der G esch ich te des Kaisertum s unsicher: M an suchte ihn entw eder in der
relativ konstanten, einm al gestifteten In stitu tio n , gewann aber dabei w enig en tw icklu ngsgeschicht­
liche Anschauung, oder er verschwand in der allgem ein-politischen V erlaufsgeschichte und blieb
dam it oh ne m ethodisch präzise B eleu ch tu n g der spezifischen H errschaftsphänom ene, wenn n ich t
gar besetzt von K aiserbiographien und H ofg eschich te.
Aus dieser Situ ation erklärt sich zunächst, dass die historische Analyse des Kaisertum s in wei­
tem U m fange Beschäftigung m it Augustus ist und um gekehrt: D er Princeps, seine Lebenszeit
und seine p olitische S ch ö p fu n g haben m ehr und um fassendere D arstellungen erfahren als irgend­
ein N achfolger, vielleicht sogar als sie alle zusam m en, und dies n ich t allein dan k der singulären
D auer und gesch ichtlich en Tragw eite seines R egim ents. In seiner Leben sgesch ich te ist m it der
Begründung, Ausgestaltung und Verstetigung des Prinzipats auch die weitere G esch ich te dieser
H errsch aftsin stitution angelegt, paradoxerweise u n m ittelbarer und direkter als es in rein dynasti­
schen Reichsgründungen zu b eo b ach ten ist. Leben und W erk des ersten Princeps darzustellen im pli­
ziert deshalb - unabhängig von jed er Bew ertu ng seiner Person - die W ürdigung der m onarchischen
Institu tio n im G anzen, und zugleich weist deren lange G esch ich te - obw ohl das L ic h t des Anfanges
nich t gleichm äßig a u f sie fällt - im m er auf ihren personalen Ursprung zurück22. U m gekehrt b ietet
die G alerie der H errsch erbiographien, die im m er w ieder abgeschritten worden ist und anhaltend
ein elem entares historisches Interesse w eck t23, wenig H an dh aben , um daran die E ntw icklung der
H errschaftsform als solcher darzustellen. D as H andeln der nach C harakter, Fähigkeiten, G lück,
:: D ie unvergleichlich erfolgreiche Lebensgeschichre und die D auer der Prinzipatsschöpfung erklären das leb­
hafte Interesse an der persönlichen und politischen Biographie des Augustus. Stim uliert wird es weiter durch
das bleibende Problem, den mörderischen Aufstieg des skrupellosen Caesarerben und die Leistung des Princeps
historisch und moralisch angemessen zu verbinden. Abwertung der historischen Leistung des Augustus ergab
sich nur da, wo, wie bei M om m sen, der Vergleich m it Caesar zu seinen Ungunsten ausfiel. G ehaltvolle ältere und
die wichtigsten aktuellen M onographien, Biographien und Auisatzsammlungen: Victor Gardthausen, Augustus
und seine Z eit, 2 Teile in 6 Bde. (Leipzig 1 8 9 1 - 1 9 0 4 ); /^/;;/ Buchan, Augustus (Frankfurt am Main 1979, engl.
Orig. 1 9 37); R onald Syme, The Rom an Revolution (O xford 1 9 39); Scbmitthenner , Augustus (wie Anm. 21)
128; D ietm ar Kienast, Augustus (D arm stadt 21 9 9 2 ,319 9 9 ); Fergus M illar, Erich Segal (H g.), Caesar Augustus
(O xford 1984); G erhard Binder (H g.), Saeculum Augustuni, 3 Bde. (D arm stadt 1 9 8 7 - 9 1 ) ; Kurt R aaflaub,
M arc Tober (H g .), Between Republic and Empire. Interpretations of Augustus and his Principatc (Berkeley
199 0 ); Pat Southern, Augustus (Lon don 199 §)•,Jochen Bleichen, Augustus. Eine Biographie (Berlin \99S)\Klaus
Bringmann, Augustus (D arm stadt 2 0 0 7 ); dort und bei Werner D ahlheim , G eschichte der röm ischen Kaiserzeit
(Oldenbouicf Grundriss der G eschichte 3. M ünchen '2 0 0 3 ) l6 9 fL aktuelle Referate des Forschungsstandes;
umfassende Darstellungen des Augustus und der augusteischen Z eit ferner in C A F I X : (1 9 9 6 ) (Jo h n A. C rook
7 0 (F.; Andrew W allace-H adrill; D.W . Rath bon e; Richard I.A. T albert; Alan Keir Bow m an; Lawrence J.F.
Keppie; H artm ut Galsterer 2 83ft.); Storia di Rom a 2,2. 1 9 9 1 (Em ilio G abba 9 f f ; Feliciano Serrao 2 9 f f ; W erner
Eck 73(E ).
2; Es hat in Biographienreihen seinen N iederschlag gefunden, die unter den deutschsprachigen von Alfred von
Domaszewskis (heute kaum noch lesbarer) G eschichte der römischen Kaiser (2 Bde. 1 9 0 9 ) bis zu der jüngst
erschienenen, von M anfred Clauss veranstalteten Sammlung D ie römischen Kaiser (1 9 9 7 , "2 0 0 1 ) reichen.
M o d e r n e K o n z e p t i o n e n de s K a i s e r t u m s
137
D auer und h istorischer Bedeutung h öch st u n terschiedlichen kaiserlichen P ersön lich keiten variierte
in kon stitu tio n eller H in sich t zwischen verhältnism äßig wenigen V erhaltensm ustcrn und füllte inso­
w eit trotz der farbigen Sch icksale der Im peratoren viel eher einen - durch das augusteische System
und m it seiner Begründung - vorgegebenen R ahm en aus, als dass es diesen konstruktiv gestaltet
und verändert hätte. D ie G esch ich te des Augustus en th ält, p o in tiert gesagt, den Prinzipat, die sei­
ner N achfolger nur Biographien. Z utreffend beschreibt Ernst von H erzog in der E in leitu ng seiner
„Staatsverfassung“ (p. I I I) diesen Sachverhalt: „D ie konstitutiven E lem ente sind säm tlich schon
unter Augustus gegeben; nur die tatsächliche M an nigfaltigkeit in der H andhabung der augustei­
schen Verfassung m acht die p olitische G esch ich te dieser Z e it aus und teilt sie in die G esch ich te der
einzelnen Regierungen!' E in drin glich und grundsätzlich form u lierte A lfred H eu ß diesen G edanken
und folgerte daraus, „an der Existenz des röm ischen R eiches [n äm lich : nach Augustus] hat der
einzelne K aiser im A llgem einen nur einen sehr geringen A n teil“ (vgl. unten Seite 1 5 6 ) . In kon­
stitu tio n eller S ich t war die m onarch ische Stellung konstant und ihre G esch ich te trotz ihrer bu n t­
dram atischen B ew egth eit unergiebig. D ies wies a u f die persönlich geprägte Eigenart der augustei­
schen Prinzipatsschöpfung zurück, in der sich republikanische K om petenzverleihung, m ilitärische
A u tokratie und dynastischer Erbansp ruch verbanden und durchdrangen, o h n e je zum Ausgleich zu
gelangen.
D as Bedürfnis, dem m onarchischen R egim en t trotzdem en tw icklu ngsgeschichtliche K onturen
zu geben, erklärt die B eto n u n g des dynastischen Elements im K aisertum , die G ew oh n h eit, die
K aiserzeit nach den herrschenden Fam ilien zu gliedern, und die N eigung, in den D ynastien
(od er deren E rsatzform en) Signaturen ihrer Ep och en zu sehen. Besonders g ilt das für die
Form ierungsphase der ju lisch -claud isch en Z eit, in der res publica und Im perium iinius fam iliae
quasi hereditas bildeten (T ac. hist.
1, 1 6 , 1 ), die H errschaftskonstru ktion des Augustus und die
caesarische Fam ilientrad ition m it der Sukzession in der dornus noch n ich t auseinander getreten
waren und in C h arakter und V erhalten dieser Principes typische M öglichk eiten , m it dem augustei­
schen E rb e um zugehen, abgebildet sch ein en 2'1. D ie flavische H errschaft steht für n ü chtern -italisch e
R eaktion, haushälterische R eichsverw altung, A ufbau einer ritterlich en B eam ten schaft und m aßvol­
le, schließlich defensive A u ßen politik, aber auch entschiedene Verteidigung eigener dynastischer
Interessen und den erneuten K o n flik t zw ischen den res dissociabiles, imperium et libertas1'’. M it
den A doptivkaisern von N erva an und der an to n in isch en D ynastie verbind et sich die (unrichtige)
V orstellung einer allgem einen halkyonischen Friedensepoche und p olitischen Stillstands, der Glanz
21 Ibom as W iedemann, The Julio-C laudian Emperors. A .D . 1 4 - 7 0 (Bristol 1 989). - Biographien: Frank B.
Marsh, Im: Reign of Tiberius (O xford 1 9 31); Robin Scagcr, Tiberius (London 1 9 7 2 ); Barbara Lecick. Tiberius
the Politician (Lon don 1 9 76); Zvi Yavetz, Tiberius. D er traurige Kaiser (M ünchen 1 9 9 9 ); Jo h n R.V.D. Balsclon,
Ihe Em peror Gaius (Caligula) (O xford 1934); Anthony A. Barrett, Caligula. The C orruption o f Power
(London 1 9 8 9 }■, Aloys Wintcrlhig, Caligula. Eine Biog raphie (M ünchen 2 0 0 3 ); A rnaldo M omigliano, Claudius,
ehe Em peror and his Achievement (O xford 1934, 219 6 1); Vincent M. Scm m uzza , The Em peror Claudius
(H arvard H istorical Studies 44, Cam bridge, Mass. 1 9 40); Barbara Levick , Claudius (London 1 9 9 0 ); M iriam
Griffin, Nero. The End of a Dynasty (London 1 9 84); Edw ard Cham plin, Nero (Cam bridge, Mass. 2 0 0 3 ). D ie konstitutionelle K ontinu ität stellte dar Mason Hammond-, The Augustan Prineipate in Theory and Practice
D uring the Julio-C laudian period (New York 1 9 33); zum Erbprinzip .s. W ickert, Princeps (wie Anm . 13)
2 137ff., 2200ff.
2> B ernhard W. Henderson, Five Roman Emperors (Cam bridge 1 9 27); Leon Homo, Vespasien. L’empereur du
bon sens (Paris 1 9 49); Barbara Levick , Vespasian (Lon don 1999); Brian W. Jones , The Em peror T itu s (London,
Sydney 1 9 84); ders., The Em peror D om itian (London 1 9 92); Pat Southern , D om itian. Tragic Tyrant (London
1997).'
138
D ieter T im p e
des von den so u n tersch iedlich en C h arakteren der T rajan , H adrian, A n ton inu s Pius und M arc Aurel
geprägten, gesellschaftlich anerkannten hum anitären Kaisertum s, und das L ob eines w eltgesch ich t­
lich einm aligen H öh ep u nk tes von ,G esittu n g und V ölkerglück” 6. D ie H errschaft der Severer über­
sch attet der durchgehende V orw urf brutaler, senatsfeindlicher M ach tp o litik (Cass. D io 7 6 [7 5 ], 8,
1; 7 7 [7 6 ], 15, 2 ) und unröm ischer, zumal orientalisierender N eigu ngen 1 . A uch die kurzlebigen
Kaiser des 3. Jah rh u n d erts unterliegen solcher Tendenz zur etikettierend en Z usam m enfassung, sei
es, dass die anhaltend e Instabilität des R egim ents als R eichskrise gedeutet und als Verfall bew er­
tet wird, die w echselnden A kklam ationen durch Provinzhecrc die B ezeichnung ,Soldatenkaiser‘
begründen oder auch in der ethn isch-geograph isch en H erkun ft der w illkürlich auf den Schild
G eh o b en en und wieder G estürzten (.illyrische K a ise r) ein K riteriu m der Z usam m engehörigkeit
gesehen wird28. W erten d e G ruppierungen dieser A rt folgen m eist den Vorgaben der literarischen
Ü berlieferun g und unterliegen wie diese der historischen K ritik ; darüber hinaus sind sie dem allge­
m einen Einw and ausgesetzt, die R elevanz des persönlichen R egim en ts der Kaiser für das Im perium
im G anzen zu überschätzen, dem Zw eifel, ob die persönlich e T ä tig k e it der Kaiser w irklich „das
eigentliche T riebrad in der großen M aschin e des K aiserreichs“ (S tR 2, 9 4 8 ) war.
D ie dynastische K o n tin u itä t wurde grundsätzlich durch das Fehlen bind ender Sukzessionsregeln
und zufällig auch durch den häufigen M angel direkter Erben durchkreuzt; lang geübter aristokra­
tisch er Usus und politische N otw en d igk eit wiesen dann auf den Ausweg der A d op tio n . A u f diese
W eise kam en die unglückliche Bestellu ng des L. Piso Licinian u s zum Erben und Caesar G albas
und die erfolgreiche N achfolgeregelung, zu w elcher der alte N crva gen ötig t wurde, zustande,
Vorgänge, die in Plinius’ Panegyricus und der taciteisch en G alb a-R ed e (h ist. 1, 1 5 - 1 7 ) einen viel
b each teten literarischen N iederschlag gefunden haben. D ie adulatorische R ü h m u n g d er Sukzession
T rajans reflektiert ebenso wie der h intergründig als illusionär entlarvte A nspruch, m it Piso wer­
de endlich n ich t m ehr der zufällige Erbe der m ächtigsten domus, sondern der W ürdigste in re
publica zum N achfolger berufen, die blutleere Idee, im K onsens m it dem Sen at solle die Auswahl
des optimiis zum Princeps vollzogen w erden, die sogenannte A d op tionstheorie. Sie scheint einer
literarisch gut bezeugten senatorischen O p p ositionsgrup pe die gedankliche Basis ihrer unrealisti­
schen Forderung nach einer nichtd ynastischen m onarchischen H errschaft und darauf gestützter
M itw irkungsansprüche abgegeben zu haben. D ie A d op tionen von N erva bis A n to n in u s Pius, selbst
die undurchsichtigen Intrigen, die H adrian zum Erben Trajans m achten, kon n ten dann umso leich-
-!t' Z itat: Theodor Mommsen, Röm ische G cschichtc, Bd. 5 (’ 1921) 5. - Mason H am m ond, The A ntonine
M onarchy (R om 19 5 9 ); Roberto Paribeni, O ptim us Princeps, 2 Bde. (M essina 1926/ 27); Eugen Cizek, Lepoque
de Traian (Paris 1983); Anthony R. Birley, Hadrian. The Restless Em peror (London 1 9 9 7 ); ders., M ark Aurel.
Kaiser und Philosoph (M ünchen 1968, engl. Original 1966, '2 0 0 0 ); Willy Eli'ittl, Antoninus Pius, 2 Btlc. (Prag
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27Anthony R. Birley, Septimius Severus. The African Em peror (London 1 9 7 1 ,: 1 9 8 8 ); Jea n Babelon, Imperatrices
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zur G eschichte der W eltkrise des 3 .Jahrhunderts n .C h r. (D arm stadt 1 967); Ramsay MacMullen, Roman
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M o d e r n e K o n z e p t i o n e n ties K a i s e r t u m s
139
tcr als th eo rieko n fo rm e W ahl des Besten ausgclegt w erden, als Leistung, A u torität und A kzeptanz
- die vom Princeps in besonderem M aße erw arteten und geforderten aristokratischen Q u alitäten
- bei jedem A doptionsvorgang entscheidende K riterien bildeten. A ber natürlich war A d op tion wie
eh und je das A u shilfsm ittcl, um bei Söh n elosigkeit R ang, Stellung und Besitz einer herrschenden
Fam ilie zu erhalten, und kein Princeps hat bei dem praktischen und th eoretisch en G ew ich t des
dynastischen D enkens leibliche Sö h n e bei der O rd n u n g der N achfolge übergangen und übergehen
k ön n en 29. Es ist erstaunlich, dass diese ein fache und einsichtige Tatsache gegenüber der rhetorischen
Fiktion überhaupt einer w iederholten Bekräftigung bedurfte.
G eord n ete D auer legitim er H errschaft gew ährleisten nach m oderner A nschauung vor allem
anerkannte verfassungsrechtliche R egelungen. D ie Bem ühungen, den Prinzipat als systematisierte
Verfassungsordnung zu begreifen, stehen naturgem äß M om m sens Erkenntnisziel am n ächsten. Sie
werden einerseits herausgefordert durch das in allen M ed ien verkündete und durch die augusteische
R estitu tio n sp o litik (vor allem von 2 7 bis 19 v. C h r.) bekräftigte Program m der erneuerten öffen tli­
chen O rd n u n g als kon stitu tio n eller W ied erh erstellun g republikanischer Legalität und werden an­
dererseits in Frage gestellt durch die dam it H and in H and gehende Befestigung und Verstetigung
der M achtstellu ng des Im perator C aesar Augustus. O h n e das zweite zu übersehen, rich tete sich
das H auptinteresse der durch M om m sens Staatsrecht inspirierten Forschung auf die Legalisierung
und am tsrechtlich e D efin itio n des Im perium d e s potens rerum omnium und dux reliquus sowie die
A ustarierung seiner am tlosen K om petenzen, Initiativrechte und Privilegien im Bereich domi. D ie
augusteische M o n arch ie als gesetzliche, durch Senats- und V olksbeschluss n orm ierte und begrenzte
und dadurch republikanisch kom m ensurable O rd n u n g gilt als das K ern stü ck des novus status, der
so zugleich res publica restituta ist. D a präzise staatsrechtliche und zeitgenössische Q u ellen hierzu
weitgehend fehlen, ist die R ekon stru k tion einer sogenannten ,Prinzipatsverfassung‘ zunächst im
W esentlich en auf die deklarativen W endungen der augusteischen res gestae, die späten und n ich t
im m er zuverlässig form u lierten Aussagen Cassius D io s und einige w ichtige und aufschlussreiche
Inschriften angew iesen3“, im Ü brigen a u f R ückschlüsse aus der ganzen, breit, aber selektiv und
zufällig d o k um en tierten p o litischen Praxis tier Kaiserzeit. D as staatsrechtliche V erständnis des
Prinzipats kann sich deshalb n ich t auf die rech tstech nische Auslegung eines feststehenden norm a­
tiven Verfassungsrahm ens beziehen; es b eru h t forschungspraktisch a u f der Interp retation unsyste­
m atischer und h auptsächlich n ich tju ristisch er A ngaben und h istorisch er Indizien über D atieru ng,
D auer, Fu nktion , Veränderung und reale Bedeu tu ng von K om peten zen , deren R eichw eite und
Begrenzung durch konkurrierende Befugnisse, Z ustim m ungsbedürftigkeiten oder den Zw ang der
p olitischen Verhältnisse und personalen G eg eb en h eiten .
29 M arcel-Henri Prevost, Les adoptions politiques ä Rom e sous ia Rcpubliquc et le Principat (Paris 1 9 4 9 ) 35ff.;
H erbert Nesselbauf, D ie Adoption des röm ischen Kaisers, in: Hermes 83 (1 9 5 5 ) 4 7 7 - 4 9 5 ; Wickert, Princeps
(wie Anm . 13) 2187ff.
Lex de imperio Vespasiani (IL S 2 4 4 ; vgl. Peter A. Brunt , Lex de imperio Vespasiani, in: J R S 6 7 [197/ ] 95ft.);
Kyrenc-Edikce (Johannes Stroux, L eopold Wenger, D ie Augustusinschrift auf dem Marktplatz von Kyrcne
[Abhandlungen der Kgl. Bay. Akademie der W issenschaften 34, M ünchen 1 928); tabula H ebana (Victor
Ehrenberg, Arnold El.M. Jones, D ocum ents illustrating the reigns o f Augustus and Tiberius [O xford 21976]
N r.3 6 5 ); tabula Siarensis (Julian Gonzalez, Tabula Siarensis, in: Z P E 55 [1 9 8 4 ] 55ft.); Senatus consultum de
Cn, Pisone patre ( Werner Eck, Antonio Caballos , Fernando Fernandez, Senatus consultum de C n . Pisone patre
[Vestigia 4 8 , M ünchen 1 9 97]). - S. auch die laudatio Agrippae des Augustus (P. Köln inv.nr. 4 7 0 1 ; vgi. Ludwig
Koenen , in: Z P E 5 [1 9 7 0 ] 2 1 7 ; Walter Ameling, in: C h iron 24 [1 9 9 4 ] Iff.)
140
D ieter T im p c
D ie authentische Form ulierung des Augustus (Aug. res gest. 3 4 ) klärt nur darüber auf, wie der
alt gew ordene M achthab er seine Position vor dem H in tergru nd röm ischer T rad ition , beharrlicher
A nsprüche und drängender H offnungen verstanden wissen wollte. D er Staatsakt von 2 7 v. Chr. und
die Folgeregelungen von 2 3 und 19 v.C h r. sollten den V erzicht auf die unbeschränkte und irre­
guläre, wenn auch m it dem consensus universorum begründete M ach t des Bürgerkriegssiegers de­
m onstrieren, und dessen seitherige Steilung charakterisieren durch D ifferen z wie Zusam m enw irken
der in republikanische Legalität und T rad itio n eingebundenen und begrenzten Am tsgew alt (potestas) und des W irk en s außerrechtlicher, aber durch einm aliges V erdienst gerechtfertigter, über­
ragender persönlich er auctoritas-1. D er viel erörterte, zum G rundgesetz des Prinzipats gesteigerte
Gegensatz und das dah in ter stehende p o litisch e K o n zep t sind verständlich und unstrittig32, w e­
niger ihr R ealitätsgeh alt; denn die ebenso form alistisch wie röm isch-konventionell (od er tradi­
tio n ell) gedachte Form el lässt die H errschaftspraxis w eitgehend offen: D as reale Fu nd am ent der
M ach t des Ersten M annes änderte sich n ich t, die rech tliche Ausgestaltung der H errschaft stand
auch für den Princeps selbst n ich t von A nfang an fest und gehorch te pragm atischen Bedürfnissen,
ihre O rgan isation kann aus seiner zw eideutigen Selbstbeschränkung33 n ich t abgeleitet werden. D ie
neue O rd n u n g blieb vor allem auf die Person des Princeps bezogen, sie war kein überpersönliches
und gar d y n astisch es,System 1 und kann deshalb kaum als »Verfassung4 b ezeich net werden.
D ie staatsrech tliche Analyse der augusteischen O rd n u n g b leib t den U n sich erheiten jed er h isto ri­
schen Interp retation ausgesetzt. S o ist strittig , o b das m ilitärische M ach tm o n o p o l seit 2 7 durch den
p erpetuierten K on su lat oder ein neu verliehenes Imperium proconsulare oder gar ein .nam enloses4
legitim iert war, ob die B efristung des Provinzialregim ents dem imperium militiae selbst oder den
Provinzen galt und ob die E in griffsm öglich keitcn des Augustus in senatorischen Provinzen sich
aus der übergeordneten K om p eten z des Konsuls oder einem konkurrierenden und - damals oder
später - erw eiterten prokonsularischen (imperium jnaius*) h erleiteten 3'1. D ie R egelungen von 23
und 19 m achten Augustus zum Prokonsul und im B ereich domi zum Inhaber eines imperium consulare; aber ihr M o tiv ist ungewiss; es kann in der K om pensation für die m it dem aufgegebenen
K on su lat verbundenen Initiativrechte oder im Bedürfnis nach einer den Prokonsuln überlegenen
31 Z .B . Ernst Schönbauer , Wesen und LTsprung des römischen Prinzipats (Untersuchungen zum römischen
Staats- und W irtschaftsreeht I), in: Z S R G (R A ) 4 7 (1 9 2 7 ) 2 6 4 ff. (2 8 8 ff.); Pierre Grenade , Essai sur les origines
du principat (Paris 19 6 1 ); Francesco d e M artino, Storia deüa costituzione romana, Bd. 4,1 (Neapel 196 6 ). D ie
abundante Literatur zur Begründung des Prinzipats und seinem Verständnis ist zuletzt verarbeitet und bespro­
chen bei F elkkm o Sermo, in: Storia di Rom a 2 ,2 (R om 1991) 29$.; Jo h n A. Crook, C A M 2X (1 9 9 6 ) 113ff.;
Kienast, Augustus (wie Anm. 22) 27 8 f f '6 7 ff.); Bleicken , Augustus (wie Anm . 2 2 ) 2 9 7 ff., 371 ff.; Francois Jacques,
Jo h n Scheid, D ie Struktur des Reiches (Rom und das Reich in der hohen Kaiserzeit 1, Stuttgart, Leipzig 1998,
franz. O rig. 31996) 1 5 fi, 33ff.; Bringm ann , Augustus (wie Anm . 2 2 ) 1 1 2 ff.
32 D ie außerrechtliche D eutung der auctoritas schon bei M ommsen (S tR 3, 1034fL). W äre auctoritas nicht
eine informelle, der potestas entgegengesetzte Einflussm öglichkcit, sondern sie m odifizierende Rechtsm acht
(Anton von Premerstein, Vom Werden und Wesen des Prinzipats [Abhandlungen der Bayerischen Akademie
der W issenschaften N.F. 15, M ünchen 1937] 176ff.; M ichael Grant, From Imperium to Auctoritas (Cam bridge
1 946] 80ff.; Andre M agdelain, Auctoritas principis [C ollection detudes latines 22, Paris 1947] 77ft.; dazu
W ickert, Princeps [wie Anm . 13] 2 2 8 8 ), ginge die Pointe der augusteischen Formulierung verloren.
33 Syme, Revolution (wie A n m .2 2 ) 3 2 2 : „Auctoritas has a venerable and imposing sound: unfriendly critics
would call it p o te n tia l
■
Vl Ebd. 314ft., 3 3 6 f i ; Wickert, Princeps (wie Anm . 13) 2 273ft.; Bleicken, Augustus (wie Anm. 2 2 ) 323ff., 3 4 5 if.;
Kienast, Augustus (wie Anm. 22) 27 8 , 367ft.; Klaus M. Girardet, Imperium ,mains', in: Fergus M illar u.a. (Flg.),
La revolution romaine apres Ronald Syme (Entretiens sur lan tiqu ite classique 4 6 , G en f 2 0 0 0 ) I6 7 ff., 189fF;
Bringm ann , Augustus (wie Anm. 2 2 ) 124ft.
M o d e r n e K o n z e p t i o n e n de s K a i s e r t u m s
141
A m tsgew alt im Im perium gesehen w erden, in dem klugen V erzicht a u f n ich t system konform e p o ­
testas, der freieren V erfügbarkeit über den K onsulat oder auch und vor allem in der Bew ältigung
einer H errschaftskrise. D as summi fastigii vocabulum der vollen tribuniciapotestas kann eine in die­
sem Z usam m enhang geborene .geniale Erfindung' oder eine A brundung bestehender Privilegien
sein, wenn es n ich t sogar aus trium viraler Z eit stam m te3’ . D ie Senatsbestätigung der tiberianischen
H errschaft m achte ,den P rinzipat“, ein Bü nd el von V ollm achten, durch Z usam m enfassung und
W ied erh o lu n g zu einer ein heitlich en G rö ß e oder sie war eine rech tlich überflüssige, der Absetzung
von M an ip ulation en der domus zuliebe gesuchte Geste.
D ie rechtsförm ige Ausgestaltung der H errschaft des Augustus und seiner N achfolger ist ein m ög­
licher G egenstand h istorisch er Forschung wie andere; M om m sens W irk u n g erklärt die ungew öhn­
lich e Intensität, m it der er behandelt worden ist, aber rech tfertigt n ich t die Einseitigkeit, m it der oft
die staatsrechtliche K o n stru k tio n des Princeps und seine ihr korrespondierende Selbststilisierung
zum A n gelpu nkt des Kaisertum s gem acht wurde. D ie kon stitu tion elle Form , in der Augustus das
m ilitärische M ach tm o n o p o l m it dem eh rerbietig gehegten republikanischen Erbe verband, sein
aus R ücksich t, M an ip ulation und Ind ienstnahm e gew ebter Gesellschaftsvertrag m it der senatorischen O ligarch ie und der durch W ied erh o lu n g gefestigte, G en eration en und Fam ilien überdau­
ernde Bestand der neuen O rd n u n g unter den Bedingungen des konstanten Z ustandes der röm isch
b eherrschten m editerranen W elt sind die Faktoren, deren stabilisierendes Zusam m enw irken
die Caesarenherrschaft erklären mag. D ie w eltfrem de Isolierung des ersten hat grundsätzlichen
W id ersp ru ch hervorgerufen, der gegen das unkritische Vertrauen in Form en und Form eln zu R ech t
an die Sch einh aftigkeit der kon stitu tio n ellen Fassade des Prinzipats erin n erte56. W o er sich zur
V erachtung für R echtsform en überhaupt steigerte, schärft er dagegen das Verständnis für den W ert
gesetzlich n o rm ierter M achtbegrenzu n g’’ '.
Forschungspraktisch ist von B edeu tu ng, dass die staatsrechtlich orien tierte Interp retation des
Prinzipats m it ihren eigenen m eth odisch en M itteln den kon stitu tio n ellen Form alism us relativie­
ren konnte. D ie Analyse rechtlich nicht fixierter Bestandteile der kaiserlichen Stellung, vor allem
der beanspruchten und zugestandenen singulären auctoritas oder personaler E h renelem ente, haben
das im K o n stitu tio n ellen grundsätzlich n ich t aufgehende Janusgesicht des Prinzipats verdeutlicht.
D er M an n, der sich m it dem rech tlich n ich t festgelegten B e g riff als princeps bezeich nete und den
Im p erato r-T itel als N am en führte, gewann tro tz penibel form u lierter V ollm achten zunehm end und
dauerhaft eine un kon trollierbare G esam tm ach t, die sich unter m agistratische A m tskom p etenzen
n ich t subsum ieren ließ. D er Prozesscharakter der Prinzipatsentstehung ließ die außerrechtlich e
Son derstellu ng der augusteischen M o n arch ie stärker h erv o rtreten , die tastend vorankom m ende
Tac. ann. 3, 56, 2 (vgl. Walter K. Lacey, Summi fastigii vocabulum. The Story o f a T itle, in: J R S 6 9 [1 9 7 9 ]
2 8 - 3 4 ) . Fernand de Visscher, La .tribunicia potestas1 de Cesar ä Auguste, in: Stud, ct doc. hist, et iuris 5 (1 9 3 9 )
l O l f i ; ßeranger, Rcchcrchcs (wie Anm . 13) 96ff.; Wickert, Princeps (wie Anm. 13) 22831}. (2 2 8 6 .genialer
G edanke“); de M artino, Storia (wie A n m .3 1 ) 149ff.; Bleichen, Augustus (wie A n m .2 2 ) 35 Iff’.; Jacques, Scheid,
Struktur (wie Anm. 3 1 ) 381.
So in Syme, Revolution (wie A n m .2 2 ) durchgehend und z.B. 321 (s. Bleickcn, Augustus [wie A n m .2 2 ] 6 9 6 ;
Girardet, Imperium [wie Anm . 34] 16811.; Uwe Walter, D er H istoriker in seiner Zeit. Ronald Sym e und die
Revolution des Augustus, in: Jö rg Spielvogel [H g.J, Res Publica Reperta. Z ur Verfassung und Gesellschaft der
röm ischen Republik und des frühen Prinzipats. Studien zum 75. G eburtstag von Joch en Blcicken [Stuttgart
2 0 0 2 ] 1 3 7 - 152, 1471.) und besonders R onald Syme, Rez. H einrich Siber, Das Führeramt des Augustus (1 9 4 0 ),
in: J R S 36 (1 9 4 6 ) 149ff. (~ Schmitthenner, Augustus [wie A n m .21] 15311'.).
Jochen Bleichen, Prinzipat und Republik (1 9 9 1 ), in: Gesam m elte Schriften, B d .2 (Stuttgart 1 9 9 8 ) 799ft.
(8 0 2 ); ders., Augustus (wie Anm. 22) 3726F.; D ahlheim , Kaiserzeit (wie Anm . 2 1 ) 1 3 f, 1 7 8 ff.
142
D ieter T im p e
E n tflech tu n g der überragenden A usnahm egestalt m it ihren vagen K o n tro ll- und Initiativrechten
und des konservierten republikanischen Exekutivapparates. Seith er stand der Inh aber des m ilitäri­
schen M a ch tm o n o p o ls dem tradition ell fu nktion ieren den G efüge des G em eindestaates gegenüber,
dem er doch zugleich als sein erster, privilegierter Bürger und Beschü tzer angehörte. Sch ließ lich
führte auch die genaue Prüfung der dem Prinzipat verbundenen Aura der T ite l, Begriffe und
V orstellungen, der sogenannten Prinzipatsideologie, zu dem Ergebnis, dass die Stellung des röm i­
schen M o n archen als ganze außerhalb des Staatsrechts ständ e3'.
D as vertiefte Verständnis der verfassungspolitischen Verschränkung von taktischer M ach t und
legitim ierender R echtsgestaltu ng, die in der frühen Kaiserzeit verschieden akzentu iert werden
ko n n te, aber n ich t w ieder grundlegend und aut D auer verändert worden ist, ließ die Stellung des
Princeps im G anzen n ich t m ehr in kon stitution ellen K ategorien aufgehen; sie kon n te nur noch
an tith etisch beschrieben oder aut ihre po litische In ten tio n und h istorisch e G enese h in interpretiert
werden. Als M erkm ale ihrer En tw icklun g waren unauffällige, aber sym ptom atische Verschiebungen
in der H errschaftspraxis und im H errschaftsstil zu b eo b achten oder die w echselnden dem onstra­
tiven Verhaltensm uster zu verfolgen, nach denen die K aiser om n ip oten tes Selbstbew usstsein h er­
auskehrten oder die Form en augusteischer H ö flich k eit w ahrten oder auch gerade dabei der
rücke
und H eu chelei geziehen wurden. D a h in ter trat die verfassungsgeschichtliche Elem entartrage zu­
rück, wie aus dem einm aligen K om plex personaler K on tin gen zen , fragiler M achtkon zen tration,
situ ation sbedin gter K om prom isse und verdeckter Spannungen eine H errsch aftsin stitu tion von
der G esch ich tsm äch tigk eit des röm ischen K aisertum s hervorgehen konnte. D ass eine w eitge­
hend p ersönlich e po litische Sch ö p fu n g, die nam enlose, schrittw eise ausgefeilte Stellung des
Bürgerkriegssiegers Augustus, zum U rbild m onarch ischer H errschaftsordnung wurde, dass die kon­
stitutive D isk o n tin u ität des Prinzipats nie beseitigt, aber die verfestigte, von der Fam ilie gelöste
C aesaren trad ition denn och zum Sym bol seiner K o n tin u itä t wurde, das wurde m ehr G egenstand
staunender Bew underung als h istorisch er Erklärungsversuche.
Von anderen A spekten des Kaisertum s, die sich vom Aufriss des M om m sensch en Staatsrechts
herleiten lassen, ist der w ichtigste die Beziehung des Princeps zum Senat ; auch h ier hat sich die
h istorische Forschung w eit von jenem A usgangspunkt en tfern t39. D ie V errechtlichung des Senats
ging viel w eniger w eit als die der M agistratur, aber alle V erfahren der Beschlussorgane C o m itia
und Senat sind auch m agistratische A kte. M om m sen hat dieser Zw eiseitigkeit dadurch R echn u ng
getragen, dass er die m agistratischen V erhandlungen m it Bürgerschaft und Senat der M agistratur
und den M agistraturen zuwies (S tR 1, 1 9 Iff. und die einzelnen M agistraturen, zum Prinzipat
2, 8 9 4 ) und im Senatsband (3 , 8 3 5 ff.) die Q u alifik atio n und R ech te der Senatoren sowie die
G eschäftsordnu ng des Senats und die von ihm verhandelten M aterien behandelte. D adurch wur­
den die Veränderungen der K aiserzeit einerseits unter den Prärogativen des Princeps (R e c h t der
Senatsberu fung, -leitung, A ntragstellung, Prüfung von R elatio n en ) und andererseits unter .Stellung
des Senats zum Kaiser' subsum iert. D o ch dem zu G u nsten des H errschers verschobenen „Verhältnis
form alen A usdruck zu geben wird im A llgem einen verm ieden“ (3 , 1 2 5 9 ); M om m sen b estim m t es
als kon stitu tion elles N eben - und M itein an d er des Prinzipats als einer n ich t-stetigen außerordent!s Für die ältere Forschung aufschlussreich: Schönbauer, Prinzipat (wie Anm . 3 1 ); zusammenfassend: Wickert,
Princeps (wie Anm . 13) 2 0 0 I f f Jacques, Scheid, Struktur (wie Anm. 31) 33ff.
N eben S tR 3, 8 3 5 fF.: Pierre G.H. Willems, Le senac de la republique romaine, 3 Bde. (Louvain 1 8 7 8 - 8 3 ) ;
A. O ’Brian Moore, senatus, R E Supp l.6 (1 9 3 5 ) 6 6 0 fF. - Peter Brunt, The role o f the senate in the Augustan re­
gime, in: C Q 3 4 (1 9 8 4 ) 423ft"; Fergus M illar, The Em peror in the Rom an W orld (London 1 9 7 7 ) 290ft., 341ft.;
RichardJ. A. Talbert, The senate o f Imperial Rom e (Princecon 1984).
M o d e r n e K o n z e p t i o n e n de s K a i s e r t u m s
143
liehen M agistratu r und des .ewigen“ Senats, „wobei aber die Kaisergew alt durchaus die stärkere ist“
( 3 ,1 2 8 2 ). D er M achtverlust des Senats und das Fehlen eines wirksam en p olitischen Gesam tw illens
des G rem ium s dem K aiser gegenüber ließen nur im m er wieder den eklatanten W id erspru ch zwi­
schen Verfassungstheorie und W irk lich k eit konstatieren; die fortbestehenden Fu nk tion en des
Senats wurden nur als R este seiner einstigen Bedeutung w ahrgenom m en. D iese Betrachtungsw eise
hat sieh lange behauptet und dem Senat als In stitu tio n w enig historisches Interesse eintragen kön­
nen. Erst die Erw eiterung der verfassungsrechtlichen Perspektive zur sozialgeschichtlichen hat die
B lick rich tu n g verschoben: vom K aiser als T eilhab er einer fo rm al-konstitu tionellen D yarch ie zum
K aiser als M itte der G esellschaft, vom Senat zu den Senatoren und dem ordo senatorius und vom
p o litischen Verfall der Institu tio n unter der M o n arch ie zum Verständnis des tatsächlichen sozialen
G efüges, in dem H errscher und Eliten in einer A rt - sich dauernd w andelnder - sozialer Sym biose
aufeinander verwiesen blieben.
D as U rteil des T acitus über die A bdankung der übriggebliebenen N obiles unter Augustus
(ann. 1, 2, 1) ist zu einseitig, um dem V erhältnis des ersten Princeps zum Senat gerech t zu wer­
den. Es war n ich t nur durch die M ach t des dux reliquus und servilen O p p o rtu nism u s des m ani­
pu lierten und korrum pierten Senats gekennzeichnet, sondern auch durch die R ücksich tn ahm e,
zu der unverändert großes Prestige, Herrschaftsw issen und soziale M ach t der alten und neuen
O ligarch ie den auf sie angew iesenen caesarischen Im perator n ötigten . D er Senat blieb - und
dies im E in klan g m it dem augusteischen R estitution sprogram m - Traditionsträger, m oralische
A u torität, Legitim ierungsinstanz und w ichtigster Ö ffen tlich keitsrau m für den Princeps, vor al­
lem aber unersetzliches Sam m elbecken p o litisch er K om petenz. G erade hilflose R acheexzesse sich
b ed roh t fühlender K aiser beweisen das (Suet. N ero 3 6 , 1; 4 3 , 1). E in e eigenständige dynastische
L eg itim ität ko n n te es für den Im perator dem Senat gegenüber n ich t geben; als Standesgenosse und
princeps senatus w ar er in den Senatorenstand eingebunden. In der Auswahl seiner Legaten, den
M öglich k eiten , ihre Loyalität zu sichern, und den M itteln , ihren direkten Einfluss a u f die Legionen
zu kom pensieren, em pfindlich beschränkt, h atte er gleichw ohl m it vielen capaces imperii als p o ten ti­
ellen Rivalen zu tun. W ar es eine Frage der Form und des Stils, wie zivil oder dom in an t ein Princeps
dem Senat und den Senatoren gegenüber auftrat, so verlangte die politische Praxis, w echselnde
G ruppierungen, Faktionen oder prom in en te Ein zeln e m it ihrer K lien tel und ihren A nsprü chen zu
befriedigen oder w enigstens zu neutralisieren und dies m it den personalpolitisch en Erfordernissen
der R eichsverw altung in Einklang zu bringen. Von der E in sich t und U m sicht, w elche die Principes
an diese schw ierigen A ufgaben w endeten oder zu w enden versäum ten, den Präferenzen, die sie hier
b eob ach teten oder auch den K on flikten , die sie riskierten, h in g das U rteil über ihre P ersön lich keit
und ihre H errschaft und n ich t zuletzt ihre memoria ab.
D o ch darf die latente W ettbew erbssituation, in der sich ein Im perator befand, auch n ich t über­
schätzt w erden; sie war unter norm alen Bedingungen und oh ne außen politisch e Belastungen durch
überlegene auctoritas, die auf der W ürde und M a ch t der Stellung, V erdienst und H erkom m en beru h ­
te, und taktvolles Verhalten zu bew ältigen. G efahren , die dem K aiser denn och vom Ehrgeiz senatorischer K o nku rrenten drohten , konnten durch ehrenvolle Beschäftigung, Avancem entsregelungen
und K o n tro lle gem ildert werden. D en ,K aiser herauszufordern“ (E go n Flaig), bed eutete keine
K lein igkeit (vgl. Jo s. bell. lud. 4 , 5 9 1 ; 6 0 2 L ; T ic . hist. 2, 7 4 , 2 zu Vespasian); der Princeps war kein
rex Nemorensis\ E n tsch eidend für das V erhältnis der Principes zum Senat waren aber die - anfangs
n ich t in ihrer Tragw eite erkannten - um fassenden kaiserlichen M öglichk eiten zur Form ieru n g des
Standes. „Für das W esen der augusteischen Verfassung ist kaum eine zweite Frage von so tie f ein ­
144
D ieter T im p e
schneidender Bedeu tu ng wie die des R echts der Besetzung der senacorischen Stellen “ (S tR 2, 9 3 7 ).
D ie R ech te, den latus clavus zu verleihen, der C o m m en d atio n , der A d lection und der ccn sorisch en
Q u alifikation sprü fun g erlaubten dem Princeps, die Z usam m ensetzung der K örperschaft so zu b e­
einflussen, dass eine geschlossene, politisch unabhängige W illensbild u n g des Senats n ich t zustande
kom m en konnte. D er Senat kannte weder organisierte Interessengruppen n o ch eine gem einsam e
program m atische Basis; er hatte keine M ö g lich k eit, eine .öffen tlich e M ein u n g' zu m obilisieren.
Ihn kennzeichnete weniger po litische und soziale K ohärenz als die ungeregelte, unter U m ständen
brutale K onkurrenz seiner (w ahrscheinlich zunehm end) h ierarchisch gegliederten A ngehörigen
und deren Faktionen. D as riskante T reiben der D elatoren und das G ebaren der A dulatoren und
G ü nstlinge verrät M achtkäm pfe und das hem m ungslose Streben ehrgeiziger A ufsteiger, die der
Princeps benutzen, dulden oder hindern k o n n te “’. D as 6V.v?»//interesse des Senats beschränkte
sich auf Traditionsw ahrung und Standesprivilegien. D esh alb hat es zwar viele U surpationen und
Verschw örungen gegen Principes gegeben, aber keine O p p o sitio n des Senats gegen den (endgültig
etab lierten ) P rin z ip a t'1.
D ie senatorische O b ersch ich t w ahrte ihren R a n g ; aber ihre grundsätzliche U nabgeschlossenheit
und das unveränderte Prinzip, dass ererbter sozialer R an g in ihr stets durch p olitische Leistung
bestätigt werden musste, kam en den Einflussm öglichkeiten des Princeps zugute. D ie Form ierung
durch den Kaiser, der der Senat unterlag, m achte ihn langfristig zum Instru m ent des Princeps,
zum D ienstadel, der un en tbehrlich war, aber die caesarische M on arch ie, solange sie ihre arkanen
Spielregeln b each tete, n ich t gefährdete; er durfte die T rad ition en und W erte der republikanischen
A ristokratie w eiter pflegen, weil sie je länger desto weniger zur einigenden p olitischen K raft wer­
den kon n ten . D ie G estaltu ngsfreih eit, die diese strukturelle Bed in gu n g den Principes in ihrem
Verhältnis zum Senat ließ, schien den Z eitgenossen und ihnen folgend der historischen Forschung
m eist größer als sie tatsächlich war, aber sie war groß genug, um der K on tin gen z des Personalen
einen system im m anenten Platz zu geben und rech tfertigt daher die biographische Beschäftigung
m it den Principes.
D as V erhältnis zwischen Princeps und Senat wurde durch M ach t und H andlungsspielraum des
H errschers und deren strukturelle Begrenzungen, durch sozialen W in d el und konstante Form en
geprägt. F^s ist seit M om m sens k o n stitu tio n eller B etrach tu n g in seiner V ielseitig keit anschaulicher
geworden, aber dadurch auch unter dem A spekt der H errsch aftsin stitution allein n ich t m ehr zu fas­
sen. Forschungspraktisch erschließen dieses Feld einzelne Zugänge: D ie system atische D arstellung
der ausgedehnten T ätigkeitsb ereich e und verstetigten A rbeitsw eise des Senats zeigt, wie das korp o­
rativ verfestigte und h ierarchisch gegliederte G rem iu m trotz des M achtverlustes seine zunehm en­
10 B arbara Levick, The Politics o f the Early Principate, in: Timothy P. Wiseman (Lfg.), Rom an Political Life
9 0 B .C .-A .D . 6 9 (Exeter 1985) 4 5 ff'.; Werner Eck, in: Storia di Rom a 2,2 (R om 1991) 7 3 f i (= ders., Die
Verwaltung des römischen Reiches in der Flohen Kaiserzeit, 2 Bde. [Basel 1 9 9 5/ 1998] I 103f i.); Keith Hopkins,
Graham Burton, Am bition and W ithdraw al. The Senatorial Aristocracy under the Emperors, in: Keith Hopkins,
D eath and Renewal (Sociological Studies in Rom an ITistory 2, Cambridge 1 9 8 3 ) 1 2 0 - 2 0 0 ; Steven H. Rutledge,
Imperial Inquisitions. Prosecutors and Informants from Tiberius to D om itian (London 2 0 0 1 ).
11 M aria H. Dettenhofer, H errschaft und W iderstand im augusteischen Principat (H istoria Einzelschriften 140,
Stuttgart 2 0 0 0 ); R ichard A. Baum an, Impietas in principem. A Study of Treason against the Rom an Emperor
(M ünchener Beiträge zur Papyrusforsehung und antiken Rechtsgeschichte 67, M ünchen 1 9 7 4 ); Ursula Vogel-
W eidemann, The opposition under the Early Caesars, in: Acta elassica 22 (1 9 7 9 ) 9 Iff.; K arlheinz Dietz, Senatus
contra principem . Untersuchungen zur senatorischen O pposition gegen Kaiser Maxim inus Thrax (M ünchen
1 980); O pposition et resistances a {’Empire d’Auguste ä Trajan (Entreticns sur I’antiquitc classique 33, G en f
1 9 8 6 ); Kurt Raajlauh, O pposition to Augustus, in: R aajlaub, Toher, Republic (wie Anm. 2 2 ) 417ft.
M o d e r n e K o n z e p t i o n e n de s K a i s e r t u m s
145
den adm inistrativen, juristischen und repräsentativen Fu nk tio n en m it, neben und abhängig von
der kaiserlichen ,R ich tlin ien ko m p eten z' ausübte. D ie Institu tion war dadurch für den Prinzipat
so un en tbehrlich , wie ihre M itglied er austauschbar'*'. D ie prosopographische Forschung hat die
Z usam m ensetzung des Senats und die V erw endung der Senatoren , besonders auf- der konsulari­
schen Rangstufe, erfasst, ihre sieh verändernde H erkunft, K arrierechan cen und Avancem entsregeln
und dam it den A ufstieg neuer, herrschaftsloyaler Kader statistisch sichtbar gem acht, die durch
V erw andtschaft, H erkunft und Patronage gestifteten Zusam m enhänge gegen die w achsende kaiser­
lich e R eglem entierung abgew ogen. H ier hat eine sich verselbstständigende Forschungsrichtu ng die
w eitesten m ateriellen Erkenntnisse erzielt'1'. Interm ediäre Instanzen, der kaiserliche H of, die am id
und das consilium prindpis lassen die regulierte V erflechtung m it der p olitischen Führungsschicht
ebenso erkennen wie die D istanzierung des Princeps von der G esellschaft, der er an geh ört'H. D ie
Interaktion des Princeps und der p olitischen Eliten wird dam it, vor allem sozialtypisch, durch­
schaubar, wenn auch die Entscheidungsprozesse im kaiserlichen C on siliu m m eist undurchsichtig
b le ib e n 0 .
W eniger deutlich ist der Einfluss, den M o b ilitä t oder Im m o b ilität des Kaisers a u f seine Beziehung
zum Senat h atten: Ständige Präsenz in R om muss sich a u f den G eschäftsgang und die gesellschaft­
lichen K o n tak te anders ausgewirkt haben als wenn der Princeps wie T ib eriu s in selbst gew ählter
Isolierung, wie H adrian au f ausgedehnten R eisen oder wie Trajan und M arc Aurel w ährend jah re­
langer Feldzüge abwesend war'10.
D er B eschreibung der T ätigkeitsb ereich e und Funktionsw eisen des Senats stehen heute
G esam tdarstellungen der kaiserzeitlichen Sozialgesch ich te gegenüber '7, den verfassungsm äßig kon-
*2 Talbert , Senate (wie Anm. 39).
r' Repräsentative Beispiele: R onald Syme, The Augustan Aristocracy (O xford 1 9 8 6 ); Werner Eck, Senatoren von
Vespasian bis Eladrian (M ünchen 1970); Geza Alfoldy, Konsulat und Senatorenstand unter den A ntoninen.
Prosopographische Untersuchungen zur senatorischen Führungsschicht (B on n 1 9 7 7 ); H elm ut H alfm ann,
D ie Senatoren aus dem östlichen Teil des Imperium Rom anum bis zum Ende des 2 .Jahrhunderts n.C hr.
(H ypom nem ata 58, G öttingen 19 7 9 ); Paulus M. Leunissen, Konsuln und Konsulate in der Z eit von Com m odus
bis Severus Alexander ( 1 8 0 - 2 3 5 n. C hr.) (Amsterdam 1989). - Zur M ethode: Arnaldo M omigliano, Rez. Ronald
Syme, T ie Roman Revolution (1 9 4 0 ), in: Schmitthenner, Augustus (wie Anm . 2 1 ) 145E; Willem den ßoer, Die
prosopographische M ethode in der modernen H istoriographie der hohen Kaiserzeit, in: M nem osvnc 2 2 (1 9 6 9 )
2 68ft.; A J. Graham, The Lim itations of Prosopography in Rom an Imperial History, A N R W II 1 (1 9 7 4 ) 1 3 6 ff.;
Werner Eck (H g.), Prosopographie und Sozialgeschichte. Studien zur M ethodik und Erkenntism öglichkeit der
kaiserzeitlichen Prosopographie (K öln u.a. 19 9 3 ); Dablbei?n , Kaiserzeit (wie A n m .2 1 ) 1 9 6 fl.
41 R obert Turcan , Vivre ä la court des Cesars. D A uguste ä D iocletien (C o llectio n detuties anciennes [Serie laeine] 57, Paris 1987); Andrew WallaceAEadrill, The imperial court, C A H ~X (1 9 9 6 ) 283fE ; Aloys Winterling
( H g.), Zwischen H a u s1und ,Staat'. Antike Höfe im Vergleich (H Z Beihefte N F 23, M ünchen 1 9 9 7 ); ders., Aula
Caesaris. Studien zur Institutionalisierung des römischen Kaiserhofes in der Z eit von Augustus bis Com m odus
(M ünchen 1999). - Jo h n Anthony Crook , Consilium Principis (Cam bridge 195 5 ). - PaulR.C. Weaver, Familia
Caesaris. A social Study o f the Emperor's freedmen and slaves (Cam bridge 197 2 ).
n Werner Eck, D er Kaiser und seine Ratgeber, in: Ders., Verwaltung (wie A n m .4 0 ) U 3ft. (= C A H X I [2000]
195ft. und in: Anne K olb (H g.), H errschaftsstrukturen und Herrschaftspraxis. Konzeption, Prinzipien und
Strategien der A dm inistration im römischen Kaiserreich [Berlin 2 0 0 6 ] 67ft.).
'*6 Vgl. H ebnut H alfm ann, Itinera principum. G eschichte und Typologie der Kaiscrrciscn im Röm ischen Reich
(Stuttgart 1986).
■’ Jea n Gage , Ees classes sociales dans l’empire romain (Paris 1 9 64); G eza Alfoldy , Röm ische Sozialgeschichte
( 3 .völlig überarb. Aufl., Stuttgart 1984); ergänzend ders., Die röm ische Gesellschaft. Ausgewählte Beiträge
(H eidelberger althistorische Beiträge und epigraphische Studien 1, Stuttgart 198 6 ); Ramsay M acM ullen ,
Rom an Social Relations 50 B.C . to A .D . 2 8 4 (New Haven ' 1 9 76); Friedrich V ittingboff (Hg.), Europäische
146
D ieter T im p e
stanten H an dlun gsleid em und M ech anism en der Institu tio n also die B eschreibung des gesellschaft­
lichen Lebenszusam m enhanges im G anzen, w ährend der Princeps in seiner um fassenden R olle als
P artner und Gegenspieler, M itglied und Herr, Auftraggeber und M o d erator der p olitischen E lite
nur im R ahm en seiner Leitungsfrm ktion im G anzen gew ürdigt worden ist'15.
S ch ließ lich hat sich der B lick aut die eigentliche M achtbasis der C aesarenm onarchie, auf den
Kaiser als R eichsh errsch er und Imperator, an M om m sens Staatsrechtssystem atik orien tiert und
geschärft, aber gleichfalls auch davon w eit entfernt. D ie M ach t des Bürgerkriegssiegers über die
Legionen zu legitim ieren, zu verstetigen und zu begrenzen und in dieser Form dem dtix reliqitus
zu überlassen, der gleichzeitig den M echanism us der R epu blik feierlich erneuerte, respektierte, be­
schützte, beherrschte und m anipu lierte: D as war einerseits der reale Kern des p olitischen Systems
des Augustus und andererseits der leitende, an der Achse des imperium orien tierte Systemgedanke
von M om m sens R ech tsko n stru ktio n . Es war der w ohltätige, kluge und friedenssichernde historische
Kompromiss und zugleich die größte 'Zumutung an den p olitischen common sense der Z eitgenossen
ebenso wie der N achlebenden.
M it der Erfindung des Prinzipats wurden w ichtige Strukturprin zipien des w eltbeherrschenden
Stadtstaats verstetigt und in der Person des caesarischen Im perator-Princeps zusam m engebunden:
D as N eben ein an d er von B ü rgerbereich, den überlegene auctoritas lenkte, und Provinzenim perium ,
das der Im perator m it 3 0 Legionen zusam m enhielt, das M itein an d er von H eereskom m ando und
territorialem A ufsichtsregim ent über städtische Selbstverw altu ngseinheiten beim Inhaber des im­
perium proconsulare oder seinen Legaten, und die Ergänzung kom m unaler Selbststän digkeit durch
fallweises Eingreifen patronaler Fürsorge und Regelung. D azu diente die m it Augustus langsam
beginnende und sich allm ählich verfestigende und verdichtende adm inistrative und juristische
,R eichsverw altung‘, die im consilium prinäpis, in den röm ischen Z en tralb eh örd en m it ihrem rit­
terständischen Personal und in deren kaiserlicher L eitun g zusam m enlief'; sie sum m ierte sich aus
Ed ikten und M andaten sowie den Einzelfallentscheidungen und stützte sich dabei a u f den Apparat
von K anzleien und Registraturen w. D er praktische Vollzug dieser Form von H errschaft und vor
allem der A n teil persönlich er Initiative des Princeps sind schw er zu b eu rteilen, erzeugten aber jen e
W olke aus D ank barkeit, Verehrung und H uldigung, die die V erbindung von .K aiser und R eich “
eindrucksvoll veranschaulicht und zugleich verdunkelt. D er K aiser musste sich als Im perator durch
Leistung legitim ieren und die Legionäre befrieden und an sich binden, den Senatoren m it aller
K lu gh eit ihre alten Betätigungs-, Bew ährungs-, Bereicheru ngs- und A u fstiegschancen lassen, aber
ihrem Egoism us, M achthu nger und Patronsehrgeiz G renzen setzen, für die Italiker und alle Bürger
diesen M echanism us m ateriell und ideell attraktiv, einleuchtend und aussichtsreich m achen, den
Provinzialen als um fassender W o h ltäter p räsentiert werden und bei alldem für seine und seines
Hauses Sich erh eit und Z uku nft sorgen, aber dies als selbstlosen D ien st am Staatsw ohl erscheinen las-
W irtschafts- und Soziaigeschichte in der römischen Kaiserzeit (H andbuch der europäischen W irtschaft:;- und
Soziaigeschichte 1, Stuttgart 1990).
|SM illar, Emperor (wie Anm . 39) 275tf.; in der Perspektive des Senats: Talbert, Senate (wie Anm . 3 9 ) 341 ft.
i9 Beim Fehlen neuerer Gesamtdarstellungen s. die Ü berblicke von Werner Eck, D ie staatliche A dm inistration
des Röm ischen Reiches in der hohen Kaiserzeit. Ihre strukturellen K om ponenten (1 9 8 9 ), in: Ders., D ie
Verwaltung des römischen Reiches in der H ohen Kaiserzeit, 2 Bde. (Basel 1 9 95/ 1998) I Iff.; ders., D er Kaiser,
die Führungsschiehten und die A dm inistration des Reiches (von Vespasian bis zum Ende der antoninischen
D ynastie), in: ebd. II 3ff. (= C A H X I [2 0 0 0 ] 195ff.); Kolb, H errschaftsstrukturen (wie Anm. 4 5 ), hier besonders
die einschlägigen Beiträge 65fr. und 165ff.; Frank M. Aiisbüttel, D ie Verwaltung des römischen Kaiserreiches
(D arm stadt 1998).
M o d e r n e K o n z e p t i o n e n de s K a i s e r t u m s
147
sen. D en ihm dabei zur Verfügung stehenden H andlungsspielraum , der A u ßenstehenden m ärchen ­
haft, wenn n ich t g o ttäh n lich groß vorkam , beschränkten in der R ealität Sachzw änge, Selbstbind ung
und begrenzte personelle oder sachliche M ö glichk eiten sowie die eigene B efan gen h eit des
H errschers in C h arakteranlage und K on ventionen, schließ lich auch die natürliche Einsam keit jedes
M o n archen und das Fehlen aller gedanklichen D u rch leu ch tu n g des Systems.
A u f diese Fülle n ich tn o rm ierter A nforderungen und system im m anenter Beschränkungen an t­
w orteten die K aiser so verschieden, wie sie als Personen nun einm al w aren: aktiv, w eitsichtig, b e­
m üht, defensiv oder leichtfertig, einsichtslos, destruktiv, ausw eichend. D o ch b oten dazu n ich t alle
G eb iete des kaiserlichen R eichsregim ents in gleichem M aße Anlass und G elegen heit. N eben ande­
rem, wie dem V erhältnis zum ordo senatorius im A llgem einen, sind w ohl besonders das H eerw esen,
die G ren z- und .A u ß e n p o litik “, im 3 .Ja h rh u n d ert die R eligio n sp olitik sowie der Bereich personeller
Entscheidungen die Felder, die durch G estaltu ng sfreih eit der Im peratoren entscheidend geprägt wa­
ren. Das Im perium ko n n te m eistens nach persönlichem Erm essen gem äß der M a x im e plura consilio
quam vi oder auch m it aggressivem M achteinsatz gesichert w erden, wenn auch die vorauszusetzen­
den Entscheidungsprozesse selten zu durchschauen sind. E in d rü cklich e Beispiele dafür bieten die
A bb eru fu ng des G erm anicus im Jah re 16 n. C hr., der W echsel von T rajan zu H adrian oder von M arc
Aurel zu C om m odus. Für einige B ereich e gab es auch ein ausgeprägtes Bew usstsein der einschlä­
gigen H errscheraufgaben, so für m ilitärische Fiihrungsqu alität und die Pflege der H eeresklientel,
die n otfalls aktiviert werden musste, für das notw end ige gesellschaftliche G esch ick und die Kunst
der Selbstdarstellung auf allen E b enen und für das Erford ernis ausgedehnter D etailkenn tn isse, vor
allem enorm er Personenkenntnisse, oder für differenziertes (n äm lich teils hervortretendes, teils
verbergendes) repräsentatives und patronales A uftreten. A ndere T ätigkeitsfeld er gew annen (aus
o bjektiver N otw en d igk eit oder K on tro llb ed ü rfn is) eine verhältnism äßig personenunabhängige,
sachorien tierte adm inistrative Selbstständigkeit, so in der Provinzverw altung, in Finanzw esen und
Ju stiz, in der kaiserlichen H o f- und H ausverw altung und den Z en tralbü rokratien .
M it diesen Stich w o rten sind H au ptbereich e des kaiserlichen R eichsregim ents angedeutet
und dam it die ihnen geltenden Forschungsfelder: die Provinzverw altung im A llgem einen und
die kaiserliche Ju d ikatu r, die O rgan isation und R egierung der einzelnen Provinzen, ggf. m it der
K o n tro lle ihres V orfeldes m it dessen besonderen geographischen und h istorischen Bedingungen,
Verwaltungszweige, Truppengattungen und T rup pen körper5“. L än gssch n itte durch die T eilbereiche
kaiserlicher Regierungsaufgaben arbeiten generelle Tendenzen heraus (z.B. die H om ogen isieru n g
und V erdichtung der Verw altung oder M odifikationen der R ekrutierungspraxis), lassen so lang­
fristige Entw icklungen der im perialen H errschaft erkennen und sie m it sozialgeschichtlichen
Veränderungen - und eventuell kaiserlichen G rundsatzentscheid ungen - syn chronisieren 5'. D ie
'" Jacques, Scheid, Rom (wie A n m .3 1 ) 53fL; Eck, Kaiser (wie A n m .4 9 ) 3ff. - Joh n M. Kelly, Princeps iudex
(W eim ar 1 9 57): Tony hlonore. Emperors and Lawyers (London 1981); Richard A. Bauman, Lawyers and
Politics in the Early Rom an Empire (M ünchen 1989). - J. Brian Campbell, 'I he Em peror and the Rom an Army31 B .C .-A .D . 235 (O xtord 1984): Graham liebster, The Roman Imperial Army (London '1 9 8 5 ): Yann L e
Bohec, D ie römische Armee. Von Augustus zu Konstantin dem G roßen (Stuttgart 1993, franz. Original 1990);
Geza A lßldy u.a. (H g .), Kaiser, H eer und Gesellschaft in der röm ischen Kaiserzeit (Stuttgart 2 0 0 0 ); Dennis B.
Saddington, The Developm ent of the Roman Auxiliary Forces from Caesar to Vespasian (4 9 B .C .-A .D . 7 9 )
(Llarare 1982).
>! Vgl. Peter Garnsey, R ichard Sailer, Das römische Kaiserreich (R einbek 1989, engl. Original 1 9 8 7 ) 3411.; Eck,
Kaiser (wie A n m .4 9 ) Iff.: Giovanni l-'orni, 1! recrutarnemo deile legioni da Augusto a D iocleziano (Mailand
19 5 3 ); ders., Estrazione etnica e sociale dei soldati delle legioni, A N R W II 1 (1 9 7 4 ) 3391F.
D i e t e r I 'i m p e
148
prosopographische Forschung fü llt diesen R ah m en m it personeng eschich tlich er A nschauung und
gew innt daraus idealiter ein Bild vom Z usam m enhang der p olitischen Eliten und ihrem fu nk tion ei­
len Zusam m enw irken im R ahm en des im perialen Systems.
