Welchen Beitrag leisten die Massenmedien zur Integration von
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Welchen Beitrag leisten die Massenmedien zur Integration von
Rainer Geißler Welchen Beitrag leisten die Massenmedien zur Integration von Migranten? Forschungsbefunde zu Deutschland Vortrag auf den Nürnberger Tagen zur Integration am 19. Mai 2011 Fragt man die Medienwirkungsforschung mit ihren Tausenden von Studien nach dem Beitrag der Massenmedien zur Integration von Migranten, dann erhält man nur eine völlig vage und unbefriedigende Antwort. Die Wirkungsprozesse der Massenmedien sind so komplex und von so vielen verschiedenen Faktoren abhängig, dass man sie empirisch-theoretisch kaum in den Griff bekommt (vgl. die Übersicht bei Weber-Menges 2005). Dennoch sind die Politiker, die Medienschaffenden und auch die meisten Sozial- und Kommunikationswissenschaftler davon überzeugt, dass die Massenmedien bei der Integration der Einwanderer eine wichtige Rolle spielen. Auch mein Vortrag geht davon aus, dass das Wissen über und die Einstellungen zu Migration und Integration sowohl bei Einheimischen als auch bei Migranten wesentlich mit davon beeinflusst sind, wie die Thematik von Migration und Integration in den Medien präsentiert wird. Ich werde im Folgenden drei Fragen auf der Basis der empirischen Forschungsbefunde beantworten: 1. Wie wird das Thema Migration und Integration in den deutschen Mainstream-Medien dargestellt? 2. Wie stark sind Menschen mit Migrationshintergrund an der Produktion der Mainsstream-Medien beteiligt? 3. Welche Rolle spielen die Ethnomedien bei der Integration? 2 1. Wie wird das Thema Migration und Integration in den deutschen Mainstream-Medien dargestellt? Die Präsentation des Themas Migration und Integration in den deutschen Medien ist derjenige Bereich, der „im Prinzip“ mit Abstand am besten erforscht ist. Seit den 1960er Jahren wurden ein Fülle von Inhaltsanalysen angefertigt, die in einem wichtigen Punkt übereinstimmen (vgl. die Bilanzen bei Müller 2005 und Ruhrmann 2009): Migranten werden häufiger in positiven als in negativen Kontexten präsentiert. Die Kommunikationsforschung spricht daher vom „Negativismus“ bei der medialen Darstellung von Migranten. Dieser Negativismus hat drei wichtige Facetten: Facette 1: Migranten kosten den deutschen Steuerzahler Geld. Sie belasten das soziale Netz und die öffentlichen Haushalte. Dass diese Facette ein Vorurteil ohne reale Grundlage ist, wurde bereits in den 1990er Jahren von Wirtschafts- und Finanzwissenschaftlern belegt. Unter dem Strich sind Miganten keine finanzielle Belastung, sondern sie entlasten den Steuerzahler um einen Betrag, der „in etwa dem Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer entspricht“ (Heilemann/von Loeffelholz 1998, 14; vgl. auch von Loeffelholz u. a. 2004, 47). In anderen Worten: Migranten kosten den deutschen Steuerzahler kein Geld, sondern sie zahlen ihm den Solidaritätszuschlag für den Aufschwung Ost zurück. Facette 2: Migranten sind Problemgruppen. Sie machen den Deutschen Probleme und haben selbst viele Probleme. Facette 3: eine sehr grelle Facette: Migranten bedrohen die öffentliche Sicherheit. 