Die Tarifgeschichte der AWO

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Die Tarifgeschichte der AWO
Die Tarifgeschichte der AWO
6. Februar 1930: Erster Manteltarifvertrag „für die Arbeiter und Angestellten in
den Heimen und Unternehmungen der Arbeiterwohlfahrt“ (initiiert und
unterschrieben u.a. von Marie Juchacz, der Mitbegründerin der AWO):
9 Tägliche Arbeitszeit 8 Stunden
9 6-Tage-Woche (wöchentliche Arbeitszeit 48 Stunden)
9 Überstundenzeitzuschlag 50%
9 Feiertagszuschlag von 100% oder Freizeit
9 Anrechnung von Sachbezügen auf das Gehalt:
Wohnung, Heizung, Beleuchtung, Kost usw.
9 Fortzahlung des Gehaltes bei Krankheit:
3monatige Dienstzeit 6 Wochen, 1jährig 13 Wochen, 3jährig 26 Wochen
9 Erholungsurlaubsanspruch:
½jährige Dienstzeit 6 Tage, 2jährig 10 Tage, 5jährig 14 Tage,
8jährig 14 Tage, 10jährig 28 Tage
9 Bei Tod eines mindestens 1 Jahr Beschäftigten Hinterbliebenenversorgung
in Höhe des Gehaltes von 3 Monaten
9 Kündigungsfristen:
erste 4 Wochen keine, danach 4 Wochen zum Monatsende für Arbeiter und
6 Wochen zum Quartalsende für Angestellte
9 Wahl von Vertrauenspersonen in Betrieben, die nach dem Gesetz keinen
Betriebsrat wählen können
2. November 1954: Erster Manteltarifvertrag zwischen AWO und ÖTV
1973 – 1976: Tarifvertragsabschlüsse analog des BAT (öffentlicher Dienst)
1. November 1977: Der Bundesmanteltarifvertrag (BMT-AW II) tritt in Kraft.
Weiterhin Tarifvertragsabschlüsse analog des BAT (öffentlicher Dienst)
14. März 1986: Der Bundesvorstand der AWO will den Tarifabschluss im
Öffentlichen Dienst nur mit einer Laufzeit von 15 statt 12 Monaten übernehmen.
Dies hätte drei Nullmonate von Januar bis März 1987 (Verluste zwischen 150
und 500 DM) bedeutet.
26.4.1986: Um die gesamte Tarifpolitik und das Verhältnis der AWO zur ÖTV
zu überprüfen, beschließt der Bundesausschuss der AWO den BMT-AW II zum
30.9.1986 in Gänze zu kündigen. Begründung:
1. Die ambulanten sozialen Dienste seien in ihrer Existenz gefährdet.
2. Erhöhung der Pflegesätze in den stationären Einrichtungen mit der Folge,
dass Alte und Behinderte zu Taschengeldempfängern der Sozialhilfe gemacht
würden.
3. Die Wettbewerbsfähigkeit der Altenheime der AWO mit den privatgewerblichen werde weiter gemindert.
4. Die Folge sei die Ausgliederung von AWO-Betrieben aus dem Kernbereich
der AWO in GmbH’s oder andere Privatbetriebe.
5. Schwierigkeiten bei der wirtschaftlichen Konsolidierung von in ihrer Existenz
gefährdeten sozialen Dienste und Einrichtungen.
April 1987: Die AWO verlangt in den Tarifverhandlungen u.a.:
1. Die Haushaltshilfen in Hamburg, Bremen, Bremerhaven, Berlin und Lübeck
sowie die Arbeitnehmer aus Hotels, Gaststätten und Kureinrichtungen sollen aus
dem Geltungsbereich des BMT-AW II ausgenommen werden. Für die o.g.
Arbeitnehmer(innen) wurde ein Tarifvertrag vorgelegt, der Regelungen wie im
Bereich der privaten Hotels und Gaststätten enthielt.
2. Arbeitnehmer(innen), deren Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist, sollen im
entsprechenden Umfang eine geminderte Vergütung erhalten.