D ie G esam theit der Bereiche, in denen das Im perium des Princeps zur G eltu n g kam , unterlag
keiner inten tion alen Steuerung. M ilitärisches M ach tm o n o p o l und .A u ß en p o litik “, Verw altung
und E n tw icklun g der Provinzen, adm inistrative und ju ristische Einzelentscheidungen, Auswahl
der Funktionsträger, B ü rgerrech tspolitik und kaiserliche Euergcsie ergeben einen K om plex von
H errschaftspraxis, aus dem die Leitungstätigkeit des Im perators n ich t w eggedacht w erden kann, der
aber aus kaiserlicher A ktivität allein n ich t abgeleitet werden kann und deshalb in Fu nk tion en des
K aisertu m s n ich t m ehr aufgeht. Personal zurechenbares Regierungshandeln wurde und wird in der
Regel als A usdruck subjektiven Erm essens verstanden und den B iograph ien der P rincipes zugeordnet
(m arkanteste Beispiele sind U m schlagen des Verhältnisses zum Senat, außenpolitische Kursw echsel
und im 3 .Ja h rh u n d ert die R elig io n sp o litik ), w obei der M aßstab oft unsicher b leibt. Endpunkte
bilden da einerseits die R atlosigkeit vor dem U nverständlichen (S tich w o rt: ,Caesarcnw ahnsinn‘),
andererseits die R eh abilitierun g der (w irklich oder angeblich) M issverstandenen (z.B. der T iberiu s,
Claudius, D o m itia n als so g e n a n n ter,tü ch tig er Reichsverw alter*)12. Schw er fassbar b leib t bei solcher
A rbeitsteilu ng zwischen subjektivem und objektivem Regierungshandeln die der Ö ffen tlich k eit
entzogene und dem A rgw ohn schon der Z eitgenossen ausgesetzte Entscheidungsfindung im kaiser­
lichen C on siliu m , die Einschätzung der hier wirkenden M otiv e und K riterien oder die A bgrenzung
zwischen Sachzw ängen
und H andlungsfreiheit, vornehm lich wieder in der Personal- und
A u ßen p o litik. Ins m eth odisch e N iem andsland fällt auch die generelle Frage, ob die A usübung kai­
serlicher H errschaft überhaupt von anderen als nur von ko n ventionell-trad itionalen Leitgedanken
geprägt war. In den Krisen der U surpationen, Bürgerkriege, H aus- und Sukzessionskonflikte fiel sie
offenb ar w ie eh und je a u f das nackte Interesse an Selbstbeh auptun g und das Bestreben, K lien telen
und M ach tm ittel zu m obilisieren, zurück.
D ie bisher um rissenen m odernen A nschauungen über das K aisertum lassen sich, zum al aus zeit­
lichem A bstand betrach tet, auf M om m sens P rinzipatskonzeption zurückbeziehen, auch wo sie
sich von diesem Ausgangspunkt deutlich en tfern ten. E in m ächtiger Forschungszusam m enhang
h at sich h ier zwar w eit aufgefächert und reicht in seinen Verzweigungen bis in die G egenw art,
aber er gib t doch eine gewisse Färbung durch kon stitu tio n ell geprägtes D en ken und seine ur­
sprüngliche A ffin ität zum bürgerlichen Verfassungsstaat im m er n och zu erkennen. In M om m sens
E n kelgen eration, der E p o ch e der W eltkriege, treten dagegen neue, unabhängig von den bisherigen
entw ickelte Auffassungen der kaiserlichen Stellung daneben, die, so verschieden sie untereinander
sind, auch ihrerseits einen zeittypischen Z usam m enhang verraten.
III
K on zep tio n ell neue W ege eröffn ete es vor allem , die gesellschaftliche M acht des großen G efolgsherren
als Basis des Prinzipats zu b eto n en . M atthias G eizer h atte 1 9 1 2 die von ihm so genannten ,N ahund Treuverhältnissc', das N etz sozialer V erpflichtungen zw ischen Patron und K lien ten und zwi­
schen p olitischen Freunden als die Voraussetzung der N o bilitätsh errschaft erkan nt und beschrie-
s,! Aloys Winterling, Cäsarenwahnsinn im alten Rom , in: Jahrbuch des H istorischen Kollegs (2 0 0 7 ) 1 1 5 ft.
(D arstellung des Forschungsscandes 1 1 8 ff).
M o d e r n e K o n z e p t i o n e n de s K a i s e r t u m s
149
b en x\ E r berief- .sich seinerseits a u f N um a D en is Pustel de C oulanges, der Kir die verschiedenen
V erpflichtungsbeziehungen unter G leich en wie U ngleichen den Begriff ,Patronat' eingeführt
hatte. P olitisch e A useinandersetzungen in der R ep u b lik waren danach auch R ivalitätskäm pfe
um K lien telen und A nhängerschaften. D ieser Kampf- gewann m it den w achsenden M itte ln des
Im perium s im m er größere D im en sion en , nahm die W affen des Bürgerkrieges in D ienst und endete
n ich t nur m it der Zusam m enfassung der m ilitärischen M acht, sondern auch der K on zen tration der
G efolgschaften in einer H and.
A n to n von Prem erstein b eto n te dann die gesellschaftliche M acht des großen dux und Patrons
n ich t nur als die Voraussetzung, sondern auch als die a u f D auer entscheidende G rundlage der kai­
serlichen H errschaft, die deshalb in juristischen K ategorien n ich t zu fassen w äre-'. In der früheren
Forschung war die d om inierende soziale Position des Princeps zwar n ich t übersehen, aber als fak­
tische Bedin gun g seiner kon stitution ellen Stellung den Fragen der staatsrechtlichen Regulierung
n ach geordn et worden. Von Prem erstein zog deshalb weniger einen übersehenen Sachverhalt ans
L ich t, als dass er die P rio rität der Erkenntnisinteressen veränderte, einen - freilich n och n ich t konse
quent du rchgefü hrten - Paradigm enw echsel ein leitete, wenn er „die soziale und p olitische Stellung
des Princeps als [die] eines großen G efolgschaftsführers m it ihren außerhalb des republikanischen
Staatsrechts liegenden Bindungen und Sicherungen“ beschrieb” . D en n in bew usstem G egensatz zur
kon stitu tio n ellen S ich t unterstrich er, dass im P rinzipat n ich t „die Person für das A m t, sondern das
A m t für die Person da ist“, und rech tliche K om petenzen nur einen Ü berbau über der tatsächlichen,
auf Vertrauen, A nsehen und Einfluss beruhenden sozialen M a ch t darstellten (1 3 ). D er Treueid der
H eere, der G efolgschaftseid für den Trium vir und der daraus entw ickelte K aisereid hätten nach
von Prem erstein neben einem gesetzlichen allgem einen Schutzauftrag sowie der rechtsförm igen
Ausübung der kaiserlichen auctoritas die eigentliche M achtbasis des Augustus konstituiert. Das
Z usam m enw achsen von Senat und Legionen, Bürgerschaft und R eichsbevölkerung in gem einsa­
m er G efolgschaftsloyalität sei deshalb auch der entscheidende Faktor in Sukzessionskonflikten und
Bürgerkriegen gewesen. Aus dieser M achtgrund lage leitete der H istoriker die E ingriffsm öglichkeiten
des Princeps ab, die folglich verfassungsrechtlich n ich t zu präzisieren wären. D ie staatsrechtliche
B etrach tu ng des Prinzipats sieht sich seither in die D efensive gedrän gt'*. Es zeichn et sich eine unglei­
che, eher ko n zeptionell als em pirisch begründete W ertung der P olarität von rech tlicher Form und
sozialer R ealität ab; sie en tsp rich t dem Schem a von Basis und Ü berb au , wahrer W irk lich k eit und
verhüllendem Sch ein . U nd der „lange Sch atten “ M om m sens zeigt sich auch da überall, wo seither
die Analyse der gesellschaftlichen M ach t des Princeps ein hergeht m it der kom plem entären apologe­
tischen V ersicherung, dass der Prinzipat juristisch n ich t zu definieren sei, oder wo Bem ü hungen, die
''M atthias Geizer, D ie N obilität der römischen Republik [1 9 1 2 ], in: Ders., Kleine Schriften, 3 Bde. (W iesbaden
1 962) 1 17ff'.
Vi Anton von Premerstein , Vom Werden und Wesen des Prinzipats (Abhandlungen der Bayerischen /Ykademie
der W issenschaften, Phil.-hist. Klasse N.F. 15, M ünchen 1937).
^ Dies im H inblick auf von Premersteins Versuch, eine cum et tntela rei publicne universa als ,staatsrechtliche
G rundlage des Prinzipats* neben der .soziologischen1der kaiserlichen G efolgschaft zu postulieren; s. dazu Sy?ne,
Rez. Siber (wie Anm . 3 6 ) 153f.
>c' Vgl. Heinrich Siber , Das Führeramt des Augustus (Abhandlungen der sächsischen Akademie der
W issenschaften, Phiiol.-hist. Klasse 4 4 , 2, Leipzig 1940) 7h: Es „mag zuzugeben sein, dass solche [seil, soziolo­
gischen Erscheinungen] für die allgemeine politische G eschichte wichtiger sein können als Staatsrecht und dass
dies auch von den soziologischen Grundlagen des Prinzipats gilt...“
150
D ieter T im p c
m onarchische H errsch ah als R echtsord nu ng zu verstehen, als aussichtslos oder gar verfehlt beu rteilt
werden, w'eil sie gegenüber der p olitischen und sozialen W irk lich k eit irrelevant seien.
H ier sind auch die w eitreichenden Folgerungen anzuführen, die R ichard H einzc 1 9 2 5 , und an­
dere nach ihm , aus einem epigraphischen Z ufallsfund zogen1 . A n to n von Prem erstein hatte in dem
berühm ten augusteischen G egensatz von A m tsgew alt (potestas) und auf persönlichem A nsehen
beruhendem gesellschaftlichen Einfluss (aber das lateinische W o rt dafür ist im Monumentum
Ancymnum n ich t erhalten) statt des von M om m sen erschlossenen dignitas das richtige W o rt auc­
toritas aus dem Monumentum Antiochenum ergänzen k ö n n en ’ 5. D er authentische Begriff erhellte
n ich t nur die augusteische Selbststilisieru ng, die das überragende Prestige des einzigartigen Siegers,
Friedensbringers und m onarch ischen Im perators m it dem A nspruch auf gcschichtsbew usste und
traditionstreue republikanische K orrek th eit in der aparten Form el verknüpfte. D as Schlüsselw ort
auctoritas sollte nach H einzes als grundlegend anerkannter U ntersuchung sogar „uns w irklich die
W urzeln dieser einzigartigen Institu tio n [des Prinzipats] autdecken“’9; gem eint ist dam it die am tlo ­
se M ach t der rech tlich n ich t zu fassenden, a u f A nhänger und A nerkennung gestützten und in tätige
politische Einflussnahm e um gesetzten gesellschaftlichen .A u to rität“. Es scheint jed o ch fraglich, ob
die etym ologische und sem antische Analyse des röm ischen W o rtes die u nterschiedlichen, verschie­
den ausgeübten und sich w andelnden inform ellen E influssm öglichkeiten der P rincipes, die zunächst
für sich untersucht werden müssen, aus einer .W urzel“ erklären kann. E h er verdrängt dieser Versuch
die nötigen D ifferenzierungen und die n ü chterne B etrach tu n g der H andlungsbedingungen des em ­
peror a t work. D ie Ü berdeh n un g des rfHc/orifezi-Begriffes in R ich tu n g auf das W eb er’sche Charisma
w eist aber w ohl a u f gewisse zeitgenössische V orstellungen von p olitischer A u torität (als freiw illig
anerkannter, irrationaler und für exzeptionell gehaltener p o litisch er Führungsqualität und m it ihr
gerech tfertigter M achtausübung oh ne kon stitu tio n elle K o n tro lle) voraus.
D ie kaiserliche auctoritas ist aber auch als eine ju ristisch d efinierte Befugnis gedeutet worden,
unter Berufung a u f die spezifische auctoritas des republikanischen M agistrats, seine A m tsautorität,
und das kaiserliche Privileg für röm ische iuris consulti, ihre R espon d enten tätig keit ex auctoritate
principis auszuüben (D ig . 1, 2, 2, 4 9 ). D ie auctoritas des Princeps wird dann als die Bezeichnung
der ihm vom Sen at verliehenen um fassenden R cgelungskom p etenz verstanden oder als eine sich
allm äh lich zur In stitu tio n verfestigende Erm ächtigu ng, die sich aus seiner zunächst nur persön­
lichen A u torität en tw ickelte60. D ie engere Spezialbedeu tung trägt aber dem V erhältnis zwischen
A m tsgew alt und p ersönlichem Einfluss n ich t R ech n u n g ; sie postu liert eine überflüssige herrscher­
liche K om petenz, die aus den Q u ellen n ich t h in reich en d begründet werden kann. Auctoritas ist der
A usdruck für das überragende Prestige und die gewaltige A u torität des Princeps; pejorativ gesagt
ist e s potentiac'{.
In den 3 0 e r Jah ren w ächst die N eigung, das als um fassend und undefinierbar verstandene und im
augusteischen Selbstzeugnis authentisch form u liert gefundene W irken der kaiserlichen auctoritas
positiv zu bew erten, ja , ihm eine, für die G estaltu ng auch des m odernen staatlich -politisch en Lebens
' Richard Heinzc, Auctoritas (1 9 2 5 ), in: Ders., Vom G eist des Röm ertum s (3. erw. Aufl., Darm stadt 1960) 4 3 ff.
,s Anton von Premerstein, Zur Aufzeichnung der Res gestae D ivi Augusti im pisidischen A ntiochia, in; Hermes
5 9 (1 9 2 4 ) 95ff., 103ff.; W illiam M. Ramsay, Anton von Premerstein , Augustus. M onum entum Antiochenum .
D ie neu aiif-gchmdene Aufzeichnung der Res gestae divi Augusti (K lio Beiheft 19, Leipzig 1 9 2 7 ) 9 6 f.
H e im e , Auctoritas (wie Anm. 57) 49.
60 Siehe Anm. 32 und Wolfgang Kunkel, Rez. Andre Magdelain, Auctoritas principis (1 9 5 3 ), in: Ders., Kleine
Schriften (W eim ar 1974) 587ff.
61 Paraphrasiert Syme, Revolution (wie Anm . 22) 3, 523.
M o d e r n e K o n z e p t i o n e n des K a i s e r t u m s
151
richtungsw eisende V orbildfu n ktion zuzusprechen. H ans V olkm ann verspricht als H erausgeber des
von P rem crstein’schen W erkes im Ja h re 1 9 3 7 , dam it der Forschung ein Bild des Prinzipats zugäng­
lich zu m achen, „dessen Züge den Leser durch unverkennbare Ä h nlichk eiten m it der G egenw art
überraschen“; und wer 1 9 4 0 vom „Führeram t des Augustus“ und dem „im röm ischen Staatsrecht
geltenden Führergrundsatz“ schrieb, wusste wohl ebenfalls, was er sagte62. Auch der in Italien im
Jah re 1 9 3 7 b reit und aktualisierend gefeierte b in ü lle n a rio d e lla n a scitä d i A ugusto lieferte dafür b e­
redte Zeugnisse6'. H ier erst, n ich t schon in der oft harm onisierenden, aber die dunklen Aspekte
der octavianischen M ach tero b eru n g m eist n ich t verschweigenden älteren Forschung findet sich die
von N ationalism us und Im perialism us stim ulierte, uneingeschränkte Augustus-Verherrlichung, die
denn auch bald en tschiedenen W iderspru ch h erv o rrief"1. A ffin ität m it dem p olitischen Z eitu ngeist
traf dabei m it einem fach historischen Paradigm enw echsel zusam m en und aktualisierte ihn. H ier
wie sonst geht aber doch der fachw issenschaftliche D iskurs in p olitischer A ktualität n ich t auf; er
folgt zugleich auch seiner eigenen Spur.
G anz anderen h istorisch en A nregungen und p olitischen Im pulsen verdankte in derselben
Z e it das Ep och e m achende W^erk R onald Symes sein E n tsteh en 61. Es b esch reibt b ekan n tlich den
gesellschaftlichen Transform ationsprozess der Jah rzeh n te von Caesars K on su lat bis zum Tode
des Augustus (das ist die .röm ische R ev olu tion '66) m it der M achterob eru n g und -organisation
O ctavians von 4 4 - 2 3 v. Chr. im Z en tru m , die Befried ung Italiens, der Bürgerkriegslegionen und
der Provinzen, insbesondere aber der italischen G efolgsleute des C aesarerben. Aus ihnen wur­
den die R eihen des durch K riege und Proskriptionsm orde gelich teten Senats aufgefüllt, um die61 Siber, Führeram t (wie Anm . 5 6 ), aber inhaltlich ohne politische Tendenz, s. Syme, Rez. S iIk t (wie Anm. 3 6 );
Nippel, Diskussion (wie Anm . 1) 4 6 ; Frank Sehne, H einrich Siber und das .Röm ische Staatsrecht' von Theodor
M om m sen (H ildesheim u.a. 1999).
6-’ M ostra Augustca della Rom anitä. Bim illenario della nascitä di Augusto (R om 219 3 7 ); Nel bim illenario del­
la nascitä di Augusto. Ricordi romani nelle M arche, 1941; Ettore Lepore, Cesare e Augusto ndla storiografia
italiana prima e dopo la II guerra mondiale, in: K arl Christ, Fjmilio C abba, Caesar und Augustus (Biblioth eca
di Athenaeum 12, C o m o 1989) 2 9 9 it., 3 O H L Friedemann Seriba, Augustus im Schwarzhemd? D ie Mostra
Augustca della Rom anitä in Rom 1937/ 38 (Italien in G eschichte und Gegenwart 2, Frankfurt am M ain u.a.
1995).
' Syme, Revolution (wie Anm . 2 2 ) 2; Ines Stahlmann, Imperator Caesar Augustus. Studien zur G eschichte des
Principatsverständnisses in der deutschen Altertumswissenschaft bis 1945 (D arm stadt 1988) 188ff.
l'’ Momigliano, Rez. Syme (wie A n m .4 3 ) 140ff„ 145 („Symes realistische Beschreibung ... bedeutet eine
Rückkehr zum gesunden Menschenverstand“); Geza Alfoldy, Sir Ronald Syme, ,D ie röm ische Revolution1 und
die deutsche Althistorie (Sitzungsberichte der H eidelberg er Akademie der W issenschaften, Phil.-hist. Klasse 1,
Heidelberg 1 9 83); K arl Christ , Ronald Syme, in: Ders., Neue Profile der Alten G eschichte (D arm stadt 1990)
188ff.; R aaflau b , Toher, Republic (wie Anm. 2 2 ), hier besonders H artm ut Galsterer, A man, a book, and a
method. Sir Ronald Sym es Rom an Revolution after 50 years, Iff.; Zvi Yavetz, ’Die Personality o f Augustus.
Reflections on Syme’s Rom an Revolution, 2 Iff.; Jerzy U nderski, M om m sen and Syme. Law and power in the
principate o f Augustus, 42ff. (= ders., Rom an Questions [wie Anm . 3] 32ff.); Werner D ahlhebn , N achwort, in:
R onald Syme, D ie Röm ische Revolution (Serie Piper 1240, M ünchen, Ziirich 1 9 9 2 ) 635ff., 6 4 lfE ; Uwe Whiter,
D er H istoriker in seiner Z eit. Ronald Syme und die Revolution des Augustus, in: Jö rg Spielvogel (H g .), Res
Publica Reperta. Zur Verfassung und Gesellschaft der römischen Republik und des frühen Prinzipats. Studien
zum 75. G eburtstag von Joch en Bleicken (Stuttgart 2 0 0 2 ) 137ff.; Klaus Bringmann, Caesar und Augustus bei
Herm ann Strasburger, M atthias Geizer und Ronald Svme, in: Gymnasium 113 (2 0 0 6 ) 31 ff.
w' Syme begründet den Begriff .Revolution1nich t; vgl.A ljredH euß, D er Lmtergangder röm ischen Republik und
das Problem der Revolution [1 9 5 6 ], in: Gesam m elte Schriften (Stuttgart 1 9 9 5 ) II 1164, 6 3 9 ; K arl Christ, Krise
der Republik und .röm ische Revolution1 (1 9 8 0 ), in: Ders., Von Caesar zu Konstantin (M ünchen 1 9 9 6 ) 4 9 ff.;
D ahlheim , N achwort (wie Anm. 6 5 ) 6 3 9 ; Alfoldy , Syme (wie Anm. 6 5 ) 1 Iff.; Walter, H istoriker (wie A n m .65)
146.
152
Dieter T im p e
sen dann als gefällige Legitim ationsinstanz für die m onarchische Stellung des Ersten M annes zu
gebrauchen. Symes K on zep tion gew innt ihre gesch ichtlich e A n schau lich keit durch ihre viel ge­
rühm te um fassende V erlebendigung der prosopographischen Zusam m enhänge, die tiefenscharf
und illusionslos beschriebene Z eitg eschichte und eine präzise Interp retation auch des form alen
Ausbaus der H errschcrsteliung (z.B. der Entscheidungen des Jah res 2 3 v.C hr. und ihrer p o liti­
schen H in tergrü n d e); aber sie beruh t a u f tiefem M isstrauen in die T ragfähigkeit k o n stitu tio n el­
ler D eutungen des Prinzipats und bezeichnet dam it den grundsätzlichen und fortbestehenden
Gegensatz zu allen a u f M om m sen zurückgehenden A nschauungen über die röm ische M o n archie:
„The R om an co n stitu tio n was a screen and a sham “6-.
D er A utor bekenn t seine m it dem Einfluss der m oralischen senatorischen H istoriographie be­
gründete kritische H altu ng gegenüber Augustus (p. V II), aber kann sich so wenig wie jen e der
Aporie entziehen, zwar das m ere in servitium der A ristokraten zu verachten, den, wenn schon n ich t
heilsamen, so doch unverm eidlichen Zwang zur U nterord nu ng der O ligarch ie unter die M on archie
jed och anzuerkennen. W ah rscheinlich verkannte der R ealist n ich t, class aus Ü blem G utes k om ­
men kann (dazu abschließend R .R . 5 0 9 ft.), aber fand der M o ralist allen G ru n d zu betonen , dass
dadurch das Ü b le n ich t gerech tfertigt und der Z ufall n ich t als höhere W eish eit erwiesen werde.
Auch bem erkt er vielsagend und m it R echt, die großen T ä te r zu W erkzeugen der geschichtlichen
N otw endigkeit zu m achen, vereitele ihre gerechte B eurteilun g68; die D in ge zu sehen, wie sie sind,
heißt ihm n ich t, den Erfo lg zu idealisieren (p. V I II und 2 ). D ie ironische Schärfe, m it der gegen
verklärende R h eto rik und V erherrlichung des »Friedenskaisers' die skrupellose B ru talität des cacsarischen M achtkam pfes dargestellt wird, ist vor dem zeitgesch ich tlichen H in tergru nd totalitärer
D iktaturen und ihrer ideologischen Vergötzung verständlich genug, aber die A nnahm e, dass erst
The Roman Revolution die wahre, hässliche N atur des Aufstieges O ctavians en th ü llt habe, ist über­
trieben, wie es auch der taciteischen A nnalen n ich t bedurfte, um röm ische Leser über den verhül­
lenden C h arakter der Prinzipatskonstruktion aufzuklären.
In Symes W erk wird das Verhältnis zwischen Biographie und Stru k tu rgesch ich te neu bestim m t.
D ie m it großem Engagem ent erzählte G esch ich te des Augustus besch reib t em phatisch einen einzig­
artigen persönlichen Erfo lg (he h a d achieved the height of a ll m ortal ambition, 5 2 4 ), aber der A u tor
m isstraut paradoxerweise aller Biographie, weil auch personale H errsch aft sich -auf eine Faktion stü t­
zen müsse: W er sieh a u f C h arakter und Taten einer h istorischen P ersön lich keit k onzentriert, m ache
G esch ich te auf K osten der W ah rh eit zum D ram a (vgl. 1 1 3 ). D er P rinzipat des Augustus ist deshalb
für Syme n ich t das Ergebnis inten tion alen H andelns und zurechenbares V erdienst eines d om in an ­
ten Einzelnen (was er doch auch in höchstem G rade ist). E r ergab sich aus dem Sch eitern der alten
O ligarch ie und brachte eine neue definitiv an die M a ch t; er entstand aus der W echselbeziehung zwi­
schen den Interessen der caesarianischen factio und dem ehrgeizigen K opf, der sie bediente, lenkte
und benutzte: a monarchy rules through an oligarchy (8 ). D iese einfache, aber für H eldenverehrung
wie für G eschichtsdeterm inism u s ernüchternde E in sich t knüpft an die Erforsch un g der republika­
nischen Prosopographie und des G efolgschaftsw esens an (p. V I II ) und vertieft sie entscheidend:
Gew altsam en gesellschaftlichen U m bru ch und Besitzum w älzung begrenzte und beend ete die
Konstanz oligarchischer Strukturen, den ,Austausch der Eliten kaschierte die nützliche und ge­
6 Syme, Revolution (wie Anm. 2 2 ) 2 i , 3 4 0 ; vgl. Arnaldo M omigliano , Rez. Alfred Heuß, Theodor Moinmsen
(1 9 5 8 ), in: Ders., C ontribu to alia Storia degli Studi Classici, Bd. 2 (R om 1 9 8 4 ) 4 2 2 ; Linderski, M om m sen and
Syme (wie Anm . 6 5 ); Peachin, Mommsens Princeps (wie Anm. 17) 162; Bleichen, Augustus (wie Anm. 2 2 ) 374.
: Paraphrasiert Sy/ne, Revolution (wie Anm. 22) 4 mit dem Z itat Pint. Antonius 56, 6.
M o d e r n e K o n z e p t i o n e n de s K a i s e r t u m s
153
pflegte Fiktio n ihrer K o n tin u itä t, staatsrechtliche Regulierungsakte verdeckten einen generation en ­
langen K onsolidierungsprozess des noviis status, den nur die unvorhersehbare Langlebigkeit und
taktische K u nst des Princeps erm öglichte. Für Sym e en tzieh t sich der Prinzipat zwar einer staats­
rech tlichen D efin itio n , aber seine R echtsförm igk eit ist deshalb n ich t belanglos (w enn auch in der
deutschen W issen schaftstradition ü b erb eton t): E r beruh te auf gesetzlicher O rd n u n g, und brachte
so den non political classes R uhe, Sich erh eit und W oh lstan d (5 1 6 ) , den entscheidenden G ew inn der
großen Veränderung. Auch die sprachlichen und b ildlich en Form en der Propaganda werden zwar
kritisch d u rch leu chtet (1 4 9 ff., 4 4 0 ff., 4 5 9 ff.), aber als M ittel, gegen die Ü b erm ach t der republika­
nischen Freiheitstrad ition die M ein u n gsh oheit zu gew innen und so die H errschaft zu sichern, ernst
genom m en. D ie virtuos angew endete prosopographische M eth od e erfasst n ich t die soziale W elt
in allen ihren Sch ich ten und sie erklärt die M o tiv atio n der H andelnden nur begrenzt69, aber The
Roman Revolution verkürzt darum n ich t den großen U m b ru ch der röm ischen G esch ich te a u f ein
G eflech t personaler Beziehungen und eine K ette gew altsam er sozialer U m schichtungen.
Symes Analyse der G ew innung und Verstetigung der A lleinherrschaft durch den siegreichen
Im perator lässt je d o ch die Frage un bean tw ortet, wie das auf der Konvergenz m aterieller Interessen
gegründete und in einem einm aligen, klugen G esellschaftsvertrag verfasste Zusam m enw irken
von Bürgerkriegsführer und caesarischer G efolgschaft überpersonale D auer gew innen konnte.
M an h ätte erw arten können, dass die neue O ligarch ie sich von ihren Ursprüngen em anzipier­
te und A nschluss an die Freiheitstradition der alten suchte, dass sie, w enn n ich t m ehr durch ex­
zeptionelle A u to rität und K lu gh eit gebändigt, in Fraktionskäm pfe versank oder H ybris und
Fehlverhalten von Im peratoren die Loyalität ihrer G efolgschaft selbst zerstörten. T atsäch lich sind
für diese E n tw icklun gsm öglich keiten h istorische Beispiele leich t bei der H an d ; doch haben auch
Versagen oder Sturz von Im peratoren das von Augustus geform te m onarchische System 41 und
6 8/ 70 n .C h r. n ich t beseitigt. Es war offenbar n ich t po litische Interesseneinheit der kaiserzeitli­
chen Senatsoligarchie, sondern ihr Fehlen, was den Senat zum H errschaftsinstrum ent der Principes
geeignet und zum o p position ellen Ausspielen seiner U n en tb eh rlich k eit auch einem Tyrannen
gegenüber unfähig m achte. U nd in U surpationen und Sukzessionskrisen, wie die L ab ilität und
stete Z ustim m ungsbedürftigkeit autoritärer H errschaft sie provozierten, entschieden über deren
Ausgang zwar die Stellungnahm en der Legaten und ihrer Legionen. In solchen Situ ation en fiel
die m ilitärische M a ch t der stehenden H eere, die das Im perium zusam m enhielt und den Im perator
notw end ig m achte, auseinander und wurde zugleich zur letzten Instanz. Ü b er alle gegeneinan­
der gerich teten persönlich en A m b itio n en hinw eg sprach je d o ch das gleichartige Interesse für die
W ied erh erstellun g eines R egim es in caesarischer T radition.
Schlüssig bean tw o rtet wird die Frage, wie die augusteische M ach tkon stellation überpersonale
D auer gew innen kon n te, dadurch n ich t, aber die R ich tu n g des w eiteren historischen N achdenkens
über das K aisertum wird verständlich: Es bedurfte einerseits der fortgesetzten, m öglich st ersch öp ­
fenden, ko n kreten A ufklärung des jew eiligen personalen N etzes, a u f dessen dauerhafte Tragfähigkeit
jeder Princeps angewiesen war, und das er im eigenen Interesse pflegen und nutzen musste, weil
dessen Versagen eine H errschaftskrise zur Folge hatte. U nd es war andererseits nach außerkonstitu­
tionellen, n ich tp o litisch en und em otion alen M itte ln und W egen der H errschaftsstabilisierung zu
fragen, deren W irk u n g die K on stanz des Kaisertum s zu erklären half. Ü b er den engeren R ahm en
der H errsch aftsin stitu tion weisen beide Fragestellungen hinaus, und das B iographische steht trotz
seiner Farbigkeit für sie n ich t im Z entru m .
Momigliano, Rez. Syme (wie A n m .4 3 ) 145f.
154
Dieter T im p e
D ie Erforsch un g der gesellschaftlichen Basis des K aisertum s w endet die prosopographi­
sche M eth o d e auf die N achfolger des Augustus an und b estim m t ihre Regierungen nach den
K oordinaten einerseits langfristig wirkender, w enig beeinflussbarer und andererseits kurzfristiger,
individueller G estaltu ng zugänglicher sozialer Bedingungen. Z u jenen zählen, neben der grund­
sätzlichen Bindung des Prinzipats an den ordo senatorius, etwa die sich verändernde H erkunft und
T raditionsprägung der Senatoren , der A ufstieg der ritterlich en B eam ten oder die Verfestigung der
Verw altung, zu diesen der Kreis kaiserlicher Verw andter, arnici und G ü nstlinge, die R olle des consi­
lium, des H ofes und der H ausverw altung, vor allem aber die P ersonalpolitik der Principes. D ieser
Bereich ihrer sozialen V ernetzungO und deren G estaltu n g
O ist von P ersön lich keit und Charakter,’
von H erkunft und prägenden Erfahrungen der Im peratoren, also dem ind ividuell-biographischen
E lem ent der Kaiserherrschaft, n ich t zu tren nen; aber das herrschende Paradigm a b etrach tet die
Kaiser eh er aus der Perspektive des gesellschaftlichen U m feldes als aus der ihrer individuellen
L ebensgeschichten, und m aßgebliche m oderne Biograph ien folgen ihm d arin '0.
W o statt k o n stitu tio n eller Statik und staatsrechtlicher Legalität die A u torität, soziale M ach t und
G efolgschaft der P rincipes ins Z en tru m des h istorischen Interesses rücken, gew innt die Aura der
V orstellungen, Bilder, W ertbegriffe, W urdeform eln und E h ren titel kom plem entäre Bedeutung,
werden die Form en der M achtstilisieru ng und -sym bolisierung und schließ lich der sakralen
Ü b erh ö h u n g aufschlussreich, die das K aisertum im öffentlich en Bew usstsein um gaben und seine
A kzeptanz em otion al unterstützten. D ieser w eite Bereich der beanspruchten und anerkannten
G eltu n g, der gelenkten und spontanen M einung oder V erehrung speist sich aus Elem enten der
offiziellen Selbstdarstellung des Prinzipats wie auch aus den von unten und außen (vor allem aus
dem hellenistischen O sten ) an ihn herangetragenen P rädikationen und H uldigungen, reicht also
vom dupeus virtutum des Augustus oder dem T ite l pater patriae bis zu rituellen A kklam ationen
oder K u ltakten . D ie Form en der sym bolischen R epräsentation und religiöser Ü b erhöh u n g der rö ­
m ischen M o n arch ie sind im H in b lick auf R eichw eite, Adressatenkreis und V erständlichkeit oft nur
schw er einzuschätzen; sie müssen nach Sinn, H erkunft und W irku n g differenziert, aber auch in
ihrer Konvergenz b etra ch tet werden. D en n insgesam t bezeugen sie das breite Fundam ent vorpolitisch-patriarchalischer, sozialethischer und religiöser A nschauungen, auf dem für cives Romani und
Peregrine der Prinzipat aufruhte, veranschaulichen sie die E in h eit und U niversalität des Im perium s,
die in der - für die m eisten w eit entrückten - Person des einen W eltherren fassbar wurde, aber
auch die dynam ischen M ö glich k eiten und G efährdu ngen autoritärer personaler H errschaft. In der
Spannung zwischen ungeheurem A nspruch und fragiler A nerkennu ng musste diese M on archie
die Bew ährung an den A ufgaben der G egenw art m it der R ech tfertigu n g vor dem M aßstab der
T rad ition verbinden; sie schien über die unbegrenzten, quasi g ö ttlich en M ittel der W eltherrschaft
zu verfügen und w eckte dadurch unbegrenzte E rw artungen, war aber auf die Z ustim m ung sozialer
G ruppen von ganz un tersch ied lich er Nähe zur H errschaft angew iesen. D iese Aspekte verbinden
sich im Forschungsprozess m it anderen und früheren, lassen sich aber schw er um grenzen und kaum
in einen system atischen Z usam m enhang bringen, sind deshalb h ier auch nur anzudeuten. Sie rei­
chen überall über die Analyse des K aisertum s im engeren Sin ne hinaus und geraten leicht in G efahr,
in einem Ideennebel kon tu rlos zu w erden, wie z.B. das häufige Fahnden nach einer ,R eich sid ec‘
illustriert.
0 Beispiele bieten die Kaiserbiographien von Winterling , Caligula (wie Anm. 2 4 ), Jones, T itus und ders.,
D om itian (wie Anm. 2 5 ), Birley, Hadrian und ders., Mark Aurel (wie Anm. 2 6 ) und ders., Septim ius Severus
(wie Anm. 27).
M o d e r n e K o n z e p t i o n e n de s K a i s e r t u m s
D em
h istorischen
155
Bestreben, M achtstrukturen und ihre A usdrucksform en zueinander in
Beziehung zu setzen, sind etw a Andreas A lföldis Studien zum Auftreten und zur Selbstinszenierung
des Kaisers zuzuordnen, in denen an der Z ugän glichkeit des Im perators und des Palastes, an
K leidung, H oh eitszeich en und B egrü ßung des H errschers, an der Form alisierung des Verkehrs,
an bild lich er R epräsentation und sakraler Verehrung seiner Person das Herausw achsen aus der
republikanisch-aristokratischen Z ivilität bis in die unnahbare religiöse Sphäre anschaulich ge­
m acht w ird '1. D ie Stilentw icklun g des K aiserbildnisses gib t die Verfestigung und N orm ierung
der Porträtzüge zu erkennen, die in der Individualität zunehm end die E rhabenh eit und W ürde
des H errscheram tes zum A usdruck bringen; in kaiserlichen R epräsentationsbauten und im h is­
torischen R e lie f kündet die stereotype Sprache der kaiserlichen G ebärden und Posen von seiner
Sieghaftigkeit, A u torität und segenswirkenden K r a ft'2. D ie H uldigungsrituale der kultischen
H errscherverehrung schlossen die R eichsbevölkerung der östlichen und w estlichen Provinzen über
ihre städtischen O b ersch ich ten in gem einsam er L oyalität gegenüber dem begnadeten W eltherrscher
zusam m en und erhoben sein W irk en in unnahbare H ö h en "3. Vor allem die Form eln der dem
H errscher zugesprochenen ,lu g e n d e n , E h rentitel, Siegerbeinam en und solcm nen Prädikationen,
kom m uniziert in Festreden und M ünzpropaganda, D en km alen und Inschriften, D ich tu n g und
adulatorischcr G esch ich tssch reibu n g, form ten das zeitgenössische Bew usstsein
D er diffu­
se und belastete B egriff der ,Ideolog ie4 des Prinzipats (verstanden als verklärende K aschieru ng
der M achtverhältnisse, die kritischer A ufklärung bedarf, oder als gedankliche W iderspiegelung
der p olitischen W irk lich k eit, deren Aussage zu entschlüsseln ist) um schreibt den H o rizo n t der
V orstellungen, die in W echselbeziehung zwischen Selbstdarstellung, Frem dverständnis und vorge­
gebenen A u sdru cksm ittein das K aisertum reflektieren und legitim ierend, stabilisierend und id enti­
tätsfördernd die R eichsbürgerschaft zusam m enschließen"’5.
1 Andrem Alföldi , D ie Ausgestaltung des m onarchischen Zerem oniells am römischen Kaiserhofe [1 9 3 4 ] und
ders., Insignien und T racht der röm ischen Kaiser [1 9 3 5 ], in: Ders., Die m onarchische Repräsentation im röm i­
schen Kaiserreiche (D arm stadt 1970).
••B ernard Andreae, Röm ische Kunst (Freiburg u.a. 21 9 9 9 ); Paul 'Zänker, Augustus und die M acht der Bilder
(M ünchen 219 9 0 ); M ax Wegner (H g.), Das römische H errscherbild 1fr., 1940# .; Ihom as Pekäry , Das röm i­
sche Kaiserbildnis in Staat, Kult und Gesellschaft (Berlin 1 9 85); Paul Zänker, Provinzielle Kaiserporträts. Zur
Rezeption der Selbstdarstellung des Princeps (Bayerische Akademie der W issenschaften, Phil.-hist. Klasse, N.F.
90, M ünchen 1983).
^L u den Cerjaux,Jules Tondriau , Un concurrent du christianisme. Le culte des souverains dans la civilisation greco-rom aine (Bibliotheque de theologie 3/5, Paris 1957) 313fr.; Fritz laeger, Charism a. Studien zur G eschichtc
des antiken Herrscherkultes, Bd. 2 (Stuttgart I9 6 0 ); E lias Bickennan (H g .), Le culte des souverains dans i’empire
Romain (Entretiens sur lan tiqu ite classique 19, G en f 1973 )\Jesse R. Fears, Princeps a diis electus. The divine
election of the em peror as a political concept at Rom e (Papers and monographs o f the American Academy in
Rom e 26, Rom 1 9 7 7 ); Antonie W losok, Röm ischer Kaiserkult (W ege der Forschung 3 7 2 , Darm stadt 1978)
3 7 7 ff.; M anjred Clauss, Kaiser und G o tt. Herrscherkult im römischen Reich (Stuttgart 1999).
4 M artin P. Charlesworth , The virtues of a Roman emperor (Proceedings of the British Academy 23, London
193) 1 0 5 - 1 3 3 (deutsch in: Flans K loß , Ideologie und H errschaft in der Antike [W ege der Forschung 528,
D arm stadt 1979] 361fr.); Wickert, Princeps (wie Anm. 13) bes. 2222fr.; Andrew Wallace-IFadrill , The Emperor
and his Virtues, in: H istoria 3 0 (1 9 8 1 ) 298fr.; Andreas Aljoldi, D er Vater des Vaterlandes im römischen Denken
(D arm stadt 1971 );Je a n Beranger , Principatus. Etudes de notions et d’histoire politiques dans lan tiqu ite grecoromaine (G en f 1 9 7 3 ); Peter Kneissl, D ie Siegestitulatur der röm ischen Kaiser (G öttingen 1968).
’ Wickert, Princeps (wie Anm. 13); vgl. Ines Stahlmann, Von der Ideengeschichte zur Ideologiekritik. Lothar
W ickerts Beitrag zum Verständnis des augusteischen Principats (M ainz 199 1 ): Beranger , Recherches (wie
Anm. 13); Hans K loß, Liberalitas principis. H erkunft und Bedeutung. Studien zur Prinzipatsideologie (Köln
u.a. 1994); ders., Ideologie (wie A n m .7 4 ).
156
D ieter T im p e
IV
Das h istorisch e Interesse unserer w issenschaftlichen G egenw art am K aisertum scheint sich n och
einm al auf neue Fragestellungen zu konzentrieren. W enn n ich t die K u rzsichtigkeit des Z eitgenossen
täuscht, regt die intensivere Beschäftigung m it der H errschaftspraxis dazu an, die Beziehu ng zwi­
schen Kaiser- und R eichsg eschich te unter neuen G esich tspu nkten zu bedenken. S e it M om m sen an
Stelle einer E reign isgesch ich te der Kaiserzeit die E n tw icklun g der Länder des Im perium s beschrieb
und in solcher Sum m e der Reichszivilisation auch das h istorisch bedeutendste Them a der Epoche
sah, das Panoram a der K aiserherrschaften aber dam it als b loßes O berflächen ph iinom en charakte­
risierte, stehen Kaiser- und R eichsgeschich te in einem ungleichen G egensatz zueinander. E r findet
in h istorischen D arstellungen seinen A usdruck gew öhnlich im N eben ein an der von Struktur- und
R eichsgeschich te einerseits und diachroner, personal und dynastisch o rien tierter K aisergeschichte
andererseits, aber vor allem in ihrer u nterschiedlichen Bew ertung. B ü nd ig form ulierte A lfred H eu ß
diese A nschauung: „An der historisch entscheidenden Tatsache, der Existenz des R öm ischen
R eiches, hat der einzelne K aiser im A llgem einen nur einen sehr geringen persönlichen A nteil. D ie
Folge ist, dass K aisergeschichte und G esch ich te des R öm isch en R eiches n ich t das G leich e sind und
man von den P ersön lich keiten der K aiser aus n ich t G esch ich te des R öm isch en R eiches schreiben
kan n ?7* S o überragend groß unzw eifelhaft die B edeu tu ng der M o n arch ie für das röm ische R eich ist,
so erstaunlich gering dem nach die der M o n arch en ; diese Paradoxie wird der m ächtigen W irku n g
der augusteischen Prinzipatsschöpfung zugeschrieben: Sie legte ein jahrhund ertelang unverrück­
bares Fu nd am ent der röm ischen Staatlich keit, aber verlangte und gestattete dadurch auch w enig
eigene Initiative der Erben der H errschaft. W as als aktives H an d eln der röm ischen H errsch er ver­
zeichn et wurde, wäre dagegen für die G esch icke des Im perium s im G anzen unerheblich gewesen. Es
ist aber die Frage, ob eine so w eitgehende A bkoppelung der R eichsg eschich te von der individuellen
A ktivität der H errsch er dem V erhältnis der Principes zum Im perium und dam it dem röm ischen
Kaisertum gerech t wird, w enn auch die Statik der frühen K aiserzeit dafür zu sprechen scheint:
D as aus den Bürgerkriegen hervorgegangene m onarch ische M ach tm o n o p o l bew irkte die frie­
densdienliche A usschaltung zerstörerischer K onkurrenz und steigerte die Leistungsfähigkeit
des - verhältnism äßig bescheidenen - röm ischen M ilitärapparates durch ein heitlich e Leitung,
Ständ igkeit, D iszip lin und tech n isch e Ü berlegenheit. A usgreifende im periale Expansionsziele b e­
flügelte es jed o ch n ich t, und auch der D ru ck auf die Im peratoren, ihre virtus u nter Bew eis zu steilen,
stim ulierte solchen Ehrgeiz kaum : E r h ätte senatorischen capaces imperii unerw ünschte M ach tm ittel
eingebracht. G ro ß e, w eltverändernde Eroberer b en ö tigte und vertrug das röm ische R eich nach
Augustus (dem größten Eroberer der röm ischen G esch ich te) also n ich t. D as im periale Gefüge
selbst beruh te m ehr a u f der m achtschw achen Selbstorgan isation seiner kom m unalen Ein h eiten als
auf h ierarchisch o rganisierter R eglem entierung und Gehorsam serzw ingung. Es existierte auch ohne
einen die R ealität gedanklich antizipierenden O rdnungsentw urf, oh ne th eoretisch e Program m atik
und kon zeptionelle Z ielvorgaben, oh ne Fortschrittsdyn am ik und W eltVerbesserungsanspruch. D er
G estaltungsw ille der R eichsverw altu ng war deshalb w enig geford ert, und das Steuerungsverm ögen
der Führungselite dem entsprechend verhältnism äßig gering. D as R eichsregim en t der Principes war
geordneter, effizienter und hum aner, aber n ich t grundsätzlich anders als das der republikanischen
Prom agistrate. Im bürgerlichen Bereich engten den H andlungsspielraum der Principes jen e poli-
flA lfredHeufs, Röm ische G eschichte (Paderborn u.a. 92 0 0 3 ) 3 2 1 ; vgi. D ahlheim , Kaiserzeit (wie A n m .2 1 ) 151.
M o d e rn e K o n ze p tio n e n des K aisertum s
157
tisch geboten en taktischen R ücksichten und sachlich unum gänglichen sozialen und rechtlichen
Beschränkungen ein, die nur verletzt und langfristig verändert, aber n ich t beseitigt werden konnten.
D iese strukturellen Bedingungen des frühen Prinzipats verdankten sich jedoch weniger der uner­
schü tterlichen Festigkeit der augusteischen H errschaftsordnung als der G u nst einer exzeptionellen
w eltgesch ich tlich en Lage: einerseits der überw iegend m achtschw achen Peripherie des Im perium s,
die meistens erlaubte, stationäre Z ustände m it verhältnism äßig schw achem und gleichbleibend em
Einsatz aufrechtzuerhalten, und andererseits der fortschreitend en Entw icklung der barbarischen
Provinzen des Im perium s, vornehm lich des W estens, die produktive Kräfte entband, die zivilisato­
rische Konvergenz des Im perium s forcierte und das politische System stabilisierte. W o diese k o n tin ­
genten g esch ichtlich en Voraussetzungen schw anden, veränderte sich auch das Verhältnis zwischen
der kaiserlichen L eitu n gsfu n ktion und dem im perialen H errsch aftsob jekt und dam it das K aisertum
selbst. D en n ich t geringen H andlungsspielraum , über den die R egenten verfügten, füllte ihr per­
sönliches En tsch eiden, V erhalten oder Versagen aus und gestaltete dam it die R eichsgeschichte. Je
nach U m ständen mussten die Principes um die Z ustim m ung des Senats, der (od er ihrer) L egionen,
der Prätorianer, der Städte, der plebs urbnna käm pfen und taten das m it oder oh ne Erfolg, h an ­
delten dabei um sichtig und bem üh t oder leichtfertig und unklug, aber jedes M al folgenreich: Im
1. Jah rh u n d ert verlangte die m onarch ische Stellung ein virtuoses, kaum zu leistendes R ollenspiel
zwischen überzeugend dargestellter republikanischer civilitas und zurückhaltend-w irksam prakti­
zierter auctoritas , das m it sehr verschiedenem Erfolg, aber im m er w eitreichenden K onsequenzen
gespielt wurde. D ie Principes fü hrten K riege oder pflegten D ip lo m atie, bereisten die Provinzen und
Legionslaeer
oder saßen in R o m ,’ arbeiteten rastlos oder überließen die G eschäfte den Behörden.
Ö
o
Sie konnten sich als Euergetai profilieren oder den berü chtigten R atsch lag des Septim ius Severus
beherzigen (Cass. D io 7 7 [7 6 ], 15, 2 ), kultischen G eh orsam fordern oder religiös tolerant bleiben.
D en n m eistens hatten sie die Freiheit, das Ein e oder das A ndere zu tu n; man kann n ich t wissen, wie
sich das jew eils um gekehrte V erhalten ausgewirkt hätte, aber es besteh t kein G ru n d anzunehm en,
dass die E n tsch eidu n g gleichgültig gewesen wäre.
In diesem Z usam m enhang kann auch Fergus M illars D arstellu ng der R egierungstätigkeit der
K aiser b etrach tet w erden, die der A u tor als intensiv, aber passiv und reagierend (,petition an d re­
sponse) charakterisiert. Erhellend wird dam it der sozialethische Leitgedanke patrim onialer, b e­
darfsweise ein treten d er Fürsorge ohne vorausschauend-planende p olitisch e G estaltu ngsabsicht
b eto n t und wird für die einzelnen Zweige der zivilen R eichsverw altung verwiesen auf den Verkehr
durch E ingaben, A nträge und A ppellationen bei Fehlen einer institu tionalisierten , die kaiserliche
O m n ip o ten z regulierenden Bürokratie und gering entw ickeltem Instanzenzug . T heoretisch e
Z ielvorgaben, die alles staatliche H andeln einer ein h eitlich en D yn am ik unterw erfen, fehlten
h ier freilich wie sie in den m eisten vorm odernen Flerrschaftsform en fehlen. Im R ahm en ihrer
kasuistischen, o h n e system atisches N euerungsbedürfnis auf A n sto ß von unten antw ortenden
Regierungspraxis erreichte die röm ische R eichsverw altung je d o ch dank schriftförm ig arbeitender,
a u f R egistraturen und A rchive gestützter Z entralbü ros, der R o u tin en und Stetigkeit, die diese Form
der K om m u n ikation ausbilden ließ, und einer professionellen, an Präzedenz- und M usterfällen ori
Fergus M iliar, The Em peror at W ork, in: J R S 57 (1 9 6 7 ) 9fh; ders.. Em peror (wie A n m .3 9 ); vgl. Jochen
Bleichen , Zum Regierungsstil des römischen Kaisers. Eine A ntw ort auf Fergus M iliar (W iesbaden 1 9 8 2 ) ( =
Gesam melte Schriften, Bd. 2 [Stuttgart 1998] 843fF. [Referat der Forschungsdiskussion 8 4 7 f.]); Graham P.
Burton, The Roman Imperial State (A .D . 1 4 -2 3 5 ). Evidence and Reality, in: C h iron 3 2 (2 0 0 2 ) 2 4 9 - 2 8 0 ; FlansUlrich W iemer , Einleitende Bemerkungen, in: Ders. (H g.), Staatlichkeit und politisches H andeln in der röm i­
schen Kaiserzeit (Berlin 2 0 0 6 ) 3ff.
158
D ieter T im p e
en tierten Entscheidu ngsfindung ein vergleichsweise hohes M aß an Sach gcrech tigkeit und effizienter
N orm ierung. D iese sich verfestigende Praxis diente besonders in der Ju risd ik tion , dem Finanzw esen
und der städtischen V erw altung (sam t inner- und zw ischenstädtischen K on flikten ) der Sicherh eit
und B erech en b arkeit des Lebens, der A nerkennung der öffentlich en O rdn un g und dam it der
System stabilität. In diesen B ereichen müssen der U m fang der G esch äfte und die erforderliche
Stetigk eit des G eschäftsganges (besonders dann, wenn der Im perator von der Z en trale abwesend
war oder seinen A ufgaben ungenügend nachkam ) dazu gefü h rt haben, dass V erw altungsroutine zu­
nehm end die persönlich e Regierung des Kaisers unterstützte und ersetzte.
A nders, aber oh ne D ifferen zierun g nach R essorts, steh t es m it der Flu t der G roßes und K leines
betreffenden B itte n , A nfragen und Beschw erden, die den K aiser als verm eintlich om n ip oten ten ,
jedenfalls allzuständigen R eichsp atron, W o h ltäter und Besch ü tzer h öch stp ersön lich in Anspruch
nahm en s. H ie r wird der Princeps wenigstens in Fällen von grundsätzlicher Bedeutung allgem eine
R ich tlin ien vorgegeben, bei gegebenem Anlass auch p ersönlich e Entscheidu ngen getroffen haben
(vgl. z.B. v. H adr. 18), die m anchm al anekdotisch isoliert (2 0 ,8 ) die statistische N orm alität w ohl
ehe r verzeichnen. D ie im engeren Sin ne p olitischen Felder der kaiserlichen G eschäftsführu ng, wie
der am tliche Verkehr m it den Legaten und Prokonsuln, die höhere P ersonalpolitik, die eigentliche
A u ßen p olitik oder die Pflege der persönlichen Beziehungen zu Legionen und Provinzen forder­
ten unverm eidlich die kaiserliche Initiative. Es ist kaum auszum achen (und n ich t einm al sinnvoll
zu fragen), was die p ersö nlich e E n tscheidu ng des H errschers bew irkte und wie w eit der Einfluss
von R atgebern reichte. A b er die Im pulse, die vom kaiserlichen R eichsregim en t ausgingen, wa­
ren zu kom plex und wandelbar, um die R egierung der Principes als generell passiv bew erten zu
können. Gewiss ist also R eichsg eschich te n ich t K aisergeschichte, aber sie ist n ich t nur oh ne die
H errsch aftsin stitution , sondern auch oh ne das gestaltende H andeln und V erhalten ihrer Inhaber
n ich t zu denken.
Von w eiteren forschungsaktuellen A spekten des kaiserlichen Regierungshandelns seien der
Euergetismus und die Rechtsbindung erw ähnt. - D ie E in sich t in die Fu nktion des Kaisers als
W ohltäter, im aristokratisch-patronalen D en ken tief verw urzelt und in der M on archie zu religiös
üb erh öhter A llzuständ igkeit gesteigert, fü h rt w eit über die in blum iger Sprache gefeierte fürsorgli­
che M en schenfreu nd lich keit hinaus. K aiserliche Schenkungen an Senatoren wie an städ tisch e plebs
oder provinziale Stadtgem einden schlossen alle R eichsbürger als N ehm ende gegenüber dem herr­
scherlichen G eb e r zusam m en; im G egenzug in W o rt, B ild und K u lt geäußerte D ank barkeit für kai­
serliche Euergcsie wurde zum w ichtigen Ausdruck der Loy alität und zum B od en des Kaiserkultes,
der seinerseits ein hervorragendes M edium der Integration bildete. A b er auch als M ittel des
reichsw eiten Ausgleichs und der U m schich tu n g in einer n ich t m arktw irtschaftlich fu nk tion ieren ­
den Ö k o n o m ie ist das P hän om en beach tlich und b leib t h ier w ohl nach U m fang und praktischer
Bedeutung w eiter zu klären71'.
M om m sens K on zep tion des Prinzipats als ö ffen tlich -rech tlich er O rd n u n g hat vor allem Jo ch en
Bleicken um sichtig und differenziert w eiterentw ickelt8". D ie Frage, was eine R echtsb ind u n g bedeu-
8 D etlef Liebs, Reichskum m erkasten. D ie A rbeit der kaiserlichen Libellkanzlei, in: Anne K olb (H g.),
Herrschaftsstrukturen und Herrschaftspraxis. Konzeption, Prinzipien und Strategien der A dm inistration im
römischen Kaiserreich (Berlin 2 0 0 6 ) 137ff.
9 Paul Veyne, B rot und Spiele. G esellschaftliche M acht und politische H errschaft in der Antike (Frankfurt am
Main, New York 1988, frz. Original 197 6)-, Jacques, Scheid, Struktur (wie Anm . 3 1 ) 3531F.
Bleicken, Lex publica (wie Anm . 2 ); ders., Vertassungs- und Sozialgeschichte des römischen Kaiserreiches,
Bd. 1 (Paderborn, Zürich 21981) 20ff.; ders., Augustus (wie A n m .2 2 ) 3 7 Iff.; vgl. D ahlheim , Kaiserzeit (wie
M o d e r n e K o n z e p t i o n e n des K a i s e r t u m s
159
tc, die zu weit gefasst ist, um R egierungshandeln begrenzen zu können und gegen die faktisch un­
beschränkte M a ch t des Princeps n ich t durchsetzbar ist, kann freilich m it ihrer Verw erfung als leerer
Form alität b ean tw o rtet w erden; dem mag die Bedeu tu ng des ideellen Anspruchs des R echts en tg e­
gengehalten werden und vor allem die u n entbehrliche rech tstech nische Funktion der G esetzgebung
(lex publica), die rech tliche D urch bild un g der Regierungspraxis durch kaiserliche Reskripte und
K o n stitu tio n en , die verstetigte adm inistrative und ju risd ik tio nclle T ätig k e it der Prokonsuln und
Legaten und die rech tsp olitisch en Folgen der Extension des röm ischen Bürgerrechts. D ie kaiser­
liche R eichsverw altung hat dam it einen hohen G rad von R ech tsförm igk eit erreicht, der kaiserli­
che W illk ü r, wie sie kritische Senatoren em pörte und b eu nruh igte, zu einem insgesam t m arginalen
Sonderfall m achte. D isk u tiert b leibt die Frage, warum sich aus solchen Ansätzen keine eigenständi­
ge Bürokratie als selbständige G rö ß e und M ach tfak to r en tw ickelt h a t*1.
Beim gegenw ärtigen B lick auf die R eichsherrschaft als integralen A spekt des Kaiserregim ents
w eitet sich die Frage nach dem W esen der röm ischen M o n arch ie n och einm al b eträch tlich ; aber die
Polarität von Caesarenherrschaft und Im perium , die schon M om m sen in seiner R echtskon struktion
zusam m enzwang, tritt nur um so stärker hervor. - T ib eriu s soll vom Prinzipat gesagt haben, er halte
einen W o lf an den O h ren (Suet. T ib . 2 5 , 1), und G alb a wird das B eken n tn is in den M und gelegt, er
hätte es sich zur E hre angerechnet, ihn abzuschaffen, wenn das immensuni imperii corpus o h ne einen
rector bestehen kö n n te (T ac. hist. 1, 16, 1). D en R eichsbew ohnern schien hingegen ein praesens deus
zu sein, wer dieses R ek to ren -A m t bew ältigte82. O b tragische N otw en digkeit oder A bbild G o ttes:
D as Kaisertum ist der Preis, den die res publica für die E rhaltun g des Im perium s zahlte, und die
Form , in der röm ische H errschaft im Im perium als segensreiches Endziel erscheinen k on n te; die
alten wie die neuen K o n zep tio n en des Kaisertum s um kreisen diesen Z usam m enhang.
Anm. 2 1 ) 178fF.
si Peter Eich, Zur M etam orphose des politischen Systems in der röm ischen Kaiserzeit. D ie Entstehung einer
„personalen Bürokratie“ im langen 3. Jahrhundert (K lio-B eihefte N .E 9, Berlin 2 0 0 5 ).
M anfred Clauss , Deus praesens. D er römische Kaiser als G o tt, in: K lio 78 (1 9 9 6 ) 400fF.
Christer Bruun
D er Kaiser, die republikanischen Institutionen
und die kaiserliche Verw altung
I. D e r Kaiser und die führenden S c h i c h te n 1
D ie kaiserliche V erw altung bediente sich dreier Standesgruppen: der Senatoren, der röm ischen
R itte r (oft zusam m en als uterque ordo b ezeich net) sowie der Freigelassenen und Sklaven des Kaisers.
U m das Verhältnis des Kaisers zu diesen S ch ich ten der röm ischen G esellschaft zu beleu ch ten, kann
m it V orteil bei der sogenannten M aeccnas-R ede in Cassius D io s G esch ich tsw erk angefangen wer­
den (5 2 , 1 4 - 4 0 ) . In seinem zwei Jah rh u n d erte später geschriebenen W erk lässt D io M aecenas und
Agrippa in der A nw esenheit von Augustus ein G espräch führen, in dem sie den ersten K aiser bera­
ten. W ie der Princeps seine A m tsträger auswähfen solle, d.h. w elchem ordo sie jew eils entstam m en
sollten, ist eine Frage, die dabei viel A ufm erksam keit erhält.
N atü rlich ist die Erzählu ng bei Cassius D io an ach ron istisch 2, aber an dem Kern von M aecenas’
R ede ändert das m .E . n ich ts: M an sieht aus D io , dass es von Bedeu tu ng ist, a u f w elche Weise
M itglied er der verschiedenen Statusgruppen in die V erw altungshierarchie eingegliedert werden.
So em pfand es D io anfangs des d ritten Jah rh un derts, und ich sehe n ich t ein, warum zu Beginn des
Prinzipats die D enkw eise eine andere gewesen sein soll3. D er In h alt von Tacitus ann. 4, 6 ist n icht
abw eichend'1.
1 D ie Frage nach der optim alen Term inologie, um die Aufteilung der röm ischen G esellschaft 7.u beschreiben,
ist zu kom pliziert, um hier erörtert werden zu k önnen; dazu s. Aloys Winterling , ,Staat1, ,G esellschaft1 und
politische Integration in der röm ischen Kaiserzeit, in: Klio 83 (2 0 0 1 ) 9 3 —1 12. D er G ebrauch von Begriffen
wie „Sch ich t“, „Stand“ oder „Statusgruppe“ ist nich t als Standpunkt in jener D ebatte zu betrachten, sondern
dient lediglich einem deskriptiven Zweck.
2 Zur M aecenas-Rede s. Fergus M illar , A Study o f Cassius D io (O xford 1964) 1 0 2 - 1 1 8 .
V gl. Agrippa, der für eine W iederkehr zur Republik plädiert, Cass. D io 5 2 , 4 , 3: rj ts yap icroyovia icrouoipij'
dp lyväiat, kcü tu y^ovaa usv avri\c xalpa, $iay.«p70ücra Ss äyßsrai - „D enn gleiche H erkunft verlangt nach
Rechtsgleichheit, und wenn sie dieses Ziel erreicht, fühlt sie sich zufrieden, andernfalls k om m t M issm ut
auf* (Übers. O . Veh).
'* Tac. ann. 4, 6: M an dabatque [seil. Tiberius] honores nobilitatem maiorum, claritudinem militiae, inlustres
dorni artes spectando ... sua consulibus, sua praetoribus species... At fru m en ta et pecuniae vectigales, cetera publicorum jructuum societatibus equitum Romanorum agitabantur, „Er (Tiberius) vergab die hohen Staatsämter,
indem er a u f den Adel der Vorfahren, a u f Verdienste im Krieg und hervorragende Leistungen im Frieden
sah .. . Das ihnen gebührende Ansehen besaßen die Konsuln, ebenso die Prätoren .. . A u f der anderen Seite
lagen die G etreidelieferungen, die Abgaben in Geld und die übrigen Staatseinkünfte in den H änden von
G esellschaften röm ischer R itter“ (Ubers. E. H eller). H ier geht es bei den equites Rom ani allerdings nicht um
Amtsträger, sonder um M itglieder privater societates. Im m erhin beruhen die unterschiedlichen Aufgaben auf
sozialem Rang.
162
Christer Brunn
D ie röm ische E lite war äußerst statusem pfindlich, was in einer G esellschaft m it aristokratischen
W erten zweifellos die Regel ist. D ie senatorische E lite der R epu blik kann als Am tsadel bezeichnet
werden, und die w ichtigen Ä m ter und M ilitärkom m an den waren per D efin itio n für die Senatoren
bestim m t. Für die Senatoren war es eine zentrale Frage, ob dieses System im Prinzipat w eiterleben
würde, während sich für den Kaiser zwei Fragen stellten: W ie kon n te er das W oh lw ollen der m äch ­
tigen E lite, des Senatorenstandes, behalten, und wie kon n te er zuverlässige A m tsträger finden etwa solche, die n ich t als T rup penkom m andeure in den Provinzen einen M arsch auf R om einleiten
würden ?
Am Ende entstand ein System , dessen E ntw icklung es im Folgenden zu beschreiben und zu
erklären gilt. D er Princeps kon n te säm tliche A m tsin h aber m it m ilitärischem K om m an do er­
n ennen, für Senatoren gab es insgesam t eine V ielzahl von Ä m tern , aber eine gewisse A nzahl an
Schlü sselpositionen wurde an R itte r vergeben (h ierh er gehörten vor allem die Prätorianerpräfekten,
der praef. annonae und d e r praef. Aegypti); die m eisten R itter, die einen Auftrag vom K aiser hatten,
waren aber als Prokuratoren tätig. D azu kam ein Aspekt, der zu den w irklich neuen Bestandteilen
der V erw altung gehö rt, w orüber M aecenas allerdings sehr w enig sagt’ , näm lich die Beteiligu ng
der kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen (von der m odernen Forschung als di c fam ilia Caesaris
b ezeich net) an der Finanzverw altung des R eiches. In der röm ischen R epu blik, die b ekan n tlich an
einem D efizit an V erw altungsorganen litt, gab es keine genügend große G ruppe m it zw eckm äßi­
ger A usbildung, die bereit gewesen wäre, L o h n arb eit in der V erw altung (z.B . beim Ein treiben der
Steuern ) zu leisten6. Sklaven d e s populus Romanus und freie apparitores reichten bei W eitem n icht
aus'. D ie Lösung lieferte das Prinzipat.
D er Princeps, als reichster M ann der W elt, besaß auch die größte fam ilia von Sklaven und
Freigelassenen. D iese wurden für die Verw altung seines Privatverm ögens eingesetzt, überall in
der W elt, wo sie gebrauch t werden kon n ten , was n atürlich ganz in der republikanischen T radition
stand. N ur die P osition des Princeps war eine neue, und der Einsatz von ausgewählten M itglied ern
der fam ilia Caesaris entw ickelte sich zu einem ganz neuen P h än om en 8.
5 Ein ganz kurzer Verweis in Cass. D io 5 2 , 2 5 , 5: ra t e t m v iirnriuv Kai
t w v ilA vjB ipuv crov.
6 Zum Einsatz von Privaten beim Steuereintreiben s. Ernst Badian, Z ölln er und Sünder. U nternehm er im
D ienst der röm ischen Republik (D arm stadt 1 9 97, engl. O rig. 1 9 72).