2 3 Sie werden sehr häufig als Kriminelle und Gewalttäter präsentiert – als Schläger, Einbrecher, Geiselnehmer, Erpresser, Mörder, Sexualstraftäter, seit dem 11. September 2001 besonders häufig als Terroristen. Beispiele aus BILD, DER SPIEGEL und FOCUS werden in der Powerpoint-Präsentation zu diesem Vortrag gezeigt.1 Ich habe vorhin einschränkend formuliert, der Bereich Medieninhalte sei „im Prinzip“ am besten erforscht. Es lassen sich nämlich gegen die Inhaltsanalysen und deren Ergebnisse zwei berechtigte Einwände ins Feld führen. Zum einen untersuchen die bisherigen Studien aus forschungsökonomischen Gründen fast ausschließlich den Sektor Nachrichten/Information/Dokumentation und dies vor allem bei den Printmedien. Informationen lassen sich erheblich einfacher empirisch analysieren als der kunterbunte Unterhaltungssektor des Fernsehens, zu dem nur wenige Studien vorliegen. Diese machen ein differenzierteres Bild des Themas Migration und Integration sichtbar. Eine qualitative Analyse zur fiktionalen Fernsehunterhaltung zeigt, dass in Filmen, Krimis und krimiähnlichen Sendungen auch sozialkritisch auf Alltagsrassismus, Flüchtlingselend und die inhumanen Seiten der Flüchtlingspolitik hingewiesen wird (Thiele 2005). Und eine Untersuchung der quotenstarken „Tatort“-Krimis kommt zu dem Ergebnis, dass neben klischeehaften und negativ besetzten Migrantenfiguren auch häufig positive Modelle des Miteinanders von Migranten und Einheimischen gezeigt werden (Ortner 2007). Die Fernsehunterhaltung bietet also offensichtlich zumindest teilweise so etwas wie einen Gegenpol zum negativistischen Informationssektor. Nicht untersucht sind bisher Casting-Shows wie z.B. Deutschland sucht den Superstar, wo „visible minorities“ – wie die Kanadier sagen – zu den Stars und 1 Die Powerpoint-Präsentation zu diesem Vortrag steht online im Anschluss an den Vortragstext. 3 4 Gewinnern zählen. Diese bilden Identifikationsfiguren für viele Zuschauer, auch für Migranten. Und noch eine weitere Forschungslücke fällt auf: Radiosendungen wurden bisher von den Inhaltsanalytikern gemieden. Der zweite Einwand ist noch gravierender. Exakte Forschung braucht Zeit. Zwischen der Veröffentlichung der Forschungsergebnisse und einer dynamischen Realität entsteht ein „time-lag“. Und die Realität im Feld Migration und Integration hat in Deutschland im letzten Jahrzehnt eine besonders starke Dynamik entfaltet, sie ist der Forschung z. T. davongelaufen. Im öffentlichen Diskurs über Migration und Integration hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Aus einem Diskurs über den unerwünschten Ausländer, in dem das Dogma „Deutschland ist kein Einwanderungsland!“ dominierte und der Begriff der Integration nicht vorkam, ist ein Diskurs über die Notwendigkeit von Migration und Integration geworden. Und es wäre sehr verwunderlich, wenn sich dieser qualitative Schub nicht auch in der medialen Darstellung der Migranten wiederfinden würde. Leider liegen dazu bisher keine umfassend angelegten Längsschnittstudien vor, die diesen vermutlichen Wandel einfangen könnten. Ich stelle Ihnen daher kurz einige Ergebnisse von zwei kleineren Inhaltsanalysen vor, die wir in unserem Projekt „Mediale Integration von ethnischen Minderheiten“ im Rahmen des Siegener DFG- Sonderforschungsbereichs „Medienumbrüche“ durchgeführt haben. Ein Vergleich der Darstellung von Migranten in den beiden Siegener Lokalzeitungen – Siegener Zeitung und Westfälische Rundschau – in den Jahren 1996 und 2006 fördert Folgendes zutage (Fick 2009): Der Negativismus hat sich etwas abgeschwächt. So werden z.B. 2006 Migranten immer noch häufig als Kriminelle präsentiert, nämlich in 30% aller Artikel über Migranten, aber 1996 war dies noch in 42% der Artikel der Fall. Interessant sind die Unterschiede zwischen Lokalteil und überregionalem Teil. Während der Negativimus