60 jahretagderbefreiung

Transcrição

60 jahretagderbefreiung
8.MAi
1945 - 2005
60
JAHRE
T A G
D E R
BEFREIUNG
✃
k t .y a m f o h t h g i e .w w w / / : p t t h
h t t p : / / w w w. e i g h t h o f m a y. t k
A N T I F A J U G E N D I N F O # 0 1 / 0 5
I N H A L T S V E R Z E I C H N I S
&
BRAINFOOD
Deutsche Befreiung
FINGERFOOD
Protest ohne Eigenschaden
der 8.Mai etwas ausführlicher
beleuchtet
S.05
Was ist Kritik ?
eine Einführung in kritische
Gesellschaftstheorie
S.07
Untergang vs. Befreiung
ein Film macht Geschichte
S.08
Verhaltenstipps für Aktive
S.18
Neonazidemos
Warum und wie
werden sie verhindert ?
S.19
Nazikneipen
in Friedrichshain / Lichtenberg !
S.21
Burschenschaften gibt es immer noch !
Definitionen
S.22
NS, Fachismus und Nationalismus
ab S.08 & 12
Rechte ChristInnen
S.22
Identitätsstiftung mit Guido Knopp
Neonazistrukturen :
Scientainment der deutschen Art
S.11
The Incredibles
über genetische Auserwähltheit im Familienprogramm
S.15
Create Yourself !
Zu Identität und kritischer
in Mahrzahn-Hellersdorf
S.23
Hohenschönhausen /
Lichtenberg
S.23
Bericht aus Pankow
S.24
Auseinandersetzung
S.16
Kontakte / Adressen
& der Disclaimer
ab S.26
EDITORIAL / VORWORT
GENEIGTE LESERIN, GENEIGTER
LESER DIESES JUGENDINFOS,
genau 60 Jahre ist es nun her, dass die sowjetische Armee Berlin, die Hauptstadt des Nazireiches, eroberte und
die Führung der deutschen Wehrmacht zur bedingungslosen Kapitulation zwang. Sechs Jahre lang, von 1939 bis
1945, hatte es gedauert, bis die sowjetischen, britischen,
US-amerikanischen und französischen Truppen unter vielen
Millionen Opfern die Barbarei, die von Deutschland seit 1933
ausgegangen war, bezwungen hatten. Menschen aus vielen
Dutzend Ländern brachten dafür Opfer: Als SoldatInnen, PartisanInnen, WiderstandskämpferInnen und in vielen weiteren Funktionen.
Der Sieg über Nazideutschland bedeutete das Ende des
millionenfachen Massenmords an jüdischen Menschen,
Roma und Sinti sowie zahlreichen anderen Gruppen. Diese
Verbrechen, insbesondere der industrielle Massenmord an
den jüdischen Menschen Europas, konnten nicht anders als
durch den Krieg der Alliierten gestoppt werden. Weder die
christlichen und humanistischen Traditionen, noch die linken und Arbeiterbewegungen Europas hatten der faschistischen Barbarei etwas Entscheidendes entgegenzuhalten.
So entstand als Konsequenz des Sieges der Alliierten auch
der Staat Israel, ein Schutzraum für alle vom Antisemitismus verfolgten mit der Fähigkeit zur Selbstbehauptung und
Selbstverteidigung. Was aus Europa geworden wäre, wenn
die Deutschen den Krieg gewonnen und ihre nazistischen
Wunschvorstellungen verwirklicht hätten, lässt sich wohl am
besten als riesiges KZ mit den Deutschen und ihren Hilfswilligen als Herrenmenschen und
Aber auch jene „DemokratInnen“, die
sich immer eilfertig von Neonazis und
zu offenkundigem Nationalismus distanzieren, möchten ungeheuer gern
und viel über das Leid der Deutschen
reden, das diesen bei dem Versuch zugefügt wurde, ihrem mörderischen Treiben ein Ende zu setzen. Eine Mehrheit
der deutschen Gesellschaft von heute
berauscht sich an dem immer wieder
spektakulär in den Medien aufbereiteten
deutschen Leid des Kriegsendes und will
einen Schlussstrich unter die doch immer noch – und nicht nur in Gestalt der
Neonazis – gegenwärtige Vergangenheit ziehen. Am cleversten stellen sich
dabei gerade diejenigen berufsmäßigen VertreterInnen Deutschlands an,
die am lautesten ihren Abscheu vor
alten und neuen Nazis und deren Verbrechen bekunden. Bei ihnen wird
die deutsche Vergangenheit ein wirksames Argument, um erneut eine politisch, wirtschaftlich und militärisch
mächtigere Rolle Deutschlands in der
Welt einzufordern: Nicht trotz, sondern
AufseherInnen beschreiben. Eine totale Herrschaft äußerster Verwertung und Vernichtung. Dass die Alliierten und AntifaschistInnen Nazideutschland stoppten, hat weltgeschichtlich die Möglichkeit des Gedankens allseitiger menschlicher
Emanzipation gegenüber der Gefahr eines Triumphs des
Terrors offengehalten. Die große Mehrheit der deutschen
Bevölkerung unterstützte den Nationalsozialismus (NS) bis
zuletzt und nahm die Eroberung und Besetzung Deutschlands durch die Truppen der Anti-Hitler-Koalition mitnichten
als Befreiung, sondern als katastrophale Niederlage wahr.
Freude und Erleichterung empfanden hingegen die Verfolgten und Feinde des Nazi-Regimes in den Konzentrationslagern und Gefängnissen, in den von der Wehrmacht besetzt
gewesenen Ländern sowie im illegalen Widerstand. Bis heute noch lässt sich vielfach an der Einschätzung des 8. Mai als
Befreiung oder Niederlage ablesen, in welche Traditionslinie
jemand sich stellt – ob sie oder er sich mit der deutschen
Volksgemeinschaft, den TäterInnen, identifiziert oder mit all
jenen, die dem NS kritisch gegenüberstanden beziehungsweise von ihm verfolgt wurden. Bis heute prägt die Tatsache,
dass die übergroße Mehrheit der historischen Deutschen
aus Nazis bestand trotz aller regierungsamtlichen Gedenkfeiern den Umgang dieser Gesellschaft mit ihrer Geschichte. Es sind nicht nur die erstarkenden Neonazis, welche die
Deutschen als unschuldige Opfer der Alliierten darstellen.
Die Identifizierung mit den deutschen TäterInnen reicht bis
weit ins sogenannte demokratische Lager. Etwa bis zur CDU
in Berlin-Zehlendorf, welche jüngst den deutschen Toten
gleichberechtigt mit den Opfern und GegnerInnen der Nazis
gedenken wollte, und deren BVV-Mitglied Hippe die Worte
entschlüpften, er könne doch auch nichts dafür, wenn er in
manchen Fragen mit der NPD übereinstimme. Er und seinesgleichen können vielleicht wirklich nichts dafür: So was
passiert halt, wenn man sich am Ende deutsch fühlt.
*Konzentrationslager Plaszow - Heute
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wegen Auschwitz seien die angeblich geläuterten Deutschen berufen, sich überall
in der Welt einzumischen – selbstverständlich vollkommen uneigennützig (deutsche
Großmachtambitionen werden nämlich
deutscherseits immer mit höherer Moral
begründet, während der Eigennutz beständig nur bei den Rivalen, vorzugsweise den USA und Großbritannien, vermutet
wird). Exemplarisch führte Außenminister Fischer diese spezielle Art rot-grüner
Vergangenheitsverwertung vor, als er
1998/99 den ersten Krieg Deutschlands
nach 1945 mit der angeblich notwendigen Verhinderung eines neuen Holocausts in Ex-Jugoslawien rechtfertigte.
Solch deutsche, sich antifaschistisch
tarnende Selbstlosigkeit ist es wohl
auch, die Deutschland immer wieder in
mal mehr, mal weniger intensive Flirts
mit den geschworenen Feinden Israels, der USA und jeglicher individuellen
Selbstbestimmung führt: libanesischen
Islamisten, autoritären Nationalisten aus
China und Russland, iranischen Mullahs und palästinensischen Terroristen.
. . . F O R T S E T Z U N G
V O M
V O R W O R T
Das Heft, das Ihr in den Händen
haltet, zeigt Einiges von der Bandbreite dessen, was an Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus
und Geschichtsverdrehung in Berlin und Deutschland so tobt, auch
wenn gerade einmal nicht 8.Mai ist
und die NPD das Ansehen Deutschlands und dessen nationale Symbole zu beflecken droht. Nach einer Auseinandersetzung mit dem
8.Mai 2005 folgen Beispiele über
die üble Art und Weise, in der
die deutsche Gesellschaft heute
mit der Nazi-Geschichte umgeht.
Darüber hinaus bietet die Rubrik
„Brainfood“ ein paar nützliche Definitionen und den Versuch, unseren kritischen Umgang mit Gesellschaft nachvollziehbar zu machen.
Unter „Fingerfood“ findet ihr nützliche Sachen für den praktischen
Alltag. Einige Berliner Gruppen
geben einen Überblick über Neonazi-Strukturen in ihren Regionen,
gegen die das ganze Jahr über auf
verschiedene Weise etwas unternommen werden kann – unabhängig von den durch die Medien gehypten Großevents der Rechten
wie zum Beispiel Aufmärschen.
Und last but not least gibt’s jede
Menge Links, Lesetipps und Termine, damit es hier nicht bei Trockenübungen bleibt.
Viel Spaß beim Lesen und „was
starten“ gegen die
Realität, wünscht euch ...
SpuK in Pankow.
subversive Philosophie & Kommunismus
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D E R 8 . M A I E T W A S A U SF Ü H R L I C H E R B E L E U C H T E T
鵷
Dem Fanatismus der nationalsozialistischen Führung und
ihrer zahlreichen AnhängerInnen war es zu verdanken, dass
die Kapitulation des Deutschen Reiches erst am 8. Mai 1945
unterschrieben wurde, als Deutschland fast vollständig erobert worden war. Die totale Niederlage Deutschlands wurde selbstverständlich von der deutschen Bevölkerung auch
als solche begriffen. Sie hatte mehrheitlich die Übernahme der Staatsgewalt durch die NSDAP gefördert, begrüßt
oder zumindest toleriert. Sie hatte sich an der Entrechtung,
Vertreibung und schließlich Ermordung der Jüdinnen und
Juden beteiligt und die Verfolgung der Opposition als Ordnungsfaktor gewürdigt. Sie hatte so lange gekämpft, bis es
unmöglich geworden war, weiterzukämpfen. Die für den
Westen Deutschlands im Nachhinein ausgerufene „Stunde
Null“ war nur insofern eine, als dass die öffentliche Kommunikation in Abgrenzung zur Nazi-Propaganda gewissen
Regeln und Tabus zu folgen hatte. Das Alltagsempfinden
hingegen war ganz anderer Art. Die alliierten Armeen, besonders die sowjetische, wurden als Besatzer begriffen, die
Verbrechen des NS spielten keine Rolle, die Verschwörer
des 20. Juli und alle Widerstandskämpfer galten als Verräter. Das Schicksal von Kriegsgefangenen und deutschen
Flüchtlingen bestimmte die öffentlichen Debatten.
Der 8. Mai ließ sich nicht als Positivereignis besetzen. Denn
dieses Datum stand nicht nur für den vielfach begrüßten
Neubeginn, sondern eben auch für das Ende einer Weltanschauung, die von einem Großteil der Deutschen unterstützt
und getragen wurde. In den ersten Jahrzehnten der westdeutschen Gedenkkultur fand der 8. Mai kaum Beachtung.
Erst ab den siebziger Jahren stellte sich hier ein langsamer
Wandel ein, wobei meist zwischen dem verbrecherischen
NS-Regime und der angeblich mehrheitlich unschuldigen
deutschen Bevölkerung unterschieden wurde. Diese Unterscheidung sollte es den Deutschen in den folgenden Jahrzehnten immer besser erlauben, sich vom Nationalsozialismus (NS) zu distanzieren ohne sich selbst zu verleugnen.
Eine ganz andere Bedeutung besaß der 8. Mai hingegen
in der Sowjetischen Besatzungszone und schließlich in
der DDR. Hier war der 8. Mai - maßgeblich von der Sicht
der Sowjetunion beeinflusst - von Anfang an ein „Tag der
Befreiung“: Das in seiner Allgemeinheit unschuldige deutsche Volk sei von einer relativ kleinen faschistischen Clique unterdrückt und in den Krieg getrieben worden. Für das
deutsche Volk war in dieser Logik der 8. Mai ein Tag der
Befreiung vom „Hitlerfaschismus“. Die politische Führung
der DDR kam aus einer kommunistischen und antifaschistischen Tradition. Ein Großteil von ihnen hatte den NS in
Gefängnissen, Lagern oder im Exil verbracht. Ihr Versuch,
aus dem Ostteil Deutschlands einen antifaschistischen
und sozialistischen Staat zu bilden, stieß auf enorme Widerstände. Die DDR-Führung wollte die DDR in eine antifaschistische Tradition stellen. Die DDR-Bevölkerung musste
also zu AntifaschistInnen oder zumindest zu Nicht-Nazis
verklärt werden. Die Unterscheidung von „Faschisten“ - so
der DDR-Sprachgebrauch - und Deutschen wurde so zum
wesentlichen Bestandteil der ostdeutschen Gedächtniskultur. Der im NS aktivere Teil der deutschen Bevölkerung, die
„Faschisten“, wurden dementsprechend verfolgt, verurteilt
und teilweise hingerichtet. In der DDR musste eine Entnazifizierung nicht verordnet werden, sondern entsprach dem
Selbstverständnis der Staatsführung. Dem Rest der deutschen Bevölkerung bot die DDR-Führung mit dem relativ
schnell entwickelten antifaschistischen Staatskult die Möglichkeit der Läuterung. Das permanente antifaschistische
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Bekenntnis und Gedenken sollte die DDR-Bevölkerung zu
wahrhaften AntifaschistInnen werden lassen. Hier wurde
in viel umfangreicherem Maße als im Westteil die Umerziehung der von der Nazi-Ideologie geprägten Bevölkerung
versucht. Ihre Hingezogenheit zu dieser Ideologie spielte
dabei nie eine Rolle.
Hierin waren sich West und Ost einig. Man wollte die
Deutschen nicht kollektiv als TäterInnen bezeichnen. Ebenso blieben die Verbrechen des NS in den Gedenkveranstaltungen um den 8. Mai herum nebelhaft. Sie wurden
erwähnt, aber nicht ausgeführt. So gab es außer den Deutschen kaum noch Opfer. Zumindest in der DDR wurden
jedoch zwei Opfergruppen genannt: die (deutschen) KommunistInnen und das sowjetische Volk. Die Ermordung der
europäischen Juden und Jüdinnen, das zentrale Projekt des
deutschen NS, spielte hingegen weder in der BRD noch in
der DDR eine größere Rolle.
DEUTSCHE BEFREIUNG
In der DDR hatte sich 1985 an der grundsätzlichen Ausrichtung des Gedenkens nichts geändert. Der 40. Jahrestag
der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers
Auschwitz am 27. Januar wurde feierlich begangen. Im Zentrum standen hier jedoch nicht die vorwiegend jüdischen
Opfer des Lagers, sondern die spezifische Rolle der Roten
Armee bei der Befreiung.
Neu war im Jahre 1985, dass sich eine Friedensbewegung im Dunstkreis der Kirchen herausgebildet hatte.
Aus dieser heraus kam es seit den frühen achtziger Jahren zu immer mehr Initiativen, die in Dresden der alliierten
Bombardierung der Stadt am 13. Februar 1945 gedenken
wollten, so dass sich die SED genötigt sah, das Gedenken selbst zu organisieren, um der Friedensbewegung den
Wind aus den Segeln zu nehmen. In seiner Hauptrede vermied DDR-Staats- und Parteichef Honecker irgendwelche
Anklagen gegen die Alliierten, sondern verwies bestimmt
auf Oradour, Coventry, Buchenwald und Auschwitz und ordnete somit die alliierten Luftangriffe auf Dresden in den historischen Kontext ein. Neu war auch, dass ein hochrangiges
Politbüro-Mitglied bei einer Gedenkveranstaltung im April
1985 in Buchenwald erstmals an herausgehobener Stelle
die jüdischen Opfer des NS erwähnte. BRD wie DDR war
gemein, dass sie auch weiterhin die Unterscheidung von
deutschen Opfern und Nazi-TäterInnen aufrecht erhielten
und eine Auseinandersetzung mit den Verbrechen und den
tatsächlichen TäterInnen des NS scheuten.
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鵷
Die Entdeckung der Opfer - Der 8. Mai 1995
Die 1985 in Westdeutschland durch Weizsäcker vorgegebene Form des Erinnerns hat sich in den Folgejahren als
offizieller Gedenkautomatismus verselbständigt. Das Ende
der DDR brachte zunächst die vollständige Verdammung
ihres staatsoffiziellen Antifaschismus im wiedervereinigten
Deutschland, der als historische Ungerechtigkeit, Unaufrichtigkeit, Verlogenheit abqualifiziert und dessen positiver Gehalt schlicht geleugnet wurde. Die Besonderheit lag
1995 ganz wesentlich in der Entdeckung der Opfer - der
tatsächlichen Opfer des NS sowie der Wiederentdeckung
der „deutschen Opfer“.
Die Sprachregelung, den 8. Mai als „Tag der Befreiung“ zu
bezeichnen, hatte sich 1995 fast vollständig durchgesetzt.
Insgesamt lässt sich konstatieren, dass über die TäterInnen
noch immer kaum geredet wurde, vielmehr jedoch über die
Opfer, wobei die deutschen „Opfer“ der allgemeinen „Opfermasse“ hinzugeschlagen wurden. Bis in die neunziger
Jahre waren die Hauptargumente derjenigen, die den 8. Mai
nicht als „Tag der Befreiung“ verstanden wissen wollten,
die Teilung Deutschlands in zwei Staaten, der Vormarsch
des Kommunismus sowie die außenpolitische Beschränkung der BRD. Diese Gründe fielen 1990 allesamt weg. Nur
noch überzeugte Nazis konnten angesichts der hervorragenden weltpolitischen Stellung des neuen Deutschlands
im Zusammenhang mit dem 8. Mai ausschließlich von einer
Niederlage sprechen.
