Mehr Bildung für die Jüngsten
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Mehr Bildung für die Jüngsten
Erziehung und Wissenschaft 9/2007 rd e Fö ch ts g un hl za Be re sse Be h le W er c Ho u sch ät zu ng Q ua lif izi Pr of er es un g sio ru na lit ng ät Zeitschrift der Bildungsgewerkschaft GEW eA u e N u be f ga n Mehr Bildung für die Jüngsten GASTKOMMENTAR Schlüsselfrage des 21. Jahrhunderts Foto: dpa Bildung für alle, von Anfang an und ein Leben später nie mehr. Hier erwerben sie soziale lang: Das ist die überragende Maxime, von Fähigkeiten und Daseinskompetenzen, die der das Leben junger Menschen und die Zusie für ein gelingendes Leben brauchen. Der kunft des Landes abhängt. Es hat lange Zugang zur Erwerbsarbeit geht über Bildung gedauert, bis sich dieser Konsens, beflügelt und der Zugang zu Bildung läuft über frühauch durch PISA, in der Gesellschaft Bahn ge- kindliche Förderung. brochen hat. Wer Bildung als die SchlüsselMan soll Einrichtungen nicht überfordern, frage des 21. Jahrhunderts erkennt, darf gewiss, aber wahr ist auch: In der frühen freilich nicht auf halbem Wege stecken bleiKindheit werden die Weichen für das soziale ben. Rolle und Beruf der Erzieherinnen und Schicksal von Menschen und für die Zukunft Erzieher sind vielmehr neu zu definieren und des Landes gestellt. Wer mit offenen Augen aufzuwerten: in Ausbildung und Anerkendurchs Land fährt, kann vielerorts beobachnung, was Bezahlung und ten, wie sich Kitas in den verberufliche Perspektive begangenen Jahrzehnten veräntrifft. dert haben: von AufbewahrEs ist nicht nur ein sozialer anstalten für Notfälle über EinSkandal, sondern auch eine richtungen für die Betreuung ökonomische Dummheit, hin zu Stätten des spieleridie Bildungspotenziale eischen Lernens, in denen sich nes Landes so wenig auszuKinder wohl fühlen und gute schöpfen: Fast nirgendwo in Bedingungen des Aufwachsens Europa bestimmt die soziavorfinden. Der Elementarbele Herkunft eines jungen reich hat eine wachsende und Menschen so sehr seine eigenständige, nicht nur eine persönliche Zukunft wie in abgeleitete Bedeutung: weil Deutschland. Bildung für Eltern berufstätig sind oder alle ist ein Gebot der Geweil Familien für die Erziehung rechtigkeit. Die Weichen ausfallen. Warnfried Dettling, werden früh gestellt, lange Es müsste sich heute von selbst freier Autor und Politikvor Schulbeginn. Was in die- berater in Berlin verstehen, dass die neuen ser Zeit versäumt wird, kann pädagogischen Aufgaben und später kaum noch aufgeholt werden. Bildung Herausforderungen auch einen neuen Status von Anfang an ist notwendig, um sozial und der Akteure verlangen: eine akademische kulturell unterschiedliche Startvoraussetzun- Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher gen auszugleichen und chancenlose Biograwie in den meisten Ländern Europas, eine gefien gar nicht erst beginnen zu lassen. Wir ersellschaftliche Aufwertung sowie eine besseleben gegenwärtig einen Paradigmenwechsel re Bezahlung. Nicht zuletzt Karriere-Perspekin der Familienpolitik und in diesem Zusamtiven für alle, die in diesem Beruf arbeiten. menhang eine Aufwertung frühkindlicher BilWarum soll die Leiterin einer Einrichtung dung. Das ist gut so. Bildung von Anfang an nicht wie selbstverständlich auch Leiterin eiaber hat ihr eigenes Recht, und das meint ner kommunalen Behörde werden können? mehr als den Ersatz für FaWarum soll – nach einer Phase „Bildung von Anfang milien. Kindertagesstätten der Weiterbildung – nicht eine an ist die überragende werden zu zentralen Instituneue Karriere in Lehre, Hochtionen gesellschaftlicher schule und anderen BildungsMaxime“ Entwicklung. Auf den Eleberufen möglich sein? mentarbereich kommen neue Ansprüche und Es hat sich zwar viel getan, doch bleibt noch Anforderungen zu. Hier entscheidet sich, ob viel zu tun. Das gesamte Feld der frühkindund inwieweit Benachteiligungen durch das lichen Bildung wird erst dann wirklich an Elternhaus kompensiert werden oder nicht; Attraktivität gewinnen, wenn Kindheit und ob und inwieweit die Bildungspotenziale eiJugend, Bildung und Ausbildung nicht länger nes Landes ausgeschöpft werden oder nicht; unter Konsum und Kosten, sondern unter ob und inwieweit Menschen lernen, mit FremInvestitionen für die Zukunft verbucht und den, mit Vielfalt, mit kultureller und religiöser Reformen dort verwirklicht werden, wo die Pluralität umzugehen oder nicht. Hier lernen Schlüssel zur Zukunft verborgen liegen. junge Menschen so spielerisch und leicht wie Warnfried Dettling 2 Erziehung und Wissenschaft 9/2007 ie s m ä Pr onat es M 23 d Seite Prämie des Monats Werben Sie jetzt ein neues GEWMitglied. Dafür gibt’s die SeptemberPrämie: die Kulturtasche aus roter LKW-Plane. Mehr auf Seite 23 Impressum Erziehung und Wissenschaft Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung · 59. Jg. Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im Deutschen Gewerkschaftsbund. Vorsitzender: Ulrich Thöne. Redaktion: Ulf Rödde (verantwortlich), Helga Haas-Rietschel. Redaktionsassistenz: Renate Körner. Postanschrift der Redaktion: Reifenberger Straße 21, 60489 Frankfurt a. M., Telefon (0 69) 7 89 73-0, Telefax (0 69) 7 89 73-202. Internet: www.gew.de Redaktionsschluss ist der 10. eines jeden Monats. Erziehung und Wissenschaft erscheint elfmal jährlich, jeweils am 5. des Monats mit Ausnahme der Sommerferien. Gestaltung: Werbeagentur Zimmermann, Heddernheimer Landstraße 144, 60439 Frankfurt Druck: apm AG, Kleyerstraße 3, 64295 Darmstadt. Für die Mitglieder ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Für Nichtmitglieder beträgt der Bezugspreis jährlich Euro 7,20 zuzüglich Euro 11,30 Zustellgebühr inkl. MwSt. Für die Mitglieder der Landesverbände Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saar, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen werden die jeweiligen Landeszeitungen der E&W beigelegt. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Rezensionsexemplare wird keine Verantwortung übernommen. Die mit dem Namen des Verfassers gekennzeichneten Beiträge stellen nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers dar. Verlag mit Anzeigenabteilung: Stamm Verlag GmbH, Goldammerweg 16, 45134 Essen; Verantw. f. Anzeigen: Mathias Müller, Tel. (02 01) 8 43 00-0,Telefax (02 01) 47 25 90, [email protected]; www.stamm.de; zz. gültige Anzeigenpreisliste Nr. 36 vom 1. 1. 2007; Anzeigenschluss am 5. des Vormonats. E&W wird auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. ISSN 0342-0671 Unermüdlicher Reformer: Der herausragende Erziehungswissenschaftler und Pädagoge Wolfgang Klafki ist am 1. September 80 Jahre alt geworden. Sein Kollege, der Bielefelder Wissenschaftler Klaus-Jürgen Tillmann, würdigt ihn als jemanden, der „mehr als 40 Jahre die Theoriediskussion in Didaktik und Bildungstheorie entscheidend bestimmt hat“. Seite 25 Gastkommentar Seite 2 Bildungspolitik in Bremen Auf einen Blick Seite 4 Arbeitspolitik Seite 31 Gute Schule braucht gesunde Lehrkräfte Frühkindliche Bildung Seite 6 Seite 10 Seite 11 Seite 12 Seite 14 Seite 16 Seite 17 Seite 18 Tarif- und Beamtenpolitik 1. Mehr Lohn für Beschäftigte 2. TVöD-Serie: Gute Arbeit – gutes Geld Der Fluch der bösen Tat … Egal welcher politischer Couleur, viele Politiker haben sich darum verdient gemacht, das mediale Sommerloch mit Bildungsthemen zu stopfen. Eine besonders „tolle“ Idee der Konservativen: Sie wollen die Zahl der Unterrichtsstunden am Gymnasium kürzen. Seite 28 Aus den Landesverbänden Schlüsselfrage des 21. Jahrhunderts 1. „Anwältinnen“ für Kinder und Eltern 2. Was ist der Gesellschaft Erziehung wert? 3. Mehr Geld 4. Kita-Studie: Wie geht’s im Job? 5. Akademisierung: Bessere Qualifikation 6. E&W-Interview mit Prof. Gerwald Wallnöfer 7. Fortbildung für Mitglieder 8. Gesundheitsstudie: Viel zu tun, wenig anerkannt Foto: David Ausserhofer Foto: Ernst Herb Foto: Manfred Vollmer „Anwältinnen“ für Kinder und Eltern – die wachsende Bedeutung frühkindlicher Bildung rückt die Ausbildungs- und Arbeitssituation von Erzieherinnen mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Erhöhter Förderbedarf und Bildungspläne für die Jüngsten etwa stellen an die Beschäftigten größere Anforderungen. Doch weder die bisherige Ausbildung noch die Bezahlung entsprechen den gestiegenen Ansprüchen. Beiträge von Norbert Hocke, Gesine Kulcke, Kirsten Fuchs-Rechlin, Gerwald Wallnöfer, Bernhard Eibeck und Tessa Hermann. Schwerpunkt „Frühkindliche Bildung“ ab Seite 6 Seite 34 GEW-Intern Seniorentag: Graues Gold statt altes Eisen Seite 36 Recht und Rechtsschutz Seite 37 Marktplatz Seite 38 Leserforum Seite 41 Diesmal Seite 48 Seite 20 Seite 22 Gesellschaftspolitik Berliner Integrationsgipfel Seite 24 Bildungspolitik 1. Wolfgang Klafki zum 80. Geburtstag 2. BI-Kongress: „Menschenrecht, kein Marktinstrument“ 3. GEW-Kommentar: Wichtiger Schritt 4. Unterrichtskürzung: Der Fluch der bösen Tat 5. Meseberg: Nationale Qualitätsoffensive 6. Impulse aus den USA Seite 25 Seite 26 Seite 27 Seite 28 Seite 29 Seite 30 Titel: Werbeagentur Zimmermann 9/2007 Erziehung und Wissenschaft 3 AUF EINEN BLICK Ausländer besser gefördert Mehr Beitragsgerechtigkeit in der GEW Nach dem Entwurf zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) sollen künftig junge Ausländer, deren Eltern nicht genug Geld verdienen, wie Deutsche Anspruch auf staatliche Unterstützung für ihre schulische/berufliche Ausbildung oder ihr Studium haben. Die Regelung soll noch im Ausbildungsjahr 2007 bzw. zu Beginn des Wintersemesters 2007/8 wirksam werden. Foto: dpa Ab 1. Oktober gilt neuer Mitgliedsbeitrag Junge Ausländer aus einkommensschwachen Familien sollen künftig staatliche Unterstützung für Studium und schulische/berufliche Ausbildung erhalten. Schon vor der Verabschiedung dieser BAföG-Novelle soll jetzt sichergestellt werden, dass in der zweiten Jahreshälfte 2007 keine unnötige Förderungslücke für die Ausländerinnen und Ausländer entsteht, die künftig zum Kreis der Förderungsberechtigten gehören. Deshalb sollen in der Zwischenzeit Härtefallregelungen, nach denen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen gezahlt werden, großzügig angewandt werden. Die Jobcenter sollen entsprechend verfahren. Damit können die Betroffenen in der Übergangsphase leichter Unterstützung nach „Hartz IV“ in Form von Darlehen erhalten. Für alle GEW-Mitglieder gilt im Bereich des Tarifvertrags öffentlicher Dienst (TVöD) Bund und Gemeinden ab 1. Oktober 2007 ein veränderter Beitrag. Der Grund: Ab Oktober 2007 löst der TVöD endgültig den Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) als Tarifvertrag für die Angestellten in den Gemeinden und im Bund ab. Da die bisher geltende Beitragsordnung der GEW den BAT als Berechnungsgrundlage hatte, hat der Hauptvorstand im Juni 2007 neue Regeln zur Beitragsberechnung für alle Mitglieder im Bereich TVöD beschlossen. Die neue Regelung lautet: „Der Beitrag beträgt 0,7 Prozent der jeweiligen Entgeltgruppe und Stufe (des TVöD), nach der das Mitglied vergütet wird.“ Bisher galt folgende Regelung: „Der Beitrag beträgt ein Prozent der vierten Dienstaltersstufe (27. Lebensjahr) der Grundvergütung der Vergütungsgruppe des BAT.“ Die Dienstaltersstufe zur Beitragsberechnung war bisher auf das 27. Lebensjahr fixiert, unabhängig davon, nach welcher Dienstaltersstufe die Beschäftigten tatsächlich vergütet wurden. Dieses Prinzip ist grundsätzlich aufgegeben worden: Zukünftig gilt neben der jeweiligen Entgeltgruppe immer auch die tatsächliche Stufe. Mit dieser Regelung wird mehr Beitragsgerechtigkeit erreicht: Mitglieder in einer Anfangsstufe, also mit geringerem Verdienst, zahlen zukünftig deutlich weniger, Mitglieder in einer hohen Stufe entsprechend mehr. Für all diejenigen, die im September 2007 bereits GEW-Mitglied waren – und die nach alter Regelung nie den Vorteil einer niedrigen Stufe hatten – gibt es eine Bestandsregelung: Mitglie- der der bisherigen Vergütungsgruppen BAT IX bis Vb werden der Stufe drei der jeweiligen Entgeltgruppe zugeordnet; Mitglieder ab vormals BAT IVb der Stufe vier der jeweiligen Entgeltgruppe. Wie in der bisher geltenden Regelung sind auch diese Bestandsstufen für alle Zeiten fixiert und werden nicht mehr verändert. Aber Achtung: Lässt ein Mitglied die nach Bestandsregelung zugeordnete Stufe ändern, gilt diese für das Mitglied nicht mehr: Es wird zukünftig die Beitragsbemessung nach der neuen Regelung und damit auch eine Stufenanpassung vorgenommen. Beispiel: Eine Erzieherin, die ihren Mitgliedsbeitrag bisher gemäß BAT V c, Dienstaltersstufe 4, zahlt, würde gemäß Bestandsregelung mit E8 Stufe 3 berechnet werden. Sie ist nach der Überleitung in den TVöD aber einkommensmäßig erst in Stufe 2 und lässt dies für die Beitragseinstufung entsprechend korrigieren. Zukünftig wird bei dieser Kollegin eine Stufenanpassung vorgenommen. Korrekturmöglichkeit Alle betroffenen Mitglieder werden von ihrem Landesverband darüber informiert, welche TVöD-Entgeltgruppe und welche Stufe künftig die Grundlage für die Beitragsberechnung bilden. Wir bitten alle Mitglieder, diese Mitteilungen aufmerksam zu überprüfen und entsprechende Änderungen und Korrekturen vornehmen zu lassen. Dazu reicht wie bisher die Meldung an die Mitgliederverwaltung im Landesverband. Petra Grundmann, Leiterin des GEW-Arbeitsbereichs Finanzen Statt Sommerferien Hartz IV nach dem Referendariat Rund 5000 arbeitslose Junglehrerinnen und -lehrer mussten sich in BadenWürttemberg mit Beginn der Sommerferien auf den Weg zu den Arbeitsagenturen machen und Arbeitslosengeld (Alg II) beantragen. „Das sind gut ausgebildete, junge, engagierte Lehrkräfte mit besten Noten. Also genau die, die wir an unseren Schulen 4 Erziehung und Wissenschaft 9/2007 angesichts immer schlechter werdender Unterrichtsversorgung, überfüllter Klassen und alternder Kollegien dringend brauchen“, sagte GEW-Landesvorsitzender Rainer Dahlem. Er verlangte von den Landtagsabgeordneten, mit einem Sofortprogramm zusätzliche Stellen zu schaffen. Landesweit sollen von 8000 Bewerberinnen und Bewerbern für alle Schularten nur 3000 eine Stelle bekommen. Nach Vorbereitungsdienst bzw. Referendariat haben fertig ausgebildete Lehrkräfte keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, da sie während der eineinhalb Jahre dauernden Ausbildung Beamte auf Widerruf sind. Wenn sie keine Stelle finden, müssen sie einen Antrag auf Alg II stellen. BGH verbietet „Kellogg“-Schulwerbung Teilerfolg für Csaszkóczy Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) hat einen vierjährigen Rechtsstreit mit dem „Kellogg“-Konzern gewonnen: Dessen inzwischen beendete Werbeaktion „Kellogg’s Frosties für Schulsport“ wurde jetzt vom Bundesgerichtshof (BGH) nachträglich als wettbewerbswidrig eingestuft. Der Cornflakes-Hersteller hatte Schülerinnen und Schüler 2003 dazu aufgerufen, durch den Kauf bestimmter „Kellogg“-Produkte massenhaft Wertpunkte zu sammeln, die dann gegen Sportmaterialien für ihre Schule eingetauscht werden konnten. Schon für ein Badminton-Set hätten die Schüler nach vzbv-Berechnungen Produkte für 139,50 Euro kaufen müssen. Eine Klage der Verbraucherschützer gegen die Bremer Deutschlandzentrale des Konzerns scheiterte zunächst sowohl vor dem Landgericht als auch vor dem Oberlandesgericht der Hansestadt. Der BGH gab ihnen jetzt aber recht. Nach Angaben des vzbv hielten die obersten deutschen Zivilrichter die Werbekampagne für geeignet, die geschäftliche Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen auszunutzen (Az.: I ZR 82/05). Eine BGH-Sprecherin wollte sich auf Anfrage der E &W nicht genauer zu dem rechtskräftigen Urteil äußern, da noch keine schriftliche Begründung vorliege. „Wir hoffen, dass mit den Grundsätzen des Bundesgerichtshofs der immer weiter um sich greifenden Kommerzialisierung an Schulen dauerhaft Einhalt geboten werden kann“, kommentierte der vzbvVorstand das Urteil. Zudem forderte er bundesweit einheitliche Standards für den Umgang mit Sponsoring und Werbung an Schulen. stg Auch das Land Hessen hat dem Berufsverbotsopfer, Realschullehrer Michael Csaszkóczy, die Einstellung in den Schuldienst zu Unrecht verweigert. Das Verwaltungsgericht (VG) Darmstadt verpflichtete die hessischen Schulbehörden, die Bewerbung des 37-Jährigen noch einmal zu prüfen. Die Richter schlossen sich damit dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofes für Baden-Württemberg mit Sitz in Mannheim an. Sie betonten in ihrer Urteilsbegründung, dass Zweifel an der Verfassungstreue eines Lehrers nur auf Grundlage einer Einzelfalluntersuchung begründet werden könnten. Diese habe im Fall Csaszkóczy aber nicht stattgefunden. Trotz dieses Urteils kann Csaszkóczy aber nicht damit rechnen, demnächst als Lehrer arbeiten zu dürfen. Das Gericht lehnte es ab, die Schulbehörden zu verpflichten, den 37-Jährigen einzustellen. Der Dienstherr habe bei der Entscheidung über eine Einstellung ein weites Organisationsermessen, erklärte das VG. Der Realschullehrer hatte geklagt, weil er aufgrund seiner Mitgliedschaft in der „Antifaschistischen Initiative Heidelberg“ (AIHD) als linksextremistisch eingestuft und ihm mit dieser Begründung die Einstellung in den Schuldienst verweigert worden war. Rechtschreibreform gilt Seit dem 1. August ist die Rechtschreibreform in der FasDie neue deutsche Rechtschreibung seit 1. August 2006 – sung von 2006 für Schulen verbindlich. Damit endete die einjährige Übergangsfrist für Änderungen, die die Ministerpräsidenten der Länder im vergangenen Jahr auf Vorschlag des Rats für deutsche Rechtschreibung beschlossen hatten. Seit August werden Verstöße gegen die Neuregelung in den Schulen als Fehler angestrichen. Die jetzt gültigen Rechtschreibregeln sowie das amtliche Regelwerk von 2004 finden Sie auf der Homepage des Instituts für deutsche Sprache unter: www. idsmannheim.de/reform/. Die E &W hat in Kooperation mit dem Duden-Verlag eine Kurzfassung der wichtigsten neuen Regeln mit Beispielen für Lehrer- und Klassenzimmer sowie Erzieherinnenräume im A2-Format mit der Oktoberausgabe 2006 als Beilage veröffentlicht. Die Übersicht können Sie beim GEW-Shop, Call a Gift Service, Hegweg 6, 63225 Langen, Fax: 0 61 03/3 03 32-20, E-Mail: gew-shop@ callagift.de, bestellen. Die Kosten: Mindestbestellmenge sind zehn Exemplare (40 Cent), zu denen sich Versand- und Portokosten addieren, so dass das Zehner-Paket für 6,96 (inklusive Mehrwertsteuer) erhältlich ist. kurz gefasst Die wichtigsten neuen Regeln mit Beispielen Getrennt- und Zusammenschreibung ‘ Verbindungen mit dem Hilfsverb sein werden grundsätzlich getrennt geschrieben. Laut-Buchstaben-Zuordnung an sein, auf sein, beisammen sein, dabei sein, fertig sein, vorbei sein, zufrieden sein, zurück sein u. a. ‘ Verbindungen aus einem Nomen und einem Verb werden in der Regel getrennt geschrieben. Nach dem Muster Auto fahren, Klavier spielen schreibt man jetzt auch Rad fahren, Hof halten, Kegel schieben, Maschine schreiben u. a. Zusammengeschrieben wird weiterhin bei Verbindungen, in denen das Nomen verblasst ist: stattfinden (die Sitzung findet statt), teilnehmen (sie nahm daran teil) u.a. Bilden Nomen und Verb eine untrennbare Zusammensetzung, bleibt es ebenfalls bei der Zusammenschreibung: nachtwandeln (er nachtwandelt), schlussfolgern (sie schlussfolgerte) u. a. ‘ Verbindungen aus einem Verb im Infinitiv und einem zweiten Verb werden im Allgemeinen getrennt geschrieben. Man schreibt also tanzen lernen, lesen üben, baden gehen, spazieren fahren u. a. Werden Verbindungen mit bleiben oder lassen in übertragener Bedeutung gebraucht, ist auch die Zusammenschreibung möglich: wegen schlechter Noten sitzen bleiben / sitzenbleiben, den Hut liegen lassen / liegenlassen u. a. Dasselbe gilt für kennen lernen / kennenlernen. ‘ Verbindungen aus einem Adjektiv und einem Verb werden getrennt oder zusammengeschrieben, wenn ein einfaches Adjektiv das Ergebnis eines Vorgangs bezeichnet. Man schreibt zusammen, wenn eine neue Gesamtbedeutung vorliegt. In den übrigen Fällen wird getrennt geschrieben. Man schreibt also: • den Teller leer essen oder leeressen, die Zwiebeln klein schneiden oder kleinschneiden, das Haar blond färben oder blondfärben u. a. • den Angeklagten freisprechen, seine Gegner kaltstellen, im Beruf kurztreten/kürzertreten u. a. • auswendig lernen, ohnmächtig werden, parallel verlaufen, schief ansehen u. a. ‘ Verbindungen mit einem adjektivisch gebrauchten Partizip als zweitem Bestandteil können jetzt getrennt oder zusammengeschrieben werden. Man kann also schreiben: Aufsicht führend oder aufsichtführend, Erdöl exportierend oder erdölexportierend, Gewinn bringend oder gewinnbringend, allein erziehende oder alleinerziehende Mütter, die allein Erziehenden oder Alleinerziehenden; gut bezahlte oder gutbezahlte Fachkräfte, im klein Gedruckten oder Kleingedruckten u. a. In Fällen wie den folgenden darf aber aus grammatischen Gründen entweder nur getrennt oder nur zusammengeschrieben werden: ausschlaggebend (= den Ausschlag gebend), milieubedingt (= durch das Milieu bedingt); eine großen Gewinn bringende Geldanlage; eine äußerst