im 4 5 überregionalen Teil in etwas abgeschwächter Form fortlebt, überwiegen im Lokalteil des Jahres 2006 inzwischen die positiven Kontexte. Migranten werden häufig als wichtige Arbeitnehmer oder erfolgreiche Selbständige dargestellt, als gute Nachbarn, als integrierte oder integrationswillige Bürger, die sich zivilgesellschaftlich, kulturell oder schulisch engagieren. Mamas lernen Deutsch, Moschee und Minirock oder Integration wird großgeschrieben sind Beispiele für Schlagzeilen über großen bebilderten Artikeln in den Lokalteilen. Es gibt allerdings eine Ausnahme von dieser erfreulichen Tendenz zur Abschwächung des Negativismus: das mediale Bild von Islam und Muslimen. Die Terror-Anschläge vom 11. September 2001 hatten die negativen Konturen des Islambildes und dabei insbesondere die Akzentuierung der vom Islam ausgehenden Gefahren erheblich verstärkt (Halm 2006). Am negativen medialen Zerrbild des Islam und der Muslime haben auch zwei Islam-Konferenzen und zwei Integrationsgipfel nichts verändert. Die zweite Siegener Analyse untersucht die Darstellung des Islam und der Muslime in der BILD-Zeitung und im SPIEGEL in den vier Monaten von Juli bis Oktober 2007 (Javadian Namin 2009). In diesem Zeitraum erschienen in BILD 122 Artikel und im SPIEGEL 113 Artikel mit Islambezug. In Dreiviertel von ihnen – in BILD in 77% der Artikel und im SPIEGEL in 73% - waren die Kontexte negativ besetzt und nur in 9% (BILD) bzw. 15% (DER SPIEGEL) positiv. Die dominierende Kontur des negativ eingefärbten Islambildes ist die grelle Facette der Gewalt: 55% der BILD-Beiträge und 40% der SPIEGEL-Beiträge handeln von terroristischen Anschlägen, extremistischen Gewalttaten, Geiselnahmen und ähnlichen Vorkommnissen. Islam und extremistisch-fundamentalistischer Islamismus werden dabei nicht auseinandergehalten, sondern miteinander vermengt. Wie auch Hafez/Richter (2007) in ihrer Analyse der Magazine, Dokumentationen, Reportagen und Talkshows von ARD und ZDF aus den Jahren 2005 und 2006 zeigen, werden die Religion des Islam und ihre Anhänger in einer negativ 5 6 eingefärbten fremden Konturen dargestellt Andersartigkeit mit bedrohlichen, gewaltbereiten – ein Bild, in dem sich die große Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime nicht wiederfinden kann. Wo liegen die Ursachen für diesen Negativimus mit seiner grellen Facette von Gewalt und Kriminalität? Es lassen sich drei Gründe für die Verzerrung ins Negative ausmachen. Die Hauptursache liegt in der empirisch-theoretisch gut erforschten, international verbreiteten Hierarchie der sogenannten Nachrichtenwerte. Eine Nachricht wert – weil für das Publikum attraktiv – ist das Sensationelle, Erschreckende und Skandalöse, das Schockierende und Schädliche, sind Kriege und Krisen, Terror, Gewalt und Kriminalität. Die Amerikaner haben die Theorie der Nachrichtenwerte auf die zynische Formel komprimiert: The only good news is bad news. Der zweite Grund ist etwas Positives: Massenmedien haben in demokratischen Gesellschaften eine Kritikfunktion. Sie haben die Aufgabe, eine kritische Öffentlichkeit herzustellen. Sie sollen erkannte Probleme öffentlich machen und nicht tabuisieren. Und in keinem Einwanderungsland laufen Migration und Integration ohne Probleme ab. Der dritte Grund liegt in der ethnischen Zusammensetzung Medienpersonals. Damit bin ich bei meiner zweiten Frage angelangt: 6 des 7 2. Wie stark sind Menschen mit Migrationshintergrund an der Medienproduktion beteiligt? Die Beteiligung der Migranten an der