Können Sie noch ruhig schlafen?

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Können Sie noch ruhig schlafen?
ZEHN UND EINE FRAGE AN
DEN TESSINER HOTELIER
DIEGO GLAUS:
Können Sie noch
ruhig schlafen?
Die Währungskrise macht den Schweizer Hoteliers
arg zu schaffen. Experten gehen davon aus, dass
vor allem die Ferien-Hotels in den Bergen und im
Tessin unter den Folgen des starken Frankens
leiden werden. Wird der Sommer 2015 für die
Tessiner Hotellerie zum Überlebenskampf? Was
tut der erfolgreiche Familien-Hotelier Diego Glaus
(Albergo Losone) gegen die drohende Krise?
10 FRAGEN AN DIEGO GLAUS
Die Ferienregion Tessin werde im
kommenden Sommer besonders leiden
unter den Folgen der aktuellen
Währungssituation, sagen TourismusExperten. Man rechnet mit einem dramatischen
Rückgang der Hotel-Übernachtungen im Südkanton.
Können Sie noch ruhig schlafen?
Der starke Franken ist ja nicht das einzige Problem, das den Hoteliers im Tessin zu schaffen
macht! Denken wir nur an den Stau am Gotthard, den Zuwachs an Zweitwohnungen (trotz
Zweitwohnungsinitiative). Einige Tessiner Hoteliers trinken jetzt mindestens eine Tasse Baldrian-Tee vor dem Einschlafen …
Wie lauten denn Ihre mittelfristigen
Prognosen für den Tourismus und die
Hotellerie im Tessin?
Es gibt mehrere Hinweise, die mich
trotz allem positiv stimmen. Eine Chance für
das Tessin ist sicher die Weltausstellung (Expo)
in Milano, nur 45 km von Lugano entfernt. Die
Hotels im Grossraum Milano werden dabei nur
einen Teil der erwarteten 20 Millionen Besucher beherbergen können. Zudem werden wahrscheinlich viele Schweizer Gäste wegen der Expo
das Tessin besuchen.
Das Tessin entwickelt sich immer
mehr zur Wochenend-Destination. Die
Aufenthaltsdauer nimmt ab, die Gäste
verweilen noch zwei bis drei Tage am
Lago Maggiore oder am Lago di Lugano. Wie
reagieren Sie als Ferien-Hotelier auf diesen Trend?
Das Tessin ist prädestiniert für kurze Ferien-Aufenthalte, das ist und wird auch seine Stärke in
Zukunft sein. Von Zürich aus erreicht man das
Tessin mit dem Auto in nur zwei bis drei Stunden
(ohne Stau). Man taucht nach dem Gotthardtunnel in eine völlig andere, mediterrane Welt ein, in
eine neue Kultur-, Klima- und Sprachzone, ohne
dabei auf die vertraute Sicherheit und Zuverlässigkeit, wie man sie im Norden kennt, zu verzichten. Das ist ein USP – und keine Schwäche!
Wir erlauben uns in der Schweiz allerdings den
Luxus, die touristischen Infrastrukturen nur an
wenigen Tagen voll zu nutzen. Fazit: An Wochenenden und während Schulferien sind die Hotels
voll, die Destinationen am Limit. Ein ökologischer Unsinn! Da müsste die Politik bundesweit
aktiv werden und zum Beispiel die Schulferien in
den Kantonen so strukturieren, dass es nicht zu
solchen «Auswüchsen» kommt. Warum müssen
alle Schulen in der Schweiz am Montagmorgen
beginnen? Eine Verteilung der Touristenströme
würde die Wirtschaftlichkeit von Hotels und
Tourismus-Lagen in der ganzen Schweiz verbessern – und die Staus am Gotthard verkürzen.
Das Hotel-Sterben werde das Tessin
besonders hart betreffen, weil es
zwischen Brissago und Morcote (zu)
viele nicht mehr wettbewerbsfähige
Hotel-Betriebe gebe, sagen Tourismus-Experten
schon lange. Welche Hotels im Tessin werden
überleben und Erfolg haben, welche nicht?
Hotels, die klar positioniert und einzigartig sind,
werden überleben. Wichtig ist, dass man nicht
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dem Mainstream folgt, dass man sich auf seine
Stärken konzentriert und laufend in Service und
Qualität investiert.
Sagen Sie uns bitte, warum wir ausgerechnet in Ascona oder Brissago unsere
Ferien oder ein Wochenende verbringen
sollten und nicht im 5 km entfernten
italienischen Cannobio, wo Hotels und Restaurants
30 bis 40 Prozent günstiger sind?
Kein Zweifel, auch Italien hat gute Hotels und
Restaurants, doch das politische und wirtschaftliche Umfeld ist problematisch. Italien steckt in
einer Krise. Wer schon mal in Italien mit den
Behörden zu tun hatte, kann ein Lied davon singen. Zudem ist die Infrastruktur in Italien alles
andere als perfekt. Das ist im Tessin völlig anders.
