Analyse des Kinderromans „Appetit auf
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Analyse des Kinderromans „Appetit auf
Ausarbeitung Semester: Wintersemester 05/06 Seminar: Zeitgenössische Kinder- und Jugendliteratur und neuere Literaturtheorien Dozentin: Dr. phil. Jana Mikota, M.A. Analyse des Kinderromans „Appetit auf Blutorangen“ von Guido Kasmann unter Berücksichtigung neuerer Literaturtheorien Eva Kampf Buchenborn 3 57290 Neunkirchen Matrikelnr.: 675846 Lehramt GHR - G, 5. Fachsemester Abgabe am 9.05.2006 1 Gliederung 1. Einleitung/ kurze Buchvorstellung S. 3 2. Formalitäten S. 3 2.1 Gattungseinschätzung/ Autorentyp S. 3 2.2 Erzähler, Erzählweisen, Erzählfunktion S. 4 2.3 Werte-Analyse (nach Carsten Gansel) S. 5 3. Figurenanalyse „Kathi“ und daraus resultierende Figurenkonzeption (nach Carsten Gansel) S. 8 4. Empfehlung für die Grundschule S. 13 5. Quellenverzeichnis S. 14 2 1. Einleitung/ kurze Buchvorstellung Der Kinderroman „Appetit auf Blutorangen“ von Guido Kasmann ist 2003 im Buch Verlag Kempen (BVK) erschienen. In neun Kapiteln (116 Seiten) erzählt Guido Kasmann einen Ausschnitt aus dem Leben der Grundschülerin Kathi, die sich mit dem Gespenst Gregor anfreundet und mit ihm zusammen so manche Alltagsprobleme löst. Der Leser bekommt einen detaillierten Einblick in die Gedankenwelt von Kathi, die meistens mit ihrem personalen Umfeld zu tun haben, seien es ihre Eltern, ihr Onkel Bernd und dessen Freundin Mona oder auch Thorsten aus ihrer Klasse. Das Gespenst Gregor spielt hier eine gesonderte Rolle, auf die ich später genauer eingehen werde. 2. Formalitäten 2.1 Gattungseinschätzung/ Autorentyp Guido Kasmann betitelt sein Werk selber mit „Ein Kinderroman“. Somit stehen die Adressaten fest. Eine weitere Gattungseinschätzung fällt nicht ganz leicht, da der Roman problemorientiert, phantastisch und abenteuerlich zugleich ist, außerdem einige Illustrationen enthält und man ihn durchaus auch unter „Mädchenliteratur“ einordnen kann. Ein „Mädchenbuch“ ist dieser Roman insofern, dass die Hauptfigur zunächst ein gewöhnliches Mädchen ist, nämlich die Grundschülerin Kathi. Kathi ist in einem Alter, in dem sie sich relativ konkrete Gedanken zu den Personen ihres Umfeldes macht, zu den Personen, mit denen sie täglich zu tun hat. Durch diese Beziehungsthematik werden Gleichaltrige „gelockt“ diesen Roman zu lesen. Also Mädchen und Jungen, die vielleicht ähnliche Probleme und Gedanken wie Kathi haben (problemorientiert) und die sich mit dem Gedanken, ein Gespenst kennen zu lernen, anfreunden können (phantastisch/ abenteuerlich). Ich denke, der Roman ist also nicht nur etwas für Mädchen, auch wenn Mädchen öfter zur Lektüre greifen als Jungen. Zwar kann sich ein Mädchen vielleicht besser mit Kathi identifizieren, dennoch haben Jungen sicherlich ähnliche Alltagssorgen und gehören somit ebenfalls zur Zielgruppe. Schließlich ist es „Ein Kinderroman“ und kein „Mädchenroman“. Auch für erwachsene Leser kann der Roman interessant werden, zum Beispiel für Eltern, die die Gefühle und Gedanken ihrer Kinder besser verstehen wollen oder auch für Lehrer und Lehrerinnen, die Tag für Tag Kontakt zu Schülern wie Kathi, Torsten und Co. haben. Auf das 3 Thema „Beziehungen von Kindern“ wird in der heutigen Zeit vielleicht zu wenig Rücksicht genommen. Doch dieser Roman beinhaltet durch die Beziehungsthematik sehr viel Realitätsnähe und regt zum Nach- und