Herstellung der Medieninhalte ist am schlechtesten erforscht – oder genauer: so gut wie gar nicht erforscht. Aussagen dazu sind – von einer Ausnahme abgesehen – Schätzungen. In der Regel wird der Anteil der Migranten am Medienpersonal auf mindestens 2% und höchstens 4% geschätzt. Die Ausnahme bildet unsere Siegener Studie zu den Redaktionen der deutschen Tageszeitungen (Geißler/Enders/Reuter 2009). Eine Vollerhebung unter den 1229 Chef- und Lokalredaktionen der 600 Tageszeitungen des Jahres 2008 ergab: Nur 200 der 16.000 hautberufliche tätigen Journalisten sind eingewandert oder stammen aus einer Einwandererfamilie. Etwa 15% der Bevölkerung Deutschlands ab 25 Jahre haben einen Migrationshintergrund, aber diese 15 Prozent sind nur mit 1.25% in den Zeitungsredaktionen vertreten. In 84% der deutschen Tageszeitungen sind die Einheimischen unter sich. Wer es als Migrant geschafft hat, in einer Redaktion Fuß zu fassen, ist dort in der Regel gut integriert. Die Migranten/innen werden thematisch nicht „auf ihren Migrationshintergrund reduziert“, wie viele befürchten (z.B. Oulios 2009). So gut wie niemand von ihnen beschäftigt sich ausschließlich oder hauptsächlich mit den Themen von Migration und Integration, sondern die Migranten sind ähnlich auf die verschiedenen Ressorts verteilt wie die Einheimischen. Da sie deutlich jünger sind als die einheimischen Journalisten, haben sie (bisher) selten einen Chefsessel erklimmen können, aber unter den Ressortleitern oder Chefs vom Dienst sind sie ähnlich stark vertreten wie die Einheimischen. Im Gegensatz zu den Einheimischen, die in der Regel aus oberen oder mittleren Schichten kommen, stammen 40% der Migranten aus Familien von Arbeitern 7 8 oder Routinedienstleistern; für sie ist der Beruf des Journalisten ein sozialer Aufstieg. Es ist sicher, dass Migranten in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten besser beteiligt sind als in den Zeitungen. Denn die öffentlich-rechtlichen Medien haben einen offiziellen Integrationsauftrag. In zweien von ihnen – im SWR und im WDR – wurde vor einigen Jahren das Amt eines Integrationsbeauftragten eingerichtet. Aber bisher weiß niemand – auch die Rundfunkanstalten selbst wissen es nicht –, wie hoch der Anteil von Migranten am Medienpersonal ist. Die Gründe für das krasse Defizit an ethnischer Diversität unter den Medienschaffenden sind bisher nicht empirisch untersucht. Aber man kann dazu einige plausible Überlegungen anstellen. Die Gründe dürften sowohl auf der Nachfrageseite als auch auf der Angebotsseite zu suchen sein. Auf der Nachfrageseite gibt es bei einem Teil der Medien Vorbehalte, Migranten einzustellen. Viele der privaten Printmedien sehen es nicht als ihre Aufgabe an, einen Beitrag zur Integration zu leisten. Ihre Betriebslogik ist die Gewinnorientierung. Auf der Angebotsseite schlagen die schlechten Bildungschancen der jungen Menschen aus Einwandererfamilien zu Buche. Die Qualifikationen für den Journalistenberuf werden heute fast ausschließlich an Hochschulen erworben. Und dort sind Studierende mit Migrationshintergrund um etwa das Dreifache unterrepräsentiert. Sie haben zusätzlich die Tendenz, sprachorientierten Fächern aus verschiedenen Gründen auszuweichen. Ist es überhaupt sinnvoll, beim Medienpersonal anzusetzen, um die Medien integrativer zu gestalten? Welchen Einfluss haben Medienschaffende mit Migrationshintergrund auf die Medieninhalte, auf die mediale Präsentation von Migration und Integration? In der nordamerikanischen Forschung besteht 