1. Juli 1987: Der BMT-AW II wird für mindestens drei Jahre wieder in Kraft
gesetzt. Es wird eine zeitlich befristete Öffnung für örtliche oder bezirkliche
Tarifregelungen für den o.g. Personenkreis festgelegt, um „drohende
Ausgliederungen oder die unentgeltliche Übernahme dieser Aufgaben durch
Ehrenamtliche“ zu verhindern.
März 1989: Die AWO will die Tarifvereinbarungen im öffentlichen Dienst, die
vor allem zu Verbesserungen in der stationären Altenpflege führen, erst drei
Monate später übernehmen.
25. März 1991: Abschluss des BMT-AW-O (östliche Bundesländer)
24. Juli 1991: Die AWO will die Vereinbarungen im ÖD zu den
Schichtdienstzulagen erst acht Monate später übernehmen und die geringfügig
Beschäftigten aus dem Geltungsbereich des BMT-AW II ausnehmen.
August 1994: Die AWO will aufgrund veränderter Förderungsbedingungen die
ABM-Kräfte aus dem Geltungsbereich des BMT-AW II ausnehmen. Außerdem
bietet sie Verhandlungen für den Abschluss eines neuen reformierten, an den
Besonderheiten eines Wohlfahrtsverbandes orientierten Tarifvertrages an.
29. Februar 1996: Die AWO nimmt Abstand von ihrer Absicht, einen völlig
neuen Manteltarifvertrag vereinbaren zu wollen.
31. August 1998: Die AWO fordert eine tarifliche Öffnungsklausel, die
einrichtungsbezogene und/oder länderspezifische Regelungen ermöglichen und
grundsätzlich alle tariflichen Regelungen einbeziehen soll.
12. September 1998: Die AWO-Landeskonferenz Berlin fordert einen neuen
Manteltarifvertrag mit folgenden Verschlechterungen:
– Absenkung des jetzigen Lohntarifs
– Verzicht auf Alterssteigerung
– Verzicht auf Zulagen
– Arbeitszeitflexibilisierung ohne Lohnausgleich
– Einführung der 6-Tage-Woche
– Öffnungsklauseln
Ähnliche Antrage gibt es auch aus den anderen ostdeutschen Landesverbänden.
17./18. März 1999: Die AWO lehnt die Übernahme des Tarifabschlusses im
Öffentlichen Dienst ab und fordert ÖTV zu einem niedrigeren Abschluss auf.
Die AWO will aufgrund veränderter Förderbedingungen die Beschäftigten in
ASS-Maßnahmen aus dem Geltungsbereich des BMT-AW II ausnehmen.
21. April 1999: Die AWO übernimmt den Abschluss im Öffentlichen Dienst
unter Vorbehalt nur für die westlichen Bundesländer. Für die östlichen Bundesländer will die AWO eine Nullrunde und Öffnungsklauseln.
30. April 1999: Die Ergebnisse des Öffentlichen Dienstes werden von der AWO
übernommen. Die Beschäftigen in den östlichen Bundesländern erhalten jedoch
keine Einmalzahlung.
8. Dezember 1999: Die Tarifvertragsparteien verständigen sich auf
Verhandlungen für einen neuen AWO-Tarifvertrag.
11. März 2000: Der Bundesausschuss der AWO beschließt, die Tarifverhandlungen für die alten und neuen Bundesländer ab sofort getrennt zu führen und
zwei eigenständige Tarifkommissionen zu bilden.
21./22. März 2000: Die ÖTV stoppt bis zur Rücknahme dieses Beschlusses die
Tarifgespräche über eine umfassende Reform des BMT-AW-II und über
Modellprojekte zur Arbeitszeitgestaltung.
Mai 2000: In einem „Positionspapier“ der Ost-Landesverbände und des
Landesverbandes Berlin fordert die AWO eine neue Entgeltstruktur mit
niedrigeren Tarifen, die später auch auf den Westen übertragen werden sollen.
