Niedersachsen hat ein neues Schulgesetz

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Niedersachsen hat ein neues Schulgesetz
Niedersachsen hat ein neues
Schulgesetz
von
Ministerialrat Peter Bräth1
Einführung
Der Niedersächsische Landtag hat am 25. Juni 2003 das „Gesetz zur Verbesserung von
Bildungsqualität und zur Sicherung von Schulstandorten“ verabschiedet. Das Gesetz wurde
am 2. Juli 2003 verkündet und trat (mit wenigen Ausnahmen) am 1. August 2003 in Kraft2.
Am 14. Juni 1973 begann mit dem Gesetz zur Änderung schulrechtlicher Vorschriften die
Einführung der Orientierungsstufe. Fast auf den Tag genau 30 Jahre später, wird diese
immer umstrittene Schulform wieder abgeschafft. Die Orientierungsstufe hat die in sie
gesetzten Erwartungen nicht erfüllt, da sie leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler
nicht hinreichend fordern und leistungsschwächere nicht hinreichend hat fördern können.
Das Gutachten des Deutschen Instituts für pädagogische Forschung (DIPF) hat diese
Schwächen nachdrücklich bestätigt.
Wir haben in Niedersachsen ein gegliedertes Schulwesen, dem eine besonders hohe
Durchlässigkeit bescheinigt wird. Mit dem Gesetz zur Verbesserung von Bildungsqualität
und zur Sicherung von Schulstandorten wird das gegliederte Schulwesen ausgebaut. Die
Bildungsaufträge der Hauptschulen, der Realschulen und der Gymnasien sind durch die
Gesetzesänderung neu formuliert worden und sollen damit eine stärkere Profilierung der
einzelnen Schulformen dokumentieren. In Grundsatzerlassen über die Arbeit an den
einzelnen Schulformen wird diese Profilierung ihre Ausprägung erfahren, zum Beispiel
bei der Berufsbezogenheit der Hauptschule. Die Eltern treffen nach dem vierten
Schuljahr die Entscheidung über die weitere Schullaufbahn ihres Kindes nach Beratung
durch die Schule in eigener Verantwortung. Neben den Hauptschulen, Realschulen und
Gymnasien wird es keine neuen Gesamtschulen geben.
Mit dem Abitur nach zwölf Schuljahren an Gymnasien und an nach Schulzweigen
gegliederten Kooperativen Gesamtschulen wird wertvolle Lebens- und Lernzeit gewonnen,
aber auch ein Jahr im Berufsleben. Die gymnasiale Oberstufe wird reformiert und die
Wettbewerbschancen der niedersächsischen Abiturientinnen und Abiturienten verbessert.
Fächerübergreifendes, vernetztes und selbstständiges Denken und Lernen wird durch
persönliche Schwerpunktsetzung der Schülerinnen und Schüler gefördert.
Die Abschaffung der Orientierungsstufe und das Abitur nach 12 Schuljahren sind damit
die wesentlichen schulstrukturellen Weichenstellungen des Gesetzes zur Verbesserung von
Bildungsqualität und zur Sicherung von Schulstandorten. Die wesentlichen Änderungen
lassen sich im Einzelnen wie folgt zusammenfassen:
Abschaffung der Orientierungsstufe
Die Orientierungsstufe wird zum 1. August 2004 abgeschafft. Damit wird grundsätzlich an
der mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung des Schulwesens vom 28. August 20023
beschlossenen Abschaffung der Orientierungsstufe festgehalten, nur erfolgt die
Abschaffung sehr viel schneller. Gleichzeitig wird die ursprünglich vorgesehene
Einführung
der
Förderstufe
verhindert.
Die
Kinder,
die
zum
diesjährigen
Schuljahresbeginn noch in die Orientierungsstufe eingeschult werden, werden schon im
nächsten Jahr im sechsten Schuljahrgang an die weiterführenden Schulen wechseln.
Schülerinnen und Schüler, die in diesem Jahr in die 5. Schuljahrgänge des Gymnasiums
oder den Gymnasialzweig einer nach Schulzweigen gegliederten Kooperativen Gesamtschule
wechseln, können bereits an der Schulzeitverkürzung auf dem Weg zum Abitur teilhaben.
Zur Errichtung von Kooperativen Haupt- und Realschulen wird es nicht kommen. Davon
unberührt ist die Möglichkeit der Schulträger, Haupt- und Realschulen organisatorisch
zusammen zu fassen. Dabei arbeiten die Schulzweige auch, wie bisher, pädagogisch
zusammen. Die Profile der Hauptschule, der Realschule und des Gymnasiums werden durch
neue Bildungsaufträge stärker akzentuiert.