Weiter ins Zentrum der Gedenkpolitik rückt damit die
deutsche Opfergeschichte und der Versuch, den Zweiten
Weltkrieg als gemeinsames europäisches, wenn nicht gar
weltweites Trauma zu verankern. Für die deutsche (Gedenk-)Politik gilt es, den Zweiten Weltkrieg und besonders
den Holocaust immer weiter zu verallgemeinern. Deutschland fordert von den europäischen Staaten, besonders von
Frankreich, Großbritannien und Polen, sich ebenfalls zu ihrer Mitschuld am Holocaust zu bekennen. Somit wird das
„Menschheitsverbrechen Auschwitz“ und der gesamte
Zweite Weltkrieg immer mehr zu einer europäischen Angelegenheit uminterpretiert, mit verschiedenen Opfern und
verschiedenen TäterInnen. Die Deutschen, die hauptsächlich für den Krieg, den Terror und die Ermordung von vielen
Millionen Menschen verantwortlich waren, erscheinen nun
immer mehr als eine TäterInnengruppe unter all den anderen.
Der Text ist entliehen, gekürzt & überarbeitet aus
der aktuellen Phase2
Anzeige
Gedenkmarathon 2005
Der Antritt der rot-grünen Bundesregierung im Jahre 1998
war ausschlaggebend für eine Neubewertung des NS. Das
offizielle Gedenken bekennt sich mittlerweile zu den Verbrechen des NS, zu den Deutschen als TäterInnen und zu der
Tragweite von Auschwitz. Doch trotz abstrakter Gedenkfeiern ist der deutschen Bevölkerung und der deutschen Öffentlichkeit das „deutsche Leid“ wesentlich näher. Ausführlich thematisiert werden der Bombenkrieg der Alliierten, die
Umsiedlung, Flucht und Vertreibung vieler Deutscher und
seit Ende Januar „die letzten 100 Tage des NS-Deutschlands“.
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W A S
I S T
K R I T I K ?
E I N E
EINFÜHRUNG IN KRITISCHE
GESELLSCHAFTSTHEORIE
V
O
N
A
L
E
Seit Karl Marx vor 150 Jahren anfing,
seine „Kritik der politischen Ökonomie“ zu entwickeln, versuchen kritische TheoretikerInnen den Hebel zu
finden, mit dem sie die Gesellschaft
aus den Angeln heben können. Grundlegend für jede Gesellschaftskritik ist
die Ablehnung gängiger bürgerlicher
Erzählungen, z.B.:
- jeder ist seines Glückes Schmied
- jede bekommt einen Arbeitsplatz,
wenn sie sich nur fleißig genug
abrackert.
- Individuen wägen Kosten und Nutzen ab und treffen damit die für sich
besten Entscheidungen, wenn sie nur
nicht zuviel von Staat und Gesellschaft
gegängelt werden.
Im Gegensatz dazu werden Individuen begriffen als eingebunden in
gesellschaftliche Verhältnisse, was ihr
Leben und die Vorstellungen davon
entscheidend prägt.
Kritik dieser Verhältnisse bedeutet
nicht, alles beschissen zu finden - was
die Deutschen sehr gut können - und
möglichst schnell Schuldige („kriminelle Ausländer“, die Europäische
Union, die Banken) für wirtschaftliche
Miseren oder den „Teuro“ auszumachen. Die Kritik von Gesellschaft hat
auch nichts mit Moral zu tun (Moral:
nicht diskutierbare Festlegungen, wie
Menschen sich verhalten sollen).
Kritische Theorien beschäftigen sich
vor allem mit der Frage, wie Herrschaft in modernen Gesellschaften
funktioniert. Wer beherrscht wen und
wodurch? Vor der französischen Re-
X
W
I
N
T
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R
volution waren die Verhältnisse noch
halbwegs klar: die göttliche Ordnung
setzte den König über seine Untertanen ein, den Bauern wurde ihr Mehrprodukt von Feudalherren abgezogen
und alte Männer herrschten über ihre
Familien.
In modernen Gesellschaften sind die
Bürger – inzwischen sogar Arme und
Bürgerinnen – „frei“ und vor dem Gesetz gleich. Diskriminierung ist uncool
geworden, teilweise sogar staatlich
sanktioniert. Jede kann demokratisch
an ihrem Staat partizipieren, in die
Lieblingspartei eintreten oder diese
zumindest wählen. Jede verkauft ihre
Produkte, bzw. wenn sie keine Produktionsmittel besitzt, ihre Arbeitskraft
auf dem freien Markt und kann dafür
konsumieren, wie’s ihr beliebt. Indem
jede ihr privates Gewinninteresse verfolgt, sichert sie damit gleichzeitig den
materiellen Wohlstand aller.
Kritische
GesellschaftstheoretikerInnen verschiedener Richtungen
stimmen darin überein, dass damit
erst ein Teil der Geschichte erzählt
ist. Marx und seine NachfolgerInnen
konnten zeigen, wie über Produktionsverhältnisse versachlichte abstrakte
Herrschaft aufgeübt wird und wie Ausbeutung und Aneignung im kapitalistischen Weltsystem funktionieren. In
den letzten drei Jahrzehnten gerieten
dann vor allem die Konstruktion von
Geschlechtsidentitäten und rassistischen Zuschreibungen in die Kritik.
Die Debatten haben sich von den objektiven Zwängen der Verhältnisse,
von denen Marxisten ausgehen, hin
zu der Frage verlagert, wie Individuen
zu Subjekten – also zu anerkannten
gesellschaftlich Handelnden – werden
und wie dabei Herrschaft verinnerlicht
und verkörpert wird. Die Institutionen
und Mechanismen, die moderne Subjekte hervorbringen, sind von Michel
Foucault zuerst umfassend thematisiert worden. Als zentrale Kategorie
tauchten gleichzeitig „Diskurse“ - Apparaturen zur Produktion gültigen Wissens - auf und damit die Frage, wie
gesellschaftlich anerkannte Wahrheiten produziert werden. Damit kommen
GesellschaftskritikerInnen nicht mehr
umhin, die Voraussetzungen ihrer Kritik
und ihren eigenen Standpunkt selbst
in ihre Kritik mit einzubeziehen.
Trotz zahlreicher gegenseitiger Vorwürfe und Beschimpfungen (z.B. „objektivistischer Dogmatismus“
oder
„PoMo-Scheisse (Postmoderne)“) sollte inzwischen klar sein, dass reflektierte umfassende Herrschaftskritik sich
zwar nicht mit allen Themen gleichzeitig beschäftigen kann, aber die
Verknüpfungen und Zusammenhänge
zwischen
Herrschaftsmechanismen
von Kapitalismus, Nationalismus und
Antisemitismus, globalen Gewaltverhältnissen, Rassismus, Sexismus und
patriarchalischen Familienstrukturen
mitdenken muss. Ansonsten kommt
es dazu, dass einige Kritikerinnen internationaler Herrschaftsverhältnisse
(gemeint sind AntiimperialistInnen und
GlobalisierungsgegnerInnen) in fiesen
Antisemitismus verfallen oder Frontfrauen der alten bundesdeutschen
Frauenbewegung wie Alice Schwarzer
ihren Frieden mit der Nation machen
und dadurch genauso wie die karibische Avantgarde der Antideutschen
(gemeint sind einige AutorInnen der
„Bahamas“)
zu
hemmungslosen
Rassistinnen mutieren; oder KapitalismuskritikerInnen gleichzeitig zu sexistischen AntifeministInnen werden
können.
Zweck des Vereins ist Förderung von Wissenschaft und Forschung sowie der Völkerverständigung. Dieser Vereinszweck
wird insbesondere verwirklicht durch wissenschaftliche Forschung, die Veröffentlichung der so gewonnenen Erkenntnisse in
Druck- und EDV-Medien und durch Abhaltung von Kolloquien, Diskussionsforen, Bildungs- und Aufklärungsveranstaltungen
über:
* Antisemitismus und Rechtsextremismus
* jüdische Kultur in Geschichte und Gegenwart
* Entstehung und Entwicklung des Staates Israel sowie dessen Einbindung im Nahen Osten.
Ganz besondere Berücksichtigung finden hier Publikationen und Veranstaltungen im Bereich der neuen Medien. Dies gewährleistet einerseits hohe Effektivität und Verbreitung andererseits ist eine nachhaltige Wirkung garantiert, da alle Ergebnisse auch weiterhin für die Öffentlichkeit zugänglich gehalten werden. Es ist klar, dass
hierfür geeignete Mittel durch Beiträge und Umlagen, Spenden, Zuschüsse und sonstige Zuwendungen eingesetzt werden müssen. Dabei verfolgt der Verein haGalil e.V. ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke und ist selbstlos tätig.
Spenden daher bitte an: BLZ 701 900 00 Konto Nr. 872 091
hagalil
.co
m
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UNTERGANG
BEFREIUNG
VON
TRICK
MARIUS
& TRACK
VS.
FREUD
(EAG)
&
(DESPERADOS.BERLIN)
In den medialen und politischen Auseinandersetzungen um
den Film „Der Untergang“ fällt des öfteren der Begriff „Normalisierung der Geschichte“ ohne das genau erklärt wird, was
eigentlich damit gemeint ist. Wir wollen hier kurz diese beiden
Begriffe klären, um hinter die Bedeutung dieses Schlagwortes
zu kommen.
In der Welt der Audiobearbeitung bedeutet „Normalisieren“
die Lautstärke einzelner Instrumente in einem Arrangement
oder verschiedener Stücke einer CD einander anzupassen.
Durch diese Manipulation wird eine harmonische Wahrnehmung ermöglicht.
„Geschichte“ besteht aus den Fakten und den dazugehörigen Interpretationen. Die HistorikerInnen haben deshalb
in einer Gesellschaft die Aufgabe, die Ereignisse und Daten
zusammentragen und durch ihre Präsentation, die Bilder von
der Vergangenheit und ihre Bedeutung für die Gegenwart und
Zukunft zu formen.
Menschen, die von einer „Normalisierung der Geschichte“
reden, möchten das Bild des Nationalsozialismus verändern.
Die Zeit des NS erscheint ihnen durch Weltkrieg und Holocaust als ein sehr starker Ausschlag der Amplitude der Geschichte. Dieser ist so übersteuert, das den Menschen die
Ohren schmerzen und alles was an Geschichte danach kam
und kommt, kein Gehör mehr finden kann. Um dem Danach
den Klang möglich zu machen, muss der Ausschlag des Nationalsozialismus abgesenkt werden. Die „Normalisierung von
Geschichte“ will deshalb eine neue Wahrnehmung der historischen Fakten in der Gegenwart kreieren. Gleichzeitig will sie
die gegenwärtigen „übersteuerten“ Bilder „normalisieren“.
Das Ziel ist eine Revision der Geschichte, um sich wieder ohne
schlechtes Gewissen als „deutsch“ identifizieren zu dürfen.
Unser Artikel soll deshalb nicht einfach die nächste Rezension sein, sondern wir wollen vor allem den Kontext von Film
und Filmemachern kritisch untersuchen und zeigen, wie „Normalisierung“ funktioniert.
scheint ihnen ein positives Bekenntnis zu Deutschland wieder
möglich.
In eben diese Kerbe soll auch das Projekt „Der Untergang“
schlagen: die Debatten über den Faschismus, die wissenschaftlichen Theorien verwirft Eichinger als falsch. Nach seiner Ansicht verstellen sie durch Ideologisierung den objektiven Blick auf die Vergangenheit.
Deshalb fordert er einen neuen kreativen Umgang mit dem
Thema ein, und dieser muss deutsch sein. Eichingers größte
Sorge galt der Sicherung der Buchvorlage für eine deutsche
Produktionsfirma, damit sich nicht etwa Hollywood des Themas annähme. Nur dadurch schien es Eichinger möglich, sein
Konzept zu verwirklichen. „..und so gibt es keine Ausflüge zu
KZ-Befreiungen oder Kämpfen an der Oder, einzig die zwölf
letzten Tage in und um den Bunker zu Berlin.“(1). Zu diesem
Ansinnen passt auch die Auswahl einer Quelle für das Drehbuch: die Hitlersekretärin Traudl Junge, die von allem nichts
gewusst haben will und im Abspann durch diese Aussage dem
Film die Begründung verschafft, nicht von den Verbrechen der
Deutschen reden zu müssen.
Sie ermöglicht den neuen Blick, den der Regisseur Oliver
Hirschbiegel in Interviews beschwört. Er fordert den selbstbewussten Umgang der Deutschen mit der Nazizeit und lehnt
ebenfalls die Auseinandersetzungen der vergangenen Jahrzehnte als irrig ab. Er redet lieber vom Blut der Deutschen und
von den deutschen Tugenden, mit denen der Film in Pflichterfüllung fertiggestellt worden sei. Er hofft auf die Möglichkeit
eines positiven nationalen Bekenntnisses durch eine neue
Deutung der Geschichte ohne Vorverurteilungen. Trotzdem
sehen Hirschbiegel und Eichinger ihr Projekt als wertungs- und
ideologiefrei an. Das beste Argument gegen diesen angeblich
unpolitischen Anspruch ist ihr eigener Film.
✒ ✒ ✒ ✒
✒ ✒ ✒ ✒
B E G R I F F S K L Ä R U N G :
N A T I O N A L S O Z I A L I S M U S
In der kritischen Wissenschaft ist die Frage noch
ungeklärt, ob der NS den
deutschen Sonderfall des
Faschismus oder einen
völlig neuen Typus darstellt.
Jedenfalls stellt der Antisemitismus als grundlegendes
Element des NS kein Merkmal aller Faschismen dar,
obwohl jeder Faschismus
schnell und leicht an jede
Form von Rassismus und
Antisemitismus angedockt
werden kann. Auch sonst
teilen Faschismus und NS
viele Wesensmerkmale.
Doch während für den
Faschismus der totale Staat
Endpunkt des Strebens ist
und sich in das so gebildete
nationalstaatliche Kollektiv
manchmal auch Menschen
Eichinger und Hirschbiegel - das national befreite Duo
Im letzten Herbst kam der von Bernd Eichinger produzierte
Film „ Der Untergang“ in die Kinos. Eichinger zählt zu den erfolgreichsten Produzenten der hiesigen Filmindustrie und ist
bekannt für Streifen wie „Der Schuh des Manitu“ und „Der
Name der Rose“. Er wollte schon immer einen Film über das
sogenannte „Dritte Reich“ drehen, weil es auf ihn eine starke
Faszination ausübt. Eichinger interessierte sich seit langem
für Diktaturen und warum Menschen ihnen anhängen und seine Kenntnisse ermöglichten es ihm, die Drehbuchvorlage zu
schreiben. Eichinger spricht gerne von totalitären Staaten und
macht keinerlei graduelle Unterscheidungen zwischen ihnen
in seinen Interviews. Er bezieht sich dabei auf die sogenannte
Totalitarismustheorie, die Anfang der 80er Jahre in der damaligen Bundesrepublik aufkam. Sie konstruiert einen allgemeinen diktatorischen Kontext in den 30er Jahren, um die Entstehung des deutschen Nationalsozialismus (NS) zu erklären.
Den meisten VertreterInnen dieser Theorie geht es nicht um
einen wissenschaftlichen Vergleich. Sie wollen vielmehr dem
NS seine Einzigartigkeit nehmen, um ihn zu mildern. Dadurch
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einreihen dürfen, die rassistischen und antisemitischen
Normvorstellungen nicht
entsprechen, steht für den
NS das wie ein höheres
Wesen gedachte „Volk“
(also dessen „Blut“ und
„Geist“) im Zentrum. Der
totale Staat ist das Mittel,
alles auszumerzen, was den
„Volkskörper“ verunreinigen
könnte. Sämtliche Individuen und Gruppen werden in
eine vermeintlich naturwissenschaftlich begründete
Wertigkeitsskala eingeordnet, an deren positiven Pol
die blonde und blauäugige
„nordische Rasse“ und an
deren negativen Pol eine „jüdische Rasse“ sich befindet.
Letztere wird einerseits mit
Zügen der „Untermensch-
Ein Katastrophenfilm
Filme über die Nazizeit haben seit den letzten Jahren in
Deutschland Konjunktur: die ZuschauerInnen konnten mit
Nazisoldaten im Kriegsfilm „Stalingrad“ die Eiszeit der deutschen Kriegsmaschinerie betrauern und in „Napola - Elite für
den Führer“ die sozialen Errungenschaften des Nationalsozialismus in Ferienlageroptik bewundern. Der Film von Eichinger
lässt sich ohne weiteres in diese Selbstbespiegelungen der
Volksgemeinschaft einfügen. Es wurde viel darüber diskutiert
ob der Film herausragend sei, da er Hitler so menschlich zeige, oder gefährlich, weil er ihn vielleicht zu einem Helden mache. Aber eigentlich ist Hitler gar nicht das Thema des Films.
Wenn Eichinger seinen Film als Katastrophenfilm bezeichnet,
dann meint er damit die Niederlage der Deutschen. Und diese
Niederlage wird in aller epischen Breite vorgeführt: Die Leiden der Berliner ZivilistInnen, die tapfer sterbenden Soldaten,
die Schreie der Verwundeten in den Lazaretten. Nicht ein Bild
wird uns gezeigt von exekutierten Häftlingen, von Menschen,
die sich verstecken mussten und nicht ein einziger sterbender Soldat der Roten Armee. Stattdessen wird uns unkritisch
Moral gepredigt. Es wäre unehrenhaft und feige, den Führer
so kurz vor dem Ende zu verlassen. Die Suizide der Offiziere
werden uns als soldatisch ehrenhaft vorgeführt, die mit der
Furcht vor Verantwortung nichts zu tun haben.
Der Film kommt nicht daran vorbei, Charaktere zu schaffen, die entweder auf Ablehnung stoßen oder mit denen die
ZuschauerInnen sich identifizieren sollen. Auf der Seite der
Schlechten stehen ganz klar Goebbels und seine Frau, die
nicht nur sich selbst sondern auch ihre Kinder umbringen. Als
Identifikationsfiguren werden einem die Wehrmachtsoffiziere,
der SS- Arzt Schenk, Traudl Junge und Albert Speer angeboten.