Änderungen werden gefordert bei den
• Bewertungs- und Entgeltstufen
• der Lebensaltersstufenregelung
• dem Bewährungsaufstieg
• den Zulagen und Zuschlägen für Erschwernisse
• den Orts- und Sozialzuschlägen und
• den Arbeitszeitregelungen
Während die Löhne und Gehälter in den westlichen Bundesländern wie im
Öffentlichen Dienst vom 1.4. – 31.7.2000 um eine Einmalzahlung in Höhe von
100 DM monatlich, ab 1.8.2000 um 2 % und ab 1.9.2001 um weitere 2,4 %
erhöht werden sollen, werden für die östlichen Bundesländer lediglich
Erhöhungen zum 1.7.2000 und zum 1.7.2001 nur um jeweils 1% vorgeschlagen.
Die AWO setzt in den westlichen Bundesländern den Abschluss im Öffentlichen
Dienst unter Vorbehalt einseitig um.
November 2000: Erster Tarifvertrag zur Verhinderung einer Ausgliederung:
• Verzicht auf betriebsbedingte Änderungs- und Beendigungskündigungen
und einer Ausgliederung des Bereiches „Pflegen und Betreuen“ des AWOLandesverbandes Hamburg
• Verlängerung des Verbotes der Ausgliederung bei Erreichen eines
ausgeglichenen Jahresergebnisses bis 2003 um weitere zwei Jahre
• Verzicht auf Urlaubsgeld und prozentual gestaffelter Verzicht einiger
Beschäftigtengruppen auf Weihnachtsgeld in den Jahren 2000 - 2003 mit
dem Ziel, bis Ende 2003 Personalkosten in Höhe von 825.000 DM einzusparen
• Bei Erzielung entsprechender Überschüsse in den Jahren 2003 – 2006
Nachzahlung der einbehaltenen Beträge
• Sicherung wirtschaftlicher Mitbestimmung durch die Bildung eines
paritätisch besetzten „Ausschusses für wirtschaftliche Fragen“
Juni/Juli 2001: Die östlichen Landesverbände kündigen die Tarifverträge.
24. Juli 2001: Spitzengespräch in Bonn zwischen dem ver.di-Vorsitzenden
Frank Bsirske, dem AWO-Bundesvorsitzenden Manfred Ragati und dem
Vorsitzenden der AWO-Tarifkommission Wolfgang Altenbernd. Sie
verständigen sich auf eine Reform des BMT-AW II und –AW/O und auf
gemeinsame Tarifverhandlungen für Ost- und Westdeutschland.
15./16. Oktober 2001: Das Tarifergebnis des Öffentlichen Dienstes wird für die
westlichen Bundesländer in Kraft gesetzt. Für die östlichen Bundesländer kann
keine Regelung getroffen werden, da die Landesverbände dem AWO-Bundesverband die Vollmacht entzogen haben, für „den Osten“ zu handeln bzw. zu
verhandeln und die von den östlichen Landesverbänden gebildete Tarifkommission Ost aufgelöst wurde.
30. Oktober 2001: Sechs östlichen Bezirks-, Regional- bzw. Landesverbänden
der AWO reichen Klage beim Arbeitsgericht Stuttgart ein, um feststellen zu
lassen, dass sie nicht an die von ihrem Bundesverband mit ver.di
abgeschlossenen Tarifverträge gebunden sind und hilfsweise, dass die
Tarifverträge aufgrund ihrer Kündigungen enden bzw. geendet haben. Die Klage
wird an das AG Berlin verwiesen.
6./7. November 2001: Auf der Grundlage eines ver.di-Entwurfs werden die
Verhandlungen für einen Reformtarifvertrag fortgesetzt, der bundesweite
Geltung erlangen soll. Außerdem will die AWO einen Arbeitgeberverband
gründen, um auch ihren GmbH’s die Einbindung in den reformierten AWOBundestarifvertrag zu ermöglichen. Der Bundesausschuss der AWO will dies
durch eine Änderung des Statuts sicherstellen.
24. Mai 2002: Die Klage der sechs östlichen Landesverbände wird vom AG
Berlin mit folgenden Begründungen abgewiesen:
1. Die Tarifverträge sind verbindlich, weil sie mit der Vollmacht der Kläger
abgeschlossen wurden.