Weiterdenken an, wodurch man ihn zu guter Letzt auch als zeitgeschichtlichen Roman einstufen könnte. Es gibt eine Reihe von Autorentypen. Da Guido Kasmann noch recht unbekannt ist, sollte man ihn natürlich nicht sofort in eine Schublade stecken. Doch dieser Kinderroman hat eindeutige Tendenzen: Guido Kasmann wirkt hier als kinderliterarischer Erzieher und auch als kritischer Kindheitsdichter. Durch die realitätsnahe Darstellung aktueller Situationen von Kindern, die wohl auf Beobachtungen heutiger Beziehungsmuster beruhen, schafft es der Autor gekonnt zu vermitteln, in welchen Beziehungsmustern Kinder der heutigen Zeit stecken oder stecken können, welche Probleme dadurch entstehen und inwiefern man es als junger Mensch schaffen kann, bestimmte Probleme zu meistern. Eine gesonderte, wie ich finde didaktisch sehr wertvolle Rolle spielt hier das Gespenst Gregor, das zweifelsohne als „Beziehungskatalysator“ fungiert, indem es Kathis Gedanken auf die Sprünge hilft, Tipps gibt und einfach da ist, wenn es Kathi schlecht geht. Der Roman erkundet die Wirklichkeit und ist kindlichen Gedanken sehr nah. Die Hauptfigur Kathi lernt mit Gregors Hilfe, wie man mit Menschen, denen man aus verschiedenen Gründen im Alltag begegnet, umgehen kann und lernt ein Stück weit, ihr eigenes Dasein zu reflektieren. Jungen Lesern, die gerade die kindliche Phase der „Ich-Bezogenheit“ hinter sich lassen, kann dieser Roman also als erzieherische Hilfe oder Anleitung, als Belehrung oder Unterweisung dienen – all dies geschieht hier unterbewusst. 2.2 Erzähler, Erzählweisen, Erzählfunktion Der gesamte Roman ist in Er-Erzählform geschrieben. Das Verhalten des Erzählers zum Erzählten ist hier personal. Der Erzähler überblickt die Gesamtsituation und weiß zusätzlich, was Kathi denkt und fühlt (S. 29: „Als Kathi am Morgen aufwachte, waren ihre ersten Gedanken: „Heute ist keine Schule und wir machen einen Ausflug!“). Der Erzähler wählt Kathis Blickwinkel, er sieht die Welt mit ihren Augen (S. 11: „Oh Gott, Mona, dieser wandelnde Farbkasten.“). Der Erzähler berichtet sehr detailliert von allen Ereignissen, die um Kathi herum oder mit Kathi passieren. Man denkt, er stehe direkt neben ihr, um sie und ihr Umfeld zu beobachten. Obwohl die Geschichte in der Vergangenheitsform geschrieben ist, wird man auch als Leser in die Story miteinbezogen und sieht alles klar vor dem innerlichen Auge. Es gibt also durch die 4 Vergangenheitsform einen zeitlichen Abstand des Erzählers zum Geschehen, dennoch ist der Erzähler so nah am Geschehen, dass man fast den Eindruck gewinnt, er sei allwissend (was er ja nur bruchstückhaft ist). Somit ist auch die Erzählperspektive nicht leicht einzuschätzen: die meisten Figuren des Romans werden vom Erzähler durch die Außenansicht wahrgenommen, indem Mimik, Gestik und bestimmte Verhaltensweisen sehr genau beschrieben werden (S. 93 „Markus stand die Panik im Gesicht. (…) Markus ging langsam rückwärts, mit offenem Mund und großen Augen, stolperte über seinen Tornister, packte ihn und rannte dann los.“). Wie schon erwähnt, kennt der Erzähler aber Kathis Gedanken und Gefühle; er betrachtet die Protagonistin also von Innen (Innenansicht, S. 11: „Kathi wusste, das war ein mieser Trick. Wenn er absagen musste, würde er eine bereits fertig angezogene Kathi schwer enttäuschen müssen.