Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes
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Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes
Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern Eine vbw Studie, erstellt von dem Institut der deutschen Wirtschaft Consult GmbH in Zusammenarbeit mit dem Economica Institut und dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln Stand: Oktober 2015 www.vbw-bayern.de Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Vorwort X Vorwort Bayern profitiert von einem leistungsfähigen Münchner Flughafen Wesentliche Grundlage des bayerischen Geschäftsmodells ist die Spitzenstellung beim Export. Bayerns Wirtschaft ist global vernetzt: Jedes zweite Unternehmen ist heute schon in internationale Wertschöpfungsketten eingebunden. Für die Abwicklung von Geschäftsbeziehungen und Warenströmen sind die Unternehmen auf eine moderne und leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur angewiesen. Ein internationales Luftverkehrsdrehkreuz sichert und schafft Arbeitsplätze und Wertschöpfung im gesamten Freistaat. Die Wirkungen gehen weit über die Flughafenregion hinaus. Die Studie ermittelt die direkten, indirekten und induzierten Wertschöpfungsund Beschäftigungseffekte auf Basis eines eigens entwickelten Modells. Eine zusätzliche quantitative Analyse von Standorteffekten und katalytischen Effekten zeigt auf, dass die Präsenz eines Flughafens von internationaler Bedeutung auch zum Entstehen einer Wissensregion führt und Innovationen am Standort fördert. Der Flughafen München hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Hub entwickelt und ist heute der zweitwichtigste Flughafen in Deutschland. Das Wettbewerbsumfeld entwickelt sich dynamisch – insbesondere die starke Expansion in den Golfstaaten erzeugt erheblichen Druck auf die europäischen Standorte. Um die Drehkreuzfunktion zu erhalten, müssen in den nachfragestarken Zeiten ausreichend viele Slots für Umsteigeverbindungen zur Verfügung stehen; anderenfalls droht eine Abwanderung von Airlines und Flugverbindungen an andere Luftverkehrsdrehkreuze. Wir haben in Szenarien ermitteln lassen, welche Effekte zu erwarten wären, wenn der Münchner Flughafen seine Hub-Funktion verliert, und welche wirtschaftlichen Auswirkungen die Abwicklung zusätzlicher Flugverbindungen über erweiterte Kapazitäten hätte. Die positiven Wirkungen eines Ausbaus für ganz Bayern wären erheblich – noch weitaus wichtiger ist aber, dass die Hub-Funktion gebraucht wird, um Arbeitsplätze und Wohlstand auf heutigem Niveau zu sichern. Die Berechnungen sind bewusst konservativ erfolgt. Mit einer Verbesserung der landseitigen Anbindung etwa ließe sich die Anziehungskraft des Flughafens noch deutlich steigern. Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Bayerische Wirtschaft braucht einen bedarfsgerecht ausgebauten Flughafen München, und der Freistaat profitiert im Ganzen davon. Bertram Brossardt 16. Oktober 2015 Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Inhalt X Inhalt 1 Executive summary .................................................................................... 1 1.1 Die wesentlichen Ergebnisse in aller Kürze................................................... 1 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.2.5 1.2.6 1.2.7 1.2.8 Wichtigste Ergebnisse im Überblick .............................................................. 2 Identifikation als Hub ..................................................................................... 2 Die Anziehungskraft des Hubflughafens München ........................................ 3 Wirtschaftseffekte ......................................................................................... 3 Standorteffekte ............................................................................................. 4 Wissensökonomische Effekte ....................................................................... 5 Der Flughafen München und seine Bedeutung für bayerische Unternehmen 6 Wachstumsstarke neue Hubkonkurrenten..................................................... 7 Szenarien...................................................................................................... 7 2 Fragestellungen und Studiendesign ......................................................... 