Schulorganisation und Außenstellen
Die notwendigen schulorganisatorischen Maßnahmen zur Umsetzung der Schulstrukturreform
müssen von den Schulträgern bereits jetzt geplant und im nächsten Jahr umgesetzt
werden. Eine vorherige förmliche Fortschreibung des Schulentwicklungsplanes ist dabei
nicht zwingende Voraussetzung für die Erteilung von Genehmigungen nach § 106 NSchG. Der
sich in der Anhörung befindende Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Verordnung
zur Schulentwicklungsplanung (VO-SEP) sieht daher als nächsten Fortschreibungstermin
erst den 1. Januar 2005 vor. Einen schulpolitischen Entscheidungsspielraum in der Frage
der Orientierungsstufenumstellung gibt es für die kommunalen Schulträger nicht. Die
Aufhebung der Orientierungsstufen zum Ende des Schuljahres 2003/2004 sowie die
Anbindung der Jahrgänge 5 und 6 an die Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien ab dem
1.August 2004 schreibt das Gesetz vor. Eine Entscheidung des Schulträgers nach § 106
Abs. 1 NSchG ist insoweit im Einzelfall nicht erforderlich. Schulorganisatorische
Maßnahmen der Errichtung, Erweiterung, Einschränkung, Zusammenlegung, Teilung oder
Aufhebung i.S.d. § 106 Abs. 1 NSchG sowie organisatorische Zusammenfassungen nach § 106
Abs. 4 NSchG bedürfen im Übrigen nach wie vor der Genehmigung der Schulbehörde. Dabei
ist zu beachten, dass auch die räumlich getrennte Unterbringung von Teilen von Schulen
(sog. Außenstellen) der Genehmigungspflicht unterliegt. Mit der Errichtung einer
Außenstelle geht regelmäßig eine maßgebliche Veränderung des ursprünglich genehmigten
räumlich-baulichen Bereichs einer Schule einher. Die örtlich getrennte Unterbringung
von Schulteilen vermag den innerorganisatorischen Ablauf sowie die ordnungsgemäße
Erfüllung der Aufgaben von Schulleitung und Konferenzen zu erschweren und folglich die
Funktionsfähigkeit der Schule zu belasten. Zudem ist das Land als Träger der
persönlichen Kosten für die Lehrkräfte und die sonstigen Landesbediensteten durch eine
solche schulorganisatorische Änderung unmittelbar betroffen, so dass auch insoweit
Interessen des Landes tangiert sein können.
Mit der sich zurzeit in der Anhörung befindenden Änderung der VO-SEP ist eine Lockerung
der bisher geltenden Voraussetzungen beabsichtigt. Diese soll in erster Linie eine
Weiternutzung der vorhandenen Räumlichkeiten bisheriger Orientierungsstufen ermöglichen
und damit zusätzliche Erweiterungs- oder Neubauten vermeiden helfen. Grundsätzlich aber
geht das Niedersächsische Schulgesetz weiterhin von dem Grundsatz aus, dass Schulen als
einheitliche Organisationseinheiten räumlich gebündelt an einem Schulstandort errichtet
und fortgeführt werden. Außenstellen sollten nur dann erwogen werden, wenn eine
Unterbringung aller Klassen an der Stammschule aufgrund der räumlichen Gegebenheiten
nicht möglich ist, die Entfernung zwischen Stammschule und Außenstelle gering ist, die
Außenstelle über die erforderlichen allgemeinen und Fachunterrichtsräume verfügt und
eine ausreichende Präsenz der Schulleitung vor Ort gesichert ist.
Durchlässigkeit und freier Elternwille
Minister Bernd Busemann, MdL, erklärte, dass die Durchlässigkeit des Schulwesens und
der freie Elternwille in dieser Schulreform von zentraler Bedeutung seien. Das Gesetz
zur Verbesserung von Bildungsqualität und zur Sicherung von Schulstandorten hält an der
freien Elternentscheidung über den Besuch einer weiterführenden Schule fest. Es ist
eine Beratungspflicht der Grundschule im Gesetz aufgenommen, und zwar generell, nicht
nur im Zusammenhang mit der Empfehlung über den Besuch einer geeigneten weiterführenden
Schule. Durch einen kontinuierlichen Dialog mit den Erziehungsberechtigten soll die
Grundlage
für
eine
am
Kindeswohl
orientierte
Schulformentscheidung
der
Erziehungsberechtigten gelegt werden. Nach einer Empfehlung der Schule treffen die
Erziehungsberechtigten die Wahl der für das Kind geeigneten weiterführenden Schulform
in eigener Verantwortung. Eine Korrektur einer Elternentscheidung kann nach Klasse 6
stattfinden. In der Abschaffungsphase der Orientierungsstufe sind aber an die
Schullaufbahnentscheidungen keine rechtlichen Konsequenzen geknüpft.
Im Verlauf einer Schullaufbahn können Schulformentscheidungen aber auch von den
Schülern
und
Eltern
korrigiert
werden,
gerade
wenn
die
Leistungen
eine
begabungsgerechte Beschulung in einer höheren Schulform nahe legen. Die weitere
Verbesserung der Durchlässigkeit ist Zielsetzung der Landesregierung, das Prinzip der
Durchlässigkeit ist durch die Gesetzesänderung im Schulgesetz festgeschrieben.
