The Rolling Stones

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The Rolling Stones
10.06.14 | Waldbühne
Das Konzert des Jahres – Die Rolling Stones rocken Berlin
Für immer jung: In einer ausverkauften Waldbühne lieferten die Stones zwei höchst
unterhaltsame Lehrstunden in Sachen Rockgeschichte ab - und hinterließen ein
überwältigtes Publikum.
Von Peter E. Müller
Am Dienstag rockten die legendären Rolling Stones in Berlin. / Foto: Reto Klar
Alter spielt keine Rolle. Schon immer haben die Älteren ihr Wissen an die Jungen weitergegeben. Das
ist in einem rebellischen Metier wie dem des Rock 'n' Roll nicht anders. Als die noch jungen Rolling
Stones vor mehr als 50 Jahren in London den Boden bereiteten, um zur größten Rock-'n'-Roll-Band
der Welt zu werden, lernten sie alle Tricks und Kniffe von den alten Bluesmusikern des
amerikanischen Südens, von Muddy Waters, von Howlin' Wolf, von Robert Johnson.
Nun stehen sie am Dienstagabend in der mit 22.000 Besuchern ausverkauften Waldbühne vor einem
Publikum, das sich längst dem Erinnerungstaumel ergeben hat. Und sie spielen, da sind wir schon in
der zweiten Hälfte des Konzerts, "Midnight Rambler", jenes Stones-Stück, das die alten Lehren des
Blues aufgesogen und weitergetragen hat. Sie haben es vor 45 Jahren für ihr Album "Let It Bleed"
komponiert, in dem Jahr, in dem Gitarrist Mick Taylor neuer Gitarrist der Rolling Stones wurde und
den Job des geschassten Brian Jones übernommen hatte.
Mick Jagger keucht auf der Bühne mit heißem Atem in die Blues-Harp, Keith Richards schlägt das
knochentrockene "Midnight Rambler"-Riff in die Saiten. Der Boogie bluest mit Macht durch das
Amphitheaterrund, während der Überraschungsgast Mick Taylor, 65, der die Stones bereits 1975
wieder verlassen hatte, die Gitarrensoli beisteuert. Man spürt die Lust, die die Musiker antreibt, man
sieht den Spaß, den sie da oben im Rampenlicht haben. Nein, Alter spielt keine Rolle.
Jagger ist von einer geradezu unheimlichen Jugendlichkeit
Die Rolling Stones sind in Berlin. Es ist 20.40 Uhr, als die unermüdlich tourende Band nach einem
Vorprogramm der jungen britischen Bluesrock-Band The Temperance Movement zu wummerndem
Schlagwerkgetrommel und Feuerwerkszauber im lautstarken Jubel auf die Bühne steigt. "Start Me Up"
vom 81er-"Tattoo You"-Album eröffnet die Hitrevue in der Waldbühne. Mick Jagger im schwarzen
Glitzerjacket ruft "You Got Me Rockin'". Er ist von einer geradezu unheimlichen Jugendlichkeit.
Schlaksig, durchtrainiert und topfit turnt er über die weite Bühne. Dann wieder hängt er sich die
Akustikgitarre um und singt nur für Berlin "Waiting For A Friend". Der Peter Pan des Rock 'n' Roll.
Dabei hat der Mann inzwischen 70 Jahre auf dem Buckel. Man sieht sie ihm nicht an.
Da hat das Leben beim ebenfalls 70-jährigen Keith Richards schon mehr seine Spuren hinterlassen.
Doch auch er blüht auf im Rampenlicht, schabt die knackigen Gitarren-Riffs aus den Saiten, lässig und
cool, der Pate der Rockgitarre. Die Botschaft ist schnell klar: "It's Only Rock 'n' Roll", ruft Jagger ins
Mikrofon, "but I like it!" Richards und Ko-Gitarrist Ron Wood, 67, verstehen sich blind, verstehen es
vor allem, den einen oder anderen kleinen Patzer gekonnt auszubügeln. Der 52-jährige Bassist Daryl
Jones, seit 1993 nach dem Ausstieg von Bill Wyman als Bassist angestellt, ist ein virtuoser
Alleskönner. Und über allem thront der 73-jährige Granseigneur Charlie Watts hinter seinem
Schlagzeug. Er hält mit stoischer Ruhe und exaktem Timing das Stonesgefüge zusammen.
Ein Abend mit den Rolling Stones ist nicht nur einfach ein Konzert. Es sind zwei höchst unterhaltsame
Lehrstunden in Sachen Rockgeschichte. Und die Stones wissen, was sie ihrem Publikum schuldig
sind, auch wenn nicht jeder Hit einen Platz im Programm finden kann. Dafür sind es einfach zu viele.
Rund 60 Stücke haben sie für ihre "14 On Fire"-Tournee einstudiert, etwa ein Drittel davon spielen sie
in Berlin. Jeder Abend verläuft etwas anders. "Tumbling Dice" vom "Exile On Main St."-Album gibt es
gleich als viertes Stück. Die Ballade klingt rau und ungeschliffen. Auf Wunsch des Publikums, das im
Internet abstimmen konnte, gibt es "Get Off Of My Cloud". Keine Band weiß Live-Atmosphäre so
gekonnt zu zelebrieren wie die Stones.