gewinnbringende, [noch] gewinnbringendere Geldanlage; Fachkräfte sind besonders gut bezahlt. ‘ Getrennt- oder Zusammenschreibung gilt neu auch für Verbindungen mit einem einfachen ungebeugten Adjektiv. Jetzt kann man demnach schreiben: allgemein gültig oder allgemeingültig, schwer krank oder schwerkrank, leicht verdaulich oder leichtverdaulich u. a. ‘ Zusammen- oder Getrenntschreibung gilt jetzt für zahlreiche feste Verbindungen aus einer Präposition und einem (verblassten) Nomen. außerstande oder außer Stande (sein), infrage oder in Frage (kommen), zugrunde oder zu Grunde (legen), zuwege oder zu Wege (bringen); anstelle oder an Stelle, aufgrund oder auf Grund, mithilfe oder mit Hilfe, zugunsten oder zu Gunsten, zulasten oder zu Lasten u. a. ‘ Verbindungen mit irgend- werden jetzt in der Regel zusammengeschrieben. Wie schon früher irgendein, irgendwie u. a. schreibt man jetzt auch irgendetwas und irgendjemand. Aber: Wenn der zweite Bestandteil erweitert ist, bleibt es bei der Getrenntschreibung: irgend so ein, irgend so etwas u. a. Groß- und Kleinschreibung ‘ Nomen, die mit Präpositionen ein festes Gefüge bilden, aber mit diesen nicht zusammengeschrieben werden, schreibt man groß. Man schreibt jetzt also in Bezug auf wie bisher schon mit Bezug auf. Ebenso: außer Acht lassen, sich in Acht nehmen u. a. ‘ Nomen, die mit Verben ein festes Gefüge bilden, aber nicht mit diesen zusammengeschrieben werden, schreibt man groß. Man schreibt jetzt also Rad fahren, Hof halten, Diät leben, Diät halten, Maschine schreiben, Kegel schieben, jemandem Angst [und Bange] machen, sein Eigen nennen, Schuld haben, jemandem Schuld geben. Aber: In Verbindung mit den Verben sein, bleiben oder werden gelten Wörter wie angst, bange, schuld u.a. nicht mehr als Nomen und werden deshalb wie bisher kleingeschrieben: Mir ist angst [und bange]; du bleibst schuld daran; ihr wird angst u.a. ‘ Nominalisierte Ordnungszahlen werden großgeschrieben. Man schreibt jetzt also als Erstes, die Rechte Dritter, als Dritter an der Reihe sein, wie kein Zweiter arbeiten u. a. ‘ Nominalisierte Adjektive, die Bestandteile fester Wendungen sind, werden – unabhängig vom eigentlichen oder übertragenen Gebrauch des Adjektivs – großgeschrieben. Man schreibt jetzt also im Argen liegen, zum Besten geben/halten, im Dunkeln bleiben/tappen, auf dem Laufenden halten, sich über etwas im Klaren sein, auf dem Trockenen sitzen u. a. Es bleibt aber bei von fern, von klein auf, über kurz oder lang, gegen bar, durch dick und dünn u. a. Groß schreibt man außerdem: • Sprachbezeichnungen in Verbindung mit Präpositionen: ein Referat auf Französisch halten; ein in Englisch abgefasster Brief u. a. ; • Tageszeiten in Verbindung mit (vor)gestern, heute, (über)morgen: gestern/heute/morgen Abend, vorgestern Nachmittag u. a. ‘ In festen Wortverbindungen aus einem Adjektiv und einem Nomen wird das Adjektiv im Normalfall kleingeschrieben, sofern es sich nicht um einen Eigennamen handelt. Man schreibt wie bisher die schwarze Liste, der erste Spatenstich, die goldene Hochzeit u. a. Wenn jedoch hervorgehoben werden soll, dass die Wortverbindung mit einer neuen (übertragenen) Gesamtbedeutung gebraucht wird, ist – wie schon früher in einigen Fällen – auch die Großschreibung des Adjektivs möglich: das schwarze/Schwarze Brett (Anschlagtafel), der letzte/Letzte Wille (Testament) u. a. In einigen Fachsprachen ist es üblich, auch Gattungsbezeichnungen und Begriffseinheiten wie Eigennamen zu behandeln: das Fleißige Lieschen (eine Pflanzengattung), die Schwarze Witwe (eine Spinnenart), die Erste Hilfe (Laienhilfe bei Unglücksfällen) u. a. ‘ Werden aus Personennamen Adjektive auf -isch oder -sch gebildet, schreibt man diese in der Regel klein. Man schreibt jetzt also goethische/goethesche Gedichte (»Gedichte von Goethe« oder »Gedichte in der Art Goethes«), das ohmsche Gesetz, der ohmscheWiderstand, freudsche Schriften u. a. Wahlweise kann auch mit Apostroph geschrieben werden (dann mit großem Anfangsbuchstaben): Goethe’sche Epik, die Heine’sche Ironie u. a. Aber wie bisher: eulenspiegelhafte Possen, eine kafkaeske Stimmung, die Schweizer Berge u. a. ‘ Die Anredepronomen du und ihr sowie die besitzanzeigenden Pronomen dein und euer können jetzt auch in Briefen grundsätzlich kleingeschrieben werden. Die Großschreibung ist nur noch für die Höflichkeitsanredeformen Sie und Ihr obligatorisch. Wenn du/Du willst, komme ich am Freitag. Was ist dir/Dir denn passiert? Mir gefällt dein/Dein neues Auto. Natürlich seid ihr/Ihr herzlich willkommen! Ich gratuliere euch/Euch zum Hochzeitstag. Akzeptieren Sie unseren Vorschlag? Wir bedanken uns für Ihr Angebot und wünschen Ihnen ein schönes Wochenende. Ein Service von GEW und Duden ‘ ß nach kurzem (betontem) Vokal wird durch ss ersetzt. Man schreibt jetzt Fass, Stress, Biss, Missverständnis, Boss, Fluss; sie muss (zu: müssen), er hasst (zu: hassen) u. a. Statt daß schreibt man jetzt dass. ‘ Eine größere Zahl von Einzelwörtern wird dem sogenannten Stammprinzip angeglichen, d. h., ein Wort folgt in der Schreibung dem Wort oder der Wortform, dem bzw. der es zugeordnet werden kann. Man schreibt jetzt Ass wegen des Asses, die Asse, Tipp wegen tippen, Gämse wegen Gams, nummerieren wegen Nummer, platzieren wegen Platz u. a. Es bleibt aber bei fit und Top. ‘ Treffen in Zusammensetzungen drei gleiche Buchstaben aufeinander, bleiben alle erhalten. Man schreibt jetzt Bestellliste, Schifffahrt; Kaffeeernte, Teeei, Hawaiiinseln u. a. Es bleibt bei dennoch, Drittel und Mittag. Beachte: Wer unschöne oder unübersichtliche Schriftbilder vermeiden will, kann auch mit Bindestrich schreiben: Auspuff-Flamme, Tee-Ei. ‘ Das ph kann in phon, phot und graph und in einigen Einzelfällen durch f ersetzt werden; neben -tial und -tiell sind in einigen Fällen auch -zial und -ziell möglich, wenn es ein verwandtes Wort mit z gibt. Vereinzelt können gh, rh, th zu g, r, t werden. Man kann jetzt schreiben: Diktafon oder Diktaphon, Fotometrie oder Photometrie, Geografie oder Geographie, Delfin oder Delphin; Differenzial oder Differential, essenziell oder essentiell, substanziell oder substantiell; Spagetti oder Spaghetti, Katarr oder Katarrh, Panter oder Panther, Tunfisch oder Thunfisch. Ansonsten bleibt die Schreibung der Fremdwörter im Wesentlichen unverändert. Man schreibt also weiterhin Philosophie, Rhetorik, Rheuma, Apotheke, Strophe, Diskothek, Leichtathletik, Mathematik, Theater u. a. Zeichensetzung ‘ Zwischen Hauptsätzen, die mit und/oder verbundenen sind, ist das Komma freigestellt. ‘ Infinitiv- und Partizipgruppen können zur Verdeutlichung der Satzgliederung durch ein Komma abgetrennt bzw. zwischen Kommas eingeschlossen werden. Ein einfaches oder paariges Komma muss jedoch stehen, wenn die Infinitivgruppe • mit um, ohne, [an]statt, als oder außer eingeleitet wird, • von einem Nomen, einem Verweiswort oder einem Wort mit Platzhalterfunktion abhängig ist, das im übergeordneten Hauptsatz steht. ‘ Der Apostroph darf auch gebraucht werden, um die Grundform eines Personennamens von der Genitivendung -s abzuheben. Sie spielte auf dem Klavier[,] und er sang dazu. Kommst du mit[,] oder hast du schon etwas anderes vor? Sie nahm sich vor[,] ihre Eltern zu besuchen. Die Unfallursache festzustellen[,] ist für die Polizei oft schwierig. Unfähig[,] etwas zu sagen[,] saß er da. Ein Glas in der Hand haltend[,] stand er in der Tür. Sie sank[,] zu Tode erschreckt[,] auf das Sofa. Sie gingen, ohne sich vom Gastgeber zu verabschieden. Etwas Besseres, als eine Reise zu gewinnen, konnte mir nicht passieren. Sein Ziel, das Rauchen aufzugeben, wird er nicht erreichen. Sie hat nur den Wunsch, wieder gesund zu werden. Sie erinnerte ihn daran, die Post zu holen. Berühmt zu werden, das hatte er schon als Kind gehofft. Wir haben es bisher nicht bereut, uns selbstständig gemacht zu haben. Meine Freundin hasst es, früh aufzustehen. Rudis Grilltreff oder Rudi’s Grilltreff Königs Videothek oder König’s Videothek Worttrennung am Zeilenende ‘ Die Buchstabenfolge st wird jetzt genauso getrennt wie sp. Wes-te, Küs-te, ros-ten, meis-tens, bedeutends-te u. a. ‘ Die Buchstabenverbindung ck bleibt – wie ch und sch – neu ungetrennt. ‘ In Fremdwörtern werden Verbindungen aus Konsonant + l, n oder r entweder vor dem letzten Konsonanten getrennt oder sie kommen ungetrennt auf die neue Zeile. ‘ Deutsche Wörter oder Fremdwörter, die nicht mehr als Zusammensetzungen erkannt oder empfunden werden, können nach Sprechsilben oder nach Sprachsilben getrennt werden. De-ckel, Zu-cker, ba-cken, tro-cken u. a. nob-le oder no-ble, Zyk-lus oder Zy-klus, Sig-nal oder Si-gnal, mag-netisch oder ma-gnetisch, Feb-ruar oder Fe-bruar, integ-rieren oder inte-grieren u. a. hi-nab oder hin-ab, wa-rum oder war-um, ei-nander oder ein-ander, Mai-nau oder Main-au; Helikop-ter oder Heliko-pter, Pä-dagogik oder Päd-agogik, inte-ressant oder inter-essant u. a. Schreibung mit Bindestrich ‘ In Zusammensetzungen werden Zahlen, die in Ziffern geschrieben werden, mit einem Bindestrich vom Rest des Wortes abgehoben. Man schreibt jetzt also 8-Achser, 5-Eck, 16-Ender, 100-prozentig, 2-jährig, 4-Jährige, 6-monatlich, 14-tägig, 8-Zylinder u. a. Wie bisher steht jedoch kein Bindestrich, wenn die Ziffer mit einer Nachsilbe verbunden ist. Es bleibt also bei 68er, 100stel, 100%ig, 15er u. a. Aber in Zusammensetzungen: 68er-Generation, 15er-Schlüssel u. a. ‘ Ein Bindestrich kann gesetzt werden, um einzelne Bestandteile einer Zusammensetzung hervorzuheben, wenn unübersichtliche Zusammensetzungen deutlicher gegliedert werden sollen, und beim Aufeinandertreffen von drei gleichen Buchstaben. Man schreibt also Ichsucht oder Ich-Sucht, Sollstärke oder Soll-Stärke, Moselwinzergenossenschaft oder Mosel-Winzergenossenschaft, Schifffahrt oder Schiff-Fahrt, Auspuffflamme oder AuspuffFlamme, Teeernte oder Tee-Ernte u. a. ‘ Mehrgliedrige Wörter aus dem Englischen werden zusammen- oder mit Bindestrich geschrieben, wenn der erste Bestandteil ein Nomen oder ein Verb ist. Man schreibt jetzt also: Assessmentcenter oder Assessment-Center, Blackout oder Black-out, Centrecourt oder Centre-Court, Handout oder Hand-out, Desktoppublishing oder Desktop-Publishing, Feedback oder Feed-back, Layout oder Lay-out, Midlifecrisis oder Midlife-Crisis, Shoppingcenter oder Shopping-Center u. a. Foto: privat AUF EINEN BLICK Berufsverbotsopfer: Michael Csaszkóczy In den Beispielen, in denen die Regeln mehrere Schreibweisen oder Trennstellen zulassen, ist die von der Dudenredaktion empfohlene jeweils rosa unterlegt. Bei der Auswahl der Schreibvarianten hat sich die Dudenredaktion einerseits an den Bedürfnissen der Schreibenden und Lesenden, andererseits am tatsächlichen Schreibgebrauch orientiert. DUDEN Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hessen will Tarifautonomie aushebeln Die hessische Landesregierung will innerhalb des Haushaltsgesetzes, das am 21. September beschlossen werden soll, die Tariflöhne qua Gesetz erhöhen. Geplant ist, das mit dem Deutschen Beamtenbund (dbb) für die Beamtinnen und Beamten vereinbarte Ergebnis eins zu eins auf die Angestellten und Arbeiter zu übertragen. Damit würde die Tarifautonomie ausgehebelt. Der letzte Versuch, in Hessen eine dem Ländertarifvertrag (TV-L) entsprechende tarifliche Regelung zu vereinbaren, war am 10. August gescheitert. Zwischen dem Angebot des Landes und dem von den DGB-Gewerkschaften ver.di, GEW und der Gewerkschaft der Polizei (GdP) geforderten TV-L-Bezug klaffte eine Lücke von mehr als 1000 Euro. Hintergrund: Hessen ist im April 2004 aus der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) ausgetreten. Deshalb gilt hier – ebenso wie in Berlin – der am 1. November 2006 für den öffentlichen Dienst der Länder in Kraft getretene TV-L nicht. ur Online-Fragebogenaktion 2005 hat die Europäische Kommission eine Empfehlung über eine „Europäische Charta für Forscher und einen Verhaltenskodex für die Einstellung von Forschern“ abgegeben. Darin sind Rollen, Zuständigkeiten und Ansprüche von Forschern definiert. Der Kodex zielt darauf ab, die Einstellungsverfahren zu verbessern sowie Auswahlverfahren gerechter und transparenter zu machen. Darüber hinaus enthält verschiedene Parameter für die Beurteilung von Verdiensten. Mit Charta und Kodex wurden zentrale gewerkschaftliche Forderungen aufgegriffen. Für die GEW-Tarifpolitik ergeben sich wichtige Bezugspunkte. Deutsche Wissenschaftsarbeitgeber und die Bundesregierung stehen Charta und Kodex reserviert gegenüber. In Brüssel ist offenbar der Eindruck entstanden, dass der Meinungsbildungsprozess über Charta und Kodex bislang weitgehend ohne die Betroffenen stattgefunden hat. Deshalb gibt es seit April unter http://infopoll.net/ live/surveys/s31098.htm eine Online-Fragebogenaktion zu Umsetzungsstand und Bekanntheit von Charta und Kodex. 9/2007 Erziehung und Wissenschaft 5 „Anwältinnen“ für Eltern und Kinder Täglicher Kampf mit unzureichenden Rahmenbedingungen – ein Einblick in den Arbeitsalltag einer Essener Kita Sabine Howaldt – Leiterin der Evangelischen Kindertagesstätte Altendorf in Essen: „Ich habe in der Ausbildung zwar gelernt, wie man Kindern ein Lied beibringt, aber nicht, wie man mit den sozialen Problemen von Familien umgeht. FRÜHKINDLICHE BILDUNG r Die Öffentlichkeit nimmt bisher kaum wahr, dass Erzieherinnen bereits alltäglich leisten, was Politik, Wissenschaft und Eltern spätestens seit PISA von ihnen erwarten: Bildung für die Jüngsten. Erzieherinnen sind aktiv für die Familie, im Stadtteil und in der Lokalpolitik. Was inzwischen selbstverständlich zum Beruf der Erzieherin gehört, ist allerdings weit davon entfernt, entsprechend anerkannt und honoriert zu werden. Wie vielfältig und anspruchsvoll die Arbeit heute ist, erzählt Sabine Howaldt, Leiterin der Evangelischen Kindertagesstätte Altendorf in Essen. S abine Howaldt versteht sich als Anwältin vor Ort, für die Eltern genauso wie für die Kinder. Das fällt ihr nicht leicht, wenn eine Mutter mit neun Kindern, von denen fünf in Heimen leben, zu ihr kommt, weil sie wieder schwanger ist. „Der erste Gedanke ist natürlich: Das kann die doch nicht machen. Aber wenn sie mit ihrem Bauch da sitzt, kann ich ihr zu ihrem Elend nicht noch ihr Umfeld beleuchten.“ Abgeholt werden müsse die Schwangere dort, wo sie stehe. Genauso wie das fünfjährige Kind, das seine Mutter verloren hat. Der zehnjährige Bruder war nicht zuhause, der Jüngste stundenlang mit der Toten alleine. Bis die Großeltern kamen, „und die stehen dann hier. Ich habe einen Termin, lass’ alles fallen, stehen und liegen, tröste die Großmutter, weil sie ihre einzige Tochter verloren hat. Ich muss sehen, dass das Kind hier aufgenommen wird, ich muss die Gesamtsituation auffangen.“ Fotos: Manfred Vollmer Arbeit im Brennpunkt Stillgelegte Eisenbahnlinien zerschneiden den Stadtteil, riesige Werkhallen stehen leer. Die Arbeit gab es in EssenAltendorf 150 Jahre von Krupp. Inzwischen sind die meisten Fabriken geschlossen. Sabine Howaldt und ihre elf Mitarbeiterinnen arbeiten mit 95 Kindern aus 17 Nationen. Mädchen und Jungen, deren Eltern in sozialen Verhältnissen leben, in denen es Kinder oft schwer haben, aufzuwachsen: Jedes vierte Altendorfer Kind taucht in der Armutsstatistik auf. In der Kita wird alles sichtbar: Interessen, Vorlieben und Entwicklungen der Jüngsten. Aber auch, dass Eltern ihre Arbeit verlieren, Familien auseinanderbrechen, Kinder vier ver9/2007 Erziehung und Wissenschaft 7 FRÜHKINDLICHE BILDUNG schiedene Männer um sich haben, zu denen sie Papa sagen. Vor mehr als 30 Jahren hat Sabine Howaldt nach der mittleren Reife, einem einjährigen Aufenthalt in England und dem Besuch einer Grafikschule ihre Ausbildung zur Erzieherin beendet. Sie sagt, sie habe gelernt, wie sie Kindern ein Lied beibringe, aber nicht, wie sie mit dem umgehen soll, was ihr heute tagtäglich begegne. „Wenn eine Mutter mit 24 Jahren vier Kinder hat, davon das erste mit 16, dann gehört sie am Wochenende in die Disco. Weil das aber mit Kindern nicht geht kommt die Disco nach Hause „und dazwischen der Säugling, der Dreijährige, wie auch immer“. Entlastung der Mütter Viele Aufgaben fallen in der Kita an: Bildungs-, Sozial- und Betreuungsarbeit, Musizieren, Austausch mit den Eltern, Kommunikation im Team und mit Ämtern. 8 Erziehung und Wissenschaft 9/2007 Damit es den Kindern montags besser geht und die Mütter entlastet werden, bietet das Erzieherinnen-Team Wochenenden an, an denen die Kinder in der Kita übernachten können. Die Mutter hat freitags frei, muss sich aber am Samstagnachmittag fortbilden. Elternbildung, nennt Sabine Howaldt das. Die Mütter suchen sich aus, was sie mit einer Fachfrau besprechen wollen, während ihre Kinder mit den Erzieherinnen auf Entdeckungsreise gehen. Neulich waren sie im Museum. Für viele war es das erste Mal. Nachdem eine Mutter hörte, was ihr Kind erlebt hatte, erzählte sie Sabine Howaldt, dass sie selbst noch nie in ihrem Leben in einem Museum gewesen sei. Sie habe gar nicht gewusst, dass auch sie da hingehen könne. Bildungsexperten pfeifen es von allen Dächern: In den ersten sieben Lebensjahren werden die entscheidenden Weichen für die Lernbiografie gestellt. „Aber keiner guckt sich diese sieben Jahre wirklich an und investiert“, meint Sabine Howaldt. Statt den Erzieherinnen zu helfen, die Kinder tatkräftig zu unterstützen, hat die Papierflut zugenommen: Sprachstandserhebungen, Dokumentationsbögen, Evaluationen: „Die Kolleginnen pinnen und pinnen. Die Kinder kommen heute mit einer Personalakte in die Schule, das hat mancher im Vorstand der Ruhrkohle noch nicht in seinem Ordner.“ Sabine Howaldt spricht sich nicht gegen Dokumentationen aus, aber erst einmal müsse die Ausbildung der Erzieherinnen verbessert werden. Diese müsse neben Kompetenzen in der Sprachförderung und der Gestaltung von Lernumgebungen Kenntnisse vermitteln, die genauso zum Beruf der Erzieherin gehörten: die Organisation von Elternversammlungen, die Kommunikation im Team, mit Ämtern, mit kirchlichen Einrichtungen, die Organisation von Festen und Veranstaltungen in der Gemeinde. Kein früher Feierabend Sabine Howaldt braucht Profis, die sich einsetzen, die Eltern nicht wegschicken, wenn diese noch reden wollen, wenn sie ihr Kind abends aus der Kita abholen. Erzieherinnen, die bereit sind, sich mit den Eltern auszutauschen: über das Kind, die Familie, die Kita. „Hier ist eben nicht um halb fünf Feierabend.“ Für die Kita-Leiterin ohnehin nicht. Kein Ausschuss tagt vor sechs Uhr, Vereinskontakte kann sie oft nur am Abend pflegen. Ihre wichtigste Aufgabe im Moment: der Ditib-Moscheeverein. Die Organisation will in einem ehemaligen Lagergebäude eine Moschee bauen. Für 2000 Gläubige. Die Nachbarschaft ist entsetzt, Sabine Howaldt ist für die Moschee, im Interesse der Eltern, deren Kinder sie nicht nur betreut, sondern deren Belange sie auch vertritt. Egal ob der Bezirksvorsteher, mit dem sie dabei verhandelt, CDU-Mitglied ist oder die PDS eine Stellungnahme von ihr will. „Wir arbeiten hier zusammen für die Sache, egal welches Fähnchen da oben hängt. Es geht darum, dass die Eltern sich wohlfühlen. Wenn dafür nicht Geld rausgetan wird, geht die Sache den Bach runter.“ Zu wenig Material … Was sie meint, sagt sie, dafür steht Sabine Howaldt ein, auch auf dem Podium. Sie sei eine Galionsfigur, unterstreicht ihre Kollegin Heike Niehaus, „weil sie so ist, wie sie ist, kennt man unsere Kita überall“: in Jugendhäusern, Sozialdiensten, Mädchentreffs, Stadtteilkonferenzen, Ausschüssen, Stadtteilprojekten. Während Sabine Howaldt sich für die Kita in der Öffentlichkeit stark macht, betont Heike Niehaus die Bedeutung der Angebote ihrer Bildungseinrichtung – den Werkraum, die Halle zum Turnen, die Räume zum Meditieren, Musik entdecken und Theater spielen. Die Beobachtung der Kinder und die Auswahl themenbezogener Materialien, die sich an den Bedürfnissen der Mädchen und Jungen orientieren, sind Kernpunkte der pädagogischen Arbeit. Gesellschaftlich wahrgenommen werde davon allerdings wenig. „Da ist man irgendwo eingeladen, wird gefragt, was man macht und dann: ,Ach Erzieherin, das ist ja nett, da spielst du den ganzen Morgen und hast mittags Feierabend.‘“ Natürlich spiele sie mit den Kindern, sehe sich Bilderbücher mit ihnen an, FRÜHKINDLICHE BILDUNG „aber dabei bediene ich seit Jahren – und nicht etwa erst seit PISA – den Anspruch, Kinder zu bilden, Interessen zu wecken, Materialien für sie anzuschaffen, mit denen sie sich selbst helfen und Dinge entdecken können“. Erzieherinnen müssten sich selbst öffentlich anders präsentieren, betont Heike Niehaus, selbstbewusst sagen, dass sie mehr Lehrmaterial brauchen und für ihre anspruchsvolle Arbeit schlecht bezahlt werden. „Stattdessen wird emsig versucht, etwas mit dem anzufangen, was man vorfindet.“ Eine Genügsamkeit, die sich nicht jeder leisten kann: „Mein Sohn – für den ich keinen Unterhalt bekommen habe – und ich hatten 18 Jahre nur das, was ich verdiene.