7 Zu den apparitores ist die einschlägige Arbeit im m er noch Nicholas Purcell, The Apparitores: a Study in
Social M obility, in: P B S R 51 (1 9 8 3 ) 1 2 5 -1 7 3 . Zu den Staatssklaven s. Wolfgang Eder, Servitus publica
(W iesbaden 19 8 0 ).
8 Z ur sog. fa m ilia Caesaris s. Heinrich Chanlraine, Freigelassene und Sklaven im D ienst der röm ischen Kaiser
(W iesbaden 19 6 7 ); Paul R. C. Weaver, Fam ilia Caesaris. A Social Study of the Em peror’s Freedm en and Slaves
(Cam bridge 1 9 7 2 ); besonders zu den Quellen für die augusteische Z eit G erardBoulmrt, Esclaves et atfranchis
imperiaux sous le H au t-E m p ire rom ain. Role politique et ad m in istrate (Neapel 1 9 7 0 ) 2 2 - 7 3 ; w ichtige allge­
m eine Bem erkungen z.B. zur D ifferenzierung unter den Sklaven und Freigelassenen der Kaiser und zu ihren
Aufgaben in Aloys Winterling, .Aula Caesaris“. Studien zur Institutionalisierung des röm ischen Kaiserhofes in
der Z eit von Augustus bis C om m odu s (31 v.C hr. -- 192 n .C h r.) (M ü n ch en 1999) 2 3 - 2 6 , 8 7 - 8 9 , 1 0 8 -1 16.
Zuletzt zur Entw icklung im 3. Jahrhund ert und später R udolf Haensch, Von den „Augusti liberti“ zu den
Caesariani, in: Anne Kolh (F lg.), H errschaftsstrukturen und Herrschaftspraxis. Konzepte, Prinzipien und
Strategien der A dm inistration im röm ischen Kaiserreich (Berlin 2 0 0 6 ) 1 5 3 - 1 6 4 .
D i e K a is e r, di e r e p u b l i k a n i s c h e n I n s t i t u t i o n e n u n d d ie k a i s e r l i c h e V e r w a l t u n g
163
II. D e r Kaiser im Spannungsfeld zwischen R epub lik und M o n arc h ie
S o wie die Stellung des röm ischen Kaisers eine paradoxe war ~ der erste Kaiser trat als der R etter der
röm ischen R epu blik au F - so treten die Paradoxien der K aiserzeit auch a u f dem G eb ie t der kaiserli­
chen Verw altung au f10. D ie M ach t des Kaisers repräsentierte eine N egation der R epu blik, aber auch
nach Augustus konnten sich die K aiser n ich t vom republikanischen E rb e lösen. A ndererseits musste
jed e neue M aßn ah m e in der Verw altung - und es war unverm eidlich, N euerungen einzuführen (wie
es die pragm atischen R ö m er schon im m er in der R epu blik getan h atten) - autom atisch als n ich t­
republikanisch eingestuft werden, was den Konsens zwischen Princeps und Senatoren gefährdete.
Besonders die senatorische E lite fü hlte sich den republikanischen T rad ition en verbunden, und
diese M en talität ko n n te kein K aiser außer A ch t lassen. D ie so ziopolitische Stru k tu r der h ierarch i­
schen und standesbew ussten röm ischen G esellschaft hatte zur Folge, dass potentielle Rivalen des
Kaisers zwingend aus der kleinen G ruppe der Senatoren stam m en m ussten. R öm isch e R itte r k on n ­
ten zwar w ichtige M ilitärk om m an d en und V erw altungsäm ter innehaben, und es kon n te Vorkom­
m en, dass einflußreiche R itte r am M eu ch elm ord eines Kaisers teiln ah m cn . Es war aber ausgeschlos­
sen, dass ein als eques Romanus geborener M an n bis zum Purpur em porsteigen kon n te (jedenfalls
vor M acrinus im Ja h r 2 1 7 ).
D er ordo senatorius erlebte zwar Veränderungen in der K aiserzeit; m anche bezeichnen ihn in
jen er Z e it als E rb a d el11, und schon im 1. und besonders im 2. Jah rh u n d ert sieht es danach aus, als
ob einige M itglied er w enig Interesse an einer Karriere im kaiserlichen D ienst gehabt h ä tte n 12. D er
cursus bonorum je d o c h blieb n o ch für viele attraktiv als W eg zu Einfluss und M acht.
Z u einer gesellschaftlichen Um w älzung gehö rt m anchm al auch eine grundlegende Veränderung
der A d m in istration oder jedenfalls eine U m ben en nu ng der V erw altungsorgane. U n ter den rö ­
m ischen Kaisern lebten aber in den zwei ersten Jah rh u n d erten n .C h r. säm tliche republikanische
Institu tionen w eiter (m it wenigen A usnahm en; vor allem das A m t des C en sors war nur unregelm ä­
ßig besetzt, zuletzt von den flavischen K aisern 13). Sogar die W ahl der M agistrate in den C o m itien
fand im Prinzipat n o ch statt (obw ohl seit T ib eriu s die eigentlich e W ahl im Senat stattfand , welche
die V olksversam m lung dann nur n o ch zu bekräftigen h a tte )1'1. A llerdings gib t die Bezeich n un g can­
didates Caesaris bei einigen Ä m tern auf Inschriften, die senatorische cursus bonorum verzeichnen,
einen H inw eis a u f die neue R ealität und auf den Einfluss des Kaisers bei den W ahlen und bei der
B eförd eru ng von S e n a to ren 15.
9 Vgl. Aug. res gest. 1.
10 Dieses Them a ist in vorbildlicher W eise entw ickelt worden in Winterling , Staat (wie Anm . 1) bes. 1 0 6 - 1 0 8 .
11 Theodor M ommsen , Röm isches Staatsrecht, Bd. Ill 1 (Leipzig 31 8 8 7 ) 4 6 6 „zu einer erblichen Pairie“; Geza
Alfoldy , D ie Stellung der R itter in der Führungsschicht des Im perium Rom anum , in: C h iron 11 (1 9 8 1 )
1 6 9 - 2 1 5 , bes. 199; K eith Hopkins , Graham Burton , A m bition and W ithdrawal: the Senatorial Aristocracy
under the Emperors, in: Keith Hopkins, D eath and Renewal (C am bridge 1 9 8 3 ) 1 2 0 - 2 0 0 , bes. 126, 190 (m it
einigen Einwänden).
Ebd. passim.
Werner Eck , D ie staatliche A dm inistration des röm ischen Reiches in der hohen Kaiserzeit. Ihre strukturel­
len K om ponenten, in: Ders., D ie Verwaltung des Röm ischen Reiches in der Flohen Kaiserzeit. Ausgewählte
und erw eiterte Beiträge (Basel, Berlin 1995) I 1 -2 8 , bes. 14.
u Richard J.A . Talbert, T he Senate o f Imperial Rom e (Princeton, N I 19 8 4 ) 3 4 1 - 3 4 5 ; siehe z.B. Piin. paneg.
7 7 , 1.
!> Zu den candidati s. M ireiüe Cebeillac , Les ,quaestorcs principis et candidati“ aux I et H siecles de [’Em pire
(M ilano 1 9 74), und im Allgemeinen zum Verfahren Eck , A dm inistration (wie Anm . 13) 1 1Of. Vgl. T ic . ann.
164
C hrister B ra u n
N ich t nur wird im Senat der R an g der M itglied er nach dem republikanischen M uster bestim m t
(.quaestorii, pmetorii, consulares), sondern auch die M ach t des Kaisers fußt augenscheinlich auf dem ­
selben Fundam ent; er legitim ierte seine M ach t durch die tribunicia potestas (die zu jed er Z eit auch
die gew ählten tribuni plebis besaßen), er ist ab und zu consul, er kann auch censor sein und ist norm alcrw cisc pater patriae wie die größten M än ner der Republik.
III. Trad itio n und neue Loyalität in der Provinzverwaltung
Das Bestehen des K aiserreiches forderte jed o ch Veränderungen in der V erwaltung. Eine R egierung
b leibt kaum lange an der M ach t, oh ne zwei grundlegenden Fragen größte A ufm erksam keit zu wid­
m en, näm lich der m ilitärischen K raft des Staates und den Staatsfin an zen 16. Beide Fragen hängen
m it der Provinzverw altung zusam m en, denn der grö ßte Teil der Steuern kam aus den Provinzen,
und gerade in den Provinzen sowie an den G renzen war, seit der A rm eereform des Augustus, das
stehende H eer sta tio n ie rt1 .
Seit der R egierung des ersten Princeps begegnen uns drei verschiedene Typen von Provinzen,
und M itglied er von drei Standesgruppen waren für die Provinzverw altung zuständig (w enn man
von den Soldaten und den lokalen Eliten a b sieh t)1*. R eguläre proconsules gab es im m er noch nach
der alten W eise in prokonsularischen Provinzen, die entw eder einem gewesenen Prätor oder einem
K onsul übergeben wurden. D er Prozess der sortitio der Prokonsuln, über den wir nur ungenügend
u n terrich tet sind, h atte klare Berühru ngspunkte m it der republikanischen Praxis, obw ohl bei der
W ahl dieser S ta tth a lter der Einfluss des Kaisers sicher auch einw irken k o n n te1'’.
D er K aiser war dagegen für die G renzprovinzen, in denen größere H eeresabteilungen stationiert
waren, zuständig. D a kein Kaiser längere Z e it in den Provinzen anwesend sein konnte und nie in
säm tlichen zur selben Z eit, musste die R olle des Statth alters von einem Stellvertreter übernom m en
werden, dem legatus Augusti pro pm etore , von dem w iederum verlangt wurde, dass er bereits die
Prätur (fü r kleinere Provinzen) oder den K on su lat bekleidet h a tte20. W eitere Provinzen, m eistens
kleine, wurden von röm ischen R itte rn als procurator oder praefectus verw altet. Es gab ihrer an-
1 ,8 1 zu den Konsuhvahlen unter Tiberius.
16 Fleer und Staatsfinanzen sind eng verknüpft; nach m odernen Schätzungen verschlang die Arm ee 4 5 - 7 5 %
der staatlichen Einnahm en, s. die Übersieht bei Peter Eich, Z ur M etam orphose des politischen Systems in der
röm ischen Kaiserzeit. D ie Entstehung einer ,personalen Bü rokratie1 im langen dritten Jahrhund ert (Berlin
2 0 0 5 ) 3 8 f.
! Steuern: Lutz Neesen , Untersuchungen zu den direkten Staatsabgaben der röm ischen Kaiserzeit (2 7 v.Chr.
- 2 8 4 n .C h r.) (B o n n 1984) mit Rezension und K om m entar von Peter A. Brunt , Rom an Im perial Them es
(O xford 1990) 3 2 4 - 3 4 6 , 5 3 1 - 5 4 0 . Zu den Boden- und Kopfsteuern kam en noch die Erbschaftssteuer und
die Freilassungssteuer, die von röm ischen Bürgern auszurichten waren. H eeresreform : Kurt A. R aaßaub >
The Political Significance o f Augustus’ M ilitary Reform s, in: W S. Hanson , Laurence Keppie (H g .), Rom an
F rontier Studies 1 9 7 9 (B A R International Series 7 1 , 3. O xford 1980) 1 0 0 5 - 1 0 2 5 ; M ichael A. Speidel, Geld
und M acht. D ie Neuordnung; des staatlichen Finanzwesens unter Augustus, in: A. Giovannini , B. Grange
(H g .), La revolution rom aine apres Ronald Syme (Entretiens 4 6 , G eneve 2 0 0 0 ) 1 1 3 - 1 5 0 .
18 Vgl. die Beschreibung der Provinzverwaltung unter Augustus in Cass. D io 5 3 , 1 3 -1 5 .
10 Zu den prokonsularischen Provinzen, früher irreführend „Senatsprovinzen'* genannt, s. unten Anm . 58.
20 Pompeius M agnus hatte schon Ende der 5 0er Jahre ähnlich gehandelt, als er, obschon Prokonsul von den
zwei hispanischen Provinzen, in Rom weilte und seine Legaten nach Spanien sandte. O bw ohl Pompeius kein
m usterhafter Republikaner war, stellte dieses Ereignis vielleicht ein gewisses Präjudiz dar.
D i e K a is e r, di e r e p u b l i k a n i s c h e n I n s t i t u t i o n e n u n d d ie k a i s e r l i c h e V e r w a l t u n g
165
längs etwa ein D u tzen d ; ihre Z ahl nahm jed o ch ab, und unter M arc Aurel wurden nur n och fü n f
Provinzen von Präsidialprokuratoren verw altet21.
O b w o h l ihre Verw altung U nterschied e auf wies, konnte schon Augustus auf säm tliche Provinzen
Einfluss ausüben22. M an kann trotzdem tragen, ob Ernennungen und Anw eisungen per litteras eine
genügend starke K o n tro lle ausm achten und wieso der K aiser sich in der Regel auf die senatorischen
Statth alter verlassen k o n n te25.
D ie Loyalitätsfrage ist in diesem Z usam m enhang w ichtig. M an muss m .E. a u f die auctoritas des
Prinzeps Hinweisen2'' und auf die starke röm ische T rad ition der Treuverhältnisse, der clientela (w obei
natürlich kein Sen ato r sich jem als als diens eines Kaisers h ätte bezeichnen w ollen). D ie legati Augusti
propm etore waren vom Kaiser ernannt worden, und das kaiserliche beneficium kon n te ein Senator
schw erlich u n b each tet lassen. W enn schon der Erzrepublikaner C icero w ährend der libera res pub­
lica bereit war, Pom peius M agnus zu unterstützen und ihm zu folgen, auch wenn dessen Benehm en
gegen die republikanische Praxis verstieß, warum sollten dann Senatoren , die im Prinzipat aufge­
wachsen waren, n ich t in äh nlicher W eise dem K aiser gegenüber loyal sein2’ ? Außerdem musste es
jedem klar sein, dass bei einer etw aigen R evolte der Kaiser sich norm alerw eise auf die M eh rzah l der
Senatoren (m it den von ihnen b efehligten T rup pen) h ätte verlassen können. D asselbe galt in noch
höherem M aße für ritterlich e Statth alter, die n o ch stärkere G rün d e h atten, dem K aiser als palronus
für ihren A ufstieg d ankbar zu sein - um von M itglied ern der fam ilia Caesaris ganz zu schweigen.
IV. „Beförderungskriterien“ und die G renzen der A lleinherrschaft
D ie intensive Beschäftigung der Forscher seit dem 19. Jah rh u n d ert m it Inschriften, die einen sen ato­
rischen cursus bonorum verzeichnen, sowie m it anderen einschlägigen Q u ellen (darunter natürlich
Inschriften der equites Romani und den fam ilia Caesaris) hat es erm öglich t, ein inhaltsreiches Bild
der Reichsverw altung bis in die Severerzeit zu en tw erfen 26. In der späteren R epu blik bestim m ten
die leges annales (die regelten, wann es einem Senato r erlaubt war, als K an did at vor das V olk zu
21 Werner Eck , Kaiser, Senat und senatorische Amtsträger, in: Ders., D ie Verwaltung des Röm ischen Reiches
in der Flohen Kaiserzeit. Ausgewählte und erweiterte Beiträge (B a se l Berlin 1 9 9 8 ) II 3 1 - 6 6 , bes. 4 9 . Im
3. Jahrhund ert begegnet aber eine umgekehrte Entw icklung, insofern als die Senatoren allm ählich aus der
Führung der Provinzen verschwinden und ihre Rolle zuerst von Provinzprokuratoren, die als age ns vice p m e -
siäis am tieren, und später von regulären Statthaltern aus dem ordo equester übernom m en wird. Zu dieser
Entw icklung neulich Eich, M etam orphose (wie Anm . 16) 3 4 4 - 3 5 0 , der auch weiter über dieses Phänom en
diskutiert; die Frage fällt aus dem chronologischen Rahm en dieses Aufsatzes.
•••• Peter A. Brunt, J . M. M oore „ Res Gestae Divi Augusti. The Achievem ents o f the Divine Augustus (O xford
1 9 6 7 ) 6 6 ; Werner Eck, Ih e Age o f Augustus (M alden, M A 22 0 0 7 ) 6 5 - 6 6 .
23 W enn man vom Vierkaiserjahr (69 n .C h r.) und von der verworrenen Situation nach der Erm ordung
des C om m odu s am 3 1 . 12. 192 absieht, findet man lediglich den Aufstandsversuch von Furius Cam illus
Scribonianus (4 2 n .C h r.), Iulius V index gegen Nero (68 n .C h r.), Antonius Saturninus (8 9 n .C h r.) und
Avidius Cassius (1 7 5 n .C h r.). Dazu kom m en natürlich Verschwörungen in Rom , die von Senatoren ohne
M ilitärkom m ando vorbereitet wurden.
24 Bekanntlich schon von Augustus in seinen Res Gestae (3 4 , 3) betont. Egon Flaig, D en Kaiser herausfor­
dern. D ie Usurpation im röm ischen Reich (Frankfurt am M ain, New York 1 9 9 2 ) 1 0 1 - 1 0 4 .
M agistraturen und Verwaltungsänuer als benejicia des Kaisers werden betont von Fergus M illar , 4 he
Em peror in the Rom an W orld (Ithaca, N Y ’ 1992; London 1979) 3 0 0 - 3 1 3 . Zu Patronage und Klientel s.
Eich, M etam orphose (wie A nm . 16) 6 9 - 7 8 und den Beitrag von Aloys W in terling in diesem Band.
20 W obei aber nicht selten argumenta e silentio eine gewisse Rolle spielen, wie unten zu zeigen sein wird.
166
C hrister Brunn
treten) und die Volksw ahl (zuweilen auch Ernennungen durch den Sen at) die öffentlich e Karriere
eines Senators. In der K aiserzeit ko n n te der H errsch er u n m ittelbar durch seinen Entschluss oder
indirekt durch seinen Einfluss auf jede W ahl einwirken. Ein Schlüsselw ort in diesem K o n text ist
jed och „Beförd eru ngskriterien“ .
Es geht hierbei um die H ierarchie der staatlichen Ä m ter und darum , w elche Prinzipien bei der
Versetzung eines Senators geltend gem acht wurden. G erade bei den Stufen des cursus bonorum
m achte sich die republikanische T rad ition bem erkbar. Im m er n o ch bildeten die M agistraturen der
libera res publica das G erüst: In klarer R eih en folge m it bestim m ten zeitlich en A bständen folgten
Q uästur, Prätur und K on su lat aufeinander. Erst die W ahl zu einer M agistratur erm öglichte die da­
rau f folgende Ernenn un g eines Senators zu einem A m tsträger der jew eiligen hierarchischen Stufe.
Es ist auffallend, dass es in einer vorindustriellen, autokratischen G esellschaft m öglich ist, am t­
liche H ierarchien und Versetzungsregeln zu identifizieren, w o es an sich denkbar gewesen wäre,
dass Patronatsbeziehungen und W illk ü r ausschlaggebend h ätten sein kön n en . M an muss sich je ­
doch vergegenwärtigen, dass es sich um eine h istorisch e E n tw ick lu n g handelt. Es dauerte etwa ein
Jah rh u n d ert, ehe die „Beförd erungskriterien“ der H o h en K aiserzeit unter den Flaviern allm ählich
voll entw ickelt w aren28.
Es ist w eiter bem erkensw ert, dass man bei keinem K aiser einen radikalen Versuch findet, das
republikanische E rb e oder das sich entw ickelnde M uster aufzuheben, um eigene Vertrauensm änner
direkt a u f Schlü sselpositionen zu versetzen. D ie Institu tio n der adlectio zu einem der traditionalen
republikanischen Ä m ter wird aber zu diesem Z w eck entw ickelt, dam it kaiserliche Favoriten einige
Stufen überspringen k ö n n en 29; auch h ier stellt som it die T rad ition das Gerüst.
U n ter den Ju lio -C la u d ie rn lassen sich allerdings m ehrere Beispiele dafür finden, dass der Kaiser
die Verw altung a u f eine neue W eise zu gestalten suchte. So b em erkt z.B. Tacitus von T ib eriu s, dass
er continuare imperia ac plerosque a d fin em vitae in isdem exercitibus aut iurisdictionibus habere
(ann. 1, 8 0 ). D iese Behau ptu ng wird von den prosopographischen D aten g e stü tzt'1’. Zw ei G ründe
werden von T acitu s an gefüh rt (ebd .): Entw ed er w ollte T ib eriu s Entscheidungen (in der Form von
neuen Ernenn un gen) ausw eichen, da sie von ihm zu viel Engagem ent forderten, oder er w ollte aus
E ifersu cht insgesam t nur w enigen Senatoren die Ehre geben, w ichtige K om m an den zu führen. D ie
2 D ie klassische A rbeit dazu ist Werner Eck , Beförderungskriterien innerhalb der senatorischen Laufbahn,
dargestellt an der Z e it von 6 9 bis 138 n. Chr., A N R W If 1 (1 9 7 4 ) 1 5 8 - 2 2 8 ; in italienischer Übersetzung m it
Addenda in Werner Eck, Tra epigraha e prosopografia. Scritti scelti, rielaborati ed aggiornaei (R om a 1996)
2 7 - 9 3 . D ie senatorische Karriere ist auch grundlegend behandelt in Anthony R. Birley, T he „Fasti“ of Rom an
Britain (O xford 1981) 4 - 3 5 .
2S Eck , Beförderungskriterien (wie Anm. 2 7 ). Das Argument in Christer Briutn , Ih e Career of Sex. Palpellius
Hister. The Praetorian Proconsulate during the Early Em pire Reconsidered, in: Arctos 2 0 (1 9 8 6 ) 5 - 2 3 , nach
dem prätorische Prokonsuln nich t unbedingt als weniger begünstigte Statthalter anzusehen sind, soll in der
T at nur au f das frühe Prinzipat angewendet werden; dazu Paul M. M. Leunissen , D irect Prom otions from
Proconsul to Consul under the Principate, in: Z P E 89 (1 9 9 1 ) 2 1 7 - 2 6 0 m it z. T. abweichender M einung.
29 Zu den adlectioncs s. Andre Chastagnol , „Adlectio“ et „latus clavus“ sotis le H aut-E m pire, in: Ders,, Le Senat
roniain a l’epoque imperiale (Paris 1992) 9 7 - 1 2 0 (etwa einhundert adlccti 1 1 7 - 1 2 0 ) ; Eck, Tra epigrafia (wie
Anm . 27) 3 5 , 8 9 ; Eck, Kaiser (wie A nm . 2 1 ) 3 3 - 3 6 .
!1) Zu den Listen der röm ischen Statthalter siehe Beugt E. Ehomasson, Laterctili praesiduin (G othoburgi
1 9 8 4 ); dazu kom m en mehrere Addenda, zuletzt in ders., Laterculi praesidum, addendorum series quarta, in:
O p R om 3 0 (2 0 0 5 ) 1 0 5 - 1 2 2 m it Verweis au f frühere Addenda auf S. 105.
D i e K a is e r, d ie r e p u b l i k a n i s c h e n I n s t i t u t i o n e n u n d d ie k a i s e r l i c h e V e r w a l t u n g
167
letztere Erklärung hat m ehr für sich: W ar schon ein kaisertreuer A m tsin h aber gefunden, mag es
dem Princeps besser erschienen sein, ihn im A m t zu beh alten 31.
Für den Senatorenstand insgesam t h atte ein solches System zwei große N achteile; zum ei­
nen war ein Senato r gänzlich der kaiserlichen W illk ü r unterw orfen, zum anderen gab es wenige
M öglichk eiten , Ä m ter zu bekleiden und som it den sozialen Status zu erhöhen oder zu b estäti­
gen. D ie K aiser im A llgem einen waren sich dessen auch bewusst, und schon von Augustus wird
bei Su eto n berich tet, er habe nova officia geschaffen, dam it m ehr Senatoren am Staat beteilig t sein
könnten. M an kann es dem Biographen glauben, dass die Kaiser die integrierende Bedeu tu ng hoher
Ä m ter erk a n n ten '2.
U n ter den neuen A m tsinhabern der Kaiserzeit befinden sich die stadtröm ischen K u ratoren, z.B.
der curatoraquarum, dessen A m tsbereich und Insignien aus Frontinu s’ B eschreibung besonders gut
bekan n t sin d ''. M it den anderen Ä m tern, die in der Kaiserzeit geschaffen wurden, etwa den oben
genannten Statth alterschaften , hatte der curator aquarum gem einsam , dass sein A uftrag unter den
Ju lio -C la u d ie rn offenbar n ich t b efristet war. H ier wie bei anderen kaiserlichen Ä m tern änderte der
Princeps allm ählich seine P olitik . S o sch ein t der K u rator schon unter N ero nur etwa drei Jahre
im A m t geblieben zu sein. S e it der flavischen Z e it verbrachten norm alerw eise die leqati Augusti
pro praetore einen äh nlichen Z eitraum in den Provinzen. W enn das konsulare A m t des curator operum publicorum et aeclium sacrarum im 2. Jah rh u n d ert im m er häufiger in den Q u ellen auftaucht, so
scheint die Bekleidu ng dieses A m tes auf eine n o ch kürzere Z eit befristet zu sein 3'.
M it der Z e it entw ickelte sich eine rech t präzise H ierarchie der staatlichen Ä m ter (sow ohl der senatorischen als auch der ritterlich en 3'*), w elche die Struktur einer Lau fbahn im kaiserlichen D ienst
sowie auch die D auer des jew eiligen A m tes bestim m te. D er Kaiser traf w eiterhin die Entscheidungen,
aber es ist zu fragen, ob die E lite dabei Erw artungen hegte (a u f R egeln oder T rad ition en fu ßend),
die er n ich t enttäuschen k on n te, oder ob er gänzlich freien Spielraum hatte. D ie Regelm äßigkeit
vieler Beförderungen seit den Flaviern und besonders im 2 .Ja h rh u n d ert zeigt, dass es zweifels­
oh ne Erw artungen gab. M an kann sich fragen, ob es nur das P rodu kt einer stetigen natürlichen
E n tw icklun g war, dass seit den flavischen H errschern die sogenannten Beförderungskriterien
den senatorischen cursus bonorum im m er stärker regelten. M öglicherw eise hatte es m it der
M achtübernah m e einer neuen D ynastie zu tun (aus dem Senatorenstand entsprungen, aber n ich t
Teil der alten E lite ), die einen B e d a rf verspürte, m it H ilfe einer d eu tlich er regulierten Lau fbahn und
MAuch die erste von Tacitus (ann. 1, 80) vorgeführte Erklärung, das taedium novae curae und die haesitatio ,
lässt sich in den Kontext der Relationen zwischen Kaiser und Senatorenstand einfügen, indem sich der
Kaiser bei jeder Ernennung Erw artungen ausgesetzt sah, die er logischerweise zum größten Teil nicht erfül­
len konnte.
'2 Zu Suet. Aug. 3 7 zuletzt Christer Brunn , D er Kaiser und die stadtröm ischen „curae". G esch ich te und
Bedeutung, in: Anne Kolb (F lg .), H errschaftsstrukturen und Herrschaftspraxis. Konzepte, Prinzipien und
Strategien der Adm inistration im röm ischen Kaiserreich (Berlin 2 0 0 6 ) 8 9 --1 1 4 , bes. 8 9 - 9 1 m it Bibliographie.
33 Frontin. de aqu. 9 9 , 5; 1 0 0 , If.
31 Christer Brunn, The W ater Supply of A ncient Rom e. A Study of Rom an Im perial Adm inistration (H elsinki
1 9 9 1 ) 1 6 2 - 1 6 8 , 175f.; zu den Provinzkom m anden Ech, Kaiser (wie Anm . 2 1 ) 5 8 f.; zu den curatores operum
publicorum Anne K olb , D ie kaiserliche Bauverwaltung in der Stack Rom . G esch ich te unci Aufbau der „cura
operum publicorum 1' unter dem Prinzipat (Stuttgart 1993).
Z um ritterlichen Staatsdienst Elans-Georg Pflaum, Les carrieres procuratoriennes equestres sous le H autEm pire rom ain, Bd. 1 - 3 (Paris 1 9 6 0 - 6 1 ) , wobei allerdings m anche N eufunde Revisionen veranlasst haben
und das G erüst m anchm al zu rigide erscheint. Zur Verwendung der Prokuratoren im kaiserlichen D ienst
jetzt Eich , M etam orphose (wie Anm . 16) passim.
168
Christer Brunn
m it d u rchsichtigcn A usw ahlkriterien sich der Z ustim m ung des Senats zu versichern. N ich t zuletzt
nutzten die Flavier die iterierten K onsulate dazu, ihre w ichtigsten A nhänger zu belohnen ’1’.
Es kon n te sich aber h ier n ich t um ein streng m critokratisch aufgebautes, bürokratisches System
handeln, wie man es seit dem 1 9 .Jah rh u n d ert in den Ind ustrienationen der ersten W elt findet
(w obei jenes System sich vielerorts doch als sehr unvollständig erwiesen h a t)3 . E her bestanden die
A usw ahlkriterien, in Bezug a u f den jew eils form al qualifizierten Senator, aus einer M ischu ng aus
E rfah ru n g’8, Prestige, erp ro b ter Loyalität und Patronatsbeziehungen, besonders Beziehungen zum
H o f und zum K aiser59.
V. H errscherm acht und Individualität
W enn es um die V ergabepraxis einzelner Kaiser geht, lässt sich beob achten , wie in kritischen
Lagen, etwa zur Z e it des Bar K o ch ba-A ufstan d s in Judaea, ein Kaiser, in diesem Falle H adrian,
Ernennungen du rch füh rt, die von der gängigen Praxis a b w eich en 10. G en au er b etrach tet finden sich
bei jedem K aiser spezifische a u f die Verw altung bezogene H andlungen, und der A ufbau der röm i­
schen A d m in istration w eist in den R egierungszeiten etwa von Vespasian, H adrian oder Septim ius
Severus jew eils etlich e U nterschied e auf. Besonders H adrian wurde in der V ergangenheit oft ein
großer Ausbau der röm ischen V erw altung zugeschrieben '1, aber z ahlreiche epigraphische N eufunde
haben gezeigt, dass eine M ehrzahl jen er R eform en schon unter seinen V orgängern stattfanden,
ohne dass man einen anderen „großen E rneuerer“ hätte ben en nen k ö n n e n '2. Im A llgem einen
sieht die E n tw icklun g der kaiserlichen V erw altung eher wie ein stetiger Zuw achsprozess aus, aber
E inzelheiten können trotzdem für die A usw ertung der individuellen R egierungszeiten von belang
sein. U m einige E inzelm aßnahm en zu nen nen: U n ter Trajan wurden curatores u n d praefecti alimen-
torum für das/;//;»t';zto-Programm zuständig, unter H adrian h and habten zum ersten M al regionale
legati Augusti pro pm etore aus dem Senatorenstand die R echtsprech un g in Italien, von A ntoninu s
Pius wurden diese Ä m ter n ich t m ehr besetzt, aber M ark Aurel fü hrte sie unter dem N am en iuridki
56 Eck, Tra epigrafia (wie Anm . 27) 54 zu den consules II und III.
r Ein kurzer Ü berblick der M erkm ale in Eich, M etam orphose (wie A nm . 16) 2 1 - 2 6 , 7 0 zu modernen
G esellschaften.
18 Es besteht ein großer U nterschied zwischen Erfahrung, die zweifellos w ichtig war, und Spezialisierung
(au f eine geographische Region oder auf gewisse Aufgaben bezogen, etwa als vir militaris). Das Letztere
lässt sich in der kaiserlichen Verwaltung eher nich t beobachten; hierzu Werner Eck, Spezialisierung in der
staatlichen Adm inistration des Röm ischen Reiches in der Flohen Kaiserzeit, in: Lukas De Blois (Flg.),
Adm inistration, Prosopographv, and A ppointm ent Policies in the R om an Em pire (Amsterdam 2 0 0 1 ) 1 - 2 3 ;
Eich, M etam orphose (wie A nm . 16) 2 7 2 f..
■w Eck, Tra epigrafia (wie A nm . 27) 55f. Zu ähnlichen Auswahlkriterien bei den equites Romani s. Werner
Eck, D ie nichtsenatorische A dm inistration. Ausbau und D ifferenzierung, in: Ders., D ie Verwaltung des
Röm ischen Reiches in der H ohen Kaiserzeit. Ausgewählte und erweiterte Beiträge (Basel, Berlin 1 9 9 8 ) II
6 7 - 1 0 6 , bes. 9 6 - 1 0 0 . Für einen größeren Einfluss von Patronage a u f Kosten der Beförderungskriterien
argum entierte R ich ard E Salier, Personal Patronage under the Early Em pire (C am bridge 1 9 8 2 ) bes. 7 9 - 1 1 1 .
1 /:r/.\ Kaiser (wie A nm . 2 1 ) 54.
4! So steht es Im mer noch etwa in Allan Ward, Fritz Fleichelheim, Cedric Yeo, A H istory of the Rom an
People (Upper Saddle River, N J '2 0 0 3 ) 3 4 3 - 3 4 5 , einem viel benutzten Lehrbuch an den Universitäten
N ord-Am erikas.
Eck, N ichtsenatorische A dm inistration (wie Anm . 3 9 ) 8 7 - 8 8 .
D i e K a is e r , d ie r e p u b l i k a n i s c h e n I n s t i t u t i o n e n u n d di e k a i s e r l i c h e V e r w a l t u n g
169
wieder ein'*'. U nter Septim iu s Severus wurden die drei neuen Legionen, die I, II und III Parthica,
dem B efeh l von ritterlich en p m e je c t i übergeben, an Stelle von senatorischen legati. U n ter den severischen Kaisern ist besonders häufig zu sehen, wie Inhaber der w ichtigen stadtröm ischen Präfekturen
die o rn a m e n ta c o n su la ria oder andere ehrenhafte E p itheta e rh ie lte n 1*.
Freilich darf man die verw altungsbezogenen M aßnahm en eines Kaisers n ich t isoliert betrach ­
ten. Ihre D eutun g hängt von anderen Ereignissen ab, sowohl von der allgem einen En tw icklun g des
Reiches'^, wie auch von der besonderen „R egierungspolitik“ t<:' eines Kaisers (sow eit man sie in der
Forschung hat identifizieren können)'* .
W ill man die R olle des einzelnen H errschers schärfer ins Auge fassen, so ist auch zu fragen,
wie die Entscheidungen am Fiofe getroffen wurden, wer des Kaisers O h r hatte und m it welchen
R atgebern er sich um gab. M it dem Begriff con siliu m p rin cip is b ezeich net die Forschung die kai­
serliche R atsversam m lung, die aber kein klar definiertes G rem iu m darstelite, sondern deren
Zusam m ensetzung w echselte und z.B. davon abhängig war, wo der K aiser sich befand und wel­
che Fragen zu behandeln waren"8. D urch geh en d kann m an b eob ach ten , dass sow ohl erfahrene
Senatoren als auch R itte r in den w ichtigsten Ä m tern (besonders die zwei p m e fe c t ip r a e to r io ) daran
teilnahm en und dass erfahrene Ju risten oft gefragt waren, w obei der K aiser jew eils eine freie Hand
bei der Auswahl hatte. E in ige neu gefundene Inschriften haben den V erdacht entstehen lassen, ab
den Severern hätte sich eine gewisse Institu tionalisierun g des con siliu m entw ickelt - eine These, die
aber auch zurückgew iesen worden ist'*9.
'*•' Siehe z.B.
Werner Eck , D ie Um gestaltung der politischen Führungsschicht -
Senatorenstand und
Ritterstand, in: Ders., D ie Verwaltung des Röm ischen Reiches in der H ohen Kaiserzeit. Ausgewählte und er­
w eiterte Beiträge (Basel, Berlin 1995) I 1 0 3 - 1 5 8 , bes. 123; ders., D ie italischen „legati Augusti propraetore“
unter H adrian und A ntoninus Pius, in: ebd. 3 1 5 - 3 2 6 .
H Beriet Salway, Equestrian Prefects and the Award of Senatorial H onours from the Severans to C onstantine,
in: Anne Kolb (Flg.), H errschaftsstrukturen und Flerrschahspraxis. Konzepte, Prinzipien und Strategien der
Adm inistration im röm ischen Kaiserreich (Berlin 2 0 0 6 ) 1 1 5 - 1 3 5 , bes. 1 2 1 - 1 2 6 .
So
lässt sich z.B. die größere Anzahl von Senatoren und A m tsinhabern aus N ordafrika seit dem ausge­
henden 2. Jahrhundert m it der allgem einen Blütezeit Nordafrikas erklären und nicht m it Hinweis auf eine
„A frikanisierungspolitik“ der severischen Kaiser, wie m anchm al vorgeschlagen worden ist.
i6 Bekanntlich besteht seit der Veröffentlichung von M illar, Em peror (wie Anm . 2 5 ) eine D ebatte darü­
ber, inwiefern man von einem röm ischen Kaiser überhaupt eine spezifische „Politik“ erwarten kann; sie­
he dazu z.B. Jochen Bleicken , Z um Regierungsstil des röm ischen Kaisers. Eine A ntw ort a u f Fergus M illar
(Frankfurt 1 9 82); Eich , M etam orphose (wie A nm . 16) 7 8 - 8 0 ; s. auch Sebastian Schmidt-Efofner, Reagieren
und G estalten. D er Regierungsstil des spätröm ischen Kaisers am Beispiel der G esetzgebung V alentinians I
(Vestigia 58, M ünchen 2 0 0 8 ) bes. 1 1 - 1 8 zur allgemeinen Diskussion; sonst vor allem zur Spätantike. Auf
diese Frage kann hier nich t eingegangen werden.
! Zu einigen Veränderungen in der stadtröm ischen Verwaltung seit Trajan, die z.T. schwer zu erklären sind,
s. Brunn , Kaiser (wie Anm . 3 2 ) 9 7 , 1 0 1 -1 1 3 .
Im Allgem einen, m it einem Verzeichnis aller z.Z. bekannten am ici und M itglieder einer Ratsversammlung,
John Crook , C onsilium principis. Imperial C ouncils and C ounsellors front Augustus to D iocletian
(C am bridge 1 9 55, N D 1 9 7 5 ); Werner Eck , D er Kaiser und seine Ratgeber, in: Ders., D ie Verwaltung des
Röm ischen Reiches in der Flohen Kaiserzeit. Ausgewählte und erweiterte Beiträge (Basel, Berlin 1 9 9 8 ) II
3 - 2 9 . Ich benutze bewusst den Begriff consilium principis, da ich m ich auf die Verwaltung beschränke. Dass
man, wenn man den Regierungsstil des Kaisers im Allgemeinen behandeln m öchte, den weiteren und in­
haltsreicheren Begriff der aula Caesaris (des kaiserlichen Flofes) benutzen sollte, ist von Winterling, Aula
Caesaris (wie Anm . 8) gezeigt worden.
Christer Brunn , „Adlectus am icus consiliarius1' and a Freedman „proc. m etailorum et praediorum “. News
on Rom an Imperial A dm inistration, in: Phoenix 55 (2 0 0 1 ) 3 4 3 - 3 6 8 ; dagegen Werner Eck , D er Kaiser und
seine Ratgeber. Überlegungen zum inneren Zusam m enhang von „am ici“, „com ites“ und „con siliarif' am rö-
170
C hrister Bruim
V I . Schrittw eise E n tw ick lu n g der kaiserlichen M a c h t
Ein Bereich der V erw altung, der beleuchten kann, wie Institu tio nen sich schrittw eise entw ickelten
und die kaiserliche M ach t am Ende gestärkt dastand, ist die oben erw ähnte cum aquarum der Stadt
R om . D er L a u f der A quädukte wurde schon in der R epu blik m it b eschrifteten cippi abgegrenzt.
U n ter Augustus folgte m an noch dem republikanischen Form ular: Imperator Caesar divi /ilius
Augustus ex senatus consulto - Augustus hand elt vom Senat bev ollm ächtigt. Sch on unter T iberius
wird der Senat n ich t m ehr erw ähnt, ebenso unter Claudius, w ährend dann unter T rajan n ich t ein ­
mal m ehr die alte, lakonische Form el b eibeh alten worden ist, sondern der K aiser gleich erklärt, er
habe auch selber das G eld für die A quäduktarbeiten ausgegeben50.
D ie M a ch t des Princeps wurde auch ganz offiziell m it neuen, von den republikanischen O rganen
erlassenen V ollm achten gestärkt. Aus dem D ezem ber 6 9 stam m t die sog. lex de imperio Vespasiani,
ein G esetz, das einen w eiteren S c h ritt weg von den republikanischen T rad ition en bezeugt, wie die
acht erhaltenen Paragraphen zeigen ( C I L V I 9 3 0 ). D as G esetz wurde sicher in Z usam m enarbeit
m it dem Senat ausgearbeitet, ehe es von den C o m itien abgefertigt w urde’ 1. D ie lex de imperio gibt
dem K aiser w eitgehende Befugnisse sow ohl außen- als auch vor allem inn en politisch . D er T ext be­
sagt ausdrücklich, dass m ehrere dieser Prärogativen auch von den Vorgängern Vespasians besessen
wurden. P aragraph6 g ib t ihm praktisch carte blanche in allen A n gelegenheiten und in P aragrap h?
kom m t die später oft zitierte Form el legibus plebisque scitis Imperator solutus sit (obw ohl hier von
Begrenzungen b eg le itet)’ 2. Zu diesem T hem a gib t es dann eine weitere E n tw ick lu n g: In den
Institutiones des G aius (M itte 2. Jah rh u n d ert n. C h r.) werden die constitutionesprincipis (d.h. decre­
ta , edicta, epistulae) als G esetze b etrach tet (G ai. inst. 1, 2; 5 ) ’’ . D iese gesetzgebende R olle teilte er
aber, wie derselbe Gaius feststellt, m it dem röm ischen Volk, dem Senat, m it M agistraten, die das ins
edicendi haben, und m it den R echtsgelehrten (G ai. inst. 1, 2 ).
m ischen Kaiserhof, in: Anne Kolb (H g .), Herrschaftsstrukturen und H errschaftspraxis. Konzepte, Prinzipien
und Strategien der Adm inistration im röm ischen Kaiserreich (Berlin 2 0 0 6 ) 6 7 - 7 7 , bes. 7 0 - 7 3 . Es lässt sich
leicht feststellen, dass z.B . im hellenistischen Ägypten eine stärkere Institutionalisierung z.B. der arnici des
Herrschers stattfand, als m an es für Rom annim m t; dort war der T itel O'/.cc roü ßamlscoc gängig, s. Leon
Mooren, The Aulic Titulature in Ptolem aic Egypt. Introduction and Prosopographv (Bruxelles 1 975).
50 Bruun, W ater Supply (wie Anm. 3 4 ) 181 f. D ie zuständigen V erw altungsbeam ten, die citratores aquarum,
werden zum letzten Mal a u f cippi unter Claudius erwähnt, ebd. 160. Für die Verwaltung der stadtröm i­
schen cum alvei Tiberis et cloacarum urbis lässt sich anhand der Q uellen dasselbe zeigen, s. dazu Werner Eck,
Senatorial Self-Representation. Developm ents in the Augustan Period, in: Fergus M illar, Erich Segal (Fig.),
Caesar Augustus Seven Aspects (O xford 1984) 1 2 9 - 1 6 7 , bes. 136f.
51 D er T ext ist abgedruckt, m it Übersetzung und knappem K om m entar, in M ichael Crawford u.a., Rom an
Statutes, Bd. 1 (London 19 9 6 ) 5 4 9 - 5 5 3 . Zu beachten sind jetzt vor allem die Beiträge in Luigi Capogrossi-
Colognesi, Elena Tassi Scandone (F lg.), La Lex de Im perio Vespasiani e la R om a dei Flavi (Rom a 2 0 0 9 ) m it
weiterer Bibliographie. Es kann kein Zweifel bestehen, dass die erhaltene Bronzetafel nur einen Teil des
ursprünglichen Gesetzes darstellt.
52 Z ur Frage, ob man schon für die Vorgänger Vespasians seit Caligula m it einer ähnlichen Lex de imperio
rechnen soll, teilen sich die M einungen im m er noch, s. Capogrossi-Colognesi, Scandone, Lex (wie Anm . 51)
passim. M an könnte m einen, erst die M achtübernahm e einer neuen Dynastie hätte neue M aßnahm en not­
wendig gem acht.
Ä hnliche Stellen bei anderen Juristen sind zitiert bei ebd. 110, m it D iskussion 1 1 1 - 1 1 3 . Peter A. Brunt,
Lex de im perio Vespasiani, in: JR S 6 7 (1 9 7 7 ) 9 5 - 1 16, bes. 102f. für diesen Schluss und den W ortlaut der lex.
D i e K a is e r, d ie r e p u b l i k a n i s c h e n I n s t i t u t i o n e n u n d d ie k a i s e r l i c h e V e r w a l t u n g
Ein entscheidender S c h ritt in R ich tu n g M o n archie wurde dann auch nie un tern om m en: D as
Kaisertum wurde nie gesetzlich erblich , sondern der Senat hatte im m er dem neuen Kaiser, der ge­
wiss oft von seinem V orgänger ausgesucht worden war, seine Befugnisse zu gew ähren’4.
V I I . Ex senatus consulto und „ D y a rch ie“
D ie Erw ähnung des Senats in den oben angeführten Q u ellen zur stadtröm ischen Verw altung ver­
d ient n o ch einige W o rte. In der Ausform ung der kaiserlichen P olitik h ieß es n ich t nur, den Ehrgeiz,
und das Standesgefühl der einzelnen Senatoren zu beachten, es galt auch, die In stitu tio n des Senates
an sich zu würdigen. Sfenatus) c(onsulto) stand deshalb am A n fan g a u f den Aquädukt-«/»/«', diesel­
ben Buchstaben standen auf den röm ischen B ronzem ü nzen51 und S. C. war auch Teil des A m tstitels
der praefecti fru m e n ti clandi, derjenigen Senatoren also, die für die G etreid everteilu ng in R om zu­
ständig w aren56.
M it der D eu tu n g des Kürzels S. C. hängt eine n ich t unw ichtige Interp retation des Prinzipats
zusam m en. V on m anchen F o rsch em ist die Erw ähnung des Senats, sei es nur in der Form el S. C.,
als besonders bedeutungsvoll angesehen w orden. N ich t vom Kaiser, sondern vom Senat sei hier die
E ntscheidung getroffen w orden. Es handle sich dem nach um A m tsträger des Senats - im Gegensatz
zu denen, die vom K aiser ernan n t wurden.
W ir haben es h ier m it dem von M om m sen entw ickelten K on zept der D yarchie zu tun, das auf
die spätere Forschung einen bedeutenden Einfluss ausgeübt hat. W as M om m sen dam it gem eint
hat, ist aber offenbar oft n ich t richtig rezipiert w orden. M om m sen beschränkte den G ebrauch
des Ausdrucks auf das Fo rtleb en republikanischer staatlicher In stitu tion en (Senat, M agistraturen
usw.). E r beschrieb bew usst die verfassungsrechtlichen V erhältnisse, aber n ich t die p olitischen
M achtverhältnisse, wie n eulich b eto n t worden ist’ . K ritiker, die den B e g riff der D yarch ie zu­
rückweisen, tun dies unter dem H inw eis a u f die realen h istorisch en Ereignisse; niem and wird
aber in Frage stellen, dass eine K onku rrenzsituation zwischen dem neuen M on archen und dem
republikanisch gesinnten Sen at bestand. Von anderen Forschern ist aber, m it B erufun g a u f den
1,1 Betont von Winterling, Staat (wie Anm. 1) 96 (mit Verweis auf Mommsen).
” Sehr selten findet sich S. C. auch auf Silbergeld. Die Frage hat in der Vergangenheit viel Diskussion hervorgerufen. Eine weitgehend befriedigende Lösung ist jetzt vorgelegt worden von Reinhard Wolters, Prägungen
des Kaisers vs. Prägungen des Senats. Mommsens „Dyarchie-Thesc“ und die antike Numismatik, in: H.-M.
von Kaenel u.a. (Hg.), Geldgeschichte vs. Numismatik. 'Iheodor Mommsen und die antike Münze (Berlin
2004) 2 4 7 -2 6 3 (mit Bibliographie), der zeigt, dass der Gebrauch der Formel S. C. davon abhängt, dass die
Münzstätte in Rom (dem Senat unterstehend) für die Prägung zuständig war. In den Provinzen war dagegen
naturgemäß der Statthalter für die Prägung zuständig. Das Auftreten der Formel hat demnach eine geogra­
phische Erklärung und obwohl ihr Gebrauch verschiedene „konstitutionelle“ Strukturen reflektiert, braucht
man darin keinen besonderen Antagonismus zu sehen.
x' Die praefecti frumenti dandi ex S. C. werden verzeichnet in Hans-Georg Pflaum , Du nouveau sur les ,agri
decumates“ ä la iumiere d’un fragment de Capoue, in: BJ 163 (1963) 2 2 4 -2 3 7 , bes. 2 3 4 -2 3 7 . Einige neue
Datierungen, die für die Einschätzung der Rolle des Amtes nicht unwichtig sind, bei Christer Brunn, The
Roman „Minucia" Business. Ideological Concepts, Grain Distribution and Severan Policy, in: Opuscula
Instituti Romani Finlandiae 4 (1989) 1 0 7 -1 2 1 , bes. 11 0 -1 1 4 .
v Hierzu und zum Folgenden Aloys Winterling, Dyarchie in der römischen Kaiserzeit. Vorschlag zur
Wiederaufnahme der Diskussion, in: Wilfred Nippel, Bernd Seidenstricker (Flg.), Theodor Mommsens langer
Schatten. Das römische Staatsrecht als bleibende Herausforderung für die Forschung (Zürich, New York
2005) 177-198.
172
C h r is tc r B ru u n
M om m sensch en Begriff (und o h n e zu beach ten , dass M om m sen die praktische P olitik anders sah)
behauptet w orden, dass aus dem grundlegenden Gegensatz K aiser - Sen at eine Z w eiteilung des
röm ischen Staates resultiert hätte. M anche Ä m ter wären vom K aiser an seine V ertrauensleute verge­
ben w orden; dies waren die kaiserlichen Ä m ter (hierzu gehörten vor allem die Statthalter, die legati
Augusti pro praetore, aber auch viele niedrige Ä m ter). D er Sen at hätte vor allem die proconsules, die
in den Provinzen (m eisten s) oh ne Truppen am tierten, ernennen können, aber auch die stadtröm i­
schen praefecti frumenti dandi lS.
D ie D iskussion um die praefecti frum enti dandi stellt ein erhellendes Beispiel der herköm m lichen
D eu tu n g der M o m m scn ’schen D yarch ie-H yp oth ese dar. D ie R eih e der bekannten senatorischen
A m tsin h aber zeigt einige Lücken, z.B. von Claudius bis zum Ende D o m itian s und ab C om m odus
bis Severus Alexander. Von Forschern wie H a n s-G eo rg Pflaum und etlich en anderen wurde deshalb
behauptet, diese Lücken in den fasti seien n ich t ein Produkt des Z ufalls, sondern würden adm inis­
trative Veränderungen w iderspiegeln: D er senatsfeindliche C laudius habe das A m t abgeschafft und
an Stelle des praef. frum enti dandi einen sozusagen „kaiserlichen“ praefectus M iniciae (zwar auch aus
dem Senato ren stan d !) ernan n t (m an kennt eine knappe H andvoll von diesen A m tsträgern ). Nerva
als Senatsfreund habe die M ach t über die Ernenn un g w ieder dem Senat zurückgegeben. D iese „dyarch istische“ H ypothese ersch ein t heute w enig glaubhaft. D ie neuere prosopographische Forschung
hat gezeigt, dass die Lü cken in den fasti gar n ich t so offen klaffen, wie man früher glaubte, und über­
haupt scheint die T heo rie von „kaiserlichen“ oder „senatorischen“ Ä m tern heute w enig plausibel:
Eine so selbstständige R o lle wird m an dem Senat n ich t Z u tr a u e n k ön n en ’9. Im N orm alfall wurde
der röm ische Staat eben doch von einem im m er m ächtigeren K aiser geleitet, in Z usam m enarbeit
vor allem m it dem Senat. S o lassen sich aus diesen D aten zur V erw altung auch keine Rückschlüsse
auf die P olitik der entsp rechend en K aiser ziehen.
G anz aus der Luft gegriffen ist die H ypothese der A m tsträger „im A uftrag des Senats“ natürlich
n ich t; Sow ohl die kaiserliche R egierung als auch der ordo senatorius waren sich n atürlich bewusst,
dass es z.B. in der Provinzverw altung eine A ufteilung gab zw ischen G eb ieten , die von einem legatus Augusti pro praetore bzw. einem proconsul verw altet w urden60. W enn aus irgendeinem G rund
der Status einer Provinz verändert wurde, geschah dies m eistens in der Form eines Austausches:
Z .B . wurde unter Trajan Sardinien einem proconsul übergeben, aber zur selben Z e it wurde auch der
Status von P on tus-B ith yn ia verändert, so dass diese prokonsularische Provinz dann ausnahmsweise
unter einem legatus Augusti pro praetore stand. Ä hnliches kenn t man aus den R egierungszeiten von
A n ton in u s Pius und M ark Aurel61.
Zur sortitio der proconsules s. Eck, Tra epigrafia (wie Anm. 27) 4 5 f.; Ursula Vogel- Weidemann, Die Statthalter
von Africa und Asia in den Jahren 1 4 -6 8 n. Chr. (Bonn 1982) 12 -1 4 .
v? In der Diskussion über die Natur des Amtes des praef. frumenti dandi ex S. C. wurde die ’Ihese, dass
man darin einen Niederschlag der Dyarchie beobachten kann, zuletzt mit Nachdruck vertreten von Pflaum,
Nouveau (wie Anm. 56), dem etliche Forscher gefolgt sind. Dagegen Geoffrey Rickman, ~lhe Grain Supply of
Ancient Rome (Oxford 1980) 2 1 3 -2 1 7 ; zuletzt Bruun, „Minucia“ (wie Anm. 56).
60 In der Provinzverwaltung spricht man aber nicht mehr von „Senatsprovinzen", sondern in Anschluss an
Fergus Millar werden die von Prokonsuln verwalteten Gebiete als provinciae populi Romani bezeichnet; s.
Eergus Millar, „Senatorial“ Provinces. An Institutionalized Ghost, in: Ancient World 20 (1989) 9 3 -9 7 = ders.,
Ihe Roman Republic and the Augustan Revolution (Chapel Hill, London 2002) 3 1 4 -3 2 0 . Andererseits war
der kaiserliche Einfluss in den prokonsularischen Provinzen kaum geringer als in den „seinigen“. Schon unter
Augustus konnte der Princeps den Prokonsuln schriftliche Anweisungen senden (oben Anm. 22).
'?1 Eck, Kaiser (wie Anm. 21) 48. Rudolf Elaensch, Peter Weiß, Gewichte mit Nennung von Statthaltern von
Pontus et Bithynia, in: Chiron 35 (2005) 4 4 3 -4 9 8 , bes. 454, 480 datieren aufgrund von Neufunden den
D i e K a is e r, d ie r e p u b l i k a n i s c h e n I n s t i t u t i o n e n u n d d ie k a i s e r l i c h e V e r w a l t u n g
173
V I I I . K aiser, Senatoren und Augusti liberti
O ffen b ar strebten es Kaiser wie T rajan und Pius an, „gerecht“ zu sein in ihrem Verhalten gegen­
über dem Senat: Es gab ein q u id pro quo bei Veränderungen der Provinzverw aitung. A ber n ich t alle
K aiser handelten in derselben W eise. In einem kurzen Ü b erb lick ist es un m öglich, auf Einzelheiten
einzugehen, und so muss es h ier genügen, ganz allgem ein festzustellen, dass die in den schriftli­
chen Q u ellen often als „schlechte K aiser“ bezeichneten M o n arch en - insbesondere C aligula, N ero,
D o m itia n , C om m odus, Caracalla und Elagabalus (aber auch bei anderen findet man negative Züge)
- vor allem in ihrem Verhalten gegenüber dem Senat und den Senatoren gegen das H erkom m en ver­
stießen. Ih r N a ch ru f wurde für senatorische Leser geschrieben, und ihre B iographien oder die h is­
torischen N arrative etw a eines T acitus spiegeln die E m pörung und das beleidigte Standesgefühl der
senatorischen E lite wieder. D ass es dabei sogar zu großen V erzerrungen der tatsächlichen Ereignisse
und des kaiserlichen V erhaltens kom m en kon n te, ist kürzlich in faszinierender W eise in Bezug auf
C aligu la gezeigt w orden62.
Von einigen Kaisern hat m an den E indruck, ihre P olitik sei eher das R esu ltat eines teilweisen
Sch eiterns als einer w irklich verantw ortungslosen R egierungspraxis; Claudius kann hier als Beispiel
dienen. Seine Regierung ist u.a. stark m it dem überm äßigen Einfluss der kaiserlichen Freigelassenen
verknüpft.
Aus den Q u ellen, sow ohl den literarischen als auch vor allem den epigraphischen, geht hervor,
dass unter den Ju lio -C la u d ie rn die R olle der fa m ilia Caesaris stetig zunahm . A m H of, also in der
u nm ittelbaren N ähe des Kaisers, gab es je tz t kaiserliche Freigelassene, die als ab epistulis, a ratiombus, a libellis, a studiis usw. bezeich n et wurden, um einige der w ichtigsten Fu nk tio n en zu nennen63.
Selbstverständlich hatten röm ische Senatoren im m er Beziehungen zu ihren Freigelassenen, und
dieses K lientelverhältnis b ildete auch den A usgangspunkt für den Einsatz der fam ilia Caesaris in
der kaiserlichen V erwaltung. M it den republikanischen T rad ition en freilich hatten die servi und
liberti Caesaris am H o fe und in den Provinzen w enig zu tun, und deshalb kon n ten auch K onflikte
zwischen den Kaisern und den Senatoren n ich t ausbleiben.
D ie Verw endung der fam ilia Caesaris sollte der Verw altung der kaiserlichen G ü ter und des
R eiches dienen. D ie kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen waren zahlreich und bildeten eine
gut ausgebildete und dem Kaiser loyale G ruppe. M it ihrer H ilfe kon n te dem Problem eines feh ­
lenden „Beam tenstands“ abgeholfen werden6'. Allerdings stim m t dieses Idealbild n ich t gut m it
den Beschreibungen bei S u eto n oder T acitus überein6’ . M an darf sich in der T at n ich t vorstellen,
dass jedes M itglied der fa m ilia Caesaris von denselben hohen m oralischen W erten inspiriert war
Wechsel des Status von Ponttis et Bithynia bzw. Lycia et Pamphyiia zwischen 156/157 und 159.
bl Aloys Winterling, Caligula. Eine Biographie (München 2003) 8 9 -9 7 .
63 Boulvert, Esclaves (wie Anm. 8) 9 1 -9 9 ; Millar, Emperor (wie Anm. 25) 7 4 -7 7 ; Eck, Nichtsenatorische
Administration (wie Anm. 39) 88f.
t-'! Auch in der Maecenas-Rede genannt, 52, 25, 5: sk tw v s^sAsuOspcov uov, bei der Rede von Untergeordneten
in der Provinzverwaltung (sowohl von Rittern als Freigelassenen). Vgl. etwa Barbara Levick, Claudius
(London 1990) 84 zur Rolle der Freigelassenen unter Claudius: „ Ihe aim was evidently to increase efficiency
and dispatch. Claudius’ conduct was pragmatic, not politically motivated.“
^ Zu Claudius vgl. Täc. ann. 11i. und Suet. Claud. Wie empört ein Senator wie Piinius darauf reagierte, dass
Claudius seinem Freigelassenen Pallas die ornamentapraetoria verlieh, ist von Winterling, Staat (wie Anm. 1)
107 betont worden, s. Plin. ep. 7, 29; 8, 6. Zur Lage unter dem ebenfalls von den antiken Historikern dis­
kreditierten Domitian zitiert man aber hier gerne Millar >Emperor (wie Anm. 25) 79: ,/Ihe poems of Martial
and Statius show us the freedmen of the Flavian house in quite a different light. If our only evidence for the
174
C hrister Brunn
wie etwa ein E p ik tet06, M achtm issbrauch kam gewiss vor, und als unter Claudius der Einfluss von
Freigelassenen am H o fe zunahm (T ac. ann. 12, 5 3 ; Suet. Claud. 2 8 ), ist es wohl m öglich, dass der
K aiser zu sehr von den privaten M otiven der H öflinge beeinflusst wurde, während er beabsichtigte,
die Verw altung effektiver zu m ach en 0'.
W ie dem auch sei, der Standesstolz der Senatoren und R itte r kon n te es n ich t verkraften,
dass Sklaven und Freigelassene an Einfluss und M acht die V ertreter des Senats und des populus
Romanus überflügelten68, und so war der Flöh ep u nk t des Einflusses der Augusti liberti nach ein i­
gen Jah rzeh n ten schon vorüber. M itg lied er der Jam ilia Caesaris verschwanden natürlich n ich t aus
der V erwaltung, aber ihre R olle am H o fe, in R om und in den Provinzen wurde offenbar schon
unter D o m itian und n o ch d eutlich er unter N erva und Trajan reduziert69. Ein Satz von Plinius dem
Jü ngeren in seiner L obrede auf T rajan ist w oh lbekan n t: Scis enim praecipuum esse indicium non ma-
gni prindpis magnos libertos (P lin . paneg. 8 8 , 2 ). „An den m ächtigen Freigelassenen erkennt man
einen unbedeutenden Kaiser!1
Beim Versuch, ihren Freigelassenen eine führende R olle in der Verw altung zu geben, hatten
die Kaiser des ersten Jah rh u n d erts n .C h r. ihre H andlungsfreiheit überschätzt. Flätte es aber an­
ders laufen können? In vergleichender Perspektive mag es interessant sein zu beob achten , wie die
En tw icklun g im spätantiken K o n stan tin o p el einen anderen W eg nahm . D ie M ach t der Eunuchen
am H o f des oström isch en Kaisers war w ährend m ehreren Jah rh u n d erten oft von entscheiden­
der Bedeu tu ng °. Aus kom parativer S ic h t ist es sogar ganz und gar n ich t ungew öhnlich, dass ein
A lleinherrscher sich m it einflussreichen Eunuchen um gibt; m an kenn t das Phänom en z.B. auch
aus dem alten Perserreich und C h in a ''1. D as Besondere im R om des ersten Jah rh u n d erts n. Chr. war
regime of Domitian were the poems written during it, we should see the imperial court as a benign centre of
patronage, literary as well as official.“
66 Zu Epiktet als Quelle Kir die Reichsverwaltune s. Fergus Millar, Epictetus and the Imperial Court, in: JRS
55 (1965) 14 1 -1 4 8 .
Levick, Claudius (wie Anm. 64) 8 3 -8 5 zu Claudius (wobei allerdings die Frage nach einer etwaigen
„Zentralisierung1' der Verwaltung eine Schlüsselrolle spielt). Im Allgemeinen zur Verwaltung unter Claudius:
Werner Eck, Die Bedeutung der claudischen Regierungszeit für die administrative Entwicklung des römi­
schen Reiches, in: Ders., Die Verwaltung des Römischen Reiches in der Hohen Kaiserzeit. Ausgewählte und
erweiterte Beiträge (Basel, Berlin 1998) H 14 7 -1 6 6 .
6a Vgl. was die Quellen über Neros Pläne berichten, alle wichtigen Posten den Rittern und seinen eige­
nen Freigelassenen anzuvertrauen; nach der Aufdeckung der pisonischen Verschwörung im Jahr 65 n.Chr.
hatte der Senat in der Tat viel an seiner Bedeutung eingebüßt; hierzu Winterling, Staat (wie Anm. 1) 94.
Ein Ausdruck dieser Politik war die Verleihung der militärischen Auszeichnungen der basta pura und coro­
na aurea an den Freigelassenen Epaphroditus (dem ja der Militärdienst grundsätzlich untersagt war), siehe
zur Inschrift ILS 5905, Werner Eck, Neros Freigelassener Epahroditus und die Aufdeckung der pisonischen
Verschwörung, in: Historia 25 (1975) 381-384".
öi> Eck, Nichtsenatorische Administration (wie Anm. 39) 8 9 -9 1 .
'°Siehe einführend Keith Hopkins, The Political Power o f Eunuchs, in: Ders., Conquerors and Slaves (Cambridge
1978) 1 7 2 -1 9 6 mit einer recht hypothetischen Erklärung für das Phänomen. Zu den Fiofeunuchen des
4 .Jahrhunderts siehe Peter Cuyot, Eunuchen als Sklaven und Freigelassene in der griechisch-römischen
Antike (Stuttgart 1980) 1 3 0 -1 8 0 ; vgl. Dieter Simon, Lobpreis des Eunuchen (Schriften des Historischen
Kollegs 24, München 1994) bes. 7: „Vom 5. Jahrhundert an steht die prinzipielle Existenzberechtigung einer
mächtigen Schicht kastrierter Flöflinge nicht mehr zur Debatte.“
! Siehe z.B. Vern L. Bullough, Eunuchs in Flistory and Society, in: Shaun Tougher (Hg.), Eunuchs in Antiquity
and Beyond (London 2 002) 1 -1 7 ; Lloyd Llewellyn-Jones, Eunuchs and the Royal Harem in Achaemenid
Persia (5 5 9 -3 3 1 B.C.), in: ebd. 1 9 -4 9 ; Shih-shan Henry Tsai, Eunuch power in imperial China, in: ebd.
2 2 1 -2 3 3 .