9 3 Identifikation Münchens als Hub-Flughafen ........................................... 11 4 Anziehungskraft des Hub-Flughafen Münchens .................................... 17 5 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität ................................... 29 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 Wirtschaftseffekte auf gesamtbayerischer Ebene........................................ 29 Wertschöpfungsnetzwerk Flughafen München ............................................ 29 Bruttowertschöpfungseffekte ....................................................................... 30 Beschäftigungseffekte ................................................................................. 32 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 Standorteffekte in der Flughafenregion ....................................................... 34 Flughäfen im wissensökonomischen Kontext .............................................. 36 Standorteffekte von Hub-Flughäfen: Das Fallbeispiel München .................. 38 Wissensregion Flughafen............................................................................ 49 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5 Bedeutung für bayerische Unternehmen ..................................................... 58 Bedeutung von Flughäfen für die Wirtschaft ................................................ 59 Bedeutung der Güte von Flugverbindungen für die Wirtschaft .................... 65 Bedeutung von Frachtleistungen für die bayerische Wirtschaft ................... 68 Landseitige Erschließung des Flughafens München ................................... 71 Gründe für eine Ansiedlung nahe dem Flughafen München ........................ 72 6 Mögliche Entwicklungspfade ................................................................... 77 6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3 Wachstumsstarke neue Hub-Konkurrenten ................................................. 77 Der Ausbau der Flughafeninfrastruktur in der Golfregion und der Türkei ..... 79 Die Konzentration auf Megacities nimmt zu ................................................ 82 Unterstützung der Regierungen für die Expansionsstrategie ....................... 83 Inhalt Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 6.1.4 6.1.5 6.1.6 6.1.7 Kapazitätsaufteilung wichtiger Airlines ........................................................ 85 Bedrohungspotenzial für europäische Gesellschaften steigt ....................... 87 Europa-China-Verkehr mit höherer Immunität ............................................. 89 Zusammenfassung ..................................................................................... 89 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 Szenarien.................................................................................................... 91 Szenario 1: Verlust der Hub-Funktion ......................................................... 94 Szenario 2: Ausbau des Flughafens............................................................ 96 Szenario 3: Verbesserung der Erreichbarkeit .............................................. 97 7 Methodische Anhänge ............................................................................ 103 7.1 Gravitationsmodell .................................................................................... 103 7.2 Ausreißer bei der Passagierbefragung ...................................................... 106 7.3 Der Fall Prag............................................................................................. 106 7.4 7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.4 7.4.5 7.4.6 7.4.7 Methodik multiregionale Input-Output-Tabellen ......................................... 107 Definition von Satellitensystemen ............................................................. 107 Anwendungsmöglichkeiten von Satellitensystemen .................................. 108 Multiregionale Input-Output-Tabelle „Flughafen München“ ........................ 110 Berechnung ökonomischer Effekte ........................................................... 117 Berechnung von Wertschöpfungseffekten ................................................. 117 Berechnung von Beschäftigungseffekten .................................................. 118 Berechnung von Multiplikatoreffekten ....................................................... 