8 9 Einigkeit darüber, dass eine angemessene Beteiligung von Migranten am Medienpersonal eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für integrative Medieninhalte ist (Fleras 2006, Wilson u.a. 2003). Notwendig ist sie, weil Migranten bei der Auswahl und Aufmachung der Medienbotschaften z. T. spezifische Kenntnisse, Wahrnehmungen, Perspektiven und Standpunkte einbringen, die bei Einheimischen nicht vorhanden sind. Andererseits ist eine Beteiligung von Migranten nicht hinreichend, weil diese bei ihrer Arbeit in die Strukturen der Medienorganisationen eingebunden werden und nicht völlig frei sind bei der Auswahl und Aufmachung dessen, was sie der Öffentlichkeit mitteilen möchten. 3. Welche Rolle spielen die Ethnomedien bei der Integration? In Deutschland hat sich – wie in anderen Einwanderungsländern auch – ein duales Mediensystem entwickelt. Die deutschen Mainstream-Medien haben immer stärker Konkurrenz durch die Ethnomedien bekommen (Weber-Menges 2005a, 2006, 2007a). Mit Ethnomedien sind Massenmedien gemeint, die sich an spezifische ethnische Gruppen von Einwanderern richten - meist in der Herkunftssprache, manchmal zweisprachig, selten auch auf Deutsch. Hintergrund der Zunahme der Ethnomedien ist der technologische Fortschritt (Kabel-TV, Satelliten-TV, Internet, Digitalisierung) sowie Veränderungen bei den Einwanderern. Diese werden immer zahlreicher und vielfältiger – ihre ethnische und sozialstrukturelle (Differenzierung nach Generationen, Alter, Bildungsniveau und Berufsstatus) Vielfalt nimmt zu. Es ist sinnvoll, zwei Typen von Ethnomedien zu unterscheiden: Auslandsmedien und genuine Ethnomedien. Auslandsmedien werden im Ausland oder unter der Regie des Auslands hergestellt, wie z.B. die türkischen Fernsehprogramme oder Hürriyet. Genuine Ethnomedien stellen die Einwanderer selbst in eigener Regie 9 10 im Aufnahmeland her, so z.B. die beliebte rußlanddeutsche Wochenzeitung Russki Berlin. In Deutschland existieren bisher nur wenige genuine Ethnomedien, während sie in klassischen Einwanderungsländern sehr zahlreich sind. So erscheinen in Kanada ca. 350 ethnische Zeitungen, allein in der Provinz British Columbia sind 8 indo-kanadische Zeitungen, davon 5 in der Sprache Pandschabi, verbreitet. Dazu kommen in Kanada 18 ethnische Radiosender und 5 ethnische Fernsehkanäle (Fleras 2009). Zur Rolle der Ethnomedien bei der Integration in Deutschland lassen sich 3 Thesen formulieren (vgl. auch Geißler/Weber-Menges 2009). These 1: Die Ethnomedien sind für viele – nicht für alle – ethnische Minderheiten eine wichtige Brücke zur Herkunftskultur. In einer Studie im Rahmen unseres Siegener Projektes wurden Einwanderer aus Italien, aus der Türkei und Russlanddeutsche gefragt, welche Bedeutung die Ethnomedien für sie haben. 78% der Türkeistämmigen und 70% der Italienstämmigen geben an, dass Ethnomedien Ihnen dabei helfen, die Sprache und Kultur ihres Herkunftslandes zu bewahren. Und für knapp Dreiviertel dieser beiden Einwanderergruppen sind sie eine Hilfe, die Sehnsucht nach ihrem Herkunftsland zu bewältigen.2 Von den Rußlanddeutschen antworten lediglich Minderheiten von 42% bzw. 32% in diesem Sinne. Die Bindungen an ihr Herkunftsland sind bei den Nachkommen früherer deutscher Auswanderer, die in die Heimat ihrer Vorfahren zurückkehren, nicht so stark. Die Antworten bestätigen eine wichtige Erkenntnis der internationalen Identitätsforschung: Ein großer Teil der Einwanderer bildet bikulturelle, hybride Persönlichkeiten aus. Eine neuere repräsentative Studie der Bertelsmann2 Einzelheiten dazu in der Grafik „Ethnomedien – Brücke zur Heimat“ in der Powerpoint –Präsentation, die online im Anschluss an den Vortragstext steht. 