10 Praktische zuchthygienische Maßnahmen des SSV zur

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10 Praktische zuchthygienische Maßnahmen des SSV zur
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Titelthema
SSV-Kurier 4-2007
Praktische zuchthygienische Maßnahmen des SSV
zur Verbesserung der Lebenserwartung
In den frühen 90er Jahren begann man sich im
SSV – wie sicher auch in anderen Zuchtvereinen
– große Sorgen um die im Durchschnitt zu kurze
Lebenserwartung unserer Berner zu machen.
Nur vereinzelt erreichten uns Informationen über
verstorbene Berner. In der Regel wurden diese
von Mund zu Mund weitergegeben. Schriftlich
erfuhren wir eher selten, dass ein Hund gestorben war. Hatte man es bisher – wenn auch mit
Schrecken – hingenommen, dass viele Hunde
schon im viel zu frühen Alter starben, wollten
wir jetzt Genaueres wissen: Was war die Todesursache? Wurden die Hunde evtl. pathologisch
untersucht? Wir entwickelten in dieser Zeit ein
Formular, welches allen Hundebesitzern zugeschickt wurde, von denen wir wussten, dass sie
ihren bisherigen Begleiter verloren hatten.
Diese Angaben wurden zwar erfasst, aber ein
Programm, diese den Züchtern und Bernerbesitzern zugänglich zu machen, gab es damals
noch nicht.
Aber ein Anfang war gemacht.
Auch machte uns der überproportional häufige
Einsatz einiger Deckrüden große Sorgen. Alle
Appelle unserer damaligen Zuchtverantwortlichen an unsere Züchter und Deckrüdenbesitzer
in Eigenverantwortung mehr Rüden in der Zucht
einzusetzen, die noch keinen oder wenig Nachwuchs hatten, bzw. ihre Rüden sparsamer und
mit Umsicht für Verpaarungen zur Verfügung
zu stellen, schlugen fehl. So kam es dazu, dass
einige Rüden alleine im SSV bis zu 740 direkte
Nachkommen haben. Hinzu kamen natürlich
noch die Deckeinsätze im Ausland.
Nach vielen Gesprächen – auch mit dem wissenschaftlichen Beirat des VDH - wurde ein neuer
Zuchtplan erstellt und von den SSV-Gremien im
Herbst 2004 in Kraft gesetzt.
Im Wesentlichen erfasst der Zuchtplan hinsichtlich einer angestrebten längeren Lebenserwartung folgende Bestimmungen:
■ zielgerichteter Einsatz der zur Verfügung stehenden Zuchthunde unter Berücksichtigung
des Lebensalters ihrer Ahnen und Geschwister,
■ umfassende Kontrolle der Nachzucht,
■ Steigerung der Verantwortlichkeit der Rüdenund Hündinnenbesitzer.
Im Zusammenhang damit sind alle Züchter und
Besitzer von Berner Sennenhunden aufgefordert,
für hohe Transparenz hinsichtlich der Altersstruktur sowie für eine möglichst umfassende
Kontrolle der Nachzucht zu sorgen.
Im Einzelnen wurden folgende Maßnahmen
beschlossen:
a) zur Verbesserung der Altersstruktur, dürfen
Berner Sennenhunde, die nach der Zuchtund Körordnung des SSV zur Zucht zugelassen
sind bzw. zur Zucht verwendet werden können, nur noch bei Verpaarungen eingesetzt
werden, bei denen für mindestens 10 der 14
Vorfahren (d.h. bis zur Urgroßelterngeneration) beider Paarungspartner eine Lebendmeldung, die nicht älter als 12 Monate ist oder
eine Todmeldung vorliegt. Maßgebend ist
dabei der jeweils aktuelle Datenbestand vor
der Paarung. Liegen die erforderlichen Daten
(Meldungen) nicht vor und können bis zum
Deckakt auch nicht beschafft werden, kann
ein Antrag auf Zulassung der Verpaarung
über die Zuchtleitung an den Zuchtausschuss
gestellt werden.
b) Ein Rüde darf nach erfolgreich absolvierter
Zuchtzulassungsprüfung unter Berücksichtigung der weiteren Zuchtvoraussetzungen
zunächst maximal 21 Würfe zeugen, die in
das Zuchtbuch des SSV eingetragen werden.