✒ ✒ ✒ ✒
✒ ✒ ✒ ✒
✒ ✒
✒ ✒
✒ ✒
✒ ✒
lichkeit“ gemalt, während
andererseits dem „Judentum“ dämonische Macht
zugeschrieben wird. Der
Vernichtungs-Antisemitismus als Kernstück des Nationalsozialismus läuft darauf
hinaus, jüdischen Menschen
mittels Verschwörungstheorien die Verantwortung für
sämtliche als negativ empfundenen gesellschaftlichen
Erscheinungen anzudichten,
vor allem für die Zustände
und Folgen kapitalistischer
Vergesellschaftung. Logische historische Konsequenz
dieser Paranoia war der über
die Stufen der Verfolgung,
Entrechtung, Vertreibung
und des Unsichtbar- und Unhörbarmachens zum industriellen Massenmord an den
jüdischen Menschen und
anderen Gruppen treibende
Rassenwahn des Hitler-
Regimes
und einer Mehrzahl der Deutschen. Äußerliches Merkmal
des NS ist die ständige Mobilisierung und Fanatisierung
der Bevölkerungsmassen.
Mittels einer flächendeckenden, intensiven Propaganda,
der Durchorganisierung der
gesamten Bevölkerung in
quasi-militärischen Massenorganisationen (z.B. der
Hitlerjugend) und ständigen
Großveranstaltungen, Aufmärschen und Kampagnen
sollte ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt und jeglicher
Rest kritischen, eigenständigen Denkens abgetötet
werden.
09
Obwohl es in diesem Film hauptsächlich um die Darstellung
der letzten Tage im Bunker gehen soll, bekommen wir trotzdem einen angeblich objektiven Blick von der bis zum Schluss
verzweifelt kämpfenden Wehrmacht geliefert. Eine der Hauptpersonen aus diesem Spektrum ist General Weidling.
Dieser ist eigentlich nur ein ganz typischer General, mutig und
- was ihn sympatisch machen soll - auch noch mit Gewissen
gesegnet. Ihn, wie den SS- Brigadeführer Mohnke, können wir
nun bei dem Versuch erleben, die drohende Niederlage abzuwenden. Wie alle anderen Militärs in dem Film tun sie wirklich ihr Möglichstes, aber irgendwie klappt es nicht. Sie sind
einfach nur tapfer kämpfende Soldaten und sie können einem
wirklich leid tun, weil die Russen so stark sind. Wehrmacht
und SS sind in diesem Film nicht mehr verbrecherische Organisationen, deren Blutspur durch ganz Europa führt und die
jetzt dafür ordentlich auf den Stahlhelm kriegen. Nein, der Film
deutet sie einfach zu heroischen Verteidigern einer Großstadt
um. Es kommt den Filmmachern gar nicht in den Sinn, diese
Verteidigung als falsch zu problematisieren. Sie beleben lieber
wieder das Bild vom sauberen deutschen Soldaten, ein Bild,
das spätestens mit der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ als Lüge entlarvt wurde.
Werfen wir einen Blick auf die Identifikationsfigur SS-Arzt
Doktor Schenck. Jener wird uns als sorgenvoller Gutmensch
vorgestellt, der sein Leben riskiert, um die benötigten Medikamente für die deutsche Bevölkerung zu besorgen. Schenck
war bekannt für sein gesteigertes Interesse, die Nahrungsmittelknappheit der deutschen Bevölkerung zu bekämpfen.
Was uns der Film aber nicht zeigt, sind seine Versuche, eine
Art Proteinnahrung aus Abfällen herzustellen, die er an einigen hundert KZ-Häftlingen ausprobierte, die teilweise daran
starben. Außerdem ließ er die Häftlinge in Dachau auf einer
Heilkräuterplantage schuften. Im Film wird ihm durch die Konfrontation mit Offizieren der Waffen-SS plötzlich klar, dass alle
irgendwie wahnsinnig sind. Die zwölf Jahre vorher mit Deportationen, Konzentrationslagern und Vernichtungskrieg scheinen allerdings vollkommen in Ordnung gewesen zu sein. Der
historische Schenck machte sich übrigens einen Namen in der
NS-Literatur, indem er Durchhalte-Prosa veröffentlichte. Die
handelnde Figur wird vollständig von ihrer Biographie losgelöst und verfälscht dadurch die Wahrnehmung der Person bei
den ZuschauerInnen. Diese Technik wird in „Der Untergang“
dauernd gebraucht und uns als vorurteilsfreie Betrachtung der
Wirklichkeit verkauft. Der Anspruch des Films, eine historische
Quelle zu sein, führt sich damit selbst ad absurdum: „Das Problem (...) liegt nicht darin, dass er Figuren erfindet, sondern
dass er viel zu viel Geschichte braucht, um sich glaubhaft zu
machen und dadurch Geschichte verzeichnet.“(2) Das Gleiche
geschieht mit der Traudl (obwohl sie in diesem Film als Sekretärin keine vordergründige Rolle spielt) und dem Architektenfreund Hitlers, Albert Speer. Letzterer wird uns als netter,
sogar mutig opponierender Freund Hitlers präsentiert, der die
Zerstörung der deutschen Infrastruktur wegen menschlicher
Bedenken ausgesetzt hat. Die Frage, die sich im Besonderen
bei dieser Figur stellt, ist, inwieweit die dargestellten Dialoge
wirklich authentisch sind. Der Film nimmt die einzig von Speer
überlieferten Ereignisse für bare Münze ohne weiter die Motivation des ehemaligen Rüstungsministers und verurteilten
Kriegsverbrechers zu hinterfragen.
✒
Films durch verschiedene Politiker wie Gerhard Schröder
Die meisten Quellen zum Nationalsozialismus liegen in
und Helmut Kohl. Der Film setze auf Mitleidseffekte und
Form von monologischen Texten vor, die von den Autoren
die vorbewusste Mythisierung der Nazi-Spitzen ohne echdes Drehbuchs in eine zugespitzte dialogische Fassung getes Verstehen, weil er politische Zusammenhänge (und
bracht werden müssen. Keiner von den im Film dargestellVerbrechen) durch Alltagsepisoden ersetze. Seinen Erfolg
ten Dialogen ist überliefert. Zudem lebt ein Spielfilm von
verdanke der Film der Tatsache, dass er die Wünsche nach
Inszenierung: Schnitte, Szenenwechsel und Verkürzungen
Identitätssicherheit ohne konfliktive Nachfragen erfülle.
verleihen ihm Spannung. Daraus ergibt sich, dass ein SpielDurch die filmische Scheinnähe zu den Tätern erschwere er
film nicht authentisch sein kann. Eichinger und Co. aber
das Denken mit den Opfern. Ein solcher Film ist nach Anspielen sich auf, als sei ihr Film die einzig wahre Quelle zu
sicht der PsychologInnen psychologisch verantwortungslos
den letzten Tagen des deutschen Faschismus.
und gefährlich.
Noch kurz ein Wort zur musikalischen Untermalung. Sie
Der Film ist aber auch in politischer Hinsicht gefährlich,
setzt immer dann sehr getragen ein, wenn die im heldenindem er durch seine Normalisierung (Herunterspielen
haften Abwehrkampf stehende deutsche Volksgemeindurch Ausblendung) indirekt das Angebot einer positiven
schaft Opfer zu beklagen hat. Und der Gipfel der Frechheit
Identifizierung mit Deutschland macht. Er hinterfragt weist der Abspann, wo sie die Informationen zum weiteren Leder die sogenannten „deutschen Tugenden“ wie Gehorsam
bensweg der armen Nazis untermalt. Schade, dass sie alle
und Pflichterfüllung, noch thematisiert er die Opfer dieser
ins Gefängnis mussten. Aber vielleicht wäre der Abspann
Werte. Als Beispiel, wie es auch anders ginge, seien hier
peppiger geworden, wenn Hirschbiegel gewusst hätte,
die Filme „Aus einem deutschen Leben“, „Holocaust“ und
dass Mohnke bis ins hohe Alter noch Grußbotschaften bei
„Geh und sieh“ angeführt, die erzählen, wie gerade ganz
Naziaufmärschen ausrichten ließ.
normale Menschen durch diese Tugenden zu Verbrechern
Abschließend sollen hier noch ein paar Worte zu dem Aufwerden. Sie zeigen, dass die deutsche Identitätsbildung
hänger Hitler verloren werden. Der größte Teil der Unternach außen als negative Gegenbilder die Juden/Jüdinnen
gang-Debatte kreist die meiste Zeit um die Frage, wie und
und andere sogenannte „Untermenschen“ benötigte, die
in welchem Kontext Hitler gezeigt werden darf. War er nett
als nicht lebenswert betrachtet
zu Frauen, hat er auch im privaten
wurden.
Leben geschrien, zitterte
seine Hand und
hatte er vielleicht
WAR ER
sogar Sexappeal?
NETT Z
U FRAU
Doch welche Relevanz
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hat diese persönliche BeM PRIV
ATEN
trachtung Hitlers für ein Verstehen der damaligen Zeit? Diese
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hätte nur dann eine Berechtigung, wenn
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alles, was damals geschehen ist, nur ihn
zur Ursache hätte. Der „Untergang“
wärmt eine olle Kamelle der NachkriegsZITTERT
zeit wieder auf, indem er uns erzählt, dass
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Hitler alle in seinem Bann gehalten hätte. Er
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betreibt „Normalisierung“, indem uns das Kollektiv
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der TäterInnen als Opfer von Hitler präsentiert wird,
der es in irgendeine katastrophale Situation geführt
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CHT SOG
hat.
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SEXAPP
Der „Focus“ brachte es unfreiwillig auf den
EAL?
Punkt, als er in seiner Filmankündigung
über Hitler schrieb, er sei „ein Barbar,
der sich noch in den Stunden seines Niedergangs in grenzenloser Verblendung maßlos selbst überschätzt und der
Diese Problematik hat „Der
bereit ist, sein gesamtes Volk zu vernichten (!), weil es ihm
Untergang“ elegant umschifft.
nicht den Sieg geschenkt hat.“ Und das wird Deutschland
Ein Film zum Nationalsozialismus
Hitler nie verzeihen.
aber sollte durch seine Interpretationen dazu beitragen, dass sich
Psychologisch verantwortungslos
die Verbrechen der Vergangenheit
in Zukunft nicht wiederholen.
Durch seinen pseudo-dokumentarischen Anspruch hat es
„Der Untergang“ geschafft, als wertvoller Beitrag für den
Geschichtsunterricht anerkannt zu werden. Zahlreiche
Schulklassen sind in ihn hineingeschleift worden und in
Zukunft soll er fester Bestandteil des Unterrichts werden.
1) „Das Ende des Schwarzweiß- Phantoms“ Hanns-Georg
Durch die oben beschriebenen Eigenschaften des Films ist
Rodek, DIE WELT 15.09.2004
er dazu wenig geeignet, es sei denn als negatives Beispiel
dafür, wie in jüngster Zeit mit der deutschen Vergangenheit
2) „Der Untergang“: Ein Film inszeniert sich als Quelle von
medial umgegangen wird. Der 23. Kongress für Politische
Michael Wildt
Psychologie in Wittenberg kritisierte die Empfehlung des
10
DEUTSCHE IDENTITÄTSSTIFTUNG M I T G U I D O K N O P P
VON JUSTINE DUVERT, DESPERADOS.BERLIN
Zur Person
Wer kennt Guido Knopp eigentlich nicht? Seit Jahren gestaltet er im ZDF das Geschichtsfernsehen, vor allem jedoch jegliche Darstellung des Nationalsozialismus – oder
wie Guido Knopp gerne sagt: des Hitler-Staates. Guido
Knopp ist kein besonderer Mensch, sondern eigentlich nur
ein ganz normaler Deutscher der Nachkriegsgeneration,
der sich nach Patriotismus und Identität sehnt: „Doch trotz
und gerade wegen dieser Brüche unserer Geschichte gibt
es heute in der Bundesrepublik ein neues Bedürfnis nach
Identität. Identität ist ohne Tradition nicht denkbar, Tradition
braucht Orientierungspunkte für historisches Bewußtsein.“
Doch wie er gleich darauf selbst feststellt, ist das nicht so
einfach: „Wir Deutschen tun uns, im Vergleich zu anderen
Europäern, eher schwerer mit der Antwort auf die Fragen,
wer wir sind, woher wir kommen, was mit uns geschehen
ist. Das liegt an unserer ‚lästigen Erbschaft’ – an Hitler-Diktatur und Holocaust.“
60 Jahre danach
Seit dem letzten Jahr läuft nun in Deutschland und Europa
ein Erinnerungsmarathon – ein sechzigster Jahrestag jagt
den nächsten, an dem erinnert, gemahnt und auf die deutsche Verantwortung hingewiesen wird. Vor allem Politik und
Medien überschlagen sich anlässlich solcher Jahrestage vor
Erinnerung. Diese Erinnerung ist jedoch in einem stetigen
Wandel begriffen. War es noch vor zwanzig Jahren ein „mutiger Schritt“ von Bundespräsident Richard von Weizsäcker,
den 8. Mai als „Tag der Befreiung“ zu bezeichnen, so können die Deutschen heute so mutig sein, endlich einmal zu
sagen, dass sie, ja eigentlich Opfer waren – Opfer von Hitler, von „Vertreibung“ und Bombenkrieg der Alliierten. Bei
dieser Art von Erinnerung spielt die mediale Inszenierung
eine große Rolle, allen voran natürlich das Fernsehen. Das
Fernsehen, in diesem Fall das ZDF, hat gerade im Bereich
der Geschichtsdarstellung stark meinungsprägenden Charakter, da Zuschauerinnen und Zuschauer solche Sendungen
oft als einzige Quelle ihres Geschichtsbildes heranziehen,
ohne Informationen kritisch zu hinterfragen oder anhand
wissenschaftlicher Literatur zu überprüfen. Guido Knopp
verkörpert zudem als promovierter Historiker und Politologe so etwas wie eine „wissenschaftliche Objektivität“ und
seine Darstellungen werden so wohl oft als „die Wahrheit“
aufgenommen. Dass Guido Knopp mit seinem Konzept Erfolg hat, zeigt sich schon daran, daß er seit nun mehr als 18
Jahren die Redaktion „Zeitgeschichte“ des ZDF leitet.
Geschichte wird gemacht
Im folgenden soll nun an einigen Beispielen gezeigt werden,
dass Guido Knopps Darstellung des Nationalsozialismus
keineswegs der aktuellen wissenschaftlichen Forschung
entspricht, sondern vielmehr Geschichte politisch und vor
allem revisionistisch interpretiert und sehr gut die deutsche
Auseinandersetzung mit dem Thema Nationalsozialismus
11
widerspiegelt.
Grundsätzlich vermittelt Guido Knopp in seinen Sendungen, dass der Nationalsozialismus allein Resultat des Wahns
eines Einzelnen gewesen sei, der zur Durchführung seiner
grausamen Taten eine Hand voll Täter und Vollstrecker heranzog. Die deutsche Bevölkerung sind für ihn nicht Täterinnen und Täter, sondern Opfer Hitlers. Hierbei ignoriert er
vollkommen, dass dies einem Geschichtsbild der sechziger
Jahre entspricht und dass heute bewiesen ist, dass Nationalsozialismus und Shoah nicht möglich gewesen wären
ohne die Beteiligung von Hunderttausenden und die Akzeptanz von Millionen von Deutschen. Guido Knopp weiß dies
alles, er ist nicht einfach nur dumm oder interessiert sich
nicht für die wissenschaftliche Forschung – er setzt diese
falschen Darstellungen ein, um eine neue deutsche Identitätsfindung zu ermöglichen. Nichts steht dieser Identität
mehr im Wege als die Frage nach der eigenen Schuld oder
der Eltern und Großeltern. Ist es jedoch möglich – wie es
nicht nur Guido Knopp tut - auf Hitler, Himmler und Eichmann zu zeigen und zu sagen „die waren es“, so ist die
Schuldfrage schnell geklärt.
Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff der „Verantwortung“, der heute die gesellschaftliche Auseinandersetzung
mit der Shoah in Politik und Medien dominiert. Was soll sie
denn eigentlich sein, diese „besondere Verantwortung“, die
„die Deutschen“ heute zu tragen hätten? Dies erklärt sich
wieder aus einem ganz besonderen, aber doch so normalen Geschichtsbild vom Nationalsozialismus. Demzufolge
sei das deutsche Volk 1933 von Hitler „verführt“ worden.
Es wäre die Pflicht der „demokratischen Kräfte“ gewesen,
diese Diktatur zu verhindern. Im Rückkehrschluss hieße
das dann aber, dass wenn eine ähnliche Situation heute
entstehen würde, müssten die demokratischen Kräfte dies
verhindern. Hier wird deutlich, dass es nicht darum geht,
wirkliche Ursachen von Nationalsozialismus zu analysieren
und zu bekämpfen, sondern eine „wehrhafte Demokratie“
aufrecht zu erhalten. So war es etwa in Politik und Medien sehr präsent, als die NPD in den sächsischen Landtag
einzog, aber es war kein Thema, als Studien nachgewiesen haben, daß es in Deutschland einen starken Anstieg
von Antisemitismus gibt. Dass antisemitische Ansichten
der Bevölkerung gefährlicher sein können als etwa die NPD
(und ich will hier auf keinen Fall die Gefährlichkeit der NPD
herunterspielen), will die deutsche Gesellschaft nicht wahrhaben. Dieser Umgang mit Geschichte verdreht Tatsachen,
verdrängt Wahrheiten und sollte beunruhigen. Ein weiteres
Beispiel soll folgen.