Wir bieten gut ausgebaute Wanderwege, Seilbahnen und Badeanlagen. Fast alles ist auf dem
neusten Stand.
Der Bau-Boom im Tessin kennt keine
Grenzen. Trotz Zweitwohnungsinitiative
werden fast alle Hügel und Wiesen am
Lago Maggiore verbaut. Es entstehen
immer mehr Residenzen mit «kalten Betten» – und
die Hotels verlieren gute Gäste, weil diese
Appartements und Häuser kaufen. Was tun Sie
dagegen?
Das ist seit zwanzig Jahren eines der grössten Probleme im Tessin. Der ungebremste Bau
von Zweitwohnungen ist auch der Hauptgrund
dafür, dass viele Hotel-Betriebe im Tessin nicht
mehr rentieren. In Österreich hat man das Problem der «kalten Betten» viel früher erkannt und
dadurch die Hotellerie gerettet. Die positive Wirkung der Zweitwohnungsinitiative wird erst in
zehn oder fünfzehn Jahren zu spüren sein. Oft
sind Zweitwohnungen reine Kapitalanlagen. Wir
bieten den Gästen seit vielen Jahren die Möglichkeit, ihr Kapital im Hotel zu investieren. Satt
Zins erhalten die Investoren Gratisübernachtungen. So gelingt es uns, zahlungskräftige Gäste
an unser Hotel zu binden.
Das Tourismus-Bewusstsein in der
Tessiner Bevölkerung ist nicht sehr
ausgeprägt. Zudem gelten die Tessiner
als nicht besonders freundliche
Gastgeber. Wie kann man das ändern?
Da hat sich in den letzten Jahren vieles verbessert. Doch die Sprache ist oft eine Barriere.
Das Referendum gegen die zweite Röhre
am Gotthard ist zustande gekommen.
Was tun Sie, wenn die zweite Röhre
nicht kommt und viele Touristen aus
dem Norden den Südkanton deswegen meiden?
Ich bin ein Optimist! Natürlich wäre die Schliessung des Gotthardtunnels ein enormes Problem
für die Tessiner Wirtschaft. Doch ich bin zuversichtlich. Der Schweizer Stimmbürger wird die
Wichtigkeit des Tunnels erkennen.
Das «Albergo Losone» ist als FamilienHotel klar und erfolgreich positioniert. Sie
gelten als «Muster-Hotelier», wenn es um
neue Ideen und Innovationen geht. Wie
lautet Ihr Erfolgsprinzip?
Was können wir von Ihnen?
Ich muss zugeben: In seelenlosen Design- und Kettenhotels
wird es mir rasch langweilig.
Wenn ich in die Ferien gehe,
suche ich Geschichten, Originalität, Menschlichkeit und
Patina. Als Hotelier frage ich
mich: Was würde ich als Gast
schätzen? Was ist überflüssig?
So gesehen ist das «Albergo
Losone» ein wenig mein Spielplatz, auf dem ich als Besitzer
grosse Freiheiten geniesse und
eigene Wege gehen darf.
Wie reagieren Sie
im «Albergo Losone»
auf die möglichen
negativen Folgen der
aktuellen Währungssituation?
Und was raten Sie Ihren Kollegen
in anderen Ferienregionen?
Preisanpassungen sollten nur
bei Langzeitaufenthalten und
bei Gästen vorgenommen werden, die eine Reise ins Ausland in Erwägung ziehen könnten. Von dieser Preispolitik profitieren vor allem auch Gäste
aus dem EU-Raum, die längere
Aufenthalte buchen. Für kurze
Ferien oder Wochenenden ist
das Tessin nach wie vor ideal.
Da gibt es kaum Alternativen –
sofern das Wetter mitspielt. H
Das Albergo Losone ist im Besitz der
Familie Glaus. Das Ferien-Hotel mit
60 Zimmern (100 Betten) ist nicht klassifiziert und auch nicht Mitglied von
Hotelleriesuisse. Das «Albergo Losone»
gilt als eines der erfolgreichsten Familien- und Kinder-Hotels der Schweiz.
Laut Hotel-Rating der «SonntagsZeitung» ist das «Albergo Losone» seit
zwölf Jahren sogar «bestes FamilienHotel der Schweiz». 85 Prozent der
Gäste stammen aus der Schweiz, der
Anteil Feriengäste beträgt 85 Prozent,
die restlichen 15 Prozent sind Tagungsund Seminargäste. Der durchschnittliche Zimmerpreis (DZ) liegt bei 420
Franken. Eröffnet wurde das «Albergo
Losone» im Jahr 1955 als erstes Motel
der Schweiz, damals mit Zimmern ohne
Fenster. Diego Glaus führt das Hotel
seit 1995 als Geschäftsführer und Gastgeber. 2004 erhielt er einen Preis für
«exzellente Gastfreundschaft». Der
Swiss Venture Club ehrte das «Albergo
Losone» mit dem Unternehmerpreis der
italienischen Schweiz (2007).
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