Dabei dürfen nicht mehr als 7 Würfe in einem
Zeitraum von 12 Monaten, ab dem Tag des
ersten lebend geborenen Wurfes, gezeugt
werden. Rüden, die das 8.Lebensjahr (= 96
Lebensmonate) vollendet haben, unterliegen
hinsichtlich der Anzahl ihrer Zuchteinsätze
keiner Beschränkung mehr.
c) Rüden, die das 8.Lebensjahr noch nicht vollendet, aber bereits 21 in das Zuchtbuch des SSV
eingetragene Würfe gezeugt haben, können
vom Zuchtausschuss, unter Berücksichtigung
der jeweils aktuellen Situation der vorhandenen Zuchtpopulation der Berner Sennenhunde, für weitere Zuchteinsätze zugelassen
werden. Der Antrag ist mit Begründung und
den vorhandenen Lebend-/Todmeldungen
der Vorfahren, der Wurfgeschwister sowie der
Nachkommen des Rüden und den Ergebnis-
SSV-Kurier 4-2007
sen der Nachzuchtkontrolle gem. e) über die
Zuchtleitung zu stellen.
d) Rüden, die bei in Kraft treten des Zuchtplanes
bereits zur Zucht zugelassen sind und 18 oder
mehr in das Zuchtbuch des SSV eingetragene
Würfe gezeugt, aber das 8. Lebensjahr nicht
vollendet haben, dürfen zunächst noch 3 weitere Würfe zeugen. Alle anderen zu diesem
Zeitpunkt zur Zucht zugelassenen Rüden,
die das 8. Lebensjahr nicht vollendet haben,
dürfen unter Berücksichtigung der bis zum in
Kraft treten des Zuchtplans bereits von ihnen
gezeugten und in das Zuchtbuch des SSV
eingetragenen Würfe zur Zucht verwendet
werden, bis sie insgesamt 21 in das Zuchtbuch des SSV eingetragene Würfe gezeugt
haben. Für den evtl. weiteren Zuchteinsatz
gilt Absatz c.
e) Hündinnen mit Nachkommen, die das Alter
von 18 Monaten erreicht haben, dürfen solange nicht mehr zur Zucht verwendet werden,
bis für mindestens 2 (bei Einlingswürfen 1)
dieser Nachkommen pro Wurf (möglichst ein
1 Rüde und 1 Hündin) eine Untersuchung
auf HD und ED einschließlich der Begutachtung von der Auswertungsstelle des SSV
durchgeführt wurde (Nachzuchtkontrolle).
Die Zuchtleitung (vertreten durch den zuständigen Zuchtwart) legt in Absprache mit
dem Züchter bei der Wurfabnahme fest,
welche Nachkommen an dieser Nachzuchtkontrolle teilnehmen sollen. Für den Fall, dass
bei einem der ausgewählten Hunde z.B. aus
gesundheitlichen Gründen die erforderlichen
Untersuchungen nicht durchgeführt werden
können, ist ein weiterer Welpe als „ErsatzNachkomme“ zu benennen. Werden nicht die
von der Zuchtleitung in Absprache mit dem
Züchter ausgewählten Hunde untersucht, so
kann die erforderliche Nachzuchtkontrolle
alternativ auch durch eine Untersuchung von
70 v.H. der Nachkommen pro Wurf erbracht
werden.
Die Züchter sind gehalten den Inzuchtkoeffizienten so niedrig wie möglich zu halten.
Für die Erstellung der nach diesem Zuchtplan
erforderlichen Lebend-/Todmeldungen wurden
zunächst allen Mitgliedern mit unserer Vereinszeitschrift „SSV-Kurier“ entsprechende For-
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mulare zugeschickt. Inzwischen können diese
von unserer Internetseite herunter geladen werden.
Diese Lebendmeldungen müssen von einem
Tierarzt (z.B. bei der jährlichen Impfung) oder
von SSV-Zuchtwarten bestätigt werden.
Außerdem werden automatisch alle Teilnahmen
an Zuchtschauen, Leistungsprüfungen, Nachzuchtkontrollen, Zuchttauglichkeitsprüfungen also an offiziellen Veranstaltungen – automatisch
erfasst. Selbstverständlich gelten auch Deckbescheinigungen und Wurfmeldungen für die
Elterntiere sowie dem Hund deutlich zuzuordnende Impfunterlagen als Lebendmeldungen.
Todmeldungen können – neben der Einsendung
des entsprechenden Formulars - auch formlos
abgegeben werden. Hierzu ist ein pathologisches Gutachten einzureichen oder die vom
Tierarzt vermutete Todesursache anzugeben.