Bomben auf Dresden
„ZDF History X“, sonntags gegen 23.30 und unter Leitung
Guido Knopps, brachte anläßlich des sechzigsten Jahrestages der Bombardierung von Dresden am 13.02.1945 einen
Beitrag über alliierte Luftangriffe auf deutsche Städte. Mit
ganz einfachen Mitteln wurden hier die Deutschen zu Opfern und die alliierten Bomberpiloten zu Kriegsverbrechern
gemacht. Gerade jetzt nach sechzig Jahren, wird immer wieder betont, dass es nun Zeit sein müsse, dass sich auch die
Deutschen als Opfer fühlen dürften. Dies suggeriert, dass
das bisher nicht möglich gewesen sei. Dann verwundert es
aber doch, wie viele Denkmäler es in Deutschland für die im
Zweiten Weltkrieg gefallenen deutschen Soldaten gibt und
daß das „Leiden“ der „Vertriebenen“ seit 1945 immer Thema in der bundesdeutschen Auseinandersetzung mit dem
Nationalsozialismus war. Tatsache ist, dass die Deutschen
seit 1945 kontinuierlich versucht haben, sich als Opfer darzustellen. Das Leid der Bombenopfer zu beklagen, ist nur
ein weiterer Versuch in diese Richtung. So auch in diesem
Beitrag von Guido Knopp.
Als „wissenschaftlicher Experte“ kam Jörg Friedrich zu
Wort, Autor des Buches „Der Brand“, das durch die Verkehrung von Tätern zu Opfern auch bei Nazis eine sehr
beliebte Lektüre ist und geradezu den Weg für die NPDWortschöpfung „Bomben-Holocaust“ ebnete. Am Anfang
des Beitrages wird natürlich eingestanden, die Deutschen
hätten mit der Bombardierung ziviler Ziele in Polen begonnen. Dies geschah aber nur, da es zu dieser Zeit allgemeine
Kriegspraxis war, durch Luftangriffe zu versuchen, die Moral der Bevölkerung zu schwächen. Da auch Großbritannien
Ziel dieser Luftangriffe wurde, war ein Rückschlag natürlich legitim. Als jedoch schnell klar wurde, daß Luftangriffe
nicht zu einem Aufstand in der Bevölkerung führten (auch
Churchill habe dies zugegeben), hätten die Briten und Amerikaner ihre Luftangriffe jedoch nicht eingestellt, sondern
weitergemacht. Es wird nicht ausgesprochen, die Intention
ist jedoch klar: die Alliierten hätten den Deutschen Unrecht
zugefügt und dies soll von dem Unrecht ablenken, daß die
Deutschen Millionen von Menschen zugefügt haben.
Guido Knopp steht hier natürlich nur als Beispiel für den
allgemeinen Umgang mit der Geschichte: Auschwitz als
eine Tat von einigen Deutschen zu akzeptieren, um endlich
äußern zu können, dass die Deutschen auch zu Opfern des
Nationalsozialismus wurden. Auch wenn das keine neue
Tendenz ist, scheint diese Entwicklung „sechzig Jahre danach“ ihren Höhepunkt und eine Wende erreicht
zu haben. Wurde und wird in den öffentlichen
Debatten immer betont, daß die heutigen
Generationen keine Schuld tragen und
dass auch nicht alle Deutschen Täter
Innen gewesen sind, so dürfen sich
doch alle Deutschen - egal welchen Alters - heute als Opfer
von Luftangriffen und „Vertreibung“ fühlen. Und mit Erfolg:
Laut einigen Umfragen hat die Mehrheit der Jugendlichen
in Deutschland das Gefühl, die Deutschen seien Opfer und
nicht Täter des Nationalsozialismus.
s
B E G R I F F S K L Ä R U N G :
N A T I O N A L I S M U S
Staaten standen und stehen schon immer mehr oder weniger in Konkurrenz zueinander, die einzelnen Menschen in
diesen befinden sich mehr oder weniger in realen und ideologischen Zwangsverhältnissen. Die Idee der gesellschaftlichen Abgrenzung durch nationale Identität kam mit der
Entwicklung des Bürgertums und der Ausbreitung der kapitalistischen Produktionsweise auf und breitete sich (nahezu)
über die gesamte Welt aus, ebenso wie der Kapitalismus
(Lesetipp: Benedict Anderson: Die Erfindung der Nation.
Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts. Frankfurt/M.
1996). Ansonsten hat jede Nation / Nationalbewegung ihren
eigenen spezifischen gesellschaftlichen Kontext, in dem sie
entstanden ist / entsteht.
BEGRIFFSKLÄRUNG:
F A S C H I S M U S
Der Faschismus entstand seit der vorletzten Jahrhundertwende aus der nichtmarxistischen Arbeiterbewegung. Der
Name leitet sich von den paramilitärischterroristischen „fasci di combattimento“ (Kampfbünden) des ersten großen
faschistischen Führers Benito Mussolini
ab, mit denen er in den ersten Jahren
nach dem Ersten Weltkrieg die Macht
in Italien errang - im Bündnis mit den
traditionellen Eliten. „Fasci“ hießen die
Rutenbündel im alten Rom, in denen die
Amtsdiener zum Zeichen ihrer Macht, an
Leib und Leben zu strafen, Beile trugen.
Das Rutenbündel mit Beil wurde auch
zum Wappen des italienischen Faschismus.
Hauptbezugspunkt faschistischen
Denkens ist der Nationalstaat, der
zu einer totalen Gemeinschaft aller
Nationsangehörigen umgebaut werden
soll, in dem der einzelne Mensch nur
noch hinsichtlich seiner Leistung für die
*Die Sw-Crew Würde Auch Gern Mal Ran
Gemeinschaft Wert hat. Der angebliche
„Wille“ der Gemeinschaft drückt sich
in einem übernatürlichen „Volksgeist“,
im Willen des halbgöttlichen „Führers“
(Führerkult ist ein Wesensmerkmal des
Faschismus) und in einem sozialdarwinistischen Welt- und Geschichtsbild aus,
welches einen gnadenlosen Konkurrenzkampf der Völker und Rassen behauptet.
Dieser extreme Nationalismus ist immer
„völkisch“, d.h. er beruft sich auf Abstammung („Blut“), Sprache und Kultur.
Der Faschismus sieht in der Gewalt und
im Krieg einen positiven Wert an sich.
Außerdem betreibt er einen Kult um Jugendlichkeit, Kraft und Gesundheit. Sein
Hauptfeind ist die klassenkämpferische
ArbeiterInnenbewegung (die sich mittels
der internationalen proletarischen Solidarität über nationale Grenzen erhebt bzw.
die Nation in Bourgeosie und Proletariat
„spaltet“), aber auch der Feminismus
(welcher sich der Zurichtung von Frauen
12
und Männern als Gebär-, Kampf- und
Arbeitsmaschinen für den totalen Nationalstaat entgegenstellt).
Grundannahme des Faschismus ist die
Ungleichwertigkeit der Menschen. Nicht
nur Nationen und angebliche „Rassen“
werden einander über- oder untergeordnet, auch innerhalb der eigenen Nation
sollen sich die meisten Menschen mit
einer untergeordneten Position zufrieden
geben, während eine kleine Macht-,
Funktions- und Geldelite an der Spitze
steht. Darüber kommt nur noch der
„Führer“.
Die Ideologie des Faschismus verspricht allen Angehörigen der Nation
eine materielle Grundsicherung, so lange
sie für den faschistischen Staat nützlich
sind. Die Kritik des oft antibürgerlich
auftretenden Faschismus am Kapitalismus ist folgerichtig die, daß der kapitalistische Verwertungsprozeß nicht nur
Angehörige angeblich „minderwertiger
Doch was sind nun die unterschiedlichen Facetten von
Nationalismus und was macht diese aus?
Zwischen einfachem Patriotismus und Ultranationalismus kann mensch eine Steigerung der Relevanz der
Nation im täglichen privaten und gesellschaftlichen Leben
der Menschen feststellen. Des einen Herz schlägt nur
beim Fußball für Deutschland, andere sehen einen deutschen Volkskörper, den sie rein halten wollen. Im Kriegsfall
auf eigenem Territorium würden dennoch viele für „ihre“
Nation kämpfen und sterben, statt sich zu „verdrücken“.
Wie stark sich die Menschen in ihrer – meist durch Geburt
festgelegten - Nation und dem daraus folgenden „wir“
(1) wiederfinden, sich mit diesen identifizieren, zeigt sich
daran, welche Lebensbereiche in welchem Ausmaß von
nationalen Aspekten beeinflusst werden.
Der Schwur auf die Verfassung –
„vaterländische“ Verblendung
Verfassungspatrioten betonen, dass der Nationalstaat
nichts anderes sei als ein Zusammenschluss der BürgerInnen zu ihrem gegenseitigen Nutzen. Ein solcher Willenszusammenhang soll sich auf einer angenommenen Interessengleichheit seiner Mitglieder gründen. Was alle wollen
sei „Life, liberty and the pursuit of happiness“ („Leben,
Freiheit und die Verfolgung des Glücks“ - aus der US-Amerikanischen Verfassung), und erst der Zusammenschluss
zu einer Nation ermögliche es den Einzelnen, diese Wünsche zu verwirklichen. Diese Begründung ignoriert jedoch
wesentliche Merkmale bürgerlicher Staatlichkeit. Denn des
Staates Aufgabe ist es, sein Humankapital zu verwalten
und es dem Kapital als willige und fähige Arbeitskräfte
zusammen mit einer ausreichenden Infrastruktur (wie z.B.
Straßen) zur Verfügung zu stellen. Dabei geht es nicht um
das Einzelinteresse der BürgerInnen.(2) Und erst recht
nicht um dasjenige der vor Ort lebenden Menschen. Denn
auch wenn beim
Völker bzw. sogenannter „Rassen“
mitunter zu einem menschenunwürdigen Dasein verdammt, sondern auch die
eigenen Landsleute.
Das geht einher mit einer verkürzten,
bipolaren (in „Gut und Böse“ einteilenden) Deutung gesellschaftlicher
Widersprüche, welche die produktive
Arbeit in Handwerk, Wissenschaft und
Industrie der kapitalistischen Zirkulationssphäre (Geld, Banken, Börsen,
Spekulation usw.), dem Ursprünglichen,
Natürlichen, Nationalen das Entfremdete, Künstliche und Globale (Technik,
Weltbürgertum, Weltmarkt) gegenüberstellt. Der Faschismus spiegelt genau
die Interessenlage des kapitalistischen
Kleineigentümers wieder, der selbst von
den Produktionsverhältnissen profitiert,
z.B. Lohnarbeiter ausbeutet, gleichzeitig
aber sich bedroht fühlt von der Konkurrenz der großen Kapitale und den Krisen
des Weltmarkts. Die soziale Utopie
Verfassungsnationalismus weder Konfession, noch Hautfarbe eine Rolle spielen, sollte allgemein bekannt sein,
dass NichtbürgerInnen, wie z.B. Asylsuchende, in den
meisten Nationen nicht einfach so „mitmachen“ können.
Kunst und Kultur – von wem ?
Der häufigste Fehler ist, dass die Notwendigkeit des
Nationalstaates, mit Sachen begründet wird, die erst aus
den Sachzwängen nationalstaatlicher Ordnung entstehen.
Dass z.B. offizielle Amts- und Schriftsprachen gegenüber
Dialekten zum verbindlichen Verständigungsmittel werden,
beruht immer auf staatlicher Anordnung: So ist die allgemeine Verbreitung von Hochdeutsch Resultat und nicht
Ursache der Gründung des Deutschen Reiches. Und wenn
sich überhaupt eine Gepflogenheit über genau eine ganze
Nation
verbreitet haben sollte, dann in der Regel erst, weil es diese bereits gab. Kriterien für die Bestimmung „typischer“
nationaler Eigenarten sind nicht etwa die Ähnlichkeiten
in den Sitten und Gebräuchen; vielmehr bilden sich diese
entlang von Staatsgrenzen.
Ähnliche starke Verdrehungen kommen im Bereich Kunst
zum Vorschein. Es mag möglich sein, zwischen verschiedensten Stilrichtungen und Kunstformen, Epochen und
Künstlern Verbindungen aufzuzeigen – die Einordnung in
eine „Nationalkultur“ nimmt es damit aber nicht so genau.
Leute, die sich auf „unseren“ Goethe berufen, als hätten
sie den „Werther“ selbst geschrieben, zeigen damit nur,
wie wenig sie von der Kunst verstehen, die sie zum Grund
ihrer nationalen Identität erklären wollen. Ein Kunstwerk
enthält immer eine Reflexion auf die künstlerische Tradition. Dass sich diese Tradition nicht auf Staatsgrenzen
beschränken lässt, kann an fast jedem Kunstwerk gezeigt
werden.
des Faschismus
ist ein von allen Problemen und Schattenseiten, von allen Konsequenzen der ihm innewohnenden Grundwidersprüche befreiter Kapitalismus,
den der o.g. genannte totale
Nationalstaat verwirklichen
soll.
Der Faschismus hat die
bürgerliche Herrschafts-, Rechts- und
Eigentumsordnung nie prinzipiell in
Frage gestellt, sondern diese vielmehr
in historischen Entscheidungssituationen gemeinsam mit der traditionellen
bürgerlichen Rechten verteidigt. Wo
er an die Macht gelangt ist, stellt er
somit eine perverse Form bürgerlicher
Herrschaft dar, vielleicht die dialektische
Selbstaufhebung der emanzipativen
Werte und Versprechen der bürgerlichen
Gesellschaft.
13
Eine Kultur – ein
Volk – ein Blut ?
Zum weiterlesen:
Junge Linke: Was ist Nationalismus, Aufruftext zur Antinationalen Konferenz „Mein Skateboard ist wichtiger als
Deutschland“ am 4.10.1998 in Hannover – viele Textstellen hier sind daraus kopiert. Danke an die AutorInnen.
Der völkische Nationalismus beruht auf der An-
1) Ein „wir“ impliziert immer auch „die Anderen“. Es ist ein
sicht, ein Nationalstaat sei „die Zusammenfas-
Herrschaftsgefüge, in dem Integration und Ausgrenzung ent-
sung physisch und seelisch gleichartiger Lebewe-
scheidende Momente sind. Außerdem: viele Menschen erklären sich die Welt mit einem Gut-Böse-Denkmuster, was
sen“ (Adolf Hitler) und ist damit die radikalisierte
gerne in Verschwörungstheorien und strukturellen Antise-
Form des Kulturnationalismus. Denn hier soll die
mitismus mündet (Lesetipp: Moishe Postone: Nationalsozi-
„Gemeinschaft“ gleich ganz auf Natur gründen:
alismus und Antisemitismus - www.giga.or.at/others/krisis/
es sei das biologische Wesen eines Menschen,
m-postone_nationalsozialismus-und-antisemitismus.html)
d a s i h n z u e i n e m b e s t i m m t e n Vo l k u n d d a m i t z u
2) Die Arbeiter einer Nation auf dem Weltmarkt in Konkurrenz
einem klar abgegrenzten Nationalstaat gehören
zu anderen Nationen, die Arbeitskräfte in Petto haben. Industrie
lasse. Nun ist es aber so, daß Blut überall rot
und Gewerbe siedeln sich an den Standorten an, wo die Bedin-
ist und einen Rhesusfaktor hat oder nicht, welt-
gungen günstig sind, also u.a. die Arbeitskraft wenig kostet.
weit gibt es nur die Blutgruppen 0, A, AB und B.
Um den Lohn zu drücken ist der Appell „Denk an die Nation...“
Irgendwelche nationalen Charaktereigenschaften
ein viel bemühtes Mittel. Auch Staatsmaßnahmen, wie Sozialkürzungen werden auf diese Weise annehmbar gemacht. „Es
z u b e h a u p t e n , i s t g e n a u s o f a l s c h : I n j e d e m „ Vo l k “
müssen eben alle den Gürtel enger schnallen“. Es ist nicht vor-
gibt es höchst unterschiedliche Menschen, die
gesehen, dass alle sich mit ihren Ideen einbringen können und
mit anderen Menschen aus „anderen Völkern“
gemeinsam geschaut wird, wie sie umgesetzt werden können.
mehr gemeinsame Interessen haben können, als
m i t i h r e n „ Vo l k s g e n o s s e n “ . A u c h H a u t - , H a a rund Augenfarbe, Religion, Reichtum und „Intelligenz“ taugen nicht, die Zugehörigkeit zu einem
b e s t i m m t e n Vo l k z u b e g r ü n d e n .
Jede der bereits erwähnten Aspekte von Nationalismus (und noch andere) gibt es in jedem
N a t i o n a l s t a a t . Vo n s t a a t l i c h e r S e i t e w i r d o f f i z i e l l
festgelegt, wer Angehörige/r der jeweiligen Nation ist und auch wie mit sogenannten ethnischen,
kulturellen, politischen und sozialen Minderheiten sowie mit MigrantInnen umgegangen wird.
Wie das entschieden wird und wie der tatsächliche Umgang der Menschen untereinander auss i e h t , h ä n g t v o n d e n g e s e l l s c h a f t l i c h e n K r ä f t e v e rhältnissen ab.
14
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UNGLAUBLICH:
GENETISCHE
AUSERWÄHLTHEIT
STATT
GLEICHMACHEREI
A L E X
W I N T E R ,
S P U K
V O N
Vor ein paar Monaten lief in den Kinos
ein witziger Zeichentrickstreifen mit hohem Unterhaltungswert für die ganze Familie: „Die Unglaublichen“. Die „Incredibles“ sind eine sympathische suburban
lebende Bilderbuchfamilie, Papa hat einen öden Schreibtischjob, Mama hütet
das Haus, drei reizende Kinder sorgen für
Aufregung. Unter der Oberfläche haben
die Incredibles allerdings ein Problem:
sie sind eigentlich Superhelden, dürfen
ihre naturgegebenen Kräfte jedoch nicht
mehr frei entfalten, seit eine Klagewelle wegen unerwünschter Rettungen und
Sachbeschädigung dem Superheldentum
ein Ende bereitet hat. Zudem werden die
als Normalos getarnten Superhelden und
Heldinnen von einem fiesen Schurken
verfolgt, der sich zum Ziel gesetzt hat,
sie auszulöschen, und gleichzeitig ihre
genetisch programmierten Superkräfte
durch effektive kleine technische Erfindungen zu ersetzen, damit schliesslich
alle über Superkräfte verfügen können.
Soviel Gleichmacherei können die Incredibles jedoch nicht zulassen. Sie verteidigen nicht nur ihr Leben gegen den
Bösewicht, sondern auch ihr Recht auf
Exzellenz. Sie möchte etwas besonderes
sein, meint das Töchterlein und, wie sie
traurig feststellt, ist das unmöglich solange einfach jedeR Beliebige etwas besonderes ist.