2. Die Kläger sind nicht alleine kündigungsbefugt, weil es sich beim BMT-AW
II und –AW/O zwar um einen mehrgliedrigen aber auch um einen einheitlichen
Tarifvertrag handelt.
3. Der Bundesausschuss der AWO war durch die Satzung und das
Grundsatzprogramm für die Verhandlung und den Abschluss der Tarifverträge
zuständig.
4. Der Abschluss der Tarifverträge durch den Bundesverband erfolgte mit
Einverständnis der Kläger, da diese ihre Mitgliedschaft im AWOBundesverband aufrecht gehalten und keine Erklärung abgegeben haben, die
Tarifverträge selbst abschließen zu wollen. Aufgrund der Satzungsregelungen
erfolgt die Erteilung der Vollmacht durch die Mitglieder des Bundesverbandes.
5. Daher ist die Frage nicht klärungsbedürftig, ob nach der Satzung der
Bundesverband möglicherweise nicht das unmittelbare Recht besitzt,
Tarifverträge für die Kläger abzuschließen.
6. Aber selbst wenn der Bundesverband als vollmachtloser Vertreter die
Tarifverträge abgeschlossen haben sollte, so liegt jedenfalls eine
stillschweigende Genehmigung durch die Kläger vor. Sie haben jahrelang die
Tarifverträge umgesetzt.
7. Die Tariffähigkeit oder –zuständigkeit des AWO-Bundesverbandes ist nicht
Gegenstand des Verfahrens gewesen. Dies wäre in einem anderen Verfahren zu
klären. Auf das Ergebnis eines solchen Verfahren musste jedoch nicht gewartet
werden, weil die Wirksamkeit der Tarifverträge oder ihr Geltungsbereich nicht
von der Tariffähigkeit bzw. –zuständigkeit des Bundesverbandes abhängt.
30. Juni 2004: Das Bundesarbeitsgericht stellt die Gültigkeit der Tarifverträge
für die AWO-Landesverbände Ost fest und erklärt die Kündigung der Tarifverträge für nichtig.
September 2002: Der außerordentliche Bundeskongress der AWO beschließt in
Aachen bei knapper 2/3 Mehrheit folgende Änderung des Statuts (Eine Satzung
gilt immer nur für die jeweilige Ebene.):
„Dies umfasst vor dem Hintergrund des politischen Selbstverständnisses der
AWO auch die einheitliche Regelung der tariflichen Rahmenbedingungen der
ArbeitnehmerInnen der Gliederungen der Arbeiterwohlfahrt. Dieses Recht kann
auch auf Dritte, namentlich auf Vereinigungen zur Förderung der Wirtschaftsund Arbeitsbedingungen übertragen werden.“
Dezember 2003 (kurz vor Heiligabend): Die AWO kündigt den BMT-AW II.
Versuche für die Fortsetzung der Verhandlungen auf der Bundesebene scheitern.
Beschäftigte stellen Anträge auf Bezahlung der Weihnachtszuwendung von
100%.
31. März 2004: Die Kündigung wird wirksam. Der BMT-AW II wirkt für alle
schon Beschäftigten nach. Für alle neueinzustellenden Beschäftigten werden
neue Arbeitsverträge mit Absenkungen zwischen 15 und 25% abgeschlossen.
Die Betriebsräte widersprechen den Einstellungen oder Eingruppierungen, da
sowohl die veränderte Eingruppierungspraxis als auch Teile der Arbeitsverträge
rechtswidrig ohne die Mitbestimmung der Betriebsräte neu eingeführt wurden.
03./04. September 2004: In NRW werden Tarifverhandlungen aufgenommen.
27. September 2004: Überraschende Einigung in NRW auf einen Übergangsstatt Reformtarifvertrag.
Oktober 2004: Die AWO will den Tarifabschluss in NRW für die Bundesebene
mit geringfügigen Änderungen übernehmen. Betriebsbedingte Kündigungen
sollen nicht wie in NRW ausgeschlossen werden.
22. Dezember 2004
Im AWO-Bezirk Dortmund kommt es zur Einigung über einen
Übergangstarifvertrag für die gesamte Bundesebene, der im Januar rechtsgültig
abgeschlossen wird.