Der SSV verzichtet bisher bewusst auf eine verpflichtende Vorschrift, bei allen Todesfällen ein
pathologisches Gutachten vorzulegen, da wir
uns durch die Offenheit der Meldung insgesamt eine höhere Melderate versprechen. Einige
Züchter und Hundebesitzer scheuen ohnehin
vor einer Todmeldung zurück, wenn die Hunde
frühzeitig und an Krebs gestorben sind, da sie
fürchten ihrer Zucht zu schaden. Dennoch hoffen wir natürlich, dass in Zukunft die Bereitschaft
Hunde nach ihrem Tod pathologisch untersuchen zu lassen - im Interesse der Rasse - deutlich
zunimmt.
Zuletzt im Nov. 2006 wurden vom SSV zur Optimierung der Tod- und Lebendmeldungsrate 847
Fragebogen an die Besitzer von Berner Sennenhunden verschickt, deren Hunde in den Jahren
1997-99 geboren wurden.
458 ausgefüllte Bogen erhielten wir zurück. 305
Hunde leben noch und 153 wurden als verstorben gemeldet. Die meisten waren leider – wie
nicht anders erwartet - an Krebs verstorben.
Insgesamt liegen
uns bisher ca. 5.100
Todmeldungen vor.
Alle Tod- und Lebendmeldungen
sind in dem Computerprogramm
„Dogbase“ erfasst
und unseren Züchtern und Mitglie-
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dern zugänglich. Die Todesursachen werden
nicht öffentlich gemacht, da bisher nur ein
geringer Teil unserer Züchter ehrlich und transparent alle frühzeitig an Tumoren gestorbenen
Hunde aus ihrer Zucht melden. Hier gilt es sicher
zu stellen, dass Unehrlichkeit keine Vorteile für
den Züchter mit sich bringen darf, dagegen
Transparenz hinsichtlich hoher Meldungsraten
belohnt wird. Einmal pro Jahr wird hierzu die
Meldungsrate für aktuelle Lebend- und Todmeldungen – für die von einem Züchter gezüchteten Hunde – veröffentlicht.
Unsere Erfahrungen im Umgang unserer Züchter
mit den neuen, restriktiveren Zuchtbestimmungen sind inzwischen im Großen und Ganzen gut.
Ehe wir daran gingen unsere Pläne in die Tat umzusetzen, wurden in unseren 13 Landesgruppen
Informationsveranstaltungen durchgeführt, um
die Züchter von der dringenden Notwendigkeit
unseres Handelns zu überzeugen. Gleichzeitig
wurde alten Hunden auf SSV-Veranstaltungen
und in den Medien besondere Aufmerksamkeit
geschenkt.
Ich möchte nicht verhehlen, dass es bei einem
geringen Teil unserer Züchter starke Widerstände
gab, die teilweise auch heute noch zu erkennen
sind. Einige – in der Regel kommerziell orientierte
Züchter - haben inzwischen den SSV verlassen,
jedoch findet die Nachhaltigkeit der Zuchtstrategien bei den meisten Züchtern Zuspruch und
wird auch von Welpenkäufern honoriert.
Ich denke wir haben vielen Züchtern dadurch,
dass sie sich sowohl mit der Altersstruktur ihrer
eigenen Hunde, als auch mit der des Paarungspartners befassen müssen, die Augen für die
Problematik der unbefriedigenden Lebenserwartung unserer Berner geöffnet. Viele lassen sich
jetzt gezielt bei ihren Zuchtplanungen von den
Zuchtverantwortlichen des SSV beraten. Leider
kann ich nicht verschweigen, dass trotz wiederholter Appelle, Gesundheit und Lebenserwartung in den Fokus der Zucht zu stellen, einige
unserer Züchter immer
noch Verpaarungen nur
unter dem Aspekt der rein
phänotypischen Schönheit der zu erwartenden
Welpen vornehmen.
Der eingeschränkte Deckrüdeneinsatz wird von
dem größten Teil unserer
SSV-Kurier 4-2007
Deckrüdenbesitzer und Züchter inzwischen akzeptiert. Im Grunde handelt es sich ja nicht
um eine Beschränkung, sondern nur um eine
Umverteilung.
Nur noch wenige Rüden haben die höchstzulässige Anzahl von 7 Würfen in einem Jahr bzw. 21
insgesamt. Rüden die das Alter von über 8 Jahren
erreicht haben, werden verstärkt in der Zucht
eingesetzt. Leider gibt es zu wenig Rüden die in
diesem Alter noch deckfähig sind.