“) Der Erzähler nimmt eine bejahende Erzählhaltung ein, wenn es um Kathis Gedanken geht; er steht ‚auf ihrer Seite’. Durch Kathis Augen beurteilt er andere Figuren und das Geschehen (z.B. S. 76. „Sie bekam meistens gute Noten. Aber sie wusste, wie schrecklich solche Situationen für einige Kinder in der Klasse waren. Sie hätte Thorsten auch gern geholfen.“). 2.3 Werte-Analyse (nach Carsten Gansel) Formale Werte Der Roman ist erst 2003 erschienen. Er ist in einer einfachen, modernen und durchweg stimmigen Sprache geschrieben, die für Kinder verständlich ist. So verwendet der Autor eindeutige Wörter wie „schissig“ (S.12), „saublöd“ (S.71), „ey“ (S.71), „happy“ (S.37) „bekloppt“ (S.38) und „versaust“ (S.56), aber auch Wörter und Ausdrücke, die das heutige Gewaltpotential von Kindern und Jugendlichen realistisch verdeutlichen, wie „halt doch dein Maul“ (S.73), „aus dir mach ich Gehacktes“ (S.81), „scheiß‘“ (S.85), „Schnauze“ (S.89), „blöder, kleiner Penner“ (S.89) und „Fresse poliere(n)“ (S.89). Durch diese Alltagssprache, die sich vor allem in Kathis Gedanken und in der wörtlichen Rede widerspiegelt, und die als ‚normal‘ dargestellte Gewaltsprache, die sich in der wörtlichen Rede in Kapitel 7 hervorhebt, wird eine Nähe zur Realität geschaffen, welche dazu beiträgt, den Roman recht schnell zu lesen. Auch durch die Spannung, wie es wohl mit Kathi und ihrem neuen Freund weitergeht, ist man zusätzlich angespornt, sich in den Roman zu vertiefen. Der Roman hat einen offenen Einstieg und ein mehr oder weniger offenes Ende. So wird der Leser sofort in das Geschehen miteinbezogen und kann sich später ausmalen, wie die Geschichte weitergehen könnte – ein zweiter Teil wäre hier durchaus denkbar. 5 Die einzelnen Kapitel sind in sich abgeschlossen. So hat jedes Kapitel für sich wieder einen recht offenen Einstieg. Es bietet sich also an, kapitelweise zu lesen. Vor allem bei Kapitel 1 und Kapitel 2 scheint der Zusammenhang zunächst unklar, jedoch erahnbar. Der Roman zeichnet sich durch den ständigen Wechsel von Offen- und Geschlossenheit aus. Inhaltliche Werte Inhaltliche Werte, wie Wahrheit und Erkenntnis, Moralität oder Gerechtigkeit und Humanität betreffen den allgemeinen Inhalt eines Werkes. Der Roman spiegelt das wahre Leben, also die Wahrheit wieder, indem er den Alltag einer Grundschülerin sehr detailliert unter die Lupe nimmt. Wahre Gefühle werden vermittelt; Erkenntnisprozesse werden gut beschrieben. Die Geschichte weist verschiedene moralische Ansätze auf, die aber nicht direkt, sondern eher indirekt und unterbewusst vermittelt werden: Eltern müssen sich für ihre Kinder interessieren (S. 38: „Kathi, wann kommst du endlich?“, hörte sie ihren Vater von unten rufen. „Gleich kommt Mama zurück und dann wollen wir doch unseren Ausflug machen. Du musst noch frühstücken!“’), sie sollten konsequent erziehen (S. 39: „Kathi, ich werde langsam sauer!“, kam es aus der Küche.’) und sich verschiedene Aufgaben teilen (z.B. Kapitel 3 und 4: Vater macht Frühstück und scherzt mit Tochter, Mutter kauft ein und versorgt ihre Familie). Ich möchte an dieser Stelle nicht alle moralischen Ansätze des Romans aufzeigen, sondern auf die Vielfältigkeit hinweisen. Eltern kümmern sich um ihre Kinder, Freunde helfen Freunden (S. 103: „Das Gefühl gute Freunde zu haben.