D
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15
ie Geschichte kann exemplarisch stehen für einen konservativen backlash der letzten Jahre. Seit den
1970ern
spielten
Gleichberechtigung,
Chancengleichheit und soziale Benachteiligungen für eine Weile eine wichtige Rolle in öffentlichen Debatten. Doch
das Klima ist wieder kälter geworden.
Konservative Familienmodelle und „natürliche“ Geschlechterdifferenz werden
ausgekramt und Ungleichheit nicht mehr
als
soziales
Problem
wahrgenommen,
sondern vielmehr zum Ergebnis individueller Leistung bzw. Veranlagung erklärt.
Der Film enthält die klare Botschaft:
natürliche Gabe muss sich ungehindert
entfalten können, damit sich die Starken
durchsetzen können. Das ist Sozialdarwinismus in Reinform.
Ta l e n t e u n d K o m p e t e n z e n k ö n n e n n i c h t
erlernt werden – wie der Schurke des Film e s v o n s e i n e m I d o l M r. I n c r e d i b l e b e reits in jungen Jahren gezeigt bekommt.
Ungleichheit und die Effekte von Diskriminierung und Ausgrenzung werden biologisch legitimiert. Zum Schluss des
Filmes setzt sich dann auch die Macht
der Gene durch: der Möchtegernheld,
der sich die Superkräfte nur technisch
erschlichen hat, versagt kläglich, die
Incredibles mit weiterer Echtheldenverstärkung retten die Stadt.
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CREATE YOURSELF!
ZU
IDENTITÄT UND KRITISCHER
AUSEINANDERSETZUNG
VON
SUSI
SOUTERRAIN, SPUK
Fast alle jungen Menschen in hoch-industrialisierten Regionen wie Mitteleuropa haben den Eindruck, dass etwas
nicht stimmt in der heutigen Gesellschaft. Je nach Erlebniswelt werden verschiedene Probleme und verschiedene
Ursachen oder Verursacher dafür identifiziert: Für Krieg
ist in letzter Zeit häufig Herr Bush verantwortlich; an der
Umweltverschmutzung sind gewissenlose Verschwender,
Egoisten und Großkonzerne schuld; die Arbeitslosigkeit
ist eine Folge falscher Politik; die Tiere werden gequält
weil die Menschen schlecht sind; wer arm, dumm und
perspektivlos ist, wird Nazi. All dies sind übliche und sehr
oberflächliche Erklärungen und vor allem Schuldzuweisungen, die natürlich nicht vom Himmel fallen. Die Meinungsbildung hat einen Kontext - die Gesellschaft. Ideen und
Meinungen haben Quellen. Nicht nur für junge Menschen
sind diese Quellen private und öffentliche Institutionen,
wie Familien und Freundeskreise, Medien, Schule, Polizei,
Justiz, Regierungen, Gesundheitseinrichtungen usw. Das
gefühlsmäßige Bewusstsein von Widersprüchlichkeit in
uns selbst und der Gesellschaft bringt die Eine oder Andere zwar zur Suche nach Erklärungen. Als Erklärungsmuster
nehmen wir aber logischerweise, was wir kriegen können:
die derzeit allgegenwärtigen Antworten. Diese sind meist
nicht besonders kritisch (1) und entstammen vor allem der
kapitalistischen Gesellschaft (2). Dieselbe Gesellschaft hat
zum Glück aber auch tiefgründigere Betrachtungen ihrer
selbst hervorgebracht. Dieser Text soll dazu anregen, sich
intensiv und lebenslang mit diesen kritischen Theorien zu
beschäftigen.
Um euch eine Vorstellung davon zu geben, was wir mit
diesen tiefgründigen Betrachtungen meinen, wird es in
diesem Text um einen speziellen Aspekt gehen, der viele
davon abhält einen unbändigen Willen zur kritischen Auseinandersetzung mit sich und der Gesellschaft zu entwickeln: die (zwanghafte) Identitätsfindung. Wir wollen versuchen diese so zu beschreiben, dass es nicht unbedingt
notwendig ist, bereits die einschlägigen Klassiker kritischer
Gesellschafts- und Subjekttheorie gelesen zu haben.
Die Frage nach der eigenen Identität ist nicht falsch und
schon gar nicht ohne Ursache. Sie wird uns durch jene
oben beschriebenen gesellschaftlichen Institutionen aufgezwungen ohne Identität keine Interaktion. „Wer bin
ich?“ fragen wir uns immer wieder und finden meist eine
Schubladenantwort à la: „Ich bin Tierschützerin!“ Was im
Bewusstsein meist „Wer bin ich?“ lautet, bedeutet in der
Regel vor allem „Wer kann ich/ darf ich sein, um möglichst
schmerzfrei und erfolgreich zu sein?“ Der Diskurs, der diese Frage produziert, vereint so ziemlich alle gesellschaftlichen Bereiche. Als Beispiel wollen wir hier die Ökonomie
betrachten, den gesellschaftlichen Stoffwechsel, welche
derzeit konkret der kapitalistische ist.
Der ökonomische Rahmen spielt wahrscheinlich in jeder
Gesellschaft eine Rolle. Die kapitalistische Gesellschaft
zwingt uns jedoch dazu, entweder für den Arbeitsmarkt
verwertbar oder reich genug zu sein, um andere für uns
arbeiten zu lassen. Und sie setzt uns in ein erbittertes Kon-
kurrenzverhältnis zu allen, mit denen wir keine Gütergemeinschaft (Familie) betreiben. In diesem ökonomischen
Rahmen entwickelt sich ein Diskurs immer weiter, der
jede dazu zwingt, eine gesellschaftliche Position (Identität)
einzunehmen oder zu dieser oder jener Frage Stellung zu
beziehen: Im Laufe unseres „Erwachsen“-Werdens muss
jede z.B. einen Beruf oder Arbeitsplatz (3) suchen. „Wer
bin ich?“ heißt hier also: „Wovon werde ich leben?“ Oder
wie es Eltern oft formulieren: „Was soll aus dir bloß mal
werden?“
Die allgegenwärtige Konkurrenz wiederum erzwingt
zusätzlich eine Abgrenzung von den Menschen in unserem Umfeld. „Ich bin besser/schlechter als die Anderen.“
bedeutet nun mal, dass solche „Qualitätsunterschiede“
zwischen mir und den Anderen für das Selbstwertgefühl
an Wichtigkeit gewinnen. An diesem Punkt erklärt es sich
leicht, warum eine unbewusste und zwanghafte Identitätsfindung und Selbstbestätigung dem offenen und solidarischen Meinungsaustausch, bzw. der solidarischen Zusammenarbeit immer im Wege stehen muss. (4)
Um die Problematik der Identität an einem weiteren Ort
hervortreten zu lassen, noch ein Beispiel mit aktuellem
Bezug: Die Präsenz und das Verhalten der NPD im Sächsischen Landtag hat dort kürzlich zu einer erfrischend klaren Zuweisung der Verantwortung für die Bombardierung
Dresdens auf das nationalsozialistische Deutschland geführt (..., SPD, 27.1.2005). Entgegen dem herrschenden
Trend, die deutschen Verbrechen einem durchgeknallten
Führer und seiner Verführungskunst zuzuschreiben, zwingt
die polarisierende Positionierung der NPD („Bombenholocaust“) dem nationalistischsten CDU-Fuzzie Applaus für
jede antifaschistische Positionierung (Identifizierung) ab.
Freilich tut das dem Werkeln an einem neuen starken und
weltweit einflussreichem Deutschland innerhalb eines europäischen Verbundes keinen Abbruch. Gerade weil eine
deutsche Identität frei von nationalsozialistischer Vergangenheit gebraucht wird, muss gegenüber der Weltöffentlichkeit jeder Verdacht auf Wiederkehr des nationalsozialistischen Wahnsinns zerstreut werden.
16
Die Auseinandersetzung mit den Ursachen und möglicherweise eigenen Verstrickungen in diesen NS-Boom wird
zwar in den Medien gefordert, findet aber nicht statt. Sie
kann gar nicht stattfinden: Erstens weil die RepräsentantInnen viel zu beschäftigt mit der Rettung der Identität
(des Wirtschaftsstandortes) Deutschlands sind. Zweitens,
weil nicht kritische Auseinandersetzung ihr Geschäft ist,
sondern die Verwaltung und Gestaltung der kapitalistischen Gesellschaft. Dazu kommt noch die Belohnung mit
verschiedenen Wohlfühleffekten, welche die Gesellschaft
für die Rolle (Identität) des Führungspersonals bereitstellt:
Die riesige Aufmerksamkeit, die ihnen entgegengebracht
wird, ist mit Abstand der wichtigste Aspekt für ihr aufgeblähtes Selbstvertrauen. Sie sind die SprecherInnen in einer gesellschaftlichen Struktur, die die meisten Leute die
meiste Zeit zum Zuhören zwingt. Das baut auf! Jene RepräsentantInnen haben also weder Zeit noch Interesse für
die In-Frage-Stellung gesellschaftlicher Grundfesten (Kapitalismus und Demokratie sind der Gipfel menschlicher
Entwicklung), ihrer eigenen, manchmal vielleicht sogar unbewussten, Strategie (Deutschland nach vorn!) und ihrer
gesellschaftlichen Rolle (die Führungsidentität).
Das ganze Getexte von Identität soll also auf Vorgänge aufmerksam machen, die sich auf Grundlage von Schulwissen
und massenmedialen Anregungen nicht verstehen lassen,
da z.B. das Erkennen von Systematik/Strukturen, bzw. wie
Gesellschaft als ganzes funktioniert, dort kaum eine Rolle
spielen. Eine auf Herrschaft basierende Gesellschaft wird
ihre Grundlagen immer zu verteidigen, bzw. zu erneuern
versuchen. Insofern Erkenntnisse und Werkzeuge der Kritik hierfür nützlich sein können, werden sie auch immer zugänglich sein. Was aber üblicherweise für Kritik gehalten
wird, ist oft nicht mehr als moralische Anklage und anschließende Verurteilung in einem Atemzug. Der Zugang zu den
„Werkzeugen“ der Kritik ist zwar mehr oder weniger vorhanden (z.B. in den Universitäten), deren Gebrauch hilft aber
nur selten, den Wert der eigenen Arbeitskraft zu steigern.
Da es aber wegen der schon erwähnten kapitalistischen
Gesellschaftsorganisation für die meisten existenziell ist,
die eigene Arbeitskraft verkaufen zu können, ist es z.B. für
Studierende (fast) unabdingbar, schnell und mit guten Bewertungen durch das Studium zu kommen. Menschen in
beruflicher Ausbildung bzw. im regulären Job/Arbeitslosenverhältnis haben noch weniger Zeit, sich mit tiefergehender Kritik an dieser Gesellschaft auseinander zu setzen. Statt euch also darauf zu verlassen, dass euch die
wichtigen und richtigen Erkenntnisse einfach zufliegen,
wenn ihr nur neugierig oder fleißig genug seid, beherzigt
lieber unseren Tipp:
Lehnt euch versuchshalber entspannt zurück und überlegt für wen ihr euch haltet, bzw. für wen eure Identität
alles eine Rolle spielen könnte. Wenn ihr dabei nicht vergesst, dass ihr nach wie vor dazu gezwungen seid, irgendwelche Identitäten durch die Gegend zu tragen, habt ihr so
die Gelegenheit, ein wenig Distanz zu dieser Problematik
zu entwickeln und werdet früher oder später lernen, die
Identität immer öfter als Mittel eines bewussten Zweckes
einzusetzen, bzw. immer mehr Aspekte entdecken, die
mit Identität und Identifizierung zu tun haben (behaupten
wir). Derart von innerer Belastung befreit, könntet ihr die
Vorteile entdecken, euch selbst und eure Umwelt immer
tiefgreifender zu verstehen und von immer mehr Seiten zu
betrachten, um schließlich bei der nächsten Gelegenheit
die größtmögliche Veränderung zu Gunsten der Emanzipation zu verursachen [Trompeten im Hintergrund].
Zu dieser tiefgreifenden Auseinandersetzung gehören unserer Meinung nach sowohl die Geschichte aktueller Problematiken als auch die Beschäftigung mit gesellschaftskritischen Theorien, wenn sich das überhaupt auseinander
halten lässt. Deshalb die Definitionen, Lesetipps und Links
in dieser Zeitung.
1) Zu hinterfragen wären aktuelle Probleme wie Kapitalismus,
Antisemitismus, Nationalismus, Geschichtsrevisionismus, Sexismus, Rassismus, Faschismus, Islamismus, Religion und Esoterik
(diese Aufzählung ist ohne wertende Reihenfolge).
2) Diese basiert auf der Logik des Tausches. Den Tauschwert definierte Marx als Vergegenständlichung abstrakter, d.h. allgemeiner
und durchschnittlicher, bzw. gesellschaftlich notwendiger Arbeit.
Zu empfehlen ist die Lektüre des „Kapital – Kritik der politischen
Ökonomie“, sowie eine recht aktuelle und verständliche Einführung dazu von Michael Heinrich (theorie.org).
3) Die Hausarbeit ist ein besonderer Arbeitsplatz, nämlich ein für
die Arbeitende unbezahlter. Sie ist abhängig vom Einkommensbezieher.
Es gibt natürlich noch andere Gründe dafür, dass in Diskussionen
nicht auf die Argumente des Gegenüber eingegangen wird. Soziale Hierarchien z.B. sind ebenso wirksam wie Identitätsprobleme
(und mit ihnen eng verknüpft). So ignorieren „Männer“ vielerorts
die Meinungen von „Frauen“, mal mehr, mal weniger bewusst.
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PROTEST OHNE EIGENSCHADEN
V E R H A LT E N S T I P P S
FÜR
AKTIONEN
VON TRICK & TRACK, DESPERADOS.BERLIN
Nazis wollen durch euren Kiez demonstrieren und ihr wollt
das verhindern? Sehr gut. Aber leider hat die Polizei meistens
etwas dagegen. Deshalb hier ein paar Tipps, wie ihr bei Demonstrationen und anderen Aktionen erfolgreich euren Protest äußern könnt und trotzdem wieder unbeschadet nach
Hause kommt.
Bevor ihr auf eine Demo geht, solltet ihr euch erst einmal darüber klar werden, was ihr dort eigentlich machen wollt. Die
einen möchten sich gleich ins Getümmel stürzen, die anderen lassen es lieber etwas ruhiger angehen. Am besten geht
ihr immer als Gruppe hin und auch wieder weg. Das macht
erstens mehr Spaß und zweitens ist es sicherer, weil ihr euch
in brenzligen Situationen gegenseitig helfen könnt. Ihr solltet
vorher unbedingt untereinander klären, welche Aktionsformen ihr euch zutraut. Am besten macht ihr das ganz ehrlich
und ohne posing, damit ihr nicht in Situationen geratet, die
euch überfordern. Es gibt kein „besser“ oder „schlechter“,
und falscher Mut ist echt fehl am Platz.
Bevor ihr dann losgeht, solltet ihr noch einen Blick in eure
Bude werfen. Hier eine Auswahl von Dingen, die sich dort lieber nicht befinden sollten: eine Liste mit allen Namen und Telefonnummern eurer Freunde, eure Waffensammlung, euer
Dopevorrat nebst Eigenanbau, Fotos von illegalen Dingen, die
ihr früher gemacht habt (z. B. wie ihr gerade eine Hauswand
ansprüht), bedenkliche Inhalte auf euren Datenträgern (Festplatten, CDs, USB-Sticks usw.). Alles was euch nicht ganz legal vorkommt oder Aufschluss über eure politische Tätigkeit
gibt, kommt raus. Dasselbe gilt für eure Taschen: Packt euer
Gras raus und eure Taschenmesser, nehmt keine Adressenliste mit. Übrigens schauen sich die Cops nach Festnahmen
auch gerne die Nummernverzeichnisse, Anruflisten und SMS
auf euren Handys und SIM-Karten an. Einpacken solltet ihr
Kleingeld /Telefonkarte zum Telefonieren, einen Stift, Medikamente, die ihr regelmäßig braucht, ein Tuch und Klamotten
zum Wechseln.
Bei der Demo geht gemeinsam durch die Vorkontrollen.
Macht ein Codewort aus, das ihr rufen könnt um euch zu
verständigen, falls ihr euch verlieren solltet. Ein Klassiker
ist immer noch ALDI. Der ist nicht schön, aber besser, als
den Klarnamen einer Person durch die Gegend zu brüllen.
Achtet auf die Ansagen des Lautsprecherwagens, durch sie
erhaltet ihr nähere Informationen zur aktuellen Lage, z.B. wo
die Nazis gerade sind. Außerdem wird dort die Nummer des
Ermittlungsausschusses (EA) durchgegeben. Jetzt kommt
euer Stift zum Einsatz, weil ihr euch die Nummer in jedem
Fall notieren solltet. Der Ermittlungsausschuss kümmert sich
bei Demonstrationen um die Leute, die festgenommen wurden, indem er z.B. Anwälte besorgt, die ihnen helfen, wieder
auf freien Fuß zu kommen. Bleibt am besten zusammen und
bildet Ketten. Das verleiht euch mehr persönliche Sicherheit, weil ihr euch aneinander festhalten könnt, falls jemand
rausgegriffen werden soll. Außerdem merkt ihr so schneller,
wenn eine Person fehlt. Manchmal kommen Leute auf die
Idee, sich ihr Tuch zu nehmen, es über die Nasenspitze zu
ziehen und am Rand der Demo neben den Bullen zu spazieren. Vorsicht: Straftat! Die Bullen sehen dann sofort rot. Vorsicht: Festnahmegefahr! Grundsätzlich ist gegen Verkleidungen nichts einzuwenden, aber ganz allein ist auch bescheuert
und die Cops sind die letzten auf diesem Planeten, die Spaß
verstehen. Wenn ihr euch also maskieren müsst, dann achtet
darauf, dass Zeitpunkt und Anlass passend gewählt sind.
Manchmal kommt es bei Demonstrationen zu Festnahmen.
Wenn ihr eine beobachtet, fragt nach dem Namen der Person
und dem Geburtsdatum und schreibt ihn auf! Euer nächster
Gang, so ihr kein Handy habt, führt euch zur Telefonzelle, wo
ihr den EA anrufen solltet, um dort mitzuteilen, wer wo und
wann festgenommen wurde.