Erfreulich ist, dass der Genpool durch die Beschränkung des Deckeinsatzes einzelner und
der dadurch bedingten Zuchtverwendung einer
deutlich größeren Anzahl verschiedener Rüden,
sich schon erweitert hat.
Die Informationen über die geforderten 10 von
14 Vorfahren liegen für die im SSV geborenen
und zur Zucht zugelassenen Hunde inzwischen
vor. Bei vielen Hunden sind die Angaben für alle
14 Ahnen und darüber hinaus komplett. Die
Angaben über die Geschwister sind in vielen
Fällen noch lückenhaft oder liegen gar nicht
vor. Probleme gibt es vor allen Dingen mit der
Beschaffung von Daten aus dem Ausland. Diese
sind teilweise nur sehr schwer oder gar nicht zu
bekommen. Trotz dieser Schwierigkeiten hat der
Einsatz von Rüden aus anderen Zuchtgebieten
um mehr als ein Drittel zugenommen. Hier kann
uns auf Dauer eine verstärkte Zusammenarbeit
der Vereine und der Mitglieder des internationalen Arbeitskreises weiterbringen. Wir freuen uns,
dass wir mit einigen benachbarten und befreundeten Vereinen einen Kooperationsvertrag zum
Austausch von Daten abschließen konnten. Auch
stellen wir fest, dass im Ausland immer mehr
Daten gesammelt werden.
Die vorläufige Untersuchung unserer Daten
durch Genetiker hat einen hohen Erblichkeitsgrad hinsichtlich der Lebenserwartung ergeben.
Wir hoffen, durch einen Zuchtwert für Lebenserwartung – der jedoch wissenschaftlich fundiert
sein muss - in näherer Zukunft unseren Züchtern, wozu wir auch unsere Deckrüdenbesitzer
zählen, ein weiteres, verbessertes Instrument zur
Erreichung eines höheren Lebensalter unserer
Berner an die Hand geben zu können.
Da unsere Maßnahmen erst seit einem so kurzen
Zeitraum eingeführt wurden, können wir nur
hoffen, dass diese in Zukunft den erwünschten
Erfolg zeigen werden.
Christel Fechler
SSV-Kurier 4-2007
Titelthema
Lebenserwartung und
Genetik
Längere Lebensdauer als mögliches
Zuchtziel beim Berner Sennenhund?
Auszug aus einem Vortrag von PD Dr. Gaudenz
Dolf, Institut für Genetik, Vetsuisse-Fakultät,
Universiät Bern, Schweiz.
Der komplette Vortrag ist in Kürze auf den
Internetseiten des SSV zu lesen
Die Lebenserwartung ist die zu erwartende Lebenszeit eines Individuums und wird synonym
zum Begriff „durchschnittliche Lebensdauer“
verwendet. Im Normalfall dauert es einige Zeit,
bis ein Individuum die Geschlechtsreife erlangt,
darauf durchläuft es die Reproduktionsphase
und schließlich beginnt der komplexe Alterungsprozess.
Die Unterscheidung der Faktoren, die das Altern
beeinflussen und den Faktoren, die einen Einfluss auf die Lebensdauer haben, ist nicht ganz
einfach. Im Falle der Lebensdauer der Berner
Sennenhunde liegt der Fokus auf der Frage, ob
die Lebensdauer dieser Hunde so stark durch
den genetischen Hintergrund bestimmt ist, dass
eine höhere Lebenserwartung als mögliches
Zuchtziel angestrebt werden könnte. Zweifellos
haben Umweltfaktoren einen Einfluss auf die
Lebensdauer, da Unfälle und Krankheiten einen
tödlichen Verlauf nehmen können. Doch es muss
auch eine dominante genetische Komponente
geben, denn wie sonst ließe es sich erklären,
warum eine Maus nicht länger als 4 Jahre lebt,
während eine Fledermaus mit ähnlicher Körpermasse bis zu 34 Jahre alt werden kann.
Unabhängig von den Umweltbedingungen altert eine Maus 25 bis 30 Mal schneller als ein
Mensch. Bei diesem wiederum können zwar
Ernährung und Bewegung einen Einfluss auf die
Lebensdauer und die Gesundheit im Alter haben,
dennoch kann kein Mensch so lange leben wie z.