“), Gewalt kann man gemeinsam überlisten, man sollte Respekt vor Menschen haben, die man nicht leiden kann – um nur ein paar moralische Ansätze zu nennen. Diese moralischen Ansätze haben natürlich auch immer etwas mit Gerechtigkeit oder humanem Verhalten zu tun: was ist falsch, was ist richtig, was darf man zu einer erwachsenen Person sagen und was besser nicht – der Roman kann wichtige Erkenntnisprozesse für gerechtes Handeln bei seinen Lesern hervorrufen. Relationale Werte „Appetit auf Blutorangen“ zählt zur zeitgenössischen Kinder- und Jugendliteratur und weist neuere Schreibstile auf, wie zum Beispiel Offenheit, Umgangs-/ Jugendsprache etc. Außerdem spielen offensichtlich didaktische Absichten eine größere Rolle. Ich denke nicht, dass der Roman im Vergleich zu anderen Kinder- und Jugendbüchern von „der Norm“ abweicht. Wie schon erwähnt halte ich den Roman für innovativ, weil er unterschiedlichste Beziehungsmuster gekonnt 6 miteinander verknüpft und einen „Beziehungskatalysator“ benutzt, um Beziehungen zu „entschärfen“. Damit ist aber keineswegs ausgesagt, dass andere Werke dies nicht tun oder in der Vergangenheit getan haben. Das vorliegende Buch hat aber den Vorteil von einem Didaktiker (Grundschullehrer und Fachleiter) geschrieben worden zu sein, der „seine Schüler“ kennt und nicht über etwas ihm Fremdes schreibt. Der Roman spielt in der realen Welt und ist wie schon erwähnt sehr wirklichkeitsnah. Gregor, das Gespenst, ist eine phantastische Figur, die in dieser Welt lebt. Trotzdem wirkt die Geschichte authentisch – vielleicht auch, weil es für Kinder „nichts Besonderes“ wäre, wenn es Gespenster gäbe. Wirkungsbezogene Werte Diese Werte betreffen die anvisierten oder erreichten Wirkungen eines Textes. Um diese zu benennen, müsste man ja genaugenommen den Autor befragen – wer weiß schon genau, welche Wirkungen er beabsichtigt hat? Ich gehe stark davon aus, dass Guido Kasmann mit diesem Roman beabsichtigt, dass Kinder im Grundschulalter sein Buch lesen und somit vor allem individuell und kognitiv bereichert werden. Diese Wertevermittlung kann dann im optimalen Fall zur praktischen Anwendung führen – die Kinder hätten also etwas gelernt. Wie jede Geschichte kann „Appetit auf Blutorangen“ auch Gefühle beim Leser auslösen, wie Betroffenheit, Spannung oder Lachen (hedonistische Werte) oder Affekte wie Mitleid auslösen (emotionale Werte), welche wiederum den Erkenntnisprozess unterstützen. Denn wenn mir eine Geschichte gefällt und ich oft lachen muss oder eine Figur in der Geschichte bemitleide, dann denke ich länger darüber nach und ziehe meine Schlüsse. Letztendlich kann mein Handeln einen gesellschaftlichen Wert haben: ich empfehle das Buch weiter, wodurch es einen ökonomischen Wert oder Prestigewert erhält. All diese wirkungsbezogenen Werte sind schwer voneinander zu trennen; vielmehr stellen sie ein Wirkungsgefüge dar. Um dies genauer zu untersuchen, müsste man Autor und Leser befragen. Ich kann nur für mich sprechen: „Appetit auf Blutorangen“ hat in mir viel vor allem Lachen ausgelöst und ich habe das Buch von vornherein mit den Augen einer zukünftigen Lehrerin gelesen, die das Werk auf Unterrichtstauglichkeit prüft – und habe es für „gut“ empfunden. 