118 7.5 Fragebogen zur Unternehmensbefragung................................................. 120 Quellenverzeichnis.................................................................................................... 128 Ansprechpartner ....................................................................................................... 131 Impressum ................................................................................................................ 131 Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Executive summary 1 1 Executive summary Der Flughafen München als Prosperitätstreiber und Garant für Wettbewerbsfähigkeit 1.1 Die wesentlichen Ergebnisse in aller Kürze Der Flughafen München hat maßgeblichen Anteil an dem hohen Wohlstandsniveau in ganz Bayern. 4,4 Milliarden Euro Wertschöpfung und fast 70.000 Arbeitsplätze werden im gesamten Freistaat durch den Flughafen gesichert. Bayern profitiert dreifach vom zweitgrößten Flughafen Deutschlands: – Direkte Einbettung in die globale Wirtschaft. Ein bedeutender Teil des bayerischen Wohlstands wird durch Exporte heimischer Unternehmen erwirtschaftet. Die ausgeprägte internationale Arbeitsteilung ist ein Garant für die starke Wettbewerbsposition, die Bayern innehat. – Indirekte Einbettung in die globale Wirtschaft. Eine Vielzahl von Unternehmen in Bayern ist Zulieferer bzw. Kunde von Unternehmen, die in globale Wertschöpfungsketten eingebettet sind. Diese Unternehmen profitieren dementsprechend ebenso von der Vernetzung Bayerns mit der Welt. – Einbettung in Forschungs- und Entwicklungsnetzwerke. Sowohl Industrie- als auch Dienstleistungsunternehmen engagieren sich immer stärker in wissensintensiven Netzwerken, um ihre Kernkompetenzen zu stärken und Alleinstellungsmerkmale zu entwickeln. 70 Prozent der Unternehmen arbeiten eng mit Zulieferern und Kunden zusammen, gut 20 Prozent mit anderen Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen. Die dort entstehenden Innovationsimpulse spielen eine maßgebliche Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit bayerischer Unternehmen – Netzwerke wirken sich signifikant positiv auf ihren Erfolg aus. Die hohen Mobilitätsvoraussetzungen in der heutigen Wirtschaft können vor diesem Hintergrund nur über leistungsfähige Flughäfen bedarfsgerecht erfüllt werden. Allerdings gerät die starke Position des Flughafens München mit seiner Drehkreuzfunktion zunehmend unter Druck. Starke neue Wettbewerber insbesondere aus dem Nahen Osten streben konsequent auf den Markt und gewinnen sukzessive Marktanteile. Szenarien zeigen, dass ein Verlust der Drehkreuzfunktion zu erheblichen Wohlstandsverlusten für den Freistaat führen würde. Es fielen nicht nur gut 17.000 Arbeitsplätze in ganz Bayern weg, sondern die Wettbewerbsfähigkeit würde im Ganzen leiden. Die Einbettung in Netzwerke würde erheblich erschwert werden, wodurch Innovationsimpulse seltener zustande kämen. 2 Executive summary Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Bayern als wissensintensiver und vernetzter Standort benötigt die Einbindung in die Weltwirtschaft, um auch in Zukunft den weiter steigenden Anforderungen gerecht werden zu können. Nur so kann das hohe Wohlstandsniveau im Freistaat aufrechterhalten werden. 1.2 1.2.1 Wichtigste Ergebnisse im Überblick Identifikation als Hub – Das Besondere eines Hubs besteht vor allem darin, dass Flughäfen durch die Bündelung ihrer Passagierströme Skaleneffekte erzielen können und Flughafenbetreiber sowie Passagiere im allgemeinen und Geschäftsreisende im Besonderen von einer höheren Attraktivität durch ein vielfältigeres Destinationsnetz und einer dichteren Flugtaktung profitieren. – Der Flughafen München hat sich seit seiner Eröffnung im Jahre 1992 sukzessive von einem einfachen Flughafen hin zu einem Drehscheibenflughafen mit internationaler Strahlkraft entwickelt. – Die Jahre 2003 und 2004 mit der Eröffnung des zweiten Terminals und der damit einhergehenden größeren Anzahl an Flugverbindungen insbesondere im Interkontinentalverkehr spielen in dieser Entwicklung eine wichtige Rolle. – Während der Regionalflughafen Nürnberg lediglich gut 40 Ziele (und davon viele nur saisonal mit Blick auf den Urlaubstourismus) anfliegt, ist die Auswahl am HubFlughafen München mit gut 230 regelmäßig angeflogenen Zielen (davon viele hochrangige