“ … zu wenig Geld Mehr Geld werde es erst geben, wenn die Gesellschaft begreift, dass die Kita Teil des Bildungssystems ist, sagt Sabine Howaldt. Aber davon sei man noch weit entfernt. Ein Beispiel: Heute Morgen sei eine Mutter zu ihr gekommen auf der Suche nach einem Praktikumsplatz für ihre Tochter. Die Jugendliche stand neben ihr, ohne ein Wort zu sagen. „Kurz bevor sie gehen, frag’ ich sie noch, was sie denn mal werden wolle. Darauf die Mutter: Das Einzige, was die hinkriegen könnte, wäre Kindergärtnerin.“ Die Mutter wird einfach vergessen haben, dass vor ihr eine Erzieherin steht. Im Grunde eine Managerin Sabine Howaldt selbst sagt, dass sie im Grunde eine Unternehmerin sei, die im Auftrag der evangelischen Kirchengemeinde eine Kita leitet. Deshalb lässt sie sich jetzt auch zum Facilitator (beteiligungs- und prozessbegleitendes Management, Anm. d. Red.) fortbilden, gemeinsam mit Vorstandsleuten aus der Industrie. „Viele verstehen nicht, was ich damit will, obwohl ich da genau das lerne, was ich in meiner Ausbildung nicht gelernt habe: Wie ich mein Netzwerk mit den Ergotherapeuten, dem Sozialdienst, dem Moscheeverein weiterknüpfe, wie ich Interessen vermittle und mein Personal manage.“ Gesine Kulcke, freie Journalistin „Erzieherinnen müssen sich selbst öffentlich anders präsentieren und selbstbewusst für ihre anspruchsvolle Arbeit mehr Geld verlangen“, sagt Erzieherin Heike Niehaus. 9/2007 Erziehung und Wissenschaft 9 FRÜHKINDLICHE BILDUNG Was ist der Gesellschaft Erziehung wert? Norbert Hocke „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.“ (Paragraf 1 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes [KJHG]). Vor diesem Rechtsanspruch sollten alle staatlichen Maßnahmen im Bereich Erziehung, Bildung und Betreuung bestehen und sich legitimieren. Dieses Recht muss für alle in Deutschland lebenden Kinder gelten. I m Absatz 3 des Paragrafen 1 KJHG wird dies genauer definiert: „… 1. junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen, 2. Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Erziehung beraten und unterstützen, 3. Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl schützen, 4. dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen.“ Damit wird sehr genau beschrieben, was auf den Ebenen von Bund, Ländern und Kommunen eingelöst werden soll: Eltern, Kinder, Jugendliche nicht als Bittsteller zu betrachten, sondern als Bürger mit Rechtsansprüchen. Doch diese in Gesetzesbuchstaben gefasste Wertschätzung steht im Widerspruch zur politischen Praxis: ● durch Ausgrenzung von Migrantenkindern in unseren Bildungsinstitutionen, ● durch Ausgrenzung von Kindern mit besonderem Förderbedarf, die nicht in Regeleinrichtungen aufgenommen werden, ● durch zu große Gruppen und Klassen, so dass individuelle Förderung unmöglich wird, ● durch ein selektives Schulsystem, das Kinder ohne weitere Förderung sitzen bleiben lässt und aussondert, ● durch Diskriminierung von Kindern, die in Armut leben – z. B. durch 10 Erziehung und Wissenschaft 9/2007 Hartz IV – und sie somit von Kulturund Bildungsangeboten ausschließt, ● durch fehlende Berufsausbildung, ● durch Studiengebühren, die jungen Menschen den Weg zum Studium verbauen. Rahmenbedingungen schaffen Wertschätzung gegenüber Kindern und jungen Menschen sieht anders aus: Wer – wie der ehemalige Leiter des Salem-Internats, Bernhard Bueb – glaubt, mit dem „Lob auf die Disziplin“ würden sich Erziehung und Bildung regeln lassen, sei an die jüngste deutsche Geschichte erinnert. Das „Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung“ muss durch die Gesellschaft gestaltet werden. Dazu gehören Vereinbarungen wie jene im 10. Kinderund Jugendbericht, in denen Fähigkeiten definiert werden, die jedem Kind für seinen Lebensweg mitgegeben werden sollten: ● die Fähigkeit zur Selbstbestimmung, ● die Fähigkeit zur Mitbestimmung, ● die Fähigkeit zur Solidarität. Wertschätzung bedeutet aber auch, Rahmenbedingungen zu schaffen in denen „… eigenständige und gemeinschaftsfähige Persönlichkeiten …“ erzogen und gebildet werden können. Eine Gesellschaft, die alle Lebensbereiche ökonomisiert, die Bildung und Erziehung als Ware begreift und die Eltern per Gutschein Bildung einkaufen lässt, verstößt gegen das Recht auf Erziehung und Bildung für alle Kinder. Sie signalisiert der nachwachsenden Generation, dass die Kurse an der Börse einen größeren gesellschaftlichen Wert besitzen als Erziehung und Bildung der nachwachsenden Generation. Pädagogische Tagelöhner Was ist unserer Gesellschaft die Erziehung der Heranwachsenden wirklich wert? Offenbar nicht viel, so lange sich Pädagogen als Tagelöhner in der beruflichen Bildung, der Erwachsenenbildung, bei Sprachkursen für Migranten, in Tageseinrichtungen für Kinder oder als sozialpädagogische Fachkräfte in Ganztagsschulen verdingen müssen. Und so lange sie von ihrem „Einkommen“ kein Auskommen für sich und ih- Foto: Manfred Vollmer Foto: Christian v. Polentz/transit Kommentar: Professionell geleistete Arbeit stärker anerkennen „Die soziale Geringschätzung der Erzieherinnen muss aufhören.“ re Familien haben. In Deutschland wird immer noch der Wert geleisteter Erziehungs- und Bildungsarbeit im Elementarbereich zu wenig anerkannt. Deshalb sollten die Profis für Frühpädagogik die Solidarität der anderen pädagogischen Berufsgruppen und die gewerkschaftliche Unterstützung erfahren. Die soziale Geringschätzung der Erzieherinnen muss aufhören. Sie ist ungerecht und unzeitgemäß. 66 Prozent der Frühpädagogen, das ergab eine GEW-Umfrage (siehe Seite 12), sind mit ihrem Status, ihrem Ansehen in der Gesellschaft unzufrieden, obwohl sie Freude und Spaß an der Arbeit haben und sich in ihrem Team wohl fühlen. Wen wundert das? Will die Gewerkschaft ihre Probleme anpacken, muss es die Gesellschaft auch mitbekommen. Daher fordert die GEW die kommunalen Arbeitgeber auf, ihre Blockade gegen eine neue Entgeltstruktur aufzugeben. Die Bildungsgewerkschaft tritt dafür ein, dies in der Tarifrunde 2008 zu regeln. Denn: Erzieherinnen müssen deutlich mehr verdienen. Die GEW will die Entgeltstufe 9 für alle einführen, die verbindlich nach Bildungsplänen arbeiten (siehe auch Seiten 11 und 22). Bildung und Erziehung wertschätzen – so lautet der gesellschaftliche Auftrag. Er muss für die Erzieherinnen und Erzieher noch geltend gemacht werden. Norbert Hocke, Leiter des Organisationsbereichs Jugendhilfe und Sozialarbeit FRÜHKINDLICHE BILDUNG Mehr Geld Tarifforderungen für Erzieherinnen Es wird Zeit, dass Erzieherinnen endlich Anschluss an die allgemeine Gehaltsentwicklung finden. Es ist auch nicht länger hinzunehmen, dass ein „Frauenberuf“ durch schlechtere Bezahlung diskriminiert wird. A uch nach dem neuen Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) bekommen alle Erzieherinnen und Erzieher, die nach dem 1. Oktober 2005 weiter ihrer bisherigen Tätigkeit bei ihrem alten Arbeitgeber nachgehen, das gleiche Gehalt. Einen Pferdefuß hat der TVöD aber doch: Alle Berufswechsler und Neueingestellte werden zwar in Entgeltgruppe 6 (EG 6) eingruppiert (siehe auch TVöD-Serie, Seite 22). Da es im TVöD aber keinen Bewährungsaufstieg gibt (im Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) war immerhin nach drei Jahren der Aufstieg von BAT VI nach BAT V c möglich, nach weiteren vier Jahren erhielten Erzieherinnen eine Zulage), verbleiben die Betroffenen nun auf dem Lohnniveau „EG 6“. „Die Arbeitgeber sind gut beraten, von der Lohndrückerbremse zu gehen“, sagt GEW-Tarifexpertin Ilse Schaad. Sie stellt fest, dass eine Erzieherin nach der Ausbildung an der Fachschule ein Einstiegsgehalt von 1764 Euro (brutto) im Monat bekomme. In der Endstufe erhalte sie im Kita-Regeldienst 2285 Euro (brutto). Im Vergleich zum bisher geltenden BAT bedeute die Umstellung auf den TVöD und den Tarifvertrag der Länder (TV-L) eine Einkommenseinbuße von mehreren 100 Euro im Monat. Das Gehaltsniveau des BAT könne im neuen Ta- rifvertrag nur gesichert werden, wenn für alle Beschäftigten in der Tarifrunde 2008 zumindest eine Grundvergütung in der Entgeltgruppe 8 (EG 8) vereinbart wird. Die GEW vertritt die Auffassung, dass die gestiegenen Anforderungen an den Beruf auch ein gegenüber dem früheren BAT höheres Gehaltsniveau erforderlich machen und verweist auf das so genannte Heraushebungsmerkmal Bildung. Erkenne man dieses an, müsse die Konsequenz die höhere Eingruppierung der Kita-Beschäftigten, demnach in die Entgeltgruppe 9 (EG 9), sein. In einem gemeinsamen Beschluss haben die Kultusminister- (KMK) und die Jugendministerkonferenz (JMK) im Mai/Juni 2004 einen „Gemeinsamen Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen“ festgelegt. Sie schreiben darin u. a.: „Die Kindertageseinrichtungen des Elementarbereichs werden heute als unentbehrlicher Teil des öffentlichen Bildungswesens verstanden.“ In allen Bundesländern sind deshalb Bildungspläne für Kindertagesstätten erarbeitet worden, diese gelten aber noch nicht überall verbindlich. Zumindest in den Ländern, die die pädagogische Arbeit nach Bildungsplänen vorschreiben, muss sich dies auch auf die Bezahlung auswirken. Mit einem Anfangsgehalt in EG 9 von 2290 Euro (brutto) und einem Endgehalt von 3180 Euro (brutto) wären Erzieherinnen den Absolventinnen und Absolventen von Fachhochschulen gleichgestellt und bekämen endlich den Verdienst, der ihrer anspruchsvollen Tätigkeit entspricht. Bernhard Eibeck, Referent im Organisationsbereich Jugendhilfe und Sozialarbeit GEW richtet E-Mail-Service ein Wer auf dem Laufenden sein will, kann den Landesgeschäftsstellen oder dem Hauptvorstand ([email protected] – Stichwort Email-Tarifverteiler) seine E-Mail-Adresse mitteilen. 9/2007 Erziehung und Wissenschaft 11 Foto: Manfred Vollmer Anspruchsvoller Job: Zu schaffen macht den Erzieherinnen vor allem der ständige Zeit- und Personalmangel. Wie geht’s im Job? Schlaglichter der GEW-Kita-Studie Im Frühjahr 2007 ist im Auftrag des GEW-Hauptvorstandes eine Befragung von Erzieherinnen und Erziehern in Kindertageseinrichtungen (Kitas) durchgeführt worden. Fast 2000 Kolleginnen und Kollegen haben sich beteiligt. Die große Resonanz zeigt, dass es dieser Berufsgruppe unter den Nägeln brennt, über ihre Arbeitssituation und ihre Belastungen im Alltag zu reden – aber dass es ihnen nicht minder wichtig ist, die positiven Seiten ihres Berufs hervorzuheben. E Nähere Informationen im Internet unter: http://www.gew.de/KitaStudie.html 12 rzieherinnen und Erzieher können sich über vergleichsweise sichere Arbeitsverhältnisse freuen. Nur wenige sind prekär beschäftigt. Wenn Erzieherinnen einer befristeten Tätigkeit nachgehen, dann sind es vor allem – und dies ist die Kehrseite der Medaille – die jüngeren. Der Zugang zum Beruf ist für die nachfolgende Generation demnach deutlich erschwert worden. Nicht selten „hangeln“ sich die Jüngeren von einem befristeten Vertrag zum nächsten. Ihre Weiterbeschäftigung hängt von den Anmeldezahlen für das nächste Kindergartenjahr ab. Die anspruchsvolle Tätigkeit wird nicht gerade üppig bezahlt. Erzieherinnen lie- Erziehung und Wissenschaft 9/2007 gen mit ihrem Einkommen noch unterhalb der Verdienstmöglichkeiten in anderen, von Frauen dominierten Berufen wie Bürofachkräfte, Bankkauffrauen oder Einzelhandelskauffrauen. In den östlichen Bundesländern werden Erzieherinnen – und dies mehr als 15 Jahre nach der Wende – immer noch schlechter bezahlt als in den westlichen. In zweifacher Hinsicht benachteiligt sind befristet Beschäftigte: Sie müssen nicht nur um ihre berufliche Absicherung bangen, sondern auch geringere Gehälter in Kauf nehmen – und zwar unabhängig vom Alter. Etwas bessere Verdienstchancen haben Erzieherinnen lediglich in Leitungspositionen. Es erstaunt daher nicht, dass die Beschäftigten äußerst unzufrieden mit ihrem Einkommen sind. Ein „Teilzeitberuf“? Etwa die Hälfte der Befragten arbeitet in Teilzeit. Von sehr vielen scheint dies aufgrund ihrer familiären Lage so gewollt zu sein. Dennoch berichtet etwa ein Drittel der Teilzeitbeschäftigten, dass der Arbeitsmarkt nur Teilzeitbeschäftigungen bereithalte oder dies vom Arbeitgeber so gewünscht sei. Dieser Befund weist auf zweierlei hin: Bei vielen Erzieherinnen, die bereits Familie haben, stimmen Nachfrage und Angebot überein. Ihnen kommt Teilzeitarbeit privat entgegen. Für diejenigen jedoch, die (noch) keine eigene Familie haben oder auf das Einkommen aus einer Vollzeiterwerbstätigkeit angewiesen sind, scheint es zunehmend schwieriger zu werden, den Lebensunterhalt durch den Erwerb aus ihrem Job zu sichern. Zufrieden – trotz Belastung Erzieherinnen haben vielfältige Anforderungen in ihrem Arbeitsalltag zu bewältigen. Sie gestalten die Beziehungsarbeit mit den Kindern, stehen einerseits unter „Beobachtung“ der Eltern und versuchen andererseits, familiäre Defizite durch Zuwendung und Förderung auszugleichen. Sie kooperieren mit internen und externen Partnern und sind zunehmend mit Dokumentationsund Verwaltungsaufgaben befasst. Daneben spielen auch die räumlich-materiellen Gegebenheiten sowie die Arbeitsteilung innerhalb einer Institution, die vorhandenen Möglichkeiten der Partizipation für den Grad der Arbeitsbelastung und -zufriedenheit eine Rolle. Zu schaffen macht den Frühpädagoginnen vor allem der ständige Zeit- und Personalmangel sowie der hohe Geräuschpegel in den Gruppenräumen. Dass ihnen ihre Arbeit trotzdem Spaß macht, lässt sich nicht zuletzt daran festmachen, dass sie sich durch die Beziehungsarbeit mit den Kindern kaum belastet fühlen. Auch den Kontakt zu den Eltern erleben sie als wenig stressig. In den meisten Fällen wird das Arbeitsklima in den Kindertagesstätten als gut FRÜHKINDLICHE BILDUNG beurteilt, es helfe, die Arbeitsaufgaben zu bewältigen: Man könne sich auf Kollegen und Leitung verlassen und unterstütze sich gegenseitig, äußern die Befragten. Positiv bewerten sie auch, dass sie sich ausreichend über alle wichtigen Geschehnisse in ihrer Einrichtung informiert fühlen und an der Gestaltung des Arbeitsalltags sowie der Konzeption mitwirken können. Trotz zum Teil schwieriger Arbeitsbedingungen sind die Erzieherinnen und Erzieher mit ihrer Tätigkeit zufrieden: Ihre Arbeit sei vielseitig und fordere sie mit ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten, sie könnten selbstständig arbeiten und hätten Einfluss auf die Arbeitszuteilung. Innovationsfreude Der Bereich der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung erfährt in letzter Zeit eine hohe öffentliche und politische Aufmerksamkeit. Er befindet sich in einem umfassenden Veränderungsprozess. Stichwort: Einführung von Bildungs-, Erziehungsoder Orientierungsplänen der Bundesländer. Hierfür zeigt die Kita-Landschaft eine große Innovationsfreude. Die meisten Erzieherinnen berichten davon, dass in ihren Einrichtungen bereits an der Umsetzung der Bildungspläne gearbeitet wurde bzw. wird. Am häufigsten werden die Einführung von Bildungsdokumentationen und die Veränderungen des Angebots in inhaltlicher und methodischer Hinsicht – z. B. neue Lerngebiete und Bildungsbereiche oder Projektarbeit – genannt. Danach folgen als Neuerungen die Einführung oder Ausweitung der Schulvorbereitung sowie der Aufbau oder die Intensivierung von Kooperationsbeziehungen mit Schule, Jugendhilfe und dem Gesundheitswesen. Frühpädagogen, die angeben, dass der Bildungsplan bislang in ihren Kitas nicht realisiert worden sei, nennen als Gründe dafür vor allem fehlende Fortbildungsmöglichkeiten, Zeitund Personalmangel sowie fehlendes Fachwissen. In der Regel haben die Beschäftigten in Kindertageseinrichtungen einen einschlägigen Fachschulabschluss absolviert. Nicht wenige haben sich trotz Hochschulzugangsberechtigung für diesen Aus- bildungsweg entschieden. Der Anteil der an Hochschulen ausgebildeten Fachkräfte in Kitas ist niedrig und erreicht lediglich bei den Leiterinnen einen nennenswerten Anteil. Die Befragten haben jedoch häufig eine Zusatzausbildung abgeschlossen. Solche Qualifikationen decken ein breites thematisch-inhaltliches Spektrum ab. Sie reichen von managementbezogenen Themen über Beratung/Therapie bis hin zu pädagogischen Methoden und Verfahren. Die Weiterbildungsbereitschaft unter den Erzieherinnen und Erziehern ist hoch: Sie informieren sich über aktuelle Themen und werden von den Einrichtungen in ihren Fortbildungsaktivitäten unterstützt. Irritierend ist, dass fast die Hälfte der Befragten angibt, dass Berichte über besuchte Fortbildungen in Mitarbeiterbesprechungen keine, hingegen allgemeine Verwaltungsund Organisationsfragen eine große Rolle spielen. Die Anhebung der Erzieherausbildung auf Hochschulniveau stößt auf keine allzu große Zustimmung. Nur ein kleiner Teil ist an einem berufsbegleitenden Studium „frühkindliche Bildung“ interessiert. Warum das so ist, darüber gibt die Befragung keine konkreten Antworten. Die Anmerkungen der Erzieherinnen deuten jedoch darauf hin, dass sie die Fachschulausbildung aufgrund einer gelungenen Verknüpfung von Theorie und Praxis schätzen bzw. im Umkehrschluss befürchten, eine Hochschulausbildung könne zu theoretisch ausgerichtet sein. Aus Sicht der Befragten machen zudem zahlreiche Fortbildungsangebote ein Studium überflüssig. Vor allem Ältere sind der Meinung, ein zusätzliches Studium lohne sich nicht mehr für sie. Dementsprechend ist die Akzeptanz eines berufsbegleitenden Studiengangs bei den älteren Erzieherinnen deutlich geringer als bei ihren jüngeren Kolleginnen, die sich von einem Studium bessere Berufschancen versprechen. Kirsten Fuchs-Rechlin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik im Forschungsverbund DJI/Universität Dortmund V_143_AZ_94x270_EuW.indd 1 9/2007 Erziehung und Wissenschaft 13 04.06.2007 13:38:58 U FRÜHKINDLICHE BILDUNG Künftig besser a Akademisierung bei den Erzieherinnen schreitet voran Seit 2004 die Alice-SalomonFachhochschule als erste deutsche Hochschule mit „Erziehung und Bildung im Kindesalter“ einen grundständigen Studiengang für Erzieherinnen anbot, ist die Diskussion über die Zukunft der Erzieherinnenausbildung in der Bundesrepublik nicht mehr abgerissen. Fast 30 Studiengänge für Frühpädagogik werden inzwischen an Hochschulen sowie kirchlichen und nichtkirchlichen Fachhochschulen angeboten. S eitdem das sehr kritische OECD-Gutachten „Starting Strong“ von Peter Moss, Pädagogikprofessor an der Universität London, über die deutsche Ausbildung von Erzieherinnen im November 2004 veröffentlicht worden ist, hat sich viel getan. Gab es damals fast nirgendwo Lehrstühle für frühkindliche Pädagogik, hat die Akademisierung des Berufs der Erzieherin endlich auch in der Bundesrepublik begonnen. Von den 28 Studiengängen sind die meisten Präsenzstudiengänge in Vollzeit, die mit einem Bachelor of Arts abschließen. Die Studieninhalte sind modularisiert und werden mit Credit Points („Anrechnungspunkte“) nach dem European Credit Point System (ECPS) bewertet, so dass sie auch im europäischen Ausland gültig sind. Das Studium dauert zwischen sechs und acht Semestern. Dabei sind viele Studiengänge de facto nur auf zwei Jahre angelegt, weil die ersten beiden Semester der Fachschule angerechnet werden. Bislang gibt es elf Studiengänge (z. B. Fh München und Fh Dresden), die auch als berufsbegleitender Studiengang in Teilzeit oder mit Fernstudienanteilen konzipiert sind wie der Fernstudiengang „Bildungs- und Sozialmanagement mit Schwerpunkt frühe Kindheit“ der Fh Koblenz in Re- 14 Erziehung und Wissenschaft 9/2007 magen. Die Zugangsvoraussetzungen verlangen häufig berufliche Vorkenntnissen, d. h. ein Abschluss als Erzieherin mit staatlicher Anerkennung muss mitgebracht werden, außerdem die allgemeine, fachgebundene oder Fachhochschulreife. Daneben wird aber auch Abitur oder Fachabi, lediglich kombiniert mit einem Vorpraktikum in einer Kita bei Bewerberinnen und Bewerbern akzeptiert. Erzieherinnen ohne Fachhochschulreife müssen hochschulinterne Zugangsprüfungen bestehen. Am Elisabethenstift in Darmstadt etwa hat man die Fachschulausbildung kurzerhand um ein Studienangebot ergänzt. In diesem Verbundstudiengang kann der BA-Abschluss damit direkt im Anschluss an die „klassische Erzieherausbildung“ mit staatlicher Anerkennung erworben werden. Übereinstimmung Inhaltlich gibt es bei den angebotenen Studiengängen bundesweit Übereinstimmung über grundlegende Studienziele, Arbeitsfelder und den Erwerb von Kompe- Eine akademische Ausbildung verschafft Frühpädagoginnen einen qualitativ besseren Start in den Beruf. FRÜHKINDLICHE BILDUNG usgebildet Nicht nur klassisch Typische Studieninhalte sind zum einen der Erwerb von Kompetenzen für Leitungsaufgaben, zum anderen Didaktik und Methodik sowie wissenschaftliche Arbeitsweisen, ferner Bildungsthemen und -bereiche. Auch Hirnforschung, Pädagogik und Lernpsychologie sind wichtige Themen in der akademischen Ausbildung. Zu den Studienbereichen kirchlicher Fachhochschulen zählt zudem der religionspädagogische und -didaktische Kompetenzerwerb. Lernen, mit Heterogenität umzugehen, oftmals auch unter dem Obergriff „Inklusion“ zusammengefasst, steht ebenso auf der Agenda der Hochschul-Lehrpläne. Bei ihren Bildungsangeboten achten die Hochschulen nicht nur auf das klassische künftige Arbeitsfeld der Erzieherinnen in Kitas. Sie haben auch Familienzentren und -bildungsstätten als künftige Tätigkeitsbereiche im Blick sowie Wohl- fahrtsverbände (z. B. Fachberatung, Fortbildung, Projektentwicklung), Kinderrechtsorganisationen, politische Ämter oder auch Tagesmüttervermittlung. An einigen Hochschulen wie der Uni in Halle-Wittenberg bieten sich künftigen BA-Absolventen sogar Perspektiven für Master-Studiengänge, die den Weg für eine Dissertation eröffnen. Dass seit dem Sommersemester 2007 teilweise hohe Studiengebühren von 500 Euro plus Verwaltungs- und Semesterbeiträge die Studiermöglichkeiten erheblich einschränken, ist bei den geringen Erzieherinnengehältern besonders skandalös. Aber man darf sich trotzdem auf eine neue Generation akademisch ausgebildeter „Kindheitswirtinnen“ freuen, die eine qualitativ andere Startposition als in der Vergangenheit für den Beruf mitbringen. Tessa C. Hermann, Dipl.