D i e K a is e r, d ie r e p u b l i k a n i s c h e n I n s t i t u t i o n e n u n d d ie k a i s e r l i c h e V e r w a l t u n g
175
offenbar die M achtbalan ce zw ischen K aiser und Führungsschicht. D ie sen atorisch -ritterlich e Hlite
war öko n o m isch und politisch zu stark und zu sehr einer gem einsam en aristokratischen Ideologie
verbunden, um es dem H errsch er zu erm öglichen, loyale M itglied er der fa?nilia Caesaris an die
Spitze der Verwaltung zu stellen.
IX . Discordia ordinum im Interesse des Kaisers?
D er W iderspru ch zwischen m ächtigen M itglied ern der fam ilia Caesaris und den an den repub­
likanischen Form en festhaltenden Senatoren war n ich t der einzige poten tielle K o n flikt zwischen
Standesgruppen im K aiserreich. In der Forschung wird m anchm al n o ch m it w eiteren Spannungen
im Staat und in der staatlichen Verw altung gerechnet, die besonders die equites Romani mit
einbeziehen.
Aus der späten R ep u b lik ist das kom plizierte Verhältnis zwischen Senatoren und dem ordo equester bekannt. Früher w ollte m an in der Forschung diese beide G ruppen oft in einem dauerhaften
K on flikt sehen: D ie Senatoren waren G roßgru ndbesitzer, die R itte r aber waren als publicani und
negotiatores tätig. D ie röm ische P olitik sei hier von einem Interessenskonflikt der beiden G ruppen
geprägt gewesen. In neuerer Z e it b eto n t man dagegen lieber die gem einsam en Interessen der zwei
ranghöchsten ordines, man w eist auf die Tatsache hin, dass G ru n d besitz auch für R itte r funda­
m ental war, und o ft wird behauptet, dass Senatoren m it H ilfe von M ittelsm änn ern in H andel und
M anufakturen einen Teil ihres Kapitals anlegten, genau wie m an es von den R itte rn an nim m t 2. D ie
Idee, dass ein G egensatz zwischen Senatoren und R ittern bestanden habe, ist d enn och n ich t völlig
von der H and zu weisen, sonst wäre es für C icero auch n ich t n otw end ig gewesen, die Parole der
concordia ordinum zu verfechten 3.
A uf jeden Fall hat die T heo rie eines K on flikts zwischen R itte rn und Senatoren auch in der
Forschung zur kaiserzeitlichen Verw altung einen gewissen W id erh all gefunden. E in Aufsatz von
W erner E ck m it dem T ite l „D ie A usform ung der ritterlich en A d m in istration als A n tisen atsp olitik?“
deutet an, wie man den Einsatz von M itglied ern des ordo equester oft gesehen hat. G erade diese
D eu tu n g wird aber von Eck, und gewiss m it R ech t, zurückgewiesen \ Es lässt sich n ich t behaup­
ten, die K aiser im A llgem einen h ätten w enig V ertrauen in die Senatoren gehabt und wären deshalb
2 Das Interesse der Senatoren an kommerziellen Tätigkeiten wurde besonders von John H. DArms,
Commerce and Social Standing in Ancient Rome (Cambridge, Mass. 1981), hervorgehoben, der m.E.
manchmal zu eifrig ist, senatorischen Einfluss zu sehen. Die Frage wird mehrmals betont in Andrea Giardhuu
Aldo Schiavone (Flg.), Societä romana e produzione schiavistica, Bd. 1 -3 (Rom, Bari 1981); dazu s. die
Rezension von Dominic W. Rathbone, in: JR S 73 (1983) 1 6 0 -1 6 8 , bes. 165f. Zum Thema des ökonomischen
Engagements der Senatoren linden sich auffälligerweise so gut wie keine Spuren in Walter Scheidel u.a. (Flg.),
The Cambridge Economic Plistory of the Greco-Roman World (Cambridge 2007).
3 Man vergleiche Tac. Agr. 9, 4, wo die potentiellen Spannungen zwischen senatorischen Statthaltern und
ritterlichen (?) Prokuratoren angedeutet werden. Der musterhafte Agricola war procul a contentione adversus procuratores et vincere inglorium et atteri sordidum arbitrabatur. Es ist natürlich kein Zufall, dass equites
Romani von Rechtshandlungen über Senatoren ausgeschlossen wurden (Hist. Aug. Hadr. 8, 8: Marc. 10, 6).
'* Werner b'.ck, Die Ausformung der ritterlichen Administration als Antisenatspolitik?, in: Ders., Die
Verwaltung des Römischen Reiches in der Hohen Kaiserzeit. Ausgewählte und erweiterte Beiträge (Basel,
Berlin 1995) l 2 9 -5 4 ; weiter ebd. 84 A. 1; Alföldy, Stellung (wie Anm. 11); Peter A. Brunt, Princeps and
Equites, in: JR S 73 (1983) 4 2 -7 5 - Man vergleiche Hopkins, Political Power (wie Anm. 70) 188: „Aristocrats
had to be given power. But in the fourth century there were no equestrians to counterbalance them.“
176
C hrister Brunn
im m er darum besorgt gewesen, jedem senatorischen A m tsträger einen zuverlässigen kaisertreuen
R itte r als Aufseher beizugeben, etw a dem proconsul provinciae einen procurator provinciae, dem cu­
rator aquarum einen procurator aquarum und so w eiter'’ . Vor allem g ib t es keinen G ru n d anzunehmen, dass die sozialen und ö ko n o m isch en U nterschied e zw ischen R itte rn und Senatoren in der
Kaiserzeit so groß gewesen wären, dass man zwischen ihnen m it einem dauerhaften, unüberbrü ck­
baren K o n flikt in P olitik und V erw altung hätte rechnen müssen oder können.
Ganz einfach ist diese Frage aber auch n ich t; oben wurde auf die sogenannte M aecenas-R ede
hingew iesen. Laut Cassius D io waren R itte r für etliche A ufgaben besser g eeig n et'6. H ier handelte
es sich aber weniger um Loy alität als um Erfahrung und H erkunft. H o h e ritterlich e O ffiziere, die in
eine prokuratorische Laufbahn w echselten, hatten oft eine breite Erfah run g, die m eistens auch zi­
vile A ufgaben um fasste. B eim Einsatz von ritterlich en A m tsträgern, so muss man annehm en, stand
die Effektivität des Staates im Vordergrund.
D ab ei kann m an in einer vorindustriellen G esellschaft natürlich n ich t m it einem m odernen
Rationalism us rechnen. Es kam gewiss o ft genug vor, dass ein A m tsträger den richtigen sozialen
H in tergru nd hatte, sozusagen ein „G en tlem an “ war. N ichtsdestow eniger ist in der M aecenas-R ede
w iederholt von E rfahrung und K o m p eten z die Rede (z.B . Cass. D io 52, 2 3 , 2; 52 , 24, 5 f ) ; andere
Q u ellen deuten Ä h nliches an. Gew iss kon n te die kaiserliche Regierung die Effektivität auch daran
messen, ob Steuereinnahm en flössen und die quies in der Provinz bew ahrt wurde.
Ganz bestim m t wird diese Frage der K om peten z eine R o lle gespielt haben, als der A n teil der
R itte r an der Verw altung ausgebaut wurde. H ier wirkten aber auch dem ographische Faktoren m it
ein. D en n die Z ahl der zu besetzenden Stellen w uchs stetig, aber der Senat um fasste im m er nur 6 0 0
M itglieder. Senatorische Fam ilien starben aus, und im 2 .Ja h rh u n d ert begann m an m öglicherw eise
zu spüren, dass n ich t alle jungen Senatoren w irklich Interesse an einer öffentlich en Karriere hat­
ten ’. U nd diejenigen, die es w ollten - waren sie auch den A ufgaben gewachsen? D er ordo equester
stellte ein unvergleichbar größeres R eservoir an T alenten dar \ und oh ne diesen Zufluss wären die
Verwaltungsausgaben n ich t zu m eistern gewesen.
W eniger ein M isstrauen gegenüber Senatoren als der B ed arf an E ffektivität bed in gte den Einsatz
von R ittern . So steigt auch die Z a h l der ritterlich en V erw altungsäm ter stetig, w obei man jed och
nich t vergessen darf, dass wir gänzlich von der epigraphischcn Ü berlieferu n g abhängig sind: HansG eorg Pflaum rech n et m it 135 ritterlich en Ä m tern unter C om m odus, wozu allerdings W erner Eck
bem erkt hat, die Z ahl sei „m it außerordentlich großen U n sich erheiten belastet“ 9. U n ter Septim ius
75 Die These von einer Überwachung durch ritterliche Amtsträger findet sich z.B. bei Hans-Georg Pflaum, Les
procurateurs equestres s o i l s le Haue-Lmpire romain (Paris 1950) 4, passim, und in späteren Arbeiten. Andere
Forscher ähnlicher Meinung verzeichnet bei lick, Ausformung (wie Anm. 74) 29.
' “ Cass. Dio 52, 19 -2 6 .
' Die Frage, wie weit sich Senatoren besonders im 2. Jahrhundert der Verwaltung entzogen, wurde geweckt
von Hopkins, Burton, Ambition (wie Anm. 1 f ); ihre auf Statistik über Konsuln des 2. Jahrhunderts ruhenden
Argumente wurden jedoch überzeugend in Frage gestellt von Johannes Hahn, Paul M. M. Leunissen, Statistical
Method and Inheritance o f the Consulate under the Early Roman Empire, in: Phoenix 44 (1990) 6 0 -8 1 ,
bes. 7 7 -8 0 .
: Die Zahl der Ritter im Römischen Reich lässt sich nicht leicht einschätzen; bei Eck, Administration (wie
Anm. 13) 13, ist von 5 0 0 0 Rittern die Rede, aber „vielleicht umfasste der ordo sogar mehrere zehntausend
Personen“.
■
’ Hans-Georg Pflaum, Abrege des procurateurs equestres (Paris 1974) 32; Eck, Nichtsenatorische
Administration (wie Anm. 39) 86.
D i e K a is e r, d i e r e p u b l i k a n i s c h e n I n s t i t u t i o n e n u n d di e k a i s e r l i c h e V e r w a l t u n g
177
Severus ist die Z ahl bekan n ter Stellen laut Pflaum aid 173 gestiegen'"1. Ein w eiterer V orteil war
natürlich, dass die ritterlich e „K arriere“ n ich t unter derselben republikanischen Belastung litt wie
der senatorische curms bonorum-. D ie Ä m terlaufbahn war unter den Kaisern entw ickelt worden
und die Ernenn un g stam m te vom Princeps alleine. A uch hier entw ickelten sich aber N orm en und
Erw artungen; die A usw ahlkriterien sahen n ich t viel anders aus als bei den Senatoren -''.
X . Pseu dokollegialität in der V erw altung
W enn man aber schon von Ü berw achu n g von A m tsträgern spricht, so sind auch einige W orte
über die Loyalität der R itte r notw endig. O b w o h l nach der Regierung D o m itian s die kaiserlichen
Freigelassenen die führenden Stellen an R itte r abgaben, findet man m anchm al n och Augusti liberti,
w elche dieselbe A m tsbezeich n un g tragen wie vor der R e fo r m . So kann es V o rk o m m en , dass zur sel­
ben Z e it ein R itte r und ein k a is e rlic h e r Freigelassener denselben A m tstitel tragen“ oder jedenfalls
am tlich zusam m en auftreten83.
D ieses Phänom en wird in der Forschung als „Pseudokollegialität“ bezeich n et (od er „collcgialite
inegale“ bzw. „dual procu ratorship“), und besonders H a n s-G eo rg Pflaum hat sich dam it befasst.
Sein e Erklärung zielt wieder auf die Frage der Loyalität ab. D ie K aiser vertrauten niem anden m ehr
als den M itglied ern ihrer eigenen fam ilia Caesaris, und so wurde den ritterlich en A m tsträgern ein
B egleiter beigegeben, der als des Kaisers O h ren und Augen dienen k o n n te84. In einem bekannten
D o k u m en t aus R om aus dem Ja h r 193 findet man die Pseudokollegialität z.B. bezeugt. In einem
vom W ä ch ter der M arcus-A urelius-Säule initiierter Briefw echsel kom m en vier A m tsträger vor:
D er ritterlich e proc. a rationibus bzw. der proc. summarum rationum sind von den freigclassencn
„Pseudokollegen“
Flavianus und Eutvchus
b egleitet*5.
ö
O
”
Es ist gewiss so, dass auch röm ische R itte r an Verschwörungen gegen den K aiser teilnehm en
konnten. Besonders die m ächtigen Präfekten in R om verfügten auch über b each tlich e Ressourcen.
So mag das Szenario von Pflaum auch m anchm al das R ichtige treffen, aber m .E . gib t es n och weitere
und w ahrscheinlich w ichtigere G ründe, die in B etrach t gezogen werden m üssen. Z um einen geht
es um die K o n tin u itä t - im m er ein w ichtiger B egriff in einer erfolgreichen Verw altung. A uch die
R itte r hatten ihren airsus bonorum und blieben nie besonders lange im selben A m t. Anders war es
jed o ch bei den Augusti liberti, denn obw oh l Forscher wie Bou lvert versucht haben zu zeigen, dass
auch kaiserliche Freigelassene eine adm inistrative Lau fbahn durchliefen, wird das eher selten gewe-
s<>Pflaum , Abrege (wie Anm. 79) 38.
'-1 Siehe oben Anm. 39.
s2 Über kaiserliche Freigelassene als Prokuratoren in Provinzen, oft als proc. provinciae bekannt, s. Brunn,
Adiectus (wie Anm. 49) 3 5 7 -3 6 0 .
Dies findet man z.B. auf Wasserrohren in Ostia, s. Christer Brunn, Lamministrazionc imperiale di Ostia e
Porttts, in: Christer Brunn, Anna Gallina Zevi (Flg.), Ostia e Po reus nclle foro relazioni con Roma (Acta IRF
27, Roma 2002) 1 6 1 -1 9 2 , bes. 170f.
Vgl. Cass. Dio 52, 25, 5: k«\ erv ui] ä ~ o p fic ~ a p ’wv kcu ä k ö v t w v T>p ä),yjBsiav.
h~’ C IL VI 1585 = ILS 5920; Hans-Georg Pflaum, Encore la Pseudocollegialite, in: Z PE 18 (1975) 14; Anne
Daguet-Gagey, Adrastus et la colonne Antonine. [.’administration des eravaux publics ä Rome en 193 ap.
C., in: M E FRA 1 10 (1998) 8 9 3 -9 1 5 ; vgl., jedoch nicht zur Pscudokollegiaiität, Eich, Metamorphose (wie
Anm. 16) 1 6 8 -1 7 1 ; Haensch, Augusti liberti (wie Anm. 8) 154f.
178
C hrister Bruun
sen sein' . W enn es zw eckm äßig erschien, blieben sie hinge im A m t und kon n ten so die K on tin u ität
an der Spitze garantieren. D ass deshalb R eibungen m it einem neuversetzten ritterlich en Am tsträger
entstehen konnten, ist n atürlich n ich t auszuschließen.
Zw eitens handelt es sich um Finanzen. D em K aiser kam en überall in den Provinzen direkte
Einkü nfte aus seinem Besitz zu. D azu kam noch das G eld , das für den fiseus, die staatlichen Kassen
in R om , bestim m t war. W enn man die Verw altung als das R ückgrat des Staates bezeich net, waren
diese E in kü nfte der Sauerstoff. E in e bessere Lösung, als hier dicfam ilia Caesaris zu benützen, kon n ­
te m an im R ahm en der antiken W elt w ohl kaum erfinden. Säm tlich e G lied er in diesem Apparat
waren letztlich der P atronatsgew alt des Kaisers unterstellt. D as begann schon m it den Sklaven,
die als dispensatores die A brech n un gen m achten, und ging w eiter in der H ierarchie bis zu den
Freigelassencn-Prokuratoren, die m anchm al freilich einen in gewissen Fragen übergeordneten rit­
terlich en „Pseudokollegen“ h atten.
X I . K orresp ond enz und Fürstenspiegel des jü n g eren P linius
In Plinius dem Jü ngeren (um 6 1 - 1 1 2 n. C h r.) finden wir einen Sen ato r und Am tsträger, der m it­
ten im h ier relevanten Z eitraum tätig war. E r h ilft uns, nach etwas über 1 00 Jah ren kaiserlicher
Verw altung eine Bilanz zu ziehen.
Eine Parallele zum zehnten B u ch seiner K orrespondenz, das die Briefe an und von T rajan en t­
halten, gibt es aus der R epu blik n ich t. D er Prokonsul C icero sandte aus K ilikien B erichte an den
Senat - und eben an den Senat - , aber C icero stand n ich t in stetigem B riefw echsel und fragte n ich t
dauernd nach V erhaltensregeln. E r vertrat selbstständig die res publica8 .
D ie K orrespondenz zwischen T rajan und Plinius lässt deutlich h erv ortreten, wie sich in einem
Z eitraum von anderthalb Jah rh u n d erten die Stellung der senatorischen A m tsträger verändert hatte.
D ie Institu tio n der K aiserbriefe ( m a ndata), vor allem an Statth alter in die Provinzen abgesandt, war
aber auch n ich t neu; scho n unter Augustus gab es sie88.
W ie sich die Senatoren in dieser Lage ihre Situ ation vorstellten, zeigt dann P linius’ L ob red e auf
Trajan, gehalten im Ja h r 1 0 0 (und für die spätere P ub lik atio n überarb eitet). D ie Rede, die erste
uns bekannte röm ische K aiserpanegyrik, ist ja eine A rt Fürstenspiegel, ein T raktat, in w elchem ein
weiser U n tertan versucht, auf die R egierung und auf das Benehm en des A lleinherrschers einzuw ir­
ken. H ier wird n ich t m ehr verheim licht, dass der Princeps ein M o n arch ist, es geht nur darum , wie
er sich gegenüber seinen U n tertan en , vor allem natürlich der senatorischen E lite, verhalten soll. So
w undert es auch n ich t, dass nach einem weiteren Jah rh u n d ert, in Cassius D ios M aecenas-R ede,
M aecenas w iederholt von einer unter Augustus zu begründenden M on arch ie spricht (Cass. D io 52,
17, 1: uovap^äcr0ai röv Syjuov äh ü v ).
D as Interessante ist h ier aber, dass es so aussieht, als hätten die K aiser der folgenden G en eration en ,
während eines Z eitraum es von 7 0 - 8 0 Jah ren , sieh tatsächlich den Fürstenspiegel von Plinius zu
H erzen genom m en. T rajan leitet die R eih e der sogenannten „guten K aiser“ ein, was vor allem h eißt,
dass in bester T rad ition die republikanischen Form en aufrecht erhalten und der Senat taktvoll b e­
86 Boulvert, Esciaves (wie Anm. 8) mit der Rezension von Graham Burton, in: JR S 67 (1977) 162-166.
8 Zu Ciceros Aufenthalt in Kilikien, s. Manfred Fuhrmann , Cicero und die römische Republik (München,
Zürich *1991) 1 7 3 -1 8 5 ; die Briefe an den Senat sind Cie. fam. 15, lf.
Millar, Emperor (wie Anm. 25) 3 1 3 -3 4 1 .
D i e K a is e r, d i e r e p u b l i k a n i s c h e n I n s t i t u t i o n e n u n d d ie k a is e r li c h e V e r w a l t u n g
179
handelt wurde (abgesehen von einigen Ereignissen unter H ad rian ^ ), w ährend aber vor allem der
ritterlich e Teil der Verw altung ausgebaut wurde und auch die M itglied er der fam ilia Caesaris in der
kaiserlichen Verw altung w eiterhin tätig waren, wenn auch etwas m ehr im H intergru nd .
D ie tiefer liegenden Ursachen, w elche die Reihe der „guten K aiser“ erm ög lich ten , können hier
n ich t erö rtert werden. Allerdings ist die Frage n ich t irrelevant für m ein T hem a, denn die Z e it der
„guten K aiser“ ist zugleich eine Periode der verhältnism äßig erfolgreichen Verwaltung. D ie allge­
m eine gute Lage des Reiches, die p a x R om ana, spielte sicher eine Rolle. Ein e andere, etwas banal
anm utende Teilerklärung wäre, darauf hinzuweisen, dass bis zum K aisersohn C om m od u s keiner
der M on archen im Purpur geboren wurde. Als A doptivkaiscr waren sie als Senatoren ausgewach­
sen und m it dem Standesstolz und dem sogenannten „R epu blikanism us“ des ordo senatorius gut
vertraut. So gelang es ihnen besser als m anchem Vorgänger oder N achfolger, die paradoxe Lage des
röm ischen Kaisers zu m eistern; die M a ch t kon n te nur behalten werden, indem das republikanische
Erbe negiert wurde, aber die republikanischen Form en, u.a. in der Verw altung, mussten beibehalten
w erden, dam it überhaupt der Staat durch die Integration der E lite überleben konnte.
U n w ichtig ist die Frage nach den U rsachen dieses Erfolges n ich t, denn aus h istorisch er Perspektive
scheint es m ir recht auffallend, dass eine R eih e von vier oder sogar fü nf (falls Nerva m itgezählt
wird) aufeinander folgender A llein herrsch er es zustande b ringt, eine B lü tezeit aufrecht zu erhalten.
D avon kennen das europäische M ittela lter und die frühe N euzeit nur wenige Beispiele.
Ronald Sy/ne, Hadrian and the Senate, in: Athenaeum 62 (1984) 3 1 -6 0 = Ders., Roman Papers, Bd. 4
(Oxford 1988) 2 9 5 -3 2 4 .
Martin Zimmermann
D ie Repräsentation des kaiserlichen Ranges
D ie R epräsentation des kaiserlichen Ranges kann vor dem H intergru nd der antiken Zeugnisse aus
verschiedenen B lickw inkeln beschrieben werden. D ie antike Literatur etwa b iete t eine V ielzahl von
H inw eisen darauf, wie die soziale und po litische Stellung der einzelnen K aiser in der Ö ffen tlich k eit
inszeniert wurde. Ferner gew ährt die reiche Erhaltung von K aiserstatuen oder Staatsreliefs die
M öglich k eit, die Indizien für die D arstellu ng des R anges im B ildn is zusam m en zu tragen. G leiches
gilt für die Inschriften, in denen n ich t nur eine um fangreiche T itu latu r, sondern w eitere Form en
der Selbstdarstellung in ihrer h istorischen E ntw icklung greifbar sind. In einer system atischen
Z usam m enstellung solcher Q u ellen und M on u m en te ließe sich zeigen, wie die äußere Erscheinung
der H errsch er in A u ftreten, K leidung, Insignien oder T itu la tu r gestaltet wurde und sich im Laufe
der Z eiten w andelte.
A ndreas A lföldi hat hierzu seit M itte des 2 0 .Jah rh un derts bereits grundlegende Studien vor­
gelegt1. Seitdem ist freilich n ich t nur das M aterial, das sich für die A ktualisierung seiner A rbeiten
heranziehen ließe, im m ens gewachsen, sondern anhand einzelner M on um en tgattu ngen oder
Bildelem ente ko n n te zudem gezeigt w erden, w elche differenzierten Ergebnisse zu erzielen sind,
wenn einzelne B ildform eln , Insignien oder W ertvorstellungen im D etail erfo rsch t w erden2.
1 Einige Studien sind zusammengefasst in dem Band Andreas Alföldi, Die monarchische Repräsentation im rö­
mischen Kaiserreich (Darmstadt 1970). Vgl. ferner Frank Kolb, Zur Statussymbolik im antiken Rom, in: Chiron
7 (1977) 2 3 9 -2 5 9 und zur Unterscheidung zwischen formellen und informellen Symbolen für die vorchristli­
che Zeit und den Osten Hartmut Blum, Purpur als Statussymbol in der griechischen Welt (Bonn 1998) bes.
1-19. Siehe ferner den Überblick bei Peter Scholz, Zur öffentlichen Repräsentation römischer Senatoren und
Magistrate, in: Tobias L. Kienlin (Hg.), Die Dinge als Zeichen. Kulturelles Wissen und materielle Kultur (Bonn
2 0 0 5 )4 0 9 -4 3 1 .
2 Siehe nur Flans R. Goette, Mulleus-Embas-Calceus, in: Jdl 103 (1988) 4 0 1 -4 6 4 ; Thomas Schaefer, Imperii
Insignia. Sella curulis und Fasces (Tübingen 1989); Jutta Rumscheid, Kranz und Krone. Zu Insignien, Sieges­
preisen und Ehrenzeichen der römischen Kaiserzeit (Tübingen 2000); Marianne Bergmann, Die Strahlen
der Herrscher. Theomorphes Herrscherbild und politische Symbolik im Hellenismus und in der römischen
Kaiserzeit (Mainz 1998); siehe auch den Überblick bei dies., Repräsentation, in: Adolf Fl. Borhein u.a. (Hg.),
Klassische Archäologie. Eine Einführung (Darmstadt 2000) 16 6 -1 8 8 . Siehe jetzt auch die methodisch weg­
weisende Studie von Birgit Bergmann, Der Kranz des Kaisers. Genese und Bedeutung einer römischen Insignie
(New York u.a. 2010) 2 0 9 -2 1 2 (zu „Chancen und Grenzen der ,Reaiienforschung“‘). Ein gutes Beispiel für die
Schwierigkeiten, am konkreten Objekt einer Statue die Standeszeichen eines römischen Bürgers unzweifelhaft
festzustellen, siehe z.B. Klaus Fittschen, Der ,Arringatore‘, ein römischer Bürger?, in: RM 77 (1970) 177-184.
Es gilt weiterhin die FeststellungKolbs, Statussymbolik (wie Anm. 1) 244: „Es fehlt nicht nur eine zusammenfas­
sende Darstellung mit einer klaren Klassifizierung der Symbole, sondern überhaupt eine eingehende Behandlung
der Geschichte der einzelnen Statusabzeichen einschließlich ihrer gesellschaftlichen und politischen Funktion!'
182
M a r ein Z i m m e r m a n n
D a eine G esam tschau nach wie vor ein D esiderat der Forschung d arste llt’ und an dieser Stelle
selbstverständlich n ich t n achgeholt werden kann, soll hier das A ugenm erk auf einen A spekt der
R epräsentation gerich tet w erden, der in den einleitenden Sätzen bereits angeklungen ist und auch
in den Ü berlegungen A lföldis einen zentralen Platz ein nim m t. D ie R epräsentation des kaiserlichen
Ranges soll als kom plexer K om m unikationsprozess verstanden w erden, in den neben den einzelnen
Kaisern die röm ische G esellschaft in ihrer G esam th eit und zu einem Teil auch die Provinzialen
eingebunden waren '. R epräsen tation soll ungeachtet der alles beherrschenden Stellung des Kaisers
dem nach als Vorgang einer perm anenten V erständigung darüber verstanden werden, wie der Rang
adäquat in untersch iedlich en Situ atio n en und K o n texten wiedergegeben werden sollte. D iese
Situ ation en und K o n texte selbst, von denen in jü ngster Z e it etwa die salutationes und convivia
A ufm erksam keit gefunden haben’ , bieten in der Interaktion zwischen Kaiser und Anw esenden die
M öglich k eit, das eigene Verständnis der H errschaft zu dokum entieren, die eigene M achtstellu ng
zu sichern, zum indest je d o ch die Bereitschaft zum D ialo g zu signalisieren und som it das objektiv
bestehende M achtgefälle zu entschärfen.
I. D i e pompa funebris fü r P ertin ax als Inszenieru ng des kaiserlichen Ranges
Ö ffen tlich k e it spielte bei einer a u f A nw esenheit der untersch iedlich en Adressaten orientierten
H errschaftsrepräsentation naturgem äß eine zentrale Rolle. D aher kann man sich der kom ple­
xen Fragestellung gut nähern, wenn man als A usgangspunkt Festlich keiten w ählt, an denen viele
G ruppen der G esellschaft teiln ah m en, in denen aber der Kaiser im M ittelp u n k t stand. Besonders
ausführliche B erichte besitzen wir von den Feierlichkeiten, die m it der B estattun g des H errschers
verbunden waren. N ic h t allein die A m tsein fü hrun g, n ich t die adventus- sowie profectu s^ cxcm o-
3 Siehe zum Kontext der Rangrepräsentation die von Pierre Bourdieus soziologischer Kategorie des Prestiges
bzw. des symbolischen Kapitals inspirierte Studie von John E. Eendon , Perceptions oi Prestige and the Working
o f Roman Government (Diss. Oxford 1991), die begrifflich neutraler als John E. Eendon, Empire of Honour.
Tire Art of Government in the Roman World (Oxford 1997) publiziert wurde.
1 Siche hierzu ausführlich Gregor Weber, Martin Zimmermann, Propaganda, Selbstdarstellung und
Repräsentation. Die Leitbegriffe des Kolloquiums in der Forschung zur frühen Kaiserzeit, in: Dies. (Hg.),
Propaganda - Selbstdarstellung - Repräsentation im römischen Kaiserreich des 1.Jahrhunderts n.Chr.
(Stuttgart 2003) 1 1 -4 0 ; Gunnar Seelentag, ’Liren und Tugenden Traians. Herrschaftsdarstellung im Principat
(Stuttgart 2004) 35 u.ö. Die Überlegungen von Karl A. E. Enenkel, Ilja L. PJeijJfer, Introduction, in: Dies.
(Hg.), The Manipulative Mode. Political Propaganda in Antiquity. A Collection of Case Studies (Leiden,
Boston 2005) 1 -1 2 stellen ebenso wie die unreflektierte Verwendung des Begriffs ,Propaganda“in den einzelnen
Beiträgen einen Rückschritt dar. Vgl. zu neuen Perspektiven Rainer Gries, Zur Ästhetik und Architektur von
Propagemen. Überlegungen zu einer Propagandageschichte als Kulturgeschichte, in: Ders., Wolfgang Schmale
(Hg.), Kultur der Propaganda (Bochum 2005) 9 -3 5 .
^Aloys Winterling, Aula Caesaris. Studien zur Institutionalisierung des römischen Kaiserhofes in der Zeit von
Augustus bis Commodus (31 v.Chr. - 192 n.Chr.) (München 1999) 1 1 7-160; Konrad Tossing, Mensa regia.
Das Bankett beim hellenistischen König und beim römischen Kaiser (München u.a. 2004); Christophe Badei,
L’audicnce chez les senateurs, in: Jean-Pierre Caillet, MichelSot (Hg.), L’audience. Rituels et cadres spatiaux dans
l’antiquite et le haut moyen age (Paris 2007) 1 4 1 -1 6 4 . Hier nicht hinreichend berücksichtigt werden konnten
Dirk Schnarbiisch, Das Gastmahl römischer Aristokraten (Diss. Bielefeld 2005, unpubl., non vidi) und die gera­
de erschienene Studie von Eabian Goldbeck, Salutationes. Die Morgenbegrüßungen in Rom in der Republik und
der frühen Kaiserzeit (Berlin 2010), der dem Aspekt der Interaktion und Kommunikation bei seiner Analyse
einen prominenten Platz einräumt.
D i e R e p r ä s e n t a t i o n de s k a i s e r l i c h e n R a n g e s
183
nien oder die Trium phzüge0, sondern gerade die T oten feiern Boten G elegen heit, retrospektiv den
Rang des V erstorbenen und prospektiv denjenigen des neuen Kaisers in einem um fassenden Sinn
vorzuführen und dabei das Publikum in einem ausgeklügelten perform ativen A kt zu integrieren.
Von besonderem Interesse ist d ie pompa funebris, die Septim ius Severus im Ja h r 1 93 aus m ach tp o ­
litischem K alkül zu Ehren des erm ordeten und nach A nkunft des Severus konsekrierten P ertinax in
R o m inszenierte und die der röm ische S enato r sowie zweimalige K onsul Cassius D io als Augenzeuge
sc h ild e rt. N ach seinem prunkvollen adv ent us, den D io in der panegyrischen T rad ition des von
Plinius überlieferten Einzugs Trajans sch ild ert8, bereitete Septim ius Severus sogleich die A potheoseFeierlich keiten für P ertinax vor. D ie Errichtu n g eines H eiligtum s, die A ufnahm e des D ivus Pertinax
in die Eidesform eln, die spektakulär inszenierte A ufstellung eines goldenen Stand bild es im C ircus
M axim us sowie dreier goldener Thronsessel in den T heatern 9 wurden durch eine prunkvolle
B estattun g abgerundet. N eben den R ostra wurde ein H olzgerüst errichtet, auf dem ein aus Elfenbein
und G old gearbeiteter Tem pel m it einem aus den gleichen M aterialien gearbeiteten T o ten b ett aufgestellt wurde, das ein wächsernes A bbild des verstorbenen Kaisers im Trium phalgew and, um hüllt
von purpurnen und golddurchw irkten D ecken trug. D er K aiser und die Senatoren nahm en m it
ihren Frauen a u f dem Forum Platz, um den anschließenden Feierlich keiten beizuw ohnen. Am
T o ten b ett wurden in feierlicher Prozession zunächst Bilder säm tlicher bedeutender R öm er alter
Z e it vorbeigetragen. Es folgten C h ö re von K n ab en und M ännern, die Trauergesänge anstim m ten.
D a ra u f wurden bronzene P ersonifikationen der u nterw orfenen V ölker gezeigt. Es schlossen sich
Lik toren, Schreiber, H erolde und andere G ruppen kaiserlicher Bed ien steter aus R om an, denen
w iederum Bildnisse bedeutender Personen folgten, die sich durch Taten, E ntd ecku ngen oder ihre
Leben sfüh ru ng hervorgetan hatten. N achdem auch die R eiter, Soldaten und die R ennp ferd e vor­
beigezogen waren, wurden die Totenspend en vorgeführt, die der Kaiser, die Senatoren , angesehene
R itter, die Tribus und die städtischen K o rp o ratio n en gestiftet hatten, Als Schlu ssakzent wurde ein
vergoldeter, m it E lfenbein und indischen Ed elsteinen verzierter A ltar gezeigt. Septim iu s Severus
hielt darauf die laudatio funebris, die von w ehklagenden A kklam ationen der Senatoren begleitet
wurde. D ie h öchsten Priester und die am tierenden sowie für das Folgejah r designierten M agistrate
h oben im Anschluss an die Rede das T o te n b e tt an und übergaben es ausgewählten R ittern , die
es auf das M arsfeld zum vorbereiteten ustrinum und dem rogus trugen, der ebenfalls m it G old,
6 Zum adventus siehe Joachim Lehnen, Adventus Principis. Untersuchungen zu Sinngehalt und Zeremoniell der
Kaiserankunft in den Städten des Imperium Romanum (Frankfurt am Main 1997); vgl. auch die allgemeinen
Beobachtungen bei Christian Ronning, Stadeeinzüge in der römischen Republik. Die Zeremonie des „adventus“
und ihre politische Bedeutung, in: Ders., Einblicke in die Antike. Orte - Praktiken - Strukturen (München
2006) 5 7 -8 5 . Zur Inszenierung im Rahmen des kaiserzeitlichen Triumphes siehe Ida Ostenberg., Staging the
World. Rome and the Other in the Triumphal Procession (Lund 2003); jetzt auch als dies., Staging the World.
Spoils, Captives, and Representations in Roman Triumphal Procession (Oxford 2009); Mary Beard,
Roman
Triumph (Cambridge, Mass. u.a. 2007). Für die Republik ferner Hans Beck, Züge in die Ewigkeit. Prozessionen
durch das republikanische Rom, in: CFA 8 (2005) 7 3 -1 0 4 sowie besonders Karl-Joachim ILölkeskamp,
Hierarchie und Konsens. Pompae in der politischen Kultur der römischen Republik, in: Alexander H. Arweiler,
Bardo M. Gauly (Hg.), Machtfragen. Zur kulturellen Repräsentation und Konstruktion von Macht in Antike,
Mittelalter und Neuzeit (Stuttgart 2008) 7 9 -1 2 6 .
Cass. Dio 75 (74), 4, 2 -5 , 5 mit Martin Zimmermann, Kaiser und Ereignis. Studien zum Geschichtswerk
Herodians (München 1999) 3 1 2 -3 1 4 .
* Cass. Dio 75 (74), 1, 3 -5 . Der Abschnitt dürfte (wie 75 [74J, 3, 1 -3 ) von Cassius Dio aus seinem Frühwerk
über Septimius Severus überommen worden sein und steht in deutlichem Gegensatz, zur folgenden Episode (75
[74], 2, 1-6 ), in welcher der neue Kaiser scharf kritisiert wird. Siehe ZAmmermarm, Kaiser (wie Anm. 7) 164.
9 Cass. Dio 75 (74), 4, 1.
184
M a re in Z i m m e r m a i m
E lfenbein , Stand bild ern und dem goldenen W agen des P ertinax verziert war. D ie Senatoren folgten
dem T o ten b ett, wobei sich einige die B ru st schlugen und andere Frauerlieder auf der Flöte spielten.
D en Schluss des Zuges bildete der neue Kaiser. D as W achsbild und die T oten op fer wurden auf den
Scheiterhau fen gelegt. W äh ren d die Senatoren und der K aiser auf hölzernen T ribün en Platz nah­
men, veranstalteten die M agistrate, die jew eils nach R ang gekleideten equites, die übrige R eiterei
und die Fußsoldaten die decursio. D ie K onsu ln entzünd eten schließ lich den Sch eiterhau fen , w orauf
ein auffliegender Adler die A potheose abschloss.
U m die B esond erh eiten dieser Sch ild eru ng für die Frage nach dem h ier repräsentierten kai­
serlichen Rang würdigen zu kön n en , sollte ein B lick a u f die B estattun gsfeierlichkeiten geworfen
w erden, die keine zwanzig Jah re später für Septim ius Severus selbst von seinen Sö h n en C aracalla
und G eta abgehalten w orden sein sollen. Sie scheinen einem kom p lett gew andelten Z erem on iell
gefolgt zu sein 10. In der Sch ild eru ng H erodian s begannen die Feierlichkeiten m it einer prunkvollen
A u fbahrun g am Kaiserpalast. N eben der Bahre m it dem W achsbild trauerten a u f der einen Seite
der Senat und a u f der anderen Seite Frauen, die bedeutende M än ner oder V äter hatten. N ach sie­
ben Tagen, an denen von Ä rzten eine V erschlim m erung der K ran k h eit und schließ lich der T od des
Kaisers inszeniert wurden, trugen die bedeutendsten equites gem einsam m it jungen M ännern des
ordo senatorius die B ah re m it dem W ich sb ild über die via sacra zu den R ostra. A u f H olztribü n en
sangen vornehm e K in d er und die Frauen der A m tsträger Trauerlieder. D ann wurde die Bah re au f
das M arsfeld zum ustrinum gebracht, wo ein reich m it golddurchw irkten D ecken , E lfenbein und
G em älden geschm ückter rogus errich tet wurde. W eihrauch, R äucherw erk, Früchte, K räuter und
D uftessenzen u n tersch iedlich er A rt wurden a u f den Sch eiterhau fen gelegt. Alle Provinzen, Poleis
und A m tsträger des R eiches h atten entsprechende D u ftstoffe g eschickt. D er ordo equester vollführte
schließ lich die decursio, w obei gleichzeitig W agen m itfu hren, die Personen m it purpurgesäum ten
Kleidern und M asken trugen, die alle
berühm ten
Feldherren und K aiser
Wiedergaben.
D er Kaiser
zündete gem einsam m it allen Ü brigen den Sch eiterhau fen an, und ein A d ler entschw ebte gen
H im m el.
D ie pompa auf dem Forum m it dem D efilee der Trauernden und die laudatio junebris scheinen
neuartigen R itualen im ustrinum zum O p fer gefallen zu sein, die a u f eine gezielte N eugestaltung
durch C aracalla und G eta zurückgefüh rt werden könnten. D agegen spricht aber, dass H erodian
seine Sch ild eru ng n ich t als spezielle Z erem o n ie zu Ehren des Septim iu s Severus, sondern als ver­
bind lich en A blauf aller A potheosefeiern v e rsteh t". Um die Inform ation en beider T exte für die
R ekon stru k tion der röm ischen A potheose heranziehen zu können, nahm man naheliegend an, dass
die augenfälligen U n terschied e a u f die p ersönliche Auswahl beider A utoren zurückzuführen sei­
en, die B erichte folglich m itein and er k o m b in iert werden können. D ies sch ein t sich a u f den ersten
B lick auch deshalb zu em pfehlen, da der O rig in altex t D ios verloren und die A potheose des Pertinax
nur im Exzerpt des G eschichtsw erkes erhalten ist, das der b yzantinische E p itom ato r X ip h ilin o s
im 11 .Jah rh u n d ert angefertigt hat. Paul Z änk er etwa verm utete daher, dass H erodian zwar w ich­
tige E inzelheiten n ich t erw ähnt, dafür aber w ertvolle Inform ation en enthält, die im Exzerpt des
X ip h ilin o s, aber auch bei anderen kaiserzeitlichen A utoren fehlen. D ie u n terschiedlichen Berichte
ließen sich zu einem G esam tbild zusam m enfügen1’.
10 Herodian. 4, 2.
n Herodian. 4, 2, 1.
i: Paul Zänker, Die Apotheose der römischen Kaiser (München 2004) 16 u.ö.
D ie R e p rä s e n ta tio n des k aiserlichen Randes
185
D ieses Vorgehen ist angesichts des grundsätzlich problem atischen Q uellenw erts H erodians, der
n ich t einfach beiseite zu wischen ist, freilich u n m ö g lich '3. D ie Fragw ürdigkeit H erodians zeigt sich
schon bei der angeblich siebentägigen A u fbahrung des W achsbildes vor dem K aiserpalast, in de­
ren R ah m en aufw ändig das Sterben des Kaisers inszeniert worden sein soll. D ie R öm er bahrten
zwar ihre l o t e n im A trium oder (wie im Fall des Augustus) im Vestibül a u f*. A ber im T oten ritu al
ging der A ufbahrung selbstverständlich die Feststellung des Todes voraus. Alle Elem ente des
A ufbahrungsrituals gehörten zum lö tc n k u lt, weshalb die Inszenierung eines über Tage sich h in ­
ziehenden Sterbevorgangs dem stadtröm ischen Publikum kaum zuzum uten war, zumal man die
aus Britan nien nach R om transportierte U rne m it der A sche des Septim ius Severus bereits beige­
setzt hatte. Auch die von H erodian behauptete D auer der A u fbahrun g von sieben Tagen ist sonst
nirgends für röm ische Bestattungen b eleg t1’. D o ch auf die vielen U nstim m igkeiten seines B erichts
kann an dieser Stelle n ich t w eiter eingegangen werden.
Was ist aber m it den u n tersch iedlich en B erich ten anzufangen, wenn wir uns n ich t darauf be­
schränken w ollen, Cassius D io als Augenzeugen zu loben und H erodian für seine U ngenauigkeiten
zu tadeln? W ie können wir die Schild eru ngen nutzen, um das hier verfolgte T hem a, näm lich die
R epräsentation des kaiserlichen Ranges, zu erhellen?
Bevor wir die besondere Q u a litä t beschreiben kön n en , die der dion ische Passus für die kaiserli­
che R epräsentation am Ende des 2 .Jah rh u n d erts n .C h r. hat, muss zunächst der h oh e Q u ellenw ert
des byzantinischen Exzerpts b eto n t w erden. D ie V orstellung näm lich, X ip h ilin o s habe einen sehr
ausführlichen B e rich t D io s in seiner E p ito m e en tstellt und zusam m engefasst'6, ist irrig und trifft
n ich t den C h arakter seiner E x zerp ttech n ik . W o man den erhaltenen O rig in altext m it dem Exzerpt
vergleichen kann, wie etwa bei der Besch reibun g der Bestattu n g des Augustus' , kann m an feststeilen, dass die E in zelh eiten Aet pom pa ko m p lett abgeschrieben wurden und nur die lauclationes
fehlen. W ir dürften also auch bei der pornpa des Pertinax im Exzerpt den O rig in altext D io s ohne
die von ihm erw ähnte laudatio vor Augen h a b en 14.
W is folglich beim Vergleich m it H erod ian auffällt, ist, dass D io offenbar weil?, wovon er spricht,
w ährend H erodian ein ihm und seinen Lesern in seiner p o litischen Sy m bolik w eitgehend un­
verständliches R itual b esch reib t15. Cassius D io verfolgte bew egt eine pompa funebris, die in ihrer
Inszenierung dokum entierte, in w elchem U m fang der R ang des Kaisers vom Z uspruch u nterschied­
lich er Bevölkerungsgruppen, näm lich der Senatoren , der R itter, des H eeres, der stadtröm ischen
Herodian. 4, 2, 2. Auch die These, die eigentümliche Inszenierung des Ablebens habe Parallelen in der
Herrschaftsiibergabe neuzeitlicher Königshäuser, bei denen der neue Machthaber erst mit der Bestattung des
Toten als neuer König installiert werden konnte, greift gerade für Rom nicht, da hier der neue Kaiser längst in
vollem Umfang in Amt und Würden war.
7Zu Augustus siche Suet. Aug. 100; Cass. Dio 56, 34, If.
Herodian ist die einzige antike Quelle, die eine Aufbahrung von sieben Tugen überliefert. Die in diesem
Zusammenhang gern zitierten Parallelen bei Serv. Aen. 5, 64; 6, 218 (siehe etwa Joachim Engels, Funerurn sepulcrorumque magnificentia [Stuttgart 1998] 177) sind wertlos, da sie auf falschen Annahmen beruhen (siehe
bereits August Mau, Bestattung, RE 3, 1 [1897] 349).
Zur Vermutung, Xiphilinos habe den Bericht Dios gekürzt, siehe Zänker, Apotheose (wie Anm. 12) z.B. 21
u.ö.
; Vgl. Jrsul Pb. Boissevain (Hg.), Cassius Dio, Bd. 3 (Berlin 1955) 5 4 5 -5 4 7 (Xiphilinos) mit ebd. Bd. 2 (Berlin
1955) 546f. (Dio).
ls Sic dürfte im Original zwischen 75 (74), 5, 1 und 2 gestanden haben.
Siehe die Einsichten bei Simon Price, From Noble Funerals to Divine Cult. Ihe Consecration o f Roman
Emperors, in: David Cannadine, Simon Price (Hg.), Rituals of Royalty. Power and Ceremonial in Traditional
Societies (Cambridge u.a. 1987) 5 6 -1 0 5 .
186
M artin Z im m erm an n
Verw altung, der stadtröm ischen K o rp o ratio n en und Tribus abhing. Als Bestattungsritual, das einer
zerem oniellen V erständigung der Anw esenden über die po litische wie gesellschaftliche O rdn un g
diente, gab die pom pa Septim iu s Severus zugleich die G elegen heit, sich als legitim er E rb e des
Kaisers Pertinax zu präsentieren und d am it zu signalisieren, dass seine eigene M achtstellu ng einen
vergleichbaren Z uspruch n ich t nur verdiente, sondern voraussetzte.
Bem erkensw ert an der Inszenierung ist aber n o ch etwas anderes: Was der aus B ithynien stam ­
m ende Senato r oh ne eine Spur der Verw underung besch reibt, ist eine Inszenierung der Stadt R om
als H o rt alter T rad itio n und als Z en tru m eines R eiches, dessen übrige 'Ieile n ich t vertreten sind,
sondern bezeichnenderw eise nur als P ersonifikationen u nterw orfener V ölker vorgeführt we rden20.
Für den zweim aligen K onsul Cassius D io war es selbst nach zw eihundert Jah ren Kaiserherrschaft
eine Selbstverstän dlichkeit, dass V ertreter der Provinzen oder der Poleis in diesem R itual keinen
Platz hatten. Für den aus K leinasien stam m enden röm ischen Senator war R om n ich t nur H eim at,
sondern der exklusive p olitische Bezugspunkt seiner sozialen Id en tität21. En tsprech en d werden in
seiner D arstellu ng der Kaiser, die ordines und die anderen G ruppen der stadtröm ischen G esellschaft
in einem Bild zusam m engefasst, als sei in zw eihundert Jah ren die Z eit stehen geblieben. D ies ist
freilich n ich t A b sich t des H istoriograph en , sondern K ennzeichen des Bestattungsrituals selbst. D ie
Inszenierung von K o n tin u itä t, T rad itio n und zeitloser B estän digkeit wird in der Feier tro tz allen
W andels im zerem oniellen A b lau P 2 näm lich akzentuiert, indem an der Spitze der pom pa Bilder
von „säm tlichen bedeutenden R ö m er(n ) der alten Z e it“ vorangetragen w erden23, w om it sicher­
lich auch die sum m i viri der R epu blik gem eint sind. D ie m ediale G estaltu ng steht folglich in der
T rad ition augusteischer Bildinventare, a u f die m an bei dieser G elegen h eit wie selbstverständlich
zurückgrifp*, zumal ein Kaiser wie Septim iu s Severus n o ch zu B eginn des 3 .Jah rh u n d erts n .C h r.
wie der Begründer des Prinzipats Augustus von sich sagen ko n n te, er habe nach den Bürgerkriegen
die res publica w iederhergestellt2-.
Für den Senato r waren die traditionellen Form en des R ituals und die V erankerung kaiserlichen
A nsehens bei den m aßgeblichen G ruppen der stadtröm ischen Bevölkerung entscheidend, er be-
-• Price, Noble Funerals (wie Anm. 19) 85 betont die senatorische Tradition des Rituals. Zu dieser Romideologie
siche Martin Zi?nmer?nann, Rom - Zentrum und Spiegel der Welt, in: Jochen Johrendt, Romedio Schmitz-Esser
(Hg.), Rom - Nabel der Welt. Macht, Glaube, Kultur von der Antike bis heute (Darmstadt 2010) 15-32.
21 Siehe hierzu Geza Alfoldy, Örtliche Schwerpunkte der medialen Repräsentation römischer Senatoren.
Heimatliche Verwurzelung, Domizil in Rom, Verflechtung im Reich, in: Werner Eck, Matthäus Eieil (Hg.),
Senatores populi Romani. Realität und mediale Repräsentation einer Führungsschicht (Stuttgart 2005) 5 3 -7 1 ,
hier 5 6 -6 0 .
22 Price, Noble Funerals (wie Anm. 19) 9 4 -9 7 zur zunehmenden Bedeutung des Scheiterhaufens im Ablauf der
Zeremonie.
2-' Cass. Dio 75 (74), 4, 52'* Zu den Bildnissen auf dem Augustusforum siehe Martin Spannagel, Exemplaria Principis. Untersuchungen zu
Entstehung und Ausstattung des Augustusforums (Heidelberg 1999) 2 4 5 -3 4 4 ; Uwe Walter, Memoria und res
publica. Zur Geschichtskultur im republikanischen Rom (Frankfurt am Main 2 0 0 4 )4 1 7 -4 2 6 ; Tanja ltgensborst,
Augustus und die republikanische Tradition. Triumphalfasten und „summi viri“-Gaierie als Instrumente der im­
perialen Machtsicherung, in: Hermes 132 (2004) 4 3 6 -4 5 8 .
2S C IL VI 1033 (ob rempublicam restitutam). Siehe zum Hintergrund Alain M. Gowing, Empire and Memory.
The Representation o f the Roman Republic in Imperial Culture (Cambridge u.a. 2005) 150f. (zu Septimius
Severus )• Vgl. zur Kontextualisierung von Mitgliedern der Kaiserfamilie mit summi viri bzw. viri illustris ingeni auch die Kombination von Bildnissen des Germanicus und Drusus mit bedeutenden Schriftstellern und
Rednern in der Tabula Hebana (Victor Ehrenberg, Arnold ELM. Jones, Documents Illustrating the Reigns of
Augustus and Tiberius, Oxford 21976, Nr. 94a) Z. 1 -4 und Täc. ann. 2, 83.
D ie R e p rä se n ta tio n des kaiserlichen Ranges
187
schw ört eien zw eihundert Jah re alten consensus universorum 11'. D iese Exklusivität der Feier und
die trotz einzelner jüngerer Elem ente evidente O rientieru ng an den seit B eginn des Prinzipats
en tw ickelten Form en h errscherlicher R epräsentation waren einem M ann wie H erodian , der fern
der H auptstadt lebte, unverständlich. Für ihn und seine Leser war daher die V orstellung n ahelie­
gend, dass der rogus auf dem M arsfeld sich aus D uftstoffen zusam m ensetzte, die aus allen Teilen
des R eiches zu Ehren des verstorbenen Kaisers en tsan d t w urden’'. Beide H istoriograph en belegen
trotz sehr u n tersch iedlich er Perspektive und trotz verschieden akzentuierter Sch ild eru ng aber das
elem entare G rundprinzip der R epräsentation kaiserlichen R anges: D er in Form der b esch riebe­
nen Ehrungen artikulierte Z uspruch der onlines, gesellschaftlichen G ruppen, K o rp oration en oder
A m tsträger definierte R an g und A nsehen des Kaisers28.
D ie für die H errschaftslegitim ation des Septim ius Severus grundlegende Inszenierung der
A potheose des Pertinax sollte daher n ich t allein das Sozialprestige des E rm ordeten verdeutlichen,
sondern die beteilig ten Personen gleichzeitig dem N achfolger Septim ius Severus verpflichten.
D ies kon n te nur gelingen, wenn die Inszenierung in ihren einzelnen B estan dteilen an bew ährte
T rad ition en anknüpfte, die unter Augustus begründet worden waren und unter seinen N achfolgern
im m er festere Form en angenom m en h atten. D er K aiser ko n n te zwar eine Inszenierung des bew ähr­
ten R ituals vorschlagen, w ichtiger war freilich die tatsächliche M itw irkun g der in das R itual und die
Z erem o n ie einbezogenen Personen, m ith in der perform ative A kt selbst. D ie an der zerem oniellen
Eh ru ng des P ertinax B eteiligten forderten dam it als politisch relevante G ruppen ihre M itw irkung
an der H errschaft ein, w ährend ihnen diese um gekehrt durch ihre aktive B eteiligu ng an der pompa
sym bolisch zugesichert wurde.
II. W ah rn eh m u n g und A n erk ennu ng des kaiserlichen Ranges die historische D y n a m ik seiner R epräsentation
D ie R epräsentation des Ranges fu n k tio n ierte dem nach nur, wenn er erkannt und anerkannt wur­
de. A ufrichtige Ehrungen waren die B eloh n u n g für korrekt antizipierte und erfüllte Erw artungen.
D ie unter Augustus diskutierten und beschlossenen Ehru ngen29, die bereits Beispiel überbord en ­
der Kaiserverehrung waren, m arkierten den A n fan g einer langen K e tte von Ehrenbeschlüssen, die
M o to r für die M odifizierun g der herrsch erlich en R epräsen tation in den ersten beiden Jah rh un d erten
n .C h r. waren. Seit Beginn des Prinzipats war, wie M arianne Bergm ann nach drücklich betont,
„das U b ersch ieß en der auf den Kaiser bezogenen Ehrungen (ein ) essentieller Teil im G efüge des
P rinzipats“30. D ie Folge dieses „ständig ungeschriebene G esetze überschreitenden H errsch erlobs“
sei die für den klassischen A rch äologen b ed en klich e U neindeu tigkeit der Bildsprache gewesen,
2t’ Grundlegend Hans Ulrich Instinsky, Consensus universorum, in: Hermes 75 (1940) 2 6 5 -2 7 8 .
2 Cass. Dio 75 (74), 4, 6 spricht davon, dass der Nachfolger, die Senatoren mit ihren Frauen, die führenden
Ritter, die Tribus und die Korporationen der Stadt, also die an der pompa exklusiv beteiligte stadtrömische
Bevölkerung, die Totenspenden bereit gestellt hatten.
2S Siehe hierzu Lenclon, Empire of Flonour (wie Anm. 3) 12 0 -1 2 9 .
2y Suet. Aug. 100.
Bergmann, Strahlen (wie Anm. 2) 98.
188
M artin Z im m erm an n
denn n ich t ikonographische oder inh altliche Stringenz des D argestellten sei das Z iel gewesen, son ­
dern die im m er aufw ändigere und gew ohnte B ah n en verlassende Ehrung se lb st'1.
Von Interesse an diesen B eo b ach tu ng en ist für uns n ich t in erster L in ie die kon statierte ik o n o ­
graphische U nschärfe, die sich gleicherm aßen in Texten feststellen ließe. Bedeutsam er ist, wie der
Einfluss der K aiser einerseits und je n e r der Fü hrungsschichten sowie w eiterer gesellschaftlichen
G ruppen andererseits auf die R epräsentationsform en fu nk tion ierte. W elche V orstellungen en tw i­
ckelten dem nach auf der einen Seite die Principes selbst von einer angem essenen A nerkennung ihrer
Stellung? In w elcher Form beeinflussten z.B. die Führungsschichten durch A n tizip ation , aufrichtige
Verehrung, vorauseilenden G ehorsam und schlichte unaufrichtige Schm eich elei, m it w elcher der
p ersönliche Einfluss erh ö h t werden sollte, die Form en der R epräsentation und wie fu n k tion ierte die
V erständigung h ierü ber in D ialo g und K o m m u n ikation ?
D ie
B eob ach tu ng en
Bergm anns knüpfen
an die grundlegenden
A usführungen
Andreas
A lföldis an, der im m er wieder b eto n t hat, dass die m onarch ische R epräsentation in ihren we­
sentlichen Elem enten und in ihrem h istorisch en W andel auf A n gebote der unterschiedlichen
Gesellschaftsgruppen zurückzuführen ist32. A lföldi hat zwar vor allem interessiert, auf welchen
G rundlagen die T ctrarch en und die spätantiken K aiser bei der G estaltu ng ihrer herrscherlichen
R epräsentation aufbauteiv’3, aber er untersuchte zu diesem Z w eck n ich t nur die Eigenarten spä­
tan tiker R epräsen tation , sondern versuchte aufzuzeigen, dass ihre m arkante und oft für zeitty­
pisch gehaltene Signatu r vielm ehr W urzeln hat, die sich partiell bis in die T op ik des klassischen
G riech en land s zurückverfolgen lassen. Im Bild des griechischen Theaterkönigs etwa sah er das li­
terarische G rundm uster der folgenden h ellenistischen H errschaftsrepräsentation angelegt, m it der
sich die R ö m er intensiv auseinanderzusetzen hatten und von der sie eine V ielzahl von Elem enten
adaptierten3'1. D ieser m eth odisch e Z ugriff, bei dem partiell die spezifischen sozialen und p o liti­
schen K o n texte ausgeblendet zu sein scheinen und die m onarch ische R epräsentation ein von der
historischen E n tw icklun g gelöstes Eigenleben zu führen scheint, ist zwar verschiedentlich kritisiert
w orden3’, doch trifft diese K ritik nur partiell, denn A lföldi h atte einen durchaus treffenden B lick
für die historischen R ah m enbed ingun gen des von ihm beschriebenen W andels36. Für unser Them a
ist etw a von Interesse, dass er die ersten beiden nach christlich en Jah rh u n d erte in einer Z eitph ase
zusam m enfassen zu können glau bte3 . A n verschiedenen Stellen seines W erkes h eb t er hervor, dass
in dieser Z e it im R ückgriff auf ältere M uster bereits in G rundzügen entw orfen wurde, w orau f dann
im 3. und 4. Jah rh u n d ert zurückgegriffen worden sei38. Vor allem dem Senat kom m e in den ersten
beiden Jah rh u n d erten die m aßgebliche R o lle bei der E ntw icklung der kaiserlichen R epräsentation
Ebd.
"2 Alföldi, Repräsentation (wie Anm. 1) 32 zum Mechanismus, „wie sich diese Kriecherei unversehens festigte
und als etwas Feststehendes von der Zentralgewalt übernommen, zu einer Vorschrift erhoben wurde“; 84.
-,J Ebd. IX -X V IU .
MEbd. 9 -2 5 ; Andreas Alföldi, Gewaltherrscher und Theaterkönig, in: Kurt Weitzrndnn (Hg.), Late Classical and
Medieval Studies in Honor of Albert M. Friend (Princeton 1955) 1 5-55.
Siehe z.B. Winterling, Aula (wie Anm. 5) 31 f.
Siche etwa auch die Studien Andreas Alföldi, Die Geburt der kaiserlichen Bildsymbolik. Kleine Beiträge zu
ihrer Entstehungsgeschichte, in: M H 7 (19509 1 -1 3 ; M H 8 (19519 1 9 0-215; M H 9 (1952) 2 0 4 -2 4 3 ; MH
10(1 9 5 3 ) 1Ü3~T24; M H U (1954) 13 3 -1 6 9 .
Andreas Alföldi, Repräsentation (wie Anm. 1) 133: „...das Beibehalten und die Weiterentfaltung der herge­
brachten Formen und das Absterben ihres alten Inhaltes sind eben die einander ergänzenden Merkmale des
traianisch-hadrianisch-antoninischen Zeitalters“.
•'s Ebd. 5 u.ö. Vgl. auch Frank Kolb , Herrscherideologie der Spätantike (Berlin 2001) 3 8 -4 6 .
D i e R e p r ä s e n t a t i o n ti cs k a i s e r l i c h e n R a n g e s
zu. D ies beruhe a u f einer „sonderbaren Z w iespältigkeit der Stellung des Senats“: Sic sei durch „die
form elle Z uerkennung der V orherrschaft und den gleichzeitigen Verlust der M a ch t“ gekennzeich­
net gew esen59. D ieser Gegensatz habe das erste Jah rh u n d ert bereits bestim m t, sei in aller Schärfe
aber erst im 2 .Ja h rh u n d ert zutage getreten 10. K aiser wie Senatoren hätten vor diesem H in tergru nd ,
gewisserm aßen dem background noise der R epräsen tation , gem einsam „neue A m tsabzeichen, neue
R egeln der E tikette, neue Form en, die den neuen A ufbau einer im m er m ehr h ierarchisch durchgcgliederten G esellschaft sichtbar m achten, k reiert“'".
Sieh t man sich die R epräsentation des kaiserlichen Ranges unter diesem G esich tsp u nk t an, was
h ier nur in einigen wenigen Sch lag lich tern geschehen kann, dann lassen sich zwei G rundelem ente
der herrscherlichen R epräsentation erkennen. Z um einen w ollten die Kaiser, von den bekannten
A usnahm en einm al abgesehen, trotz der evidenten Ferne von der M enge der Beherrsch ten als
V ertreter der gesam ten Bürgerschaft erscheinen, mussten sich im H abitu s also zum indest den fü hren ­
den S ch ich ten gegenüber, die ja eine entscheidend e K o n ta k tz o n e darstellten, aufgeschlossen zeigen.
Z um anderen kon n ten sie ihre tatsächliche M achtstellu ng n ich t verhehlen und m ussten für diese
neue Stellung adäquate R epräsentationsform en finden, zumal beispielsweise die ordines im öffen tli­
chen Auftreten äußerlich klar durch R angabzeichen geken nzeich n et waren'12. M arian ne Bergm ann
hat in diesem Z usam m enhang von „einer charakteristischen Spaltung der R epräsen tation sform en “
gesprochen, die den H errscher einerseits als Kaiser, andererseits als M agistraten republikanischer
T rad itio n zeigten'1’. U m beide A spekte verbinden zu können, schöpften die Kaiser im B ereich der äu­
ßeren Erscheinung und der Insignien aus dem reichen Fundus republikanischer H errschaftszeichen.
D o ch zunächst zu den Form en des H abitu s, die eine N ähe zur Bürgerschaft, insbesonde­
re zum Senat und R itterstand signalisierten'1'1. H ierzu g eh ö rt zum Beispiel die Fortsetzung und
N eugestaltung der salutationes, die in ihrer A usw eitung auf einen im m er größer w erdenden
Personenkreis zugleich ihre p ersönlich verbind liche Form verloren” . D en n o ch waren sie in einen
w eiteren K om plex des persönlichen Um gangs beispielsweise in Begrüßungsform en eingebunden,
die in der öffentlich en W ahrnehm ung von B edeu tu ng gewesen zu sein scheinen. H ierzu gehörten
unter anderem der W angenkuss, der m it Senatoren getauscht wurde, sowie die D arreich un g der
H an d zum Handkuss der R itter'16. A uch das A u fstehen gegenüber Senatoren war bis zur Z eit des
C om m o d u s üblich und wurde von Biographen sowie H istoriograph en ausdrücklich p roto ko lliert'1 .
Von besonderer Problem atik war der Fußfall vor dem Kaiser'18, denn er kon n te als Proskynese m iss­
verstanden werden. Für T ib eriu s ist daher bezeugt, dass er diese schon in republikanischer Z eit üb-
59 Alföldi, Repräsentation (wie Anm. 1) 131, vgl. auch 2 6 f
'" Ebd. 5 4 -5 6 , 60f., 74 u.ö.
Ebd. X.
' Siehe zuletzt den Überblick bei Scholz, Repräsentation (wie Anm. 1).
Bergmann, Repräsentation (wie Anm. 2) 171; siche auch Aloys Winterling, Caligula. Eine Biographie
(Miinchcn 2003) 118, der auch von einer „doppelbödigen Kommunikation, die sich mit dem Kaisertum in
Rom etabliert hatte“, spricht ( 142 u.ö.).
11 Siehe zur falschen Nähe Alföldi, Repräsentation (wie Anm. 1) 2 5 -2 9 , 39, lOOf.
15 Vgl. auch Winterling, Aula (wie Anm. 5) 1 1 7 -1 4 4 ; Goldbeck, Salutationes (wie Anm. 5) passim.
16 Alföldi, Repräsentation (wie Anm. 1) 4 0 -4 2 .
17 Ebd. 4 2 -4 5 .
Zu den republikanischen Wurzeln ebd. 49.