Interkontinentalziele) etwa sechsmal so hoch. Der Flughafen Düsseldorf liegt mit rund 190 Zielen ebenfalls deutlich unter dem Destinationsangebot Münchens – nur Frankfurt hat in Deutschland mit knapp 300 Destinationen ein noch breiteres Angebot. München bietet dabei knapp 70 interkontinentale Destinationen (Amerika, Afrika und Asien) an. In Düsseldorf gehören zu dieser Kategorie lediglich knapp 40 Destinationen – Frankfurt bietet knapp 140 interkontinentale Ziele. – Der Flughafen München gehört zu den 30 passagierstärksten Flughäfen weltweit. Mit knapp 38,7 Millionen Passagieren im Jahr 2013 liegt der Flughafen deutschlandweit auf Platz 2 nach dem Frankfurter Flughafen mit 58,0 Millionen Passagieren. Seit 2000 hat sich die Passagierzahl um zwei Drittel erhöht. Im Vergleich dazu kommt der drittgrößte Flughafen Deutschlands Düsseldorf derzeit auf 21,2 Millionen Fluggäste – das Wachstum seit 2000 beträgt lediglich ein Drittel. Bis 2025 soll die Passagierzahl am Flughafen München um rund 50 Prozent auf 58,2 Millionen weiter anwachsen. Generell wird in dieser Prognose Engpassfreiheit, d.h. ein nachfragege- Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Executive summary 3 rechter Ausbau jeglicher Infrastruktur, unterstellt. Verspätete Ausbaumaßnahmen führen unter Umständen zu einem verzögerten Eintreten der Prognosewerte. 1.2.2 Die Anziehungskraft des Hubflughafens München – Die Distanz zwischen Wohnort des Passagiers und Flughafen spielt eine entscheidende Rolle – je näher der Wohnort am Flughafen München liegt, desto häufiger wird letzterer genutzt. Dieser Zusammenhang gilt für Privatpassagiere in stärkerem Ausmaß. Geschäftsreisen hingegen müssen absolviert werden, egal wie weit der passende Flughafen entfernt ist. Dieses Muster gilt für die Flughäfen München, Nürnberg sowie Frankfurt. – Sowohl Privat- als auch Geschäftspassagiere kommen überproportional oft aus einwohnerstarken Gemeinden, wobei für Geschäftspassagiere sogar ein noch höherer Wert ermittelt wurde. Das lässt auf eine verstärkte Präferenz von Personen in urbanen Regionen gegenüber Personen aus ländlichen Gegenden für Flugreisen schließen. Urbane Lebensstile, der Trend zur Reurbanisierung und die zunehmende Einbettung von Unternehmen in wissensintensiven Netzwerken in hochurbanisierten Regionen sind maßgeblich treibende Kräfte dieser Entwicklung. – Sowohl Privat- als auch Geschäftspassagiere stammen bevorzugt aus Gemeinden mit hoher Kaufkraft, wobei wiederum der Effekt für Geschäftspassagiere etwas stärker ausfällt. Hier kommen vermutlich die Flugkosten und die danach (zum Beispiel im Urlaub) folgenden Kosten zum Tragen. – Der Flughafen wird primär von Passagieren und Unternehmen aus der südlichen Hälfte Bayerns genutzt. Passagiere aus Franken orientieren sich eher zum Nürnberger oder Frankfurter Flughafen. – Eine bessere landseitige Anbindung würde die Erreichbarkeit des Flughafens München erhöhen und damit auch seine Bedeutung für die nördlichen Bezirke Bayerns deutlich stärken. 1.2.3 Wirtschaftseffekte – Mittels der Input-Output-Analyse wurde der volkswirtschaftliche Impact des Flughafens München für das Jahr 2012 berechnet. Auf Basis dessen wurde für den Freistaat Bayern eine Wertschöpfung von 4,4 Milliarden Euro errechnet. Dies entspricht einem Anteil am Bruttoregionalprodukt in Höhe von 1,0 Prozent. Der jährliche Wertschöpfungsbeitrag für Deutschland beträgt sogar 5,0 Milliarden Euro. – Der Wertschöpfungsmultiplikator liegt für Deutschland bei 1,0068. Dabei definiert die Flughafen München GmbH (FMG) den Wertschöpfungsmultiplikator als Quotient aus gesamtem Bruttowertschöpfungseffekt und direktem Wertschöpfungseffekt abzüglich direkten Effekts, d.h. pro am Flughafen München erwirtschafteten Euro wird 4 Executive summary Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 noch ein weiterer Euro in anderen Wirtschaftssektoren Deutschlands erwirtschaftet. Für Bayern beträgt der Wertschöpfungsmultiplikator 0,7809. – Am Flughafen München selbst sind 32.250 Personen direkt beschäftigt. Dazu kommen noch 35.751 indirekt Beschäftigte (deutschlandweit, inklusive Bayern) bei Vorleistungsbetrieben sowie 9.317 Beschäftigte durch Einkommenseffekte (induzierte Effekte aufgrund der getätigten Einkäufe der Beschäftigten). Insgesamt entspricht dies einem totalen Beschäftigungseffekt von 77.318 Personen für ganz Deutschland. Knapp 87 Prozent des gesamten Beschäftigungseffekts (67.222 Beschäftigte) wird in Bayern selbst wirksam. Knapp jeder hundertste Arbeitsplatz in Bayern lässt sich damit auf den Münchner Flughafen zurückführen. – Der Beschäftigungsmultiplikator liegt für Deutschland bei 1,3975 und für Bayern bei 1,0844. Diese Werte sind sowohl für Bayern als auch Deutschland höher als die Wertschöpfungsmultiplikatoren. Der volks- und regionalwirtschaftliche „Beschäftigungshebel“ des Flughafen Münchens ist noch größer als der „Wertschöpfungshebel“. 