Es kann auch passieren, dass der launige Demospaziergang
abrupt zum Stehen kommt und irgendwo gerade die Luft
brennt. Wer darauf keine Lust hat, sollte jetzt den Heimweg
antreten. Das hat nichts mit Feigheit zu tun, ihr selbst entscheidet wo eure Grenzen sind und das haben andere zu respektieren. Auf blöde Mackereien könnt ihr getrost scheißen.
Ihr könnt auch einfach dableiben. Selbst wenn ihr keine Action macht, helft ihr denjenigen, die es tun, allein durch eure
Anwesenheit. In den Polizeiberichten von Krawallen taucht
immer wieder ein großes Ärgernis der BeamtInnen auf, das
als „Deckungsmasse“ bezeichnet wird. Wenn genug Leute einfach rumstehen, können die Cops die StraftäterInnen
nicht genau lokalisieren oder einfach rausgreifen. Wenn die
Bullen dann irgendwann stürmen, könnt ihr euch entweder
auf einen Wettlauf mit ihnen einlassen oder einfach in einen
Hauseingang stellen. Die Bullen gehen davon aus, dass Personen, die wegrennen, ein schlechtes Gewissen haben, weil
sie Straftaten verübt haben. Ausnahmen bestätigen die Regel, das heißt, es ist auch durchaus schon vorgekommen,
dass Unbeteiligte Opfer von Polizeigewalt wurden.
Für diejenigen, die nicht davon lassen können, Stress
zu machen, sei angemerkt, dass das gut mit etwas Mummenschanz zusammenpasst. Die Bullenreviere sind voll von
Plakaten, auf denen ihr die Gesichter von unmaskierten KrawallantInnen bewundern könnt. Auf vielen davon sind die
Gesichter durchgekreuzt, was den Fahndungserfolg für alle
BesucherInnen der Polizeiwachen deutlich machen soll. Fotos von euch könnt ihr im Urlaub machen lassen aber nicht
hinter brennenden Müllcontainern. Und wenn wir schon dabei sind: achtet auf die Zivilbullen. Die versuchen, so auszusehen wie ihr, aber sie schaffen es meistens nicht. Deshalb
checkert nicht allein durch die Gegend und wenn ihr welche
seht, macht allen eine Freude und auf die Kollegen aufmerksam. Wenn ihr einen Schauplatz verlassen wollt, solltet ihr
euch vorher irgendwo umziehen, damit die Schnüffler eure
Spur verlieren. Wenn die ganze Action vorbei ist, meldet
euch beieinander zurück.
Es gibt Tage, da läuft alles schief und ihr landet in den
Fängen der OrdnungshüterInnen. Ab diesem Zeitpunkt geht
euch nur noch ein Satz im Kopf herum: ANNA UND ARTHUR
HALTEN DAS MAUL! Alles, was ihr den Bullen zu erzählen
habt, sind euer Name, das Geburtsdatum, die Meldeadresse
und eine ungefähre Berufsbezeichnung. Ihr habt das Recht
auf zwei Telefonate; ruft am besten den EA an. Ansonsten
ist jetzt die Zeit für Diskussionen vorbei. Verweigert die Aussage - das ist euer Recht - alles was ihr sagt, kann gegen
euch oder andere verwendet werden. Auch wenn die Bullen
euch versprechen, dass eine Aussage das Urteil in einem
Prozess positiv beeinflussen kann - lasst euch nicht verarschen. Das Urteil fällt einE RichterIn und nicht der Bulle. Der
ist nur ein besserer Zeuge. Nach zwölf Stunden müsst ihr
dem Untersuchungsrichter vorgeführt werden. Auch hier gilt:
Schnauze halten. Wenn ihr aus dem Knast heraus seid könnt
ihr euch mit eurem Rechtsbeistand immer noch eine Strategie überlegen. Bei einer drohenden Hausdurchsuchung ruft
einen Freund oder eine Freundin an, damit sie in eurer Bude
am Start ist. Wenn die Bullen einreiten, sollte immer jemand
da sein, der ihnen auf die Finger schaut. Verlangt immer ein
Protokoll über die beschlagnahmten Dinge. Wenn ihr vorher
gut aufgeräumt habt, wird nichts draufstehen. Wenn ihr dann
aus dem Knast heraus seid meldet euch beim EA und euren
Bekannten zurück.
Und dann erholt euch erst mal und leckt euch die Wunden.
weitere Tipps:
h t t p : / / w w w. n a d i r. o r g / n a d i r / i n i t i a t i v / s a n i s
18
WARUM & WIE WERDEN
NAZIDEMOS VERHINDERT ?
V O N
R O L A N D
P E T E R S
Es ist immer das Gleiche, und es ist mittlerweile fast überall
in der BRD schon mindestens einmal passiert: Neonazis von
NPD oder Kameradschaften planen in einer Stadt aufzumarschieren; vor Ort bildet sich ein antifaschistisches Bündnis;
am Tag des Aufmarsches wird dann mit mehr oder weniger
Erfolg versucht, die Neonazis zu stören, zu blockieren, zu behindern und anzugreifen. Dieser Artikel will keine Anweisungen zum Handeln geben, sondern lediglich darüber berichten und analysieren, was in einigen Fällen geschah, als die
Polizei Aufmärsche aufgrund von Protesten abbrechen oder
entscheidend verkürzen oder verlegen musste.
AntifaschistInnen begründen ihre ständig wiederholten, oft
wenig erfolgreichen Mobilisierungen gegen Neonaziaufmärsche meist mit den Wirkungen, die ein gelungener Aufmarsch auf die Teilnehmenden und die gesamte rechte Szene habe: Diese Umzüge seien gemeinschaftsstiftende und
motivierende Events. Sie gäben den Neonazis im Erfolgsfall
das Gefühl, zu einer starken, harmonischen Bewegung auf
der Gewinnerstraße zu gehören, und wären somit zentraler
Bestandteil jener faschistischen Erlebniswelt, welche die
rechte Szene integriert, attraktiv macht und antreibt.
Tatsächlich fällt es auf, dass Neonazi-Anführer ihr oft sehr
junges Fußvolk gern und oft zu allen möglichen Aufmärschen
im ganzen Land mitnehmen – so der Chef der kürzlich verbotenen Kameradschaft „Berliner Alternative Süd-Ost“ (BASO),
René Bethage, der in 2004 mit seinen Fascho-Kids fast jedes
zweite Wochenende irgendwo in Deutschland auflief. Die
öffentlichen Verlautbarungen der OrganisatorInnen und Teilnehmenden über ihre Aufmärsche gleichen sich bis zur Langweiligkeit. Da wird jede Demo als Erfolg verkauft, egal was
passiert ist. Schaut mensch aber in die einschlägigen Internetforen, in denen eher die internen Diskussionen der Neonazis geführt werden, ändert sich das Bild sofort: Aus rechter
Sicht halbwegs erfolgreiche Aufmärsche führen regelmäßig
zu übersteigertem Jubel, während wirksame antifaschistische Gegenmaßnahmen ebenso regelmäßig zu schäumenden Wutausbrüchen, wehleidigen Klagen, ja sogar zu (zeitweiliger) Verzweiflung und Resignation Anlass geben.
der Straße Unter den Linden etwa 1000 Protestierende versammelt. Die Polizei begründete ihre Entscheidung, den
Aufmarsch am Alex zu beenden, mit den zu erwartenden
Schwierigkeiten an der Neuen Wache, die nur mit unverhältnismäßigem Gewalteinsatz hätten bewältigt werden können.
Date: 1. Mai 2004
Location: Lichtenberg und Friedrichshain
Theme: NPD und Kameradschaften für
„Volksgemeinschaft statt Globalisierungswahn“
Numbers: ca. 2.500-3.000 Neonazis, ca. 2.000 - 3.000
Protestierende
Die Route der Rechten sollte vom S- und U-Bahnhof Lichtenberg nach Friedrichshain gehen. Von Anfang an waren hunderte Antifaschistinnen dezentral unterwegs. Kleinere Blockaden gab es schon in Lichtenberg, die jedoch abgedrängt
und teilweise stundenlang eingekesselt wurden. Gleichzeitig lief eine recht große Antifa-Demo durch Friedrichshain
– Schätzungen sprechen von bis zu 2.000 Teilnehmenden.
Die Polizei konnte nicht verhindern, dass ein Großteil der
Demo-TeilnehmerInnen auf die Frankfurter Allee kam. Kurz
bevor der NPD-Aufmarsch die Grenze zwischen Lichtenberg
und Friedrichshain übertrat, blockierten Hunderte die Frankfurter Allee. Während Menschenketten und Sitzblockaden
den brutalen Schlägen und den Wasserwerfern der Polizei
widerstanden, wurden weiter hinten Straßensperren gebaut
sowie Mülltonnen und ein Auto angezündet. Die weithin
sichtbaren Rauchschwaden ließen viele AntifaschistInnen
losjubeln. Die Polizeiführung führte die Neonazis schließlich
nach Lichtenberg zurück und begründete dies damit, deren
Sicherheit nicht gewährleisten zu können.
A
n
z
e
egi
Antifaschistisches
Blatt
Sonderausgabe zum 8. Mai
Leg’ Dein Ohr auf die Schiene der Geschichte...
V E R G E S S E
V E R D R Ä N G E
VERSCHWEIGE
VEREINAHME
Date: 25. November 2000
Location: Friedrichshain/Mitte
Theme: Gegen ein Verbot der NPD
Numbers: ca. 1500 Neonazis, ca. 3000 Gegendemonstranten
Die Route der Rechten verlief von Friedrichshain über Alexanderplatz zur Straße Unter den Linden. Mehrere 100 Protestierende begleiteten den Aufmarsch praktisch von Anfang
an und rangelten teilweise mit der Polizei. Auf dem Alex fand
eine große BürgerInnen-Kundgebung mit Bundestagspräsident Thierse statt, der dazu aufrief, den Nazis nicht die Stadt
zu überlassen.
Die Polizei zog sich kurzzeitig von der entscheidenden
Stelle zwischen Alex und Leipziger Straße zurück, und zwar
genau kurz bevor die Neonazis diesen Punkt erreichten, so
dass Hunderte vom Alex bzw. von denjenigen, die den Aufmarsch die ganze Zeit begleitet hatten, auf die Leipziger Straße strömen konnten. Dort kam es dann zu kurzen Auseinandersetzungen zwischen jugendlichen DemonstrantInnen und
der Polizei. Wurfgeschosse flogen, kleinere Straßensperren
wurden erbaut, Wasserwerfer eingesetzt. Die Polizei hatte
die Situation schnell wieder im Griff.
Währenddessen hatten sich an der „Neuen Wache“ in
N
N
N
N
mit Beiträgen von:
Gerd Wiegel, Stefan Bollinger,
Marc Czichy, Jörg Kronauer,
Martin Büsser, Rolf Surmann
u.a.
Antifaschistisches Infoblatt
Gneisenaustr. 2a | 10961 Berlin
E-Mail: [email protected]
Einzelexemplar 3.10 EUR
19
Date: 3. Oktober 2004
Location: Leipzig-Connewitz
Theme: Neonazi-Anführer Worch aus Hamburg zum
„Tag der deutschen Einheit“
Numbers: ca. 150 Neonazis, ca. 1.500 Gegendemonstrant_innen
i...
Das rechte Häuflein kam keinen Schritt vorwärts und stand
viele Stunden lang auf der Stelle, wobei es ständig von Hunderten Linken belagert, verhöhnt und auch beworfen wurde
– vorwiegend mit Obst und Gemüse. Auf der vorgesehenen
Route der Neonazis durch den als linksalternativ geltenden
Leipziger Stadtbezirk Connewitz wurden, vorwiegend aus
Mülltonnen, zahlreiche brennende Barrikaden errichtet. Einige verlaufene Grüppchen von Neonazis wurden verprügelt,
mit Wurfgeschossen verletzt oder durch die Stadt gejagt.
Die Polizei sprach später von einer „sehr unübersichtlichen“
Situation. Einige zu den Barrikaden vorrückende Einsatzfahrzeuge der Polizei wurden mit Steinen und Flaschen zur Umkehr gezwungen. Teilweise kam die Polizei gar nicht zu den
Barrikaden durch, an denen die Protestierenden dann ausruhten und feierten. Aufgrund dieser Schwierigkeiten schlug die
Polizei dem Worch dann eine Ausweichroute vor, doch dieser
zog es vor, seine paar Getreuen bis zum Abend bewerfen
und beschimpfen zu lassen, bevor sie unter Polizeischutz zur
Abfahrt eskortiert wurden – ständig angegriffen und beschallt
von den Antifas. Trotz zahlreichen von der Polizei Verletzten,
mehreren Festnahmen und einigen verbalen Auseinandersetzungen zwischen friedlichen und militanten NazigegnerInnen
wurde der 3. Oktober 2004 in der antifaschistischen Szene
als Sieg gefeiert.
Date: 30. Oktober 2004
Location: Potsdam (Innenstadt und Babelsberg)
Theme: Worchs Wanderzirkus gegen
„Medienhetze und linken Terror“
Numbers: ca. 300 Neonazis, ca. 3.000 Protestierende
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20 i i
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Die Route des Neonaziaufmarsches sollte vom
Hauptbahnhof durch die Potsdamer Innenstadt
führen. Dazu hätten die Rechten über die „Lange
Brücke“ gemusst. Dort erwarteten sie aber bis zu
1.000 ihrer GegnerInnen, darunter hunderte Militante.
Eine Antifakundgebung, die etwas weiter von der Brücke
entfernt angemeldet war, wurde hingegen kaum besucht.
Als die Neonazis im Kommen waren, errichteten die Leute
Straßensperren aus Bauzäunen. Die daraufhin mit Tränengas,
Wasserwerfern und Schlägen angreifende Polizei wurde mit
einem Stein- und Flaschenhagel empfangen, konnte aber den
Mob vertreiben. Der flüchtete in Richtung der geplanten Neonazi-Route, dabei ständig Straßengeländer, Baugerüstteile,
steinerne Blumentöpfe und brennende Mülltonnen auf der
Straße zurücklassend. Einige vereinzelte Polizeibeamte wurden verletzt, als sie dieser Menge begeneten. Nach ca. einer Stunde war das Ergebnis klar:
Die Polizei führte Worchs Mannen und Frauen statt
durch die Innenstadt durch den Randbezirk Babelsberg, weil sie Auseinandersetzungen mit Antifas
befürchtete. So wurde dieser Aufmarsch zwar nicht
„verhindert“, aber doch maßgeblich beeinträchtigt.
Das macht unterm Strich:
Die sonst „üblichen Verdächtigen“ blieben nicht allein, so
dass für die Polizei unübersichtliche Situationen entstanden.
- Jedes Mal war seitens der Gegendemonstranten Gewalt
im Spiel.
- Wichtig war oft das Timing: Dass nicht stundenlang vor dem
Loslaufen der Neonazis Blockaden versucht wurden, sondern dann, wenn es passte (rühmliche Ausnahme: 03.10.04
Leipzig).
- Es ist offensichtlich, dass Verhinderungen oder massive Störungen seltene Ausnahmen bei Neonaziaufmärschen darstellen, deren große Mehrzahl – kleine wie große
– weitgehend störungsfrei durchgeführt werden können.
- Immer trugen bestimmte (Fehl-) Entscheidungen
der Leitung des Neonaziaufmarsches beziehungsweise der Polizeiführung zum
Erfolg aus antifaschistischer Sicht bei.
- Alle hier betrachteten vier Neonaziaufmärsche
fanden in Großstädten und innerstädtischen Bereichen statt beziehungsweise sollten dort stattfinden. Es waren jeweils Tausende Menschen
unterwegs, um sich dem entgegenzustellen.
- Immer demonstrierten nicht nur Friedliche, sondern
auch Unfriedliche, und es gingen auch Leute auf die Straße,
die das vorher noch gar nicht oder nur selten getan hatten.
N A Z I K N E I P E N
I N
FRIEDRICHSHAIN
VON
JUGENDANTIFA
FRIEDRICHSHAIN,
JAF
Green Bar (Wismarplatz)
Seit Anfang 2004 gibt es die „Green Bar“. Von außen zunächst
ganz nett anzuschauen, musste sich mensch schon kurz nach
Eröffnung öfters mit einem Publikum rumärgern, welches
definitiv rechts eingestellt ist und dies auch, danach gefragt,
kundtat. Am Nachmittag des 8. Mai letzten Jahres pöbelten
Neonazis, die vor der Kneipe saßen, eine Gruppe augenscheinlich „Nicht-Deutscher“ rassistisch an. Eine Polizeistreife, die
zufällig vorbeikam, verhinderte einen tätlichen Angriff der Neonazis. Auch nach diesem Vorfall berichteten Anwohner des
Wismarplatzes von weiteren Beispielen, bei denen Gäste der
„Green Bar“ Passanten scheinbar grundlos verbal angriffen
und bedrohten. Ob nun alternative Jugendliche, Punks oder
MigrantInnen - jeder, der nicht ins Weltbild der rechten Kleingeister vor der „Green Bar“ passt, wird hier angegriffen und
muss Spalier laufen, immer in Sorge, dass bei Einigen der dort
Sitzenden der Aggressionsgrad erreicht ist, der verbale in tätliche Angriffe umschlagen lässt.
Jessner Eck (Jessner Str.)
Das „Jessner Eck“ bildete schon häufig Ausgangspunkt für
rassistische Pöbeleien und Angriffe. Im September 2003
wurde ein Punk vor der Kneipe von vier Neonazis, die aus
einem Army Jeep stiegen, verprügelt und schwer verletzt.
Weiterhin kam es hier oft zu verbalen Attacken auf alternativ
aussehende Jugendliche, welche den nahgelegenen „Supamolli“ besuchten und am „Jessner Eck“ vorbeikamen. Bei
mehreren Gelegenheiten, bei denen der Wirt die Chance erhielt, sich gegen Rechts positionieren zu können, hat er sich
immer dagegen entschieden und beispielsweise Bemerkungen wie „hier sind wir alle irgendwie rechtsrum“ abgelassen.
Kietz Kneipe (Neue Bahnhofstr.)