-Sozialpädagogin Nähere Informationen im Internet unter: http://www.gew.de/Erzieherinnenausbildung_ an_die_Hochschule.html Foto: Manfred Vollmer tenzen für Bildung und Erziehung von Kindern im Alter bis zu zwölf bzw. 14 Jahren. 9/2007 Erziehung und Wissenschaft 15 Fotos: Manfred Vollmer „Die Kinder lernen: Ist es spannend, die Welt zu entdecken? Werde ich dabei unterstützt? Wenn diese Fragen mit Nein beantwortet werden, hat das lebenslange Folgen.“ Entdeckungsreisen professionell begleiten E&W-Interview mit Prof. Gerwald Wallnöver Foto: Uni Bozen Seit zehn Jahren gibt es an der Freien Universität Bozen, Norditalien, einen deutschsprachigen Studiengang für Erzieher und Grundschullehrkräfte. E&W sprach mit Prof. Gerwald Wallnöfer, der hier „Expertinnen für Frühpädagogik“ ausbildet. Wallnöfer ist ein engagierter Verfechter der akademischen Ausbildung für den Erzieherberuf. Gerwald Wallnöfer ist Dekan und Professor für Allgemeine Pädagogik an der Freien Universität Bozen, Italien. 16 E&W: Etwa 25000 Erzieherinnen und Erzieher verlassen in jedem Jahr die deutschen Fachschulen. Sind sie ausreichend ausgebildet? Gerwald Wallnöfer: Im Detail kann ich darüber aus der Ferne kein Urteil fällen. Fest steht aber, dass das deutsche Modell im internationalen Vergleich nahezu allein dasteht: In fast allen vergleichbaren Ländern werden Expertinnen für Frühpädagogik – und das müssen Erzieher sein! – an der Hochschule ausgebildet. Dort bekommen die Studierenden nicht nur eine qualitativ hochwertige Ausbildung. Sie werden auch ohne Abitur nicht zugelassen. E&W: Hunderttausende Realschüler sollen keine guten Erzieher werden können? Wallnöfer: Warum wird bei Lehrern das Abitur vorausgesetzt? Man geht davon aus, dass es die Voraussetzung ist, ihrer Aufgabe auch intellektuell gerecht zu werden. Ebenso in der Frühpädagogik: Emotionale Kompetenz reicht nicht aus, um dem Erziehungs- und Bildungsauftrag gerecht zu werden. Natürlich braucht eine Erzieherin Einfühlungsvermögen – aber zu glauben, das stünde im Gegensatz zum Verstand, ist ein Trugschluss. Wer seine Gefühle in die Arbeit einfließen lässt, muss diese auch in ho- Erziehung und Wissenschaft 9/2007 hem Maße reflektieren können. Auch die Annahme, für die Bildung der Jüngsten reiche ein kleines Wissen aus, ist völlig falsch. Erzieher müssen Kinder auf ihren Entdeckungsreisen in der Welt professionell begleiten können. In diesen ersten Lebensjahren wird der Grundstein für die Lernbiografie gelegt. Die Kinder lernen: Ist es spannend, die Welt zu entdecken? Werde ich dabei unterstützt? Wenn diese Fragen mit Nein beantwortet werden, hat das lebenslange Folgen. E&W: Die Universität Bozen bildet Erzieher nicht nur akademisch, sondern auch gemeinsam mit Grundschullehrerinnen aus. Warum? Wallnöfer: Das ist inzwischen in ganz Italien so. Aber wir haben als erste Hochschule die Erkenntnis umgesetzt, dass Erzieherinnen und Grundschullehrer einer ähnlichen Arbeit nachgehen und die Phase zwischen Frühpädagogik und Schulanfang für die Kinder einen einschneidenden Übergang darstellt. Die Berufsgruppen sollten darum voneinander wissen, wie sie arbeiten. E&W: Wie sieht das Modell in der Praxis aus? Wallnöfer: Die Studierenden bekommen vier Semester eine gemeinsame wissenschaftliche Basis vermittelt. Danach spezialisieren sie sich auf die Arbeit mit Kindern unter sechs Jahren oder mit Grundschülern. Auch im Hauptstudium bleibt hohe Durchlässigkeit garantiert. Das gilt für den Wechsel zwischen den Studiengängen, aber auch für den Weg in die Wissenschaft. Uns ist ganz wichtig, dass Frühpädagogen auch Professuren anstreben können. E&W: Hatten Sie bei der Einführung mit Widerständen zu kämpfen? Wallnöfer: Ja. Natürlich fragten viele Menschen, warum ein Beruf, der jahr- hundertelang nebenbei vermittelt wurde, plötzlich eine so aufwändige Ausbildung benötigen soll. Auch viele Erzieherinnen wollten wissen, ob sie bisher alles falsch gemacht hätten. Heute fordert niemand mehr eine kürzere Ausbildung. Stattdessen erreichen uns ständig neue Anfragen nach weiteren Qualifikationen, die in vier Studienjahren noch immer kaum Platz finden. Für die Integration von Kindern mit und ohne Behinderung und für die Vermittlung von Sprachkompetenzen sowie im Musikbereich bieten wir inzwischen Zusatzqualifikationen an. E &W: Und das Personal, das noch nicht in den Genuss der novellierten Ausbildung kam? Gab es Verdrängungsprozesse? Wallnöfer: Nein. Aber es hat sich eine enorme Fortbildungsbereitschaft entwickelt. Viele erfahrene Kräfte haben die Herausforderung begriffen und gesagt: Ich will auch noch etwas lernen. Die berufsbegleitende Fortbildung, die wir anbieten, führt zum selben Abschluss und akademischen Grad wie das Studium. E &W: Bekommen die Akademikerinnen mehr Geld? Wallnöfer: Ihre Einstufung hat sich verbessert – aber nicht über Gebühr. Berufsanfänger verdienen in keinem Fall mehr als langjährig Berufserfahrene. Das ist auch nicht wünschenswert. Wir bilden keine überheblichen Studierenden aus, die später als hoch bezahlte Kräfte mit Akzeptanzproblemen in der Arbeitswelt zu kämpfen haben, sondern professionelles Personal, das gemeinsam mit allen Beteiligten gute Arbeit macht. Interview: Jeannette Goddar, freie Journalistin FRÜHKINDLICHE BILDUNG Angebot für Mitglieder GEW startet neues Seminarprogramm Die GEW will ihren Mitgliedern künftig nicht nur mehr Fortbildungen anbieten, sondern auch inhaltlich besser werden. D iesem Ziel dienen zwei im Dezember beginnende elftägige Multiplikatorenfortbildungen zu den Themen „Beobachtung und Dokumentation von Bildungsprozessen in Kindertagesstätten“ und „Inklusion“. Die GEW hat in der Weiterentwicklung des Konzeptes der „Bildungs- und Lerngeschichten“ eine Methode entwickelt, mit der Bildungsprozesse von Kindern in Tageseinrichtungen beobachtet und dokumentiert werden können. Wichtig dabei ist die dialogische Reflexion mit den Kindern. Während andere Verfahren sehr stark auf die Beobachtung der Kinder durch die Erzieherin setzen, will das „Bildungsbuch“ Kinder systematisch in die Entstehung ihres Portfolios einbeziehen. Das Konzept hat seit seiner Veröffentlichung in dem Buch „Bildung sichtbar machen“ (verlag das netz) große Resonanz gefunden. Bei dem Thema Inklusion handelt es sich um ein relativ neues pädagogisches und bildungspolitisches Modell. Inklusion ist die konsequente Weiterführung von Integration. Während der Begriff „Integration“ das Hineinnehmen eines Kindes in ein existierendes System versteht, ohne dieses substanziell zu verändern, geht Inklusion von einem anderen Konzept aus: Die Realisierung des Rechts aller Kinder auf gemeinsame Bildung und Erziehung kann nur in einem umfassenden Reformprozess erfolgen. Schulen wie Kindertagesstätten müssen daher personell und räumlich so gut ausgestattet werden, dass kein Grund besteht, Kinder auszusondern. Alle – Kinder, Jugendliche, Pädagogen, Eltern, Verwaltung, Politik – tragen dazu bei, dass Inklusion gelingt. Dies erfordert aber auch von den Erziehungsprofis, Fragen der eigenen, persönlichen Haltung bezogen auf Vorurteile und Ausgrenzung immer wieder zu thematisieren. Der Begriff Inklusion kann zudem der Klärung eines unscharf geworden Integrationskonzepts dienen. Mit dem „Index for Inclusion“ hat das englische Centre for Studies on Inclusive Education (CSIE) eine Arbeitshilfe herausgegeben, die Bildungseinrichtungen in die Lage versetzt, Schritt für Schritt das Prinzip der Inklusion zu verwirklichen. Die GEW hat den „Index“ auf Deutsch veröffentlicht. Eine zweite Auflage erscheint im September 2007. be Nähere Informationen zu den Seminarangeboten und zu den Teilnahmebedingungen gibt es beim GEW-Hauptvorstand: [email protected], Tel.: 069/78973-329. Anzeige 9/2007 Erziehung und Wissenschaft 17 FRÜHKINDLICHE BILDUNG Foto: Manfred Vollmer Merseburger Studie: Psychische Anforderungen belasten Erzieherinnen in erster Linie. Viel zu tun, wenig anerkannt Gesundheitsstudie zur Arbeitsbelastung im Kita-Bereich Erzieherinnen sind vorrangig durch psychische Belastungen ihres Arbeitsalltags beeinträchtigt. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie Merseburger Arbeitswissenschaftler. Literatur Rudow, Bernd (2004): Das gesunde Unternehmen. Gesundheitsmanagement, Arbeitsschutz und Personalpflege in Organisationen. München: Oldenbourg. Rudow, Bernd (2007): Arbeitsschutz, Belastungen und Belastungsbewältigung bei Erzieherinnen (ABBE-Projekt im Auftrag der GEW BadenWürttemberg, des Bundesverbands der Betriebskrankenkassen und der Hans-BöcklerStiftung). Projektbericht (170 Seiten). 18 B ei Befragungen von insgesamt 1023 Erzieherinnen im Bundesland BadenWürttemberg sind folgende Belastungsfaktoren ermittelt worden: ● Fast alle Befragten waren überzeugt, dass sie zu viele unterschiedliche Arbeitsaufgaben bewältigen müssen. ● 77 Prozent gaben an, dass die Gruppengröße zu hoch ist. Aufgrund der großen Anzahl der zu Betreuenden sei eine wirksame Arbeit mit dem einzelnen Kind kaum möglich. ● Ein Viertel der Pädagoginnen war der Meinung, dass keine oder nur eine unzureichende leistungsangemessene Anerkennung und Kritik durch die KitaLeitung stattfindet. ● Knapp die Hälfte schätzte ein, dass sich der Träger zu wenig für die KitaEntwicklung engagiere. In diesem Kontext stellt der Personalmangel eine stärkere Belastung dar. ● Über 50 Prozent stuften den Lärm als einen äußerst belastenden Faktor ein. Mehr als die Hälfte der Befragten mein- Erziehung und Wissenschaft 9/2007 te, dass Kleingruppen- und Rückzugsräume für Erzieherinnen fehlten. ● Durch ungünstige und anstrengende Körperhaltungen beim Spielen und Basteln mit den Kindern fühlten sich 82 Prozent sehr beeinträchtigt. ● Über eine hohe Beanspruchung der Stimme klagten Dreiviertel der Beschäftigten. Gefährdungsbeurteilung Aufgrund dieser nachweislich hohen Arbeitsbelastungen im Kita-Bereich haben die Wissenschaftler einen Leitfaden zur Gefährdungsbeurteilung entwickelt. Eine umfassende Gefährdungsbeurteilung ist die Voraussetzung für gezielte Arbeitsschutzmaßnahmen. Der Leitfaden weist folgende Methoden auf: ● Prüfliste zu Belastungen, ● Checklisten zum Ermüdungs- und zum Stresserleben, ● Checkliste zum Wohlbefinden, ● Checkliste zu Ressourcen der Gesundheit. Da die Experten von einem liberalen Konzept des Arbeitschutzes ausgehen, sind neben psychischen Belastungen, negativen Beanspruchungsreaktionen auch Wohlbefinden und Gesundheitsressourcen als Prüffaktoren berücksichtigt worden. Prof. Dr. Bernd Rudow, Hochschullehrer für Arbeitswissenschaften an der Hochschule Merseburg (FH) Belastungs-Bewältigungs-Training Prävention ist das A und O für einen wirksamen Arbeits- und Gesundheitsschutz bei Erzieherinnen. Eine wichtige Methode ist das so genannte Belastungs-Bewältigungs-Training für Erzieherinnen (BBT-E), das von den Merseburger Forschern entwickelt, angewandt und evaluiert worden ist. Dabei geht es vor allem um den effektiven Umgang mit psychischen Belastungen, die durch die Arbeit auftreten können, und Stress, Angst, Ermüdung, Burnout hervorrufen. Das Belastungs-Bewältigungs-Training hat folgende Module: Einführung in die Belastungs- und Gesundheitssituation bei Erzieherinnen, progressive Muskelrelaxation, Erkennen persönlicher Belastungen und Stressreaktionen, Bewältigung von Stresssituationen, Reflexion arbeitsbezogener Einstellungen, systematisches Problemlösen sowie Zeitmanagement und Belastungsausgleich in der Freizeit (Work-Life-Balance). TARIFPOLITIK Foto: Alexander Paul Englert Tarifrunde: Für den Bereich der Lehrkräfte übernimmt die GEW die Verhandlungsführung. Mehr Lohn für Beschäftigte GEW, GdP und ver.di gemeinsam für eine erfolgreiche Tarifrunde 2008 GEW, ver.di und die Gewerkschaft der Polizei (GdP) haben ihre enge Zusammenarbeit in der 2008 anstehenden Tarifrunde für den öffentlichen Dienst in Bund und Kommunen in einer gemeinsamen Erklärung bekräftigt. Wir Vorsitzende, Frank Bsirske (ver.di), Konrad Freiberg (GdP) und Ulrich Thöne (GEW), sind uns einig: Wir fordern nachhaltige lineare Lohnsteigerungen für den öffentlichen Dienst. Dabei sollen die Abschlüsse in den großen Branchen als Orientierungspunkte gelten. Zur Durchsetzung der Forderungen schließen wir Streiks nicht aus. D ie Arbeitskämpfe 2006 bei den Kommunen und insbesondere den Ländern haben gezeigt, dass die große Einigkeit unter den Gewerkschaften den Beschäftigten im öffentlichen Dienst am meisten nutzt (E&W berichtete). Deshalb haben wir vereinbart, dass GEW, ver.di und GdP wie in der Vergangenheit als Tarifgemeinschaft zusammenarbeiten. Die Tarifführerschaft liegt bei ver.di, GEW und GdP sind an den 20 Erziehung und Wissenschaft 9/2007 Verhandlungs- und Sondierungskommissionen angemessen beteiligt. Für den Lehrkräftebereich auf Länderebene hat die GEW – wie bereits im vergangenen Jahr – die Verhandlungsführung. Die Ländertarifrunde beginnt 2009. Sollten 2008 Regelungen für Lehrerinnen und Lehrer in Kommunen oder an Bundeswehrschulen getroffen werden, ist auch hier die GEW Verhandlungsführerin. In den nächsten Wochen startet die GEW ihre Tarifrunden-Kampagne „Bil- dung ist Mehrwert“. E &W wird in der nächsten Ausgabe ausführlich über die kommende Tarifrunde und die Kampagne informieren. Irritationen Ende Juli war es in der Öffentlichkeit zu Irritationen gekommen, weil mehrere Medien gemeldet hatten, dass ver.di, der Deutsche Beamtenbund (dbb) und mit ihm die Tarifunion des dbb gemeinsam in die Tarifauseinandersetzungen 2008 gehen. Korrekt ist, dass ver.di und dbb nicht mehr wie in der Vergangenheit miteinander konkurrieren werden, d. h. DGB-Gewerkschaften und Beamtenbund werden gegenüber den Arbeitgebern geschlossen auftreten. In diesem Sinne haben ver.di und dbb auch gemeinsam ihre Initiative öffentlicher Dienst www.genuggespart.de gestartet. Ulrich Thöne, Vorsitzender der GEW Tarifverträge Bund, Länder und Kommunen Gute Arbeit – gutes Geld TVöD-Serie: Die neue Entgeltordnung – Konsequenzen für Erzieherinnen Erzieherinnen und Erzieher leisten eine pädagogisch notwendige und sehr wichtige Bildungsarbeit (siehe E&WSchwerpunkt). Das wird zunehmend auch gesellschaftlich anerkannt. Nur mit der entsprechenden Bezahlung hapert es immer noch. Besteht eine Chance, dies im neuen Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) zu ändern? Die nächste Tarifrunde steht an. Die GEW wird alles versuchen, um in den Verhandlungen mit den Arbeitgebern mehr Geld für die schlecht bezahlte Berufsgruppe zu erreichen. R ückblick: Am 1. Oktober 2005 löste der TVöD, der für Beschäftigte beim Bund und in den Kommunen gilt, den Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) ab. Am 1. November konnte auch für die Länder – außer Berlin und Hessen – der Tarifvertrag der Länder (TV-L) abgeschlossen werden. Neben Mantel und Entgelttabellen ist jeweils ein Überleitungsvertrag vereinbart worden. Bis zum Abschluss der neuen Entgeltordnung gilt danach weiterhin die Eingruppierungsregelung des BAT. Entsprechend werden die Beschäftigten, auch die Neueingestellten, einer bestimmten Bessere Bezahlung auch für Lehrer Ebenso wie für Erzieher gilt für angestellte Lehrkräfte: Auch für diese Berufsgruppe muss – gemessen an den gestiegenen Bildungs- und Leistungserwartungen an ihre Arbeit – in der Tarifrunde 2008 ein gerechteres Vergütungssystem entwickelt werden. Aus den Verhandlungen um die Werte in der Entgelttabelle ist hinlänglich bekannt, dass sich TVöD-Regelungen auch im TV-L auswirken. Hier besteht dringender Korrekturbedarf: Die langen Ausbildungszeiten von Lehrerinnen und Lehrern sind nicht ausreichend in der Stufenzuordnung berücksichtigt. 22 Erziehung und Wissenschaft 9/2007 Entgeltgruppe zugeordnet. Die Verhandlungen zur neuen Entgeltordnung sollten am 31. Dezember 2006 abgeschlossen sein. Fakt ist: Bis September 2007 haben sie noch nicht einmal begonnen. Verantwortlich dafür sind die kommunalen Arbeitgeber. Sie sahen aufgrund der mit den Ländern getroffenen Regelungen zur wöchentlichen Arbeitszeit die Meistbegünstigungsklausel berührt. Deshalb haben sie beim Arbeitsgericht Berlin geklagt. Verhandlungen, egal zu welchem Punkt, lehnen die Arbeitgeber seitdem ab. Am 1. Oktober 2007 wird aus dieser Ablehnung ein gravierendes Problem: Erst durch die neue Entgeltordnung können die den früheren Aufstiegsregelungen im BAT entsprechenden Vergütungshöhen von den Beschäftigten erreicht werden. Wird dies nicht geregelt, kommt es z. B. für die Berufsgruppe der Erzieherinnen und Erzieher zu dramatischen Einkommensverlusten, da alle seit dem 1. Oktober 2005 Neueingestellten der Entgeltgruppe 6 zugeordnet sind. In dieser werden sie dauerhaft verbleiben, wenn es keine neue Entgeltordnung gibt (siehe S. 11). Derzeit müssen die Gewerkschaften davon ausgehen, dass die Verhandlungen in diesem Jahr nicht mehr abgeschlossen werden können. Drohende Verluste verhindern Die starre Haltung der Arbeitgeber zwingt die Gewerkschaften, Übergangsregelungen durchzusetzen, um drohende Einkommensverluste zu verhindern. Dazu müssten die alten BAT-Aufstiege wieder in Kraft gesetzt werden. Ansonsten verkommt das neue Tarifwerk zu einem Riesenbetrug der Arbeitgeber an den Beschäftigten. Um eine gerechte, diskriminierungsfreie und transparente Entgeltordnung zu erstreiten, brauchen die Gewerkschaften viel Durchsetzungsstärke: Übergangslösungen werden vermutlich nicht ohne Streik vereinbart werden können. Dabei dürfen die Gewerkschaften das eigentliche Ziel nicht aus den Augen verlieren: die neue Entgeltord- nung, sonst bleibt der TVöD ein Rahmen ohne Bild. GEW-Forderungen Nach intensiver Diskussion in der Mitgliedschaft hat die GEW ihre Forderungen für eine Entgeltordnung entwickelt. Sie zielen primär auf die Anforderungen in der Tätigkeit sowie zusätzlich auf die Qualifikation der Erzieherinnen. Die Bildungsgewerkschaft schlägt vier Stufen für die Eingruppierung vor: ● Entgeltgruppe 5: Tätigkeiten, die eine dreijährige Berufsausbildung erfordern. ● Entgeltgruppe 8: Tätigkeiten, die auf einer Fachschulausbildung basieren. ● Entgeltgruppe 9: Tätigkeiten, die eine Fachhochschulausbildung voraussetzen. ● Entgeltgruppe 13: Tätigkeiten, die ein Hochschulstudium verlangen. Mit dieser Stufenzuordnung im TVöD wäre gewährleistet, dass Erzieherinnen und Erzieher mit Fachschulausbildung in Entgeltgruppe 8 eingeordnet werden. Da damit die alte Einkommenshöhe im BAT aber noch nicht erlangt wäre, fordert die GEW darüber hinaus die Anrechnung von so genannten Heraushebungsmerkmalen; gemeint sind Kompetenzen, die die Berufstätigkeit in besonderem Maße prägen (siehe Seite 11). Da die gesellschaftlichen Ansprüche an die Qualität pädagogischer Arbeit im Elementarbereich kontinuierlich gestiegen sind, ist es gerechtfertigt, Erzieherinnen mit Absolventen von Fachhochschulen gleichzustellen und sie nach Entgeltgruppe 9 zu bezahlen. Nur so wird das von Anfang an von den Arbeitgebern propagierte Ziel des „Erhalts der Wertebenen“ erreicht. Blick in die Zukunft Damit die GEW ihre tarifpolitischen Ziele realisieren kann, müssen auch die Mitglieder hinter den gewerkschaftlichen Forderungen stehen und bereit sein, sich aktiv für die Ziele einzusetzen. Ilse Schaad, Leiterin des Arbeitsbereichs Angestellten- und Beamtenpolitik Werbung ist tragbar... ...für jedes neu geworbene GEW-Mitglied gibt es die Kulturtasche. Prämie des Monats: September Gilt nicht für die Landesverbände Bayern und Sachsen Eine rote GEW-Kulturtasche aus LKW-Plane Bitte in Druckschrift ausfüllen. Antrag auf Mitgliedschaft Beschäftigungsverhältnis Vorname/Name Telefon Straße/Nr. E-Mail Land/PLZ/Ort Berufsbezeichnung /-ziel Geburtsdatum/Nationalität Name/Ort der Bank E+W-Prämie des Monats September 2007/Kulturtasche Bisher gewerkschaftlich organisiert bei # Ihre Daten sind entsprechend den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes geschützt. von bis (Monat / Jahr) Jedes Mitglied der GEW ist verpflichtet, den satzungsgemäßen Beitrag zu entrichten und seine Zahlungen daraufhin regelmäßig zu überprüfen. Mit meiner Unterschrift auf diesem Antrag erkenne ich die Satzung der GEW an und ermächtige die GEW zugleich widerruflich, den von mir zu leistenden Mitgliedsbeitrag vierteljährlich von meinem Konto abzubuchen. Ort/Datum Unterschrift Fax beschäftigt seit Kontonummer Besoldungs-/Entgeltgruppe Fachgruppe BLZ gültig seit Bruttoeinkommen € monatlich Stufe Betrieb /Dienststelle Träger Straße/Nr. des Betriebes/der Dienststelle PLZ/Ort Daten des Werbers Ich habe die oben stehende Person als neues GEW-Mitglied geworben. Vorname/Name GEW-Landesverband Straße/Nr. Telefon PLZ/Ort E-Mail Fax angestellt beamtet Honorarkraft in Rente pensioniert Altersübergangsgeld arbeitslos beurlaubt ohne Bezüge teilzeitbeschäftigt mit Std. / Woche im Studium ABM Vorbereitungsdienst / Berufspraktikum befristet bis Sonstiges Bitte den Antrag vollständig ausfüllen und an folgende Adresse senden: Gewerkschaft Erziehung undWissenschaft Brigitte Stamm Reifenberger Straße 21 60489 Frankfurt a. M. Fax: 069/78973-102 Vielen Dank! Ihre GEW Unterschiedliche Signale Zweiter Integrationsgipfel in Berlin Auf dem zweiten Integrationsgipfel in Berlin im Juli haben Bund, Länder und Kommunen, gesellschaftliche Gruppen und Migrantenverbände Deutschlands den ersten „nationalen“ Integrationsplan erarbeitet. Dabei hatte der Streit über die Verschärfung des Zuwanderungsrechts bereits vor dem Gipfel zu heftigen Turbulenzen geführt. Ob die Gipfelergebnisse nun ein „Meilenstein der Geschichte der Integrationspolitik der Bundesrepublik“ sind, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) es formuliert hat, muss die Praxis zeigen. Bestehen bleibt der Widerspruch, dass zwar vom Integrationsplan Positives ausgeht, das Zuwanderungsgesetz jedoch ein eindeutig negatives Signal für die Migranten setzt. D as Gute zuerst: Allein, dass es zum zweiten Integrationsgipfel kam, ist ein Erfolg. Ungeachtet des Boykotts durch vier türkische Verbände wurde ein Mammutkatalog mit 400 Selbstverpflichtungen verabschiedet. Sprachförderung, frühkindliche Bildung und bessere Ausbildung für junge Menschen aus Einwandererfamilien sowie eine Aufstockung der Integrationskurse von 600 auf 900 Stunden sind u. a. geplant. 