Auf opulente Bühneneffekte wird verzichtet
Der Sound ist ausgefeilt. Die Bühne wird von großflächigen Videoschirmen flankiert, die Lichtregie ist
von routiniertem Einfallsreichtum. Dennoch wird, abgesehen von pyrotechnischen Einlagen, auf
opulente Bühneneffekte verzichtet. Hier zählen nur die Musiker auf der Bühne. Mitunter bekommt das
Ganze einen Hauch von Intimität wie bei einem Klubkonzert, zu dem sich ein paar Kumpels zum
Musikmachen verabredet haben. Zu diesen Kumpelmusikern zählen auch Keyboarder Chuck Leavell
und Saxofonist Bobby Keys, die seit Jahrzehnen dem Stones-Tross angehören. Wie auch Saxofonist
Tim Ries, Chorsänger Bernard Fowler und Chorsängerin Lisa Fischer, die bei "Gimme Shelter" ihren
großen Auftritt hat. Jagger hat sich sogar ein wenig Deutsch angelernt, um mit dem Publikum zu
kommunizieren. "Oh diese Waldbühne", ruft er, "was für ein schöner Ort."
Es ist das vierte Mal, dass die Stones in der Waldbühne auftreten. 1965, in den Aufbruchsjahren der
Rockmusik, ging in einem Ausbruch jugendlicher Rebellion die ganze Bühne zu Bruch und blieb über
Jahre verwüstet. Heute ist das Publikum bereits in der zweiten Lebenshälfte angekommen. Rockmusik
ist Allgemeingut geworden. Und dennoch sieht man auch in Stones-Konzerten zwischen all den
grauen Mähnen überraschend jugendliche Besucher, offenbar neugierig darauf, was die Alten ihnen
noch zu sagen haben. Eine rhythmisch geschlagene Kuhglocke erklingt, und jeder weiß, was nun
folgt: "Honky Tonk Women", der Single-Hit von 1969, der zunächst als Country-Version auf "Let It
Bleed" erschien. Mick Taylor war maßgeblich daran beteiligt, dass es zu dieser rüde rockenden
Fassung kam. Ein Refrain zum Mitsingen. Die Waldbühne lässt sich nicht zwei Mal bitten.
Rolling Stone zu sein ist eine Lebensaufgabe
Die Stones können aus einem schier unerschöpflichen Hitreservoir schöpfen, das sie zwischen den
60er- und 90er-Jahren angefüllt haben. Ein Wiederhören mit alten Bekannten. Von "Gimme Shelter"
bis "Miss You", von "Jumping Jack Flash" bis "Brown Sugar", von "Sympathy For The Devil" bis "(I
Can't Get No) Satisfaction". Und Keith Richards, die graue Eminenz, bekommt auch wieder Raum für
einen Soloauftritt. "You Got The Silver" röchelt er ins Mikrofon, ebenfalls vom "Let It Bleed"-Album.
Was sind schon all die Falten und Blessuren, die das fortschreitende Leben mit sich bringt, gegen
diese Momente im Rampenlicht, vor einem Publikum, das einem das Gefühl gibt, immer noch
gebraucht zu werden.
Nötig hätten die Rolling Stones die Tournee-Strapazen freilich nicht mehr. Sie haben im Laufe ihrer
Karriere Millionen verdient. Schon ihre Tournee, in deren Rahmen sie 1982 auch in der Waldbühne
auftraten, soll ihnen runde 50 Millionen Dollar eingebracht haben. Aber Rolling Stone zu sein, ist nicht
nur eine Frage des Geldes. Es ist eine Lebensaufgabe. Sie können gar nicht anders. Und deshalb
stehen sie heute Abend in der Waldbühne und geben dem Publikum prägende Momente seiner
Jugend zurück. Alter spielt keine Rolle.
Ein Bonbon haben sie sich für den Zugabenteil aufgehoben. Bei "You Can't Always Get What You
Want", ebenfalls vom "Let It Bleed"-Album, wird die Waldbühne zur Gospelkathedrale. Der
großorchestrale Abgesang auf die wilden 60er-Jahre wurde 1969 auf Platte vom London Bach Choir
unterstützt. Nun haben sich die Rolling Stones den Fabulous Fridays Chor von der Berliner Universität
der Künste (UdK) in die Waldbühne geholt, um sie bei dieser gospelhaften Ballade zu unterstützen.
Die jungen Sänger meistern ihre nicht einfache Aufgabe mit Bravour. Und mit einer rabaukigen
Version von "Satisfaction" schicken die Rolling Stones ein überwältigtes Publikum in die laue Berliner
Nacht.
Quelle: http://www.morgenpost.de/berlin/article128925659/Das-Konzert-des-Jahres-Die-RollingStones-rocken-Berlin.html

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