10 11 Stiftung belegt die hybriden Identitäten auch für Deutschland. Fast Dreiviertel der Menschen mit Migrationshintergrund (74%) versuchen, die Werte und Traditionen ihres Herkunftslandes mit den deutschen zu verbinden (Bertelsmann-Stiftung 2009). In diesem Zusammenhang ist ein weiteres Ergebnis der internationalen Forschung wichtig: Bikulturalität ist kein Hindernis für die Integration, sondern begünstigt diese sogar. So fördert eine Studie zu jugendlichen Einwanderern in 12 Ländern – darunter auch Deutschland – Folgendes zutage: Bikulturell orientierte Jugendliche sind am besten integriert – erheblich besser als herkunftsorientierte, aber auch etwas besser als assimilierte. Sie sind zufriedener, haben ein höheres Selbstwertgefühl und seltener psychische Problem wie Angst oder Depressionen; in der Schule kommen sie besser zurecht, haben mehr Schulfreude und zeigen seltener Verhaltensauffälligkeiten (Berry u. a. 2006). Die deutschen Mainstream-Medien können Herkunftskultur für die vielen in die wichtige Brücke zur Deutschland lebenden ethnischen Einwanderergruppen nicht herstellen. Sie sind dabei strukturell überfordert: Es fehlt ihnen an Raum oder Zeit, aber auch an Kompetenz. These 2: Die Mediengetto-These ist durch mehrere empirische Mediennutzungsstudien inzwischen widerlegt. Die Vorstellung von Mediengettos geht davon aus, dass ethnische Minderheiten nur ihre Ethnomedien nutzen – z. B. die Einwanderer aus der Türkei nur die türkischen, diejenigen aus Italien nur die italienischen. Die Furcht vor derartigen ethnischen Gettos ist allerdings unbegründet. Alle neueren Studien3 belegen übereinstimmend, dass nur sehr kleine Minderheiten der Migranten ausschließlich ihre Ethnomedien nutzen. Die Grafik zur Mediennutzung 2006 3 Weber-Menges 2007, Windgasse 2007, ARD/ZDF-Medienkommission 2007, Bonfadelli 2009, Sauer 2010. 11 12 zeigt dies beispielhaft an den Ergebnissen unserer Siegener Studie zu den drei bereits erwähnten Einwanderergruppen. Nur sehr kleine Anteile der ethnischen Gruppen nutzen ausschließlich ihre Ethnomedien. Unter den Migranten aus der Türkei sind sie etwas größer als unter den Italienstämmigen und Rußlanddeutschen. Am stärksten ausgeprägt ist noch das türkische FernsehGetto. Knapp ein Drittel (31%) sieht ausschließlich türkische Fernsehprogramme. Darunter befinden sich viele ältere Frauen mit schlechten oder gar keinen Deutschkenntnissen und niedrigem Bildungsstand. Auch vom Internet, von dem vor allem Jüngere Gebrauch machen, geht entgegen manchen Befürchtungen keine Gettoisierungsgefahr aus. Nur 6% der Türkeistämmigen beschränken sich auf türkischsprachige Internet-Angebote.4 These 3: Genuine Ethnomedien leisten einen erheblich besseren Beitrag zur Integration als Auslandsmedien. Diese These stützt sich auf den Vergleich von türkischen Ethnomedien, die fast ausschließlich Auslandsmedien Rußlanddeutschen. Die sind, mit Forschungssituation den zu genuinen den Medien der Ethnomedien ist ausgesprochen dürftig. Es existieren nur wenige Inhaltsanalysen – die meisten noch zu den türkischen Medien und einige wenige zu den rußlanddeutschen (Müller 2005a). Sie kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Inhalte der türkischen Zeitungen und Fernsehprogramme werden sehr ambivalent eingeschätzt, unter dem Strich eher als integrationshemmend. So hat z.B. die viel zitierte Tageszeitung Hürriyet eine groß angelegte Kampagne „Gegen häusliche Gewalt“ ins Leben gerufen oder zusammen mit BILD eine Gemeinschaftsaktion durchgeführt, mit der das Fußballspiel Türkei-Deutschland bei der Europameisterschaft 2008 als Symbol der Freundschaft zwischen Türken und Deutschen gefeiert wurde. Andererseits 4 zeigt eine quantitative Einzelheiten dazu in der Grafik „Mediennutzung“ in der der Powerpoint-Präsentation, die online im Anschluss an den Vortragstext steht. 