750 Millionen Euro will der Bund dafür bereitstellen. Im Herbst 2008 soll überprüft werden, was aus diesen Selbstverpflichtungen geworden ist. So jedenfalls verspricht es Kanzlerin Angela Merkel. Jahrzehntelang weigerten sich viele in der Politik, Einwanderung überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Die Konservativen bewegen sich inzwischen. Im Entwurf für das neue Grundsatzprogramm der CDU ist ausdrücklich die Rede von einem „Integrationsland 24 Erziehung und Wissenschaft 9/2007 Deutschland“, das auf Zuwanderung angewiesen ist – ein positives Signal für die mittlerweile rund 15 Millionen zwischen Rhein und Oder lebenden Menschen, deren kulturelle Wurzeln außerhalb der Bundesrepublik liegen. Doch das Fundament, auf dem diese Erkenntnis der Unionspolitiker ruht, ist recht dünn. Zuwandern sollen nämlich die „gut ausgebildeten, leistungsbereiten und integrationswilligen Menschen“, und wenige Zeilen weiter heißt es im CDU-Programmentwurf: „Ein unverbundenes Nebeneinander und die Bildung von Parallelgesellschaften lehnen wir ab.“ Im nationalen Integrationsplan findet sich zwar nicht der Vorwurf, Einwanderer würden sich in Parallelgesellschaften der Eingliederung in die Mehrheitsgesellschaft verweigern und die Forderung, Migranten müssten in Vorleistung treten, um ein Heimatrecht in Deutschland zu erhalten. Gleichwohl dient eine solche Argumentation konservativen Kreisen nach wie vor als Rettungsanker für das Festhalten überkommener Haltungen gegenüber Einwanderern. Auf Migranten zugehen Interessanterweise war es ein CDUMann, der vielen in der eigenen Partei den Spiegel vorhielt. In einem Radiointerview forderte der Vorsitzende des deutsch-türkischen Forums in der CDU, Bülent Arslan, nach dem Integrationsgipfel seine deutschstämmigen Kollegen auf, die Existenz von Parallelgesellschaften hinzunehmen. Solche Viertel würden auch trotz eines nationalen Integrationsplans noch lange bestehen bleiben. Wichtig sei, so Arslan, dass deutsche Politiker einen Schritt auf jene Menschen zugehen, die in diesen Vierteln leben. Politiker müssten sich zum Beispiel viel häufiger in türkischsprachigen Medien äußern und dort auch die Leistung der in Deutschland lebenden Migranten würdigen. Der deutsche Politiker mit türkischen Wurzeln sprach damit aus, was die Integrationsforschung schon vor fast 20 Jahren festgestellt hat: Die so genannten Ghettos, die heute als Parallelgesellschaften bezeichnet werden, sind für die Einwanderer der ersten, manchmal auch der zweiten Generation, die Stützpunkte, von denen aus der Aufbruch in die Mehrheitsgesellschaft unternommen werden kann. Ein Stück Heimat in der Fremde. Dieser Aufbruch aus der Einwandererkolonie ist für Migranten wie für die Mehrheitsgesellschaft konfliktreich. Und dass Integration im Einzelfall auch scheitern kann, gehört zu einer konfliktreichen Beziehung dazu. Folgen in der Bildung Den Migranten müssen von der Gesellschaft mehr Angebote zur Integration unterbreitet werden. Das gilt vor allem für die Bildung: Nur acht Prozent der Studierenden in Deutschland haben laut der jüngsten Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) einen Migrationshintergrund. Dagegen ist der Anteil jugendlicher Migranten in gering qualifizierten und schlecht entlohnten Tätigkeiten besonders hoch. Damit aber nimmt auch das Risiko der sozialen Isolation zu, wie eine Studie der Universität Bremen jüngst bestätigt hat. Gerade junge Menschen aus Einwandererfamilien registrieren ganz genau, welche Signale in ihre Richtung gesendet werden. Im neuen Zuwanderungsgesetz wird sogar gut qualifizierten Einwanderungswilligen der Zuzug nach Deutschland dadurch erschwert, dass sie ein Gehalt vorweisen müssen, das dreimal so hoch liegt wie das eines hiesigen Durchschnittsverdieners. Auch das ist ein negatives Signal an den Integrationswillen der bereits hier lebenden Migranten. Jürgen Amendt, Redakteur „Neues Deutschland“ Fotos: imago Migranten muss die Gesellschaft mehr Angebote zur Integration unterbreiten. Das gilt vor allem für die Bildung. BILDUNGSPOLITIK Unermüdlicher Reformer Fotos: Ernst Herb Wolfgang Klafki zum 80sten Geburtstag Am 1. September ist Wolfgang Klafki 80 Jahre alt geworden. Am 5. Oktober werden sich seine Freunde und Kollegen sowie viele seiner akademischen Schülerinnen und Schüler in Marburg zu einem Festakt versammeln, um nicht nur einen der bedeutendsten deutschen Erziehungswissenschaftler, sondern auch einen unermüdlichen Bildungsreformer zu ehren. W olfgang Klafki hat in mehr als 40 Berufsjahren die Theoriediskussion in Didaktik und Bildungstheorie entscheidend bestimmt, hat erfolgreich beim Ausbau der Erziehungswissenschaft mitgewirkt, und er war immer wieder als wissenschaftlicher Politikberater aktiv. Im Bereich der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung hat er eine unglaubliche Leistung vollbracht: Etwa 80 junge Menschen haben unter seiner Anleitung erfolgreich promoviert. Als ich 1966 mein Lehrerstudium begann, war Wolfgang Klafki bereits einer der führenden erziehungswissenschaftlichen Akteure. Seine „Theorie der kategorialen Bildung“ und seine „Studien zur Bildungstheorie und Didaktik“ wurden in den Seminaren viel gelesen und heftig diskutiert. Seine frühen Schriften zur Gesamtschule, sein Engagement in der hessischen Curriculum-Reform (1968 bis 1971), sein Einsatz für die Handlungsforschung im Rahmen des „Marburger Grundschulprojekts“ (1971 bis 1979) haben auch der damals kritischen Studentenschaft deutlich gemacht, dass sie es mit einem Mitstreiter für eine konsequente Bildungsreform zu tun hat. Dies war nun keineswegs selbstverständlich bei einem Pädagogikprofessor, der die „klassische“ geisteswissenschaftliche Karriere gemacht hatte: Nach Lehrerausbildung und Volksschullehrer-Tätigkeit (1948 bis 1952) hat er ein Studium der Pädagogik, Philosophie und Germanistik in Göttingen vor allem bei Helmuth Plessner, Theodor Litt und Erich Weniger absolviert, 1957 dort promoviert und 1963 einen Ruf auf einen Lehrstuhl nach Marburg angenommen. Dort ist Wolfgang Klafki trotz der Abwerbeversuche anderer Universitäten bis zu seiner Emeritierung geblieben, dort arbeitet er bis heute. der von ihm aufgebauten Kommission „Schulpädagogik und Didaktik“ der DGfE. Enger zusammenarbeiten durfte ich mit ihm seit 1992 im Rahmen der Bielefelder Laborschule – er als langjähriger Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats, ich als Wissenschaftlicher Leiter der Schule. Mehr als 15 Jahre hat sich Wolfgang Klafki für dieses einmalige Schulexperiment engagiert. In dieser Zeit hat mich besonders seine Fähigkeit beeindruckt, auf die Sichtweisen, die Interessen, die Arbeitsformen der forschenden Laborschullehrerinnen und -lehrer einzugehen, sie in ihrer Arbeit ernst zu nehmen und zu ermuntern, ihnen aber zugleich kritische Anmerkungen zu ihren Projekten nicht zu ersparen. Nach seinem 75. Geburtstag hat sich Wolfgang Klafki aus vielen Verpflichtungen zurückgezogen, so auch aus dem Wissenschaftlichen Beirat der Laborschule: Irgendwann muss ja die nachberufliche Phase beginnen. Wenn sich nun am 5. Oktober alle treffen, die in den vielen Jahren mit Wolfgang Klafki zusammenarbeiten durften, so werden sie nicht nur dem Jubilar gratulieren. Vielmehr werden sie sich auch mit einem Thema auseinandersetzen, das Wolfgang Klafki sein ganzes Berufsleben umgetrieben hat: mit der Relevanz der Erziehungswissenschaft für bildungspolitische Entscheidungen. Klaus-Jürgen Tillmann, Professor für Schulpädagogik an der Universität Bielefeld, Wissenschaftlicher Leiter der Laborschule Zwei große Pädagogen: Wolfgang Klafki (links) neben ihm Hartmut von Hentig Buchtipp Wege pädagogischen Denkens Aus Anlass des 80. Geburtstages des herausragenden Wissenschaftlers Wolfgang Klafki hat der Ernst Reinhardt Verlag in München – gefördert von der Max-Traeger-Stiftung der GEW – den Band „Wege pädagogischen Denkens“ herausgebracht. In einem autobiografischen und erziehungswissenschaftlichen Dialog zwischen Wolfgang Klafki und seinem Schüler Karl-Heinz Braun stellt Klafki wesentliche Etappen seiner pädagogischen und wissenschaftlichen Entwicklung vor. Wolfgang Klafki, Karl-Heinz Braun: Wege pädagogischen Denkens. Ein autobiografischer und erziehungswissenschaftlicher Dialog, Ernst Reinhardt Verlag 2007, 220 Seiten, 24,90 Euro, Bezug: EMail [email protected], Internet www.reinhardt-verlag.de Laborschule Bielefeld: Mehr als 15 Jahre hat sich Wolfgang Klafki für dieses einmalige Schulexperiment engagiert. Einsamer Rekord Persönlich erlebt habe ich Wolfgang Klafki erstmals 1974 in Salzburg auf dem (damals noch kleinen) Kongress der „Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft“ (DGfE). In dem Vorstand dieser wissenschaftlichen Gesellschaft war Wolfgang Klafki 20 Jahre tätig – ein ganz einsamer Rekord. Häufiger getroffen haben wir uns seit 1980 in 9/2007 Erziehung und Wissenschaft 25 „Bildung eröffnet Teilhabechancen. Sie befähigt den Menschen, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und etwas aus seinem Leben zu machen. Das ist der vielleicht wichtigste Beitrag zu sozialer Gerechtigkeit in unserer Welt. Und deshalb ist es so elementar, dass alle Menschen Zugang zu guter Bildung haben.“ Aus dem bemerkenswerten Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler (Mitte) zur Eröffnung des BI-Weltkongresses (links Berlins Bildungssenator Prof. Jürgen Zöllner, rechts BI-Präsident Thulas Nxesi). Foto: dpa BILDUNGSPOLITIK „Menschenrecht, nicht Marktinstrument“ 5. Weltkongress der Bildungsinternationale in Berlin Thöne im BI-Vorstand Ulrich Thöne, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), ist mit großer Mehrheit in den Vorstand der Bildungsinternationale (BI) gewählt worden. Der BIVorstand nimmt zwischen den Weltkongressen die Aufgaben eines Geschäftsführenden Vorstandes für den weltweiten Zusammenschluss von fast 400 Bildungsgewerkschaften, die 30 Millionen Mitglieder aus rund 170 Ländern vertreten, wahr. Die Delegierten bestätigten den bisherigen Präsidenten Thulas Nxesi (Südafrika) und Generalsekretär Fred van Leeuwen (Niederlande) in ihren Ämtern. 26 Der ungleiche Zugang zu Bildung, ihre Beeinflussung durch und Abhängigkeit von wirtschaftlichen Interessen standen fünf Tage im Zentrum des weltgrößten Pädagogentreffens, das Ende Juli zum ersten Mal auf europäischem Boden stattfand. Unter dem Motto „Pädagogen – gemeinsam für eine Bildung von hoher Qualität und sozialer Gerechtigkeit“ debattierten mehr als 1700 Gewerkschaftsvertreter in Berlin über Bildungsgerechtigkeit und Qualität von Bildung in aller Welt (s. auch E&W 7-8/2007). Deshalb hat der 5. Weltkongress der Bildungsinterntionale (BI) mehr öffentliche Verantwortung für Bildung gefordert. E r war einer der gefragtesten Männer in Berlins größtem Kongresshotel „Estrell“ – und als er endlich auf dem Podium Platz nahm, wurde er so deutlich, wie es die Veranstalter erhofft hatten: Auf der ganzen Welt werde Bildung „viel zu sehr unter Erziehung und Wissenschaft 9/2007 ökonomischen Gesichtspunkten verstanden“, erklärte Vernor Muñoz, der vor einem Jahr mit herber Kritik am deutschen Schulsystem republikweit Aufmerksamkeit erregt hatte. Bildung, formulierte der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte, sei nicht in erster Linie ein Mittel im Kampf gegen Arbeitslosigkeit. „Das Ziel von Bildung“, so Muñoz, „ist die Herausbildung freier Persönlichkeiten, der Erhalt und die Prägung von Menschenwürde, Chancengleichheit. Bildung ist ein Menschenrecht und kein Marktinstrument.“ Rundum missachtet Dieses Menschenrecht, das zeigte der Berichterstatter der Vereinten Nationen ebenso auf, wird rund um den Globus missachtet – und zwar nicht nur in Diktaturen der so genannten „Dritten Welt,“ sondern auch bei uns: „In den USA und in Frankreich, in Italien und in Deutschland gibt es klare Fälle von Diskriminierung.“ Benachteiligt werden nach Erkenntnissen der UN immer die gleichen sozialen Gruppen: „Weltweit haben Zugewanderte einen benachteiligten Zugang zu Bildung“, so Muñoz; wobei es manche Minderhei- ten – wie „die Unberührbaren“ in Nepal und Indien oder Schwarze in Lateinamerika – noch schlimmer träfe als andere. Die Behandlung von Sinti und Roma sei in den meisten Bildungssystemen „alarmierend“, aber auch Menschen mit Behinderungen blieben vielerorts von Bildung ausgeschlossen. Grundbildung für alle Zur Einlösung des Menschenrechts auf Bildung fordern auch die Millenniumsziele der Vereinten Nationen auf: Bis 2015 soll der Anteil der Menschen, die mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen, weltweit halbiert werden – und jedes Kind auf der Welt Zugang zu einer Grundausbildung haben. Die BI machte in Berlin vor allem deutlich, wie weit man von diesem Ziel noch entfernt ist: 140 Millionen Kinder weltweit haben keinen Zugang zu Bildung; weitere 100 Millionen wachsen bildungsfern auf, weil ihnen die Unterrichtssprache fremd ist oder es zu wenig qualifiziertes Personal gibt. Laut dem „Bildungsbarometer“ der BI fehlen zur Verwirklichung des Millenniumsziels auf der ganzen Welt außerdem sage und schreibe 18 Millionen Lehrer. UN-Ge- BILDUNGSPOLITIK Diktat des Haushalts Foto: bildschön Wer sich unter den Kongressteilnehmenden, von denen die allermeisten selbst unterrichten, umhörte, gewann den Eindruck, dass guter Bildung immer wieder das Diktat der Haushaltspläne im Weg steht: In Kenia z. B. wurde zwar das Recht auf gebührenfreien Schulbesuch für alle eingeführt – aber kein einziger Lehrer neu eingestellt. Die im Schuldienst Tätigen unterrichten Klassen mit 50 bis 100 Kindern. Im benachbarten Äthiopien wird der Fernseher eingeschaltet, wenn auf einen Lehrer zu viele Kinder kommen. In Indien arbeiten nach Angaben der Gewerkschaft inzwischen eine halbe Million nicht qualifizierte „Para-Lehrer“ an staatlichen Schulen – für 125 US-Dollar im Monat; gegenüber 250 USDollar, die ein ausgebildeter Lehrer dort als Gehalt bekommt. Besondere Sorge machte den 1700 Delegierten, deren Herkunftsliste von Albanien bis Zimbabwe reichte, die anhaltende Privatisierung. Teilnehmende eines Workshops waren sich nahezu unisono einig: Bildung als privates Gut bedrohe deren Qualität, vor allem aber die soziale Gerechtigkeit. Privatisierung sei ein „Angriff auf die Chancengleichheit der Menschen“, erklärte GEW-Vorsitzender Ulrich Thöne. Bildung in freier Trägerschaft greife aber auch in Personalrechte ein. Lehrer an Privatschulen besäßen „weniger Rechte, einen schlechteren Status und kaum Mitsprachemöglichkeiten“, konstatierte der belgische Gewerkschafter Lous van Beneden. „Das ist jedoch längst nicht das Schlimmste, was gewerkschaftlich aktiven Pädagogen widerfahren kann“, war Jin-Hwa Jung, ein südkoreanischer Lehrer, überzeugt: In Kolumbien, einem Land, das bei amnesty international (ai) ganz oben auf der Liste der Menschenrechtsverletzer steht, werden Gewerkschafter regelmäßig von Mord und Attentaten bedroht (siehe E&W 7-8/2007, Schwerpunkt). 33 Namen lang ist die Liste der allein 2006 ermordeten Lehrer und Lehrerinnen. Ein noch lebender Aktiver aus Kolumbien, Samuel Morales, sollte während des Kongresses mit dem Menschenrechtspreis der BI für sein unerschrockenes gewerkschaftliches Engagement geehrt werden. Samuel Morales konnte nicht nach Berlin kommen. Die Regierung ließ ihn nicht ausreisen. Jeannette Goddar, freie Journalistin Vernor Muñoz war wieder in Deutschland. Zum Ärger von Kultusministern und Bundesregierung lässt der umtriebige UN-Menschenrechtsinspektor nicht locker mit seiner harschen Kritik am deutschen Schulsystem. Beim Weltpädagogenkongress in Berlin mahnte der Rechtsprofessor aus Costa Rica jetzt eine inhaltliche Stellungnahme Deutschlands zu seinen Vorwürfen und Empfehlungen an. Ein Buch über das „Recht auf Bildung“* und die verschnupften deutschen Reaktionen auf den Muñoz-Besuch vor einem Jahr geben der Debatte neuen Auftrieb. *Bernd Overwien, Annedore Prengel (Hrsg.): Recht auf Bildung. Zum Besuch des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen in Deutschland, Verlag Barbara Budrich 2007, ca. 200 Seiten, 17,40 Euro, Bezug: Buchhandel Wichtiger Schritt Kommentar des GEW-Vorsitzenden zum BI-Kongress Der 5. Weltkongress der Bildungsinternationale (BI) war ein wichtiger Schritt für das weitere Zusammenwachsen und eine engere Kooperation der Bildungsgewerkschaften im Weltmaßstab. Die Delegierten bekräftigten die Notwendigkeit einer besseren Bildung für alle Menschen und die Stärkung des Pädagogenberufes. Nur Gewerkschaften, die international den Schulterschluss meistern, können Antworten auf die Herausforderungen der Globalisierung geben – und ihre LösungsvorschläUlrich Thöne ge auch durchsetzen. Die Delegierten haben sich deutlich für die Stärkung des öffentlich verantworteten und finanzierten Bildungswesen ausgesprochen. Allen Versuchen, immer größere Teile des Bildungswesens zu privatisieren, erteilten sie eine deutliche Absage. Das ist gut so. Denn Privatisierung unterwirft die Bildungssysteme der Logik der Kapitalverwertung. Sie bedroht die Qualität von Bildung und ist ein Angriff auf die Chancengleichheit. Deregulierung und Liberalisierung verschlechtern die Arbeitsbedingungen der Pädagoginnen und Pädagogen. Schulen, die auf dem Aktienmarkt feilgeboten werden, sind das Letzte, was unsere Gesellschaft braucht. Privatisierung im Bildungswesen hat viele Gesichter und beginnt meist schleichend. Das haben die Kongress-Delegierten in vielen Beispielen deutlich gemacht. Zu Recht mahnt die BI ihre Mitglieder daher zu Vorsicht und Widerstand. Die GEW wird sich künftig stärker mit Public-Private-Partnership (PPP) und anderen Formen versteckter Privatisierung im Bildungssystem beschäftigen müssen. Der BI-Weltkongress hat die Milleniumsziele der Vereinten Nationen ins Zentrum seiner Arbeit gerückt: Bis zum Jahr 2015 soll die Armut weltweit halbiert werden und jedes Kind eine Grundbildung erhalten. Derzeit haben 140.000 Millionen Kinder keine Chance zum Schulbesuch, 18 Millionen Lehrkräfte fehlen. Es ist ein Skandal, dass die reichen Industriestaaten die zugesagten Gelder noch immer nicht ausgezahlt haben. Wenn es bei diesem Schneckentempo bleibt, werden die Kinder dieser Erde erst in 200 Jahren eine gebührenfreie Grundbildung erhalten. Die deutsche Regierung ist gefordert, ihre Zusagen einzuhalten und Bildung zu einem Schwerpunkt ihrer Entwicklungszusammenarbeit zu machen. Der Kongress hat wichtige Zeichen für die Verteidigung der Menschenund Gewerkschaftsrechte gesetzt. Noch immer werden Jahr für Jahr tausende Gewerkschafter wegen ihres Engagements für eine bessere Bildung verfolgt, ins Gefängnis gesteckt oder – wie in Kolumbien – ermordet. Kolumbien ist weltweit das gefährlichste Land für Gewerkschafter und stand auch während des Kongresses im Zentrum der Kritik. Menschenrechte und der Einsatz für bedrohte Gewerkschafter sind mir ein persönliches Anliegen und werden für meine Arbeit als Vorstandsmitglied der BI höchste Priorität haben. Der BI-Kongress ist in Deutschland auf ein breites und positives Medienecho gestoßen. Der Kongress hat auch die drei deutschen Mitgliedsgewerkschaften der BI enger zusammengeführt: Die GEW, der Verband Bildung und Erziehung (VBE) sowie der Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen (BLBS) haben sich darauf verständigt, künftig noch intensiver zusammenzuarbeiten. Die Impulse der BI für mehr globale Bildungsgerechtigkeit sind für die Kooperation der Bildungsgewerkschaften und Lehrerorganisationen in Deutschland wichtig. Sie haben die deutschen BI-Mitglieder in ihrem gemeinsamen Einsatz für hohe Bildungsqualität und bessere Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten im Bildungswesen der Bundesrepublik unterstützt. Gemeinsamkeit macht stark! Dies ist die Botschaft des Weltkongresses an die nationalen Mitgliedsorganisationen. Die GEW ist zu dieser Zusammenarbeit bereit. Ulrich Thöne, Vorsitzender der GEW Foto: Manfred Brinkmann neralsekretär Ban Ki Moon appellierte in einem Grußwort an die Delegierten, sich für eine „sofortige konzertierte Aktion“ stark zu machen, um die „Grundbildung für alle“ umzusetzen. 