Keine neuen Gesamtschulen
Neben den Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien wird es keine neuen Gesamtschulen
geben. Bestehende Gesamtschulen können aber Ihre Arbeit fortsetzen. Das Gesetz zur
Verbesserung von Bildungsqualität und zur Sicherung von Schulstandorten stellt die
Weichen dafür, dass den Gesamtschulen auch künftig ihre Arbeitsgrundlagen gesichert
bleiben und im Rahmen der örtlichen Bedingungen notwendige und sinnvolle pädagogische
und organisatorische Weiterentwicklungen ermöglicht werden. Gesamtschulen können bis
zur vorgeschriebenen Höchstzügigkeit, bei entsprechendem Bedürfnis, erweitert werden.
Sie können Ganztagsschulen werden und es kann an ihnen auch, wo noch nicht geschehen,
eine gymnasiale Oberstufe bei entsprechenden Schülerzahlen aufgesattelt werden.
Abitur nach zwölf Jahren
Das Abitur wird künftig in Niedersachsen an Gymnasien und an nach Schulzweigen
gegliederten Kooperativen Gesamtschulen nach zwölf Schuljahren erworben. Ein hoher
Standard des niedersächsischen Abiturs soll durch erstmals 2006 stattfindende
landesweit einheitliche Prüfungen sichergestellt werden. An Integrierten Gesamtschulen
und an nach Schuljahrgängen gegliederten Kooperativen Gesamtschulen wird das Abitur
nach 13 Schuljahren erworben werden können. Für leistungsstarke Schülerinnen und
Schüler dieser Schulformen wird den Schulen aber die Möglichkeit eingeräumt, durch
besondere pädagogische Angebote eine individuelle Schulzeitverkürzung zu ermöglichen
(sog. „D-Zug-Klassen“).
Stärkung der Schulleiterin/des Schulleiters
Der
Schulleiter
wird
gesetzlich
verpflichtet,
Qualitätsentwicklung
und
Qualitätssicherung an seiner Schule zu betreiben. Um Fehlentwicklungen vorzubeugen,
muss er auch die Lehrkräfte an der Schule besuchen und beraten. Und dort wo es
erforderlich ist, wird er Zeugniskonferenzen leiten können.
Informationspflicht - auch bei Volljährigen
Das Gesetz zur Verbesserung von Bildungsqualität und zur Sicherung von Schulstandorten
stellt ein Instrument zur Verfügung, um entwicklungsspezifische Problemstellungen
frühzeitig zu erkennen. Ziel ist es, gemeinsam mit den Erziehungsberechtigten diese
Probleme zu beseitigen. Die Schule informiert die Erziehungsberechtigten deshalb über
wesentliche Vorgänge. Ehemalige Erziehungsberechtigte (im Regelfall die Eltern) bereits
volljähriger Schülerinnen und Schüler sind ebenfalls über besondere schulische Vorgänge
in Kenntnis zu setzen.
Philosophie als weiteres Ersatzfach für Religion
In der gymnasialen Oberstufe, im Fachgymnasium, im Abendgymnasium und im Kolleg kann
die Verpflichtung zur Teilnahme am Unterricht Werte und Normen auch durch die Teilnahme
am Unterricht im Fach Philosophie erfüllt werden.
Finanzierung von Integrationsklassen an Privatschulen
Dem
Integrationsgedanken
des
Schulgesetzes
wird
durch
Verbesserung
der
Finanzhilfevorschriften für Schulen in freier Trägerschaft zusätzlich Rechnung
getragen. Privatschulen mit Integrationsklassen erhalten eine erhöhte Finanzhilfe.
Kultusminister Busemann beabsichtigt, neben der Umsetzung der Schulstrukturreform eine
innere Schulreform durchzuführen: Verbindliche Bildungsstandards, Leistungstests und
verbindliche
Abschlussprüfungen
zur
Qualitätsentwicklung,
die
Stärkung
der
Eigenverantwortlichkeit von Schule im Rahmen des staatlichen Bildungsauftrages und die
frühe und ganzheitliche Förderung aller Schülerinnen und Schüler sind dabei das
erklärte Ziel. Es ist zu erwarten, dass das von der letzten Landesregierung in Aussicht
genommene Vorhaben „Selbstständige Schule“ als Projekt „Eigenverantwortliche Schule“ im
Wesentlichen inhaltsgleich durchgeführt wird. Die einzelnen Elemente werden dann
allerdings mit Ausnahme des Schulprogramms und der Qualitätsentwicklung wohl fakultativ
sein.
1 Der Autor ist Leiter des Referats für schulrechtliche Grundsatzangelegenheiten, Schulträgerahngelegenheiten
und Bildungsförderung im Niedersächsischen Kultusministerium.
2 Nds.GVBl. S. 244.
3 Nds. GVBl. S. 366.