B. der Rougheye Rockfish, der mehr als 200 Jahre
alt werden kann, ohne dass er Alterungssymp-
tome zeigt, da das Altern in seinem genetischen
Bauplan festgelegt ist. Trotz diesem genetischen
Plan ist der Zweck des Alterns aber nicht unmittelbar ersichtlich, so wie auch Krebs eine dominante genetische Grundlage hat, jedoch nicht zu
einem erkenntlichen Zweck entstanden ist.
Der offensichtlichste Beweis dafür, dass das
Altern einen genetischen Hintergrund hat, sind
die zahlreichen Gene, die den Alterungsprozess
regulieren und die in Modellorganismen wie Hefe, im Wurm Caenorhabditis elegans, in Fruchtfliegen sowie in Mäusen entdeckt wurden.
Mit der Entschlüsselung der Hundegenom-Sequenz können nun alle Gene, die bis dahin mit
dem Alterungsprozess von Modellorganismen
oder Menschen in Verbindung gebracht wurden,
auch beim Hund direkt identifiziert werden.
Die Frage ist, ob die Erkenntnis über die Wirkung
einer einzelnen Genmutation auf die Lebensdauer auch auf die Zucht angewendet werden
kann, um die gegenwärtige Lebenserwartung zu
verlängern.
Da wild lebende Mäuse später geschlechtsreif
werden und außerdem bedeutend länger leben
als Labormäuse, liegt die Vermutung nahe, dass
die Lebensdauer tatsächlich durch die Zucht beeinflusst werden kann. Möglicherweise wurden
beim Berner Sennenhund unwissentlich Genkonstellationen gewählt, die sich negativ auf die
Lebenserwartung auswirken. Wenn dies durch
die Zucht bewirkt wurde, sollte es auch möglich
sein, diesen Prozess über die Zucht wieder rückgängig zu machen.
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Um die Lebenserwartung zu erhöhen, muss
man zuerst die Faktoren kennen, welche die
des Berner Sennenhundes beeinflussen. Es wird
sich um ein eher komplexes Merkmal handeln,
bestehend aus einer genetischen und auch
einer umgebungsbedingten Komponente. Um
die Beschaffenheit eines komplexen Merkmals
bestimmen zu können, ist eine ganze Reihe von
Analysen notwendig. Sind mögliche Faktoren
zur Beeinflussung der Lebensdauer bekannt,
können Strategien zur Verbesserung der Lebenserwartung entwickelt werden. Dazu ist eine
Vielzahl von Daten erforderlich.
Ursache und Wirkung des Alterns sind schwierig
zu trennen. Die Lebensdauer kann z. B. durch
das Vorkommen von Erbkrankheiten beeinträchtigt werden. Hat die bösartige Histiocytosis
einen großen Einfluss auf den Rückgang der
durchschnittlichen Lebensdauer, oder würden
die Hunde sowieso durch den veränderten genetischen Alterungsplan sterben. Um die richtigen
Informationen für die Analysen zu erhalten, sind
folgende Grundinformationen nötig:
■ Identität der Individuen
■ Stammbaum
■ Geburtsdatum
■ Geschlecht
■ Wurfgröße
■ Todesdatum
■ Todesursache
■ Zwinger
Die meisten der erforderlichen Daten sind leicht
zu beschaffen. Schwierig wird es aber bei der
Wurfgröße, da meistens nur die lebend geborenen Welpen angegeben werden. Auch die direkt
nach der Geburt gestorbenen werden nicht im
Zuchtbuch registriert.
Noch problematischer wird es beim Todesdatum
und bei der Todesursache. Will man aber etwas
über den genetischen
Hintergrund der Lebenserwartung in Erfahrung
bringen, sind beide Angaben zwingend.
Die Todesursache wird
selten nachgewiesen,
und wenn, dann nur in
Zusammenhang mit Unfällen oder einer Krankheit. Sie basiert oft auf
der Meinung der Besitzer
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oder auf einer klinischen Diagnose, die sich
meisten nicht auf Autopsiebefunde stützen – vor
allem nicht, wenn ein hohes Alter die ersichtliche
Todesursache darstellt.
Um herauszufinden, ob es sich um ein Problem
der reduzierten Lebenserwartung handelt, ist es
aber wichtig, die Todesursache zu kennen. Es
ist denkbar, dass die normale Lebenserwartung
wieder hergestellt werden könnte, wenn man
einige Todesursachen ausräumt. Aber es ist auch
möglich, dass manche Ursachen lediglich zufällig
mit dem natürlichen Lebensende zusammentreffen, was heißt, dass der genetisch vorbestimmte
Todeszeitpunkt tatsächlich verändert wurde.