9/2007 Erziehung und Wissenschaft 27 BILDUNGSPOLITIK Foto: David Ausserhofer Nahezu alle Bundesländer haben die gymnasiale Schulzeit auf acht Jahre verkürzt. Das Problem: Lehrpläne und Stundentafeln werden nicht ausreichend angepasst. Der Fluch der bösen Tat Konservative wollen Zahl der Unterrichtsstunden am Gymnasium kürzen Weitere Infos unter: http://www.gew.de/ Aerger_mit_dem_acht jaehrigen_Gymnasium. html Ob rot, schwarz, grün oder gelb: Politiker haben sich in diesem Sommer ganz besonders darum verdient gemacht, das mediale Sommerloch mit Bildungsthemen zu stopfen. Denn zu Kindergarten, Schule und Hochschule hat jeder eine Meinung, vom Ministerpräsidenten bis zur Kegelschwester. Und öffentliche Aufmerksamkeitsgarantie, für Politiker bekanntermaßen ja nicht ganz unwichtig, gibt’s obendrauf. Im Themenranking dabei ganz vorne: das Gymnasium. D a sollte das Abi zentralisiert – oder doch nur vergleichbar gemacht? – werden. Einen „Deutschland sucht die SuperschülerWettbewerb“ wollten einige ausrufen und wissen, wo die Gymnasialen am schlauesten sind? Als Messlatte schlugen sie die Länder-Durch- 28 Erziehung und Wissenschaft 9/2007 schnittsnoten vor, die die jungen Menschen bei ihrer Reifeprüfung erreichen. Und zu guter Letzt machten die Kultusminister der konservativ regierten Bundesländer dafür mobil, das Unterrichtspensum am achtjährigen Gymnasium zu verringern. Der erneute Aktionismus hat gute Gründe: Die überstürzte G 8Einführung hat viele Baustellen aufgerissen. Jetzt spüren die Politiker heftigen Gegenwind von Eltern, Schülern und Lehrkräften. Das nächste Plenum der Kultusministerkonferenz (KMK) soll sich nun mit dem Thema beschäftigen. Ein einstimmiger Beschluss der KMK – bekräftigt noch einmal in 2006 – ist die Voraussetzung für die gegenseitige Anerkennung des Abiturs in den 16 Bundesländern. Derzeit sind 265 Jahresunterrichts-Wochenstunden vom fünften Schuljahr bis zum Abitur die Untergrenze. Diese hatten die Kultusminister der westlichen Bundesländer nach der Vereinigung zur Bedingung gemacht, um das Abitur, das in einigen östlichen Ländern bereits nach zwölf Jahren abgelegt wurde, anzuerkennen. „Schwarzer Peter“ für Schüler In den vergangenen Jahren haben nahezu alle Bundesländer damit begonnen, die gymnasiale Schulzeit auf acht Jahre zu verkürzen. Das Problem: Es wird zwar ein Jahr gestrichen, Lehrpläne und Stundentafeln werden jedoch nicht ausreichend angepasst. Man behilft sich damit, die Unterrichtszeit in der Mittelstufe zu erhöhen und diese in einen Halbtags-Schulbetrieb zu pressen. Die Leidtragenden sind insbesondere die jüngeren Schüler. Sie haben einen sieben- bis achtstündigen Unterrichtstag, der sich ohne vernünftige Mittagspause bis in den Nachmittag hineinzieht. Der Leistungsdruck auf die Mädchen und Jungen wird – gerade in der Mittelstufe – enorm erhöht. Für ein sinnvolles Unterrichtskonzept in einer Ganztagsschule fehlen jedoch in der Regel die Räume mit entspre- BILDUNGSPOLITIK chender Ausstattung sowie die – übergangsweise zusätzlich erforderlichen – Lehrkräfte – ganz zu schweigen von Kantine und Essensangebot. Die Proteste der Eltern bleiben nicht aus und sie wählen – wo sie können – eine integrierte Gesamtschule für ihre Kinder. Hier können die Mädchen und Jungen auch weiterhin nach neun Schuljahren ihr Abi machen. Beide Entscheidungen sind konservativen Schulpolitikern jedoch ein Gräuel. Schreier schießt Vogel ab Nun beginnt bei den konservativen Kultusministern das große Nachdenken: Wie kommen wir aus der misslichen Situation heraus? Die Ideen, die sie öffentlich präsentieren, sind nicht originell, dafür aber konfliktträchtig. Barbara Sommer (CDU), Schulministerin in Nordrhein-Westfalen, dachte laut über Samstagsunterricht nach – und erntete Proteststürme. Der saarländische Bildungsminister und KMK-Vizepräsident Jürgen Schreier (CDU) will die Unterrichtszeit in der Grundschule mit der Gymnasialzeit verrechnen – und machte sich damit erst recht lächerlich. Nach der aktuellen KMK-Statistik erhielten saarländische Grundschüler im Schuljahr 2005/2006 durchschnittlich eine Stunde pro Woche weniger Unterricht als im Bundesdurchschnitt üblich. Anzurechnen gäbe es danach im Saarland nichts – im Gegenteil, die Schulzeit im Gymnasium müsste schleunigst verlängert werden. Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, RheinlandPfalz und Sachsen liegen über dem Bundesdurchschnitt. Sollte Schreier jedoch daran denken, die Sekundarstufe I dadurch zu entlasten, dass in der Grundschule Unterrichtszeit und Leistungsdruck erhöht werden, ist ihm der Widerstand der Eltern sicher. Auch an Grundschulen lässt sich die Lernzeit nur dann pädagogisch sinnvoll erhöhen, wenn ein rhythmisierter Ganztagsunterricht mit Mittagessen, viel Bewegung und ausreichend langen Pausen eingeführt wird. Es lebe der Unterschied Von Bundesland zu Bundesland ist die Zahl der Unterrichtsstunden, die die Jungen und Mädchen genossen haben, sehr unterschiedlich: Ein Schüler, der Ende des Schuljahres 2005/2006 sein Abi gemacht hat, hat nach KMKAngaben in der Sekundarstufe I des Gymnasiums zwischen 215,3 Jahreswochenstunden in Berlin und 188,1 in Mecklenburg-Vorpommern erhalten. Die Anzahl der Jahreswochenstunden in der gymnasialen Oberstufe weist die KMK nicht aus. Hier lässt sich nur vergleichen, wie viel geleistete Unterrichtsstunden auf einen Schüler entfallen, wenn man so tut, als hätten die Schüler Einzelunterricht erhalten und wären nicht gruppen- bzw. klassenweise unterrichtet worden. Auch hier gibt es erhebliche Unterschiede: Sie liegen zwischen 5,78 Unterrichtsstunden in Rheinland-Pfalz und 3,8 Stunden (als „Einzelunterricht“) in Thüringen. Schluss mit Gewurstel Es gibt also noch jede Menge Spielraum und Anlass für die Kultusminister, sich auf ein einheitliches Pensum zu einigen und die Lehrpläne entsprechend anzupassen. Aber mit dem dilettantischen und hektischen Gewurstel sollte bald mal Schluss sein. Marianne Demmer, Leiterin des GEW-Organisationsbereichs Schule Regierung will „Nationale Qualifizierungsoffensive“ starten Foto: dpa Das Bundeskabinett hat während seiner Klausurta- gangenen Jahren im Bildungsbereich kräftig gespart gung in Meseberg vereinbart, eine „Nationale Qua- worden. Die Folge: eine gefühlte und reale materilifizierungsoffensive“ zu starten. Mit der Initiative elle Unterausstattung des Bildungswesens mit fatasollen u. a. die Zahl der Schul- und Studienabgän- len Konsequenzen“, sagte Thöne. Er wies darauf ger ohne Abschluss halbiert, die frühkindliche Bil- hin, dass die Ansätze der Qualifizierungsoffensive dung und Förderung gestärkt, mehr Ausbildungs- im Wesentlichen zwar richtig seien, jedoch vielfach plätze für Jugendliche geschaffen und der Zugang zu kurz greifen. E&W wird in der Oktober-Ausgabe von Menschen mit Berufserfahrung zum Hoch- ausführlich über den Vorstoß der Bundesregierung schulstudium erleichtert werden. Die GEW hat die berichten. Weitere Infos finden Sie bereits jetzt auf Qualifizierungsoffensive grundsätzlich begrüßt. der Homepage der GEW unter: www.gew.de ur „Wann, wenn nicht jetzt, sollte die Bundesrepublik Verbesserungen im Bildungsbereich anpacken und auch mehr Geld in das Bildungswesen stecken“, sagte GEW-Vorsitzender Ulrich Thöne auch mit Blick auf die im ersten Halbjahr 2007 deutlich gestiegenen Steuereinnahmen. Erstmals seit vielen Jahren hat die Bundesrepublik in diesem Zeitraum einen Haushaltsüberschuss in Höhe von 1,2 Milliarden Euro erwirtschaftet. „Geld für Bildung ist eine Zukunftsinvestition, die sich lohnt. Mit dem Hinweis auf die klammen öffentlichen Kassen ist in den ver- Der Bund wil sich wieder stärker in der Bildung engagieren. 9/2007 Erziehung und Wissenschaft 29 BILDUNGSPOLITIK Impulse aus den USA Internationale Konferenz zur kooperativen Lern- und Lehrmethode Kooperatives Lernen und Lehren verändern Unterricht, Schule, Administration, selbst hochkarätig besetzte Konferenzen. Das ist die zentrale Erfahrung, die 150 Teilnehmende aus Schule, Verwaltung und Lehrerausbildung im Rahmen der „International Leadership Conference“ vom 8. bis 11. Juli an der University of Niagara, USA, gemacht haben. Deutschland war neben Vertretern der GEW Nordrhein-Westfalen mit etwa 30 Gästen präsent. Chief Inspector a. D., verdeutlichte am Beispiel Schottlands, wie ein Entwicklungsprozess im Sinne der kooperativen Methode gestaltet werden kann, an dessen Ende ein von allen Verantwortlichen – Lehrkräfte, Administration, Öffentlichkeit, Politik – akzeptiertes und getragenes staatliches System der Qualitätsprüfung von Schule steht. Mit schottischem Understatement verkniff er sich nicht einen kritischen Seitenhieb auf die britischen Rankinglisten und die deutschen Hau-Ruck-Verfahren in der Qualitätsüberprüfung. Dr. James Williams, der Superintendent „Stadt“bibliothek, mehrere Großturnhallen, Cafeterien, aber auch eine ständig besetzte Polizeiwache. Williams verwies selbstbewusst auf das staatliche Engagement für die Schule. Er belegte, dass die Bildungsverwaltung des Staates New York begriffen habe, welche Bedeutung die Bildung aller Jugendlichen für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Zukunft des Landes hat. Internationaler Austausch Foto: dpa Internationale Konferenz an der University of Niagara: Die Probleme sind überall ähnlich – die Schüler müssen fit gemacht werden für die Wissensgesellschaft. Kongress geplant Für den Sommer plant die Universität Münster in Kooperation mit der Universität von Niagara einen Kongress, der die Arbeit am Konzept des kooperativen Lernens und Lehrens fortsetzen soll. Die GEW NRW unterstützt die Vorbereitungen nach Kräften. 30 C harlotte Danielson, eine der in den USA bekanntesten Schulberaterinnen und pädagogische Bestsellerautorin, befasste sich mit der Schlüsselfrage der Konferenz, wie Lehrkräfte die Qualität ihres Unterrichts weiterentwickeln können und wie sie dafür zu motivieren sind. Systematisches Lehrertraining, eine an klaren Zielen orientierte Unterrichtsund Schulentwicklung sowie eine auf Sicherheit und Vertrauen gegründete fortlaufende Evaluation seien dafür unentbehrlich, betonte Danielson. Der Brite Harvey Stalker, Her Majesties Erziehung und Wissenschaft 9/2007 der City of Buffalo School District, Lehrer, erfolgreicher Unternehmer und nun Leiter der Bildungsverwaltung, formulierte mit Blick auf gesellschaftliche Veränderungen hohe Ansprüche an Schule und Lehrer. Der Ort seines Vortrags war mit der Niagara Falls High School gut gewählt. Für eine Milliarde Dollar war in einem Privat-Public-Partnership-Projekt unter seiner Leitung ein zentraler Schulkomplex anstelle mehrerer älterer dezentraler Schulen neu errichtet worden. Er enthält neben Unterrichts- und Arbeitsräumen für 3500 Schüler und deren Lehrer eine Theaterwerkstatt, ein Fernsehstudio, das „Stadt“theater, die Erkennbar wurde, dass die Problemlagen in den Ländern der Konferenzteilnehmer überall ähnlich sind: Die Schülerleistungen müssen für die Anforderungen der Wissensgesellschaft erheblich gesteigert, auch deshalb muss die soziale Ungleichheit von Bildungschancen überwunden werden. Dafür sollen Schüler wie Lehrkräfte nicht nur Kompetenzen erwerben, wie sie sich Zugänge zum Wissen verschaffen können, sondern ebenso auch so genannte „softskills“ wie Kooperations- und soziale Bindungsfähigkeit entwickeln. Die internationalen Gäste interessierte an den deutschen Präsentationen besonders der Aufbau regionaler Netzwerke zur systematischen Schul- und Unterrichtsentwicklung in Duisburg (vor allem im Zusammenhang mit dem Projekt „Selbstständige Schule NRW“), in Mönchengladbach (als Bestandteil des Konzepts erweiterter Schulträgerschaft der Stadt) und Stuttgart (Schulamt Stuttgart mit Unterstützung der RobertBosch-Stiftung). Alle Projekte arbeiten mit den US-Experten Norm und Kathy Green zusammen und versuchen, mit ihnen gemeinsam den Ansatz des kooperativen Lehrens, Lernens und Leitens für die jeweilige Praxis weiterzuentwickeln. Auf Interesse stieß ebenfalls die aktive Rolle der Bildungsgewerkschaft für die Qualitätsentwicklung von Schulen und ihr Engagement für die Professionsentwicklung. Die GEW könnte allerdings ihre guten internationalen Kontakte, z. B. in der Bildungsinternationale (BI), künftig noch besser für die Entwicklung inhaltlicher Impulse für Schul- und Unterrichtsentwicklung nutzen. Dass diese Arbeit lohnenswert ist, können alle Teilnehmenden an der Konferenz in Niagara bestätigen. Reinhold Schiffers, Leiter Arbeitsbereich Lehreraus- und -fortbildung LV NRW LANDESVERBÄNDE Mit starkem Gegenwind E&W-Länderserie: Bildungspolitik in Bremen Der schulpolitische Wind im Land Bremen hat sich nach der Bürgerschaftswahl vom 13. Mai 2007 gedreht. Während die Bildungspolitik in den zwölf Jahren der Großen Koalition durch viele Taktierereien und Widersprüchlichkeiten gekennzeichnet war, ist mit Rot-Grün jetzt ein neuer Kurs möglich. D ie Mehrheiten sind klar wie noch nie“, sagt Bernd Winkelmann, mit Christian Gloede-Noweck Vorstandssprecher der GEW Bremen. „Anfangs war in der bildungspolitischen Diskussion sogar ein Hauch von Zuversicht zu spüren, mittlerweile ist es leider wieder etwas ruhiger geworden.“ Unüberhörbar waren vor und nach der Wahl die Ankündigungen aus den Reihen von SPD und Grünen, dass in der Schulpolitik Reformideen wie „Eine Schule für alle“ und „mehr ganztägige Angebote“ die politische Richtung markieren sollten. Ausdrücklich ausgeschlossen wurde aber schon früh ein drastischer Bruch mit der Vergangenheit. Der neue Senat wollte keine grundsätzliche Systemänderung, weil er einen neuen ideologischen Schulkampf befürchtete. Schritt für Schritt sollten Veränderungen angepackt werden, unter Beteiligung aller Akteure. Hü und hott Das war immerhin insofern neu, als zuvor der für Große Koalitionen typische Eiertanz das Bild der Bremer Bildungspolitik prägte. „Hü und hott“ und „Gibst du mir, so geb ich dir“ waren in der Hansestadt zwischen 1995 und 2007 die Kennzeichen einer Regierungspolitik, die lieber hinter den Kulissen die Strippen zog, als in öffentlicher Diskussion langfristig sinnvolle Perspektiven herauszuarbeiten. Das Ergebnis war eine eher noch zunehmende Diversifizierung und Unübersichtlichkeit der bildungspolitischen Landschaft. Schulreformen wurden punktuell in das Geflecht eingefügt, um allzu stark brennende Probleme anzugehen, allerdings ohne die Folgen für das Ganze zu beachten. Ein Beispiel: In einem sozial problematischen Stadtteil wurde eine sechsjährige Grundschule mit Ganztagsbetrieb eingerichtet. Nach dem ersten Jahrgang mangelte es aber im Umfeld an Kapazitäten, dieser Klasse ein längeres gemeinsames Lernen in einer weiterführenden Schule zu ermöglichen. In den großen bildungspolitischen Linien waren die traditionellen Akzentsetzungen zu beobachten. Die Sozialdemokraten bemühten sich darum, wenigstens die Schwächung der Gesamtschulen zu verhindern, und die Christdemokraten freuten sich, wenn neue durchgängige Gymnasien etabliert werden konnten. In den Schlagzeilen Mehrfach sorgten die PISA-Studien oder andere wissenschaftliche Stellungnahmen wie die des UN-Sonderberichterstatters Vernor Muñoz oder des UNICEF-Beauftragten Hans Bertram in der kommunal- und landespolitischen Diskussion für Schlagzeilen. „Weit entfernt vom internationalen Niveau“, titelte der Weser-Kurier im Zusammenhang mit einer CDUVeranstaltung zur Situation Bremer Kinder und Jugendlicher. Den Anstoß lieferte Bertrams UNICEFStudie, die nicht nur Deutschland insgesamt im internationalen Mittelfeld ansiedelte, sondern der Hansestadt auch noch die rote Laterne anhängte. Danach rangierte das Land in der internationalen Rangliste auf dem vorletzten Platz vor Griechenland. Die Feststellungen der UNICEFStudie waren eindeutig: Zu gerin9/2007 Erziehung und Wissenschaft 31 LANDESVERBÄNDE In der Bremerhavener Innenstadt investierte das Land Bremen viel in die bauliche Infrastruktur und andere Maßnahmen der Wirtschaftsförderung. Politische Weichenstellungen, die nicht ohne negative Folgen für die dringend notwendigen Verbesserungen der bildungspolitischen Landschaft bleiben. 32 ge Investitionen in das Bildungssystem, Festhalten an der Dreigliedrigkeit und eine viel zu geringe Förderung von Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern. Dabei seien manche Erinnerungen an die 1980er-Jahre wach geworden, berichtete der Weser-Kurier, als Bremen noch „ein Dorado der Bildungspolitik mit beitragsfreien Kindergärten, hochmotivierten Pädagoginnen und kleinen Gruppen“ gewesen sei. Rot-schwarze Reformlinien Wer im Vergleich dazu die Bilanz der rot-schwarzen Regierung nach mehr als einem Jahrzehnt gemeinsamer Politik betrachtet, sieht ein ganz anderes Bild. „Über drei Legislaturperioden hinweg folgt die Bildungspolitik des Senats über die je aktuellen Einzelentscheidungen hinaus strategischen Konzepten“, loben sich die Großkoalitionäre in einer Mitteilung an das Landesparlament. Als „wesentliche Reformlinien“ nennt der Senat die Qualitätsentwicklung von Schule und Unterricht, die Verbesserung der Bildungsbeteiligung, die Stärkung der Eigenverantwortung der Schulen und die Professionalisierung von Lehrkräften und Schulleitungen. Auf 47 DIN-A-4-Seiten folgt die detaillierte Aufzählung einer Vielzahl einzelner Maßnahmen. Die Frage nach den Ergebnissen dieser seit 1995 begonnenen bildungspolitischen Aktivitäten fällt allerdings deutlich knapper aus. Kaum Erziehung und Wissenschaft 9/2007 drei Seiten werden für die Bilanzierung als nötig erachtet, und sie enthalten eine Menge verbaler Eiertänzerei. „An schulbezogenen Kennzahlen lassen sich positive Entwicklungen ablesen, ohne zu übersehen, dass einzelne Ziele und eine insgesamt deutlich verbesserte Leistungsbilanz nur mittel- und längerfristig zu erreichen sind“, heißt es beispielsweise in dem Bericht. Oder: „In den Leistungsvergleichen nach 2003 erreicht Bremen noch nicht nationale oder europäische Mittelwerte, erweist sich aber als Bundesland mit der besten Leistungsprogression.“ Selbst der neue Bremerhavener Schuldezernent Rainer Paulenz (SPD) hat mit solchen Schönfärbereien nicht viel am Hut. In einer Notiz zur Ausgangssituation für seine Arbeit zeichnet er ein ganz anderes Bild der schulpolitischen „Erfolge“ der SPD-CDU-Koalition. „Nicht ausreichende Qualität der Schülerleistungen, nicht ausreichende Ausschöpfung des Bildungspotenzials und starke Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft“, stellt Paulenz nüchtern fest. In dieselbe Richtung zielt die Bremer GEW mit ihrer Kritik. Obwohl die Hintergründe und Folgen der schulpolitischen Fehlwege rot-schwarzer Politik immer wieder analysiert und moniert wurden, seien SPD und CDU nie von ihrem Konzept „Einzelmaßnahmen statt Systemänderung“ abgewichen, er- läutert Winkelmann. „Anstatt den erfolgreichen Ländern zu folgen und entsprechende schulstrukturelle Änderungen vorzunehmen, wurde ein bildungspolitischer Rückschritt in die 1950erJahre gemacht.“ So sei beispielsweise durch die Abschaffung der Orientierungsstufe das mehrgliedrige Schulsystem tendenziell ausgebaut worden. Als weitere Kritikpunkte nennt Winkelmann die Einrichtung durchgängiger Gymnasien, die Schulwahlmöglichkeiten der Eltern von Schülern ab Klasse 5 und die Vergabe von Noten bereits ab Klasse 3 der Primarstufe. Lehrerarbeit bürokratisiert Parallel dazu habe eine ständige Bürokratisierung der Lehrerarbeit in Verbindung mit einer Kette von Maßnahmen „zur vermeintlichen Prüfung der Leistungsfähigkeit der Schule“ stattgefunden. Die Arbeitsbedingungen wurden verschlechtert, nicht nur durch Arbeitszeiterhöhung, sondern auch durch Präsenztage und -zeiten während der Unterrichtswochen. Schwere Zeiten für die Bildungsgewerkschaft während der zähen Jahre der SPD-CDU-Regierung, in denen die GEW wacker an ihrer Forderung einer „Bildung aus einem Guss über alle Bereiche“ festhielt. Besonderen Nachdruck legt die GEW darauf, dass „die Reform der Lehrerausbildung wieder reformiert werden“ müsse. Die schwarz-rote LANDESVERBÄNDE ernüchternd: Die Verschuldung Bremens und Bremerhavens sowie des Landes stieg von neun Milliarden Euro 1995 bis Ende 2006 auf dramatische 14,8 Milliarden Euro an – trotz des gleichzeitigen Zuflusses der Bundeshilfen. Gegenwärtig wartet die neue rotgrüne Mehrheit in Senat und Bürgerschaft auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die Bremen weitere Hilfen des Bundes verschaffen soll. Nach dem BerlinUrteil steht aber fest, dass die goldenen Zeiten mit geschöpftem Geld im Überfluss endgültig vorbei sind. Fotos: Detlef Kolze/imago „Leisetreterei“ Koalition hatte die Stufenlehrerausbildung abgeschafft und durch die Wiedereinführung der alten Lehramtsausbildung ersetzt. „Es ist absolut falsch, Lehrkräfte für unterschiedliche Schulstufen unterschiedlich lange auszubilden“, betont Winkelmann. Es sei ebenso falsch, sie unterschiedlich zu bezahlen: „Eine Schule für alle erfordert integrativ ausgebildete Lehrkräfte.