190
M artin Z im m erm ann
liehe B ittgeste grundsätzlich ableh nte49. D iese positive H altu ng wurde akzentuiert, indem über das
E infordern des Fußkusses durch negative H errscher wie C aligu la oder D om itian berich tet wurde*0.
Z um einfachen, schlichten A uftreten des H errschers gehörte auch, dass er zu Fuß in der Stadt
unterw egs war51. Eine A lternative war die Sänfte, die aber nach M ö g lich k eit - wie die Beispiele
Augustus und H adrian zeigen '2 - geschlossen zu halten war, um die den M agistraten V o rb eh a lte nen Ehrungen zu verm eiden. A uch wurde die Begegnung m it M agistraten und ihren L ik toren o f ­
fenbar als p r o b le m a tis c h e m p fu n d e n 1’. E in direktes A ufeinandertreffen wurde vermieden™. D iese
N achrich ten beziehen sich auf eine eigentüm liche A rt der R epräsentation, die b e s o n d e rs darauf
abzieltc, die tatsächliche Stellung des H errschers zu verschleiern. D er selbstverständlich sichtbare
K aiser wurde ostentativ unsichtbar g em ach t” . D ieses Paradoxon m achte den propagierten Inhalt,
n äm lich die herausragende Stellung, u m so deutlicher. D ieses P hänom en begegnet auch in anderem
Z usam m enhang: M it dem reisenden H errsch er wird die Tugend der celeritas k om b in iert, h in ter
der sich von B eginn an auch der Versuch verbirgt, dem Kaiser in seiner außerordentlichen Steilung
etwas Flüchtiges, U ngreifbares zu geben. G leich zeitig wird .sein persönliches Erschein en m it einer
L ich tm etap h o rik verknüpft, die seine herausragende Stellun g sy m b o lisiert*. E r ersch ein t als strah­
lende So n n e, die alles Positive verkörpert, aber rasch vorbeizieht und so m it w enig Belastung m it
sich bringt.
In diesen K o n te x t perform ativer A kte, m it denen die bestehende R angstellu ng n egiert werden
sollte, ist auch das Z ugeständnis einzuord nen, neue Form en des öffentlich en A uftretens ebenfalls
den M agistraten zuzugestehen. Im ersten Ja h rh u n d ert setzte sich beispielsweise der Tragstuhl
bzw. die San fte als T ran sp o rtm ittel durch, w elche seit C laudius den übrigen M agistraten als
Fortbew egu ngsm ittel gestattet wurde5 . Ä h nliches gilt für das W agennutzungsrecht, das zunächst
w eiblichen M itglied ern des Kaiserhauses, aber schließ lich auch den obersten M agistraten zuer­
kannt wurde, so dass Ludw ig Friedländer m it B lick a u f das 3 .Jah rh u n d ert n .C h r. gar von einer
„K u tsch en aristokratie“ sprechen k o n n te’’8. D iese A rt der Ü b ertrag u n g neuer Form en des ö ffen tli­
chen A uftretens gilt ebenso für einzelne Insignien. So durften die K onsu ln bei dem processus consula-
'''} Cass. Dio 57, 21, 7.
w Sen. benef. 2, 12, 1f.; Cass. Dio 59, 19, 5; 27, 1; Marc. lib. spcct. 9, 66, 3; Plin. paneg. 24, 2; Alfbldi,
Repräsentation (wie Anm. 1) 54f., 64.
^ Ebd. 101.
,2 Suet. Aug. 53, 2; Cass. Dio 6 9 ,7 , 2.
Suet. Tib. 3 1 ,2 .
>! Alfbldi, Repräsentation (wie Anm. 1) 101 £
Siehe hierzu ausführlich Fritz-Heiner Mutschler, Potestatis nihilo amplius habui quam eeteri. Zum Problem
der Invisibilisierung der Macht im frühen Prinzipat, in: Gert Melville (Hg.), Das Sichtbare und das Unsichtbare
der Macht (Köln u.a. 2005) 2 5 9 -2 8 2 ; Martin Jehne, Augustus in der Sänfte. Uber die Invisibilisierung des
Kaisers, seiner Macht und seiner Ohnmacht, in: Gert Melville (Hg.), Das Sichtbare und das Unsichtbare der
Macht (Köln u.a. 2005) 2 8 3 -3 0 7 , der die geschlossene Sänfte als Versuch versteht, „Ehrerbietungsgesten, in
denen die Sonderstellung des Augustus klar zutage trat“, zu vermeiden (290). Augustus habe „seine Präsenz
in der Öffentlichkeit außerhalb der sorgsam choreographierten offiziellen Auftritte“ reduzieren wollen (306).
16 Helmut Halfmann , Itinera Principum. Geschichte und Typologie der Kaiserreisen im Römischen Reich
(Stuttgart 1986) 59f> 1 4 8 -1 5 1 ; Michael Mause, Die Darstellung des Kaisers in der lateinischen Panegyrik
(Stuttgart 1994) 192f.
" Suet. Claud. 28; App. civ. 3, 93; Cass. Dio 47, 10, 3 und 60, 2, 3. Alfbldi, Repräsentation (wie Anm. 1) I04f.
^ Ebd. 1 0 6 -1 0 8 ; Ludwig Friedländer, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms in der Zeit von Augustus
bis zum Ausgang der Antonine, 4 Bde., 10. Aufl. hg. v. Georg Wissowa (Leipzig u.a. 192 1 -2 3 ) I 293; IV 2 2 -2 5 .
D i e R e p rä s e n ta tio n des k aiserlichen R an ges
191
ris sowie die Spielgeber bei den ludi w eiterhin das T rium phalgew and zeigen,9 und seit flavischer Z eit
bei der p räto risch en pompa, seit Trajan beim K o n su latsan tritt ein Szepter tragen6“. Z u r E n tw icklun g
derjherrscherlichen R epräsentation gehörte also der n ich t selbstverständliche Usus, dass M agistrate
ihr T rium ph alorn at nach dem V orbild des Kaisers durch neue Insignien erw eitern konnten.
D ie neuen Form en senatorischer R epräsentation, die in den letzten beiden Jah rzeh n ten intensiv
erforsch t w urden, zeigen je d o ch deutlich, dass solche kalkuliert begrenzte G en erosität von Seiten
der H errsch er die faktische p olitische E n tm ach tu n g n ich t verdecken ko n n te61. M an kann vielm ehr
davon sprechen, dass die Z unahm e von E h ren titeln und Statussym bolen Ergebnis und Folge der
taktischen E n tm ach tu n g war. Frank K o lb hat daher zu R ec h t herausgestellt, dass die „aut die Person
des Princeps als R epräsentanten des Staates zugeschnittene H ierarchie" und die dam it ein hergehen ­
de „N ivellierung der Bevölkerung im m onarch ischen H errschaftssystem “ von einem „feingesponne­
nen System äußerlicher D ifferenzierung versch leiert“ worden sei62.
D iese M ech anism en dürften den M itglied ern der senatorischen Fü hrungsschicht n ich t verbor­
gen geblieben sein. D er o!~do lässt daher in seiner R epräsentation zwei Iendenzen erkennen, die der
gew andelten Situ atio n R echn u ng tragen. Z um einen lassen sich in Folge der abnehm end en C h ance,
K onkurrenz öffentlich zu zeigen, Z eich en p o litischen Rückzugs erkennen. T hom as Sch äfer etwa
kon n te am Beispiel der sella curulis und der fasces zeigen, dass in der K aiserzeit eine „Verlagerung
der m agistratischen Selbstdarstellung in den Sepulkralbereich“ stattfand63. U nd H cn n er von
H esberg verdeutlichte anhand der Sepulkralarch itektu r und zuletzt n och einm al am Beispiel der
senatorischen domus eine Introversion, die aus dem p o litischen Bedeutungsverlust der Senatoren
resultierte61.
N eben dem R ückzug senatorischer R epräsentationsform en aus der Ö ffen tlich k eit steht der
Versuch, der neuen Stellung, die m aßgeblich durch das W ohlw ollen und die G u n st des Kaisers im
K arriereverlauf beeinflusst wurde, adäquaten A usdruck zu geben. D iese zweite neue T endenz sena­
torisch er R epräsentation wurde u.a. von W erner E ck und G eza A lföldy in allen Facetten beleu ch ­
te t65. Seit Augustus setzte sich ein neuer epigraphic habit durch, der sich durch die A bfassung aus­
fü hrlich er Inschriften m it d etaillierten A ngaben zum cursus honorum auszeichnete. D ieser spiegelt
H Alföldi, Repräsentation (wie Anm. 1) 9 3 -1 0 0 .
60 Schaefer, Imperii Insignia (wie Anm.2) 181 -1 8 5 .
61 Alföldi, Repräsentation (wie Anm. 1) 121 f. zur „zweiten Art von kaiserlichen Abzeichen (...), die die monar­
chische Position unumwunden bezeichneten“.
62 Kolb, Statussymbolik (wie Anm. 1) 250.
63 Schaefer, Imperii Insignia (wie Anm. 2) 13 5 -1 4 1 .
61 Henner von Hesberg, Die Häuser der Senatoren in Rom. Gesellschaftliche und politische Funktion, in: Eck,
Heil, Senatores (wie Anm. 21) 1 9 -5 2 . Vgl. in diesem Zusammenhang und zur „neuen Bedeutung der Innenräume
und der Privatsphäre“ auch Henn'mg Wrede, Senatorische Sarkophage Roms. Der Beitrag des Senatorenstandes
zur römischen Kunst der hohen und späten Kaiserzeit (Mainz 2001) bes. 5 7 -6 6 , 9 4 -1 1 6 , Zit. 114.
65 Siehe z.B. jeweils mit weiteren Hinweisen Werner lick, Senatorial Self-Representation. Developments in ehe
Augustan Period, in: Fergus Miliar, Erich Segal (Hg.), Caesar Augustus. Seven Aspects (Oxford 1984) 129-167;
Werner Eck, Roma Caput Mundi - the Eternal City as Monument and Idea. The Elite o f the Empire in the Public
Space of the Capital Rome (Wellington 2001); ders., „Tituli Honorarii“, curriculum vitae und Selbsedarstellung
in der Hohen Kaiserzeit, in: Acta colloejuii epigraphici Latini Helsingiae 1991 (Helsinki 1995) 2 1 1 -2 3 7 ; ders.,
Der Senator und die Öffentlichkeit - oder: W ie beeindruckt man das Publikum?, in: Eck, Heil, Senatores (wie
Anm. 21) 1 -1 8 ; Geza Alfbldy, „Pietas immobilis erga principum“ und ihr Lohn. Öffentliche Ehrenmonumente
von Senatoren in Rom während der Frühen und Hohen Kaiserzeit, in: Ders., Silvio Panciera (Hg.), Inschriftliche
Denkmäler als Medien der SelbstdarsteHung (Stuttgart 2001) 11 -4 6 ; Alföldy, Schwerpunkte (wie Anm .21)
5 3 -7 2 .
192
M artin Z im m erm an n
zum einen die neuartige H ierarchisierung der Führungsschichten w ider1’5' und sollte zum anderen
ungeachtet der zunehm enden D ifferenzierung die N ähe zum jew eiligen K aiser dokum entieren. D ie
A m tsträger wurden so in die neue O rd n u n g eingebunden, was schon an den Statuen, die Augustus
von Senatoren a u f dem Augustusforum aufstellen ließ, sinnfällig wurde. So konnten die Senatoren
auch in den gew andelten V erhältnissen ihr lebhaftes Interesse an der R epräsentation ihrer Stellung
befriedigen, obw ohl der Kaiser sic zunehm end aus dem öffentlich en Raum der Stadt R om selbst
verdrängte. D ie N ekropolen am R ande der Stadt und die Privatgrundstücke der prächtigen V illen
traten als Repräsentationsräum e an die Stelle der öffentlich en Plätze R om s6 .
D a m it kom m en wir zum zweiten A spekt h errscherlicher Inszenierung, näm lich zur Frage einer
adäquaten D arstellu ng des h öchsten Ranges und zu den M itteln , m it denen D istin k tio n verdeut­
lich t wurde. Es ist selbstverständlich, dass der K aiser als princeps generis hum ani m it der ihm eigenen
M achtfü lle und religiösen Aura als Stellvertreter Ju p iters auf der Erde unbestrittenes H au p t der res
publica war. A m kaiserlichen R an g gab es keinerlei Zw eitel und denn och stellte sich die grundsätz­
liche Frage, wie dieser R ang in R om (d arau f m üssen wir uns beschränken) in äußeren Form en zu
repräsentieren war, oh ne die Fiktion einer res publica restituta aufgeben zu müssen.
T rotz aller Z urü ckh altun g bei öffentlich en A u ftritten und der R epräsentation von U n sich t­
barkeit, von der antike A utoren bei positiven H errsch ern gern berich ten , war im m er klar, wer in
ein er G ruppe ö ffen tlich auftretender, fü hren der M än ner der K aiser war6''. D ie ihn begleitenden
L ik toren , zunächst zwölf, seit D o m itia n vierundzw anzig und die P rätorianer bo ten bereits ein
eindrucksvolles Schauspiel. D ie vorangetragenen Fackeln und Feuerbecken, zu Ehren des Kaisers
vorgetragene Lieder und A kklam ationen, besondere Sitze im Senat und bei den Spielen wie die
exklusiv von ihm getragenen ornamenta h oben den Princeps sichtbar von den Senatoren und den
primäres des R itterstand es ab6’ . D ie Entourage, die den H errsch er ständig begleitete, ließ auf den
Straßen R om s aber auch auf den röm ischen Straßen und in den Provinzstädten keinen Zw eifel, wer
personaler Kern des Zuges war 0.
D as Jan usgesicht h errscherlicher R epräsentation, näm lich die Leugnung und A kzentuierung
seiner außerordentlichen Stellung, tritt besonders deutlich in seiner K leidung zutage, die stän­
dig zwischen beiden Polen w echselte und der jew eils übernom m enen R olle als K onsu l, Princeps,
Trium phator, Priester usw. angepasst w urde1'. Bereits im ersten Jah rh u n d ert legten die Kaiser
in R o m , sicherlich aber auch auf Reisen penibel W ert darauf, dass ihre K leidung der jew eiligen
66 Peter Bich , Z.ur Metamorphose des politischen Systems in der römischen Kaiserzeit (Berlin 2005) 2 0 -4 5 ;
Werner Eck, Auf der Suche nach Personen und Persönlichkeiten. Cursus honorum und Biographie, in:
Konrad Yössing (Hg.), Biographie und Prosopographie. Internationales Kolloquium zum 65. Geburtstag von
Antony Birlev (Stuttgart 2005) 5 3 -7 2 ; Karl-joachim E/ölkcskamp, Flerrschaft, Verwaltung und Verwandtes.
Prolegomena zu Konzepten und Kategorien, in: Rudolf Elaensch, Johannes Eleinrichs (Hg.), Herrschen und
Verwalten. Der Alltag der römischen Administration in der Hohen Kaiserzeit (Köln u.a. 2007) i - l S , hier
8 -1 0 . Vgl. auch zum Spannungsverhältnis Hierarchisierung/gesellschatdichc Schichtung und soziale Gruppen
sowie zur gegenseitigen Bedingtheit von „politischer Ordnung und gesellschaftlicher Stratifikation“: Aloys
Winterling, ,Staat“, .Gesellschaft4 und politische Integration in der römischen Kaiserzeit, in: Klio 83 (2001)
9 3 -1 1 2 , hier 109.
{1 Alföldy, Repräsentation (wie Anm. 1).
“ Ebd. 128.
«E b d . 140-186.
0 Elalßnann , Icinera Principum (wie Anm. 56) 9 0 -1 1 0 , 11 7 -1 2 4 . Siehe zur Inszenierung des Herrschers im
Gefolge z.B. Tue. hist. 2, 59. Vgl. Alföldi, Repräsentation (wie Anm. 1) 128.
1 Siehe nur Christian Ronning, Herrscherpanegyrik unter Trajan und Konstantin. Studien zur symbolischen
Kommunikation in der römischen Kaiserzeit (Tübingen 2007) 1 06-1 15.
D ie R e p rä s e n ta tio n des k aiserlichen R an ges
193
Situ atio n angem essen war : . A ut der einen Seite sehen wir die konsequente E n tw icklun g eines
kaiserlichen Prachtgew andes. Standardgew and war zwar die senatorische toga praetexta, aber seit
C laudius sind inschriftlich verschiedene P ersonen am H o f überliefert, die sich um die aufw ändi­
gen kaiserlichen Kleidungsstücke zu küm m ern hatten \ W ir hören von der regia vestis sowie der
vestis alba triumpbalis , zwei Kleidungsstücken, die m it den T rium phalinsignien exklusiv vom
Kaiser als Festkleider getragen wurden. Ferner gab es die vestis castrensis, zu der auch das purpur­
ne paludamentum gehörte, das im Laute der ersten beiden Jah rh u n d erte geradezu zum Sin nbild
des kaiserlichen Im perators und der K aiserherrschatt überhaupt wurde. C om m od us etw a verstand
sich als S o h n M ark Aurels daher als porpbyrogennetos
Zu festlichen Anlässen wurde spätestens
seit C aligu la, Claudius und N ero von den Kaisern selbst sowie ihren Frauen purpurne K leidung
m it G oldstickereien angelegt \ Bei C o m m o d u s bildeten gold verziertes paludamenttt'm und tunica
die ständig getragenen Kleidungsstücke (\ A uch purpurne H osen, die bracae , wurden seit Trajan
Bestan dteil des kaiserlichen M ilitärkostüm s, das im 2. Jah rh u n d ert im m er häufiger von den Kaisern
in R o m getragen wurde \ In unbekanntem U m fang dürften am Ende des 2. Jah rh u n d erts dann b e­
reits auch edelsteinverzierte Bestandteile des O rn ats regelm äßig vorgekom m en sein
D ie allm äh­
lich aufkom m enden, aber über die zwei Jah rh u n d erte im m er aufw ändiger gestalteten Fcstkostüm e
und G alakleidung, die die K aiser bei allen bedeutenden öffentlich en A uftritten anlegten, fanden
ihre E n tsprech un g in der G estaltu ng von Tragsitz, sella cundis , W agen und Zaum zeug der Pferde.
All dies wird vergoldet, m it E lfenbein und Edelsteinen verziert, um es deutlich von den entspre­
chend en Insignien der M agistrate oder den ihnen zugestandenen W agen und Tragsitzen abzuheben
Cassius D io b erich tet, dass auf dem Sch eiterhau fen des Pertinax auch der goldene Wagen
verbrannt wurde, m it dem er sich durch die Stad t bew egt h atte80. D ie eingangs erw ähnten p rach t­
vollen G egenstände, die bei der pompa funebris gezeigt wurden, entsprachen also jen en Insignien
und P rachtm öb eln , w elche die Kaiser auch zu Lebzeiten benutzten.
W ir können also sehen, dass die kaiserliche K leidung v o n Beginn an in äußerst luxuriösen
V arianten gefertigt wurde. D ies ist freilich nur eine Seite, denn m it einer täglich wohl m ehrm aligen
mutatio vestis versuchten die K aiser - auch im Sin n e einer N egierung ihrer Stellung - zurückh alten ­
de A u ftritte81. So g ab es neben den P rachtgew ändern A bteilungen für Kleider, w elche N ähe zu den
B eherrsch teii s y m b o lis ie re n so llten 82. D ie A b te ilu n g der vestis imperatoria privata war v e rm u tlich
der e in fa c h e n K leidung V o rb eh a lte n , w ährend die forensis vestis die etw a b e i der salutatio getragene
Toga m eint. Von Interesse für die So rgfalt b e i der Auswahl der jew eils passenden K leid un g sind die
ebenfalls v o n Freigelassenen gefüh rten A bteilu ngen der vestis scaenica et vladiatoria, vestis venatoria
1 Zur mutatio vestis siehe Alföldi, Repräsentation (wie Anm. 1) 1 2 3 -1 2 7; '/Jmmermann , Kaiser (wie Anm.7)
2 2 2 -2 3 2 .
’ Siehe auch Winterling, Aula (wie Anm. 5) 9 9 f. mit Einzelnachweisen.
'* Herodian, 1, 5, 5.
5Alfbldi, Repräsentation (wie Anm. 1) 1 4 4 -1 4 6 , 176 mit Verweis auf Suet. Calig. 19, 2; Cass. Dio 59. 17, 3 (für
Caligula), Plin. nat. hist. 33, 3, 63; Tac. ann. 12. 56 (zu Claudius) und Suet. Nero 25, 1 (zu Nero).
Cass. Dio 73 (72), 17, 3; Hist. Aug. Comm. 8, 8.
Alfbldi, Repräsentation (wie Anm. 1) 178-180.
Siehe hierzu die Severertondo mit den Kaiserbildnissen im Juwelenschmuck bei Heinrich Heinen,
Herrscherkult im römischen Ägypten und die „damnatio memoriae“ Getas, in: RM 98 (1991) 2 6 3 -2 9 8 .
9 Alföldi, Repräsentation (wie Anm. 1) 1 0 6 -1 1 0 , 1 5 0 -1 6 0 .
Vgl. Anm. 8.
MKolb , Herrscherideologie (wie Anm. 38) 54.
Siehe einzelne Belege bei Winterling, Aula (wie Anm. 5) 99f.
194
M a r ein Z i m m e r m a n n
und vestis m u nda. A ufm erksam keit verdiene ferner die G arderobe der vestis Graeculn. Für T ib eriu s,
Claudius, D o m itia n und H adrian ist belegt, dass sie im R ahm en von A gonen anstelle der röm ischen
Toga das vielleicht regelm äßig purpur gefärbte griechische H im ation getragen haben83.
W enn N ero also nach seiner G riech en lan d to u rn ee in purpurner K leid ung und m it einer m it
goldenen Sternen verzierten Chlam vs bekleidet in R om einzieht, ist er nur auffälliges G lied ei­
ner längeren K ette, die schließ lich in die exzentrischen A u ftritte des C om m od u s m it seidenem
U ntergew and und ähnlich gearbeiteter purpurner C hlam ys m ün det8'1. Prachtgew änder und situ ati­
onsbezogene K ostüm e standen allen Kaisern zur Verfügung. D ie kritischen B erichte Su eton s über
N eros A u ftritte und jen e D io s über C o m m o d u s verweisen auf das grundlegende Problem , m it H ilfe
der antiken Ü berlieferun g die R epräsentation des kaiserlichen Ranges angem essen zu rekon stru ie­
ren. Andreas A lföldi hat m it B lick auf diese Ü berlieferun g von der „U m klam m erung des rh etori­
schen Schlinggew ächses“ gesprochen, die der „R ekon stru k tion der sehr langen und allm ählichen
E n tw ick lu n g“ im W eg steh e8*. L iterarisch e T o p o i und die ständig w iederholten V orw ürfe einer am
hellenistischen K ö n igtu m orien tierten, unröm ischen Ausgestaltung der R epräsentation erschw e­
ren in der T at, ihre E n tw icklun g w ertfrei und in ihrer tatsächlichen G estaltu ng wie Z ielsetzung
zu rekonstruieren und einzuord nen. Es ist bezeichnend , dass N euerungen in der G estaltu ng des
m onarch ischen A uftretens grundsätzlich ausführlich nur bei m aliprincipes gew ürdigt werden. Sie
werden dabei regelm äßig auf Initiativen dieser K aiser zurückgeführt, und ihre A kzeptanz bei den
Zeitgenossen wird w eitgehend geleugnet.
An verschiedenen Beispielen wurde m ittlerw eile in der neueren Forschung verdeutlicht, dass
gerade von den m ali principes Standards geschaffen w urden, die von ihren W id ersach ern und
N achfolgern übernom m en und w eitergefü hrt wurden. D ie D oppelgesich tigk eit der kaiserli­
chen R epräsentation ist auch gerade darin begründet, dass offiziell übernom m ene und sch ließ ­
lich eingeforderte Form en der Eh ru ng neben im m er neuen Varianten, die von den un tersch ied­
lichen G ruppen der G esellschaft ersonnen w urden, standen. D ie E n tw icklun g beispielsw eise des
Senatorenstandes zeigt dies: D ie von seinen M itglied ern gew ählten Form en der Lebensführu ng
und Standesrepräsentation kultivierten abgekoppelt vom K aiserh of Form en, die m an einem Kaiser
gleichzeitig, zum indest vorläufig, n o ch absprach. D ies gilt etwa für die verzerrte W ahrnehm ung
und D arstellu ng des n eron ischen K aiserpalastes86, aber auch für andere Form en von Entgleisungen,
die angeprangert werden. E in Thrasea Paetus etw a kann als Tragöde auftreten und zugleich N ero
solche A m b itio n en vorw erfen8 . Vespasian kann Pläne Neros, die H au ptstadt nach A lexandria zu
verlegen, kritisieren und gleichzeitig in Ä gypten entw ickelte R epräsentationsform en dieses Kaisers
nach R o m tragen88. Aus dieser D iskrepanz zwischen eigener H altu ng und K ritik an anderen sollte
Suet. Tih. 13, 1 (Tiberius); Cass. Dio 60, 6, lf. (Claudius); Suet. Dom. 4, 4 (Domitian); Cass. Dio 69, 16, 1
(Hadrian).
8-1 Suet. Nero 25 (Nero); Cass. Dio 73 (72), 17, 3 (Commodus).
Alföldi, Repräsentation (wie Anm. 1) 4f., 19, 23 (zum „merkwürdigen Eigenleben der Rhetorik“), 176 (zum
„Motivzwang der rhetorischen Invektive'*).
Marianne Bergmann, Der Koloss Neros, die Domus Aurea und der Mentalitätswandel im Rom der frühen
Kaiserzeit (Mainz 1994).
8 Zum Kontext siche Christian Ronning, Der Konflikt zwischen Kaiser Nero und P. Clodius Thrasea Paetus.
Rituelle Strategien in der Frühen Römischen Kaiserzeit, in: Chiron 36 (2006) 3 2 9 -3 5 5 .
ss Martin Zimmermann , Der Kaiser als Nil. Zur Kontinuität und Diskontinuität von Repräsentation im Frühen
Prinzipat, in: Gregor Weber, Martin 7Jmmerman?i (Hg.), Propaganda - Selbstdarstcllung - Repräsentation
im römischen Kaiserreich des l.Jhs. n.Chr. (Stuttgart 2003) 3 1 7 -3 4 8 . Vgi. auch zu den Strategien der flavischen Herrschaftsrepräsentation ders., Die restitutio honorum Galbas, in: Historia 54 (1995) 5 6 -8 2 . Zum
D i e R e p rä s e n ta tio n des kaiserlichen R a n g es
195
man freilich n ich t autom atisch eine E h renrettun g eines Kaisers wie N ero ableiten, der in seinen
H andlungen und den gew ählten Form en der Selbstdarstellung durchaus von einer „bestürzenden
und zugleich naiven E g o zen trik“ geleitet gewesen sein mag89.
D ie V erehrung des Kaisers nahm auf u nterschiedlichen E b enen sehr verschiedene Form en
an,
die
in
großem
U m fang
auch
irrational,
d.h.
jenseits
aller
offiziellen
ideologischen
Begründungszusam m enhänge gestaltet wurden. So lch e Spuren finden sich angefangen von der da­
mns Augusta bis hin zu den einzelnen G em einw esen des R eiches. Förderlich für diese En tw icklun g
war zw eifellos, dass eine zentral gesteuerte Propaganda kaiserlicher R epräsentation n ich t existier­
te'"1. D ie verbindlichen Standards waren derart vage und uneingeschränkt positiv gefasst, dass sie
problem los Konsens fanden. D er H errscher stand einfach für W ohlergehen, G lü ck und B lü te des
R eiches wie seiner einzelnen Teile. So lch e Form en der R epräsentation kon n te man als Appellativa
oh ne Bedenken übernehm en. Bei den Form en der lokal ersonnenen Ehrungen konnten die K aiser
in K om m u n ikatio n m it örtlich en A m tsträgern und M agistraten um gekehrt überlegen, was in das
offiziell abgesteckte Program m aufzunehm en war und überregionales Interesse versprach.
A n son sten scheint die Program m atik spätestens im 2 .Jah rh u n d ert in den im m er gleichen
Form eln und Schlagw orten erstarrt zu sein. D ies lag schon deshalb nahe, da m an seit Augustus
m it dem K aiser n ich t nur das G o ld en e Z eita lte r assoziierte, sondern diesem Z ustand eine vom ak­
tuellen H errsch er gelöste, ü berzeitliche D auer unterstellte. D er K aiser als rector o r t e w ählte daher
den H im m elsglobus als „H au ptm otiv der K aisersym bolik“91. Er verband sym bolisch die zeitlich
begrenzte H errschaft m it der ewigen kosm ischen O rdn un g92. Seit den Flaviern wurde verstärkt die
aeternitas der K aiser artiku liert und m it Sch lag w o rten wie abundantia, concordia , felicitas, laetitia, providentia, securitas usw. kom b iniert, die n ich t beliebig erw eiterbar w aren9-'. M an darf davon
ausgehen, dass die K om m u n ikatio n über solche Tugenden und ihre Auswahl rech t u n p räten ti­
ös verlief. D ie V orstellung, dass der K aiser gewisserm aßen laufend unter Stress stand, da er seine
H errschaftsberechtigung gegenüber den verschiedenen gesellschaftlichen G ruppen unter Beweis
stellen zu müssen glaubte, ist sicherlich an ach ron istisch 91.
W ie w ir aber auch sahen, sollte man sich von dieser Firnis erstarrter R epräsentationsform en n icht
täuschen lassen. D aneben wurde laufend N eues erp ro b t und adaptiert. Zu erw ähnen ist etw a die von
Peter W eiss jü ngst ingeniös für A n to n in u s Pius und M ark Aurel nachgew iesene V erpflichtu ng rö ­
m ischer Eheleute, in R o m vor einem Stand bild des jew eiligen Kaiserpaares zu opfern, nachdem die
Weiterleben Domitians als Gott und Stammvater von Göttern in der Dichtung nach der damnatio memo riae siehe die Zengnis.se bei /. Rufus Fears, The Cult of Jupiter and Roman Imperial Ideology, A N RW II 17.1
(1981) 3 -1 4 1 , hier 80; Jens Leberl, Domitian und die Dichter. Poesie als Medium der Herrschaftsdarstellung
(Göttingen 2004).
Siehe zu einem für diese Frage wichtigen Text Marianne Bergmann, Hatte Nero ein politisches und/oder kul­
turelles Programm? Zur Inschrift von Akraiphia, i w.Jeaji'Mkhel Croiselle, Yves Perrbi (Hg.), Neronia VI. Rome
ä lepoque neronienne (Brüssel 2002) 2 7 3 -2 8 4 , hier 281.
90 Zimmennann, Nil (wie Anm. 88) 11-40.
91 Alföldi, Repräsentation (wie Anm. 1) 235; Rolf M. Schneider, Roma Aeterna - Aurea Roma. Der
Himmelsglobus ais Zeitzeichen und Machtsvmbol, in: Kodikas/Code. Ars Semeiodca 20 (1997) 103-132.
9- Siehe Ronning, Herrseherpanegyrik (wie Anm. 71) 11 Of. zum Kaiser als „embiematischer Figur, in der sieh alle
Bürger und der Staat selbst aufgehoben finden“.
9i Siche bereits Paid L. Strack, Untersuchungen zur römischen Reichsprägung des zweiten Jahrhunderts, Bd. I
(Stuttgart 1931) 187; Alföldi, Repräsentation (wie Anm. 1) 201 f.; Martin P Charleswortb, Providentia and aeternitas, in: HTHR29 (1936) 10 7 -1 3 2 .
'u Siehe hierzu Armin Eich, Politische Literatur in der römischen Gesellschaft. Studien zum Verhältnis von po­
litischer und literarischer Öffentlichkeit in der späten Republik und frühen Kaiserzeit (Köln u.a. 2000) 360f.
M a r ein Z i m m e r m a n n
19 6
kaiserliche Ehe in aufw ändigen Inszenierungen als Sin nbild der concordia gefeiert und zum Vorbild
für die Ehe sch lech th in stilisiert worden war';\ A u ch die w eitergehende E n tm ach tu n g des Senats
bei gleichzeitig zunehm ender A nzahl der A bbildungen des G enius Senatus auf M ünzen und ö f­
fentlich en D enkm älern gehö rt ebenfalls in diesen K o n tex t einer schleichenden W eiterentw icklung
h errsch erlich er R epräsen tation 96. H in ter ihr stehen die A ushöhlung alter Inhalte und ein fo rtsch rei­
tender gesellschaftlicher W andel. D ie bei der pompa funebris des Pertinax repräsentierte politische
O rd n u n g war selbstverständlich n ich t m ehr jen e der flavischen Z eit, auch wenn sie sich so gab.
U nd w enn D io Septim ius Severus einen adventus trajanischer Z e it zuschreibt, dann war ihm , wie
dem G esch ich tsw erk an vielen Stellen zu en tn eh m en ist, sehr w ohl bewusst, dass dies nurm ehr
Fassade herrscherlicher R epräsentation war, der er in rh etorischer T rad ition stehende W o rte lieh.
A nsonsten können wir feststcllen, dass die Schaffu ng neuer R epräsentationsform en des Kaisers
und die gleichzeitige Inszenierung einer gesellschaftlichen H ierarchie m ittels Standesabzeichen,
Insignien und E h renrechten d urchschlagend etab liert werden konnte. D ies lässt sich an der u n rech t­
m äßigen A daptation der Statussym bole9 sowie an schon beispielsweise von M artial oder Petron
verfassten satirischen literarischen D arstellungen eines H abitus studieren, m it dem bestehende ge­
sellschaftliche Standesgrenzen überschritten werden sollten. Auch der Versuch von M itglied ern der
Fü hrungsschicht, durch die Initiative zur P u b lik atio n kaiserlicher D oku m en te eigenes A nsehen zu
erw erben, g ehört in diesen K o n te x t98.
Z usam m enfassend lassen sich folgende Struk turelem en te in der R epräsentation kaiserlichen Ranges
erkennen:
1.
Ein w esentliches E lem ent h errscherlicher R epräsentation war die top ische Behau ptu ng, der
Kaiser unterscheide sich in Aussehen und A uftreten n ich t von anderen M agistraten. Er b e­
nutze dieselben Insignien und falle im Stadtbild n ich t als ranghöchste Person auf.
2.
T ro tz evidenten gesellschaftlichen W andels und einer völligen V eränderung der M achtverhältnisse wurde das strukturelle W eiterbesteh en einer überkom m enen O rd n u n g behauptet,
die G rundlage der R epräsentation war.
3.
D ie tatsächliche M achtstellu ng brachte es freilich m it sich, dass der w eitgehend en tm achtete
Senat, der zunehm end bedeutende R ittersta n d und andere gesellschaftliche G ruppen spezi­
elle So n d errech te und bis dahin u n bekann te Ehrungen vorschlugen, die zu einer allm äh li­
chen V eränderung der R epräsentation fü hrten .
4.
Parallel hierzu erw eiterten die K aiser den ö ffentlich zur Schau gestellten P runk, der nun
auch O rn a t und H errschaftsinsignien erfasste, die im m er prachtvoller und aufwändiger
gestaltet wurden. G leich zeitig h ielt die von der Führungsschicht getragene Biographie und
H istoriograph ie aber zum G ro ß teil daran fest, diesen U m stand zu leugnen.
^ Siehe das hochinteressante Beispiel bei Peter Weiss, Die vorbildliche Kaiserehe. Zwei Senatsbeschlüsse
beim Tod der älteren und der jüngeren Faustina, neue Paradigmen und die Herausbildung des ,antoni.schen‘
Prinzipats, in: Chiron 38 (2008) 1-45.
96 Alföldi, Repräsentation (wie Anm. 1) 134f.; Zim?ner?nann, Galba (wie Anm. 88) hier 7 3 -7 5 (zur Einführung
des Genius auf Münzabbildungen durch Galba und die Adaptation der Programmacik durch Vespasian); vgl.
auch Jean Beranger, Der Genius populi Romani in der Kaiserpolitik, in: BJ 154 (1965) 7 2 -8 5 .
Reinbold Meyer, Usurpation o f Status and Status Symbols, in: Flistoria 20 (1971) 2 7 5 -3 0 2 .
9:s Werner Eck, Kap. Administrative Dokumente. Publikation und Mittel der Selbstdarstellung, in: Ders., Die
Verwaltung des Römischen Reiches in der Hohen Kaiserzeit, Bd. 2 (Basel 1997) 3 5 9 -3 8 2 , hier 3 7 6 -3 8 0 ; Rudolf
Eiaenscb, Einführung, in: Ders. (Hg.), Selbstdarstellung und Kommunikation. Die Veröffentlichung staatlicher
Urkunden auf Stein und Bronze in der römischen Weit (München 2009) 1 lf.
D i e R e p r ä s e n t a t i o n de s k a i s e r l i c h e n R a n g e s
5.
197
A ut Seiten der Senatoren, R itte r und lokalen M agistrate wurden neue Form en der
R epräsentation entw ickelt, die als R ahm en
der herrscherlichen
R epräsentation
fun­
gierten, aber unter diesem Aspekt n o ch n ich t untersucht worden sind. D ies kann als
Forschungsdesiderat nur angedeutet werden.
6.
D er R an g war grundsätzlich auch dadurch zu repräsentieren, dass der Kaiser das h öch s­
te A nsehen genoss. Alles Positive wurde auf ihn zurückgeführt, alle persönlichen Ver­
dienste Einzelner ihm gutgeschrieben. A llein dieses grundlegende E lem ent kaiserlicher
R epräsentation m achte H errschaft im m er prekär.
I I I . N eue Forschungsfelder: A nw esenheitskultur, H abitu s, D y n a m ik der
R epräsentation und die notw endige Revision d e s ,A kzeptanzsystem s1
N achdem im vorhergehenden Teil verschiedene Realia der R epräsentation vorgestellt wurden, soll
abschließend auf einer abstrakteren Ebene b etrach tet werden, zwischen w elchen Polen gesellschaft­
lich er Aushandlungsprozesse sich die R epräsentation des kaiserlichen Ranges bew egt und welche
Forschungsfelder sich daraus ergeben haben und zukünftig als Perspektive w issenschaftlicher A rb eit
an bieten . V erschiedentlich ist angeklungen, dass die G rundprinzipien der R epräsentation nur zu
verstehen sind, wenn man sie als B estan dteil eines kom plizierten K om m unikationsprozesses ver­
steht. D ie B eo b ach tu ng , die G erd A lth o ff für das M ittela lter form u liert hat, dass „R angdenken
... ganz offensich tlich eine K ultur der R epräsentation im Sin ne von Z tir-Sch au -Stellu n g“ hervor­
gebracht h a b e ", lässt sich auf die röm ische K aiserzeit übertragen. D ie röm ische G esellschaft war
stark von der öffentlich en D arstellu ng und W ahrnehm u ng des jew eiligen gesellschaftlichen Ranges
gep rägt'00. Ö ffen tlich k e it und sozialer Status waren eng aufeinander bezogen, denn kaiserliches
wie senatorisches H andeln bedurfte traditionell der S ich tb a rk e it101. Erst die A ugenzeugenschaft
der A nw esenden und die T eilnahm e an einem sym bolisch-rituellen A kt, wie der eingangs besch rie­
benen Bestattungszerem onie, beglaubigten die abstrakten und teilw eise fiktiven Bestandteile der
O rdn un g. D ies gilt auch für den täglichen U m gang m it A m tsträgern oder Senat. In einer solchen
für vorm oderne G esellschaften typischen P räsenzku ltur'02 versicherten sich die B eteiligten in physi-
Vi? Gerd Altboß, Die Kultur der Zeichen und Symbole, in: Ders., Inszenierte Herrschaft. Geschichtsschreibung
und politisches Handeln im Mittelalter (Darmstadt 2003) 2 7 4 -2 9 7 , hier 277.
us° Siehe z.B. Hanns Gabelmann, Antike Audienz- und Tribunalszenen (Darmstadt 1984) 117-177; Ronning,
Stadteinzüge (wie Anm. 6) 5 7 -6 1 .
i0! Siehe zur für Senatoren zunehmend begrenzten Öffentlichkeit, die nun der Kaiser einnimmt, auch Peter
Eich, Aristokratie und Monarchie im kaiserzeitlichen Rom, in: Hans Beck u.a. (Hg.), Die Macht der Wenigen.
Aristokratische Herrschaftspraxis, Kommunikation und ,edler' Lebensstil in Antike und Früher Neuzeit
(München 2 0 0 8 )1 4 5 -1 5 1 (mit weiteren Hinweisen). Vgl. auch die Überlegungen zur Rolle der „visibility“ in
antiken Monarchien von Olivier Hekster, Richard Eowler, Introduction, in: Dies. (Flg.), Imaginary Kings. Royal
Images in the Ancient Near Fast, Greece and Rome (Stuttgart 2005) 9 -3 8 und für die römische Kaiserzeit
Olivier Hekster, Captured in the Gaze of Power. Visibility, Games and Roman Imperial Representation, in: ebd.
157-176.
1(12 Zum aus der Kultursoziologie entlehnten Begriff der Präsenzkultur siehe Barbara Stollberg-Rilinger, Des
Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches (München 2008) 9 -1 2 , 2 9 9 305. Vgl. dies., Einleitung, in: Dies. (Hg.), Vonnoderne politische Verfahren (Berlin 2001) 9 -2 4 . Siehe ferner
grundlegend Rudolf Schlögl, Vergesellschaftung unter Anwesenden. Zur kommunikativen Form des Politischen
198
M artin Z im m erm an n
scher A nw esenheit, dass sie die O rdn un g unterstützten und davon ausgingen, dass alle anderen die
gleichen Erw artungen m it dieser O rd n u n g verbanden wie sie selbst. A uch verständigte man sich
darüber, dass die M axim e des p olitischen H andelns n ich t A bstrakta waren, sondern in der Praxis
um gesetzt w u rd e n 10’.
D esh alb wurde das, was in der Ö ffen tlich k e it vorgeführt wurde, für wahr gehalten. D ies gilt in
besonderem M aße für eine H errschaftsordnung wie den Prinzipat, dessen fiktiven Bestandteile,
näm lich die ostentativen A n leihen aus der Z eit der R epu blik, grundsätzlich fraglich waren. D aher
war diese H errschaftsordnung besonders darauf angewiesen, dass die Beteiligten laufend versicher­
ten, diese K on stru k tion trotz ihres allzu offensich tlich fiktiven C harakters zu akzeptieren und zu
unterstützen. D ie w eiterhin bestehende G eltu n g der republikanischen T rad ition en und historisch
gew achsenen Identität musste folglich in u n terschiedlichen K on texten und Signaturen unter ge­
w andelten V erhältnissen b eto n t w erden10'1. D as historisch Einzigartige bei der K on stituierun g
des Prinzipats war der U m stand, dass die über Jah rh u n d erte gewachsenen habituellen K onzepte
und Form en sym bolischer K om m un ikation m it der E n tsteh un g des Prinzipats grundsätzlich zur
D isp osition standen. D ies um so mehr, da, wie w ir oben gesehen haben, in einer völlig n eu arti­
gen p olitischen A rch itek tu r die R epräsentation des kaiserlichen Ranges auf der Fiktion beruhte,
dass die hierfür bereit stehenden M ittel sich n ich t von denen unterschieden, die auch anderen
M itglied ern der Fü hrungsschicht zur Verfügung standen. M it dem öffen tlich inszenierten V erzicht
a u f die D em o n stratio n der kaiserlichen Stellung beabsichtigten die Kaiser, ihre M achtstellu ng zu
festigen und auszubauen. D iese paradoxe K o n stru k tio n fu n k tion ierte angesichts der tatsächlichen
M achtfü lle, die allen B eteiligten bekan n t war, aber nur, solange die Adressaten im w ö rtlichen Sinn
m itspielten und diesen Teil der Inszenierung als einen Teil der W irk lich k eit akzeptierten. D iese
A kzeptanz war insbesondere im Bereich der In v isibilisierun gdcr neuen M achtstellu ng folglich stets
prekär. D as öffentlich e A gieren des Kaisers und der an der M a ch t B eteiligten wurde schon von den
antiken Protagonisten als ein Schauspiel verstand en10*, in dem die aristokratischen A kteure m it den
ihnen darin zugewiesenen R ollen oft h a d erten 106.
in der vormodernen Stadt, in: Ders. (Hg.), Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitiiehen Stadt
(Konstanz 2004) 9 -6 0 .
ur' Eich , Literatur (wie Anm .94) 353f. Mit Blick auf die „Repräsentation staatlicher Macht“ stellt er fest, dass
die Kaiser ihrer „hoheitlichen Gewalt“ eine „wahrnehmbare Gestalt“ gegeben hätten: „Diese Gestaltgebung
vollzog sich primär in der Herrschaftspraxis, indem der Herrscher in bestimmten Formen agierte und andere in
die Formen ritualisierten Agierens mit einbezog“ Diese Herrschaftspraxis sei in Bildern und Texten reproduziert
worden.
itw Zur „Geltung“ siehe Gerhard Scbönricb, Ulrich Baltzer, Die Geltung von Geltungsgeschichten, in: Gert
Melville, Hans Vorländer (Hg.), Geltungsgeschichten. Uber die Stabilisierung und Legitimierung institutionel­
ler Ordnungen (Köln u.a. 2002) 1 -2 6 und die übrigen Beiträge in dem Band.
Hb Siehe Suet. Aug. 100.
i% Siehe z.B. Cass. Dio 73 (72), 4, 2t.; 75 (74), 2, 1-3. Vgl. Alföldi, Repräsentation (wie Anm. 1) 123
(„Tagesordnung des Kaisers“ als „wahres ’Iheater“). Im Extremfall wurden das Bühnenspiel selbst und die
Reaktionen des Publikums auf Auftritte von Kaisern und Mitgliedern der Führungsschicht zunehmend
politisch aufgeladen und es einstand ein spezieller Erprobungsraum kaiserlicher Repräsentation wie der
Publikumsreaktionen auf diese Versuche der Auslotung neuer Darstellungsmuster. Siehe z.B. die Überlegungen
von Sbadi Bartsch, Actors in the Audience. Theatricality and Doublespeak from Nero to Hadrian (Cambridge,
Mass. 1994); Nicholas Purcell, Does Caesar Mime?, in: Bettina Bergmann, Christine Koncloleon (Hg.), The
Art of Ancient Spectacle (New Haven u.a. 1999) 1 8 1 -1 9 4 ; das Kapitel „Extreme Mimesis. Spectacle in the
Empire“, in: AnneE. Duncan , Performance and Identity in the Classical World (Cambridge u.a. 2006) 188-2 1 7
D i e R e p rä s e n ta tio n des k aiserlichen R an g es
199
Insbesondere unter den M itglied ern der führenden S ch ich ten gab es folgerichtig einen lebhaften
form ellen wie inform ellen Austausch darüber, wie der p ersönliche H abitu s der jew eiligen Stellung
adäquat gestaltet, im Laufe einer Karriere sowie eines dam it verbundenen sozialen Aufstiegs eventu­
ell angepasst oder als Folge tekton ischer Schw ankungen im G esam tgefüge gar grundsätzlich neu de­
finiert werden so llte10'. D as dah in ter stehende öffentlich e Bew usstsein für habituelle K o n fo rm ität
lässt sich schon in der R epu blik als provokative A ufhebung dieser a u f Konsens angewiesenen
O rd n u n g stud ieren “'8. Z u r Inszenierung der (senatorischen) Person wie des kaiserlichen Ranges
gehören neben Insignien beispielsweise auch die Bew egung (G eh en , Fahren, Sch reiten usw.), das
Sprechen (A nsprachen, G espräche usw.) sowie G estik und M im ik 109. D ie Erw artungen, w elche die
Z eitgenossen m it einer solchen habituellen Inszenierung von sozialem R an g und H errschaft verban­
den, waren offenb ar verbindlich, denn ihre N ichterfü llu n g zog Befrem den bis h in zur A ufkündigung
p olitischer G efolgschaft nach sich, wie etwa die Beispiele C la u d iu s'10 oder C o m m od u s zeigen111. In
der im m er präsenten Sen sib ilität dafür, ob ein V erhalten angem essen war oder n ich t, lag auch oder
gerade in der Kaiserzeit die besondere h istorisch e D yn am ik der a u f Ö ffen tlich k eit aufbauenden
K o m m u n ik atio n : U n stim m igkeiten wurden rasch w ahrgenom m en, hohler Sch ein en tlarvt und
entsp rechend e Ä nderungen in Sym bolinventar, H andlungsabläufen, C h oreog rap h ie, D ram atu rgie
und b eteiligtem Personal angem ahnt.
D ie Integration des K ö rp ers112 und seiner Inszenierung in die K om m u n ikation über die
R angstellu ng des Kaisers barg also gewisse G efahren , h atte aber auch große V orteile. Im G egensatz
zu schriftlichen und m ündlichen M itteilu n gen , deren In h alt n ich t einfach zurückgenom m en
werden kon n te, ko n n te m it dem K örper indirekt kom m un iziert w erden. R u d olf Sch lög l hat da­
her zu R ec h t h ervorgehoben, dass der K örper „Schutz vor der Zwangsläufigkeit interaktiver
K om m u n ikatio n “ und die „M ö g lich k eit von K o m m u n ikatio n a u f W id e rru f“ b o t 113. Bei der recht
schw ierigen Form ierung der kaiserlichen R angstellung und bei der tastenden Ausbildung ihrer
und Martin Zimmennann , Extreme Formen physischer Gewalt in der antiken Überlieferung, in: Ders. (Hg.),
Extreme Formen von Gewalt in Bild und Text des Altertums (München 2009) 155-192, hier 183-189.
^ Für die mediale Umsetzung siehe bereits Richard Brilliant, Gesture and Rank in Roman Art - the Use of
Gesture to Denote Status in Roman Sculpture and Coinage (New Haven 1963); Jutta Ronke, Magistratische
Repräsentation im römischen Relief. Studien zu standes- und statusbczeichnenden Szenen (Oxford 1985), den
Überblick bei Scholz, Repräsentation (wie Anm. 1) 4 0 9 -4 3 1 sowie jetzt auch Angelika Starbatty, Aussehen
ist Ansichtssache. Zur kommunikativen Funktion von Kleidung in der Antike (Diss. München 2009). Zur
Konstitution des senatorischen Ansehens siehe allgemein Christophe Badei, La noblesse de l'cmpirc romain. Les
masques et la vertu (Champ Valäon 2005).
10* Siehe Tonio Hölscher, Provokation und Transgression als politischer Habitus in der späten Republik, in: RM
1 1 1 (2 0 0 4 )8 3 -1 0 4 .
109 Siehe bereits Carl Sittl, Die Gebärden der Griechen und Römer (Leipzig 1890, ND 1970) hier 7 8 -1 7 3 :
Egon Elaig, Ritualisierte Politik. Zeichen, Gesten und Herrschatt im Alten Rom (Göttingen 2003) 9 9 -1 2 2
u.ö.; Antony Corbeill, Nature Embodied. Gesture in Ancient Rome (Princeton 2004). Eine Untersuchung zur
Rolle des kaiserlichen und senatorischen Körpers steht noch aus. Vgl. für die Frühe Neuzeit die Beiträge zum
„Körper als Medium“ in dem Sammelband/tf/w/ttd's Burkhardt, Christine Werkstetter (Hg.), Kommunikation
und Medien in der Frühen Neuzeit (München 2005) 4 2 9 -4 6 0 .
110 Siehe z.B. Dieter lim pe, Claudius und die kaiserliche Rolle, in: Volker M. Strocka, Die Regierungszeit des
Kaisers Claudius (4 1 -5 4 n.Chr.). Umbruch oder Episode (Mainz 1994) 3 5 -4 2 .
111 ZJmmermann, Kaiser (wie Anm. 7) 5 9 -6 3 mit Dio 73 (72), 4, 2 (Xiph.).
112 Siehe hierzu etwa Jon Hall, The Deference-Greeting in Roman Society, in: Maia 50 (1998) 4 1 3 -4 2 6 .
Rudolf Schlögl, Typen und Grenzen der Körperkommunikation in der Frühen Neuzeit, in: Burkhardt,
Werkstetter, Kommunikation (wie Anm. 109) 5 4 7 -5 6 0 , hier 550. Vgl. Andre Kieserling, Kommunikation unter
Anwesenden. Studien über Interaktionssysteme (Frankfurt am Main 1999) 147-178.
200
M artin Z im m erm an n
Repräsentation h atte eine solche M ö glich k eit, die kom m unizierten Inh alte aut ihre W irk u n g h in zu
prüfen, den Vorteil, n ich t akzeptierte Signale sch lich t bestreiten zu können. D ie G egenseite hatte
um gekehrt die O p tio n , sie zu ignorieren oder eben zu bekräftigen.
D ie K ategorie des H abitus ist also im Anschluss an Pierre Bourdieu um fassend zu verstehen:
D er B e g riff bein h altet u n terschiedliche Aspekte der persönlichen E rscheinung, zu denen alle re­
levanten Aspekte des sozialen H andelns bis hin zur bloßen physischen Präsenz geh ören 11'1. D er
H abitu s ist erkennbar an erlernten und unbew usst eingesetzten H andlungen, die zur historisch
klar kontu rierten sozialen und p olitischen Stellung gehören und in sehr verschiedenen, bereits
durch die republikanische A ristokratie en tw ickelten und nun neu definierten p olitischen, sozia­
len und religiösen R ollenm u stern sowie den dam it verbundenen Erw artungen aufgeh en 1
N ach
Bourdieu ist der H abitu s die „wirkende Präsenz der gesam ten V ergangenheit, die ihn erzeugt h at“116.
Für ihn ist er ein „System dauerhafter und übertragbarer D isp osition en “, die als „Erzeugungs- und
O rdnungsgrundlage für Praktiken und V orstellungen“n - d ienten , dabei aber in einer „Spon tan eität
oh ne W issen und Bew usstsein“118 w irkten. D ies sch ließ t die M ö g lich k eit ein, im m er neue Verhal­
tensw eisen hervorzubringen, die auf die Erfordernisse einer gegenw ärtigen und m öglicherw eise ge­
w andelten sozialen wie p o litischen Situ atio n reagieren.
D en R ah m en für die habituelle K om m u n ikation bildeten die vielfältigen Form en von Begegnung
in Z erem o n ie, Ritual und p olitischen A lltagsgeschäften119. H ier fand der K aiser die adäquaten
G elegen heiten , in denen sein überragender R an g wie in einem Brennspiegel präsentiert werden
konnte. Anders als in der Spätantike, als die außerordentliche kaiserliche Stellung unterstrichen
wurde, indem man ihn b uch stäblich visuell und räum lich en trü ck te120, kon stitu ierte sich die kai-
iu Die verschiedentlich erwähnten äußerlichen Zeichen, die insignia imperii, begründen nicht die kaiserliche
Stellung. Vy. Tac. hist. 3, 68 (zum gescheiterten Versuch des Vicellius, die insignia im Concordia-Tempcl niederzuiegen). Nur der Tod, die komplette physische Auslöschung der Person, konnte die Stellung atifheben. Siehe
zur Kategorie Bourdieus Beate Krais, Gunter Gebauer, Habitus (Bielefeld 2002).
115 Für die Republik siehe Hans Beck, Die Rollen der Adeligen. Prominenz und aristokratische Herrschaft
in der römischen Republik, in: Ders. u.a. (Hg.), Die Macht der Wenigen. Aristokratische Herrschaftspraxis,
Kommunikation und ,edler' Lebensstil in Antike und Früher Neuzeit (München 2008) 1 0 1-123, der vor allem
die Systemtheorie Niklas Lubnantis (Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie [Darmstadt 2002])
fruchtbar machen möchte, in der „soziales Rollenverhalten“ als „partieller Habitus“ verstanden wird; vgl. Uwe
Walter, Aristokratische Existenz in der Antike und der Frühen Neuzeit - einige unabgeschlossene Überlegungen,
in: Hans Beck u.a. (Hg.), Die Macht der Wenigen. Aristokratische Herrschaftspraxis, Kommunikation und ,ed­
ler1 Lebensstil in Antike und Früher Neuzeit (München 2008) 3 6 7 -3 9 4 , 375; siehe zur Kaiserzeit Ronning,
Herrscherpanegyrik (wie Anm. 71) 106-129.
116 Krais, Gebauer, Habitus (wie Anm. 114) 6.
ir Pierre Bourdieu, Sozialer Sinn (Frankhirt am Main 1987) 98.
118 Ebd. 105.
!1'’ Zur Bedeutung von Ritualen und Zeremonien siehe Barbara Stollberg-Rilinger, Zeremoniell, Ritual, Symbol.
Neue Forschungen zur symbolischen Kommunikation in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, in: Zeitschrift für
historische Forschung27 (2000) 3 8 9 -4 0 5 ; G erritJ Schenk, Zeremoniell und Politik. Herrschcrcinzügc im spätmittelalterlichen Reich (Köln 2003); Jürgen Martschukat, Steffen Patzold (Hg.), Geschichtswissenschaft und
„performative turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit (Köln 2003) und für
das antike Rom siehe Richard C. Beacharn, Spectacle Entertainments of Early Imperial Rome (New Haven u.a.
1999); Stephane Benoist, Rome, 1c prince et la Cite. Pouvoir imperiale et ceremonies publiques ( L siecle av.-debut du IVCsiecle apr.J.-C.) (Paris 2005); Hölkeska?np, Hierarchie (wie Anm. 6).
120 Otto Treitinger, Die oströmische Kaiser- und Reichsidee nach der Gestaltung im höfischen Zeremoniell
(Darmstadt 21956) 52 f.; Alföldi, Repräsentation (wie Anm. 1) 38; Kolb, Herrscherideologie (wie Anm. 38)
117-12 5 , bes. 121.
D i e R e p r ä s e n t a t i o n de s k a i s e r l i c h e n R a n g e s
201
seriiehe R angstellu ng in der frühen und hohen K aiserzeit vornehm lich durch seine H andlungen in
der Ö ffen tlich k eit. Perform anz und H errschaftsausübung fielen dem nach in der Person des Kaisers
zusam m en. Um in der A ktion, im R itual und in den H andlungsabläufen Botschaften überm itteln
zu können, m it denen die vom Publikum erw arteten und individuell von den H errschern bevor­
zugten Q u alitäten des Kaisers angezeigt wurden, waren die H andlungen zu einem gewissen Teil
in standardisierte M uster festzuschreiben. Ihr repetitiver C h arakter erleich terte die W ahrnehm ung
der Q u alitäten , die prop agiert w urden. D ie M uster legten den dah in ter stehenden Sin n fest, blieb
aber in gewissem U m fang variabel und anpassungsfähig. A uch in A bw eichungen, Erw eiterungen
und Im provisationen verloren diese fest gefügten H andlungsm uster n ich t an W irk u n g : D ie
W ah rn eh m barkeit der A bw andlung, W eiterentw icklung und A kzentuierung einzelner Elem ente ist
vielm ehr Z eich en der ihnen inne w ohnenden D yn am ik.
Es ging bei diesen im 1. und 2 .Jah rh u n d ert im m er w eiter entw ickelten und zunehm end diffe­
renzierten perform ativen A kten w ohlgem erkt n ich t in erster L in ie darum , die M achtfülle zu ver­
bergen, sondern kon kret um H errschaftsausübung in einem affirm ativen, bisweilen aber auch kons­
titutiven Sinne. A rm in Eich etwa n en nt dies „form gebende V ergegenw ärtigung von H errsch aft“12'.
D ie Stellung des Kaisers selbst war dabei, wie lo n io H ö lsch er b eto n t hat, durch die „Polarität von
faktischer M a ch t und ideeller H errsch aft“122 gekennzeichnet. D er H errsch er musste dem nach sei­
ne M ach t und Ü b erlegen h eit tatsächlich durchsetzen, ausüben und erhalten. Z ugleich war der
Princeps aber auch verpflichtet, dieses H andeln als gerecht, fürsorglich usw. darzustellen.
D iese ideelle Seite der M achtausübung musste m edial in Z eit und Raum verm ittelt w erden123.
D ies ist in einem um fassenden Sin ne zu verstehen: D ie R äum e, in denen sich der Kaiser bew egte,
waren in ihrer W ahrnehm ung und G estaltu ng vielfältig kulturell k o d iert12*. Sie waren der durch
A rchitektur, Bilder, M usik, G erü ch e und anderes m ehr g estaltete R ah m en, in dem sieh die Personen
zu u n tersch iedlich en , oft zerem oniell festgelegten Z eitp u n k ten bew egten. D ie T opographie der
Stadt R o m war in ihrer sym bolischen O rdn un g b ekan n t, so dass die darin vollzogenen H andlungen
des H errschers für Beteiligte wie Zuschauer verständlich w aren12’ . D ie Stadt war dem nach die
B ü hne dieses Schauspiels, bei dem die H errschaft des Kaisers ihren un m ittelbaren Ausdruck fand.
121 Eich, Literatur (wie Anm. 94) 355.
122 7bnio Hölscher, Macht, Raum und visuelle Wirkung. Auftritte römischer Kaiser in der Staatsarchitektur
von Rom, in -.Joseph Maran u.a. (Hg.), Konstruktion der Macht. Architektur, Ideologie und soziales Handeln
(Hamburg u.a. 2006) 1 8 5 -2 0 1 , hier 1S6. Siehe in diesem Zusammenhang die Überlegungen Paul 'Zänkers,
Prinzipat und Herrscherbild, in: Gymnasium 86 (1979) 3 5 3 -3 6 8 .
12* Hölscher, Macht (wie Anm. 122) 1 8 5 -2 0 1 : vgl. für das Mittelalter und die Frühe Neuzeit z.B. den
Sammelband Werner Paravicini (Hg.), Zeremoniell und Raum. 4. Symposium der Rcsidenzen-Kommission der
Akademie der Wissenschaften Göttingen (Sigmaringen 1997) sowie Stephane Benoist, L’cspace urbain de Rome,
comme lieu deneadrement de la t o n i c au premier siede de l’Etnpire, in: Alain Lemenorel (Hg-). La rue, lieu de
sociabilite? Rencontres de la rue (Rouen 1997) 2 1 5 -2 2 3 .
121 Zur sozial-politischen Valenz des Raumes siehe Martin ZJ'tnmermann, Stadtraum, Architektur und öf­
fentliches Leben in der hellenistischen Stadt, in: Ders., Albrecht Matthaei (Hg.), Stadtbilder im Hellenismus
(München 2009) 2 3 -4 0 , hier 2 3 -2 6 .
121 Die unterschiedlichen städtischen Räume konnten daher auch O rt besonderer, auf den spezifischen
Raum hin orientierten Ehrungen sein. Siehe hierzu etwa die Studie zu verschiedenen Ehrungskonzepten von
Alexander Fleinemann, eine Archäologie des Störfails. Die toten Söhne des Kaisers in der Öffentlichkeit des
iruhen Prinzipats, in: Fernande und Foniu Flölscher (Hg.), Römische Bildenveften. Von der Wirklichkeit zum
Bild und zurück (Heidelberg 2007) 4 1 -1 0 9 . Siche in diesem Zusammenhang auch die Überlegungen von Badei,
Laudience (wie Anm. 5) zur „Iogique spatiale“ bei den salutationes.
202
M artin Z im m erm arm
Von den tatsächlichen H andlungen und standardisierten A bläufen im p o litischen A lltagsgeschäft
haben wir m eist keine k on kreten V orstellungen, aber die Topik h istoriograph isch er Beschreibungen
und die rcpctitivcn B ildm u ster der Staatsreliefs signalisieren, wie man sich einen bestim m ten Teil
dieser öffentlich en A kte vorzustellen hat. D ie in den Staatsreliefs etwa der project io, adlocutio
oder adventus-Szenen suggerierte Ü b ersich tlich k eit des R ituals soll die dah in ter ablaufende feingliedrige M aschinerie p o litischer und adm inistrativer Vorgänge verstellen, denn E in sich t in ihren
A b lau f hätte die W ahrnehm ung des R ituals gestört und som it die m it dem Schauspiel beabsichtigte
V erm ittlung kon kreter und oft sch lich ter Inhalte verhind ert und nahezu un m öglich werden lassen.
Inszenierung und C h oreog rap h ie waren jedenfalls durch V erdichtung des H andlungsgerüstes und
Eingrenzung der beteilig ten Personen oder die W ied ergab e von P ersonifikationen d arauf ausge­
rich tet, dass die inten d ierten Inh alte gesehen und im A b la u f erkan nt werden konnten. Vor diesem
H in tergru nd verw undert es n ich t, dass die A bbildung des Kaisers im A lltag der H errschaft den ­
selben Sim plifizierungen, K o n zen tratio n en und them atischen Begrenzungen fo lg te1’6. Z iel auch
dieser Bilder und T exte ist die Suggestion gelungener H crrschaftspraxis, n ich t die authentische
W ied ergabe des Alltagsgeschäfts. Bilddetails, die den A lltag W ied erg ab en , sollten der allegorisierenden Szenerie nur den A n schein von A u th en tizität verleihen.