Basierend auf den Erkenntnissen über die Lebenserwartung kann angenommen werden,
dass es sich um eine dominante polygenetische
Komponente handelt, die umweltbedingte Faktoren sowie wahrscheinlich auch ein oder mehrere Hauptgene beinhaltet. Die Handhabung
solcher Hauptgene ist auch heutzutage, selbst
mit Hilfe der DNA-Microarraytechnologie nicht
einfach, sondern zeitaufwändig und teuer. Sollte
sich die Hypothese einer dominanten polygenetischen Komponente als richtig herausstellen, so
verspricht die Zuchtwertschätzung als Basis für
die Selektion eine schnellere und kostengünstigere Methode, mit dem Problem der Lebenserwartung umzugehen. Ein weiteres Argument
ist, dass für das Zuchtziel der verlängerten
Lebensdauer indirekt auch die Selektion gegen
die Krankheiten stattfindet, die zum vorzeitigen
Tode führen.
Alles, was dazu benötigt würde, wäre das Geburts- und Todesdatum der Hunde. Dabei darf
aber nicht vergessen werden, dass das Merkmal
der langen Lebensdauer mit anderen wichtigen
Merkmalen des Berner Sennenhundes in Zusammenhang stehen könnte. Deshalb sollte man
sich nicht nur auf die Lebenserwartung konzentrieren, sondern auch alle anderen Merkmale
in Betracht ziehen, um zu verhindern, dass die
Erhöhung der Lebensdauer auf Kosten anderer
Merkmale erfolgt.
Abschließend kann man sagen, dass es auf der
Basis von den Erkenntnissen über die Lebenserwartung anderer Spezies möglich sein sollte, die
Lebensdauer von Hunden durch Zucht zu erhöhen, sofern die nötigen Daten für die Analysen
verfügbar sind oder verfügbar gemacht werden
können.
Titelthema
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Wissenschaftliche Untersuchung
über den genetischen Hintergrund von malignen histiozytären
Tumoren beim Berner Sennenhund.
G.R. Rutteman, Kleintierklinik, Universität Utrecht, Niederlande
In den letzten 20 Jahren ist deutlich geworden,
dass einige Hunderassen ein erhöhtes Risiko zur
Entwicklung spezifischer histiozytärer Tumoren
aufweisen.
(1) Das häufig vorkommende Histiozytom ist
eine echte Neoplasie(Neubildung von Gewebe), die im jungem Lebensalter auftritt und
meistens einen gutartigen Verlauf nimmt. Die
zytologische Untersuchung von Feinnadelaspirationsbiopsien (Gewebeprobenentnahme
mittels einer feinen Nadel ) und die histologische Untersuchung des Gewebes ist im
Wesentlichen diagnostisch und weist neben
gutartigen Histiozyten häufig eine Infiltration
mit Lymphozyten (kleine weiße Blutkörperchen) und/oder Plasmazellen als Teil einer
Immunantwort auf. Selbst ohne chirurgische
Entfernung bildet sich ein Großteil dieser
Tumoren unter dem Einfluss des aktiven Immunsystems zurück. Für ältere Hunde ist eine
Rückbildung dagegen unwahrscheinlicher
und hier ist eine chirurgische Entfernung
oder Bestrahlungstherapie indiziert. Viele Rassen können von diesem Tumor betroffen sein,
gehäuft werden sie beim Boxer und Flatcoated Retriever gefunden.
(2) Hunde aller Rassen können multiple histiozytäre Proliferationen (Wucherungen) in der
Haut ohne Zeichen einer wahren Neoplasie entwickeln. Allerdings kann die Anzahl
und Größe dieser Proliferationen zunehmen
und es können darüberhinaus Ulzerationen
entstehen. Dieses Stadium wird als kutane
Histiozytose (Histiozytose der Haut) bezeichnet. In einem späteren Stadium – und diese
Progression ist häufiger beim Berner Sennenhund zu beobachten – können auch Lymphknoten, die Milz und die Leber betroffen sein:
Dies wird dann als systemische Histiozytose
bezeichnet. Die meisten Onkologen und
Pathologen betrachten die systemische Histiozytose nun mehr als eine nicht-tumoröse
Erkrankung des Immunsystems mit einer
Proliferation von kutanen dentritischen Zellen (mit einer Überwachungsfunktion). Ob
nun gut oder schlecht, schlussendlich führt
die Erkrankung häufig innerhalb eines Jahres zu einem erheblichen Leidensdruck, so
dass eine Euthanasie empfohlen wird. Durch
kürzlich gemachte Fortschritte in der medikamentellen Behandlung kann die systemische
Histiozytose für einen längeren Zeitraum
kontrolliert werden.