7 3. Figurenanalyse „Kathi“ und daraus resultierende Figurenkonzeption (nach Carsten Gansel) Kathi, die Hauptfigur des Romans, lernen wir in Kapitel 2 kennen, indem sie das Kapitel mit einer Frage an die Mutter einleitet. Sofort wird deutlich, dass Kathi ein aufgeschlossenes, lebendiges Mädchen ist, denn sie „hüpft ins Wohnzimmer“ (S.10) und krault den Kater Siegfried nur „flüchtig“ (S.10) auf dem Kopf. Wenn Kathi sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, dann will sie ihren Willen auch durchsetzen. Kathi ‚nervt‘ ihre Eltern mit der Kirmes, auf die sie unbedingt will. Sie hat Erwartungen an ihre Eltern, in diesem Fall die, dass die Eltern mit ihr auf die Kirmes gehen. Doch Kathi weiß auch, „wann Argumente bei ihren Eltern nichts mehr nutzen“ (S.10) und sie weiß noch besser, was sie in einem solchen Fall zu tun hat: sie wendet sich an Bernd, ihren Lieblingsonkel (S.11), zu dem sie ein enges Verhältnis hat, welches auch dadurch gekennzeichnet ist, dass sie ihn „Bernd“ und nicht „Onkel Bernd“ nennt. Kathi findet Bernd mit seinen fast dreißig Jahren „schon ziemlich alt“ (S.10). Über Bernd und seinen Tagesablauf weiß Kathi sehr genau Bescheid, zum Beispiel, dass er freitags früher Schluss hat (S.11). Wenn Kathi Langeweile hat, ruft sie Bernd an, seine Nummer kann sie mittlerweile auswendig (S.11). Kathi weiß, wie sie ihren Onkel rumkriegt, etwas mit ihr zu unternehmen, denn durch den Einsatz von „miese(n) Tricks“ (S.11) scheint sie das öfter zu schaffen. Spätestens auf Seite 12 wird deutlich, dass Kathi Bernds Freundin Mona nicht leiden kann, hier sind Gedanken wie „Oh Gott, Mona, dieser wandelnde Farbkasten“(S.11) oder „Vielleicht konnte Bernd nicht mit Mona telefonieren, weil sie ihre Ohren jetzt auch schon mit Creme und Farbe eingeschmierte und die noch nicht trocken waren.“ (S.12) unmissverständlich. Durch solche und ähnliche Gedanken und Kommentare zu Mona kann man davon ausgehen, dass Eifersucht zwischen Kathi und Mona eine große Rolle spielt. Kathi ist sehr ungeduldig, wenn es darum geht, etwas mit Bernd zu unternehmen („Nun fahr schon! Quassel nicht so lange! Fahr endlich los!“, S.13). Kathi ist also ein ganz normales Mädchen, vermutlich geht sie in die 3. oder 4. Klasse. Was Kathi vor dieser Geschichte gemacht hat, ist weniger bekannt. Sie agiert innerhalb ihrer Familie, in der Schule und innerhalb ihres Freundeskreises. Über Kathis Aussehen wird nichts beschrieben, aber auf den Illustrationen ist Kathi schlank, hat halblanges rotbraunes Haar und viele Sommersprossen – ich würde sie, auch aufgrund ihres Verhaltens, in die Kategorie 8 „freche Pippi Langstrumpf“ stecken: nicht zurückhaltend, aufgedreht, spontan, schlau und hilfsbereit. Im Figurenensemble nimmt Kathi die wichtigste Rolle ein. Sie ist die Hauptfigur, die Beziehungen zu ihren Mitmenschen aufbaut. Sie wird von Gregor auserwählt (S. 38: „Mir war klar, jetzt musste ich handeln. Ich bin also hinterhergeschwebt und habe mich unter deiner Jacke versteckt.“) und darf ihn kennen und lieben lernen. Im Umgang mit ihren Eltern, ihrem Onkel und ihren Freunden weist Kathi verschiedene Verhaltensmuster auf: Ihre Eltern kann sie gut einschätzen und weiß, wie weit sie gehen kann. Unschwer zu erkennen ist, dass sie mit ihrem Vater auf einer Wellenlänge ist – sie haben den gleichen Humor und ergänzen sich prima (S. 41, Frühstückssituation). Sie hört auf ihren Vater, wie auch auf ihre Mutter, zu der sie aber ein distanzierteres Verhältnis hat, da ihre Mutter vielleicht manchmal „zu sehr Mutter“ ist (S. 45: „Komm, ich schieb sie dir in den Mund“, sagte Mama, „sonst hast du gleich klebrige Finger.