Ein besonders w ichtiger A spekt in einer K om m u n ikatio n , die a u f A nw esenheit ausgerich­
tet ist, ist die A bbildung und K om m en tieru n g von H errschaftsrepräsentation in Bild und Text
selbst. D ieser A spekt ist daher so bedeutsam , da in der m edialen W ied ergab e die Einbeziehung
der A bw esenden in die kom m unikative K on stellatio n ihren Platz hat. Sie erhalten durch die
B eschreibung der skizzierten V orgänge in Literatur, H istoriograp h ie und R eliefs die M öglich k eit,
selbst m ittels B etrach tu n g und R eflexion präsent zu se in '27. H ier g ib t sich zugleich die C h an ce,
durch R ezep tion, aber auch T extp rodu ktion in die H errschaftsrepräsentation einbezogen zu wer­
den. D ah er können insbesondere T exte auch M ed ien sein, um a u f vielfältige W eise den Verlust
politischer Partizipation einzuklagen oder m ittels der A rtiku lation von E rw artungshorizonten
um zu setzen'28. Von besonderer B edeu tu ng ist die m ediale Präsentation, da sie im realen Vollzug
um gesetzte K om m un ikation sm uster w iedergeben, kom m entieren, negieren, aber ebenso durch al­
ternative M uster ersetzen kann. D ie darin begründete inhärente W id ersp rü ch lich k eit der Q u ellen
ist in dieser H in sich t bei W eitem n ich t h in reich en d erforsch t. W elche diskursiven Verknüpfungen
in der A n tike zwischen öffentlich en A u ftritten, B ildern, Texten und ideologischen K onzeptionen
bestanden, ist bisher allenfalls in Ansätzen nachzuzeichnen. Es ist außerordentlich schw ierig, die
Form en und M ittel der sym bolischen K om m u n ikatio n näher zu beschreiben, die sich zwischen
dem K aiser und einzelnen Personen sowie G ruppen en tw ickelt hatte.
Es ist viel darüber n achgedacht w orden, was letztlich die S ta b ilität des System s bew irkte. D ab ei
wird im Sin ne des Besch riebenen seit geraum er Z e it b eto n t, dass die R angstellung des Kaisers wie
überhaupt sein M achterh alt w eniger a u f L egalität, G ew alt und m ilitärischer D urchsetzungskraft,
i21’ Henner von Hesberg, Der Alltag des Kaisers nach der Biidübcrlieferting auf Denkmälern der trojanischen Zeit
- Ideologie, mediale Bedingungen und Realität, in: Rudolf Haensch, Joachim Heinrichs (Hg.), Herrsehen und
Verwalten. Der Alltag der römischen Administration in der Hohen Kaiserzeit (Köln u.a. 2007) 19-30, hier 29.
!2~HanS'Ulrieh Gumbrecht, Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz (Frankfurt am Main 2004)
9 9 -1 1 0 .
128 Siehe zu diesem Aspekt kaiserzeitlicher Literatur Martin Zimmermann , Enkomion und Historiographie.
Entwicklungslinien der kaiserzeitlichen Geschichtsschreibung vom 1. bis zum frühen 3. lahrhundert n. Chr., in:
Ders. (Hg.), Cicschichtsschreibungund politischer Wandel im 3.Jahrhundert n.Chr. (Stuttgart 1999) 17-56.
D i e R e p r ä s e n t a t i o n de s k a i s e r l i c h e n R a n g e s
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.sondern a u f K om m u n ikatio n m it seinen Z eitgenossen b eru h te129. Insbesondere die von Egon Flaig
vorgetragene These, die H errschaft und M ach t habe w esentlich auf A kzeptanz bei Heer, Sen at und
plebs urbana beruht, findet zur Z e it überraschend viele Anhänger, da sie der K ategorie der charis­
m atischen H errschaft M ax W ebers sehr nahe kom m t und vorzüglich m it dem kom m unikativen
A spekt kaiserlicher R epräsentation k o rresp o n d iert150. Verdienstvoll an diesen Ü berlegungen ist
zweifellos der H inw eis, dass die Stellung des Kaisers der U n terstü tzun g und Zustim m ung bedurfte
und hierfür entsprechende Strategien eingeschlagen werden m ussten. D en n o ch ist die Teilung der
Adressaten in die genannten drei G ruppen viel zu schem atisch, da die Stratigraphie der röm ischen
G esellschaft und auch der stadtröm ischen Bevölkerung weitaus kom plizierter war und die personel­
len Ü berschneidungen zw ischen den G ruppen die po litische K om m u n ikatio n p räg ten 131.
D ie verschiedentlich in antiken Q u ellen u n tersch iedlich er A rt begegnende D reiteilu ng der m aß­
geblichen G ruppen in H eer, Senat und Volk ist ein bereits in der A n tike geschaffenes K o n stru k t132,
das aus durchsichtigen Interessen vorgenom m en wurde. D er antike Schem atism us diente dazu, ei­
ner als eher un übersichtlich und undurchschaubar w ahrgenom m enen p olitischen R ealität Struk tur
zu g eb en 133 und n ich t nachvollziehbare W illensbildungsprozesse zu erklären, indem man sie
K ollektiven und ihnen inhärenten N orm ensystem en zuschrieb, denen m an gem einsam e Interessen,
V orstellungen, W erte und po litische Z iele unterstellte. In der K aiserzeit blieb zudem der in der rö ­
m ischen R epu blik en tw ickelte H abitu s senatorischen Konsenses tro tz der spätrepublikanischen
Verw erfungen w irksam 13*. Es mag sein oder liegt vielleicht sogar nahe, dass die A kteure in be­
stim m ten Situ atio n en diese abstrakten K ollektive generierten, indem sie in ritualisierten A bläufen
G ruppenbildungen m it entsp rechend en m oralisch-eth isch en wie p olitischen Zuschreibungen vor1-9 Siehe etwa Ulrich Götter, Die Nemesis des Allgemein-Gültigen. Max Webers Charisma-Konzept und
die antiken Monarchien, in: Pavlina Rycbterovä u.a. (Hg.), Das Charisma. Funktionen und symbolische
Repräsentationen (Berlin 2008) 17 3 -1 8 6 , hier 180 (römische Monarchie als „kommunikatives Geflecht“).
1'° Egon Elaig, Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im Römischen Reich (Frankfurt am Main, New
York 1992). Siehe zu kollektiven Willensbildungen und Kommunikation zwischen Institutionen sowie zu
Normenkonsens ders., Ritualisierte Politik. Zeichen, Gesten und Herrschaft im Alten Rom (Göttingen 2003)
2 2 2 -2 3 1 . Parallel und unabhängig von Flaig erschien Julia Sünskes Thompson, Demonstrative Legitimation von
Kaiserherrschaft im Epochenvergleich. Zur politischen Macht des stadtrömischen Volkes (Stuttgart 1993). Vgl.
zustimmend zu Flaig exempli gratia Jochen Martin, Der Verlust der Stadt, in: Christian Meier (Hg.), Die okzidcntalc Stadt nach Max Weber (München 1994) 9 5 -1 1 4 , hier 108; Gregor Weber, Kaiser, Träume und Visionen
in Prinzipat und Spätantike (Stuttgart 2000) 17f.; Olivier Eiekster, Commodus. An Emperor at the Crossroads
(Amsterdam 2002) 17; Seelentag, ’laten (wie Anm.4) 1 7 -2 9 ; Elans Schlange-Schöningen, Augustus (Darmstadt
2005) 145; Götter, Nemesis (wie Anm. 129) 179f.
5,1 Siehe hierzu die Kritik bei .Martin Zimmermann, Herodians Konstruktion der Geschichte und sein Blick
auf das stadtrömische Volk, in: Ders. ( Hg.), Geschichtsschreibung und politischer Wandel im 3.Jahrhundert
n. Chr. (Stuttgart 1999) 1 1 9 -1 4 3 , bes. 127 -1 4 3 . Siehe hierzu demnächst auch Katja Kross, Die plebs urbana in
der römischen Kaiserzeit (Diss. München). Vgl. bereits die differenzierte Darstellung bei Zvi Yavetz, Plebs and
Princeps (New Brunswick u.a.21988).
L': Siehe z.B. Werner Eck u.a., Das Consultum de Cn. Pisone patre (München 1996) 2 4 7 -2 5 4 (zu den
Danksagungen des Senats an den ordo equester, die plebs und die Soldaten, wobei freilich in dem Text deutlich
durchscheint, dass die Gruppen nicht als homogene Massen betrachtet wurden und der Danksagung für will­
fährige Zustimmung eine kompliziertere Realität gegenüberstand, die zumindest Tacitus noch erkennen lässt).
Vgl. auch Zim?nermann, Kaiser (wie Anm. 7) 17 1 -2 0 3 zur historiographischen und fiktiven Konstruktion, nach
der Pescennius Niger der Kaiser der plebs, Septimius Severus der Kaiser der Soldaten und Didius Iulianus der
Kaiser des Senats waren.
Siehe zur Einheitlichkeit des Senats als Fassade Eich, Aristokratie (wie Anm. 101) 1 2 9-132, der eine Studie
zu den möglichen Kollektivinteressen der Senatoren zu Recht als Desiderat bezeichnet (131).
1vi Karl-Joachim Hölkeskamp, Rekonstruktionen einer Republik (München 2004) 8 5 -9 2 .
204
M artin Z im m em vann
nahm en. D en n o ch verlief der A lltag p o litischer W illensbild u n g und die K om m u n ikation darüber,
was einen güten Kaiser ausm achte und ob ein bestim m ter K aiser zu diesen zu zählen sei, n ich t linear
zwischen H errscher und A kteuren, die sich als R epräsentanten einer der drei G ruppen verstan­
den. D iese V orstellung isr schon deshalb kaum m it den tatsächlichen Verhältnissen in Einklang zu
bringen, da allein d ie plebs urbana eine sozial derart heterogene G ruppe darstellte, deren Interessen
kaum auf einen gem einsam en N en n er zu bringen waren. Ä h nliches gilt für den m it B lick auf Status,
Prestige und Einfluss sehr differenzierten Sen ato ren stan d 1-5'’ oder das H eer, dessen Soldaten zudem
in verschiedenen Teilen des R eiches vielfältig m it der Zivilbevölkerung verwachsen waren, und das
jedenfalls n ich t als abgeschlossene Institu tion zu begreifen ist1-’1’.
T rotz der vielfältigen A nregungen, die von dem E n tw u rf eines A kzeptanzsystem s ausgehen, stel­
len die M echanism en der K om m u n ikation w eiterhin ein echtes Eorschungsdesiderat dar bzw. sie
haben diese Lücke, die bereits A lföldi gesehen hat und in seinen Forschungen n ich t m ehr sch lie­
ßen kon n te, um so d eutlicher zutage treten lassen. Flaig selbst hat verschiedentlich darauf h in ge­
wiesen, dass die Aushandlungsprozesse kom plizierter sind, als von ihm in dem genannten M odell
suggeriert w ird1-*'. In den V erhandlungen zwischen einzelnen H errsch ern und den Adressaten der
R epräsentation spielten zudem V orstellungen eine R olle, die über kollektive Iden titäten , sofern d ie­
se überhaupt greifbar sind, deutlich hinausgehen. D er viel zitierte und oft: von den H errschern b e­
schw orene comensus universorurn war ausdrücklich so unspezihsch angelegt, dass ganz, verschiedene
Teile der Bevölkerung sich in dem Begriff w iederfanden. Sie kon n ten sich dabei sehr u n terschiedli­
chen T eilid en titäten zuordnen: als röm ische Bürger, als Senatoren , als R itter, als Stadtbew ohner, als
Bauern, als V ertreter eines Kollegium s, als M itglied er einer N achbarschaft usw. Sieh t m an sich die
vielfältigen Form en von Ehrungen an, die diese u n tersch iedlich en G ruppen und Personen an ver­
schiedenen O rte n platzierten, dann zeigt sich, wie schw ierig es ist, aus dieser Sum m e ein kohärentes,
in seinen Einzelteilen aufeinander bezogenes Ganzes zu erkennen und dies den von Flaig definierten
Sektoren der G esellschaft eindeutig zuzuweisen.
A lexander H ein em an n etwa hat in seiner detaillierten Studie zur Eh ru ng verstorbener Kaiser­
söhne verdeutlicht, dass „der K om plex von Bauten und Bildern, R äum en und R itualen“ sich als
„sinnvoll aufeinander bezogenes G efüge beschreiben (lässt), in dem einzelne l e ile der G esellschaft
m itein and er in K om m u n ikatio n treten“. D ie Frage aber, ob es sich um „ein geschlossenes System,
das aus bew ussten En tsch eidu n gen der Z eitgenossen resultiert“, handelt oder „um kontingente
Begleiterscheinungen einer nur lose strukturierten V ielstim m ig k eit“, sei kaum zu en tsch eid en 1,s.
E r plädiert, wie die bereits m ehrfach zitierte M arian ne Bergm ann, eher für ein unsystem atisches
Vorgehen der ehrenden G ru p p en, das aber durchaus Sin nh aftigkeit produzieren m öch te, auch wenn
diese nur darin b esteht, durch erreichtes W ohlw ollen des H errschers reziprok persönlichen Einfluss
auszubauen. H in te r diesen Ü berlegungen steht dem nach ein A spekt des Prinzipats, der bei der
m ittlerw eile b reiten A d aptation des A kzeptanzgedankens in Teilen der aktuellen Forschung im m er
: Siehe z.B. die prosopographische Arbeit von Andre Cbastagnol, Le Senat romain ä lepoque imperiale (Paris
1992).
1:'6 Hierzu mit weiteren Hinweisen Martin Zimmermann , „... als wären sie selbst dabei gewesen“. Antike
Kriegslandschaften in Bild und Text, in: Georg Schildt, Anton Scbindling (Hg.), Kriegserfahrungen - Krieg und
Gesellschaft in der Neuzeit. Neue Horizonte der Forschung (Paderborn u.a. 2009) 4 1 -8 1 .
ir Z.B. Egon Flaig, Keine Performanz ohne Norm - keine Norm ohne Wert. Das Problem der zwingenden
Gesten in der römischen Republik, in: Andreas Haltenboß u.a. (Hg.), Römische Werte als Gegenstand der
Altertumswissenschaft (Leipzig 2005) 2 0 9 -2 2 1 , hier 219.
; ' Fleinemann, Archäologie (wie Anm. 125) 106.
D i e R e p r ä s e n t a t i o n de s k a i s e r l i c h e n R a n g e s
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m ehr in den H in tergru nd tritt, näm lich die ungeheure M ach ttü lle, die der Kaiser trotz aller kom ­
m unikativen E lem ente h errsch erlich er R epräsentation inne hatte. Bereits A ndreas A lföldi hat in
seinen A rbeiten zur m onarchischen R epräsentation davor gew arnt, den autokratischen C h arakter
des System s zu unterschätzcn, zumal gerade die „m oderne W ertung der augusteischen M onarchie
den wahren Sachverhalt o ft verdunkelt“1’9. D er Kaiser h atte die m ilitärischen G ew altm ittel in seiner
H and und stand un b estritten an der Spitze einer differenzierten H ierarchie. N eben ihm gab es eie
facto keine G leich en.
A u f der p o litischen E b ene spielte dennoch die Ein bind un g gerade der führenden G ruppen
eine besonders gew ichtige R olle.
D er K aiser musste, wie wir gesehen
haben, zum einen
R epräsentationsform en entw ickeln, die seine h e ra u sra g e n d e Stellung adäquat W ied ergab en . Zum
anderen musste er d arauf bed acht sein, diese Form en so geschickt einzusetzen, dass suggeriert wer­
den kon n te, er besitze gar keine herausragende Stellung, sondern diese sei nur als W eiterentw icklung
bereits bestehender Institu tio nen zu verstehen. D ieses Paradoxon fü hrte zwangsläufig dazu, dass
der Prinzipat einen relativ geringen G rad an spezifischer In stitu tionalisierun g erreichte und in gro­
ßem U m fan g an traditionellen M ustern o rien tiert blieb oder zum indest so tat, als sei er Bew ährtem
verpflichtet. D iese m angelnden Festlegungen erzeugten einen ungeheuren Spielraum bei der
A usfüllung der kaiserlichen R olle. D ies kon n te ins Positive ausschlagen (wie für Trajan behauptet)
oder sich ko m p lett zum N egativen w enden (wie bei C aligu la zu studieren), w enn die M achtfü lle tat­
sächlich ausgespielt wurde. E n tsch eidend war, dass die einzelnen H errsch er sich wie Schauspieler in
sehr u n tersch iedlich en R ollenm u stern zu bew egen hatten. D ie beispielsweise für Trajan konstatier­
ten R ollenw echsel1'10 lassen erkennen, dass diese einzelnen R ollen signalisierten, dass der H errscher
die alten Form en sym bolischer K om m u n ikation fo rtfü h rte. D ie einzelnen R ollenm u ster hatten
freilich exem plarischen C h arakter: D er K aiser musste anzeigen, dass er stellvertretend für alle han­
delte und im m er im Sin n e aller agierte. Entscheidend war der K om m unikationszusam m enhang, in
dem die B eteiligten durch Partizipation und aktive T eilhabe ihre spezifischen V orteile und ihren
p ersönlich en p o litischen wie sozialen N utzen ziehen ko n n ten . In dieser um fassenden Suggestion
von T eilhabe lag ein G eh eim n is der in n en politisch en Stab ilität, die erst in Folge neuartiger
Bedrohungen am En de des 2. und vor allem im 3. Jah rh u n d ert brü ch ig wurde.
'■’y Alföldi, Repräsentation (wie Anm. 1) 25.
l ii’ Running, Herrscherpanegyrik (wie Anm. 7 1 )1 0 6 -1 1 5 .
Aloys Winterling
D ie Freundschaft der römischen Kaiser
I. D as Problem '
U n ter Augustus, so b erich tet Su eton , wurde der Sen ato r L. N onius Asprenas in einer G iftm ordafKire
angeklagt. E r stand in einer engeren Beziehu ng zum K aiser (artius ei iunctus), und dies m achte die
Sache schw ierig2. Augustus erläuterte vor dem Senat sein D ilem m a: W enn er Asprenas, wie dies
seine P flich t gegenüber einem am icus war, vor G erich t verteidigte, würde man m einen, er wolle
ihn den G esetzen entziehen (denn dies h ätte seinen autom atischen Freispruch zur Folge gehab t);
verteidigte er ihn n ich t, würde dies für eine V orverurteilung seitens des Kaisers gehalten werden
(was w ohl das persönlich e E n de Kir den A ngeklagten nach sich gezogen hätte). D er Kaiser, der
an einer A ufklärung des Sachverhaltes interessiert war, blo ck ierte also durch seine amicitia m it
dem A ngeklagten eben diese Aufklärung. M it einem kom m unikativen T rick löste Augustus das
P roblem : E r nahm einige Stunden wie ein V erteidiger an der G erichtsverhandlung teil, sagte aber
kein einziges W ort.
T ib eriu s ging m it äh nlichen Problem en anders um : E r versuchte, so zitiert ihn T acitus, generell
seine kaiserliche M achtstellu ng ( visprincipis) von seinen „privaten“ Freund- und Feindschaften ge­
tren n t zu h alten 3. Im Jah re 3 4 z.B. kündigte er dem P om ponius Labeo, Statth alter in M ösien , wegen
eines Fehlverhaltens lediglich entsprechend der S itte der V orfahren die Freundschaft auf, verbot
ihm sein Haus (interdicere dom o) und setzte dem W oh lw ollen (gratia) ihm gegenüber ein Ende. D ie
1Die folgenden Ausführungen setzen frühere Überlegungen zu den kaiserlichen „Freunden“ und zur Paradoxie
freundschaftlicher und patronaler Nahbeziehungen im kaiserzeitlichen Rom fort. Vgl. Aloys Winterling, Aula
Caesaris. Studien zur Institutionalisierung des römischen Kaiserhofes in der Zeit von Augustus bis Commodus
(31 v.Chr. - 192 n. Chr.) (München 1999) 1 6 1 -1 9 4 ; ders., Freundschaft und Klientel im kaiserzeitlichen Rom,
in: Historia 57 (2008) 2 9 8 -3 1 6 (engl. Übers, in: Ders., Politics and Society in Imperial Rome [Maiden u.a.
2009] 3 4 -5 7 ).
2 Suet. Aug. 56, 3; P IR 2 N 117; Edmund Groag, Nonius 15, RE 17, 1 (1936) 8 6 6 -8 6 7 ; Nonius 15, RE Suppl. 7
(1940) 582. Vgl. Cass. Dio 55, 4, 3, wo wohl von derselben Begebenheit mit anderer Deutung berichtet wird:
Demnach ging es Augustus darum, seine kaiserliche Sonderstellung nicht in Erscheinung treten zu lassen, son­
dern möglichst 8y]p.OKpaTiKO<; (auf Lateinisch würde es wohl heißen: civilis) zu erscheinen. Er habe einem Freund
vor Gericht beigestanden, nachdem er dies mit dem Senat vorbesprochen hatte. Er habe einen Freispruch er­
reicht, dem Ankläger aber nicht gezürnt. Demnach hätte das Problem darin bestanden, dass man den Asprenas
angeklagt hatte, obwohl bekannt war, dass er philos des Kaisers war und dessen Unterstützung hatte. VgL zu den
Stellen auch CarlDeroux, Auguste, Cassius Severus et le proces de Nonius Asprenas (Suetonc, „Aug)‘ EVI, 6 et
Dion Cassius LV, 4, 3), in: Latomus 64 (2003) 178 -1 8 1 .
5Tac. ann. 3, 12, 2 (im Zusammenhang des Prozesses gegen Cn. Piso im Jahre 20).
208
A lo y s W i n t e r l i n g
Folge war allerdings, dass Labeo sich daraufhin aus Angst vor den Folgen des Verlustes der kaiserli­
chen am ititia die Adern ö ffn ete und verblutete, was keineswegs dem mos maiorum entsprach. Seine
G attin w ählte dieselbe T odesart'1.
W äh ren d Augustus die Interferenzen zwischen Freundschaftsbeziehungen zum Kaiser und
traditionellen inneraristokratischen Freundschaftsbeziehungen erfolgreich zu m indern suchte,
T ib eriu s dies ebenfalls versuchte, aber das G eg en teil erreichte, verhielt sich C aligula wiederum
anders: Er nutzte tradition elle R egeln der amititia, um aristokratische Personen zu schädigen. In
einer Z e it heftiger K o n flik te m it dem Senatorenstand ließ er, so b erich tet der Z eitgenosse Philo von
A lexandrien, vornehm en Senatoren „unter V orspielung seiner Freundschaft“ die Ehre eines kaiser­
lichen Besuches zuteil werden - üblicherw eise ein Z eich en besonderer N ähe - , zwang sie dadurch
allerdings, Ban kette riesigen Ausm aßes zu veranstalten, die sie ö kon om isch ru inierten . Vor allem
aber ließ er offensich tlich keinerlei entsprechende kaiserliche G egengaben folgen. D aher, so Philo,
verw ünschten es einige, wenn sie Z eich en der kaiserlichen „G u nst“ erhielten, weil sie die m ateriellen
Folgekosten fü rch teten 1.
D ie drei Episoden weisen bei aller V erschiedenheit eine gem einsam e doppelte G run dstruktur auf:
Einerseits dokum entieren sie, dass die N ahbeziehungen des Kaisers zu M itglied ern der A ristokratie
entsprechend den tradition ellen M ustern inneraristokratischer Beziehungen abliefen, als amititia
bezeich net w urden und m it den dabei üblichen V erhaltenserw artungen verbunden waren: Es waren
dies gegenseitige H ausbesuche (sich tb ar an T ib e riu s’ A ussprechen des H ausverbotes), insbesonde­
re Einladungen zu G astm äh lcrn (die C aligula indirekt erzw ang), gegenseitige U nterstützung z.B.
vor G erich t (der Augustus n ich t nachkom m en k o n n te), un tersch iedlich e Stufen von persönlicher
N ähe (die bei Augustus gegenüber N onius Asprenas bestand, die C aligu la gegenüber den nobiles
nur vorspielte) und schließ lich die M öglichk eit, die Beziehung durch A ufkündigung der amititia
und ein V erbot des Hauses zu beenden (T ib eriu s). Andererseits zeigen die drei G esch ich ten zu­
gleich, dass diese N ahbeziehungen bezogen auf den K aiser zusätzlich m it ganz anderen Folgen ver­
bunden w aren: V erbot der K aiser einem Senato r oder R itte r den häuslichen K o n tak t und entzog
ihm dam it die Freundschaft, so nahm sich der b etroffene m eist um gehend das Leben (P om poniu s
L abeo), da er als Feind des Kaisers eine V erfolgung und V erurteilung seitens seiner Standesgenossen
u n m ittelbar zu erw arten h atte6. Fane ^»««Y/Vi-Beziehung zum K aiser wurde dadurch zu einer
G run dbed in gu ng aristokratischer H andlungsfähigkeit überhaupt, und dem entspricht, dass - wie
wir aus anderen B erich ten wissen - bei bestim m ten Anlässen praktisch die gesamte in R om anwe­
sende senatorische und Teile der ritterlich en A ristokratie zur m o rgend lichen salutatio am kaiserli­
chen H o f ersch ien en 7. Eine größere N ähe in der B eziehu n g zum Kaiser, wie sie etwa dessen Besuch
dokum entierte, war äußerst begehrt, und das A usnutzen dieses Sachverhaltes durch C aligu la zeigt,
dass der Kaiser aufgrund seiner M ach tp o sitio n tradition elle Verhaltensregeln (die N otw endigkeit
von G egengeschenken) m issachten konnte, oh ne dass den beteilig ten A ristokraten alternative
Verhaltensw eisen zur Verfügung standen. E in e enge p ersönliche N ahbeziehung zum Kaiser sch ließ ­
lich fü hrte für den Betreffend en zu enorm en M achtch an cen innerhalb der A ristokratie, z.B. zum
->Tac. ann. 6, 29, If.; PIR 2 P 726; Rudolf Hanslik, Pomponius 51, RE 21, 2 (1952) 2340.
1 Phil. leg. 3441.
6 Der Selbstmord sicherte das Familienvermögen, das im Falle einer Verurteilung (teilweise) eingezogen und
dem Ankläger zugesprochen wurde. Vgl. Tac. ann. 6, 29, 1; unten Anm. 34.
" Winterling, Aula Caesaris (wie Anm. 1) 1 1 7 -1 4 4 (vgl. v.a. unten Abschnitt IV ); siehe jetzt allgemein Fabian
Goldbeck, Salutationes. Die Morgenbegrüßungen in Rom in der Republik und der frühen Kaiserzeit (Berlin
2010) bes. 2 6 3 -2 8 1 .
D ie Freun dsch aft der r ö m is c h e n K aiser
209
Freispruch vor G c ric h t unabhängig von der Sachlage (was Augustus bei N onius Asprenas zu ver­
hindern suchte). D .h . die absolute M achtüberlegen h eit des Kaisers steuerte das Verhalten aller
Beteiligten und die N ahbeziehung zu ihm war sowohl alternativlos als auch hochattraktiv.
D ie G leich zeitigkeit der beiden u n terschiedlichen V erhaltensm uster in den Beziehungen zwi­
schen K aiser und A ristokraten - alte aristokratische und neue kaiserliche iirnkitia - führte nun,
auch dies zeigen die E pisoden, für die b eteiligten A kteure zu H andlungsfolgen, die ihren Inten tion en
w idersprachen, d.h. zu paradoxen Situ ation en . D ies tritt am klarsten bei T ib eriu s zu Tage. Sein ex­
pliziter Versuch, seine kaiserliche M ach t n ich t einzusetzen und stattdessen nur im traditionellen
K o n text die Freundschaft aufzukündigen, fü hrte aufgrund seiner Stellung als Kaiser dazu, dass die
Folgen n ich t - wie bei inneraristokratischen Beziehungen - auf die Freundschaftsbeziehung als sol­
che besch rän kt b lieben , sondern dass die B etroffen en sich zum Selbstm ord gezwungen sahen. D ie
Folgen seines H andelns w idersprachen also vollständig den In ten tion en , die T iberiu s dabei (nach
Tacitu s’ A ngaben) hatte.
Auch bei Augustus wurde durch seine Stellung als K aiser verhindert, dass das Z iel seines H andelns
- eine gerich tlich e Klärung der Verwicklungen seines Freundes - erreicht werden kon n te. D er
U nterschied bestand nur darin, dass er dies voraussah. D as im tradition ellen V erhaltenskodex erw ar­
tete V erhalten, die U n terstü tzun g des Freundes vor G erich t, h ätte aufgrund seiner Kaiserrolle au to­
m atisch zum Freispruch geführt. A b er auch die D u rch b rech u n g der traditionellen Verhaltensw eise,
die N ich t-U n terstü tzu n g, d.h. einfaches N ichtstu n, hätte eine K lärung des Sachverhaltes verhindert
und sogar zur V erurteilung des Freundes geführt. D ie A rt, wie Augustus die voraussehbaren, seinen
H andlungszielen jew eils zuw iderlaufenden Folgen seines H andelns oder N ich t-H an d eln s unter­
band, ist aufschlussreich: U m eine Klärung des Sachverhaltes zu erreichen, verhielt er sich unklar
und er klärte die Senatoren und dam it die aristokratische Ö ffen tlich k e it vorher über den Zw eck
seiner U n klarh eit auf5.
W äh ren d Augustus so m it die paradoxen Folgen seines H andelns durch ein seinerseits paradoxes
Verhalten neutralisierte und T ib eriu s ihnen hilflos ausgeliefert schien, reagierte C aligula wiederum
anders a u f die durch das Zusam m entreffen von trad ition eller und kaiserlicher amicitia entstandene
Situ ation . W äh ren d die ersten beiden K aiser jew eils die durch die neue kaiserliche R olle en tstan ­
denen Störungen in den alten tf?««7*V?-Beziehungen m it der A ristokratie zu verhindern suchten,
provozierte er solche Störungen und nutzte sie, indem er die betroffenen A ristokraten zwang, durch
die B each tu n g trad ition eller Verhaltensm uster sich selbst zu schaden. Aus den paradoxen Folgen der
kaiserlichen Freundschaft für den K aiser wurden solche für die A ristokratie.
II. D ie Forschungslage
A ngesichts der schon an den wenigen Beispielen sichtbaren K o m p lexität der Freundschaftsbeziehungen zwischen den K aisern und den M itglied ern der sen atorisch -ritterlich en A ristokratie vor-
s In einem anders gelagerten Fall war die Folge des kaiserlichen Verhaltens ähnlich wie die bei Tiberius. Als
Augustus dem Präfekten von Ägypten Cornelius Gallus die Freundschaft aufkündigte und sein Haus verbot und
dieser sich daraufhin das Leben nahm, soll sich der Kaiser beklagt haben, dass es nur ihm nicht erlaubt sei, soweit
zu zürnen, wie er wolle (Suet. Aug. 66 ,1 ). Wenn dies ehrlich gemeint war, handelte es sich ebenfalls um paradoxe
Handlungsfolgen durch das Zusammentreffen zweier amicitin-Arten, wenn Augustus den Selbstmord bewusst
einkalkuliert hatte, um ein Ausnutzen dieser Handlungsbedingungen.
210
Alovs W in t e rli n g
w undert es n ich t, dass die Forschungslage diffus ist. D ie Ansätze gehen divergierenden Fragen nach,
nehm en sich gegenseitig n ich t zur K enn tn is und sind teilw eise in sich unklar. Ansatzpunkte finden
sich in M om m sens „R öm isch en Staatsrech t“, in prosopographischen U ntersuchungen und in einer
sozialgeschichtlich m otivierten Patronageforschung, w obei das „Staatsrech t“ die bislang klarsten
Bestim m ungen vorgelcgt hat.
a) Staatsrecht
„Freund des Hausherrn ist ein jeder, weicher von demselben als ein gesellschaftlich im Allgemeinen
Gleichstehender empfangen wird; die also von dem Kaiser Zugelassenen waren dessen ,Freunde1. Aber es ist
schon bemerkt worden
dass, während bei den privaten Morgenaudienzen immer persönliche Beziehungen
und Nahverhältnisse zugrunde liegen, für die Zulassung zu den kaiserlichen die Rang- und Lebensstellung
überhaupt massgebend ist, und durch diese Ausdehnung werden dieselben gewissermassen zu einer politischen
Institution. Zugelassen werden von je her die Personen senatorischen Standes; von dem Ritterstand in früherer
Zeit, w'ie es scheint, nur wem dies besonders gestattet war, späterhin vermutlich jeder, der mit dem goldenen
Ring sich vorstellte. [...] Die Hausfreundschaft: bezogen auf den Kaiser haftet weniger an der Person des Princeps
als am Principat, während dies bei der gewöhnlichen sich anders verhält. [...] es knüpfen sich [sc. keine] be­
stimmt formulierte Rechte an die Freundesstellung, wenn man nicht das blosse Aufwarten bei Hofe und etwa
auch die Zulassung zur kaiserlichen Tafel als solche betrachten will. Wohl aber werden aus diesem Kreise durch­
aus [...] diejenigen Personen ausgewählt, deren Rath der Kaiser vorkommenden Falls einholt...“9
M it diesen Sätzen besch reibt M om m sen im A b sch n itt über „ H o f und H aushalt (sc. des K aisers]“ in
seinem „Staatsrech t“ kurz und knapp den Sachverhalt: D u rch die Spezifizierung,,H ausfreundschaft“
verweist er darauf, dass Freundschaft im antiken R o m - anders als m oderne V orstellungen von
Freundschaft als zweckfreier, rein interpersonaler Beziehung erw arten lassen - an form alisierte
häusliche Interaktion inn erhalb der aristokratischen G esellsch aft gebunden war und sich vor al­
lem bei M orgenem pfangen (.salutationes) und bei aben dlichen G astm ählern (convivia) m an i­
festierte. A ufgrund der Ausdehnung der Zulassung zur kaiserlichen salutatio auf den gesamten
Senatorenstand und größere K reise des R itterstand es stellt er eine A usw eitung der kaiserlichen
Freundschaft a u f praktisch die gesamte A ristokratie fest. Er b e to n t den daraus resultierenden insti­
tu tion ellen , am K aisertu m statt an der Person des einzelnen Kaisers hängenden und som it unper­
sönlichen C h arakter so lcher Beziehungen, die er dann deutlich von den Fällen absetzt, wo „amicus
den w irklichen V ertrauten“ b ez eich n e t10. M om m sen unterscheidet so m it eine institu tionelle, un­
persönliche Freundschaft des K aiser zur gesam ten A ristokratie von einer, die au f der persönlichen
N ähe einzelner Senatoren oder R itte r zu ihm beruht.
Aufschlussreich ist zudem , dass er die H eranziehung zu kaiserlichen consilia an die in stitu tionelle
Freundschaft knüpft und dass er an anderer Stelle a u f die grundlegende D ifferenz von persönlicher
M achtstellu ng (die m it w irklicher N ähe zum Kaiser im m er ein h ergin g) und der Bekleidung „staat­
lich er“ Ä m ter verw eist: „Es g ehört geradezu zum C h arakter des röm ischen Principats p olitische
M achtstellu ng und Staatsam t nach M ö g lich k eit getrenn t zu h a lten “11 D em n ach waren die „wirklich
vertrauten“ Freunde der K aiser eher solche A ristokraten , die w eder eine p rom in en te Stellung in der
9 'TheodorMommsen, Römisches Staatsrecht (StR), 3 Bde. (Leipzig, 1 ’1887; II 1 und 2 ‘1887; 111 1 1887; III 2
1888). Hier: 11 2, 834f.
10 StR I I 2, 835 Anm. 3.
n StR 112, 1114.
D i e F r e un ds ch af t: d e r r ö m i s c h e n K a i s e r
211
Ä m terhierarchie h atten, n o ch im Kreis derer eine R olle spielten, die der K aiser zu institu tionalisier­
ten Beratungen heranzog.
b) Prosopographie
In einem längeren A b sch n itt über „die Freunde und Begleiter des K aisers“ hatte Ludw ig Fricdländcr
in seiner „ S itten g esch ich te“ eine größere Z ahl aufschlussreicher Q u ellenstellen zusam m en­
getrag en 12, allerdings oh ne die bei M om m sen getroffene U nterscheid ung von institu tio neller
H ausfreundschaft und p ersönlich er N ahbeziehung zu berücksichtigen und oh ne die Z w e ie in ­
h a lb ja h rh u n d e rte von Augustus bis zu den Severern zeitlich zu differenzieren. D ie unspezifische
B estim m ung der kaiserlichen Freunde als deren „nähere U m gebu ng“13 ließ die unterschiedlichen
A rten der freundschaftlichen Beziehungen zum Kaiser gegenüber dem Interesse an den beteiligten
Personen in den H in tergru nd treten.
E in ganzer Zw eig der folgenden Forschung konzentrierte sich davon ausgehend auf eine prosopographische R eko n stru k tio n en der kaiserlichen Freun de14. M om m sens Feststellungen zur Struktur
der aristokratischen Freundschaftsbeziehungen m it dem Kaiser, die natürlich auch für prosopographische Fragen von zentraler Bed eu tu ng gewesen wären, wurden dabei n ich t m ehr b erücksichtigt.
V ielm eh r legte M artin Bang in einem A nhang zum 4. Band von Friedländers „Sitten gesch ich te“
eine Liste der Freunde der Kaiser vor. E r nahm darin einerseits aristokratische Personen auf, de­
ren persönliche N ähe zu einem K aiser er für belegt h ielt (d.h. die Personen, die M om m sen als
die „wirklich V ertrauten“ b ezeich net h atte), andererseits aber auch alle, die in den Q u ellen expli­
zit als „Freund“ bzw. „R eisebegleiter“ (comes) eines Kaisers ben an nt wurden. Letzteres bedeutete,
dass er n ich t ausschloss, auch Personen zu verzeichnen, die über keine p ersönliche N ähe zu einem
Kaiser verfügten, sondern die (im Sin n e der unpersönlichen, am K aisertum als solchem haftenden
Freundschaft, auf die M om m sen verwiesen h atte) lediglich als M itglied er der beiden onlines Zugang
zum H o f hatten und zufällig als amici erw ähnt worden w aren1’ .
Jo h n C ro o k interessierte sich für die kaiserlichen Freunde im R ah m en seiner U ntersuchung der
p olitischen Beratungen der Kaiser. E r ergänzte die Liste Bangs um Personen, die er für politisch
einflussreich h ielt, außerdem um solche, die T eilnehm er an kaiserlichen consilia gewesen waren bzw.
seiner M einung nach gewesen sein m ussten und die er als ,„m ust-have-been“‘ amici bczeichnete,
z.B. solche, die a ls praefectus urbi oder durch die m ehrfache Bekleidung des K onsulats hervorgetre­
ten w aren16. N eben den B a n g ’schen K riterien „persönliche N äh e“ und „Bezeichnung als arniciis“
führte er also zusätzlich das K riteriu m „politischer Einfluss“ - den er als Ind ikator für Freundschaft
deutete - und „(m eh rfach e) Bekleidung hoher Ä m ter“ - was, so seine A nnahm e, In d ikator für p o ­
litischen Einfluss war - zur R ekon stru k tion der G ruppe der kaiserlichen Freunde ein - und dies
12 Ludwig Fricdländcr, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms in der Zeit von Augustus bis zum Ausgang
der Antonine, 4 Bde., hg. von Georg Wissowa, 10. Aufl. (Leipzig 1 und II 1922; 111 1923; IV 1921 [ND 1979]).
Hier; 1 7 4 -8 6 .
13 Ebd. 74.
: ' Siehe zum Folgenden ausführlicher Winterling, Aula Caesaris (wie Anm. 1) 162-165.
Martin Bang, Die Freunde und Begleiter der Kaiser, in: Friedländer, Sittengeschichte (wie Anm. 12) IV 5 6 76, bes. 6 0 -7 6 .
u' John .7. Crook, Consilium principis. Imperial Councils and Cotmscllors from Augustus to Diocletian
(Cambridge 1955) 25 A. 10 (vgl. 148fF.).
212
Aloys W in te rli n g
nur für seine Ergänzungen der Liste, denn bei ausschließlicher Anw endung dieser K riterien hätte
eine große Z ahl der B a n g ’schen „Freunde“ aus der Liste wieder herausgenom m en werden müssen.
In R eaktion au f C ro o k m eldete sich R onald Syme zu W o rt und ergänzte dessen Liste nach des­
sen eigenen K riterien um einige von ihm übersehene consules iterurn und Stadtp räfekten, sodann
b eton te er m it überzeugenden Beispielen, dass es auch eine R eih e von engen V ertrauten der Kaiser
und m achtvollen P ersonen gab, die n ich t durch ein kariertes K on su lat ausgezeichnet worden wa­
ren 17. A n gefüh rt wird nun auch der Freigelassene Epiktet, von dem es in der H istoria Augusta heißt,
er habe in s u m tm fam iliaritate bei H adrian gestanden18. D a m it ließ Sym e nun aber ein K riterium
außer acht, das alle vorherigen Bearbeiter der Liste für konstitutiv gehalten h atten: den aristokra­
tischen Stand derer, die als Freunde der Kaiser gelten sollten. Stattdessen h ielt er nun „Vertrauen“
und „Einfluss“ auch von Freigelassenen für hin reich en d, um ihnen den Status kaiserlicher Freunde
zuzuschreiben.
D ie prosopographische Liste der kaiserlichen Freunde, die so über die Jah rzeh n te entstanden
ist, ist also nach u n tersch iedlich en K riterien, die jew eils nur für einen Teil der G ruppe, darüber
hinaus aber auch für weitere, n ich t b erücksichtigte Personen gelten, zusam m engestellt - und da­
her für weitere Analysen völlig unbrauchbar, ja sie verleitet zu falschen Fragen19. Problem atischer
noch erscheint, dass die spätere Forschung h in ter M om m sens Ergebnisse zurückgefallen ist und
in der K o n zen tration a u f einzelne Personen die Besond erh eiten der aristokratischen Freundschaft
m it dem Kaiser überhaupt aus dem B lick verloren hat: N ic h t m ehr b each tet wird die perform ative
D im en sio n der aristokratischen Freundschaft, ihre M an ifestation durch häusliche Interaktion und
dam it die Ausdehnung der kaiserlichen Freundschaft auf die gesam te A ristokratie, die ja regelm äßig
am H o f erschien. Ü berseh en wird die daraus resultierende U n terscheid un g von in stitu tionalisier­
ten und persönlichen Freundschaftsbeziehungen zum Kaiser. U nterlaufen wird auch M om m sens
D ifferenzierung von „persönlichem Einfluss“ und „Staatsam t“ - und dam it seine Einbeziehung des
R ivalitätsproblem s zwischen K aiser und A ristokratie - , indem vorschnell von der Bekleidung m agis­
tratischer Ä m ter a u f M a ch t und (p ersö n lich e) kaiserliche Freundschaft geschlossen wird. Insgesam t
liegen den prosopographischen U ntersuchungen der kaiserlichen Freunde - so deutlich bei Syme
- offensich tlich v.a. m oderne Vorstellungen von Freundschaft als zw eckfreier Interp erson alität
zugrunde.
Forschungen der letzten Ja h re haben sich von der Liste ferngehalten und scheinen sich - darin
C ro o k und Syme folgend - bei der Frage nach den kaiserlichen Freunden auf das Phänom en der
kaiserlichen Beratu ng zu konzentrieren. D abei werden auch die - bekan n tlich oft sehr einfluss­
reichen - kaiserlichen Freigelassenen als M itglied er von consilia angesehen. N ic h t unterschieden
wird zwischen inform eller, ggf. A bhängige oder p erso nenrechtlich D iskrim in ierte wie Freigelassene
oder Frauen einbezieh en d er (o h n e aristokratisches consilium) und aristokratischer Beratung des
Kaisers im R ah m en eines offiziell einberufenen consilium. D adurch wird zugleich die Ebene der
aristokratischen K o m m u n ikatio n m it dem Kaiser als Referenzrahm en - wie schon bei Sym e - ver-
r Ronald Syme, Roman Papers I (Oxford 1979) 2 9 2 -2 9 9 , 293.
!:' Hist. Aug. Hadr. 16, 10.
19 Dies zeigt anschaulich eine „statistische“ Untersuchung der Liste der kaiserlichen Freunde durch Gaudemet.
Er stellt im Ergebnis genau die Charakteristika als Merkmale kaiserlicher Freunde heraus, die die vorheri­
gen Autoren als Kriterien bei ihrer Zusammenstellung der Liste der Freunde zugrunde gelegt hatten: ein
klassischer Zirkelschluss. (Note sur les amici principis, in: Gerhard IVirth [Hg.], Romanitas - Christianitas.
Untersuchungen zur Geschichte und Literatur der römischen Kaiserzeit. Johannes Straub zum 70. Geburtstag
[Berlin, New York 1982] 4 2 -6 0 ).
D i e Freun dsch aft der r ö m is ch e n Kaiser
213
nachlässige. H in sich tlich der kaiserlichen am ici werden keine klaren Bestim m ungen m ehr form u­
liert21’. Lediglich M ario Pani hat zuletzt erneut auf die D ifferenzierung von institu tioneller und
form alisierter N ähe zum Kaiser (b ei Freigelassenen wie bei A ristokraten ) hingew iesen21, und dam it,
oh ne auf ihn direkt Bezug zu nehm en, M om m sens Frage nach der u n tersch iedlich en Q u alität von
Freundschaftsbeziehungen zum K aiser erneut aufgegriflen.
c) Patrona^eforschun%
Im R ahm en der Tendenz der Forschung, sich von M om m sens „Staatsrech t“ zu em anzipieren,
versuchte A n to n von Prem erstein in seinem 1 9 3 7 postum erschienenen Bu ch „Vom W erden und
W esen des Prinzipats“ die „soziologische G ru n d lage“ der Stellung der röm ischen K aiser zu er­
m itteln. D abei wies er den freundschaftlicheil und patronalen Beziehungen der K aiser unter dem
O b erb egriff „P atron at“ eine zentrale strukturgesch ich tliche R olle zu22. E r schloss an M atthias
Geizers U ntersuchungen zur röm ischen R epu blik von 1 9 1 2 an und versuchte dessen Ergebnisse
au f die Kaiserzeit zu übertragen. G eizer hatte in seiner als „G esellschaftsgeschichte“ b e z e ic h n ­
ten U ntersuchung der „M obilität“, der Führungsgruppe des republikanischen Senatsadels, erst­
mals system atisch a u f die grundlegende B edeu tu ng inneraristokratischer ^w/aV/Vz-Beziehungen
und schichtenübergreifender Patron-K lient-V erhältnisse zwischen A dligen und ihrem A nhang
im Volk hingew iesen. Im R ah m en solcher N ahbeziehungen fand gegenseitige U nterstützung bei
W ahlen zu p olitischen Ä m tern oder bei finanzieller K n apph eit, bei p olitischen K on flikten oder
bei Auseinandersetzungen vor G erich t statt. „M an nigfach e Treu- und N ahverhältnisse“, so Geizer,
durchzogen die gesam te G esellschaft von oben bis unten. E rst durch ihre W ahrnehm u ng würden
die lange S ta b ilitä t der „N ob ilitätsh errschaft“ und die Funktionsw eise der p olitischen O rd n u n g des
republikanischen R o m insgesam t verständ lich2'.
Von Prem erstcins These war nun, dass es der K aiser geschafft habe, alle Patronatsbeziehungen der
A ristokratie, die er auch als „G efolgschaften“ b ezeich net, auf sich zu vereinen. D ie Voraussetzung
dafür war seine Ü b erlegen h eit im Z ugriff a u f knappe R essourcen, v.a. sein R ech t, durch N om ination
und C o m m en d atio n die W ahlen zur M agistratur und zu den Priesteräm tern entscheidend zu be20 Werner Eck, Der Kaiser und seine Ratgeber, in: Ders., Die Verwaltung des römischen Reiches in der hohen
Kaiserzeit. Ausgewählte und erweiterte Beiträge, Bd. 2 (Basel 1998) 3 -2 9 ,2 0 : Bei den kaiserlichen amici hande­
le es sich um „einen weitgezogenen Personenkreis, der nicht präzis definiert war und in seiner Zusammensetzung
schnell variieren konnte“; vgl. ders., Der Kaiser und seine Ratgeber. Überlegungen zum inneren Zusammenhang
von amici, amiites und consiliarii am römischen Kaiserhof, in: Anne Kolb (Hg.), Herrschaftsstrukturen und
Herrschaftspraxis. Konzepte, Prinzipien und Strategien der Administration im römischen Kaiserreich. Akten
der Tagung an der Universität Zürich 18.-20. 10.2004 (Berlin 2006) 67-77.
Mario Pani, Collaborate con if principe, in: Ders. (Hg.), Epigrafia e territorio. Politica e societä (Temi di antichitä romane 7, Bari 2004) 2 6 5 -2 7 8 ; vgl. ders., La corte dei Cesari fra Augusto e Nerone (Rom 2003) 2 7 -3 1 .
” Anton von Premerstein, Vom Werden und Wesen des Prinzipats (München 1937).
24 Matthias Geizer, Die Mobilität der römischen Republik [1912], in: Ders., Die Mobilität der römischen
Republik. Die Mobilität der Kaiserzeit, neu hg. von Jürgen von Ungern-Sternberg (Stuttgart 21983) 1-120,
Zit. 115; vgl. zur Weiterentwicklung und zeitlichen Differenzierung der Befunde von Geizer Christian Meier,
Res publica amissa. Line Studie zu Verfassung und Geschichte der späten römischen Republik (Frankfurt am
Main T 9 9 7 ); zur (letztlich auf ungenauer Lektüre beruhenden) Kritik an Geizer und Meier v.a. von Peter A.
Brunt, Amicitia in the Late Roman Republic [1965], in: Ders., The Fall o f the Roman Republic and Related
Lssavs (Oxford 1988) 3 5 1 -3 8 1 , vgl. Wilfried Nippel, Klientel, Gesellschaftsstruktur und politisches System
in der römischen Republik, in: Humanistische Bildung Heft 22 (2002) [2004] 137-151, und jetzt Goldbeck,
Salutationes (wie Anm. 7) 2 4 6 -2 6 2 , 2 7 7 -2 8 1 .
214
Aloys W in te rli n g
cinflussen, seine ungeheuren finanziellen M ittel, die ihm die Ü bernah m e der G etreideversorgung
R om s und der V eteranenversorgung gestatteten, sowie seine M ö glichk eiten , in großem Stile
Bürgerrechtsverleihungen und K o lon icgriind un gen durchzuführen. Indem er so die „M ittel zur
Schaffu ng der N ah- und Treuverhältnisse m ehr oder w eniger ausschließlich ... m anche fast wie ein
M o n o p o l“ in seine H and bekam , seien den H äuptern der führenden Fam ilien der republikanischen
A ristokratie, den principes, ihre patronalen M ö glich k eiten entzogen worden, ja „sie selbst wurden
in fast allen Fragen ihrer Stellung und B eförd eru ng von dem Prinzeps abhängig“2 '. D er K aiser allein
wurde also gew isserm aßen n ich t nur der Patron des gesam ten Volkes, sondern auch der Patron aller
A ristokraten, w ährend die Freundschaftsverhältnisse innerhalb der A ristokratie und auch die patronalcn Beziehungen zw ischen A ristokratie und V olk von R om p olitisch unbed eutend wurden. „So
ist der alte Patronat als p o litischer F a k to r ... in der U m klam m eru ng des Prinzipats, der sich im m er
m ehr zum allum fassenden und alleinigen wahren Patrozinium der Bürgerschaft und der U n tertan en
entw ickelt, schon seit dem Ende des ju lisch-claud ischen Hauses in der H auptsache abgestorben.“2’
In der neueren Forschung hat v. Prem ersteins A rb eit weniger R esonanz gefunden als eine aus­
fü hrliche U ntersuchung R ich ard Sailers über die inneraristokratischen /w««f/Vz-Verhältnisse der
K aiserzeit26. In „Personal Patronage under the Early E m p ire“ von 1 9 8 2 kom m t Sailer nun zu ei­
nem Ergebnis, das v. Prem erstein diam etral zu w idersprechen sch e in t2 : M it vielen D etails belegt
er, dass a/»/«f/Vi-Beziehungcn und der dam it verbundene Austausch von beneßeia in der röm i­
schen A ristokratie der K aiserzeit durchaus keinen N iedergang erfuhren. Zwar sei in der T at die
kaiserliche Ü b erlegen h eit in diesen E lin sich ten n ich t zu leugnen, und auch die Beziehungen der
A ristokratie zu kleinen K lien ten hätten m it dem W egfall der V olksw ahlen an Bedeu tu ng verloren.
D ie N ahbeziehungen innerhalb der A ristokratie seien dadurch jed o ch keineswegs bedeutungslos
geworden. V ielm eh r seien einzelne Senatoren und R itte r (ebenso wie U n freie, Freigelassene oder
Frauen) v.a. am kaiserlichen H o f durch ihre N ähe zum Kaiser zu V erm ittlern („brokers“) kaiserli­
cher Benefizien in Form von Ä m tern , ökon om isch en M itteln , G erich tsentscheid un gen und äh n ­
lichem gew orden28. W ä h ren d sich „first order resources“ für Patronage vo rnehm lich beim Kaiser
k onzentrierten, h ätten die M itg lied er der A ristokratie w eiterhin in h ohem M aße über „second o r­
der resources“ verfü gt29. T erm in ologie, G egenstände, ethisch e Ü b erh öh u n g („id eology“) und Praxis
der Patronage h ätten sich im Ü bergang von der R ep u b lik zur K aiserzeit n ich t grundsätzlich ver­
ändert. A ristokratisch en ^»//«/^-Verhältnissen kam nach Sailer som it auch in der Kaiserzeit eine
w ichtige p olitische B edeu tu ng zu.
M an kann zeigen, dass sich die W id ersp rü che von v. Prem erstein und Salier v.a. aus u n ter­
schiedlich en Fragestellungen ergeb en 50. Für die Freundschaft m it dem K aiser ist aufschlussrei­
cher, worin beide übereinstim m en. B eide stellen (wie M om m sen) fest, dass dem Kaiser in den
;?»/tt7//V/-Beziehungen die zentrale und entscheidende R o lle zufiel, indem er zum M on op o listen
u v. Premerstein, Prinzipat (wie Anm. 22) 113.
2’ v. Premerstein, Prinzipat (wie Anm. 22) 116.
26 Richard P. Salier, Personal Patronage under the Early Empire (Cambridge 1982); vgl. besonders auch: Andrew
Wallace-Hadrill (Hg.), Patronage in Ancient Society (London, New York 1989); darin: Den., Patronage
in Roman Society. From Republic to Empire, 6 3 -8 7 . Siehe zum gesamten Problemkontext jetzt Golclbeck,
Salutationes (wie Anm. 7) 2 6 3 -2 8 1 .
2" Vgl. zur Auseinandersetzung mit v. Premerstein: Salier, Patronage (wie Anm. 26) 7 3 -7 5 .
' Sailer, Patronage (wie Anm. 26) bes. 41 -7 8 („The emperor and his court“).
29 Ebd. bes. 1 1 9 -1 4 3 („The Roman imperial aristocracy“).
Vgl. Winterling. Freundschaft (wjie Anm. 1) 304 A. 15.
D ie H 'cu n d sc h ah der r ö m is c h e n K aiser
215
der Freundschaftsbeziehungen überhaupt (v. Prem erstein) bzw. zur Letztressource aller aristo­
kratischen patronalen M ö glichk eiten (Salier) wurde. U m so m ehr verw undert es, dass wiederum
beide A utoren (anders als M om m sen) gleichw ohl davon ausgehen, dass die Veränderungen der
Freundschaftsbeziehungen durch die E n tsteh un g einer kaiserlichen A lleinherrschaft lediglich
quantitativer N atur waren, dass ihre Q u a litä t je d o ch w eitgehend dieselbe blieb wie im m ultipolaren
System republikanischer Z e it m it m ehreren principes an der Spitze. S o un terstellt v. Prem erstein,
dass der Kaiser n ich t nur die über N ahbeziehungen verm ittelten Ressourcen, sondern auch die aus
diesen Beziehungen resultierenden U nterstü tzungspotentiale m onop olisieren kon n te, und Sailer
geht davon aus, dass die kaiserzeitlichen aristokratischen „brokers“ bei der Vergabe von beneficia
genauso agierten wie unabhängige republikanische A ristokraten.
D em gegenü ber lässt sich je d o ch schon anhand der einleitend geschilderten Beispiele plau­
sibel m achen, dass sich durch die h o h e A ttrak tivität und faktische A kern ativlosigkeit auch die
Q u alität der Freundschaftsbeziehungen zwischen den M itglied ern der A ristokratie und dem
Kaiser grundlegend verändern musste, etwa durch Verstärkung oder Ü berhan d n ah m e von
O p p ortu nitätsgesich tsp u n kten. U m gekehrt musste die große Z ahl m öglich er aristokratischer
Freunde für den Kaiser, schon aufgrund seiner n atürlich beschränkten K om m un ikation skapazitäten ,
zu irgendw elchen V eränderungen, z.B. zu A bstufungen von N ahbeziehungen führen.
D er G ru n d , warum v. Prem erstein und S alier n ich t an den qualitativen Veränderungen interessiert
sind, die die Freundschaftsbeziehungen m it dem K aiser von den republikanischen Verhältnissen
unterschieden, dürfte in der ebenfalls beiden gem einsam en R ed u ktion der rf?»«'/7/Vz-Beziehungen
au f ihre sachliche D im en sio n und dam it auf ihre instrum entelle Fu nktion liegen. S ch o n im Begriff'
„P atron at“ bzw. „Patronage“ angelegt ist die K o n zen tratio n au f den Austausch knapper G ü ter und
Leistungen zum G ew inn bzw. zur G ew ährung von U nterstützung und M acht. D iese D im en sio n ist
zweifellos auch in der K aiserzeit für Freundschaftsbeziehungen von Bedeutung. Bezogen auf den
Kaiser muss je d o ch gefragt w erden, was die aristokratischen Freunde dem Kaiser in dieser H in sich t
bieten k o n n ten und w elchen V orteil es im G egenzug für ihn hatte, Freund aller A ristokraten zu sein :
Sein e Sonderstellu ng war n ich t durch Freundschaft und patronale Beziehungen errungen worden,
sondern durch den Sieg im Bürgerkrieg, durch die M on op olisieru n g der durch Befeh l und G ehorsam
organisierten m ilitärischen G ew altm ittel und durch die sich daraus ergebenden M öglichk eiten ,
v.a. die Verfügung über öko n o m isch e Ressourcen und den Einfluss a u f die Besetzu ng m agistra­
tischer honores. U nd die kaiserliche So n derstellu ng war verbunden m it einer Expropriierung der
A ristokratie in diesen H in sich ten . Es lässt sich bezw eifeln, dass die knappen G üter, die die Kaiser
den alten „G efolgschaftsfü hrern“ d.h. v.a. den M itglied ern der N o b ilität (zu rück)gaben, tatsächlich
im m er die kaiserliche M a ch t stärkten und aristokratische Loyalität erzeugten, wie v. Prem erstein
und auch Sailer annehm en.
Eng verbunden m it der R ed u ktion von Freundschaft a u f die Sachdim ension ist - eine w eite­
re G em ein sam keit von v. Prem erstein und Sailer - die Vernachlässigung ihrer perform ativen
D im en sio n , ihrer regelm äßigen Inszenierung in häuslicher Interaktion . D ie K on zeptualisieru n gder
aristokratischen Beziehungen als ein Phän om en , das scheinbar oh n e persönliche Begegnung der
B eteiligten ablaufen konnte, vernachlässigt die für aristokratische G esellschaften zentrale Bedeutung
der gem einsam en sym bolischen Inszenierung von sozialem Status und sozialen Beziehungen in der
K om m u n ikatio n von A nw esenden. Ä h n lich wie der Freundschaftsbegriff'der prosopographischen
Forschung erscheint so m it auch der P atron ageb egriff v. Prem ersteins und Sailers den Bedingungen
m oderner G esellschaften en tleh n t, wo solche Beziehungen ebenfalls in der Regel a u f den Austausch
216
Aloys W in te rli n g
knapper G ü ter und Leistungen reduziert sind, zugleich aber als K orru p tion disk rim in iert und daher
eher im Verborgenen ausgehandelt, keineswegs often inszeniert werden.
D ie Ansätze und D efizite der Forschung legen es nahe, aut die spezifisch n ich t-m od ern en Aspekte
der Freundschaft zum K aiser zu achten. Erstens sind daher im Folgenden in einem kurzen syste­
m atischen Ü b erb lick die Besond erh eiten dieser Verhältnisse gegenüber Freundschaftsbeziehungen
zur Z eit der R epu blik zu analysieren, und zwar n ich t nur in ihrer instrum enteilen, den sachli­
chen Austausch von G ü tern und Leistungen betreffenden Fu nk tion . V ielm eh r ist zudem nach
der sym bolischen Bedeutung von am ititia zu fragen, nach ihrer Fu nktion für die Inszenierung
von Statusrelationen und Rang. Zw eitens ist die B edeu tu ng häuslicher Interaktion für die
M an ifestation von Freundschaftsbeziehungen in der Alltagspraxis in den B lick zu nehm en. Für die
R ekon stru k tion der kaiserlichen Freundschaft in diachroner Perspektive kann daher von den typi­
schen Interaktionskreisen des aristokratischen Hauses ausgegangen und gefragt w erden, wie sieh
diese am kaiserlichen H o f entw ickelten.
Z u zeigen ist, dass in instru m entelleru nd sym bolischer H in sich t paradoxe H andlungsbedingungen
entstanden, dass die K aiser diesen H andlungsbedingungen durch In stitu tionalisierun g unpersönli­
cher Freundschaftsbeziehungen und durch die D ifferen zierun g verschiedener K reise von Freunden
m it u n tersch iedlich er sozialer Z usam m ensetzung entgegenzuw irken suchten.
I I I . Paradoxien kaiserlicher Freundschaft
D ie grundlegende qualitative D ifferen z der N ahbeziehungen zum K aiser gegenüber den innerari­
stokratischen N ahbeziehungen zur Z e it der R epu blik, als n och ein m ultipolares System großer
A delsfam ilien vorherrschte, lässt sich anschaulich zunächst anhand der instrum entdien D im en sion
zeigen, h in sich tlich des Austausch* knapper G ü ter und Leistun gen 31. D ie kaiserliche P osition war
durch die dauerhafte M on o p o lisieru n g m ilitärischer G ew altm ittel im Bürgerkrieg und die dam it
zusam m enhängende Verfügung über ö k on om isch e Ressourcen en tstan den 32. Sie resultierte n ich t
aus besonderem Erfo lg im R ah m en trad ition eller aristokratischer rt»«V//M-Beziehungen und sie
kon n te a u f deren Basis auch n ich t erhalten w erden33. D ieser U n abhän gigkeit der Kaiser von ihren
Freunden stand - wie scho n zu sehen war - die völlige A bhängigkeit jedes einzelnen A ristokraten
von der Freundschaft des Kaisers gegenüber: Ihre A ufkündigung, verbunden m it dem kaiserli­
chen H ausverbot, b ed eutete in der Regel das faktische Ende der aristokratischen oder auch der
physischen Existenz des B etro ffen en ' 1. K aiserliche N ähe dagegen eröftn ete C h an cen a u f Aufstieg,
Ehren und R eich tü m er un bekann ten Ausmaßes, was viele Beispiele - b erüh m te wie Seianus unter
MVgl. zum Folgenden ausführlicher Winterling, Freundschaft (wie Anm. 1) bes. 3 0 9 -3 1 4 .
32 Von Caesar wird der Ausspruch berichtet, für eine Alleinherrschaft bedürfe es lediglich des Geldes und der
Soldaten und beide hingen voneinander ab (Cass. Dio 42,49,41.).
31 Als die Prätorianer von Nero abgefailen waren, schickte er vergeblich nach seinen amici und klopfte an die
Türen ihrer Häuser, ohne dass ihm aufgemacht wurde (Suet. Nero 47, 3).
34 Vgl. Robert S. Rogers, The Emperor’s Displeasure - amicidam renuntiare, in: TAPhA 90 (1959) 2 2 4 -2 3 7 ;
Wilhelm Kierdorf, Freundschaft und Freundschaftsaufkündigung von der Republik zum Prinzipat, in: Gerhard
Binder (Hg.), Saeculum Augustum, Bd. 1 (Darmstadt 1987) 2 2 3 -2 4 5 .
D ie F reundschaft der rö m is ch e n K aiser
217
T ib e riu s und Scn cca unter N ero oder auch weniger bekan n te wie A . C aeeina A lienus und Fabius
Valens unter V itellin s - dokum entieren*'.
D ie neue Asym m etrie, die der K aiser als Freund in den aristokratischen N ahbeziehungen
hervorrief, setzte sich „nach unten“ fort. A ristokraten wie die genannten waren aufgrund ih­
rer Einflussm öglichkeiten a u f den Kaiser ihrerseits h och attraktive Freunde und Patrone, was
sich z.B. an der G rö ß e der in ihren H äusern stattfindenden salutationes oder auch an der ihnen
häufig vorgew orfenen B estech lich k eit z eig te'6. Ihre Stellung basierte also ebenfalls n ich t a u f den
Freundeskreisen, die sich um sie versam m elten, sondern vielm ehr ausschließlich auf ihrer eigenen
N ahbeziehung „nach o b en “, zum Kaiser.