“ Finanzpolitik überschattet Was die Bildungspolitik in den vergangenen Jahren beständig überschattete, ist die finanzpolitische Lage des Landes Bremen. Zwar flossen Bundeshilfen in einer Höhe von rund 8,5 Milliarden Euro in das kleine Bundesland, aber gleichzeitig setzte die Große Koalition auf eine waghalsige Investitions- und Strukturpolitik, mit deren Hilfe die wirtschaftliche Basis des Landes umgekrempelt werden sollte. Mit vollen Händen wurden hunderte von Millionen Euro jedes Jahr in den Ausbau der baulichen Infrastruktur und andere Maßnahmen der Wirtschaftsförderung geschaufelt, um auf allen möglichen Feldern Initialzündungen für private Investitionen zu erzeugen. Die Ergebnisse wirken eher Entsprechend vorsichtig klingen die Äußerungen des Senats. Auch die neue Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) „macht nicht den Eindruck, als wenn bald die bildungspolitische Brechstange regiert – im Gegenteil“, stellte der Weser-Kurier fest. Sie wolle „werben“ für mehr gemeinsamen Unterricht und „aufklären“ über Themen wie Notengebung, Sitzenbleiben und Abschulung. Und sie wolle Schulformen weiterentwickeln, die von Eltern gewählt werden, beispielsweise das Gymnasium. Denn das werde in der Stadt Bremen mittlerweile von mehr als der Hälfte der Schüler angesteuert, so dass es im Wortsinne zur „Haupt“-schule geworden sei. Die Presse hebt Jürgens-Piepers Vorhaben, die gebundene Ganztagsschule auszubauen, hervor: mehr Förderung und Unterricht am Nachmittag, dafür Entspannungsphasen zwischen den Unterrichtsblöcken am Vormittag. Ihre vorsichtige Marschrichtung: „Wir müssen uns allmählich internationalen Standards nähern.“ Die GEW sieht in solchen Äußerungen ein bisschen zu viel Leisetreterei. „Die Fakten der aktuellen Lage und die Handlungsnotwendigkeiten liegen auf dem Tisch“, sagt Winkelmann. Nur ein wirklich integratives System, eine bessere Lehrerversorgung und kleinere Klassen könnten der sozialen und bildungsmäßigen Spaltung im Land Bremen entgegenwirken. Winkelmann: „Es ist an der Zeit, das alles endlich entschlossen anzupacken.“ Detlef Kolze, btb-Pressebüro Bremerhaven 9/2007 Erziehung und Wissenschaft 33 Die Arbeit der Pädagoginnen und Pädagogen ist heute in vielen Fällen soziale und psychische Schwerstarbeit. Gute Schule braucht gesunde Lehrkräfte Aktuelles Gutachten argumentiert für wirksamen Arbeits- und Gesundheitsschutz Weitere Informationen Das „Gutachten zum Arbeits- und Gesundheitsschutz in Schulen“ kann in einer Lang- (86 Seiten) und einer Kurzfassung (vier Seiten) von der Internetseite der GEW heruntergeladen werden unter: http://www.gew.de/ Binaries/Binary25571/ GutachtenArbeitGesund heit.pdf und http://www.gew.de/ Binaries/Binary25572/ GutachtenArbeitGesund heit_kurz.pdf. Hier finden Sie auch ein ausführliches Statement von Anne Jenter (http://www.gew.de/ Binaries/Binary25573/ Statement%20Jenter.pdf) sowie weiterführende Informationen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz an Schulen (http://www.gew.de/ Arbeits-_und_Gesund heitsschutz_3.html). 34 Die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer ist überdurchschnittlich gesundheitsgefährdend. Ein jetzt veröffentlichtes Gutachten von Prof. Dr. Stefan Kohte und Dr. Ulrich Faber von der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg setzt sich zum ersten Mal umfassend mit den wesentlichen rechtlichen Fragen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz an Schulen auseinander. I m aktuellen „Bericht der Bundesregierung über den Stand der Sicherheit bei der Arbeit“ von 2006 werden zum ersten Mal als besondere Zielgruppe Pädagoginnen und Pädagogen angesprochen: Ihre Krankheitsrate liegt über dem Durchschnitt aller Beschäftigten und wesentlich höher als in Verwaltungs- und Büroberufen. Die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer ist heute in vielen Fällen psychische und soziale Schwerstarbeit, das haben viele Untersuchungen bereits nachgewiesen. Den Stress von Lehrkräften setzt z. B. Prof. Bernhard Sieland von der Uni Lüneburg mit dem von Fluglotsen gleich. In einer Untersuchung von Prof. Joachim Bauer von der Uni Freiburg mit knapp 1000 Lehrkräften an Hauptschulen und Gymnasien kam zutage: Erziehung und Wissenschaft 9/2007 Vier Prozent hatten tätliche Gewalt oder Gewaltandrohungen erlebt. Die Pädagogen gaben an, sie erhielten wenig Unterstützung von den Eltern der Schüler. Zirka 30 Prozent der Befragten befanden sich in schlechter seelischer Verfassung und litten an ersten Anzeichen des so genannten Burnout-Syndroms, z. B. an Niedergeschlagenheit, Leistungsschwäche, Gefühlsabstumpfung bis hin zu Zynismus gegenüber Mitmenschen und dem eigenen Beruf und nicht zuletzt schweren Erschöpfungszuständen. Diese seelischen Leiden haben somatische Folgen. Sie lösen bei Männern auffallend oft schwere Durchblutungsstörungen des Herzmuskels aus und können zu Herzinfarkt führen. Bei seelisch kranken Frauen kamen – nach einer finnischen Studie – besonders häufig Erkrankungen des Bewegungsapparats vor, z. B. Rheuma. Dauererkrankung gestiegen Unter diesen Umständen gingen 2002 nur 15 Prozent der Lehrkräfte mit 65 Jahren in den Ruhestand. Knapp die Hälfte beantragte die vorzeitige „Zurruhesetzung“, trotz der entsprechenden Abschläge bei Pension und Rente. Über 40 Prozent wurden vorzeitig wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand geschickt. Die Gründe für Dienstunfähigkeit waren im Jahr 2003 in weit über der Hälfte der Fälle (56 Prozent) psychische Verhaltensstörungen. Wegen der massiven Renten- und Pensionsabschläge geht zwar zurzeit weniger Lehrpersonal freiwillig, d. h. krankheitsbedingt vorzeitig in den Ruhestand. Das kann sich jedoch leicht als Milchmädchen-Rechnung herausstellen. Denn die Zahl der Dauerkranken, Lehrkräfte, die mehr als drei Monate nicht arbeiten können, ist erheblich gestiegen. Allein in Berlin von 550 im Jahr 2003 auf weit über 800 in 2006. Vor diesem alarmierenden Hintergrund ist ein präventiver Arbeits- und Gesundheitsschutz im Schulbereich das Gebot der Stunde. Neues Gutachten Das aktuelle Gutachten von Stefan Kohte und Ulrich Faber belegt, in welch hohem Maße Gesundheitsschutz und humane Arbeitsgestaltung an Schulen vernachlässigt werden. Es stellt eindeutig klar, dass ein wesentlicher Mangel die fehlende flächendeckende Erstellung von Gefährdungsbeurteilungen ist, wie sie das Arbeitsschutzgesetz vorschreibt. Bei den zu ermittelnden Gefährdungen sind nicht nur die höheren psychosozialen Anforderungen in pädagogischen Berufen zu berücksichtigen. Gefährdungen der Gesundheit durch Mängel in der Arbeitsorganisation wie unklare Zuständigkeiten, Qualifikations-Defizi- Foto: imago te bei der Personalführung und belastende Arbeitszeitorganisation kommen noch hinzu. Ebenso müssen Lärm in Schulgebäuden (s. E&W 7-8/2004), der z. B. durch mangelhafte Dämmung entsteht, sowie die oft miserablen Luft- und Lichtverhältnisse in Klassenzimmern ins Visier genommen werden. Eine zusätzliche Belastung: Die Fülle schlecht vorbereiteter Reformen in fast allen Bundesländern. Diese verlangen von den Pädagogen weitere Leistungen bei oft gleichzeitigem Personalabbau an den Schulen. Die GEW setzt sich bei den Kultusministerien dafür ein, den Schulen ein breit gefächertes, vielseitiges Unterstützungssystem zur Verfügung zu stellen, das Maßnahmen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz zur Auswahl anbietet. Entscheidend ist, dass der Arbeits- und Gesundheitsschutz im Schulbereich nicht – wie bisher üblich – in Gefährdungsanalysen und Pilotmaßnahmen stecken bleibt. Die sehr unterschiedliche quantitative und qualitative Ausgestaltung der arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Betreuung von Schulen in den einzelnen Bundesländern verweist auf Defizite und sogar eindeutige Rechtsverstöße. Außerdem brauchen die Schulen Fachkräfte für Arbeitssicherheit im Sinne von multidisziplinären Präventionsdiensten. Dafür sollten Psychologen und Soziologen eingestellt werden. Verantwortungslos Die GEW fordert die politisch Zuständigen auf, die teilweise organisierte Verantwortungslosigkeit beim Arbeitsschutz an den Schulen zu beenden. Wenn ein Kultusministerium Aufgaben des Arbeitsschutzes an Schulleitungen überträgt, dann ist die Verantwortung des Dienstherrn als Arbeitgeber damit nicht aufgehoben. Das Ministerium ist in jedem Fall rechtlich verantwortlich für die Sicherheit und Gesundheit der Lehrkräfte. Die Verantwortung der Schulleitungen etwa bei Gefährdungsbeurteilungen kann jedoch nur so weit gehen, wie ihre Befugnisse, ihre Qualifikation sowie die zur Verfügung gestellten materiellen und personellen Mittel reichen. Die GEW engagiert sich mit Initiativanträgen von Hauptpersonalräten verstärkt für die Umsetzung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes an Schulen. Mit Gesundheitstagen in den Ländern wird die Bildungsgewerkschaft weiterhin auf die besonderen Belastungssituationen für Pädagogen und Handlungsstrategien aufmerksam machen. Anne Jenter, Leiterin des GEW-Arbeitsbereichs Frauenpolitik Eine kleine Beratungsbroschüre für Lehrerinnen und Lehrer mit dem Titel „Schaffen wir die Arbeit oder schafft sie uns“ mit Tipps und Hinweisen kann in Einzelexemplaren kostenlos bei der GEW unter der E-Mail-Adresse [email protected] bestellt werden. 9/2007 Erziehung und Wissenschaft 35 Foto: imago Die Energien älterer Menschen müssen nicht auf Sommerrodelbahnen verpuffen – oder in Kaffeekränzchen. Graues Gold statt altes Eisen Seniorenpolitik: starkes und wichtiges Standbein der GEW „Gesellschaft mitgestalten – Verantwortung übernehmen“, lautete des Motto des Seniorinnen- und Seniorentags der GEW in Halle. In Foren, Vorträgen und Diskussionen erörterten die Kolleginnen und Kollegen, wie die Potenziale des Alters zu wecken sind. S eniorenpolitik ist in der GEW auf Bundesebene bereits gut etabliert. Die Arbeit mit den älteren Mitgliedern vor Ort stößt auf wachsendes Interesse. Deshalb wird die Bildungsgewerkschaft ihre Anstrengungen noch weiter intensivieren! Dazu gehört, in den Köpfen das Bild vom „alten Eisen“ zu schleifen und das Bild „vom grauen Gold“ zu entwickeln. Potenziale des Alters zu wecken, bedeutet, ungenutzte Ressourcen älterer Menschen zu entfalten. Das geht nur, wenn die Rahmenbedingungen geschaffen werden: Ungenutzte Ressourcen brauchen Betätigungsfelder und Anlaufstellen. Seniorinnen und Senioren wollen interessante Aufgaben übernehmen, die zu ihren persönlichen Interessen oder ihrer beruflichen Erfahrung passen. In Halle brachten es die Wissenschaftler Jacqueline Höltge und Ludwig Amrhein vom „Zentrum Altern und Gesellschaft“ (Vechta) auf den Punkt: Wenn die Arbeitsbedingungen und Aufgaben stimmen, ist das Alter eine produktive, aktive Phase. Bei der Podiumsdiskussion mit Bundestagsabgeordneten und Dieter Hackler, Leiter der Abteilung 3 „Ältere Menschen“ im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und 36 Erziehung und Wissenschaft 9/2007 Jugend (BMFSFJ), wurde deutlich: Im EU-Vergleich hat Deutschland viel Zeit vertan. Es ist höchste Zeit für einen intensiven Diskurs: über das Altern, neue Verantwortungsrollen sowie die Voraussetzungen für altersgerechtes Arbeiten und eine altersintegrative Gesellschaft. Ältere bringen Erfahrungen und Methodenwissen mit, in der Nacherwerbsphase haben sie Zeit für freiwilliges Engagement. Diese Schätze müssen geborgen werden. Die GEW muss über attraktive Wege nachdenken, Seniorinnen und Senioren zur Mitarbeit zu motivieren. Aktive Teilhabe nötig Bisher verstehen sich Gewerkschaften vorwiegend als Vertretung der erwerbstätigen Menschen. Doch es ist wichtig, den besonderen Interessen der Ruheständlerinnen und Ruheständler Gehör zu verschaffen. Das untermauert eine von der GEW in Auftrag gegebene Studie: Fast die Hälfte der Mitglieder der Bildungsgewerkschaft ist zwischen 51 und 70 Jahre alt. Diese große Gruppe – kurz vor und nach dem Übergang in den Ruhestand – braucht passende Angebote: Politische Mitarbeit gehört ebenso dazu wie Workshops zur Gestaltung der Nacherwerbsphase, zu kulturellen und pädagogischen Themen, zur körperlichen und seelischen Regeneration. Ältere Mitglieder ansprechen und sie an die GEW binden, das ist die große Herausforderung, vor der wir stehen. Der GEW-Seniorentag hat mit einer qualifizierten Auseinandersetzung über den demografischen Wandel Maßstäbe gesetzt. Weder wurde das Alter verklärt, noch die üblichen Horrorszenarien der alternden, schrumpfenden deutschen Gesellschaft beschworen. Alter gliedert sich in verschiedene Phasen, in der neue Verantwortungsrollen übernommen werden können. Und Alter braucht spezifische Dienstleistungen, Infrastruktur sowie soziale Sicherheit. Teilhabe hängt nicht zuletzt von einem sicheren Einkommen sowie guter Versorgung bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit ab. In der Gesellschaft gibt es eine starke soziale Segmentierung alter Menschen. Die Politik der letzten 20 Jahre hat diesen Prozess verstärkt, das Rentenniveau hat nicht mit der Lohnentwicklung Schritt gehalten und manche Risiken im Alter wurden privatisiert: Private Zusatzversicherungen und Eigenbeteiligungen sind Kostenfaktoren, die am Alterseinkommen nagen. Der GEW-Vorsitzende Ulrich Thöne erklärte während des Seniorentages: Die Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), die schrittweise Einführung einer Erwerbstätigenversicherung seien unverzichtbar. Die GRV müsse wieder „armutsfest“ werden. Altersarmut wegen Zeiten der Arbeitslosigkeit, unsteter und prekärer Beschäftigung, so der GEW-Vorsitzende, sei zu bekämpfen. Thöne erläuterte auch die GEW-Position zur Rentenangleichung Ost: „Wir machen uns mit ver.di für ein steuerfinanziertes Modell stark, das die geringere Bewertung der Rentenentgeltpunkte Ost stufenweise bis 2016 ausgleicht. Auch in der Seniorenpolitik gilt: Solidarität und Verantwortung gehören zusammen.“ Anne Jenter, Leiterin des GEW-Arbeitsbereichs Frauenpolitik Recht und Rechtsschutz 9/2007 Informationen der GEW–Bundesstelle für Rechtsschutz. Verantwortlich: Paul Michel, Volker Busch, Gerhard Jens 59. Jahrgang Vergütung Höhergruppierung Beförderung Lehrkräfte mit ausländischer Ausbildung Grundschulen in Sachsen Beschränkung des Bewerberkreises zulässig In der Europäischen Gemeinschaft genießen Arbeitskräfte Freizügigkeit (nach Artikel 39 Abs. 2 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft [EGV]). Sie dürfen in den Mitgliedsstaaten in Bezug auf Entlohnung und Arbeitsbedingungen nicht unterschiedlich behandelt werden. Im Freistaat Sachsen können angestellte Grundschullehrkräfte höhergruppiert werden, sofern sie sich sechs Jahre lang bewährt haben und eine freie Planstelle zur Verfügung steht. Dienstherren haben einen personalwirtschaftlichen Entscheidungsspielraum, welcher Personenkreis für eine Stellenbesetzung in Frage kommt. Dazu gehört die Anerkennung ausländischer Diplome und Befähigungsnachweise. Die Mitgliedsstaaten sind verpflichtet, Anerkennungs- und Prüfungsverfahren für Ausbildungsnachweise anderer EU-Staaten zu schaffen. Es ist nicht zulässig, die berufliche Qualifikation formal zu verneinen, weil nationale Nachweise fehlen. Vielmehr müssen Qualifikationen und Nachweise mit den nach nationalem Recht gefragten Anforderungen verglichen werden. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied den Fall eines britischen Lehrers, der in Niedersachsen Englisch unterrichtete und eine höhere Eingruppierung verlangte. Er hatte eine vierjährige Lehrerausbildung – „Qualified Teacher Status“ – an einem College in England absolviert und war seit 2002 als angestellter Lehrer in Niedersachsen tätig. Das BAG wies die Klage mit der Begründung ab, dass die von ihm absolvierte Lehrerausbildung keine akademische Ausbildung und damit nicht gleichwertig mit der deutschen Lehramtsausbildung sei. Der Kläger wird laut BAG nicht als Angehöriger eines anderen EU-Mitgliedstaats diskriminiert. BAG vom 21. Februar 2007 – 4 AZR 225/06 – Vorinstanz: LAG Niedersachsen vom 22. November 2005 – 12 Sa 1882/04 E Grundlage für die Höhergruppierung – von der Vergütungsgruppe IVa in III BAT-O – sind die geltenden Lehrerrichtlinien. Schafft das Land weniger Planstellen der entsprechenden Vergütungsgruppe als es Lehrerinnen und Lehrer beschäftigt, findet eine Auswahlentscheidung nach einer Beurteilung statt. Im vorliegenden Fall war die Ausführung der Auswahlentscheidung strittig: Das Kultusministerium hatte die Planstellen anteilig auf vier Regionalschulämter verteilt, die anhand einheitlicher Kriterien Anlassbeurteilungen der Lehrkräfte erstellten. Die auf dem Ergebnis basierenden vier Ranglisten führten dazu, dass die für eine Höhergruppierung nötige Beurteilungsnote in den Bezirken der Regionalschulämter variierten. Die Klage vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) war jedoch nicht erfolgreich: Bei der Verteilung von haushaltsrechtlich ausgewiesenen Beförderungsstellen sei der Freistaat nicht dazu gezwungen, so das BAG, nach dem Grundsatz der „Bestenauslese“ (Art. 33 Abs. 2 GG) vorzugehen und die Gesamtheit der beurteilten Grundschullehrkräfte zu berücksichtigen. Das personalwirtschaftliche Ermessen lässt den Spielraum, freie Stellen auf die Bezirke der Regionalschulämter zu verteilen und in den Bezirken die jeweils Besten höherzugruppieren. BAG vom 24. Januar 2007 – 4 AZR 629/06 – Vorinstanz: Sächsisches LAG vom 13. Juni 2006 – 8 Sa 771/04 Sie sind gehalten, Lehrkräfte nach dem Prinzip der Bestenauslese (Artikel 33 Abs. 2 GG) – Eignung, Befähigung und fachliche Leistung – zu befördern. Diese Vorgabe entfaltet ihre Wirkung vor allem bei der endgültigen Personalentscheidung. Zuvor sind organisatorische und personalpolitische Einschränkungen zulässig. Im vorliegenden Fall hatte eine stellvertretende Schulleiterin im kirchlichen Ersatzschuldienst vergeblich geklagt, bei der Besetzung einer staatlichen Schulleitung berücksichtigt zu werden. Die einstellende Dienststelle hatte dies mit Verweis auf die ausreichende Anzahl von Bewerbern aus dem staatlichen Schuldienst abgelehnt. Die Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen blieb erfolglos: Ein Dienstherr könne entscheiden, ob eine freie Stelle überhaupt besetzt werde, welchen Personenkreis er in Betracht ziehe und welches Verfahren er wähle: Umsetzung, Versetzung, Beförderung. Die Entscheidung muss willkürfrei sein und darf außerhalb des öffentlichen Diensts stehende Bewerberinnen und Bewerber nicht behindern, ihren Anspruch auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt geltend zu machen. Laut OVG war dieser Anspruch nicht verletzt. OVG NRW vom 11. Juli 2006 – 6 B 1184/06 (rechtskräftig) Vergütung Höhergruppierung Beförderung 9/2007 Erziehung und Wissenschaft 37 MARKTPLATZ Literarisches Lernen in der Grundschule Bildungsserver mit BildungsWiki online Die seit Januar 2007 im Münchner kopaed Verlag erscheinende Fachzeitschrift kjl&m (Kinder-/Jugendliteratur und Medien, früher Beiträge Jugendliteratur und Medien) wird von der AG Jugendliteratur und Medien (AJuM) der GEW herausgegeben. Jetzt liegt Heft 3/2007 vor. Es widmet sich schwerpunktmäßig dem „Literarischen Lernen in der Grundschule“. kjl&m berichtet außerdem aus den Bereichen Kinder- und Jugendliteratur in Schule und Bibliothek, Forschung zur Kinder- und Jugendliteratur sowie über medien- Schon immer waren die Nutzer des Bildungsservers – eines Gemeinschaftsservices von Bund und Ländern, den das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) in Frankfurt am Main koordiniert – aktiv am Ausbau des Informationsangebots beteiligt. Diesem Engagement wird in Zukunft noch mehr Raum gegeben: Der Deutsche Bildungsserver baut im Zuge des Projekts „Bildungsserver 2.0“ eine Kommunikationsplattform auf, die Möglichkeiten zum fachlichen und persönlichen Austausch eröffnet. Den Anfang macht das BildungsWiki, ein Lexikon zum Bildungswesen. Das Wiki-Lexikon ist ein so genanntes Wikipedia-Fork (http:// de.wikipedia.org/wiki/Fork_%28Soft wareentwicklung%29), das sich speziell an die „Community“ des Bildungsservers, an die Akteure des Bildungswesens und an die an Bildungsthemen interessierte Öffentlichkeit wendet. Es