“). Eine wichtige Rolle spielt Bernd, ihr Onkel. Mit Bernd unternimmt Kathi viele abenteuerliche Sachen – er ist für jeden Spaß zu haben. Kathi liebt ihren Onkel über alles – wenn er nicht immer eine Freundin hätte, im Moment gerade Mona. Das Thema Eifersucht und die verschiedenen Arten, jemanden zu lieben, kommen in dieser Beziehung sehr stark zum Ausdruck (Kapitel 5). Kathis beste Freundin aus der Schule heißt Tina. Obwohl Tina nicht oft erwähnt wird, wird schnell klar, dass Kathi ein fürsorgliches Verhältnis zu ihr hat: Tina ist schwächer in der Schule und insgesamt eher schüchtern. Kathi hilft ihr, wenn es brenzlig wird (S. 80: „Von der Seite konnte Kathi sehen, dass sie Tränen in den Augen hatte; (...) Tina war ihre Freundin und sie wollte ihr unbedingt helfen.“) und kümmert sich um sie. Dann gibt es noch Thorsten, in den Kathi verliebt ist. Dass sie überhaupt verliebt ist, wird aber erst im Laufe der Geschichte deutlich (S. 67: „Würde das schöne Gefühl bleiben oder würde es wieder weggehen? Kathi war verwirrt.“). Kathi denkt oft an ihn und seine zweifelhaften Freunde. Eine reale Freundschaft wird erst durch Gregor wahr, der die beiden zusammenführt (S. 53: „Suchst du was?“ Kathi hatte gar nichts gesagt, sondern Gregor mit ihrer Stimme.‘). Die Beziehung zu dem Gespenst spielt eine gesonderte Rolle. Kathi und Gregor bauen von Beginn ihrer Bekanntschaft eine gute Freundschaft auf. Sie scherzen, reden über ernste Gefühle und geben sich Ratschläge. Kommt Kathi in eine Situation, die sie alleine nicht lösen kann oder in der sie zu schüchtern ist, um sich so zu verhalten, dass sie etwas erreicht, springt Gregor ein und „übernimmt“. Manchmal ist Kathi sauer auf Gregor, weil er sie in unangenehme Situationen bringt; letztendlich mögen sie sich aber sehr. Gregor führt Kathi und Thorsten zusammen und auch Thorsten lernt Gregor kennen. 9 In ihrer sozialen Umwelt wird Kathi als Subjekt selbstständig tätig, indem sie Beziehungen zu ihren Mitmenschen teilweise unbewusst (Mutter, Vater, Bernd, Oma), teilweise bewusst (Thorsten, Tina, Gregor) gestaltet und pflegt. Kathi ist nicht zurückhaltend und vertritt konsequent ihre Meinungen. Sie trickst ihr Umfeld aus – manchmal durchdacht (S. 11: „Kathi wusste, das war ein mieser Trick.“), manchmal weniger durchdacht (S. 83: „Oh nein, ein blöder Einfall! Jetzt wollte er Tinas Blatt haben! Was sollte sie tun? Panik! Sie konnte nicht denken.“). Kathi hat einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, den sie mit Taten und Gedanken unter Beweis stellt (S.76: „Er tat Kathi Leid. Sie fand es sowieso schrecklich, wenn eine Arbeit geschrieben wurde.“). Ihre Handlungsmotive basieren meist auf diesem Gerechtigkeitssinn oder darauf, dass sie Vorteile für sich herausschlagen will – vor allem wenn es um Bernd geht. Diese persönlichen Wünsche stehen aber im Verhältnis zu den gesellschaftlichen Möglichkeiten eher auf einem geringen Level. Wenn Kathi Schwierigkeiten bekommt, mit ihrem Umfeld umzugehen, schaltet sich Gregor an einer passenden Stelle ein. Was Kathi sich vornimmt, das zieht sie auch durch. Sie macht keine halben Sachen (Kapitel 6, Mathearbeit). Kathi geht gern zur Schule; über schulische Leistungen macht sie sich keine Sorgen (S. 76: „Kathi fiel das Lernen in der Schule nicht so schwer. Sie bekam meistens gute Noten.“). Zu ihrem Lehrer Herrn Sennefeld hat sie ein gutes Verhältnis, auch wenn dieser sie manchmal ermahnt, wenn sie ihren Freunden bei den Matheaufgaben hilft (S. 78). Ihr Umfeld reagiert positiv auf ihr Auftreten. Ihr Onkel Bernd liebt ihre Art, weil sie ihm ähnlich ist (S. 59: „Und so was sagte Bernd nie und Bernd probierte auch alles aus. Egal, ob es gefährlich war oder nicht.