(3) Hunde können auch bösartige (maligne)
histiozytäre Tumoren bekommen. Bei einigen
Tieren treten diese zuerst im Weichteilgewebe auf, häufig in Nachbarschaft von Gelenken. Der aktuellen Klassifikation folgend, werden diese Tumoren als histiozytäre Sarkome
bezeichnet (früher wurden diese Tumoren
als maligne fibröse Histiozytome klassifiziert).
Leider entwickeln viele Patienten innerhalb
eines Jahres nach chirurgischer Entfernung
(was häufig eine Gliedmaßenamputation beinhaltet) des primären Tumors Metastasen.
Selbst zum Zeitpunkt der Erstvorstellung
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Titelthema
lassen sich bei 15% der Hunde manifeste
Makrometastasen diagnostizieren, wobei am
frequentesten die regionalen Lymphknoten,
die Lunge, sowie die Leber und/oder die
Milz betroffen sind. Der Flatcoated Retriever,
etwas geringer der Berner Sennenhund und
moderat der Rottweiler weisen ein erhöhtes
Risiko zur Entwicklung von histiozytären Sarkomen im Vergleich mit anderen Rassen auf.
(4) Wenn sich maligne Tumoren aus Histiozyten
in inneren Organen wie Milz, Leber, Knochenmark oder Lunge entwickeln, kann der primäre Tumor häufig nicht identifiziert werden. Betroffene Tiere weisen als klinischen Symptome
Ermüdung, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust,
Blutarmut (Anämie) sowie manchmal Fieber
auf. Die Anämie ist meist regenerativ, ohne
zirkulierende Antikörper gegen körpereigene
rote Blutzellen (Coombs-Test negativ) und
Folge des Verbrauchs der roten Blutkörperchen (sogenannte Erythrophagozytose) durch
die entarteten Histiozyten. Mehrere Umfangsvermehrungen in einzelnen oder allen genannten Organe, sowie darüberhinaus in den
Nieren und dem zentralen Nervensystem,
können mit Hilfe der röntgenologischen und
echografischen Untersuchung nachgewiesen
werden. Zeigen sich in Gewebeproben diese
bösartigen Histiozyten, dann ist das Schicksal des Patienten unabwendbar, da keine
Heilung möglich ist. Diese Manifestation ist
auch unter dem Namen maligne Histiozytose
oder disseminiertes (über einen größeren
Bezirk ausgebreitet) kryptisches Histiozytär
Sarkom bekannt. Der Berner Sennenhund
weist eine hohes Risiko (von bis zu 20%) zur
Entwicklung dieses Typs eines bösartigen
histiozytären Tumors im Laufe seines Lebens
auf. Ein geringeres Risiko besteht für den Flatcoated Retriever, der häufiger den unter (3)
beschriebenen Tumor entwickelt, jedoch ist
das Risiko immer noch höher als für andere
Hunderassen. In einigen vorbereitenden Studien weisen durchgeführte Stammbaumanalysen sowohl für den Flatcoated Retriever als
auch für den Berner Sennenhund auf einen
multigenetische Vererbung hin.
Bei einer signifikanten Anzahl von Tieren
kann die Diagnose einer malignen histiozytären Neoplasie nicht definitiv durch die
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zytologische und/oder histologische Untersuchung gestellt werden. Andere Typen eines
Sarkoms oder Rundzelltumoren müssen differentialdiagnostisch in Betracht gezogen
werden. Einige, wie zum Beispiel Synovialzellsarkome (Sarkome des Synovialgewebes
zb.Innenschicht der Gelenkkapseln) , weisen
eine bessere Prognose nach chirurgischer
Entfernung der Primärläsion auf; andere, wie
zum Beispiel das maligne Lymphom oder ein
Plasmazelltumor, können eventuell (adjuvant)
chemotherapeutisch behandelt werden. Um
ein Höchstmaß einer akuraten Klassifikation
zu erreichen, ist eine gründliche Aufarbeitung der Patienten erforderlich. Neben einer vollständigen Anamneseerhebung, einer
ausführlichen Allgemeinuntersuchung sollten
Röntgenaufnahmen der Brusthöhle und eine
Ultraschalluntersuchung der Bauchhöhle vorgenommen werden. Die Blutuntersuchung
umfasst ein komplettes Blutbild, Bestimmung
der Blutgerinnung, klinische Chemie (Nierenund Leberwerte, Calcium, Gesamteiweiß,
Eiweißspektrum) und im Fall einer bestehenden Anämie die Bestimmung der osmotischen Resistenz sowie einen Coombs-test.