In der „Kietz-Kneipe“ ereignete sich in der Nacht vom 5. bis
zum 6. Juni 2004 ein Übergriff auf eine junge Frau, die vom
Stammpublikum des Lokals als „Zecke“ eingestuft wurde. Sie
musste sich zunächst blöde Sprüche gefallen lassen, wurde
später in der Kneipe physisch angegriffen und flüchtete vor
den Tätern auf die Straße. Die Nazis verfolgten sie in einen
Hausflur, wo sie sie unter ständigen Bedrohungen und Einschüchterungen zwanzig Minuten lang festhielten. Der einzige
Grund, warum die Nazis es bei den Einschüchterungen beließen und nicht tätlich wurden, war der, so die Nazis, dass sie
keine deutschen Frauen schlagen würden, auch wenn es sich
um Zecken handle. Eine Person, die der Frau helfen wollte,
wurde von anderen Nazis, die draußen auf der Straße warteten, gejagt, bis die Polizei eintraf und lediglich die Personalien
der Täter aufnahm. Auf den Vorfall angesprochen, bekannte
sich der Wirt der Kietz Kneipe offen zu seiner rechten Einstellung und behauptete, er spreche für die rechtsextreme Szene
und habe schon oft Linke von öffentlichen Straßen vertrieben.
Von dieser Großkotzigkeit ist aber nicht mehr viel zu spüren.
Seit dem Übergriff herrscht in der „Kietz Kneipe“ gähnende
Leere.
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die Neue Bahnhofstraße gejagt wurden und einer von ihnen
verletzt am Boden liegen blieb, flüchteten einige der Angreifer
vor der eintreffenden Polizei ins „Blub 2“.
Auch wenn das lange her ist, muss doch festgestellt werden,
dass der Besitzer der Kneipe am rechten Publikum verdient
und zumindest toleriert, dass es hier einen Stammtisch gibt,
wo sich auch Nazis treffen, mit anderen Rechtseingestellten in
Kontakt kommen, sich austauschen und Neulinge rekrutieren
können.
Frankies Relaxbar (Pettenkoferstr.)
Hier überfielen am 7. Juli 2003 vier Neonazis vier junge Vietnamesen mit Billardqueues und verletzten einen von ihnen
schwer. Die anderen Opfer wollten keine Angaben bei der
eintreffenden Polizei machen, da sie Angst vor den Behörden
hatten und Repressionen von staatlicher Seite fürchteten. Die
Täter wurden alle in der Bar festgenommen, aus der auch
die Queues stammten. Der Haupttäter Olaf Scholz, der zum
Stammpublikum gehörte, war schon mehrfach wegen rechtsextremer Gewalttaten aufgefallen. So hatte er 1998 Steine auf
eine Jugendantifa-Demo geworfen, die gegen das „Cafe Germania“ gerichtet war.
BFC - Fanclubkneipe (Scheffelstr.)
Die BFC- Kneipe liegt eigentlich schon in Lichtenberg, aber sie
soll der Vollständigkeit halber hier auch aufgezählt werden. Das
so genannte „Berliner Fußballcafe“ wird von André Sommer
betrieben, der u. a. auch der Chef des Klamottenladens „Kategorie C“ und Mitglied der „Hells Angels“ ist. Nazikader wie
Oliver Schweigert gehen im BFC Cafe ein und aus. Bei einer
Razzia im Oktober 2003 wurde im integrierten Tattoostudio
eine Tätowiervorlage in Form eines Hakenkreuzes gefunden.
Anlässlich einer Feier zum „Tag der Germanen“ (03. Oktober
2003) versammelten sich ca. 80 Personen im Berliner Fußballcafe. Anwesend waren nicht nur Fußballfans, Hooligans
und deren Familien, sondern auch ein ganzer Haufen stadtbekannter Neonazis. In der ungezwungenen Kneipenatmosphäre
findet scheinbar ein reger Austausch zwischen Vertretern der
rechten Subkultur und organisierten Neonazis statt. Bei einer
Razzia im November 2004 in der „Happy Station“ zogen sich
einige der kontrollierten Hammerskins und Neonazis hierhin
zurück.
Happy Station (Petersburger Str. / Strassmannstr.)
Hier treffen sich bekannte NPD-Kader und Nazis, die sich nicht
scheuen, ihre Ideologie - z. B. durch das Tragen von Kleidung
mit KKK-Aufdrucken (KuKlux-Klan),in der Szene beliebten nordischen Mythensymbolik und anderen dezidiert rechten Symbolen und Aufschriften - nach außen zu tragen. Am 06.11.2004
fand das Jahrestreffen der „Hammerskins“ in der „Happy
Station“ statt. Unter den Gästen waren auch Mitglieder der
Vandalen. Die Polizei löste die Party auf und überprüfte 97
Personen. Gegen drei von ihnen wurden danach Verfahren
wegen Tragens verfassungsfeindlicher Symbole eingeleitet.
[email protected]
Blub 2 (Oderstraße)
Durch naive Toleranz gegenüber rechtem Publikum ist die
Kneipe „Blub 2“ aufgefallen. Hier treffen sich schon mal
rechts eingestellte Hooligans und es wird Musik mit eindeutig
rechtsextremen Inhalten gespielt.
Als im Januar 2003 mehrere Jugendliche von Neonazis durch
.
21
Bfc - Cafe in Lichtenberg
veranstalten sogenannte pflichtschlagende Bünde „Mensuren“, indem sie sich durch Fechtkämpfe ihre Männlichkeit
beweisen. Schnittwunden und bleibende Narben sind dabei
Illustration dieses Rituals und keineswegs eine Schande.
Trotzdem könnte mensch diese Typen als durchgeknallte
Säufer und Waffenfetischisten abtun, wenn die einzelnen
Verbindungen nicht in Bünden zusammengeschlossen wären. Neben eher harmloseren Zusammenschlüssen – in
manchen werden, welch Wunder, auch Frauen zugelassen
– gibt es Vereinigungen, die ihre Nähe zum Rechtsextremismus kaum verheimlichen und lieber heute als morgen
ein „viertes Reich“ auferstehen lassen wollen. Zwar stellen
sie sich regelmäßig als Opfer des Nationalsozialismus da
– auch die Burschenschaften wurden 1933 „gleichgeschaltet“, die meisten gingen jedoch freiwillig in Naziorganisationen wie der „NS-Studentenschaft“ auf – an ihrer Tätigkeit
und Einstellung änderte dies jedoch nichts. So verbreiten
viele Burschis neben ihrem Elitarismus auch faschistische
Ideologiestücke, die regelmäßig in Sexismus, Antisemitismus, Rassismus und Geschichtsrevisionismus (z.B.: die
Deutschen waren doch gar nicht schuld am Zweiten Weltkrieg) münden.
ÜBER DIE GEFÄHRLICHKEIT
VON BURSCHENSCHAFTEN
V O M A N T I F A - R E F E R A T D E R
T E C H N I S C H E N U N I V E R S I T Ä T (TU) B E R L I N
Du erkennst sie nicht sofort, aber sie sind da. Sie studieren
mit dir und trotzdem kennst du sie nicht. Sie sind Burschenschafter in einer der mehr als 40 Verbindungen allein in Berlin. Selten treten sie offen auf, bieten vielmehr an Aushängen Quartiere in ihren Verbindungshäusern an. Dass dabei
aber nur männliche, deutsche Studierende gefragt sind,
ist Programm. Obwohl sich die meisten Burschenschaften
gegen jeden „politischen Extremismus“ wenden, ist vielen
Nationalismus und Rassismus gemein. Hinzu kommt stets
ein elitäres Weltbild, das die angehenden Akademiker an
der Spitze einer aufstrebenden deutschen Nation sieht.
Und tatsächlich finden sich erstaunlich viele „alte Herren“
(Burschis im Berufsleben) in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Diese sind keineswegs inaktiv, sondern unterstützen die Burschen mittels ihrer Machtpositionen. Dass eine
Verbindung einen „Lebensbund“ schließt, wird hier besonders deutlich. Der Alltag eines Burschis gestaltet sich
innerhalb einer klaren Hierarchie: „Füxe“, Mitglieder auf
Probe, stehen da natürlich ganz weit unten. Ein stetiger
Kampf um Anerkennung ist die Folge, der durch explizit
männliche „Tugenden“ ausgetragen wird. Eine ausgeprägte Trinkfestigkeit ist da unabdingbar, will der Burschi in der
„Gemeinschaft“ nicht untergehen. Neben den Saufgelagen
Harmlose Spinner also ? Keineswegs !
Den Burschis ins Bier spucken !
Wenn ihr Aktivitäten von Burschis beobachtet oder Fragen
habt, meldet euch per Email:
[email protected]
BIBELTREUE RECHTE
CHRISTLICHER FUNDAMENTALISMUS
V O N
D E R
H U M M E L - A N T I F A
Es gibt Dinge, von denen glaubt man
nicht, dass es sie wirklich gibt, bis man
sie selbst erlebt hat. Christlicher Fundamentalismus zum Beispiel. Doch
gerade Gruppen aus diesem Bereich
sind in den letzten Jahren in Berlin
einigermaßen offensiv und teilweise
erfolgreich. Was wollen sie?
Erst einmal an die Bibel glauben. Dass
die Bibel, so wie sie heute zu lesen ist,
genauso von Gott gewollt ist und dass
in ihr alle Anforderungen an die Menschen festgeschrieben seien ist der
Glaube, den alle diese Gruppen vertreten. Sie gehen von der Existenz eines
Gottes aus, der den Menschen Regeln
gegeben hätte. Würden sie diesen
Regeln folgen, dann werde Gott eine
paradiesähnliche Welt errichten. Dies
führt die Bibeltreuen zu einem rigidem
Moralismus: keine Drogen, kein Sex
vor der Ehe, kein anderer Glaube, als
der an Jesus, keine selbstbestimmte
Lebensweise, sondern strenge Regeln,
keine Homosexualität. All das findet
sich bei christlichen FundamentalistInnen vertreten, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung.
Und diese Regeln beziehen sie nicht
nur auf ihr Leben, sondern wollen sie
aktiv der gesamten Welt aufzwingen,
auch wenn sie diesen Zwang als Liebe
interpretieren.
Im Herbst 2004 waren es rund 20 30 000 solcher ChristInnen, die am
sogenannten Jesus-Tag durch die
Mitte Berlins zogen. Gruppen wie die
Jesus-Freaks, die Studenten für Christus, Students for mission und ähnliche
begrüßen in ihren Veranstaltungen regelmäßig 100 - 300 überzeugte Menschen. Ausserdem schaffen sie es,
sich weiter zu etablieren. Manche ziehen mit Bibelkreisen Leute an, andere
durch Seelsorgeaktionen. Zudem sind
sie auch in Berlin langsam ökonomisch
abgesichert. Neben eher aktionistischen Jugendlichen finden sich mehr
22
und mehr erfolgreiche Selbstständige
und Angestellte, die sich über ihre Finanzen nicht allzu große Sorgen machen müssen. Zum Beispiel kann sich
so die Jerusalem Gemeinde e.V. in
Berlin Mitte ohne Probleme drei Räume und ständige ReferentInnen aus
anderen Ländern leisten, einzig durch
Spenden.
Bibeltreue ChristInnen werden mehr
und immer aktiver. Sie arbeiten im
Glauben Gutes zu tun daran, die Gesellschaft an einer unterdrückenden
Moral auszurichten, die von Sexismus,
Homophobie, Nationalismus, Rassismus, Intoleranz und Ähnlichem gekennzeichnet ist. Es ist, neben allgemeiner Religionskritik, notwendig auf
diese Gruppen zu achten und gegen
sie vorzugehen. Sie missionieren, das
macht sie gefährlich.
antifaschistische Hochschulgruppe
der Humboldt - Universität zu Berlin
w w w. a r a d i c a l t h e o r y. d e . v u
w w w. h u m m e l - a n t i f a . d e . v u
NEONAZISTRUKTUREN IN
Das erste befreite Haus Berlins
MARZAHN-HELLERSDORF
VOM ANTIFA-BÜNDNIS MARZAHN/
HELLERSDORF
(ABM)
Rechtsextremismus als gesamtgesellschaftliches Problem
zu erkennen und wirkungsvolle Gegenstrategien zu entwickeln, bedarf einer langjährigen Analyse der Verhältnisse
und einer langjährigen Arbeit. Marzahn/Hellersdorf ist ein
Ort, welcher mit Rechtsextremismus und dessen Grundlagen Rassismus, Sexismus und Antisemitismus zu kämpfen
hat. Obwohl seit Jahren PDS-regiert, verzeichnet Marzahn/Hellersdorf gleichzeitig die höchsten Wahlergebnisse
rechtsextremer Parteien in ganz Berlin. Bedingt durch einen starken sozialräumlichen Unterschied ergeben sich daraus viele Probleme, welche sich in einer diskriminierenden
Grundstimmung gegenüber Menschen anderer Hautfarbe,
gegenüber Homosexuellen, alternativen Jugendlichen und
anderen Menschen äußern, die nicht in das eingeschränkte
Weltbild vieler BürgerInnen passen.
Zu diesem Alltagsrassismus kann mensch seit 2001 eine
zunehmende Entwicklung und Vernetzung von Rechtsextremen im Bezirk feststellen. Einerseits sind dies Kader der
NPD/JN mit ihrem Vorsitzenden Mathias Wichmann und Akteure der inzwischen verbotenen „Kameradschaft Tor“, der
„Kameradschaft Nord-Ost“ und der „Autonomen Kameradschaft Weißer Sturm“, welche in Marzahn/Hellersdorf wohnen und für Plakate, Aufkleber, Sprühereien und Veranstaltungen mit rechtsextremen Inhalten verantwortlich sind.
Andererseits sind dies Kneipen, Läden und Tattooshops,
welche teilweise von bekennenden Neonazis betrieben
werden und rechten Jugendlichen und Erwachsenen im
Bezirk Anlaufpunkte und Unterschlupf für ihre rassistischen
H S H. / L I C H T E N B E R G
ANTIFA
Marzahn/Hellersdorf mal anders Bunt, Laut & Antifaschistisch
www.kein-verstecken.de
Z U S TA N D S B E S C H R E I B U N G :
VON
Einstellungen und das daraus resultierende Handeln bieten.
Dies sind in Marzahn/Hellersdorf der „Grimmnir Tattoo“ in
Hönow, der Military-Store in Alt-Marzahn, der rechtsextreme Versand „Rizist“ in Mahlsdorf, der „Doorbreaker“ in
Helle Mitte und andere. Diese infrastrukturellen Punkte im
Bezirk, welche aktiv Neonazis unterstützen und an diesen
Geld verdienen, machen sich mitschuldig an den Auswirkungen wie Pöbeleien, Übergriffen und Morden von Neonazis
in der ganzen BRD. Nur durch ein gezieltes Vorgehen gegen
diese Einrichtungen und eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit für rechte Strukturen und Verhaltensweisen können
wir die menschenverachtenden Ideologien bekämpfen.
HOHEHSCHÖNHAUSEN
Mit dem Verbot der Lichtenberger Kameradschaft „KS Tor“
im Januar dieses Jahres ging eine rechtsextreme Erfolgsgeschichte im Bezirk zu Ende. Grund genug, einen kleinen
Rück- und Ausblick zu wagen.
Der Bezirk Lichtenberg ist
nicht erst seit der Öffnung
der Mauer ein Brennpunkt
rechtsextremer Organisierung. Hier wurden in den neunziger Jahren Flüchtlingsheime angegriffen, hier gründete sich
die erste rechtsextreme Partei der noch existierenden DDR.
Mit der Besetzung eines Hauses in der Weitlingstraße und
der Eröffnung des „Café Germania“ gingen von Lichtenberg
wichtige Impulse auf die rechtsextreme Szene aus, deren
Ergebnis heute ein weitgefächertes Netz an Läden, Cafés
und „Schulungszentren“ im gesamten Bundesgebiet sind.
Auch in Lichtenberg existieren mehrere solcher Geschäfte. Das Bekleidungsgeschäft „Kategorie C“ und die Erlebnisgaststätte „Germanenhof“ am Prerower Platz sowie das
„Berliner Fussball Café“ in der Scheffelstraße zielen dabei
bewusst auf die Grauzone aus Neonazis, Hooligans und Rockern als ihre Kundschaft.
Andere Geschäfte, wie der Bekleidungsladen „Ostzone“
in der Weitlingstraße sind dagegen primär auf Neonazis ausgegrichtet.
In der Autowerkstatt des ehemaligen Berliner NPD-Vorsitzenden Albrecht Reither in der Joseph Orlopp Straße,
die bis zu seinem Rücktritt der NPD als Veranstaltungs- und
Lagerraum diente, fand im letzten Jahr ein Schulungs- und
Musikabend statt, der sich explizit an „Freie Nationalisten“
richtete.
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23
Aus den zehlreichen neonazistischen Organisierungsversuchen jenseits der NPD innerhalb der letzten 15 Jahre
gingen neben kleineren Organisationen vor allem die „Kameradschaft Germania“ (inzwischen aufgelöst) und die
„Kameradschaft Tor“ (im März 2005 verboten) hervor. Die
„Kameradschaft Germania“, die personelle Überschneidungen mit den rechtsterroristischen „Nationalrevolutionären Zellen“ aufwies, fiel vor allem durch Flugblätter,
ihre Internetpräsenz und einen eigenen Aufmarsch durch
Lichtenberg auf.
Die „Kameradschaft Tor“ hingegen versuchte mit spektakulären Aktionen Öffentlichkeit zu erlangen. So wurden
symbolisch Häuser „besetzt“, Spontandemonstrationen
abgehalten (unter anderem eine durch das Brandenburger Tor) und linke Veranstaltungen (wie das Gedenken
zum 8.Mai 2004) gestört. Die Reaktion der „KS Tor“ auf
ihr Verbot ließ nicht lange auf sich warten: Aktivisten
der „KS Tor“ schlugen nach einem Aufmarsch in Dresden
mehrere linke Protestierer krankenhausreif; im Gästebuch der antifaschistischen Rechercheausstellung „Motiv
Rechts“ hieß es im Hinblick auf das Verbot: „Auf jeden
fall ist jetzt Schluss mit lustig und wir ziehen die letzten
Register. Terror heißt die Antwort!“.