“). Ihre Freundin Tina weiß, dass sie auf sie zählen kann (S.84: „ Ey, du warst eine Wucht Kathi! Vielen Dank!“). Thorsten ist verlegen, wie er sie mag (S. 53: „Hallo“, nuschelte Thorsten.‘). Ihr Vater mag ihre Scherze, weil er ihren Humor teilt. Ihre Klassenkameraden sind von Kathi überrascht, sie steht unfreiwillig im Mittelpunkt (S. 81: „Alle Kinder starrten Kathi an.“), sie fühlt sich nicht wohl, wenn die Klasse sie beobachtet (S. 78: „Augenblicklich wurde Kathi rot. Einige in der Klasse lachten.“). Insgesamt kommt Kathi aber gut mit ihrer Klasse aus, sie steht nicht im Abseits, aber auch nicht (immer) im Mittelpunkt. Was Kathi für Hobbys hat, erfahren wir nicht. In ihrer Freizeit ist sie unternehmungslustig: mit Bernd geht sie auf die Kirmes, mit ihren Eltern in den Zoo. Kathi wächst in einer „sozial gut gestellten“ Familie mit Vater und Mutter auf. Ihre Eltern kümmern sich liebevoll und fürsorglich um ihr Einzelkind. Ihr Lebensstil hat eher wohlhabenden Charakter, sie muss sich um nichts sorgen. Kathi ist gerne draußen. Sie macht gerne Ausflüge oder trifft sich mit ihren Freunden. Sie mag Tiere, denn sie geht in den Zoo 10 und hat einen Kater, der in ihrem Bett schlafen darf und dessen Gewohnheiten sie gut kennt (S. 28: „Wenn Siegfried noch nicht mal in ihrem Bett schlafen wollte, stimmte wirklich etwas nicht mit ihr. Oder mit Siegfried?“). Kathi wirkt naturverbunden – Fernseher oder Computer spielen in diesem Roman keine Rolle. Unnatürlich geschminkten Frauen steht Kathi skeptisch gegenüber (S. 11: „Oh Gott, Mona, dieser wandelnde Farbkasten.“). Über Kathis Verhältnis zu sich selbst ist es nicht einfach eine Aussage zu treffen. Kathi ist in einem Alter, indem man gerade anfängt, sich Gedanken über sich selbst zu machen. Kathi „will immer alles ganz genau wissen“ (S. 35). Kathi ist von sich überzeugt und versucht auch andere von sich zu überzeugen, vor allem ihren Onkel Bernd (S.63: „Mit mir könntest du alle verrückten Sachen machen und ich fände es auch noch toll.“) – dabei ist sie sehr ehrlich. Sie findet, dass sie ein großes Mädchen ist, auf das man hören kann (S.68). In einsamen Momenten, bzw. dann, wenn sie mit Gregor alleine ist, kommen ihr Zweifel (S. 69: „Ich habe keine Ahnung, was Verliebtsein ist. Ich will es auch gar nicht mehr wissen. Mir ist sowieso alles zu kompliziert heute. Ich will meine Ruhe! Ich will alleine sein! Oder nach Afrika! Ich weiß es nicht! Ich glaube, ich drehe durch!“). Viele Textstellen, in denen Kathis Gedanken verfolgt werden, belegen, dass Kathi sich in einem Prozess befindet, in dem sie vieles über sich selbst und ihre Umwelt herausfinden will. Sie ist sich noch unsicher. Was ist Verliebtsein? Warum ist Thorsten so komisch? Was findet Bernd an Mona und warum sind Eltern manchmal so anstrengend? Kathi beginnt innerhalb dieses Romans, die Welt zu begreifen – mit Gregors Hilfe. Figurenkonzeption Kathi ist eine offen konzipierte Figur, die sich im Laufe der Geschichte verändert, indem sie sich über einige ihrer Gefühle klarer wird. Sie ist – im Hinblick auf ihre Charaktereigenschaften – mehrdimensional: forsch und selbstbewusst, dann wieder zurückhaltender und defensiv; witzig und spontan, aber auch mal ganz nachdenklich; gerecht, aber manchmal auch