startet mit einem Grundbestand von etwa 500 Artikeln, die aus der Artikelkollektion von Wikipedia ausgewählt, importiert und bearbeitet wurden. Weitere Bildungsserver-Wikis sind in Planung. Für den Bereich der Elementarbildung ist zudem eine Web 2.0-gestützte Plattform für Erzieherinnen geplant. Information und Kontakt: Ingo Blees, Deutscher Bildungsserver, Tel. 069/24 708-346, E-Mail [email protected] Öffentlichkeitsarbeit Informationszentrum (IZ) Bildung, Christine Schumann, Tel. 069/24 708-314; E-Mail: [email protected], www.dipf.de/bildungs information.htm Foto: dpa pädagogische und literaturdidaktische Ansätze. Rezensionen von Fachliteratur und Unterrichtsmaterialien bieten zusätzliche Anregungen für die Praxis. Bezug/Abonnement bei: kopaed, Pfälzer-Wald-Str. 64, 81539 München; [email protected], Einzelpreis elf Euro; Jahresabo 35 Euro (vier Ausgaben jährlich im Februar, Mai, August, November); ermäßigtes Abo 28,- Euro (jeweils zzgl. Versandkosten: Inland vier Euro, Ausland sechs Euro). Probeabo (zwei Ausgaben inkl. Versand) zwölf Euro. Zusätzlich erscheint jährlich „kjl&m extra“ als umfangreichere Sonderausgabe, die den Abonnenten außerhalb des Abos zu einem ermäßigten Preis mit Rückgaberecht geliefert wird. kjl&m extra 2007 hat das Thema „Kinder- und Jugendliteratur im Medienverbund“ und erscheint im Oktober 2007. Weitere Informationen unter: www.ajum.de Mangelnde Kenntnisse der deutschen Sprache erschweren Kindern und Jugendlichen aus Einwandererfamilien den Zugang zum deutschen Bildungssystem. Genau hier setzt das Projekt „Förderunterricht“ der Essener Stiftung Mercator an. Der Bildungsjournalist Paul Schwarz hat das Modellprojekt begleitet und einen Film produziert. „Ohne Deutsch kann man hier nichts machen“, so beschreibt die 12-jährige Schülerin Alena aus Russland ihre Zukunftsaussichten in Deutschland. Alena ist eine von mehr als 6.000 Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufen I und II, die im Projekt „Förderunterricht für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund“ sprachlich und fachlich von Lehramtsstudierenden kostenlos unterrichtet werden. Von dem Projekt profitieren beide Seiten: Die Schüler verbessern ihre Leistungen, die angehenden Pädagogen erwerben eine Zusatzqualifizierung. Ein weiterer Vorteil: Die Fördermöglichkeiten können 38 Foto: Veit Mette Filmprojekt „Förderunterricht“ schnell, effektiv und kostengünstig vor Ort angeboten werden. Die Projektpartner sind Universitäten, Schulen, Kommunen oder Vereine. Sie organisieren den Förderunterricht an bundesweit 35 Standorten, stellen die Räumlichkeiten zur Verfügung und betreuen aktuell etwa 1.100 Studierende, die als Förderlehrer den Unterricht erteilen. Wer sich für das Projekt interessiert, dem sei der Film von Paul Schwarz empfohlen. Weitere Informationen: [email protected] oder www.stiftung-mercator.de Der Film kostet 15 Euro (DVD mit Lang- und Kurzfassung incl. Booklet) und ist zu beziehen bei: Paul Schwarz, Tel. 06341/96 05 83, E-Mail: [email protected] Erziehung und Wissenschaft 9/2007 Wissens-Update Schools will rock you Die täglich wachsende Nachrichtenflut macht es immer schwieriger, auf dem Laufenden zu bleiben. Jeden Tag hört und liest man Begriffe, die man nicht auf Anhieb versteht. Zwar kann man alles irgendwo nachlesen oder im Internet recherchieren, aber das ist mühsam und kostet viel Zeit. Ein neuer, kostenloser Service schafft Abhilfe: Wer sich auf www.update-wissen.de registrieren lässt, bekommt in regelmäßigen Abständen per E-Mail einen Newsletter, in dem die erklärungsbedürftigen Begriffe aus dem aktuellen Tagesgeschehen aufgegriffen und erläutert werden – kurz, prägnant und leicht verständlich. Die Themen des Internet-Services umfassen sämtliche Lebensbereiche: von Politik über Computer und Technik bis zu Forschung und Wissenschaft, Kultur und Smalltalk. Zudem können die Nutzer auf der Website kostenlos selber Begriffe suchen und Erklärungen anfragen. Schulen können jetzt eine Lizenz für das Queen-Musical „We will rock you“, das im Musical-Dome in Köln läuft, für bis zu sieben Aufführungen in den schuleigenen Räumen erwerben. Die Kosten betragen 175 Euro. Dafür werden das offizielle Libretto, die vollständige Partitur und viele Tipps des Kreativteams der Originalproduktion zur Verfügung gestellt. Außerdem gibt es Flyer und Plakate für die Ankündigung des eigenen Musicals, die mit eigenen Vorort-Infos gefüllt werden können. Fragen werden auf der Website sowie einem Online-Forum diskutiert und beantwortet. Spezielle Fragen zur Planung und Umsetzung der eigenen Veranstaltung beantwortet zudem ein Theaterspezialist beim Produzenten der Kölner Originalproduktion. Alle Infos gibt es auf der Website www.schoolswillrock you.de, über die auch die Lizenz für die Aufführungen erworben werden kann. MARKTPLATZ LesePeter Am 13. Oktober, 10 bis 19.30 Uhr, veranstaltet die Frankfurter Buchmesse den 2. Bildungskongress im Rahmen des Themenschwerpunkts „Zukunft Bildung“. Der eintägige Kongress „Lernende Gesellschaft“ führt den erfolgreichen Lehrerkongress des Vorjahres mit verbreiterter Themenpalette fort: Das inhaltliche Spektrum wurde um die Bereiche „Frühkindliche Bildung“ und „Lebenslanges Lernen“ erweitert. Damit richtet sich die Veranstaltung an pädagogisch Tätige im vorschulischen Bereich, an Lehrerinnen und Lehrer in Ausbildung und Praxis, an Ausbildende im außerschulischen Bildungsbereich oder an Universitäten sowie an Studierende und Publikum. Der Kongressbeitrag beträgt 30 Euro inkl. MwSt. GEW-Mitglieder und Studierende zahlen 25 Euro inkl. MwSt. In der Gebühr enthalten sind die Teilnahme an allen Veranstaltungen des Kongresses, Tagungsunterlagen, ein Mittagsimbiss und Getränke. Ein Großteil der Veranstaltungen ist in vielen Bundesländern als Fortbildung anerkannt. Weitere Informationen sowie die Anmeldeunterlagen zum Bildungskongress 2007 finden Sie unter www.buchmesse.de/bildung/ Kontakt: Frankfurter Buchmesse, Imke Buhre, Reineckstraße 3, 60313 Frankfurt am Main, Tel.: 069/2102-269, Fax: 069/2102-110, E-Mail: [email protected] Im August 2007 erhielt das Bilderbuch von Emily Gravett „Post vom Erdmännchen“ den LesePeter. Sunny, ein junges Erdmännchen, heißt nicht nur so, sondern hat auch einen solchen Charakter. Es zieht ihn in die weite Welt – vorsichtshalber nur zu seinen (entfernten) Verwandten, denn da ist bestimmt das wahre Leben! Am Ende der Woche ist er wieder zurück. Geläutert. Emily Gravett: Post vom Erdmännchen“, aus dem Englischen von Uwe-Michael Gutzschhahn, Düsseldorf: Sauerländer bei Patmos 2007, 32 Seiten, geb., 15,90 Euro Tipp: Lehrerinnen und Lehrer sowie alle im Bereich Bildung Beschäftigten haben die Möglichkeit, die Frankfurter Buchmesse als Fachbesucher auch während der für das allgemeine Publikum geschlossenen Messetage zu besuchen. Gegen Nachweis einer entsprechenden Bestätigung können sie sich einfach und kostenlos unter www.buchmesse.de/fachbesucher-registrierung akkreditieren lassen. Im September erhält das Kinderbuch „Die wundersame Reise von Edward Tulane“ von Kate DiCamillo den LesePeter. Die anrührende Geschichte des Porzellanhasen Edward Tulane, der verloren gehen musste, um die Liebe zu entdecken. Kate DiCamillo: Die wundersame Reise von Edward Tulane, Deutsch von Siggi Seuß, mit Bildern von Bagram Ibatoulline, Hamburg: Dressler 2006, 138 Seiten, geb., 12,90 Euro (im Januar 2008 als Taschenbuch bei dtv) 0650_Anz_Bildung_Erziehung.indd 1 Foto: dpa Frankfurter Buchmesse: Kongress „Zukunft Bildung“ 14.08.2007 11:13:28 Uhr 9/2007 Erziehung und Wissenschaft 39 MARKTPLATZ Grundrecht auf Ausbildung Während sich die Konjunktur erholt, sind noch immer Hunderttausende Jugendliche auf der Suche nach einer betrieblichen Erstausbildung. Viele Unternehmen haben wegen vermeintlicher Finanzierungsprobleme jahrelang nicht ausgebildet. Fast zynisch wirkt es da, wenn sie heute den Fachkräftemangel beklagen. Gemeinsam appellieren die Landesschülervertretungen von Hessen, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Berlin an alle Bundestagsfraktionen, einen Rechtsanspruch auf Ausbildung im Grundgesetz zu verankern. Eine Petition an den Deutschen Bundestag wird bereits von DGB, GEW, ver.di und IG Metall-Jugend, dem Elterbund Hessen sowie dem Hessischen Landeselternbeirat unterstützt. Start für die Online-Petition ist eine Bundespressekonferenz am 24. September. Bis heute sind bereits tausende Unterschriften allein in Hessen eingegangen, darunter auch die der hessischen SPD-Landesvorsitzenden Andrea Ypsilanti. Zum Start der Petition „Grundrecht auf Ausbildung“ veröffentlicht E &W in der Oktober-Ausgabe einen Beihefter mit acht Unterrichtsbausteinen zum Thema „Ausbildungssituation und Konsequenzen für Jugendliche“. Alle Infos zur Petition und der Kampagne „Ausbildung für alle“ finden Sie in E&W 6/2007 sowie auf der GEW-Website unter: www.gew.de. Generationenübergang in der Gewerkschaftlichen Bildungsarbeit (gb@) Hans-Wilfried Kuhlen, zehn Jahre lang Referent und Koordinator der Gemeinschaftsaufgabe Gewerkschaftliche Bildungsarbeit beim Hauptvorstand der GEW, hat sich am 1. Juli 2007 in den wohl verdienten Ruhestand verabschiedet. Seine organisatorischen und politischen ErHans-Wilfried Kuhlen fahrungen als Landesgeschäftsführer der GEW in Hessen waren eine gute Grundlage für die Wahrnehmung der 1997 beim Hauptvorstand der GEW neu geschaffenen Stelle eines Koordinators der Gemeinschaftsaufgabe Gewerkschaftliche Bildungsarbeit. Hans-Wilfried Kuhlen trat seine neue Aufgabe hoch motiviert und engagiert an. So gelang es ihm bald, die Interessen und Traditionen der 16 beteiligten GEW-Landesverbände in der Gewerkschaftlichen Bildungsarbeit in einen fruchtbaren Austausch und ein Miteinander zu bringen. Mit seinem Namen wird die Entwicklung und Durchführung des jährlichen Mai-Meetings verbunden bleiben, einem bundesweiten „Leuchtturm“ der Gewerkschaftlichen Bildungsarbeit. Auf der Basis bewährter Methoden setzte sich Hans-Wilfried Kuhlen für die Suche und den Ausbau innovativer Elemente der Gewerkschaftlichen Bildungsarbeit ein. Zur Entwicklung zahlreicher neuer Fortbildungsmodule und Instrumente der Mitgliederwerbung hat er entscheidend beigetragen. Seine hohe fachliche und kommunikative Kompetenz hat ihm innerhalb und außerhalb der GEW verdiente Anerkennung eingebracht. Die GEW hat ihm viel zu verdanken und deshalb Anlass zur Freude darüber, dass er ihr als Ruheständler in seiner neu gewonnenen Freizeit neben der Verfolgung lang gehegter Reiseziele und der Hobbygärtnerei in einigen Projekten der Bildungsarbeit weiter verbunden bleibt. Als sein Nachfolger trat zum 1. April 2007 Stefan Pfaff (29) an – einer der Jüngsten beim GEW-Hauptvorstand, aber schon zehn Jahre in der GEW auf verschiedenen Ebenen aktiv, unter anderem als Vorstandsbereichsleiter der Gewerkschaftlichen Bildungsarbeit im Landesverband Baden-Württemberg. Ulrich Hinz, Geschäftsführer beim GEW-Hauptvorstand 40 Erziehung und Wissenschaft 9/2007 Böckler-Aktion Bildung Berthold Simonsohn Unter dem Motto „Du studierst, wir zahlen“ will die Hans-BöcklerStiftung (HBS) mehr begabte junge Menschen aus ärmeren Familien zu einem Studium ermutigen. Dazu stockt sie ihr Stipendienprogramm deutlich auf. Die Stiftung, die bisher vor allem Studierende mit Berufserfahrung gefördert hat, wendet sich nun auch erstmals direkt an Abiturienten, Fachabiturienten sowie Schülerinnen und Schüler, die kurz vor dem Abschluss stehen. Das zweitgrößte deutsche Begabtenförderungswerk reagiert mit seiner „Böckler-Aktion Bildung“ auf die soziale Ungleichheit beim Zugang zu den Hochschulen. Mittelfristig will die HBS 2100 junge Frauen und Männer mit Stipendien fördern – 500 mehr als bisher. Pro Monat erhalten Stipendiaten bis zu 605 Euro inklusive Büchergeld. Bewerben können sich Studienberechtigte sowie Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen mit dem letzten Zwischenzeugnis. Bei den Bewerbern muss ein vollständiger BAföG-Anspruch vorliegen und sie müssen bereit sein, sich gesellschaftspolitisch zu engagieren. Alle Informationen zur BöcklerStudienförderung und Bewerbungsunterlagen für die „BöcklerAktion Bildung“ auch im Netz unter: www.boeckler.de/stipendium Durch sein lebenslanges Engagement war Berthold Simonsohn eine Ausnahmeerscheinung seiner Zeit. Als verfolgter Jude wurde er während des Nationalsozialismus’ nach Theresienstadt deportiert, wo er sich im illegalen Bildungswesen engagierte. Es folgten weitere Deportationen nach Auschwitz, Kaufering und Dachau. Da er für die Beratung der überlebenden Juden in Hamburg als Rechtsdezernent bei der jüdischen Gemeinde gebraucht wurde, kehrte er 1950 nach Deutschland zurück. Hier baute er die Zentralwohlfahrtsstelle für Juden wieder auf, die er bis 1961 leitete. Als Professor für Sozialpädagogik und Jugendrecht an der Uni Frankfurt am Main setzte er sich für die Reform des Jugendrechts und des Jugendstrafvollzugs ein. Er gehört damit zu jenen Überlebenden, die nach 1945 die Gesellschaft der Bundesrepublik – in Zusammenarbeit mit der GEW und solidarisch mit der Studentenbewegung 1967/68 – wesentlich beeinflussten. Benjamin Ortmeyer, Pädagogischer Mitarbeiter FB Erziehungswissenschaften, Johann Wolfgang Goethe-Universität Wilma Aden-Grossmann: Berthold Simonsohn. Biographie des jüdischen Sozialpädagogen und Juristen (1912 – 1978), Campus Judaica Band 23 2007, 436 Seiten, 32,90 Euro. Eine ausführliche Rezension finden Sie im Internet unter: www.gew.de/Berthold_Simonsohn.html GEW-Seminare für Studentinnen und Studenten 28. bis 30. September in Steinbach/Hessen: ● Internationalisierung des Studiums. Maßnahmen für eine gute Integrationspolitik im Ausländerstudium. ● Promotionsworkshop: Studieren und dann promovieren? ● Professionell beraten. Zum Umgang mit Bescheiden. Ein sozialpolitisches Schulungs-Seminar für erfahrene BAföG-Berater und Sozialreferenten. 4. bis 7. Oktober in Steinbach/Hessen: ● Den Anspruch auf BAföG nutzen. Ein sozialpolitisches Grundseminar für BAföG-Berater und Sozialreferenten. Verwaltungsgebühr: 60 Euro. GEW-Mitglieder erhalten die Gebühr erlassen. Süd-ASten und finanziell schwache ASten erhalten Preisnachlass. Das Bildungs- und Förderungswerk der GEW übernimmt die Kosten für Unterkunft, Verpflegung sowie An- und Abreise (DB 2. Kl., abzüglich zehn Prozent Großkundenrabatt). Der Nachweis für die Überweisung muss vor Seminarbeginn belegt werden. Weitere Informationen und Anmeldung: GEW-Hauptvorstand, Vorstandsbereich Hochschule und Forschung, Brigitte Eschenbach, Reifenberger Str. 21, 60489 Frankfurt am Main, Tel. 0 69/7 89 73-3 13, Fax 0 69/7 89 73-1 03, [email protected] LESERFORUM Versteckter Antisemitismus (E&W 6/2007, Seite 27 f.: „Schule ohne Rassismus“ und Leserbrief Seite 34 „Sehr gewundert“) Vielen Dank für die guten Artikel „Schule ohne Rassismus“. Da ich davon ausgehen möchte, dass auch Sie Rassismus und Antisemitismus bekämpfen, möchte ich Sie auf einen antisemitischen Lapsus im Leserbrief von Frau Martina Mosthaf, Religionslehrerin aus Freiburg, aufmerksam machen. Ich kürze, ohne den Sinn zu entstellen: „… wie im Übrigen auch daran, dass er (Jesus) als Jude aufgewachsen ist, müssen wir Christen uns immer wieder erinnern lassen, damit wir nicht hochmütig werden.“ Ich überlasse es Ihrer Intelligenz und Phantasie, den versteckten Antisemitismus in diesem Satz zu finden. Dr. Nathan Warszawski, Nideggen Bündnis Rote Bunte Karte Wir möchten gerne in Ergänzung zu Ihrem Beitrag auf ein gemeinsames Bündnis bremischer und niedersächsischer Initiativen, Organisationen und Firmen hinweisen. Das Bündnis Rote Bunte Karte bemüht sich mittels Gratispostkarten und öffentlicher Aktionen den Rechten endlich die Rote Karte zu zeigen – und zu zeigen, wofür WIR einstehen: Ein öffentliches Bekenntnis gegen rechtsextremistische Ideologien zu zeigen, Initialzündungen für ein weitreichendes öffentliches Engagement gegen Rechts zu geben – auch in anderen Regionen. Inzwischen konnten wir zirka 75 000 Rote Karten und 75 000 Bunte Karten gratis verteilen, dazu 2 000 Plakate mit Motiven, die wir mit Jugendlichen in Workshops entworfen und angefertigt haben. Andrea Müller, Bremen Zwei Facetten Zwei „Facetten“ des Rassismus werden geflissentlich übersehen: Die erste und wichtigste ist der strukturelle „Rassismus“ unserer Gesellschaft, der sich nicht zuletzt in unserem hochselektiven Schulsystem – Bayern voran – zeigt: Die soziale Auslese, die dort betrieben wird, ist immer auch eine Auslese nach Migrationshintergrund, und folglich sind es vor allem die sozial Benachteiligten, die auf überproportional viele Mitschüler und Mitschülerinnen anderer Herkunft treffen. So entstehen Brennpunkte, während man sich andernorts hervorragend und guten Gewissens abschotten kann: Es sind ja die fehlenden Sprachkenntnisse, die den Übergang auf höhere Bildungsanstalten verhindern, keineswegs aber ist es „rassistische“ Ausgrenzung. In zwingender Sachlogik finden sich so auf vielen höheren Lehranstalten nur wenige und dann in aller Regel gut assimilierte Kinder mit Migrationshintergrund. Gerhard Fleddermann, Schwerte Zeitaufwändig (E&W 5/2007, Seite 38: „Aufwertung fürs Stiefkind“) Auch Lehre selbst muss erforscht werden! Da macht es wenig Sinn, gerade den neu geplanten Lehrprofessuren die Forschungszeit zu reduzieren und sie im Gegenzug mit einem höheren Lehrdeputat zu versehen. Es sei denn, der Sinn dieser neuen Professuren liegt „angesichts des für die kommenden Jahre prognostizierten Massenandrangs an den Hochschulen“ darin, die jetzt schon erkennbaren Löcher im Lehrangebot öffentlichkeitswirksam zu stopfen. Außerdem: Gute Lehre ist zeitaufwändig. Man kann sie nicht einfach aus dem Ärmel schütteln. Die Erhöhung des Lehrdeputats um 50 Prozent konterkariert das Ziel, die Lehre zu verbessern. Dr. Harald Neifeind, Göttingen „Gegnerbekämpfung“ (E&W 7-8/2007, Seite 34: Leserbrief „Wegbereiter“) Michael Mansion beklagt in einem Leserbrief, dass E&W Prof. HansWerner Sinns, Leiter des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, München, Absage an das gegliederte Schulsystem zitiert. Stattdessen solle man ihn „als einen Gegner“ darstellen, auch „wenn nicht 9/2007 Erziehung und Wissenschaft 41 LESERFORUM alle seine Äußerungen falsch sind“. Es geht dem Leserbriefschreiber also um die Person und nicht um die Sache. Ich meine umgekehrt: Eine solche „Gegnerbekämpfung“ unseligen Andenkens erspart zwar die Anstrengung selbstständigen Denkens, aber nur um den Preis, sich aus der Reformdebatte zu verabschieden. Sie wäre eine moralische und intellektuelle Zumutung. Dr. Hasso Spode, Berlin Fraglicher Ansatz (E&W 7-8/2007, Seite 28: „Hilf mir, es selbst zu tun“) Als GEW-Mitglied und Student der Pädagogik habe ich sehr interessiert den Artikel über Montessori-Schulen gelesen. Enttäuscht war ich jedoch über die, leider mir überall begegnende, unkritische 42 Betrachtung eines meiner Meinung nach sehr fraglichen pädagogischen Ansatzes. Stephan Geuenich (per E-Mail) Einen ausführlichen Artikel von Stephan Geuenich „Maria Montessori und die Montessori-Pädagogik“ finden Sie im Internet unter: www.gew.de/ Fraglicher_Ansatz. html Wortwahl gerade aus dem Munde eines Pädagogen absolut inakzeptabel. Inhaltlich ist mir seine Aussage zu undifferenziert, da sie suggeriert, dass das Material diese stringente Umgehensweise vorgibt. Das ist nicht richtig. Brigitte Johannsen, MontessoriMainbogen e.V. (per E-Mail) na Treplin und unterrichtet in der 5c der Moabiter Grundschule. Wir bitten, die Fehler zu entschuldigen. Inakzeptabel Anmerkung der Redaktion: Einigen Rückmeldungen zum Montessori-Artikel zufolge sind ein paar Begriffe in dem Beitrag missverständlich formuliert. Wenn von „durchackern“, „abarbeiten“ und „Wochenplänen“ die Rede ist, wollten wir damit nicht ausdrücken, dass die Schüler nach einem streng verordneten Lehrerkonzept arbeiten müssen. Wir sind uns bewusst, dass sie bei Montessori ihre Aufgaben selbst entwickeln sollen. Leider haben sich überdies zwei Tippfehler eingeschlichen: Korrekt heißt die Klassenlehrerin Johan- Indische Lehrer sind billiger – indische Politiker auch. Eine indische Angela Merkel arbeitet noch billiger als ein deutscher Bauabeiter. Gustav Pekarsky, Bruchsal Als Vorstandsmitglied des Trägervereins der Montessori-Schule in Mühlheim am Main muss ich mich gegen die Aussage von Herrn Böhm zur Wehr setzen. An unserer Schule bekommt kein Kind etwas auf die Finger, egal, ob es die Einsatzzylinder anders benutzt als vorgesehen, noch in anderen Situationen. Selbst wenn Herr Böhm diese Aussage sinnbildlich gemeint hat, finde ich die Erziehung und Wissenschaft 9/2007 „Indische Angela Merkel“ (E&W 7-8/2007, Seite 19: „Indische Lehrer sind billiger“) E &W-Briefkasten Postanschrift der Redaktion: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Postfach 900409, 60444 Frankfurt a. M., E-Mail: [email protected] Die Anschlagtafel ist im Internet unter www.gew.de/ Anschlagtafel. html zu fnden. Erziehung und Wissenschaft Cartoon: Thomas Plaßmann Diesmal 48 Erziehung und Wissenschaft 9/2007