Da aus diesen Kreisen eine Reihe Neonazikader wie
Oliver Schweigert, Lutz Giesen, Björn Wild und Daniel
Meinel hervorgegangen sind und darüber hinaus derzeit
mehrere kleinere Neonazi-Gruppierungen, wie die „Auto-
/ / Wechselte Öfter Mal Den Besitzer & Die Scheiben - Das Kategorie C / / / /
nome Kameradschaft Weißer Sturm“ die „KS Nord-Ost“
und die Berliner Sektion des „Märkischen Heimatschutzes“ an die Öffentlichkeit treten, wird auch in Zukunft
antifaschistischer Handlungsbedarf in Lichtenberg bestehen.
Nur eine starke antifaschistische Bewegung kann effektiv
und auf Dauer die weitere Ausbreitung von Neonazis im
Bezirk verhindern und zurückdrängen.
Z U S TA N D S B E S C H R E I B U N G :
P
A
N
K
O
W
VON EMANZIPATIVE & ANTIF A S C H I S T I S C H E G R U P P E [EAG]
Im Berliner Großbezirk Pankow, eigentlich bekannt als idyllisches Rückzugsgebiet für Familien, hat sich in den letzten
Jahren ein festes Netz aus rechter Infrastruktur und neonazistischen Organisationen herausgebildet.
Personell prägend für Pankow sind dabei der Pankower
Kreisverband der NPD „Berlin8“, geführt von dem „nationalen Barden“ Jörg Hähnel, die „Vereinten Nationalisten
Nordost“ (VNNO) sowie die Aktivisten aus dem Spektrum
der Anti-Antifa.
Während die NPD Pankow legalistisch mit Kundgebungen,
Infoständen und Saalveranstaltungen versucht, Mitglieder
zu werben (inzwischen ist selbst der ehemalige „Landser“-Sänger Michael Regener beigetreten), setzen die
kameradschaftlich organisierten Neonazis um VNNO und
Anti-Antifa auf teils öffentlichkeitswirksame Straßenaktionen. Neben einer regen Teilnahme an Neonaziaufmärschen
und massiven Aufkleberwellen (da wird schon mal gegen
antifaschistische Gruppen und linke Jugendklubs gehetzt)
wird auch nicht davor zurückgeschreckt, Gewalt gegen Andersdenkende einzusetzen. So wurden zwei Jugendliche
zusammengeschlagen, als sie VNNO-Aufkleber abkratzten,
eine Straßenbahn, in der sich ein als links identifizierter Jugendlicher befand, wurde mit einem Stein beworfen und
eine Kioskmitarbeiterin polnischer Herkunft wurde zuerst
beschimpft und dann körperlich angegangen.
Weiterhin existieren im Bezirk mehrere Geschäfte und
Kneipen, die bewusst um rechte Kundschaft werben oder
diese wohlwollend dulden. Der Naziladen „Andycap“ (Inhaber: Normen Weißleder – Standort: Dietzgenstraße 94) in
Niederschönhausen verkauft seit mehreren Jahren rechte
CDs und Kleidungsstücke.Dem Laden ist ein kleiner Versandhandel angeschlossen. Seit gut einem halbem Jahr
steht dieser in Konkurrenz mit einem rund 300 m entfernten weiterem Naziladen. Dieser heißt „Firestarter“
(Inhaber: J. Heil) und verkauft neben Kleidung für Rocker
und Hooligans auch bei Neonazis beliebte Kleidermarken
(u.a. Thor Steinar, H8wear).
An der Wand des ca. 12 m2 großen Ladens kann mensch
neben Bildern mit Motiven aus der germanischen Mythologie
auch Plakate der „Lunikoff-Verschwörung“ (Das Soloprojekt
des „Landser“-Sängers Michael Regener) betrachten.
24
Ähnlich ausgerichtet ist auch der Laden „Nordic Thunder“
(Standort: Gustav-Adolf-Straße/Langhansstr.), der sowohl
Neonazi- als auch Rocker-Kundschaft hat. Der Besitzer
dieses Ladens ist dem Umfeld der Neonazi-Rocker-Combo „Vandalen“ zuzuordnen. Der Laden „Harakiri“ (Inhaber:
Henry Harms – Standort: Bornholmer Str. 93) hingegen
hat sich klar auf Neonazis ausgerichtet. Hier wird Kleidung
verkauft, die vornehmlich von rechten Jugendlichen getragen wird. Daneben gibt es CDs, Aufnäher und Buttons mit
rechten Slogans.
Die Zentrale der rechtsextremen Partei „Republikaner“,
die in der Vergangenheit für Treffen und Seminare genutzt
wurde, musste wegen finanzieller Nöte in eine Wohnung
in der Berliner Straße 8 umziehen.
/ / / / Der Pankower Bär / / / / / / /
Zu den Kneipen mit rechter Klientel gehören unter anderem die „Schwarze Brücke“ in der Eingangshalle des SBahnhofs „Pankow-Heinersdorf“. Die Bedienung dieser
Kneipe solidarisierte sich offen mit ihren rechten Gästen.
In der Kneipe „Pankower Bär“ (Standort: Waldstraße/Hermann-Hesse-Straße, hinterm Extra-Markt, Niederschönhausen) fand im Jahr 2003 eine von der Polizei aufgelöste
Jahres-Feier der neonazistischen „Hammerskins“ statt,
die von der Polizei aufgelöst wurde. Auch der Irish-Pub
„Green Island“ (Standort: Mühlenstraße 30) war in der
Vergangenheit regelmäßiger Treffpunkt von Neonazis.
Nachdem die BetreiberInnen mehrere Hausverbote an
diese erteilt hatte, überfielen drei Maskierte die Bar, zerstörten die Einrichtung und sprühten Hakenkreuze an die
Wände. Ebenfalls durch rechte Kundschaft aufgefallen
ist die Kneipe „Sparstrumpf“ in der Greifswalder Straße.
Der angrenzende „Ernst-Thälmann-Park“ ist regelmäßiger
Treffpunkt rechter Cliquen. Das im Park liegende Denkmal
Thälmanns wurde in der Vergangenheit öfter mit rechten
Parolen besprüht.
send infos to :
[email protected]
/ / / “Undergroundwear“ Laden In Pankow / / / / /
25
T E R M I N K A L E N D E R :
STATIONEN DER AUSSTELLUNG:
B
9. Mai - 27. Mai :: Dienstgebäude des Bezirksamtes Lichtenberg
(Große-Leege-Straße 103 - Tram M5, Bus 256)
30. Mai - 10. Juni :: KULTschule. (Sewanstraße 43 - Bus
194)
15. Juni - 6. Juli :: Anna-Seghers-Bibliothek
(Prerower Platz 2 - Tram M4,M5 - S-Bhf Hohenschönhausen)
E
R
L
I
N
TERMINE
SAMSTAG, 07.05., 22 UHR: KØPI: SOLIKONZERT FÜR
KULTURSCHOCK
„Sensa Yuma“ (GB) und „Les Saka Merdes“ (Frankreich)
SONNTAG, 08.05., 10 UHR: BERTHOLD-BRECHT-PLATZ
(NAHE U/S-BHF. FRIEDRICHSTR.): DEMO ZUM 8. MAI
„Kein Nazi-Aufmarsch in Berlin“. 8. Mai 1945/2005 - Demonstration am 60. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus in Berlin. Widerstand gegen NPD-Aufmarsch.
Mit der „bedingungslosen Kapitulation“ Nazi-Deutschlands
wurde am 8. Mai 1945 das dunkelste Kapitel der Menschheitsgeschichte beendet. Was mit dem Überfall auf Polen
begann und im Krieg gegen die Sowjetunion und den Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden ihren
Höhepunkt fand, endete für Europa in einem Trümmerfeld.
Von Finnland bis nach Afrika, vom Atlantik bis vor Moskau
und zum Kaspischen Meer hatten deutsche Truppen gewütet. Am 8. Mai 2005 ist in Berlin eine grosse Demonstration
geplant (auch um gegen einen geplanten NPD-Aufmarsch
zu protestieren). Es gilt am 8. Mai daran zu erinnern, wer
Schuld war an Krieg und Völkermord und zu zeigen, wer
für die Befreiung vom Faschismus die grössten Lasten zu
tragen hatte. Im „Großen Vaterländischen Krieg“ kämpften
Millionen Soldaten der Roten Armee gegen die Nazi-Wehrmacht. Auf einer Front von über 2000 Kilometern Länge
(von Murmansk im Norden bis zum Kaukasus im Süden)
musste sich die UdSSR ihren Angreifern erwehren. Zurück
blieben über zwanzig Millionen getötete Menschen aus der
Sowjetunion und tausende zerstörte Dörfer und Städte.
DIENSTAG, 07.06., 19:30 UHR: MEHRINGHOF: INFOVERANSTALTUNG
„Diktatur des Geldes und Konsumterror“. Geld beherrscht
die Welt- und das Individium. Das Leben im Kapitalismus
wird in das Korsett des Geldes gezwängt. Alles wird zur
Ware, Hauptsache es lässt sich verkaufen. Und dafür
müssen wir wiederum Geld verdienen. Die entfremdete Arbeitswelt bietet uns eine billige Kompensation. Der
Konsum des ganzen Schrotts, den wir oder andere hervorbringen. Wie kommen wir aus diesem Kreislauf heraus? Es
diskutieren: Umsonstladen-Kollektiv Berlin, Philipp Hersel
(attac).
Die Veranstaltung von anders arbeiten findet im Versammlungsraum statt.
DIENSTAG, 17.5., 14-18 UHR: WORKSHOPS ZUM 25-JÄHRIGEN BESTEHEN DES LADE KLUBS IN PANKOW.
Veranstaltet von SPuK und NOVO. Infos unter http://www.
kurtladeklub.de/ Macker, Zicken, Schlampen, Schwuchteln
- Kritik des alltäglichen Geschlechterkrampfes oder: How
to get Lust statt Frust?
TAG-X: WENN NBZ-ERÖFFNUNG - DANN DEMO
Am 6. Juni 2004 demonstrierten etwa 3000 Leute gegen
die NPD-Zentrale und den Abschiebeknast Grünau. Die
Bullen gingen mal wieder brutal gegen die Demo vor. Es
gab einige Festnahmen. Nachdem der Rohbau des NBZ
bereits im Herbst 2003 abgeschlossen wurde, wird die
NPD auch den Innenausbau inzwischen fertig haben. Eine
Bauabnahme steht kurz bevor. Die NPD hat die Eröffnung
ihres Schulungszentrum für das Frühjahr angekündigt. Ein
NPD-Sprecher hat unlängst erklärt, das „NBZ“ Ende Mai
2004 eröffnen zu wollen. Wenn die NPD ihr „Nationales
Bildungszentrum“ eröffnet, soll sie dies natürlich nicht
ganz ungestört tun. Der genaue Termin steht zwar noch
nicht ganz fest, aber die Vorbereitung der Gegenaktionen
läuft auf Hochtouren. Am Tag der Eröffnung wird eine antifaschistische Demonstration vom Bahnhof Köpenick (Treffpunkt 17.00 Uhr) zur NPD-Zentrale stattfinden. Infos unter
http://koepenick-kampagne.antifa.de
MITTWOCH, 18.5. 14-18 UHR: VERANSTALTUNG
Braune Flecken in der bunten Welt des Pop - Rechte Gedanken in Reggae, HipHop und DeutschRockPop - Mit
Grün-Gelb-Rot und Schwarz-Rot-Gold ins vierte Reich?
SONNTAG, 22.05., 15 UHR, ZWANGSARBEITERLAGER
SCHÖNEWEIDE: VERANSTALTUNG
„Zwangsarbeit in Berlin“ (Teil der Veranstaltungsreihe „8.
Mai - Tag der Befreiung“ von JungdemokratInnen/Junge
Linke). Bitte vorher anmelden: Tel. 030-24729747 oder
[email protected]. Mehr Infos unter www.jungdemokraten.de.
AUSSTELLUNG „MOTIV.RECHTS II - EINE DOKUMENTATION DER RECHTSEXTREMEN IN LICHTENBERG“
Dieses Jugendinfo wurde vom Asta der
Technischen Universität - TU
- Berlin gesponsert und von
jungen Antifaschist_Innen
erdacht & erstellt
FR., 10.06., 22 UHR: KØPI: SOLI-KONZERT BIESDORF
„Knattertones“ Ska/Skapunk (Berlin), „Obstructing The
Police (O.T.P.)“ Punk (Berlin) und „HDKS“ Punk (Weißensee/Berlin)
FREITAG, 17.06., 22 UHR: SOLIKONZERT
Køpi: Hip-Hop Soli für Migrantinnen
KÖPENICKER KONTROLLVERLUSTE (OHNE TERMIN)
Linkes selbstbestimmtes & unkommerzielles Festival /
Kostenlos & Draussen http://www.kontrollverluste.tk/
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Dieses Heft ist keine Veröffentlichung im Sinne des Pressegesetzes, sondern ein kostenlos verteilter Rundbrief der
Gruppe „Subversive Philosophie und Kommunismus in Pankow“ und der anderen AutorInnen an ihre FreundInnen und
SympathisantInnen Die einzelnen Beiträge geben nur die
Auffassungen ihrer AutorInnen wieder und spiegeln keine
Gruppenpositionen wieder.
([email protected])
Antifa :
Treptower Antifa Gruppe (TAG)
www.treptowerantifa.de
Antifaschistischer Aufstand Köpenick
www.aak.antifa.de
Antifa Friedrichshain www.antifa-fh.de.vu
Jugendantifa Friedrichshain [email protected]
Antifa Bündnis Marzahn-Hellersdorf
c/O Infoladen Wort und Tat
Wurzenerstr. 6-8 12623 Berlin
www.kein-verstecken.de
Antifa Hohenschönhausen
www.puk.de/antifah
Antifa Initiative Moabit
[email protected]
Emanzipative und Antifaschistische Gruppe (EAG)
[email protected]
Kritik & Praxis (KP Berlin):
www.kp-berlin.de
Linke Bande Spandau
www.linke-bande.tk
Antifa-Referat an der Technischen Universität Berlin
antifa-tu-berlin.tk
Join your local Antifa...
GRUPPEN UND ORGANISATIONEN AUS BERLIN UND UMGEBUNG
HUmmel-Antifa (antifaschistische Hochschulgruppe der Humboldt-Uni)
www.hummelantifa.de.vu
Eine Informationsseite gegen Heimat und Deutschland,
vor allem gegen Vertriebenenverbände und Revanchismus.
www.feindesland.tk
Infos zu der Nazis neuen Kleidern
www.stop-thorsteinar.de.vu
Seiten zum 8.Mai 2005
www.8mai.tk/www.eighthofmay.tk
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA)
– Infos zu Gedenkveranstaltungen,
Kontakte zu Zeitzeugen des NS
www.vvn-bda.de
Flüchtlinge / Antirassismus :
Refugees Emancipation - Projekt zur Stärkung &
Emanzipation von Flüchtlingen
www.re.trick.ca
Kein Mensch ist illegal - Netzwerk gegen Ausgrenzung,
Illegalisierung und Abschiebung von Flüchtlingen
und MigrantInnen
www.contrast.org/borders/kein
Initiative gegen das Chipkartensystem
www.chipkartenini.squat.net
Initiative gegen Abschiebehaft
[email protected]
Antidiskriminierungsbüro
www.adb-berlin.org
Staatlich Verordneter Antifaschismus :
Amadeu Antonio Stiftung, www.amadeu-antonio-stiftung.de
Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin
www.mbr-berlin.de
Reach out - Beratung und Vernetzung für von Diskriminierung,
Rassismus und Rechtsextremismus betroffene Menschen
www.reachoutberlin.de
Studi - Grupppen :
AStA FU Sozialreferat - Analysen und mehr
www.sozialreferat.com
Kritischer Umweltschutz - offizielles Blockseminar an der TU Berlin
www.krituschutz.de.vu
Denken statt Lernen - linksradikale Studigruppe in Berlin
www.denkenstattlernen.de.vu
Kritische Studierendengruppe an der TU Berlin
www.unikraut.de.vu
Seminar für angewandte Unsicherheit (SaU) Info und Veranstaltungen zu sozialer Kontrolle und Überwachung
www.sau.net.ms
Gegen Den Geschlechterkrampf :
Geschlecht Ist Konstruiert - eine Frauengruppe aus Berlin
www.gik-on.de.vu
A.G. Gender-Killer, Thema Geschlecht/Patriarchat
www.gender-killer.de
Mutvilla: LesBiSchwulQueer an der Humboldt-Universität
www.mutvilla.de
OstEnde e.V. - Schwul-lesbisches Jugendprojekt
in den Randbezirken
Allee der Kosmonauten 170 12685 Berlin
Tel: 030 54 700 572, [email protected]
Weitere Gruppen / Projekte :
Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus (BgAA)
www.bgaa.net
gelöbnix - Portal für den Protest gegen das immer wieder
stattfindende „öffentliche“ Gelöbnis der Bundeswehr am 20. Juli
www.geloebnix.info/
Kritik an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik
www.baks-sucks.tk
Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft
www.mitglied.lycos.de/fdkg2003/
desperados.berlin, [email protected]
Alkalij – Alternative Kultur für eine antifaschistische
Lichtenberger Jugend! (antifaschistisches Jugendbündnis)
www.alkalij.tk
naturfreundejugend berlin - Kampagnen, Seminare, Sommercamp
www.naturfreundejugend-berlin.de/
JungdemokratInnen/Junge Linke Brandenburg:
www.jdjl-brandenburg.de
www.graffiti-hates-germany.tk
SPuK in Pankow (Subversive Philosophie und Kommunismus)
[email protected]
MuT - SchülerInnennetzwerk für Menschlichkeit und Toleranz
Wulkower Straße 64 12683 Berlin
MRG - SchülerInnen Initiative gegen Rechtsextremismus
www.faschismusbekaempfen.de.vu
[email protected]
La Casa
Wurzenerstr. 6-8 12623 Berlin, www.la-casa.tk
Tanzen für die Revolution !
antifaschistisches soundkollektiv berlin
www.ansoko.de
GAME
OVER
KRAUTS
h t t p : / / w w w . e i g h t h o f m a y . t k

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