egoistisch. Kathi west - wie wohl jeder Mensch im wirklichen Leben auch - eine Reihe von mehr oder weniger ausgeprägten Facetten auf, die sich im Zuge der Charakterbildung erst noch „herauskristallisieren“ müssen. Aufgrund der Mehrdimensionalität würde ich Kathi als Individuum sehen. Sie ist so detailliert und realistisch beschrieben, dass der „Typ Grundschulkind“ hier nicht ausreicht. Kathi ist aus dem Leben gegriffen, man könnte meinen, es gibt sie wirklich – sie hat ein Profil und bleibt psychologisch in einem plausiblen Rahmen. 11 4. Empfehlung für die Grundschule Mir hat das Buch sehr gut gefallen und ich halte es für didaktisch sehr wertvoll. Hier werden die verschiedensten Beziehungsprobleme von Kindern im Grundschulalter vertieft – auf einer sehr realitätsnahen Ebene. Verliebtsein, Sexualität, gute Freunde haben, Zusammenhalt unter Freunden, Probleme lösen, Elternkonflikte, Eifersucht, Schulangst – all diese Themen werden gekonnt aufgegriffen. Das Gespenst Gregor übernimmt die Rolle des „Beziehungskatalysators“, das heißt, es hilft Kathi, die Beziehungen zu anderen Personen zu reflektieren und zu bewerten – ein innovative Lösung des Autors, (die nebenbei bemerkt unter einem anderen Gesichtspunkt gar nicht so neu ist: denn wer hat als Kind nicht an lebendige Kuscheltiere oder imaginäre Freunde „geglaubt“, die einem immer als gute Freunde mit Rat und Tat zur Seite standen.) Als Lektüre für die 3. oder 4. Klasse halte ich diesen Kinderroman daher für sehr geeignet. Die Schriftgröße ist für Kinder geeignet, die Illustrationen machen die Geschichte anschaulich und die einzelnen Kapitel eignen sich gut für den Unterricht: man kann die Thematik der einzelnen Kapitel aufgreifen und Kapitel zusammenfassen oder zusammen lesen. Kreative Aufgaben, wie z.B. „Schreibt das Telefonat zwischen Bernd und Mona auf!“ oder die spezielle Frage „Gibt es Gespenster eigentlich?“, bieten sich an; eventuell sogar ein BurgBesuch. Die Schüler einer Klasse können sich vielleicht mit Kathis Schulklasse identifizieren. Vielleicht gibt es eine „verliebte Kathi“, eine „ängstliche Tina“ oder einen „Anführer Markus“, denen dieser Roman eine Hilfe sein kann, eigene Fehler oder Probleme einzugestehen und zu bewältigen. Vielleicht gibt es auch Kinder, denen der Alltag von Kathi völlig fremd ist, z.B. wenn sie viele Geschwister haben oder wenn ihre Eltern weniger liebevoll als Kathis Eltern sind und wenig Zeit für sie haben. Probleme können in der Klasse besprochen werden und die Kinder lernen sich selber, aber auch untereinander besser kennen, was wiederum den Klassenzusammenhalt stärkt. Auch sprachliche Mittel können anhand dieses Romans verdeutlicht werden, zum Beispiel der offene Einstieg in eine Geschichte oder den Gebrauch der wörtlichen Rede. Kurz gesagt gibt es viele Punke, die dafür sprechen, das Buch in der Grundschule zu lesen. Außerdem plädiere ich dafür, nicht nur die „alten Schinken“ in der Schule zu lesen, sondern für neue Autoren offen zu sein, die innovative „Schülerromane“ schreiben. 12 5. Quellenverzeichnis „Appetit auf Blutorangen“, Guido Kasmann, Ein Kinderroman; erschienen 2003 im BVK (Buch Verlag Kempen), ISBN 3-936577-56-0 Folien des Seminars „Zeitgenössische Kinder- und Jugendliteratur und neue Literaturtheorien“; Quelle für Schaubilder: „Moderne Kinder- und Jugendliteratur. Ein Praxisbuch für den Unterricht.“, Carsten Gansel, Berlin 1999 13