Die histologische Untersuchung kann zwar
mit einem bestimmten Grad an Sicherheit
zwischen der gutartigen (benignen) und bösartigen (malignen) Natur eines histozytären
Tumors unterscheiden, aber insbesondere
für maligne Tumoren ist eine weiterführende immunhistochemische Untersuchung mit
spezifischen Antikörpern zur Bestimmung des
Ursprungsgewebes des Tumors erforderlich.
Mehrere wissenschaftliche Einrichtungen arbeiten mittlerweile zusammen, um Daten,
Blutproben, Stammbäume und Gewebeproben der beiden am häufigsten betroffenen
Rassen zu sammeln. Durch die Untersuchung
der genetischen Grundlage dieser Erkran-
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kung, unter besonderer Berücksichtigung der
malignen Formen, wird sich erhofft, auch
die zugrunde liegenden Gene zu finden. Es
stehen mittlerweile detaillierte molekulargenetische Techniken zur Verfügung, die
dem Wissenschaftler das sogenannte „genetic mapping“ von Blut und Tumorgewebe im
Vergleich zum Blut von gesunden Kontrolltieren ermöglichen. Sobald die spezifischen
Gene und der Vererbungsmodus bekannt
sind, können diese bei der Entwicklung von
Bluttesten helfen, welche wiederum mit dem
Ziel der Reduktion der Krankheitsinzidenz im
Rahmen von Zuchthygienemaßnahmen Einsatz finden würden. Zu gleicher Zeit hat die
Entwicklung von neuen Therapieansätzen,
die eine Verbesserung der Lebensqualität
erkrankter Tiere ermöglicht, Priorität.
Aufruf zur Übermittlung von
Patientendaten und Blutproben
Von Berner Sennenhunden, bei denen ein histiozytäres Sarkom oder eine maligne Histiozytose
diagnostiziert wurde, bitten wir Sie als internationale Gruppe zusammenarbeitender Wissenschaftler um Übersendung von:
– Dokumentation der Krankengeschichte,
– pathohistologischer Untersuchungsbefund,
– Kopie der Ahnentafel und Blut zur DNA-Analyse.
Desweiteren sind wir an Informationen von
gesunden Berner Sennenhunden mit einem
Lebensalter > 10 Jahren interessiert und bitten
daher um Zusendung einer kurzen Notiz bezüglich des Gesundheitsstatus, einer Kopie der
Ahnentafel und von Blut zur DNA-Analyse.
Kollaborierende wissenschaftliche Einrichtungen
sind:
– NIH, Bethesda, Maryland, USA
– Noth Carolina State University, Raleigh,
North Carolina, USA
– CNRS, University of Rennes, Frankreich
–Department of Small Animal Medicine,
University of Cambridge, Großbrittanien
– Kleintierklinik, Universität Utrecht,
Niederlande
Bitten Sie ihren Tierarzt / ihre Tierärztin um Abnahme von 2 x 4 ml Blut in EDTA-beschichtete
Röhrchen und versenden Sie diese bitte an:
Dr. G. R. Rutteman, Kleintierklinik,
Universität Utrecht, P.O.-box 80.154,
3508 TG, Utrecht, Niederlande
([email protected])
100 Jahre schweizerischer Klub für
Berner Sennenhunde
in Burgdorf vom 10.-12. August 2007
Zum Auftakt der Feier des 100jährigen Bestehens
des KBS fand am Freitag den 10.08. 07 in Burgdorf das 3. Internationale Symposium zur Verbesserung der Lebenserwartung
beim Berner Sennenhund statt.
Die Internationale Arbeitsgruppe hatte sich bereits einen Tag vorher
getroffen.
Als Vertreter des SSV
waren unsere Zuchtleiterin
Christel Fechler, unser Präsident Dr. Norbert Bachmann, Mitglied der internationalen
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