In der instrum enteilen D im en sio n der aristokratischen Freundschaft fand som it durch die
neue kaiserliche P osition ein grundlegender W andel der Beziehungsstrukturen statt. W äh ren d im
m ultipolaren System republikanischer Z e it aufgrund der K onku rrenz m ehrerer großer Patrone
um Freundes- und K lien tensch aren im m er eine R eziprozität der Beziehu ng, eine gegenseitige
A bhängigkeit n ich t nur zw ischen relativ gleichstehenden, sondern auch zwischen höher stehenden
und n iedriger stehenden Freunden, gegeben war, d om in ierte in den neuen, auf den K aiser zentrierten
Freundschaftsbeziehungen ein hierarchisches Verhaltensm uster. Es war durch das Fehlen egalitärer
N ahbeziehungen und durch die grundsätzliche A bhängigkeit der tiefer stehenden von den höher
stehenden gekennzeichnet. D ie neuen Beziehungen und die in ihnen ausgetauschten G ü ter wurden
w eiterhin in tradition eller BegrifR ichk eit als amicitiae , benejicia usw. b ezeich net. T atsäch lich aber
h atte sich eine ursprünglich auf G egen seitigkeit basierende Freundschaft in „G u nst“ verw andelt, die
einseitig von oben nach unten vergeben und utilitaristisch von unten nach ob en angestrebt wurde3 .
Aufschlussreich ist nun aber, dass neben dem neuen, über kaiserliche G u nst strukturierten h ier­
archischen Beziehungssystem das tradition elle Freundschaftssystem , die freiwillige gegenseitige
U nterstü tzung m it reziprokem Austausch in inneraristokratischen oder schichtübergreifenden
Beziehungen, weiterbestand. D as dokum entieren z.B. die B erichte über die N obiiitätsfam ilien , die,
wie T acitus schreibt, in der frühen Kaiserzeit im alten Stil ihre amicitiae pflegten (sich dabei al­
lerdings öko n o m isch ru in ierten )58. U nd dies zeigt sich auch daran, dass verschiedene K aiser ver­
suchten, system atisch gegen die aristokratische Pflege von Freundschafts- und K lientelbeziehungen
vorzugehen: U n ter C laudius wurde M ilitärperson en verboten, in senatorischen H äusern aufzu­
w arten39. U n ter D o m itia n sch ein t es aufgrund kaiserlichen M isstrauens für Senatoren inop portu n
gewesen zu sein, die o jju ia amicorum entgegenzunehm en oder einander entgegenzubringen und
sich m orgens zu besuchen. D as dokum entieren z.B. B erich te über das Verhalten des erfolgreichen
Feldherrn A gricola und Elinw eise im Panegyricus des P lin iu s'0. M eh r als ein Jah rh u n d ert nach
b Siehe die folgende Anmerkung.
•'c’ Zu Seianus vgl. Tic. ann. 4, 41. It. (dazu das Folgende); Cass. Dio 57, 21, 4; 58, 5, 2 und 5; zu Seneca unter
Nero vgl. die Situation seines Sturzes bei Tac. ann. 14, 56, 3; zu Caeeina und Valens siche Tac. hist. 2, 92, l.
Fin Vorlauf dieser Beziehungen zeigt sich bei der Freundschaft zu den militärisch erfolgreichen „Großen“
der späten Republik. Zu den Erfahrungen Ciceros in dieser Hinsicht siehe R olf Rilinger, Domus und res publi­
ca. Die politisch-soziale Bedeutung des aristokratischen „Hauses“ in der späten römischen Republik, in: Aloys
Winterling (Hg.), Zwischen „Haus“ und „Staat“. Antike Höfe im Vergleich (München 1997) 7 3 -9 0 , 88f. (wie­
der in: Rolf Rilinger, Ordo und dignitas. Beiträge zur römischen Verfassungs- und Sozialgeschichte [Stuttgart
2 0 0 7 ]1 0 5 -1 2 2 )"
1!iTac. ann. 3, 55, 1-3.
Suet. Claud. 25, 1.
Tac. Agr. 40, 3f.; Piinius berichtet, dass es unter Trajan jüngeren Senatoren wieder möglich war, gefahrlos den
älteren aufzuwarten (paneg. 62, 7).
218
A io y s W i n t e r l i n g
A ctiu m also hatten aristokratische Freundschafts- und ebenso schich tübergreifen d e P atron -K licn tBeziehungen in ihrer instru m enteilen D im en sio n nach wie vor m achtbild end e Effekte, unabhängig
von den Beziehungen der B eteiligten zum Kaiser.
D ie G leich zeitigkeit von trad ition eller und neuer kaiserlicher amicitia fand nun n ich t in vonein­
ander getrennten gesellschaftlichen B ereichen statt, sie betraf vielm ehr dieselben A kteure zur selben
Z e it und ko n n te zur Folge haben, dass die gleichen aristokratischen Verhaltensw eisen unterschied­
lich gedeutet wurden. A ristokratisch e Freundschaft kon n te daher zu paradoxen, den Inten tion en
der A kteure zuw iderlaufenden H andlungsfolgen führen, so etw a w enn a u f der einen Seite die
U nterstü tzung eines Senators durch seine aristokratischen Freunde als m it dem Kaiser rivalisierende
M achtp räten tio n w ahrgenom m en wurde oder w enn auf der anderen Seite der aus seiner K aisernähe
resultierende Freundeskreis eines kaiserlichen G ü nstlings als sein eigenes, vom K aiser unabhängiges
U nterstü tzun gspoten tial und dam it als eigenständige M achtressource gedeutet wurde.
In den A nnalen des T acitus hat sich die Sch ild eru ng einer Situ ation erhalten, in der die
Interferenzen von alter aristokratischer und neuer kaiserlicher Freundschaft und die daraus resul­
tierenden paradoxen H andlungsfolgen für die B eteiligten un m ittelbar zu Tage tr a te n ". G egen
den aufgrund seiner N ähe zum K aiser T ib eriu s allm ächtigen Prätorianerpräfekten Seianus waren
im Jah re 2 5 V erdächtigungen laut geworden aufgrund der G röß e der Sch ar seiner Freunde und
K lien ten, die ihm allm orgendlich aufw arteten. D er große Personenkreis, der nach der G u n st des
obersten G ünstlings strebte, konnte som it als dessen eigene, reale M achtressource (und als eine
G efah r für den K aiser) dargestellt und w ahrgenom m en werden - offensich tlich auch von Seianus
selbst. D en n T acitus schreib t, der Pratorianerpräfekt habe n ich t durch die Z urückw eisung der
Besucher seine potentia schw ächen w ollen. D a er aber auch w eiteren „Verleumdungen“ keinen
V orschub bieten w ollte, sei er a u f die Idee gekom m en, den K aiser zum Verlassen R om s zu bewegen,
um den Z ugang zu ihm und den Schriftverkehr m it ihm zu kon trollieren . D as sollte ihm dann die
M ö glich k eit geben, auch die A ufw artungen in seinem eigenen H ause oh n e negative Folgen zu b e­
enden. D en n m it dem W egfall der leeren Ä u ßerlichkeiten (sublatis inanibus), so z itiert T acitus seine
G ed anken, werde dann seine wahre M ach t ( vera potentia ) zunehm en. D ieselben aristokratischen
Freundschaftsbeziehungen des Seianus, dies setzt der B e rich t des T acitu s voraus, konnten also zum
einen lediglich als sekundäres P hän om en , als Folge der kaiserlichen G u nst, in der er stand (und
dam it als „leere Ä u ßerlichkeiten “), zum anderen als eine entscheielende eigene M achtressource, die
sich sogar gegen den K aiser rich ten konnte, gedeu tet werden.
Für die kaiserliche Freundschaft bed eutete dies, dass die Vergabe kaiserlicher G u n st die Stellung
des Kaisers n ich t nur stützen, sondern auch bed roh en konnte. W en n die K aiser A ristokraten
B enefizien verliehen, sie in m acht- und ehrenvolle P ositionen beförderten, so verpflichteten sie
sich die B egün stigten einerseits, andererseits aber verschafften sie ihnen d am it zugleich C h an cen
auf eigenständige M ach t und schufen sich so m it potentielle Rivalen, die ihnen im E rnstfall selbst
gefährlich werden ko n n ten . D as Problem wurde n o ch dadurch verschärft, dass die K aiser ja n ich t
nur Benefizien tem porärer A rt wie G eld oder Fu nk tion en in der neuen kaiserlichen Verw altung
vergaben, die sie jed erzeit wieder entziehen kon n ten . In der p o litisch entscheidenden G ruppe, der
Senatsaristokratie, bestanden die bedeutendsten beneßeia aus honores, a u f deren Vergabe die Kaiser
entscheidenden Einfluss h atten. D ies aber waren republikanische M agistraturen, die ja zugleich den
sozialen R an g der betreffenden P ersonen und ihrer N achkom m en dauerhaft erhöh ten. In ihrer instrum entellen, den Austausch knapper G ü ter und Leistungen betreffenden D im en sion h atte die
" 'lire. ann. 4, 41.
D ie Freun dsch aft der rö m is ch e n K aiser
219
kaiserliche Freundschaft also für die Kaiser selbst paradoxe Folgen. D u rch die U nterstü tzung von
Freunden konnten sie ihre eigene Stellun g gefährden. Sic mussten daher gegenüber den aristokra­
tischen Personen, denen sie am m eisten vertrauten, zugleich auch am m eisten m isstrauisch sein.
N eben der instrum enteilen war die perform ative D im en sion röm ischer a m ititia - Beziehu n ­
gen von zentraler Bedeu tu ng : Freundschaft musste im R ah m en von Interak tion , d.h. in der
K om m u n ikation von A nw esenden in E rschein un g treten, um real zu w erden. D ies zeigt anschaulich
z.B. das G rößenw achstum der m orgend lichen salutationes in der späten R epublik'12. D ie regelm äßi­
ge M an ifestatio n des Kreises der aristokratischen Freunde eines H ausherren und ihres A nhangs im
Volk nahm solche A usmaße an, dass die K ap azität aristokratischer H äuser ebenso wie das G ed ächtnis
der H ausherrn überfordert wurde. S o exp erim en tierte man m it neuen A ufw artungsform en'1'’, und
es kam en N om en klatoren zum Einsatz, speziell trainierte Sklaven, die dem H errn die N am en der
Besuch er bei der B egrü ßung zuflüsterten, um den p ersönlichen C h arak ter der B eziehu n g zum in­
dest dem Sch ein nach aufrechtzuerhalten'1'1. In der Kaiserzeit finden sich viele Belege dafür, dass
salutatores von aristokratischen H ausherren sogar bezahlt w urden, dam it sie m orgens ihr atrium
fü llte n '5. D as h eißt, die perform ative D im en sio n der am ititia- Beziehungen war w ichtiger als ihre
instrum entelle Fu nktion , denn die K osten für in sachlicher H in sich t „nutzlose“ A u fw artende waren
den aristokratischen H an dlun gsm öglich keiten ab träglich 16.
D er G ru n d war, dass Freunde und K lien ten für röm ische A ristokraten einen W ert darstellten,
der um seiner selbst willen - und n ich t nur als M itte l zu anderen Zw ecken wie z.B. M achtgew inn angestrebt w urde: Ein e große Z ahl von Freunden und U nterstützern sym bolisierte in generalisierter
Form M ach tch an cen , öko n o m isch e Potenz und hohen sozialen R ang. D ie sym bolische Funktion
von Freundschaft als m u ltid im ensionaler aristokratischer Statusm anifestation dürfte auch darin b e­
grün det liegen, dass sie - anders als z.B. die sententia-hbixixgc im Senat, die eine festgelegte offizielle
H ierarch ie zum A usdruck b ra ch te' - das aristokratische Bedürfnis nach regelm äßiger Inszenierung
ties aktuell eingenom m enen oder auch des beanspruchten Ranges vor einem städtischen Publikum
befriedigen k o n n te 18.
D ass in der K aiserzeit Freundschaftsbeziehungen auch in ihrer sym bolischen D im en sio n parad o­
xe Folgen haben kon n ten , überrascht n ich t. D as Beispiel des Seianus zeigt, dass die Sym bolisierung
der eingenom m enen oder beanspru chten aristokratischen Stellung als Streben nach H öherem
gedeutet w erden, kaiserliches M isstrauen hervorrufen und dam it einen den ursprünglichen
In ten tio n en genau entgegengesetzten E ffek t haben konnte. Seianus’ Bestreben, die Z ah l seiner
Besuch er zu verringern, war die R eaktio n darauf. In äh nlicher W eise reduzierten Seneca, der lange
Z e it zu den m ächtigsten Senatoren unter N ero gezählt hatte, und der erfolgreiche Feld herr A gricola
■ Goldbeck, Salutationes (wie Anm. 7) bes. 2 1 7 -2 4 6 .
13 Sen. benef. 6, 33f.; vgl. zur Interpretation der Stelle Winterling, Aula Caesaris (wie Anm. I) f 19-122.
'' Joseph Vogt, Nomenelator. Vom Lautsprecher zum Namenverarbeiter, in: Gymnasium 85 (1978) 3 2 7 -3 3 8 ;
Goldbeck, Salutationes (wie Anm. 7) 10 1 -1 0 3 .
" Belege bei Iriedländer, Sittengeschichte (wie Anm. 12) I 2 2 7 -2 3 2 .
Man kann die 'these aufstellen, dass die symbolische Funktion der rfw/a'//Vz-Verh;iltnisse um so wichtiger
wurde, je mehr die instrumenteile Funktion an Bedeutung verlor. Vgl. Winterling, Freundschaft (wie Anm. 1)
3 0 6 -3 0 8 (zur späten Republik).
r Vgl zur Kaiserzeit Richard f. A. Talbert, The Senate of Imperial Rome (Princeton 1984) 2 4 0 -2 4 8 ; Rolf
Rilinger, Moderne und zeitgenössische Vorstellungen von der Gesellschaftsordnung der römischen Kaiserzeit,
in: Saeculum 36 (1985) 2 9 9 -3 2 5 , 3 1 5 f. (wieder in: Ders., Ordo und dignitas. Beiträge zur römischen
Verfassungs- und Sozialgeschichce [Stuttgart 2007] 1 53-179).
Rilinger, Domus (wie Anm. 37) 83f.
A loys W in te rli n g
220
unter D o m itia n in kritischen Situ atio n en die Sich tb arkeit ihres G efolges, um den A n schein von
M ach tp rätcn tio n en zu verm eiden '9.
Dass die sym bolische D im en sio n der Freundschaft auch für die K aiser paradoxe H andlungsfolgen
hatte, zeigt sich nun a u f einer grundlegenderen Ebene: W enn die K aiser alle A ristokraten zu ihren
Freunden m achten und sich als Patron aller inszenierten, u n terstrichen sie einerseits ihre allen an­
deren überlegene Position und nutzten die M ö glich k eit, ihren alle anderen überragenden aristokra­
tischen Status in täglicher Interaktion zu m anifestieren. Sie ko n n ten som it den Genuss, der Erste
und M ächtigste der A ristokratie zu sein, in zerem onieller Inszenierung auskosten. Indem sie dies
taten, bestätigten sie aber gleichzeitig die rangm anifestierende Bedeu tu ng eines ursprünglich ega­
litären, reziproken aristokratischen H andlungsm usters, dem ihre eigene Existenz als K aiser n ich t
nur n ich t verdankt war, sondern geradewegs zuw iderlief. Sie leisteten gewisserm aßen dem A nschein
V orschub, der kaiserliche Status beruhe letztlich auf der U n terstü tzun g seiner aristokratischen
Freunde50. In der Inszenierung ihrer R olle als w ichtigster Freund und oberster Patron durchbrachen
sie som it einerseits das alte republikanische Freundschaftssystem durch M an ifestation ihrer eigenen
Sonderstellung. G erade indem sie sich an die Spitze setzten, d o k um en tierten sie andererseits gleich ­
zeitig die fortbesteh en de Bed eu tu ng egalitärer aristokratischer Freundschaft, in die ein M onarch
n ich t hineinpasste, als en tscheidend er Ressource aristokratischen und auch des kaiserlichen Ranges.
D ie grundlegenden Paradoxien der kaiserlichen Freundschaft m it der A ristokratie gingen
ein her m it ihrer gesellschaftsstrukturell bed ingten U n ausw eich iichkeit: D ie Kaiser konnten
a u f N ahbeziehungen m it der A ristokratie n ich t verzichten, da sie Senatoren hohen Ranges als
Fu nktionsträger ihrer H errschaftsausübung b en ö tigten und da sie die aristokratische G esellschaft
insgesam t brau chten, um als der Erste derselben in Erscheinung treten zu können. D ie aristokra­
tische G esellschaft aber, der röm ische Adel, bezog auch in der K aiserzeit seinen R an g und seine
Ehren aus m agistratischen Ä m tern der röm ischen res publica und n ich t - oder h öchstens indirekt
- aus seiner Stellung in der kaiserlichen G u n st’ 1. W ie versuchten die Kaiser, den u n in ten dierten
N ebenfolgen ihrer Freundschaftsbeziehungen zu entgehen?
IV . Strategien kaiserlicher Freundschaft
D ie A usw eitung der Personenkreise, die m it h ochstehend en und m achtvollen Senatoren in einem
Verhältnis standen, fü h rte schon in der späten R epu blik zur D ifferenzierung unterschied­
licher K ategorien von Freunden aristokratischer H ausherren, deren Status als Freunde m an bezw ei­
feln und zum G egenstand von P olem ik m achen konnte. So erw idert z.B. C icero in seiner zweiten
P hilippica dem A n ton ius a u f die U nterstellu ng, ihm - C icero - würden fast nie Erbschaften zuteil:
„Wenn du mit diesem Vorwurf nur Recht hättest! Dann wären nämlich noch mehrere meiner Freunde und
Angehörigen am Leben. Aber wie kommst du eigentlich darauf? Ich habe doch mehr als zwanzig Millionen
Sesterzcn aus Vermächtnissen verbuchen können. Allerdings, das gebe ich zu, bist du auf' diesem Gebiet besser
Tac. ann. 14, 56, 3; Agr. 40, 3 f.
50 Genau dies wurde den Kaisern von aristokratischer Seite in Beschreibungen des „guten“ Herrschers vorgesteüt: Vgl. Sen. clem. 1, 13, 1; vgl. 1, 19, 6; Plin. paneg. 85, 6; Dion Chrys. or. 1, 30; 3, 86; 3, 89.
Siehe Aloys Winterling,,Staat1, ,Gesellschaft1 und politische Integration in der römischen Kaiserzeit, in: Klio
83 (2001) 9 3 -1 1 2 (engl. Übers, in: Ders., Politics [wie Anm. 1] 9 -3 3 ).
D ie F re u n d sch a k der rö m isch en K aiser
221
dran als ich. Mich haben nur Freunde (nemo nisi amicus) zum Erben eingesetzt... Dich aber setzten Leute zum
Erben ein, die du nie gesehen hast!1
C icero führt einen gewissen Lucius Rubrius aus C asinum an und sage: „... dich, den er niem als ge­
sehen oder dem er sicherlich niem als seine A ufw artung gem acht hat (certe numquam salutavcrai),
dich hat er zum Erben eingesetzt!'
Freundschaft wird von C icero som it an häusliche Interaktion , den Besuch bei der m orgendlichen
salutatio, und an gegenseitige U nterstützung, m anifestiert durch testam entarische Schenkungen,
gebunden. W obei einerseits das Beispiel des A n ton ius zeigt, dass tatsächlich ein n och viel größerer
Kreis von w eitgehend U n b ekan n ten als Freundeskreis reklam iert werden konnte. Andererseits ist
offensich tlich - das zeigen die 2 0 M illio n en Sesterzen, auf die C icero sehr stolz ist - , dass auch
der Kreis der zu seiner eigenen salutatio erscheinenden Freunde zu groß war, als dass zu allen eine
p ersönliche N ahbeziehung h ätte bestehen können. G enau in diesem Sin ne spricht er in einem
B rief an A tticus im Z usam m enhang m it der salutatio in seinem Haus von seinen „eigennützigen
Sch einfreu nd schaften “ ( arnbitiosae nostrae fucosaeque arnicitiae'f’.
D ass sich ein unpersönlicher, an O p p o rtu nitätsgesich tspu n kten o rien tierter C h arakter der
Freundschaft auch a u f die engeren Kreise derer beziehen konnte, die sich gegenseitig zu abendlichen
G astm ählern besuchten - was trad ition ell als Z eich en persönlich er N ähe galt5'1 - , zeigt wiederum
eine Selbstauskunft C icero s: E r schreibt in einem B r ie f an Varro aus dem Jah re 4 6 : „... ich speise bei
denen, die je tz t das H eft in der H and haben (qui nunc dominantur). Was soll ich denn m achen?
M an muss sich in die Z e it sch ick e n !“” Einige der Personen, an die C icero solche Briefe schickte,
gehörten dem gegenüber zu einem K reis von familiäres, von engen V ertrauten, die in der Regel in
engem K o n tak t m it ihm standen und m it denen ihn eine p ersönliche N ahbeziehung verband56.
Fragt m an nun nach der A rt, wie die K aiser die Freundschaft m it der A ristokratie handhabten,
so kann man von den bei C icero erkennbaren häuslichen Interaktionskreisen ausgehen und drei
K ategorien von Freunden unterscheiden: E in sehr weiter Kreis, der zu den m o rgend lichen saluta­
tiones erschien, ein engerer Kreis, der (zusätzlich) zu den üblicherw eise aus neun Personen besteh en ­
den G astm ählern hinzugezogen wurde und dessen M itglied er die K aiser (in der frühen K aiserzeit)
auch gelegentlich selbst besuchten, schließ lich ein Kreis von Freunden, m eist als familiäres, proximi, sttmmi amici, rracvu (j>fXoi oder m it ähnlichen W endungen bezeich net, die in einem engen
V ertrauensverhältnis zu ihnen standen, die teilw eise dauerhaft in ihrem Haus bzw. Palast lebten und
ihr G efo lge bildeten.
D ie E n tw icklun g der kaiserlichen Freundschaft lässt sich anhand der Veränderungen dieser
Kreise verfolgen’ . D ab ei ist - entsprechend der dargestellten Problem lage - von besonderem
« Cic. Phil. 2 ,40f.
v’ Cic. Att. 1, 18, 1. „So ist zwar mein Haus,“ schreibt er, „zur Morgenstunde voll, und dicht umringt von
Freimdesseharen (gregibus amicorum) gehe ich aufs Forum; aber unter der ganzen Schar ist kein einziger, mit
dem ich unbefangen scherzen oder vertraulich meinem Unmut Ausdruck geben könnte!1
’4 Vgl. Cic. tarn. 9, 26 (24), 3.
^ Cic. fam. 9 ,4 (7), 1.
Die Veränderungen der Freundschaft in der späteren Republik scheinen den Hintergrund zu bilden für die
Aufnahme griechischer Freundschaftsphilosophie und für die Propagierung einer - modern erscheinenden Freundschaft als zwecktreier Interpersonahtat, wie sie sich z.B. in Ciceros Laelius findet. Vgl. dazu Winterling,
Freundschaft (wie Anm. 1) 308, 315f.
v Vgl. zum Folgenden ausführlicher Winterling, Aula Caesaris (wie Anm. 1) 1 6 1-191; zu den kaiserlichen salu­
tationes ebd. 117-144, zu den Gastmählern ebd. 14 5 -1 6 0 . Grundlegend zu salutationes und Gastmählern jetzt
222
Aloys W in te rli n g
Interesse die Frage, ob die Beziehungen zu den Kaisern einen institu tionellen, unpersönlichen
C h arakter hatten oder ob sie von persönlichem Vertrauen gekennzeichnet waren. Aufschlussreich
ist zudem das Verhältnis der Stellung, die die jew eiligen Freunde in der allgem einen aristokrati­
schen R angordnung ein nah m en , zu ihrer P osition h in sichtlich ihrer N ähe zum Kaiser. Ergänzend
sind die testam entarischen Schenkungen seitens der Kaiser und an die K aiser zu b eachten, die als
Ind ikatoren fürrfw/V/#rf-Beziehungcn zu gelten haben.
Augustus em pfing, wie Cassius D io b erich tet, in seinem H aus auf dem Palatin regelm äßig den
Senat, die R itte r und bei besonderen Festtagen viele aus dem Volk zu seiner m orgend lichen salutatiö*. D ie in der späten R epu blik b eob achtb are aristokratische K onku rrenz um m öglichst große
Freundeskreise und entsp rechend e A ufw artungen bei der salutatio fand som it einen A bschluss’9:
Alle Senatoren und ein großer K reis vornehm er R itte r gehörten nun entsprechend den traditionellen aristokratischen U m gangsform en zu den „Freunden“ des K aisers60. A n Sitzungstagen des Senats
begrüßte Augustus die Senatoren ausschließlich in der Kurie, um einen ungestörten Sitzungsverlauf
zu sichern 61, was zeigt, dass es sich bei der Inszenierung der kaiserlichen Freundschaft m it allen um
ein h ö ch st zeitraubendes V erfahren handelte. D a „der Sen a t“ zur salutatio em pfangen wurde, wird
deutlich, dass die Freundschaftsbeziehung zu den Senatoren - obw ohl Augustus durch n am entliche
Begrü ßung ohne H ilfe eines N om en klators anderes signalisierte62 - als solche n och keine persö nli­
che N ahbeziehung war, sondern einen institu tionellen C h arakter hatte: D er K reis k on stitu ierte sich
durch den senatorischen Status der A u fw artenden. M itglied schaft in der p olitischen Institu tion
Senat h atte als solche kaiserliche Freundschaft zur Folge.
D er Kreis der zu den salutationes H inzugezogenen dürfte in etwa denen entsp rochen haben, die
den K aiser testam entarisch besch en kten. Es wird b erich tet, Augustus seien in den letzten zwanzig
Jah ren seines Lebens 1,4 M illiarden H S - also 7 0 mal so viel wie C icero - ex testamentis amicorurn
zuteil geworden, w obei er die G eld er - dam it kam er dem in stitu tionellen C h arakter der Beziehung
nach - für Zwecke der res publica ausgegeben habe. E r selbst bed achte die primores civitatis, w om it
v.a. die alten Fam ilien des republikanischen H ochad cls, der N o b ilität, gem eint sein dürften, durch
A ufnahm e als Erben d ritten G rades in sein Testam ent - obw ohl sie ihm verhasst gewesen seien.
Als M otiv für die G egengaben wird sein Streben nach R uhm (gloria ) bei der N achw elt genan n t03.
Goldbeck, Salutationes (wie Anm. 7) und Dirk Schnurbuscb, Convivium. Form und Bedeutung aristokratischer
Geselligkeit in der römischen Antike (erscheint vorauss. Stuttgart 2011).
58 Cass. Dio 56 ,2 6 . 2f.
59 Vgl. Rilinger, Domus (wie Anm. 37) 1 1 4 -1 1 6 ; Goldbeck, Salutationes (wie Anm. 7) 2 1 7 -2 4 6 .
K) Zur Vermeidung von Missverständnissen sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es sich bei dem weitesten,
durch die Zulassung zur salutatio ausgezeichneten Kreis von Personen nicht um solche handelt, die im moder­
nen Sinne eine persönliche Nahbeziehung mit den Kaisern verband, wohl aber um solche, die entsprechend
traditionellen römischen Verhaltensregeln ein amicitia -Verhältnis (in Mommsens Worten: eine unpersönliche,
institutionelle „Hausfreundschaft“ [StR II 2, 834h]) mit ihnen pflegten. Dass diese Personen - mehr oder we­
niger die gesamte römische Aristokratie - in den literarischen Quellen normalerweise nicht explizit als kaiser­
liche Freunde angesprochen werden, liegt in der Natur der Sache begründet. Ihre Bezeichnung als amici ergab
sich allerdings in Grenzfallen: z.B. wenn der Kaiser sie gegenüber Provinzialen als amicus mens titulierte (vgl.
die Beispiele bei Fergus Millar, The Emperor in the Roman World [31 B.C .-A .D . 337] [London “1992] 115h
A. 4 4 -4 6 ) oder wenn ihnen die Freundschaft aufgekündigt und damit der Besuch des kaiserlichen Hauses ver­
boten wurde (vgl. dazu oben Anm. 34).
MSuet. Aug. 53, 3; Cass. Dio 5 6 ,4 1 ,5 ; 5 4 ,3 0 , 10.
Suet. Aug. 53,3.
i’-' Iac. ann. 1,8, 1; Suet. Aug. 101, 3; vgl. 66, 4.
D i e F r e u n d s c h a f t tier r ö m i s c h e n K a i s e r
223
D as bed eutet, dass die unpersönlich gestaltete Freundschaftsbeziehung zu den V ornehm sten für
Augustus ein w ichtiges E lem en t der M an ifestation seiner alle übertreffenden Stellung war. D er
K aiser nutzte also die trad ition elle sym bolische Fu nktion aristokratischer Freundschaft in der
h öch st m öglichen Steigerung zu seiner p ersönlichen R angm anifestation. Dass es ihm um instrum entelle Fu nktionen (gegenseitige U n terstü tzu n g) n ich t ging, zeigt der (verm utlich gegenseitige)
Hass und die N utzung der Schenkungen für die res publica.
A uch der engere Kreis der zu den kaiserlichen G astm ählcrn hinzugezogenen A ristokraten erfuhr
unter Augustus eine Ausweitung. Je d o c h blieben die Form en auch hier dieselben: N eun Personen
lagerten im T riclin iu m um einen T isch . D afü r h ielt der Kaiser, so Su eton , „ständig“ G astm äh ler ab,
bei denen er m eist später kam und früher w ieder ging, was - wie die B erich te über die salutatio - auf
Z eitp rob lem e infolge der A usw eitung a u f m öglich st viele Personen bei gleich bleibend en Form en
verw eist1’1. D ie genaue R eko n stru k tio n der Eingeladenen ist n ich t m öglich, da detaillierter nur
von G astm ählcrn b erich tet wird, die im Kreise der kaiserlichen Fam ilie stattfand en. D er Bericht,
Augustus habe bei der Auswahl der G äste genauestens auf den Stand und die Personen geach tet65,
deutet darauf hin, dass auch h ier keine besonders nahestehenden Freunde des Kaisers dom in ierten,
sondern verm utlich die genannten nobiles.
Fragt man nach Freunden, zu denen der K aiser nach den expliziten A ngaben der Q u ellen eine au f
p ersönlichem Vertrauen basierende N ahbeziehung hatte, so lassen sich herv orh eben : M aecenas, der
schon w ährend der Bürgerkriege eine besondere Stellung ein nah m 6*, C . Proculeius, den Augustus als
Schw iegersohn in Erw ägung z o gf', Sallustius Crispus, der als particepssecretorurn b ezeich net wird4*,
sowie M . Agrippa und Statilius Taurus, w elche der Kaiser als magni adiutores adgubernandam fortunam suam n utzte69. Es h andelte sich som it einerseits um R itter, andererseits um Senatoren , deren
novitas fam iliae auch in kaiserfreundlichen Q u ellen deutlich hervorgehoben w ird'", die von ihm für
w ichtigste m ilitärische Fu nk tion en verw andt und durch K onsulate, T rium phe und Priestertüm er
geeh rt wurden. D .h . die kaiserliche Freundschaft zu M itglied ern der v ornehm en, m ächtigen repub­
likanischen A delsfam ilien besch rän kte sich, ebenso wie die zu den übrigen Senatoren insgesam t, au f
unpersönliche, institu tionelle Beziehungen - die gleichw ohl in den tradition ellen Form en der amicitia abliefen. D er enge K reis von fam iliäres' 1 dagegen bestand aus R itte rn und ehem aligen R ittern ,
d.h. aus Personen oh ne besonderes Abstam m ungsprestige, von denen einige durch den K aiser zu
h och stehend en und m ächtigen Senatoren wairden.
Sch o n dem alten Augustus wurden die zeitraubenden salutationes zu anstrengend; G egenbesuche
in aristokratischen H äusern un terließ er in seinen letzten Ja h re n 72. A uch T ib eriu s setzte die anfäng­
lich e augusteische Praxis nur m od ifiziert fort. E r versuchte vielm ehr, wie dies schon an der oben er­
64 Suet. Aug. 74; vgl. 76, 2, wonach der Kaiser bei seinen Gastmählcrn selbst nicht mitspeiste.
M Die Auswahl erfolgte non sine magno ordinum hommumque dilectu. (Suet. Aug. 74)
66 Suet. Aug. 66, 3; Iäc. ann. 3, 30, 2; Cass. Dio 52, 1, 2; 51, 3, 7; PIR 2 M 3 7 ■
, Alfred Kappelmaeber, Maecenas 6,
RE 14, 1 (1928) 2 0 7 -2 2 9 .
6 Tac. ann. 4, 40, 6; Plin. nat. hist. 36, 183: C. Proeuleitim Augusti Caesaris familiaritatesubnixum; P IR 2 P 985;
Rudolf Hanslik, Proculeius 2, RE 23, 1 (1957) 7 2 -7 4 .
68 Tac. ann. 1,6, 3; vgl. 3, 3 0 ,2f.; PIR 2 S 87; Arthur Stein, Sallustius 11, RE 1 A 2 (1920) 1955-1956.
“ Veil. Pat. 2, 127, If.; M. Vipsanius Agrippa: P IR 1 V 457; Rudolf Hanslik, Vipsanius 2, RE 9 A 1 (1961)
1226-12 7 5 ; T. Statilius Taurus: PIR 2 S 853; Alfred Nagt, Statilius 34, RE 3 A 2 (1929) 2 1 9 9 -2 2 0 3 .
'•’ Veli. Pat. 2, 127, 1.
1 Agrippa bewohnte ein Haus im Bereich des augusteischen Wohnkomplexes auf dem Palatin; vs;l. Cass. Dio
5 3 ,2 7 ,5 .
2 Suet. Aug. 53,3.
224
A lo y s W i n t e r l i n g
wähnten Freundschaftsaufkündigung gegenüber Pom ponius Labeo zu sehen war, die form alisierten
Freundschaftsbeziehungen zum Senatorenstand und seine persönlich en N ahbeziehungen getrennt
zu halten. N ach Cassius D io pflegte er die Beziehungen zu seinen Freunden (sxcüpoi) so, wie er dies
als Privatm ann, d.h. vor seinem K aisertum , getan hatte. Er unterstützte sie vor G erich t und besuchte
sie, wenn sie krank w aren '3. D ie Problem e, die dies - wie bei Augustus und ihm selbst zu sehen hervorrief, scheint er ign oriert zu haben.
D ie Senatoren em pfing er bei der salutatio korporativ, w odurch ihnen U n ann eh m lich keiten im
G ed ränge erspart, aber auch die G elegen h eit zu p ersönlichen G esprächen genom m en wurde"'1.
Es wird berich tet, er habe zu B eginn seiner H errschaft testam entarische Sch en kun gen nur von
Personen angenom m en, die ihm p ersönlich nahe standen. ’ A uch bei seinen G astm äh lern schei­
nen entsprechende U n terschied e gem acht worden zu sein. Einerseits wird von den am tierenden
K onsuln berich tet, die er m it großer Eh rerbietu n g bew irtete, andererseits d om in ierten vielfach
Personen sogar ohne aristokratischen R an g - griechische G elehrte wie der A strologe ‘Ihrasyllus
m it denen ihn p ersönliche N ahbeziehungen verbanden 6. D ie U n um gän glichkeit eines intensiveren
K on tak tes m it einer größeren Z ahl von Senatoren und R itte rn , die sich aus der kaiserlichen R olle
ergab, versuchte T ib eriu s a u f „unpersönliche“ W eise zu regeln: N eben seinen „alten Freunden und
fam iliares“ erbat er sich vom Senat zwanzig prim äres civitatis, gleichsam als R atg eb er in öffentlichen
A ngelegenheiten. Bis a u f zwei oder d rei, so Su eto n , habe er diese je d o ch alle ins U nglück gestürzt ; .
D as dürfte bedeuten, dass sie in V erschw örungen und M ajestätsprozesse verw ickelt wurden, die die
spätere R egierungszeit des Kaisers dom in ierten.
A n Personen senatorischen oder ritterlich en Standes, die dem gegenüber ein Vertrauensverhältnis
zum K aiser hatten, werden n am entlich erw ähnt: Lucilius Longus, der ihn schon ins Exil nach
R h od os begleitet h atte75, C o cceiu s Nerva, proxim us am icorum , der ihm als einziger Sen ator nach
C apri folgte79, Pom ponius Flaccus und L. Calpurnius Piso (p o n tifex ), die als T eilnehm er an
G elagen des Kaisers erw ähnt und von ihm als iuctmdissimi et om nium horarum am ici b ezeich net
w urden80, C n . C orn elius Lentulus und L. Seius T ubero, die Intim i ipsius am ici genan n t werden“1,
C ossus C orn elius Lentulus, von dem es h eiß t, er habe secreta rnandata des Kaisers ausgeführt82, L.
Salvius O th o , der als besonderer earns des Kaisers bezeich net wird83, und C u rtiu s A tticus, der den
Kaiser als einziger v ornehm er R itte r (n eben Seianus) nach Capri begleitete8'. Sie alle überragte h in ­
sichtlich der N ähe zum K aiser der ritterlich e P rätorianerpräfekt Aelius Seian us8’.
Cass. Dio 57, 11,7.
' Cass. Dio 57, 11, 1.
^ Tac. ann. 2, 48, 1f.; Cass. Dio 57, 17, 8; vgl. 58, 16,2.
6 Cass. Dio 57, 11, 3; Suet. Tib. 56 (eonvictores Graeeuli); Ihrasyllus: l ue. ann. 6, 21, 3: Suet. Tib. 62, 3; Cass.
Dio 57, 15,7.
7 Suet. Tib. 55.
8 Tic. ann. 4, 15, lf.; PIR 3 L 389: Franz Miltner, Lucilius 27, RE 13,2 (1927) 1645-1646.
Tac. ann. 4, 58, 1; 6, 26, lf.; PIR 3 C 1225; Pauljörs, Cocceius 14, RE 4, 1 (1900) 131-132.
8,1 Suet. Tib. 42, 1; PIR P 715; Werner F.ck, Pomponius 46 a, RE Suppl. 14 (1974) 4 3 9 -4 4 0 ; PIR3 C 289;
Edmund Grvag, Calpurnius 99, RE 3,1 (1897) 1 3 9 6 -1 3 9 9 ; Calpurnius 99, RE Suppl. 1 (1903) 272; Calpurnius
99, RE Suppl. 6 (1935) 20.
8i Tac. ann. 4, 29, 1; PIR 3 C 1379; Edmund Groag, Cornelius 181, RE 4, 1 (1900) 1363-1 3 6 4 ; PIR 3 S 324; Max
Fluss, Seius 17, RE 2 A 1 (1921) 1126 -1 1 2 7 .
83 Sen. ep. 8 3 ,1 5 ; PIR3 C 1380; Fdmitnd Groag, Cornelius 182, RE 4, 1 (1900) 1364-1365.
81 Suet. Otho 1, 2; PIR 3 S 141; Alfred Nagl, Salvius 17, RE 1 A 2 (1920) 2 0 2 9 -2 0 3 1 .
8'' Tac. ann. 4, 58, 1; PIR3 C 1609; Arthur Stein, Curtius 14, RE 4 ,2 (1901) 1866.
85 PIR 3 A 255; Paul v. Rohden, Aelius 133, RE 1, 1 (1893) 52 9 -5 3 1 .
D i e H 'e u n d s c h a lt d e r r ö m is c h e n K a is e r
225
A ufschlussreich ist, dass sechs der G en an n ten homines novi der ersten oder zw eiten G en eration
bzw. R itte r waren81’. D ie vier übrigen stam m ten aus vornehm en republikanischen Fam ilien: C n .
Lentulus und Seius T u b eo , als prim äres civitatis bezeichnet, wurden im Jah re 2 4 wegen einer
Verschw örung angeklagt. D ass Calpurnius Piso eines natürlichen Todes starb, stellte, so b eto n t
Iacitus, in jen er Z e it eine Selten h e it bei einer so bekannten P ersön lich keit dar. Auch Cossus
Lentulus stam m te aus einer vornehm en Adelsfam ilie. W ie Piso wurde auch er von T ib eriu s zum
Praefectus U rbi ernannt. N ach Seneca handelte es sich bei beiden um gew ohnheitsm äßige Trinker.
D er K aiser habe Cossus zum Stadtp räfekten gem acht, weil er m it der T ru n ksu ch t des Piso so gut ge­
fahren sei5' . B erichte, Cossus sei von einem G elage kom m end d irekt in den Sen at gegangen und habe
dort „überw ältigt von tod esäh nlich em S c h la f“ weggetragen werden m üssen58, m ögen übertrieben
sein. Sie dürften jed o ch ein beschränktes A ktivitätspotential des Stadtp räfekten dokum entieren.
Es zeigt sich som it auch bei T ib eriu s ein Ü berw iegen von aristokratischen Freunden eher ge­
ringerer sozialer H erkunft im Kreis der persönlichen V ertrauten. A nders als Augustus jed o ch sichtb ar auch am V erzicht a u f Erbschaften - pflegte er keine (u npersön lich en ) N ahbeziehungen
zur A ristokratie insgesam t in den alten Form en aristokratischer Freundschaft, vielm ehr m inim ierte
er die form alisierten freundschaftlichen K o n tak te au f das un bed in gt N otw endige. Aufschlussreich
ist, dass der dam it verbundene w eitgehende V erzicht a u f kaiserliche Statusm an ifestation durch
Freundschaft dem V erhältnis des T ib eriu s zur A ristokratie keineswegs zugute kam . D ie distanzierte
Behandlu ng der ihm n ich t p ersönlich nahestehenden Freunde, also der Senatoren insgesam t, er­
schien vielm ehr als Rückzug aus der aristokratischen Interaktion, den der K aiser dann durch seine
lange A bw esenheit von R om und seinen A u fenthalt au f der Insel C apri auch tatsächlich vollzog.
D ie G efäh rlich k eit eines solchen
Rückzuges aus den Freundschaftsbeziehungen
m it der
A ristokratie insgesam t zeigte sich an den beiden zentralen P hänom enen der H errschaft dieses
Kaisers, an den M ajestätsprozessen sowie am Aufstieg und Sturz des Seianus89: Jew eils standen da­
h in ter aristokratische Versuche, die G u n st des zurückgezogenen Kaisers - durch Erregung seiner
A ufm erksam keit oder durch die G u n st des einzigen G iinstlings - zu erringen. D ie Folge war, dass der
K aiser in der A ristokratie sch ließ lich vollständig verhasst war, wovon die (m eh r als ü blich) zirkulie­
renden Pam phlete Z eugnis ablegten, und dass Seianus, sichtbar an der salutatio in seinem Haus, zu­
nehm end in die patronale R o lle des Kaisers schlüpfte und seine B edeu tu ng so stieg, dass sie sch ließ­
lich die Stellung des Kaisers selbst zu bed rohen schien. D e r gänzliche V erzicht a u f Freundschaft m it
der A ristokratie war keine Lösu n g der paradoxen Struktur kaiserlicher Freundschaft. D ie Folge war
vielm ehr, dass ihre instru m enteile Fu nktion von jem and em , der sie zu nutzen verstand, ausgeübt
wurde, was die paradoxen Folgen für den K aiser n o ch steigerte.
A ngesichts der an Verschw örungen und M ajestätsprozessen deutlich sichtbaren realen R ivalitäten
und gegenseitigen G efährdungen von K aiser und v.a. Senatoren aus hochrangigen Fam ilien hatte
die form alisierte, institu tio n elle Freundschaft zwischen beiden, wie sie v.a. von Augustus b erich ­
tet wird, stets einen unaufrichtigen, doppelbödigen Charakter. So wird auch als G ru n d für die
D istan zierth eit des T ib eriu s b erich tet, dass ihm die Sch m eich elei von Senatoren, die ihm ihre
A ufw artung m achen oder D in ge m it ihm besprechen w ollten, äußerst zuwider war90. C aligu la ist
8(1 Luciläus Longus, Cocceius Nerva, Pomponius Eiaeeus, Salvius Otho, Curtius Attieus, Seianus.
8 Sen. ep. 83, 15.
88 Ebd.
Dazu kurz: Aloys Winterling, Caligula. Eine Biographie (Neuausgabe München 2007) 2 6 -3 3 .
80 Suet. Tib. 27, 1; dazu Winterling, Aula Caesaris (wie Anm. 1) 1321. A. 75.
226
A lo y s W i n t e r l i n g
nun der erste, von dem b erich tet wird, dass er die unausgesprochene G egen seite der kaiserlichen
Freundschaft, d.h. ihre instru m entelle Paradoxie, die G efährdung des Kaisers durch seine Freunde,
offen aussprach. N ach einer V erschw örung m it Beteiligu ng senatorischer Kreise h ielt er eine Rede
im Senat und b ezichtigte die Senato ren offen der Feindschaft gegen ihn 91. E r brach je d o ch keines­
wegs die paradoxe W irku n gen zeitigenden „freundschaftlichen“ Form en der K om m u n ikation zu
ihnen ab, sondern verhielt sich in einer W eise, die die A ristokratie zwang, sich ihrerseits paradox
zu verhalten: D ie Besuche bei vornehm en Senatoren, die diese zu ruinösen G eldausgaben zwan­
gen, wairden schon erw äh nt92. In äh nlichem Sin ne dürften die B erichte zu deuten sein, w onach der
Kaiser Personen als „Väter, G roßväter, M ü tter und G ro ß m ü tter“, d.h. als ihm besonders naheste­
hend, b ezeich net habe, um zu ihren Lebzeiten von ihrem Verm ögen zu profitieren und für den Fall
ihres Todes als ihr Erbe eingesetzt zu werden93. Es h eißt, er habe P ersonen durch G eldgeschenke,
d.h. Benefizien, zu G egengeschenken erheblich höheren Ausm aßes gezwungen und sie dam it ö k o ­
nom isch ru iniert9'. D ie betroffenen A ristokraten m ussten sich som it dem Kaiser gegenüber in
den Form en einer tradition ellen Freundschaft verhalten, obw ohl er die gegenseitige Bedrohung
und Feindschaft offen ausgesprochen hatte. D en Senat - also den Kreis der selbst u n m ittelbar
Betro ffen en - ließ er einen Beschluss erw irken, dass alle testam entarischen Sch en kun gen , die noch
lebende Personen T ib eriu s h atten hinterlassen w ollen, je tz t autom atisch an ihn übergingen, w o­
durch der in stitu tionelle C h arak ter der Freundschaftsbeziehung zum Kaiser, der unabhängig von
der jew eiligen Kaiserperson war, oftengelegt wurde9’ .
H in sich tlich der fan iiliares C aligulas, die senatorischen Standes waren und von denen ausdrück­
lich ein persönliches Vertrauensverhältnis zum K aiser berich tet wird, ist aufschlussreich, dass sie
sich wiederum aus der G ruppe derer rekru tierten, die erst in erster oder zweiter G en eration durch
kaiserliche Förderung in den Senat gelangt waren: so L. V itellin s, S o h n eines Procurators des
Augustus und Vater des späteren K aisers96, A . V itellius, dessen S o h n 9', und Valerius A siaticus, der
provinzialer H erkunft war98. D er einzige nobilis, von dem eine enge N ahbeziehung m it dem Kaiser
b erich tet wird, war sein Schw ager A em ilius Lepidus, Ehem ann der D ru silla, den er sogar zeitweise
als N achfolger vorgesehen hatte. E r wurde als Z entralfigur einer Verschw örung gegen den Kaiser
h in gerich tet99. In den letzten Ja h ren seiner H errschaft d om in ierten in der engsten U m gebung des
91 Cass. Dio 59, 16.
92 Philo leg. 344.
' Cass. Dio 59, 15,6.
9'>Philo kg. 343.
95 Cass. Dio 59, 15, 1. Durch eine Verfügung des Antoninus Pius, wonach testamentarische Legate an einen
Kaiser bei seinem Ableben automatisch an seinen Nachfolger übergingen, wurde die Innovation Caligulas dau­
erhaft rechtskräftig: Dig. 31, 56.
® P IR 1 500; R udolf Hanslik, Vitellius 7 c, RE Suppl. 9 (1962) 17 3 3 -1739; nach Cass Dio (59,
5f.) er­
reichte er durch Unterwürfigkeit und Schmeichelei, dass er zu den engsten Freunden (uavu c i/.oi) des Kaisers
gezählt wurde.
‘r P IR 1V 4 9 9 ; Rudolf Hanslik, Vitellius 7 b, RE Suppl. 9 (1962) 1 7 0 6 -1733; vgl. Suet. Vit. 4f.: Er besaß/>ra«7pmmi in aula locum, war familiaris der Kaiser Caligula und Claudius. Nero war er sogar noch aaeptior. Durch
die Gunst {indulgentia) dreier Kaiser sei er zu den höchsten Ämtern und Priesterstellen gelangt.
* PIR* V
Rudolph IVeynand, Valerius 1
RF. 7 A 2 (1948) 2341
Sen. de const, sap. 18,2: Asiatic,im
Valerium in primis amicis habebat (sc. C. Caesar); vgl. los. ant. lud. 19, 102 (Anwesenheit in der unmittelbaren
L2mgebung Caligulas).
59 PIR 2 A 371; Paul v. Rhoden, Aemilius 76, RE 1, 1 (1893) 563; persönliche Nahbeziehung: Suet. Cal. 36, 1;
Cass. Dio 59, 22, 6f.; vgl. 59, 11, 1; 22, 6; Verurteilung wegen der Verschwörung: Suet. Cai. 24, 3; Suet. Claud.
9; Cass. Dio 59, 2 2 ,7 .
V
27,
25;
06,
-2345;
D i e F r e u n d s c h a ft d e r r ö m is c h e n K a is e r
227
Kaisers keine aristokratischen Freunde mehr, sondern der Freigelassene
C allistus,’ die - aus Ogänzlich
O
unbekannten Fam ilien stam m enden - ritterlich en Prätorianerpräfekten und seine G em a h lin 100. Sie
berieten ihn in allen A ngelegenheiten - und in ihrem Kreis wurde die V erschw örung vorbereitet,
der er zum O p fer fiel101.
U n ter seinem N achfolger Claudius wurden die Tendenzen der Institu tionalisierun g und
„E n tp ersön lich u n g“ der kaiserlichen Freundschaft m it der A ristokratie deutlich fortgesetzt - wenn
auch m it weniger anstößigen U m gangsform en als bei Caligula. W äh ren d seiner H errschaft wur­
de erstm als ein großflächiger Palastbau e rric h te t'0’, und der K aiser lud, so h eiß t es, „dauernd“ bis
zu 6 0 0 Personen gleichzeitig zu G astm ählern ein, woran seine eigenen K inder und stets auch die
K naben und M ädchen der vornehm sten A ristokratie (cum pueris puellisque nobilibus) teilgen om ­
m en h ä tte n .103
D ie Veränderungen des Claudius b ed euteten, dass je tz t ein großer Teil des Senatorenstandes in
einen Status kaiserlicher Freunde einrückte, der ursprünglich einem kleineren Kreis Vorbehalten
gewesen war. N eben dem w eitesten Kreis der zur salutatio erscheinenden Personen bekam dadurch
auch dieser ursprünglich engere Kreis der m it dem K aiser in Freundschaftsbeziehungen steh en ­
den A ristokraten einen institu tio nellen C harakter, indem die vornehm sten Senatoren und weite
Kreise der Senatorenschaft als solche, unabhängig von persönlichen Beziehungen zum Kaiser, h er­
angezogen w urden. Ein N eb en effek t war, dass m an Sicherh eitsproblem e fü rchtete und regelm äßig
Leibw ächter bei den G astm äh lern des Kaisers anwesend w aren 10'. Außerdem wird b erich tet, dass
bei der kaiserlichen Tafel G esch irr entw endet w u rd e10’.
Im G egenzug steigerte C laudius die schon in der letzten Z e it des C aligu la begonnene
Entaristokratisierungdes engsten Kreises der ihm persönlich V ertrauten: die freigelassenen Sekretäre
des Kaisers, p rom in en t Pallas, N arcissus und C a llistu s'06, und die K aiserinn en M essalina bzw.
A grippina fungierten als Berater in allen A ngelegenheiten und als „broker“ (im Salier sehen Sinne)
kaiserlicher Benefizien an die A ristokratie. D ies zeigen deutlich die hasserfüllten Q u ellenb erichte
über ihre M a ch t und B e ste c h lic h k e it107.
Im Kreis der Senatoren, von denen ein besonderes V ertrauensverhältnis zum K aiser b erich tet
wird, d om in ierten wiederum Personen aus neuen Fam ilien: L. V itellin s, der die familiaritas auch
500 Siehe Cass. Dio 59, 25, 7 (Zon./Exc. Vat.), wonach neben der Kaiserin Caesonia die Präfekten der Garde
zusammen mit Callistus zu den engsten Vertrauten Caligulas kurz vor dessen Ermordung zählten. Bekannt ist
nur einer der Prätorianerpräfekten (M. Arrecinus) Clemens (P1R2 A 1073; Paul v. Rhoden , Arrccinus 1, RE
2, 1 [1895] 1226); zu C. Iulius Callistus, a libellis, siehe PIR 2 1 229; Arthur Stein, Iulius 306, RE 10, 1 (1917)
6 5 7 -6 5 8 .
101 Zur letzten Verschwörung siehe Winterling, Caligula (wie Anm. 89) 163-170.
"’2 Zu den literarischen Quellen: Winterling, Aula Caesaris (wie Anm. 1) 6 1 -6 5 ; zu den archäologischen
Zeugnissen Natascba Sojc, Domus principum. Ursprung und Entwicklung der Kaiserpaiäste auf dem Palatin in
der Zeit von Augustus bis Hadrian (maschr. Habilitationsschrift, Würzburg 2009) bes. 131 f.; sowie die einschlä­
gigen Beiträge eines Kolloquiums in Berlin, in: dies. u.a. (Hg.), Palast und Stadt im sevcrischen Rom (vorauss.
2012 ).
i0’ Suet. Claud. 32.
101 Suet. Claud. 35; Cass. Dio 60, 3,3 .
101 Tac. hist. 1,48, 3; Suet. Ciaud. 32.
1,)t’ M. Antonius Pallas, a mtionibus: PIR 2 A 858; Paul v. Rhoden, Antonius 84, RE 1, 1 (1893) 2 6 3 4 -2 6 3 5 ;
Narcissus, ab epistulis-. PIR 2 N 23; Arthur Stein, Narcissus 1, RE 16, 2 (1935) 1701-1 7 0 5 ; zu Callistus siehe
oben Anm. 100.
10 Suet. Claud. 28; Cass. Dio 61 (60) 30, 6 b (Zon.); Tac. ann. 12, 1,2.
228
A lo y s W i n t e r l i n g
dieses Kaisers g enoss108, wurde im Ja h re 4 7 die außergew öhnliche Eh ru ng durch ein drittes K onsulat
zuteil; auch sein Soh n Aulus war familiaris ties Claudius und erreichte h ö ch ste Ä m te r1051. Besondere
kaiserliche Freundschaft und daraus resultierende M a ch t in der un m ittelbaren U m gebung des
Kaisers wird z.B. auch von P. Suillius Rufus, einem Senato r aus un bek ann ter Fam ilie berich tet, der
durch kaiserliche Förderung zum K on su lat gelan gte1“’.
Auch unter Claudius zählte m it C . Appius Iunius Silan us ein aus besonders vornehm em Hause
stam m ender Senator, ein patrizischer nobilis, der m it der M u tter der K aiserin M essalina verheiratet
wurde, zu den „am engsten B efreu n d eten “ des K aisers111. Von ihm wird b erich tet, dass er sich die
Feindschaft der Kaiserin und des Narcissus zuzog, einer Intrige zum O p fer fiel und h in gerichtet
w urde112. Ein anderer Senator, der über vetus nobilitas verfügte, Ser. Sulpicius G alb a, stand in h o ­
her G u nst (gratissimus) des Claudius, da er sich bei dessen T hronerh eb u n g ru hig verhalten hatte,
obw ohl viele ihm geraten h atten, selbst nach dem K aisertum zu g reifen 11’. G alb a scheint sich der
G efah r seiner Stellung als nobilis in besonderer N ähe zum K aiser bew usst gewesen zu sein. U n ter
N ero jedenfalls legte er als S ta tth a lte r dem onstrative Inaktivität an den lag , um so m ögliche
V orw ürfe zu w iderlegen11'1 - und trug letztlich entscheidend zu dessen E n de bei, da er sich dann
doch zum K aiser ausrufen ließ.
Von N ero wird von der ersten Z e it seiner H errschaft ebenfalls die Fortfü hru n g der traditionellen
Freundschaftskom m unikationen m it der gesam ten A ristokratie b erich tet. E r h ielt salutationes ab
und begrüßte A ngehörige aller Ständ e dabei sogar aus dem G ed ächtnis, also oh ne U nterstützung
durch einen nom enclatorn \ was die offizielle A u frechterhaltung des persönlich en C harakters der
dabei inszenierten Beziehungen bed eutete. U n ter H inzuziehung des gesam ten Senates wurden
G astm äh ler abgehalten; auch von solchen m it K indern der nobiles wird b e ric h te t116.
D aneben h atte N ero einen aristokratischen Kreis von Personen um sich, m it denen ihn persönli­
che N ahbeziehungen verbanden. Für die Z e it seit der E m anzipation des ju ng en Kaisers von Seneca
und A grippina lassen sich als pro m in en te Beispiele an füh ren: Claudius Senecio, R itte r und Soh n
eines Freigelassenen11’, M . (Iulius) Vestinus A tticus, Senator ritterlich er H erk u n ft118, P. Petronius
N iger (A rb iter), Senato r von unklarer H erk u n ft119, M . Salvius O th o , Soh n eines K onsu lats und spä­
terer K aiser120, der ein erfa m ilia nova entstam m te, die durch Livia in den Senat und zum Patriziat
^ Tac. ann. 6, 32, 4. Vgl. oben Anm. 96.
Tac. ann. 6, 32, 4. Vgl. oben Anm. 97.
P IR 2 S 970; M ax Fluss, Suillius 4, RE 4
110
A 1 (1931) 719-722; vgl. Tac. ann. 4, 31, 3; 11,2, 1 (EinBuss intra
cubiculum).
1,1 Cass. Dio 60, 14, 2f.; P IR 2 1 822; Emst Hohl, Iunius (Silanus) 155, RE 10, 1 (1917) 1085-1087.
112 Suet. Claud. 29, 1; 37, 2.
113 PIR 2 S 1003; Max Fluss, Sulpicius 63, RE 4 A 1 (1931) 7 7 2 -8 0 1 ; vetus nobilitas: Tac. hist. 1, 49-, gratissimus
Claudio: Suet. Galba 7, 1.
114 Suet. Galba 9, 1.
m Suet. Nero 10, 2.
lu' Ersteres lässt sich erschließen aus Suet. Nero 43, 1; vgl. Tac. ann. 13, 16.
u 7äc. ann. 15, 50, 2: e praeeipua familiaritate Neronis-, PIR 2 C 1016; Arthur Stein, Claudius 339, RE 3, 2 (1899)
2867.
m Tac. ann. 15, 68, 3: intirna sodalitas mit Nero; P IR 2 I 624; Rudolf Hanslik, Vestinus 3, RE 8 A 2 (1958)
1788-1789.
Tac. ann. 16, 18, 2: inter paueos familiarium Neronis; PIR 2 P 294; Wilhelm Kroll, Petronius 29, RE 19, 1
(1937) 1201-1214.
12"Suet. Otho 2 ,2 : summum inter arnicos loeunr, Tic. ann. 1 3 ,4 5 ,4 ; 13, 46, 3: flagrantissimus in amicitia Neronis-,
familiaritas-, P IR 2 S 143; AlfredNagl, Salvius 21, RE 1 A 2 (1920) 2 0 3 5 -2 0 5 5 .'
D i e F r e u n d s c h a ft d e r r ö m is c h e n K a is e r
229
gekom m en w'ari2i, A. V itellin s, der spätere Kaiser, der wie schon unter C aligu la und Claudius auch
bei N ero zu den kaiserlichen familiares g e h ö rte1” , und der ritterlich e Prätorianerpräfekt O fo n iu s
T igellinus, der v.a. in den letzten Ja h ren N eros über großes Vertrauen des Kaisers verfügte und
obscuris parentibus w ar125. N eben den genannten (m än n lich en ) senatorisehen oder ritterlichen
Personen werden Freigelassene wie H eliu s12'1oder P olyclitu s12’ und Frauen wie C alvia C risp in illa1’6
oder die K aiserin Poppaea Sabina g en a n n t12 , die über große N ähe zu N ero und daraus resultieren­
den Einfluss verfügten.
Bis auf O th o und V itellin s, die zur zweiten bzw. d ritten G en eration der von Kaisern in den
obersten Stand Beförd erten gehörten , h andelte es sieh bei den engsten V ertrauten N eros so m it wie­
derum um Personen, die als erste ihrer Fam ilie in den Senatorenstand gekom m en waren oder die
über ein n och geringeres oder gar kein aristokratisches Abstam m ungsprestige verfügten. D eu tlich
ist die D ifferen z dieser G ruppe zu den bedeutendsten, m it h öch sten Ä m tern ausgezeichneten
V ertretern des Senatorenstandes, den prim ores civitatis o d a prim äres viri, die N ero bei bestim m ten
A ngelegenheiten zu Beratungen hinzuzog, die je d o ch im G egensatz zu den familiares des Kaisers
keinen p olitischen Einfluss au sü b ten 128.
Für das erste Jah rh u n d ert der K aiserzeit - von A ctiu m bis zum Tode N eros - lassen sieh h in ­
sichtlich der Freundschaft m it den Kaisern zusam m enfassend som it folgende K on stanten und
Entw icklungen feststellen: D er engste Kreis von Freunden, die eine p ersönliche N ahbeziehung
m it dem Kaiser verband, die sein Vertrauen und seine G u n st besaßen und die daher über gro­
ße Einflussm öglichkeiten und M ach tch an cen verfügten, rekrutierte sieh fast ausschließlich aus
Personen, die von ihrem Fam ilienh in tergru nd h er in der aristokratischen H ierarchie n iedrig p o ­
sitio n iert waren; außerdem ko n n ten rech tlich d iskrim inierte Personen - Freigelassene und Frauen
- besondere V ertrauensstellungen erreichen. D ie wenigen nobiles, V ertreter des alten republikani­
schen H ochadels, von denen ein N ahverhältnis zu den Kaisern b erich tet wird, wurden fast alle in
Verschw örungen verwackelt, sei es durch eigenes Z utun , sei es durch Intrigen anderer.
H in sich tlich der beiden w eiteren K reise der kaiserlichen Freundschaft: zeigt sich eine Tendenz
zunehm ender Institu tionalisierun g: D er zur salutatio erscheinende Kreis war von A nfang an durch
den gesellschaftlichen Status der Zugelassenen als Senatoren oder R itte r bestim m t. Ab Claudius
wurde auch der Kreis der zu den kaiserlichen G astm ählern eingeladenen Personen n ich t m ehr
durch individuelle Auswahl, sondern w eitgehend durch senatorische Standeszugehörigkeit b e­
stim m t. D a m it wurde die Freundschaft zum Kaiser, die bei diesen beiden Anlässen entsprechend
den traditionellen aristokratischen In teraktion sform en zum Ausdruck kam , eine „unpersönliche“
kaiserliche Freundschaft, eine Freundschaft, die unabhängig von der jew eiligen K aiserperson war.
121 Tac. hist. 2, 48, 2; S u e t. Otho 1,1.
122 S. o. Anm. 9“.
Tac. hist. 1, 72, 1; Tac. ann. 14, 51, 21.: intimis libidinibtis adsumptus-, PIR 2 O 91; P IR 1 S 540; Arthur Stein,
Olonius Tigellinus, RE 17, 2 (1937) 2 0 5 6 -2 0 6 1 .
Suet. Nero 23, 1; Cass. Dio 63 (62) 12, lf.; PIR2 H 55.
125 Cass. Dio 63 (62) 12,3: vgl. Tic. hist. 1, 37, 5; PIR 2 P 561.
Tac. hist. 1, 73: magistra libidinum Neronis-, vgl. Cass. Dio 6.3 (62) 12, 3f.; PIR 2 C 363; Edmund Groag,
Calvins 4, RE 3, 1 (1897) 1413-1414.
12 Tac. ann. 15, 61, 2: intimum comiliormn des Kaisers; PIR 2 P 850; Rudolf Hanslik, Poppaeus 4, RE 22, 1
(1953) 8 5 -9 1 .
128 Tac. ann. 15, 25, 2; Suet. Nero 41, 2.
230
A lo y s W i n t e r l i n g
D iese E ntw icklung ging ein her m it w eiteren gesellschaftlichen Veränderungen. V.a. an den späte­
ren K aisern O th o und V itelliu s ist zu sehen, dass durch kaiserliche Förderung neue aristokratische
Personen in die h öch sten senatorischen Ränge aufrücken, ja sogar K aiserform at bekom m en kon n ­
ten. Z ugleich verschwanden die M itglied er der alten republikanischen N o b ilität, die geborenen
Rivalen der Kaiser, durch Verarm ung, K inderlosigkeit und kaiserliche V erfolgung zunehm end aus
der senatorischen G esellsch aft129. D ies - und der B ru ch in der kaiserlichen Fam ilien k on tin u ität nach
N ero - scheint die Voraussetzung für weitere Institu tionalisierungen der kaiserlichen Freundschaft
gewesen zu sein.