12 13 Inhaltsanalyse der Europa-Ausgaben des Jahres 2007, dass Hürriyet ihren Lesern und Leserinnen so gut wie keine Integrationshilfen für das Leben in Deutschland anbietet. Stattdessen fordert sie zur Bewahrung der türkischen Kultur auf und plädiert für eine kritiklose Unterstützung der politischen Positionen der türkischen Regierung (Müller 2009) – eine Grundhaltung, wie sie auch der türkische Ministerpräsident Erdogan in seinen sehr kritisierten Reden an die Migranten aus der Türkei bei seinen beiden Besuchen in Deutschland zum Ausdruck gebracht hat. Die wenigen Untersuchungen zu den genuinen Medien der Rußlanddeutschen kommen zu anderen Ergebnissen. Viele Printmedien – darunter die beliebten Wochenzeitungen Russki Berlin und Rheinskaja Gazeta - sind darum bemüht, den Einwanderern nicht nur Informationen über ihre Herkunftsländer zu bieten, sondern sie verdeutlichen auch die Belange der deutschen Aufnahmegesellschaft und helfen ihnen dabei, sich in ihrer neuen sozialen und kulturellen Umgebung zurechtzufinden (Darieva 2010, Pfetsch/Trebbbe 2003). Diese Unterschiede spiegeln sich auch in der Einschätzung zur integrativen Rolle der Ethnomedien durch die beiden Einwanderergruppen wider. Der Aussage „Die türkischen Medien fördern ein gutes Klima zwischen Deutschen und Türken“ stimmen lediglich 14% der Einwanderer aus der Türkei zu, 43% lehnen diese Aussage ab. Selbst die deutschen Medien werden noch etwas positiver beurteilt und erhalten 17% Zustimmung und 42% Ablehnung. Die Einschätzung der Medien durch die Russlanddeutschen fällt spiegelbildlichgegensätzlich aus: Sowohl die Ethnomedien als auch die deutschen Medien erhalten im Hinblick auf die Förderung eines gutes Klimas zwischen Deutschen und Russlanddeutschen deutlich mehr Zustimmung und erheblich weniger 13 14 Ablehnung. Die Urteile der Einwanderer aus Italien liegen in der Mitte zwischen den beiden anderen Gruppen.5 Ein kurzes Fazit Die Massenmedien – sowohl die deutschen als auch die ethnischen – können einen wesentlich besseren Beitrag zur Integration leisten, als sie es bisher tun. Die deutschen Medien stehen vor der Aufgabe, den Negativismus bei der Darstellung des Themas Migration und Integration weiter abzubauen und die negativen und positiven Kontexte in eine angemessene Balance zu bringen. Probleme von Migration und Integration dürfen nicht tabuisiert werden, aber sie dürfen erst recht nicht dramatisiert werden. Der Notwendigkeit von Migration und Integration sowie ihren Möglichkeiten und Erfolgen muss in den Medien mehr Raum bzw. Zeit eingeräumt werden. „Mehr Migranten in die Medien!“ – die Orientierung an dieser Maxime kann dabei helfen. “Die Integration in Deutschland ist besser als ihr Ruf.“ In etwa diese Worte kleidet Klaus J. Bade, der Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration, ein wichtiges Ergebnis der Arbeit dieses Gremiums (Bade 2011). Der von der Realität abweichende schlechte Ruf der Integration ist ein mediales Produkt, und es ist an der Zeit, dass die Medien dieses Produkt verbessern. 5 Weitere Einzelheiten dazu in der Grafik „Einschätzung der Medien“ in der Powerpoint-Präsentation, die online im Anschluss an den Vortragstext steht. 14 15 Literatur ARD-ZDF-Medienkommission (2007): Migranten und Medien 2007. o. O. Bade, K. J. (2011): Ich sitze keinem Politbüro vor. In: FAZ vom 18. 5. 2011, S. 25. Berry, John W. u. a. (2006): Immigrant Youth in Transition. Acculturation, Identity, and Adaption Across National Contexts. Mahwah/Jersey/London. Bertelsmann-Stiftung (2009): Zuwanderer in Deutschland. Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von Menschen mit Migrationshintergrund. Gütersloh. Bonfadelli, Heinz (2007): Keine Belege für die „Ghetto-These“. 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Resümee bisheriger Inhaltsanalysen Berichterstattung über Migranten Migranten bedrohen die öffentliche Sicherheit: Sie werden häufig als Kriminelle präsentiert als Schläger, Einbrecher, Geiselnehmer, Erpresser Mörder, Sexualstraftäter, seit dem 11. September 2001 bes. häufig als Terroristen. Facette 3 Migranten sind Problemgruppen: Sie machen den Deutschen Probleme und haben selbst Probleme. Facette 2 Migranten kosten den deutschen Steuerzahler Geld: Sie belasten das soziale Netz und die öffentlichen Haushalte. Facette 1 „Negativismus“: häufiger in negativen als in positiven Kontexten Rainer Geißler (Quelle: Patrick Fick in: Geißler/Pöttker 2009) - zivilgesellschaftliches, kulturelles, schulisches Engagement - Beiträge zum ökonomischen Leben als Arbeitnehmer oder Selbständige - gute Nachbarn - Integrationsbereitschaft Im Lokalteil überwiegen 2006 positive Darstellungen wie Im überregionalen Teil weiterhin etwas abgeschwächter Negativismus. deutliche Unterschiede zwischen überregionaler Berichterstattung und Lokalteil: z. B. Migranten als Kriminelle: 1996 in 42% aller Artikel 2006 in 30% aller Artikel Abschwächung des Negativismus Siegener Zeitung und Westfälische Rundschau Berichterstattung über Migranten 1996 und 2006 Rainer Geißler 73% 12% 15% 77% 4% 9% BILD 40% 55% aller Artikel terroristische Anschläge,extremistische Gewaltakte, Geiselnahmen u.ä. negativ ausgewogen positiv DER SPIEGEL Bewertung von Islam/Muslimen BILD und DER SPIEGEL 2007 Berichterstattung über Islam und Muslime (Quelle: Parisa Javadian Namin, in: Geißler/Pöttker 2009) Rainer Geißler Hauptursache: Hierarchie der Nachrichtenwerte (The only good news is bad news.) Kritikfunktion demokratischer Massenmedien völlig unzureichende ethnische Diversität des Medienpersonals 1. 2. 3. Warum Negativismus mit der grellen Facette von Kriminalität und Gewalt? Rainer Geißler (Quelle: Geißler/Enders/Reuter 2009 - Vollerhebung bei den 1.229 Chef- und Lokalredaktionen der 600 deutschen Tageszeitungen des Jahres 2008) In 84% der Tageszeitungen sind die Einheimischen unter sich. Nur 200 von ca. 16.000 hauptberuflich tätigen Journalisten der deutschenTagungszeitungen (1.25 % )haben einen Migrationshintergrund. Redaktionen der deutschen Tageszeitungen 2008 Rainer Geißler These 1 zur Rolle der Ethnomedien Ethnomedien sind für viele – nicht für alle - ethnischen Minderheiten eine notwendige Brücke zur Herkunftskultur Rainer Geißler These 2 zur Rolle der Ethnomedien Die Vorstellung eines Mediengettos ist durch zahlreiche empirische Analysen zur Mediennutzung inzwischen widerlegt. Rainer Geißler These 3 zur Rolle der Ethnomedien Genuine Ethnomedien leisten einen erheblich besseren Beitrag zur Integration als Auslandsmedien. Rainer Geißler