Z unächst schien alles je d o ch in eine andere R ich tu n g zu laufen: N ach N eros T od setzte der
neue K aiser G alba eine aus fü nfzig R ittern bestehende K om m ission ein, die die libemlitates seines
Vorgängers bis auf 10% w ieder zurückfordern so llte1
D ies bed eutete, dass den kaiserlichen benefi­
cia und den dam it verbundenen Freundschaftsbeziehungen zum Kaiser keineswegs ein institu tion el­
ler Charakter, vielm ehr ein generell prekärer Status zugeschrieben wurde. D ie M aßn ah m e erinnert
an den Versuch des T ib eriu s, K aiser u n d privatus voneinander zu unterscheiden, und h ätte bedeutet,
dass N ero ein „privater“ M issbrauch „öffentlich er“ G eld er vorgew orfen wurde, die den kaiserlichen
N achfolger n ich t banden. D ie daraus resultierende U n sich erheit innerhalb der A ristokratie dürfte
zum schnellen Sch eitern G albas beigetragen haben.
Aulus V itellius, seit T ib e riu s m it dem kaiserlichen H o f vertraut und von Jan u ar bis D ezem ber
des Jah res 6 9 Kaiser, b etrieb dem gegenüber eine P olitik, die in die genau entgegengesetzte R ich tu n g
zielte und die in entscheidend en H in sich ten die Form alisierung und Institu tionalisierun g der
freundschaftlichen und patronalen Beziehungen zwischen K aiser und A ristokratie vorantrieb. E r
bestätigte pauschal die von den Kaisern N ero, G alb a und O th o vergebenen beneficia und besetz­
te darüber hinaus die K onsulate auf m ehrere Ja h re im V oraus1' 1. Beides bed eutete eine freiwillige
Selbstbeschränkung der unabhängigen kaiserlichen Gunstvergabe und dam it eine w eitgehende
Berech en barkeit und U n abhängigkeit der kaiserlichen Freundschaft von der jew eiligen kaiserli­
chen Person. U n ter den Flaviern wurde dies fortgesetzt. T itu s, so b erich tet Su eton , bestätigte in
einem E d ikt pauschal die von seinen kaiserlichen V orgängern vergebenen beneficia und ließ n ich t
zu, dass man ihn - wie dies seit T ib e riu s üb lich gewesen sei - erneut darum b a t13“. Auch sch ein t die
Regelm äßigkeit der senatorischen „Lau fbahnen“, die, wie die prosopographische Forschung festge­
stellt hat, unter Vespasian einsetzt, darauf hinzudeuten, dass auch unter den folgenden Kaisern bei
der Besetzung der M agistraturen von der aktuellen kaiserlichen G u n st stärker abgesehen w urde133.
N ich t nur in der instru m entellen, auch in der perform ativen D im en sion entw ickelte V itelliu s die
kaiserliche Freundschaft m it der A ristokratie fo rt: Es wird b erich tet, dass er als erster Kaiser die vor­
nehm sten Senatoren (die Trpwroi, so Cassius D io , d.h. die G ruppe der K on su lare) täglich zu seinen
aufwändigen G astm ählern hinzuzog, dass er sie auch häufig in ihren H äusern besuchte und dass
er sich dadurch die „M ächtigsten “, m it denen er auf ungezwungene W eise speiste, zu Freunden gc-
129 Tac. ann. 3, 55; Matthias Geizer, Die Nobilität der Kaiserzeit [1915], in: Ders., Die Nobilität der römischen
Republik. Die Nobilität der Kaiserzeit, neu hg. vonJürgen von Ungern-Sternberg (Stuttgart "1983) 121-141.
110 Suet. Galba 15, 1.
lM Cass. Dio 64 (65) 6, 1.
132 Suet. Titus 8, 1; vgl. Cass. Dio 66, 19, 3.
133 Vgl. Eric Birley, Senators in the Emperors’ Service, in: PBA 39 (1953) 1 9 7 -2 1 4 ; Werner Eck,
Beförderungskriterien innerhalb der senatorischen Laufbahn, dargescelk an der Zeit von 69 bis 138 n.Chr.,
A NRW 2, 1 (1974) 15 8 -2 2 8 . Vgl. dazu auch den Beitrag von Christer Bruun in diesem Band.
D ie Freundschaft der röm ischen Kaiser
2 31
macht habe (-rtpoo-ETaip^scrBcu)1’’''. Nach den salutationes ab Augustus und den gelegentlich stattfin­
denden Gastmählern ab Claudius bekam damit nun auch der Kreis der täglich am Hof anwesenden
Freunde einen institutioneilen Charakter, indem die Zuziehung nicht - wie noch bei Nero - von
dem persönlichen Verhältnis zum Kaiser, sondern vom Senatsrang der jeweiligen Person abhing.
Auch diese Innovation des Vitellius, die täglichen Gastmähler des Kaisers mit den Vornehmsten der
Senatsaristokratie, wurde von den folgenden Kaisern tortgeführt1 Es blieb Hadrian Vorbehalten,
auch den engsten Kreis aristokratischer familiares nicht mehr nach dem Kriterium des persönlichen
Vertrauens, sondern aus Personen zu rekrutieren, die die höchsten Positionen in der senatorischen
Rangordnung einnahmen.'36
V. Schluss
Überblickt man das Verhalten dev Kaiser gegenüber den Paradoxien, die sich aus dem
Zusammentreffen eines traditionellen multipolaren aristokratischen Freundschaftssystems und ei­
nes neuen hierarchisch strukturierten Systems kaiserlicher Gunst ergaben, so lassen sich folgende
Ergebnisse formulieren:
1. Die Versuche der ersten drei Kaiser, die Widersprüche zwischen Altem und Neuem durch
kommunikatives Geschick zu überdecken (Augustus), das Alte fortzusetzen und das Neue zu ig­
norieren (Tiberius) bzw. das Alte zu ignorieren und auf das Neue zu setzen (Caligula), waren nicht
dauerhaft anschlussfahig.
2. Erfolgreich waren dagegen die Versuche, eine unpersönliche, institutionelle kaiserli­
che Freundschaft zu großen Kreisen der Aristokratie, wie sie sich schon in den senatorischen
Großhaushalten der späten Republik abzeichnete, einerseits und eine Freundschaft, basierend auf
einer persönlichen Vertrauensbeziehung (und die damit verbundene Macht), andererseits vonei­
nander abzukoppeln und erstere in den traditionellen Formen weiterhin zu praktizieren. Es be­
gann mit Augustus (im weitesten Kreis bei der salutatio), wurde von Claudius (bei den großen
Gastmählern) fortgesetzt und v.a. von Vitellius und den ihm nachfolgenden Kaisern (durch die
tägliche Anwesenheit der wichtigsten Senatoren bei den kaiserlichen Gastmählern) in eine vorläufig
endgültige Form gebracht.
3. Hinsichtlich der instrumenteilen Dimension ließen sich die Paradoxien kaiserlicher
Freundschaft mit der Aristokratie - das Rivalitätsproblem - nie völlig entschärfen, da gewisse politi­
sche Positionen (v.a. die Statthalterschaften in den militärisch wichtigen Provinzen), die m it kaiser­
licher Gunst und der daraus resultierenden Macht verbunden waren, mit hochrangigen Senatoren
besetzt werden mussten. Der Ausweg bestand hier bekanntlich darin, „neue Leute“ aus unbekann­
ten Familien heranzuziehen, bei denen die kaiserliche Gunst weniger Gefahr bedeutete13 . Auch
sonst waren es meist senatorische Personen ritterlicher Herkunft oder Personen ritterlichen oder
!>l Cass. D io 64 (65) 2,3 (vgl. 4, 3); 64 (65) 7, 1 (Xiph.).
Siehe Winterling, Aula Caesaris (wie Anm . 1) 154-160.
L'(>Cass. D io 69, 7, 3; Hist. Ang. Hadr. 8, 1. Dazu Winterling, Aula Caesaris (wie Anm. 1) 188f.
L' Vgl. Geza Alföldy, Konsulat und Senatorenstand unter den Antoninen. Prosopographische Untersuchungen
zur senatorischen Führungsschicht (Bonn 1977); Keith Hopkins, Graham P. Burton, A m bition and Withdrawal.
’Ihe Senatorial Aristocracy under the Emperors, in: Keith Hopkins, Death and Renewal. Sociological Studies in
Roman History, Bd. 2 (Cambridge 1983) 120-200.
232
Aloys W in te r lin g
gar freigelassenen Standes, deren Beziehung zu den Kaisern von persönlicher Nähe, Vertrauen und
hoher Gunst geprägt war.
4.
In der symbolischen Dimension - der Manifestation der überlegenen kaiserlichen Stellung
als Freund lind Patron der gesamten Aristokratie - war der Umgang mit den Paradoxien der kaiser­
lichen Freundschaft am wenigsten erfolgreich: Hier waren es lediglich die in der Aristokratie ganz
besonders verhassten Kaiser wie Caligula, Nero, dann Domitian und Commodus, die - meist in der
späteren Phase ihrer Herrschaft - m it ganz neuen Formen der Inszenierung der kaiserlichen Stellung
experimentierten und dabei aristokratische Personen ausschlossen oder symbolisch unterordneten,
ohne dass dies nach ihrer Ermordung fortgeführt worden wäre1-'8. Dies deutet darauf hin, dass die
symbolische Dimension von Freundschaft zuletzt die entscheidende war: Auch die Kaiser blieben
Mitglieder einer in ihrer Selbstsicht politischen Aristokratie, die ihren Rang in der Konkurrenz
um magistratische Ämter erwarb und die zur Inszenierung ihres Status daher eine große Zahl von
„Freunden“ benötigte. Dies gab ihrer Stellung auf Dauer ein Element der Labilität.
i;’8 Siche Aloyi Winterling, Cäsarenwahnsinn im Alten Rom, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs 2007
(M ünchen 2008) 115-139.
C. Fragestellungen und Deutungsmuster
der biographischen Forschung
Uwe Walter
Der Princeps als Produkt und Gestalter
Augustus, Tiberius und ihre neueren Biographen
M ir ist die Aufgabe gestellt, Fragestellungen und Deutungsmuster der biographischen Forschung
zu Augustus unci Tiberius aufzuarbeiten. Es erscheint nun nicht sinnvoll, eine Sammelrezension
zu älteren und neueren Biographien zu geben oder die Übersichten zu den verschiedenen
Konzeptionen des Prinzipats zu vermehren*. Auch die Einteilung der Forscher in Liberale und
Monarchisten, Führergläubige und Ideologiekritiker bringt uns dem angestrebten Ziel nicht wirk­
lich näher. Natürlich könnte man auch versuchen, den jeweiligen Orientierungsbedürfnissen und
Paradigmen folgend eine gerade Entwicklung zu zeichnen; man hätte für Augustus dann etwa diese
Etappen zu benennen: Tyrannenkritik im Geist von Tacitismus und Aufklärung2 - staatsrechtli­
che Bestimmung (Prinzipat als Magistratur') - Idealisierung und Überhöhung im Bannkreis von
1Zur Forschungsgeschichte s. Karl Christ, Em ilio Gabba (Hg.), Caesar und Augustus. Römische Geschichte und
Zeitgeschichte in der deutschen und italienischen Altertumswissenschaft während des 19. und 20. Jahrhunderts
(Biblioteca di Athenaeum 12, C om o 1989); Ines Stahlmann , Imperator Caesar Augustus. Studien zur
Geschichte des Principatsverständnisses in der deutschen Altertumswissenschaft bis 1945 (Darmstadt 1988);
dies., Vom Kaiser zum Gewaltherrscher. Das politische Principats Verständnis der Schaefer-Schule, in: A K G
72 (1990) 1-22; Kurt Raaßaub, Mark Toher, Editor s Preface, in: Dies. (Hg.), Between Republic and Empire.
Interpretations o f Augustus and His Principate (Berkeley u.a. 1990) X II- X IX . - Für einen systematischen
Überblick s. etwa Werner Dahlheim, Geschichte der römischen Kaiserzeit (M ünchen 52003) 172ff.; Eranfois
Jacques,John Scheid, Rom und das Reich in der H ohen Kaiserzeit 44 v. Chr.-260 n. Chr., Bd. 1: Die Struktur des
Reiches (Stuttgart, Leipzig 1998) 25-51. - Lesenswert sind auch noch die Bemerkungen von Elans Volkmann,
Mos maiorum als G rundzug des augusteischen Prinzipats, in: Helmut Berve (Hg.), Das neue Bild der Antike,
Bd. 2: R om (Leipzig 1942) 246-264, 249-254.
’ Vgl. Edward Gibbon, The History o f the Decline and Fall of the Roman Empire, Bd. 1 (London 1776) Kap. 3:
„The tender respect of Augustus for a free constitution which he had destroyed, can only be explained by an
attentive consideration of the character of that subtle tyrant. A cool head, an unfeeling heart, and a cowardly
disposition, prompted him at the age of nineteen to assume the mask of hypocrisy, which he never afterwards
laid aside. W ith the same hand, and probably with the same temper, he signed the proscription of Cicero, and
the pardon o f Cinna. His virtues, and even his vices, were artificial; and according to the various dictates of his
interest, he was at first the enemy, and at last the father, of the Roman world. W hen he framed the artful system
of the Imperial authority, his moderation was inspired by his fears. He wished to deceive the people by an image
of civil liberty, and the armies by an image of civil government!1- Vgl. schon Louis deJaucourt, Romain empire,
.Encyclopedic1 14 (1765) 334: „Auguste, cost le nom quc la flatcrie donna ä Octave, etablit lordre, e’est-a-dire
une servitude durable: car dans un etat libre oü Io n vient d’usurper la souverainete, on appelle regie, tout ce qui
peut fonder I’autorite sans bornes d u n seul; & on nomine trouble, dissension, mauvais gouvernement, tout ce
qui peut maintenir l’honnete liberte des sujets‘‘
' Konzis in: Theodor Mommsen, Abriß des römischen Staatsrechts [’ 1907] (Darmstadt .1974) 148-160; vgl.
'zuletzt den Beitrag von Dieter Timpe in diesem Band sowie W iljried Nippel, Bernd Seidensticker (Hg.), Theodor
236
Uwe W aiter
Begriffen wie ,Erneuerung'", ,Reich und Volk‘ oder ,Führer4 - Ernüchterung und Distanzierung
(Syme, Wickert, Bleicken)- - neuere kulturalistische Ansätze (Zänker, Galinsky6). Eine über die
Zeithrüche hinweg gepflegte Kategorie war d er,Staatsmann, dem vieles nachgesehen wurde, wenn
nur die Bilanz stimmte . Doch so richtig die skizzierte Abfolge im Großen und Ganzen ist, sie
wird der komplizierten, auch von eigensinnigen Zugriffen, Ungleichzeitigkeiten und ,nationalen
Besonderheiten geprägten Forschungsgeschichte nicht völlig gerecht8 - und sie ist v.a. sattsam be­
kannt. Stattdessen bietet der folgende Beitrag einige eher systematische Überlegungen zur Gattung
der historischen Biographie, ihren Möglichkeiten und Problemen; dabei kommen immer wieder
einige ausgewählte Werke über Augustus und Tiberius zur Sprache, ohne dass auch nur annähernd
Vollständigkeit angestrebt wäre9.
Selbstverständlich wird - das sei hier vorausgeschickt - der biographische Zugrift auf Augustus
und Tiberius zunächst stark von der antiken Überlieferung geprägt, die auch hier die Grenze setzt,
was sinnvoll zu fragen ist und was nicht. Da von den Kaisern in der literarischen Tradition an an-
Mommsens langer Schatten. Das römische Staatsrecht als bleibende Herausforderung für die Forschung
(Fliidesheim u.a. 2005).
' Gerhard Binder, ,Augusteische Erneuerung1. Kritische Anmerkungen zu einem Schlagwort der Klassischen
Altertumswissenschaften im 20.Jahrhundert, in: Christoff Neumeister (Flg.), Antike Texte in Forschung und
Schule. Festschrift W illibald H eilm ann (Frankfurt 1993) 279-299.
• Auch Walter Schmitthenner, Caesar Augustus. Erfolg in der Geschichte, in: Saeculum 36 (1985) 286-296
fragt nach den Kosten der Stabilisierung und Befriedung durch den Princeps. Kritisch dazu wiederum Dietmar
Kienast, Augustus. Princeps und Monarch (Darmstadt •' 1999) 517 A. 3a.
6S. zuletzt Karl Galinsky (Hg.), The Cambridge C om panion to the Age of Augustus (Cambridge 2005) m it den
Sektionen ,Political History', .intellectual and Social Developments', ,’Ihe Emperors Impact', ,Art and the City*
und , Augustan Literature1.
" Vgl. etwa Henry Francis Pelham (1846-1907), Augustus, Encyclopedia Britannica ( ‘11911) 2, 914, der zu­
gleich eine Loslösung von den antiken Urteilen im 19. Jahrhundert konstatiert: „The lines of argument followed
respectively by friendly and hostile contemporaries immediately after his death (Tac. ann. 1, 9, 10) have been
followed by later writers with little change. But of late years, our increasing mistrust of the current gossip about
him, and our increased knowledge of the magnitude o f what he actually accomplished, have conspicuously in­
fluenced the judgments passed upon him. \
\
7e allow the faults and crimes o f his early manhood, his cruelties
and deceptions, his readiness to sacrifice everything that came between him and the end he had in view. O n the
other hand, a careful study o f what he achieved between the years 38 B.C., when he married Livia, and his death
in A .D . 14, is now held to give him a claim to rank, not merely as an astute and successful intriguer, or an ac­
complished political actor, but as one o f the world’s great men, a statesman who conceived and carried through a
scheme o f political reconstruction which kept the empire together, secured peace and tranquillity, and preserved
civilization for more than two centuries.“
• Vgl. die treffenden Bemerkungen von Hans Kloß, Rez. zu Stahlmann, Imperator Caesar Augustus, in: H Z 251
(1990) 404f.
9 Unberücksichtigt bleiben hier ältere englische Biographien wie Evelyn S. Shuckburgh, Augustus (London
1903), JB . Firth , Augustus Caesar (London 1903), John Buchan (Lord Tweedsmuir), Augustus (London,
Boston 1937) und George P. Baker, Tiberius Caesar (London 1929); ferner Piermann Dessau, Geschichte der
römischen Kaiserzeit, 2 Bde. in 3 (Berlin 1924, 1926, 1930; dazu v.a. Ernst Hohl, Philologische Wochenschrift
44 [1924] 706-712; 46 [1926] 1004-1009; 51 [1931] 53-55) sowie Hermann Bengtson, Kaiser Augustus.
Sein Leben und seine Zeit (M ünchen 1981); M arion Giebel, Augustus (Reinbek 1984) und das enttäuschen­
de Buch von Zvi Yavetz, Kaiser Augustus. Eine Biographie (Reinbek 2010); ferner die zahlreichen biographi­
schen Essays; s. etwa Matthias Geizer, Caesar und Augustus, in: Erich Marks, Karl Alexander von M idier (Hg.),
Meister der Politik. Eine weltgeschichtliche Reihe von Bildnissen, Bd. 1 (Stuttgart, Berlin 1922) 119-170;
Werner Dahlheim, Augustus, in: Manfred Clauss (Hg.), Die römischen Kaiser. 55 historische Portraits von
Caesar bis lustinian (M ünchen 1997) 26-50.
Augustus, T iberius u n d ihre neueren B iographen
237
derer Stelle die Rede ist10, .sei hier nur betont, dass die Monarchie als politisches System den romzentrierten Autoren, die entweder (wie Sueton) dem H o f oder (wie Tacitus und Cassius Dio) dem
Senatorenstand angehörten, nahelegte, die Schilderung von resgestae und virtutes auf den Kaiser zu
fokussieren11. So konnten die Gattungsgrenzen verschwimmen und in der Spätantike Tacitus sogar
als Biograph, Sueton dagegen als Geschichtsschreiber bezeichnet werden12. Cassius D io formulierte
bekanntlich ein Problem, in das die Praxis monarchischer Politik die Geschichtsschreibung brachte:
Was nunmehr „heimlich und hinter verschlossenen Türen verhandelt wurde“ und was dann in der
ganzen Weite des Reiches geschah, davon hörten die meisten nicht das Geringste1’.
Eine weitere Veränderung betraf die stadtrömische Elite im engeren Sinn. Als Angehöriger der
senatorischen Aristokratie hat Tacitus natürlich erkannt, in welchem Ausmaß sich das Verhalten
seines Standes am Princeps ausrichtete und wie umgekehrt Existenz und Agieren des Princeps
Bewusstsein und Handeln der Senatoren formten und verformten, und er hat deshalb die nach
ihrer inneren Logik und Tradition multipolare Annalistik gleichsam zentristisch umgemodelt.
Auch Sueton knüpfte an alte römische Traditionen an, indem er in seinen Kaiserbiographien den
Stoff nach Art der Begräbnisrede in Sachkategorien einteilte1'* und die dvm/>//*w-Tauglichkeit
der Akteure5’ zum impliziten Maßstab nahm. Seine augenfälligste und vielleicht wirkmächtigste
Innovation war es aber, durch die Darstellung zu zeigen, dass bei einem Kaiser auch das sogenannte
Privatleben, v.a. die skurrilen und abgründigen Seiten, die zur Zeit der Republik allenfalls Stoff
für Invektiven und Schmähverse waren, von großem Interesse sein können. Davon profitierte einst
der Leser, dem diese ,Schlüsselloch4- oder ,Kammerdienerperspektive1 als Ausgleich für die ins
K*Vgl. den Beitrag von M artin Hose in diesem Band. - Zur Biographie s. zwei neuere Sammelbände: La biogra­
phic antique. Entretiens prepares et presides par W iäii Wölfging Ehlers ^Lntreciens sur lantiquite classique 44,
Vandoeuvres, Geneve 1998); darin u.a. Glen Warren Bowersock, Vita Caesarum. Remembering and forgetting
the past, 193-210; M ark] Edwards, Simon Stvain (Hg.), Portraits. Biographical Representation in the Greek
and Latin Literature of the Roman Empire (Oxford 1997). Speziell zu Sueton s. jetzt Dennis Pauscb, Biographie
und Biklungskultur. Personendarstellungen bei Plinius dem Jüngeren, Gelllus und Sueton (Berlin u.a. 2004)
233-324 m it der neueren Literatur.
n Über die „Reichsgeschichte als Kaisergeschichte“ s. die prägnante Zusammenfassung von Andreas Mehl,
Römische Geschichtsschreibung (Stuttgart u.a. 2001) 107-112. - Demgegenüber tritt das ,Reich5 eher bei
Autoren hervor, deren Interesse der Peripherie und ihrem Ergehen unter Rom gilt: genannt seien Ael. Aristid.
Or. 26 K, und Plut. praec. ger. rei p. Einen Sonderfall stellt Tacitus dar, der im Agricola aus zentristischer Sicht
einen paradigmatischen Agenten der Ausdehnung, Konsolidierung und Administrierung des Reiches vorstellt
und dam it auch die imperialen Agenden sehr viel stärker im Blick hat als in den großen historischen Schriften.
Auf andere Weise singulär ist Flavius Josephus, der die Perspektive der Peripherie gelegentlich verlässt und
Wertvolles über Ereignisse in Rom zu berichten weiß; vgl. Dieter Timpe, Römische Geschichte bei Flavius
Josephus [1960], in: Ders., Antike Geschichtsschreibung. Studien zur Historiographie, hg. von Uwe Walter
(Darmstadt 2007) 259-291.
Hier. comm. in Zach. 3, 14, 43: Cornelius quoque Tacitus, qui post Augustum usque ad mortem Dornitiani
vitas caesarum triginta voluminibus exaravit; praef. in Eus. chron. p. 6 Helm: admixta sunt plurim a, quae de
Tranquillo et ceteris inlustribus historicis euriosissime exeerpsi; vgl. Mehl, Römische Geschichtsschreibung (wie
Anm . 11) 142.
13 Cass. Dio 53, 19, 1-5: dazu s. etwa M artin Hose, Erneuerung der Vergangenheit. Historiker im Imperium
Rom anum von Florus bis Cassius D io (Stuttgart, Leipzig 1994) 446f.; Timpe, Antike Geschichtsschreibung
(wie Anm. 11) 125, 251 f.
! i Dazu Dieter Flach, Die sogenannte Laudatio Iüriae (Darmstadt 1991) 42f.
l-> Dazu s. auch Diana Wardie, Valerius Maximus on the Dom us Augusta, Augustus, and Tiberius, in: C Q 50
(2000) 479-493.
238
Uw e W alter
Unendliche gewachsene Distanz zu dem einen Mächtigen dienen mochte16. Doch auch der avant­
gardistische Althistoriker, der politische Systeme als Produkt von Repräsentation, Demonstration
und Kommunikation beschreibt und deshalb die Grenze zwischen privat und öffentlich als sachfremd und eher erkenntnisverhindernd verwirft, hat seinen Nutzen davon. - Daneben bleiben
natürlich die bewährten quellenkritischen Fragen relevant. So scheint es heute Konsens zu sein,
dass das sehr negative 1 iberius-Bild1', das sich in bemerkenswerter Übereinstimmung bei Tacitus,
Sueton und Cassius Dio findet, aut eine frühe und wirkinächtige Formung der Tradition durch einen
einzigen Autor oder allenfalls wenige Autoren zurückgeht“ . Ein wertvolles Korrektiv bietet daher
bekanntlich Velleius Paterculus19. Eine weitere Überlegung nötigt zu noch subtilerer Quellenkritik:
Das Persönlichkeitsmuster eines Kaisers mag besonders dann in hohem Maße Produkt einer historiographischen Konstruktion sein, wenn es dem Geschichtsschreiber die Möglichkeit bot, seine ana­
lytischen und literarischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, die Wahrheit hinter der Verstellung,
die Paradoxie in der Kommunikation und im Handeln ans Licht zu bringen20. Und schließlich
muss in Rechnung gestellt werden, daß sich m it Tiberius beginnend die Kaiser vielfach am Vorbild
des Augustus orientierten und an diesem umgekehrt auch gemessen wurden, wobei die zeitnahen
Autoren selbst subtile Umakzentuierungen und Distanzierungen als Ergebnis eines komplexen
Aushandlungsprozesses durchaus erkennen konnten21.
Doch nun zur modernen Biographie, zunächst begriffliche Klärungen: Die antike Biographie als
Gattung mit ihren beiden Hauptzügen philologische Gelehrsamkeit und moralisch-exemplarische
Paränese wirkte bis in die Aufklärungszeit. Diese Züge gingen natürlich auch in die historische
Biographie ein, die sich m it dem Historismus im 19.Jahrhundert ausprägte. Gleichwohl muss man
diese einen Neuansatz nennen, der im Wesentlichen von J.G. Droysen ausging. Eine Biographie ist
demnach nicht mehr deshalb historisch, weil sie das Leben eines Kaisers oder Diplomaten behandelt,
sondern weil in ihr ein historisches Interesse wirkt und mit historischen Methoden eine historische
Frage behandelt wird22. Die Biographie stellt also - im markanten Gegensatz zum antiken Vorläufer
! Noch in der dokumentarischen Monumentalbiographik des 19.Jahrhunderts, wie sie sieh in England gro­
ßer Beliebtheit erfreute, war es üblich, an die Schilderung des öffentlichen Wirkens am Ende des Kapitels
Nachrichten etwa über Familienangelegenheiten anzuhängen und m it Auszügen aus Briefen und Tagebüchern
dokumentarisch zu belegen; s. Olaf Hähner, Historische Biographik. Die Entwicklung einer geschichtswissenschaftlichen Darstellungsform von der Antike bis ins 20.Jahrhundert (Frankfurt am M ain u.a. 1999) 266.
1 Vgl. zuletzt Manfred Baar, Das Bild des Kaisers Tiberius bei Tacitus, Sueton und Cassius D io (BzA7,
Stuttgart 1990); Bernd Manuwald, Herrscher und Historiker. Zur Darstellung des Kaisers Tiberius in der
antiken Geschichtsschreibung, in: Hans Hecker (Hg.), Der Herrscher. Leitbild und Abbild in Mittelalter und
Renaissance (Düsseldorf 1990) 19-41; Christopher B. R. Pelling, Biographical History? Cassius D io on the
Early Principate, in: Edwards, Swain, Portraits (wie A nm . 10) 117-144; Paola Rarnondetti, Tiberio nella biog rati a di Suetonio (Studi latini 40, Napoli 2000).
1 Vgl. Klaus Bringmann, Zur Tiberiusbiographie Suetons, in: R h M 114 (1971) 268—285; Siegmar Döpp, Z um
Aufbau der Tiberius-Biographie Suetons, in: Hermes 100 (1972) 444-460; M aria Antonietta Giita, Sulla biografia suetoniana di Tiberio. Traditione e struttura, in: Athenaeum 56 (1978) 329-345.
’ Vgl. zuletzt Ulrich Schmitzer, Velleius Paterculus und das Interesse an der Geschichte im Zeitalter des Tiberius
(Heidelberg 2000).
10Vgl. in diesem Sinn June IV. Allison, Dissimulatio. Tiberius or Tacitus, in: Dies. (Hg.), Conflict, Antithesis, and
the Ancient Historian (Colum bus 1989) 133-155, 194-197.
21 Dazu jetzt Eleanor Cowan, Tiberius and Augustus in Tiberian Sources, in: Historia 58 (2009) 468-485.
‘■
2 Vgl. Hühner, Historische Biographik (wie A nm . 16) 113 und passim, auch für das Folgende. S. ferner Grete
Klingenstein u.a. (Flg.), Biographie und Geschichtswissenschaft (W iener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit
6, W ien 1979).
A ugustus, Tiberius u n d ihre neueren B iographen
239
- nunmehr eine Unterart der Geschichtsschreibung dar, wird zur biographischen Historie. Ihr Ziel
ist die Klärung und Würdigung der historischen Bedeutung einzelner Persönlichkeiten. Droysen
hat dieses Postulat in seinem „Alexander“ (1833) zugespitzt umgesetzt: In diesem Werk geht cs
nicht um die Persönlichkeit und Entwicklungsgeschichte eines Menschen, sondern die Ausprägung
eines historischen Gedankens durch ein welthistorisches Individuum, ein Gedanke, der „nicht zur
Realität kommen (kann) ohne die bewegende Kraft, die Stoff und Form zusammenführt“23. Dieses
Modell geht bekanntlich auf Hegel zurück und führt zu einem Typus von Biographie, der syncagmatisch genannt werden kann: Das Individuum wirkt handelnd und gestaltend auf die Geschichte
ein, als Kausalursache von Ereignissen, als verknüpfendes Element, als aktives Moment in einem auf
Veränderung angelegten System.
Dem gegenüber steht ein biographisches Modell, das man als paradigmatisch bezeichnen
kann und das sich auf Goethe zurückfuhren lässt. In ihm erscheint das Individuum nicht als
Hauptakteur, sondern als Erlebender, als Produkt der Einwirkung des Geschichtlichen, als Spiegel
der Zeitumstände2'1. Dieses Modell entstand aus der Erfahrung beschleunigten historischen
Wandels; nur wenig früher oder später geboren zu sein hätte einen ganz anderen Menschen hervor­
gebracht. Goethe hat damit die im Wesentlichen in der Aufklärung geprägte Idee einer psychologi­
schen Entwicklungsgeschichte, wie sie der antiken Tradition vor Augustinus unbekannt war, auf die
Biographie appliziert. Auch die stark auf die Einzelperson und ihr Inneres fokussierte paradigmati­
sche Biographie vermag eine historische Deutung zu bieten, indem sie die vergangene Gegenwart in
ihrer Prägekraft auf das Individuum vorstellt.
Durchgesetzt hat sich letztlich eine Synthese aus beiden Modellen, die man integrative histori­
sche Biographie nennen kann. Sie verbindet das personale und das historische Moment in dialekti­
scher Wechselbeziehung und bemüht sich um eine weitere Perspektive. Ihre Einzelelemente prägen
bis heute viele historische Biographien. Es sind deren vier:
Biographische Vorgeschichte: eine primär paradigmatisch angelegte Geschichte des Indi­
viduums bis zu dessen Eingreifen und m it Blick auf dieses Eingreifen. Gefragt wird dann meist
nach der „Vorbereitung auf ein Leben für die Politik“2' bzw. - gerade bei Personen im dynastischen
u Johann Gustav Droysen, Historik, hg. von RudolfHühner (M ünchen 1972) 290. Dieser Engführung fällt das
im engeren Sinn Persönliche zum Opfer: es sei „geradezu töricht, eine Biographie Friedrichs des Ci roßen oder
Cäsars schreiben zu wollen. Denn dass Friedrich auf der Flöte blies oder Cäsar einige grammatische Schriften
verfasst hat, ist zwar sehr interessant, aber für die große geschichtliche Tätigkeit beider äußerst gleichgültig“
(291 f.). - Vgl. ähnlich Kienast, Augustus (wie Anm . 5) X I: „Behandelt werden sollen nicht alle Seiten der
Persönlichkeit des Augustus, sondern nur sein W irken als Politiker und Staatsmann, als G ründer einer neuen
Monarchie. [...] Nach dem persönlichen Geschmack des Augustus in künstlerischen oder literarischen Dingen
wird ebensowenig gefragt wie nach dem Wesen der augusteischen Kunst und der augusteischen Literatur
als Kunst und Literatur. Beide Bereiche sollen hier nur in ihrer politischen Aussage bzw. in ihrer politischen
Funktion interessieren!1
21 „Denn dieses scheint die Hauptaufgabe der Biographie zu sein, den Menschen in seinen Zeitverhältnissen
darzustellen, und zu zeigen, inwiefern ihm das Ganze widerstrebt, inwiefern es ihn begünstigt, wie er sich eine
Welt- und Menschenansicht daraus gebildet [hat] [...] Hierzu wird aber ein kaum Erreichbares gefordert, dass
nämlich das Individuum sich und sein Jahrhundert kenne, sich, inwiefern es unter allen Umständen dasselbe
geblieben, das Jahrhundert, als welches sowohl den W illigen als Unwilligen m it sieh fortreißt, bestimmt und
bildet, dergestalt, dass man wohl sagen kann, ein jeder, nur zehn Jahre früher oder später geboren, dürfte, was
seine eigene Bildung und die W irkung nach außen betrifft, ein ganz anderer geworden sein '.'Johann W. Goethe,
Autobiographische Schriften, Bd. 1 (Goethes Werke 9, M ünchen 1974) 9.
25 So eine Teilüberschrift in Klaus Bringmann, Augustus (Darmstadt 2007) 17.
240
Uw e W alter
Zusammenhang - auf die Aufgabe,, ferner nach der ,Sozialisation, nach prägenden Eindrücken,
Erlebnissen, Personen und Lektüren.
Monographische Vorgeschichte: Meist eine Skizze der Krise vor dem Eingriff des Individuums
oder ein allgemeines Zeitgemälde, das den Handiungsrahmen und die Agenda klärt und damit
auch hilft, die historische ,Leistung5des Akteurs am Ende beurteilen zu können: Inwieweit sah die
von ihm maßgeblich mitgestaltete Welt anders aus als vor seinem Eintritt in die Geschichte?26 Wenn über die Jugend des Helden wenig bekannt ist, werden gelegentlich beide Vorgeschichten
verbunden, etwa in einer idealtypischen Schilderung römischer Erziehung oder des sozialisieren­
den politischen Alltags (Christian Meier, „Caesar“2 ). Wenn beide Teile funktionieren, begreift der
Leser auch den großen Akteur als historisch Gewordenen und Geprägten. Wenn beide Teile fehlen,
wie in Victor Gardthausens detailreichem Dreibänder, dann kann man nicht von einer Biographie
sprechen. Gardthausen bietet lediglich einen ganz knappen Vorspann, der seine These skizziert, die
Basis der römischen Verfassung und damit auch der Monarchie sei das Militär gewesen; im Übrigen
lehnt er eine biographische Engführung ab28.
Den Hauptteil einer Biographie macht dann die biographisch-monographische Geschichte der
Tätigkeit in ihrer Wechselwirkung mit den Strukturen und Verhältnissen aus. Hier ergeben sich
für Augustus und Tiberius zwei in der Sache begründete, grundverschiedene Konstellationen: eine
Assoziation und eine Dissoziation. Gezeigt wird, wie es Augustus gelang, alle relevanten Kräfte und
Gruppen durch praktische Intelligenz (John Buchan) und ausdauerndes Bemühen an sich zu bin­
den, auf seine Person auszu richten - und sie dabei gehörig zu modernisieren29. Gleichzeitig schuf er
im Laufe der Zeit das Muster für die kaiserliche Rolle30. Demgegenüber lässt sich aus den Eiherius26 Raffiniert ist dieser Teil bei Heinrich Schlange-Schcmingen, Augustus (Darmstadt 2005) 10-28, der am Beispiel
des Forum Augustuni den Umgang des Princeps m it der römischen Geschichte aufzeigt und diese dann in ihren
relevanten Kernpunkten skizziert. Erst danach wird die „Jugend im Schatten der Macht“ (29-38) behandelt. -
David Shatter, Augustus Caesar (London, New York 1991) widmet die beiden ersten Kapitel (3-17) seiner sehr
knappen Darstellung einer Skizze der Republik und ihrer Krise.
r Vgl. auch Christian Meier, Von der Schwierigkeit, ein Leben zu erzählen. Z u m Projekt einer Caesar-Biographie,
in: Jürgen Kocka, Thomas Nipperdey (Hg.), Theorie und Erzählung in der Geschichte (Theorie der Geschichte
3, München 1979) 229-258.
Victor Gardthausen, Augustus und seine Zeit. 3 Teile in 6 Bänden (Leipzig 1891-1904) Vorspann, Bd. 1
(1891) 3-13. Keine Biographie: „darf man das Thema nicht so eng biographisch fassen“: ebd. VI. Zu Person
und Werk s. Stahlmann, Imperator Caesar Augustus (wie Anm . 1) 90-107.
In der Sicht von Marie Theres Togen, Rez. zu Jochen Bleichen, Augustus. Eine Biographie (Berlin 1998), in:
Neue Zürcher Zeitung N r.281 v. 3. 12.1998, 45 bewirkte der Prinzipat v.a. einen „kräftigen Evolutionsschub:
Eine Gesellschaft lockerte ihre bis anhin in Patrizierfamilien segmentierte, in plebs, Ritter, Nobilität hicrarchisierte und auf die Stadt limitierte Struktur. Sie wurde, zum Entsetzen mancher, durchlässig und flexibel, be­
gann ganz vorsichtig, nach Funktionen statt nach Ständen, nach Erfolgen statt nach Namen, nach möglichen
Koalitionen statt nach ererbten Pflichten und Rechten zu unterscheiden!'
30 Der im Laufe des Kolloquiums häufiger gebrauchte Begriff der Rolle verdient eine Bemerkung. Gemeint ist
- trotz Suet. Aug. 99, 1 sttsi 5s ~a.vv k«<a>&>s ~s7r«tcrTas, §öts jcpcrov / xa\ ~dvts<; vjuä<; p.sTct yßpdq
TrpoTTspj/'O'TS und Ute Schall, Augustus. Kaiser, Rächer, Kom ödiant. Masken und Metamorphosen eines
Herrschers (Pfungstadt 1990) - nicht die ’Iheatermetapher, sondern die soziale Rolle des Kaisers. Diese ge­
wann ihre Gestalt aus der sozialen und politischen Konstellation, in der der Prinzipat entstand, und wurde
wesentlich von Augustus definiert. Die Kaiserrolie (im Singular) erforderte wegen der sehr unterschiedlichen
Erwartungen der verschiedenen maßgeblichen Gruppen - klar formuliert übrigens schon von Jochen Bleicken,
Prinzipat und Dominae. Gedanken zur Periodisierung der römischen Kaiserzeit (Frankfurter Historische
Vorträge 6, Wiesbaden 1978) I6f. (= Gesammelte Schriften B d .2 [Stuttgart 1998] 829f.) - ein hohes Maß
an Wandlungsfähigkeit des Kaisers; diese konnte er zwar z.T. objektivieren (etwa durch Kleiderwechsel) und
organisieren (durch ein effizientes Zeitmanagement), musste sie aber in erster Linie kommunikativ aufweisen.
A ugustus, Tiberius u n d ihre neueren Biographen
241
Biographien v.a. der Eindruck von Fremdheit und wachsender Entfremdung zwischen dem Kaiser
und seiner Umweit entnehmen; bezeichnenderweise entwickelte sich die spektakulärste Innovation
seiner Regierungszeit, die Majestätsprozesse31, in einem intentionalen Vakuum. Wenn die Autoren
darauf insistieren, dass Tiberius doch immerhin bis zu seinem Ende die Zügel in der Hand hatte und
ordentlich regierte'2, so ergibt sich daraus nur, dass Machtkontrolle und gute Regierung allein den
Prinzipat weder definierten noch stabilisierten - das konnte bei einer in so hohem Maße persönli­
chen Herrschaftsform auch nicht erreicht werden. Höchste biographische Kunst verlangt es, nicht
allein die prägenden Faktoren mit den späteren Handlungen in Beziehung zu setzen, sondern auch
das Handeln selbst und seine Ergebnisse als bedingenden Faktor für weitere Handlungen aufzuwei­
sen. „Seine Vergangenheit bedingte also seine Zukunft“, so fasste Gardthausen diese Beziehung für
Augustus''1.
Den Abschluss bildet oft eine zusammenfassende Würdigung, in der die Welt vor dem Eingreifen
des Akteurs als Aufgabe, der Zustand nach seinem Dahinscheiden als Ergebnis oder Leistung ge­
würdigt wird. Manchmal wird auch ein Vergleich mit anderen Gestalten skizziert, so etwa in Jochen
Bleickens „Augustus“ oder in Ernst Kornemanns „Tiberius“11. Eine Würdigung kann in Teilen auch
bewusst an den Anfang gestellt werden, so in Friedrich Vittinghoffs Augustus-Büchlein, das mit
dem Begräbnis und den Res Gestae beginnt'”*. M it diesem Kniff gibt der Autor die Perspektive vor,
aus der die folgende Lebensgeschichte gesehen werden soll - und damit eben auch die revolutionä­
ren Anfänge und die schreckliche Triumviratszeit. Das biographische Hauptproblem bei Augustus,
nämlich die scheinbare Unvereinbarkeit des Bluthundes und Machtvirtuosen bis Actium mit dem
Erneuerer und Friedensherrscher seitdem31’, tritt auf diese Weise in den Hintergrund. Überhaupt
Die Prägekraft des Vorbildes Augustus zeigte sich besonders, wenn ein neuer Kaiser nach Agonie (wie Gaius
als Nachfolger von Tiberius) oder Katastrophe (wie Vespasian nach Nero) ausdrücklich an ihn anzukniipversprach. Das schloss, wie auch sonst, ,demonstrative Innovationen1 nicht aus, die sich bewährten oder
auch nicht und die zusammen m it längerfristigen Strukturveränderungen (v.a. im Sinne einer zunehmenden
jren
Automatisierung) das Kaisertum transformierten. - Vgl. Dieter Timpe, Claudius und die kaiserliche Rolle, in:
Volker M . Strocka (Hg.), Die Regierungszeit des Kaisers Claudius (41-54 n.Chr.). Umbruch oder Episode?
(M ainz 1994) 35-42.
31 S. zuletzt Yann Riviere, Les delateurs sous Icmpire romain (Bibliotheque des Ecoles Francaises d ’Athenes et de
Rome 311, Rome 2002); Steven H. Rutledge, Imperial Inquisitions. Prosecutors and Informants from Tiberius
to D om itian (London, New York 2004).
32So schon Theodor Mommsen, Römische Kaisergeschichte, hg. von Barbara und Alexander Demandt (M ünchen
1992) 172: „Wenn jemand das Gefühl haben konnte, gut regiert zu haben, so war dies Tiberius, und dafür war
ihm m it erbittertem Hass gelohnt worden!1 Das Tiberius-Bild von Ernst Kornemann (s. unten A nm . 34) war
stark durch Mommsen geprägt.
33 Gardtbdiisen, Augustus (wie A nm . 28) III 1347.
Bleichen, Augustus (wie Anm. 29) 684-687; Ernst Kornemann, Tiberius (Frankfurt am Main I960, erweiterte
Neuausgabe 1980) 211 ft.
° Friedrich Vittinghoff, Kaiser Augustus (G öttingen 1959) 7-18. Auch Werner Eck, Augustus und seine Zeit
(M ünchen 1998) eröffnet seine knappe Darstellung mit dem Aussenden der Res Gestae ins Reich (7-10).
x’ Diese Paradoxie (und andere) setzt Bringmann, Augustus (wie Anm . 25) 13 ausdrücklich an den Anfang
seiner Biographie. Sie prägt auch das jüngst erschienene Buch von Werner Dahlheim , Augustus. Aufrührer Herrscher - Heiland. Eine Biographie (M ünchen 2010). Dahlheim klammert die strittigen Fragen aus und
bietet eine durchaus konventionelle Gliederung. Ungeachtet mancher Anverwandlung durch aktualisierende
Sprache im Stiie Mommsens (von Soldatenräten ist die Rede, von Agrippa als erstem Seelord, der Großen
Armee des Partherfeldzugs und der Propaganda der Dichter und Denkmäler) wird in erster Linie gezeigt, wie
eigenartig, kalt auch diese römische Welt der Adligen und Legionäre war und wie Siege, Beute und der sich
aus beidem speisende Ehrgeiz die aristokratische Republik zerstörten. Dahlheim folgt der gängigen Evolution:
Der junge Caesar ist Aufrührer und Terrorist „mit höllischer Präzision“, doch gelingt es ihm, seilte nach dem
242
U w e W aiter
scheint es zum traditionellen biographischen Paradigma zu gehören, das Individuum zwar zu his­
torisieren, es aber doch zugleich als eine erkennbare Einheit zu begreifen. In diesem Sinne kann
Vittinghoff über Oktavian den erstaunlichen Satz formulieren, dieser Neunzehnjährige, den zu­
nächst niemand ernstgenommen habe, sei zu allem fähig gewesen; „das wusste man schon nach
wenigen Monaten - aber auch dazu, der weise Augustus des Alters zu werden“. In der Bilanz er­
kennt Vittinghoff demgemäß eine „erstaunliche innere Einheit“ des politischen Werkes, und wie
Augustus es selbst in seinem Tatenbericht tue, „wird auch der Historiker dieses Leben als Einheit im
Dienste eines persönlichen Machtwillens, der sich selbst jedoch nur als Berufung zur großen politi­
schen Tat verstehen konnte, umfassen“3 . Für Tiberius kommt Barbara Levick zu einem ähnlichen
Schluss: Dieser Mensch habe ein „unified whole“ dargesteiit und sei aus seinen Voraussetzungen
heraus durchaus verständlich - und er sei mit zunehmendem Alter mehr und mehr er selbst gewor­
den38. Freilich hat der biographische Holismus, der hinter solchen Formulierungen steht, schon
früh Kritik gefunden. Für Ronald Syme ließ sich Oktavian/Augustus allein in seinen Taten fas­
sen, während die Praxis, historischen Darstellungen eine Untersuchung des Charakters oder der
Persönlichkeit der Hauptfigur vorauszuschickcn oder anzuhängen, höchst problematisch sei - falls
denn die ,Persönlichkeit1eines Menschen dem Historiker überhaupt zugänglich sein sollte39. Doch
Bürgerkrieg gewaltige, gleichwohl nicht ungefährdete M acht in anerkannte Herrschaft zu verwandeln, um am
Ende m it Geschick und Glück, durch Inszenierungen gezielt befördert, doch ohne Anker in der Wirklichkeit
undenkbar, für das Reich zum Heiland zu werden (404h): „In einer Mischung aus Glauben und Zuversicht
-zweifelten immer weniger Menschen daran, dass er den Frieden und das allgemeine Glück für immer auf die
Erde zurückgebracht hatte.... Dieses Maß an Zustim m ung beantwortet auch die Frage nach der Legitimität der
Herrschaft des Augustus!' Dessen Bemühungen, die Geschichte Roms und des Erdkreises zur Heilsgeschichte
aufzuhöhen, spiegelt Dahlheim in der christlichen Geschichtsdeutung, die Augustus einen wichtigen Platz zu­
wies: Die Gnade, Zeitgenosse Jesu gewesen zu sein, konnte zum Zeichen der Erwählung durch einen anderen,
dem Kaiser fremden G ott werden.
3 Vittifighoff, Kaiser Augustus (wie Anm . 35) 21, 96, 99h
3SBarbara Levick, Tiberius the Politician (überarb. Aufl., London, New York 1999) 224.
39 Vgl. Ronald Syme, The Roman Revolution (Oxford 21952) 113: „Tie custom of prefixing or appending to
historical narratives an estimate o f the character and personality of the principal agent is o f doubtful advantage
at the best o f times - it cither imparts a specious unity to the action or permits apology or condemnation on
moral and emotional grounds. All conventions are baffled and defied by Caesar’s heir. [...] Ih e revolutionary
adventurer eludes grasp and definition no less than the mature statesman!1 - Persönlichkeit: vgl. ders., Roman
Papers, Bd. 1 (Oxford 1979) 57: „In the end, human personality is a mystery.“ Die Skepsis gegenüber einem
individualbiographischen Zugang zur Geschichte legte Syme auch später nicht ab; vgl. ders., The Augustan
Aristocracy (Oxford 1986) 14: „Biographies of emperors are a menace and an impediment to the understanding
o f history in its structure and process.“ - Z u Syme s. Uwe Walter, Der Historiker in seiner Zeit. Ronald Syme
und die Revolution des Augustus, m\Jörg Spielvogel (Hg.), Res Publica Reperta. Zur Verfassung und Gesellschaft
der römischen Republik und des frühen Prinzipats. Studien zum 75. Geburtstag von Jochen Bleicken (Stuttgart
2002) 137-152 m it weiterer Literatur. - Schon Gardthausen hatte auf eine Charakterbilanz verzichtet und
lediglich die damals strittige Frage erörtert, ob die O rdnung des Augustus eine Monarchie war - übrigens mit
viel Nüchternheit und Scharfblick; vgl. Gardthausen, Augustus (wie Anm . 28) III 1348: „O b Augustus von der
von ihm erfundenen scheinbaren Zweiherrschaft von Kaiser und Senat anders gedacht hat, ob er darin die dau­
ernde Verfassung des römischen Reiches für die folgenden Jahrhunderte glaubte gefunden zu haben, können wir
nicht wissen; wahrscheinlich ist das nicht. W ir haben uns nur an die facdschcn Verhältnisse zu halten. Niemand
kannte die Verfassung so gründlich wie Augustus, der sie selbst erdacht, die einzelnen Momente sorgfältig ge­
gen einander abgewogen und mehrfach corrigirt hatte. Als sie zum ersten Male eine ernste Probe zu bestehen
hatte, beim Regierungsantritte des Tiberius, bewährte sie sich nicht als eine republikanische, sondern als eine
monarchische; und wir haben keinen G rund anzunehmen, dass die Ansicht oder die Absicht des Augustus eine
andere gewesen wäre!'
A ugustus, T iberius u n d ihre neueren Biographen
243
aut eine enge Verknüpfung von Individuum und Leistung, von Machtstreben und Rettungstat
mochte auch Syme nicht verzichten'“. Zuletzt hat Klaus Bringmann ausdrücklich die Kriterien
Arbeit, Aufgabe und Leistungen ins Spiel gebracht - vielleicht nicht zufällig ein Zitat des erzprotestantischcn Theologen Adolf von Harnack aufnehmend'".
Nach dieser knappen Typologisierung, gerade auch mit Blick auf den letzten Punkt (die
Würdigung), muss noch eine wesentliche Voraussetzung benannt werden, ohne die ein biogra­
phischer Zugang zur Geschichte nicht möglich wäre. Diese Voraussetzung wird nach wie vor
ganz überwiegend gemacht, aber auch angefochten. Es ist dies, kurz gesagt, die grundsätzliche
Unterscheidbarkeit von Individuum und Geschichte bzw. von Intention und Handeln einer­
seits und den nicht-intentionalen Bedingungszusammenhängen und Folgen des Handelns ande­
rerseits, die sich zueinander wie ein Innen und ein Außen verhalten. Die historische Biographie
ist demnach als ein bestimmtes Interpretationsmuster der Geschichte zu begreifen, das zu einer
Untersuchungs- und Darstellungsform geronnen ist, genauso wie ihr weit jüngerer Antipode, die
Gesellschaftsgeschichte. In der Biographie wird das Individuum als historisch geworden und als im
historischen Prozess wirkend vorgestellt. Solange die Geschichtswissenschaft die Dekonstruktion
dieser Grundelemente, Individuum und historischer Prozess, nicht mitmacht, solange dürfte es
sinnvoll sein, historische Biographien in der Tradition des Historismus zu schreiben'*'.
Dennoch muss m.E. nicht gleich in Konstruktivismus oder postmoderne Beliebigkeit verfallen,
wer einen Moment über das .Individuum“ nachdenkt. Die amerikanische Historikerin Lynn Hunt
bemerkt dazu treffend:
„Obw ohl es selbstverständlich schcint, dass die Geschichtswissenschaft sich m it Individuen befasst, bleibt
doch gerade das Individuum eine der am wenigsten historisierten Kategorien der geschichtswässenschaftlichen
Analyse. Da Historiker üblicherweise zu wissen meinen, was ein Individuum ist, und da sie gewöhnlich auch
zahlreiche Aussagen über die psychologischen Qualitäten dieses Individuums treffen, könnte fast behauptet
werden, Individualität sei eine Art a priori-Kategorie der modernen Geschichtsschreibung15!1
A priori oder nicht: Die praktischen Vorzüge der Einzelperson als Gegenstand des Historikers lie­
gen auf der Hand. Zunächst die Verständigung mit seinem Publikum. Für eine ,Gesellschaft' gibt
es keine Empathie und wenig Neugierde, anders für eine vergangene Person. Das vermeintlich zeit­
lose Allgemein-Menschliche in ihr schlägt eine Brücke zum entfernt-historischen Menschlichen.
Besonders deutlich ist das in England, wo ein traditionelles und stabiles Interesse eines breite­
ren Lesepublikums für Biographien besteht und wo die Pflege der Biographie Bestandteil der
Nationalkultur zu sein scheint'1'1. Für unser Gebiet hat sich das etwa in einer Reihe wie den „Roman
Vgl. Syme, Roman Revolution (wie Anm . 39) 524: „For pow’er he had sacrificed everything; he had achieved
the height of all mortal ambition and in his ambition he had saved and regenerated the Roman People.'1
t! Bringmiinn, Augustus (wie Anm . 25) 242.
Vgl. Hühner, Historische Biographik (wie A nm . 16) 250, 254.
Lynn H unt, Psychologie, Ethnologie und ,linguistic turn', in: Hans-Jürgen Goertz (Hg.), Geschichte. Ein
Grundkurs (Reinbek 1998) 671-693, Zit.678. Vgl. auch die anschließenden Sätze: „In Biographien wird
z.B. die Kategorie der Subjektivität üblicherweise nicht in Frage gestellt; es wird lediglich die spezifische
Entwicklung und Ausformung des Selbst eines Individuums untersucht. Sogar Arbeiten, die sich ausdrücklich
m it der Geschichte von Subjektivitätsvorstellungen beschäftigen, gehen oft von ahistorischen Annahm en darü­
ber aus, was es heißt, jemand zu sein, der ein Selbst hat.“
H Vgl. Jürgen Osterhammel, Epochen der britischen Geschichtsschreibung, in: Wolfgang Küttler u.a. (Hg.),
Geschiehtsdiskurs, Bd. 1: Grundlagen und Methoden der Historiographiegeschichtsschreibung (Frankfurt am
M ain 1993) 157-188,166f. - Zusammen mit dem literarisch-rhetorischen Paradigma, das A rnaldoM om igliano
zu dem D iktum veranlasste, Geschichte werde dort von Wissenschaftlern geschrieben, Biographien aber von
244
Uw e W alter
Imperial Biographies“ niedergeschlagen. In ihr gibt cs übrigens auch Bände zu einzelnen Augustae"
- stellt die Biographie vielleicht eine Möglichkeit dar, die Rolle und Bedeutung der Kaiserfrauen
angemessener zu erfassen?
Was für das Publikum die Empathie, ist in der Sprache des Historikers die Hermeneutik.
Methode und Erkenntnisziel des Biographen ist das Verstehen; die Biographie, so Drovsen in der
„Historik“, „kann nicht anders, als sich in die Persönlichkeit, die sie darstellt, gleichsam hinein(zu)
leben, um ihre Empfindungsweise, ihren Gedankenkreis, ihren Horizont zu gewinnen, sie darstel­
lend gewissermaßen aus ihr selbst heraus zu sprechen“'16.
Dam it ist eine wichtige transdisziplinäre Dimension der Biographie angesprochen: Insofern dem
Individuum eine Seele zugesprochen wird, diese Seele durch bestimmte Einflüsse geformt erscheint
und man ihr schließlich kausale Bedeutung für das Handeln des Individuums zuschreibt, liegt das
Problem der Psychologie in der Historie auf dem Tisch. Die „innere Wahrheit“ eines Menschen
trat im 18. Jahrhundert neben ältere, letztlich antike biographische Konzepte, die sich more philo-
lo%ico der schlichten Sammlung der äußeren Lebenstatsachen widmeten oder eine Vita als exemp­
larisches Modell eines guten Lebens vorstellten. Einen starken Impuls bildeten dann natürlich die
Psychologie und die Psychoanalyse, die im 20. Jahrhundert häufig auf historische Gestalten appli­
ziert wurde. Einen Sonderfall stellen Versuche psychopathologischer Erklärungen dar, die bekannt­
lich auch auf römische Kaiser projiziert worden sind, nicht selten von Ärzten, welche die Quellen
auf Anhaltspunkte für eine retrospektive Diagnose hin lasen. Für Tiberius ist hier die Studie des
spanischen Psychiaters Gregorio Maranön von 1939 zu nennen'1, der zu dem Schluss kommt, der
Kaiser habe an dem sogenannten Ressentiment-Syndrom gelitten, einer seelischen und kognitiven
Störung, die zu verzerrter Realitäts- und Eigenwahrnehmung führe und häufig aus Zurücksetzungen
und traumatisierenden Misserfolgen gegenüber der Gesellschaft oder auch Frauen resultiere. Solche
Menschen seien nachtragend und grollten dem Schicksal allgemein ob ihrer Zurücksetzung.
Beklommenheit, Furchtsamkeit und vor allem Heuchelei verbänden sich mit Pedanterie und
Pessimismus. Abgesehen von dem methodischen Grundproblem, eine solche Diagnose allein auf
der Grundlage von antiken Zeugnissen zu stellen, ist historisch mit einer .Erklärung1nichts gewon­
nen, die alle weiteren Sondagen suspendiert, indem sie die Phänomene pathologisiert. Denn dann
wäre es überflüssig, etwa nach der antiken Semantik und Auffassung von .Innerlichkeit* und abweiGentlemcn, ist in der englischen biographischen Tradition auch das antike Erbe noch lebendig; so prominent
bei Alan Bullock, Hitler and Stalin. Parallel Lives (London 1991).
Elaine Fantham, Julia Augusti. The Emperor’s Daughter (London, New York 2006); Anthony A. Barrett,
Livia. First Lady o f Imperial Rome (New Haven, London 2002); Nikos Kokkinos, Antonia Augusta. Portrait of
a Great Roman Lady (London, New» York 1992); vgl. auch Hildegard Temporini, Die iulisch-claudische Familie.
Frauen neben Augustus und Tiberius, in: Dies. (Hg.), Die Kaiserinnen Roms. Von Livia bis Theodora (M ünchen
2002) 21-102; Thomas Späth, ,Frauenmacht‘ in der frühen römischen Kaiserzeit? Ein kritischer Blick auf die
historische Konstruktion der .Kaiserfrauen, in: M aria FI. Dettenhojer (Hg.), Reine Männersache? Frauen in
Männerdomänen der antiken Welt (K öln u.a. 1994) 159-205. S. zuletzt Christiane Kunst, Livia. M acht und
Intrigen am H o f des Augustus (Stuttgart 2008); dies., Das Liviabild im Wandel, in: Volker Losemann (Hg.)
Alte Geschichte zwischen Wissenschaft und Politik. Gedenkschrift Karl Christ. (Wiesbaden 2009) 313-326.
; Droysen, Historik (wie Anm . 23) 291, vgl. 329 A. 1: „Nur den Menschen und menschlichen Äußerungen
gegenüber sind wir unmittelbar Gleiche lind Wissende!'
tT Gregorio Mararnm, Tiberius. A Study in Resentment (London 1956; span. 1939). -- Einen Vorläufer bil­
det Hans von Flentig, Über den Cäsarenwahnsinn. Die Krankheit des Kaisers Tiberius (M ünchen 1923). S.
jetzt Christian Witschel, Verrückte Kaiser? Z u r Selbststilisierung und Außenwahrnehmung nonkonformer
Herrscherfiguren in der römischen Kaiserzeit, in: Christian Ronning (Hg.), Einblicke in die Antike. Orte Praktiken - Strukturen (M ünchen 2006) 87-130.
A ugustus, T iberius unci ihre neueren Biographen
245
chendem Verhaken zu fragen oder nach den politischen und kommunikativen Verhältnissen, in de­
nen ein neurotischer Herrscher dennoch .funktionieren konnte, oder auch nach den Aporien eines
Systems, das solche Deformationen hervorbrachte. Und wie will man sicher unterscheiden, ob eine
einschneidende Erfahrung oder ein Verlusterlebnis ein Trauma bewirkten oder einen Lernprozess
auslösten - man denke an C. Octavius und die Ermordung CaesarskS oder an Caligula und sein
Aufwachsen bei Tiberius auf Capri. Weitere Fragen ließen sich anschließen.
Retrospektive Psychoanalyse und Psychohistorie'*9insgesamt gelten in der Forschung nach einem
,honeymoon in den 1970er und 1980er Jahren mittlerweile selbst für die neuzeitliche Geschichte
als obsolet und sie verdienten auch keine Erwähnung, wenn es nicht auch unter »ganz normalen1
Historikern, die gewiss nie Wehlers schmalen Sammelband über Geschichte und Psychoanalyse ge­
lesen haben, nicht ganz üblich wäre, mit sprachlichen und sachlichen Versatzstücken aus letzterer
Disziplin zu operieren. So spricht Yavetz von frühkindlichen Einflüssen auf die Seele des Tiberius50
und meint, es habe „keiner angeborenen Melancholie“ bedurft, um „aus Tiberius einen unglück­
lichen Menschen zu machen; was das Schicksal und Augustus ihm zumuteten, reichte aus, ihn in
Depression fallen zu lassen“. Immerhin hatte er die Chance, auf Capri Entspannung für seine stra­
pazierten Nerven zu finden und sich von der Depression zu befreien, die ihn drei Jahre vor seiner
Abreise befallen hatte (133, 134f.). Yavetz behauptet sogar, die Ergründung von Tiberius’ Charakter
biete auch einen Schlüssel zum Verständnis seiner Personalpolitik (I2 2 )’>i. Das ist natürlich keine
Antwort auf die spannende Frage, wie stark Intention und Praxis eines Monarchen eigentlich auf
ein so komplexes Gefüge wie die Administration des Imperium Romanum einzuwirken vermoch­
ten und welche Folgen es für das politische Gefüge hatte, wenn Statthalter sehr lange auf ihrem
Posten belassen und damit die Karrierechancen jüngerer Senatoren beschnitten wurden - aber das
ist ja auch nicht Ihema eines Biographen. Dennoch bleibt ein Unbehagen. Seelische Zustände und
Charakter eines mächtigen Individuums spielen nach jeder menschlichen Erfahrung zweifellos
auch für die Gestaltung des Sozialen im weitesten Sinn eine wesentliche Rolle, aber sie müssen als
solche auch Gegenstand einer historischen, also nach dem Wandel fragenden Anthropologie sein.
Die Ausdrucksseite sollte dabei wenn möglich zunächst nach den antiken Kategorien cntschliis-
'i!>Oder haben ihn etwa die Massaker im Bürgerkrieg traumatisiert und zu unruhigem Schlaf (Suet. Aug. 78, lf.)
geführt, \vicJean-Pierre Neraudau, Auguste. La brique et le marbre (Paris 1996) meint?
19Vgl. Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Geschichte und Psychoanalyse (Frankfurt am M ain u.a. 1971). Proponenten:
Erik Hamburger Erikson, Young M an Luther (New' York 1958); Thomas IV. AJrica, Psychohistory, ancient
history, and Freud. The descent into Avernus, in: Arethusa 12 (1979) 5-33; Eloyd deMause, Grundlagen der
Psychohistorie (Frankfurt am M ain 1989); Hedivig Röckelein (Hg.), Biographie als Geschichte (Tübingen
1993); Peter Gay, Freud für Historiker (Tübingen 1994).
‘>0 Zvi Yavetz, Tiberius. Der traurige Kaiser. Biographie (M ünchen 1999) 24; das folgende Zitat ebd. 27.
Auch sonst spricht Yavetz von einem melancholischen G em üt (68) sowie vom Charakter eines Pedanten und
Formalisten (75). Vgl. ferner noch jüngst Pierre Somville, Psychographie de Tibere, in: L’ Antiquite classique 71
(2002) 85-92. - Für Augustus, der den Biographen meist als nicht sonderlich komplexe Persönlichkeit gilt, sind
solche Erklärungsmuster seltener; vgl. aber immerhin Reinhold Meyer, Augustus’ Conception o f Himself, in:
Ihought 55 (1980) 36-50, der einen Mange! an Selbstwertgefiihl durch den frühen Verlust des leiblichen Vaters
und der Großmutter diagnostizieren will; kritisch dazu Kienast. Augustus (wie Anm. 5)51 7 A. 3a. S. ferner Zvi
Yavetz, The Personality of Augustus. Reflections on Symes „Roman Revolution“, in: Raaflaub, Toher, Between
Republic and Empire (wie Anm . 1) 21-4

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