1.2.4 Standorteffekte – Eine hochwertige und leistungsstarke Luftverkehrsanbindung schafft wichtige komparative Wettbewerbsvorteile für die Wirtschaft als einen Nutzer des Luftverkehrs. Auf Basis der Analyse sozio-ökonomischer Indikatoren lassen sich die positiven Effekte des Münchner Flughafens für die Flughafenregion nachweisen. – Die Gemeinden der Flughafenregion sind im Bayernvergleich überdurchschnittlich stark gewachsen. Die Gemeinde Hallbergmoos im Landkreis Freising beispielsweise war zwischen 1980 und 2012 die wachstumsstärkste Gemeinde Bayerns bezogen auf die Einwohner. – Das starke Wirtschaftswachstum innerhalb der Flughafenregion hat zu einem massiven Beschäftigungsaufbau dort geführt. Bayernweit zählen die Gemeinden der Flughafenregion zu den wachstumsstärksten Gemeinden. In Westdeutschland rangieren die Landkreise Erding (Platz 5) und Freising (Platz 2) unter den Landkreisen mit den höchsten Beschäftigungszuwächsen im Zeitraum von 1980 bis 2013. – Zwischen 1980 und 2013 lag das durchschnittliche jährliche Beschäftigtenwachstum in der Flughafenregion bei 2,4 Prozent. Vergleichsregionen mit einer ähnlichen sozio-ökonomischen Struktur in den 80er Jahren verzeichnen ein deutlich geringeres Wachstum (Bayern: 0,4 Prozent; Deutschland. 0,9 Prozent). – Die positiven wirtschaftlichen Effekte zeigen sich besonders deutlich in der prozentualen Veränderung des Bruttoinlandsprodukts je Einwohner. Mit einer durchschnittlichen Zuwachsrate von 2,7 Prozent pro Jahr lag die Wachstumsrate des BIP je Einwohner deutlich über den Wachstumsraten der Vergleichsregionen Bayerns und Deutschlands (beide 2,1 Prozent). Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 1.2.5 Executive summary 5 Wissensökonomische Effekte – In den zurückliegenden Jahren hat sich das unmittelbare Umfeld von Flughäfen zunehmend zu Kristallisationspunkten der Wissensökonomie und zu Zentren der Innovation verdichtet. Ein weltweit gutes Beispiel für diesen Entwicklungsprozess ist der Flughafen München. – Die Flughafenregion ist Standort einer Vielzahl von wissensintensiven Global Playern unterschiedlichster Branchenherkunft. – Wissensintensive Unternehmen profitieren hierbei von einer Vielzahl von namhaften Bildungs- und Forschungseinrichtungen in der Flughafenregion und darüber hinaus. Indikatoren des Büroimmobilienmarkts spiegeln diesen Entwicklungsprozess wider. – Der strukturelle Wandlungsprozess der Flughafenregion hin zur Wissensregion zeigt sich besonders deutlich anhand der Entwicklung der Qualifikationsstruktur. So wuchs der Anteil Hochqualifizierter pro 100 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte zwischen 2001 und 2011 um durchschnittlich 2,6 Prozent und lag zuletzt bei 8,6 Hochqualifizierten je 100 Beschäftigte – die Vergleichsregionen sind jeweils 2011 lediglich 5,6 Hochqualifizierte von 100 Beschäftigten tätig. – Die Flughafenregion ist nicht nur Wissens-, sondern auch Erfinder- und Innovationsregion. Die hohe Innovationsdynamik im Vergleich zu strukturähnlichen Regionen in Bayern und Deutschland lässt sich dabei sowohl in der absoluten Anzahl registrierter Patente als auch in der Anzahl der Patente in Relation zur Einwohnerzahl erkennen. In beiden Fällen nehmen die Landkreise der Flughafenregion Spitzenpositionen ein. – Die Patentintensität je 10.000 Einwohner lag zwischen 2010 und 2014 bei einem Wert von 29,8. Strukturähnliche Regionen Bayerns und Deutschlands zeigen eine deutlich geringer ausgeprägte Innovationsdynamik. Hier lag die Patentintensität bei lediglich 18,0 beziehungsweise 10,8 Patentanmeldungen je 10.000 Einwohner. – Die herausgehobene Situation des Flughafenumfeldes und der Landeshauptstadt als hoch vernetzter und leistungsfähiger Raum generiert positive Impulse für ganz Bayern. Erstens sichern die direkt in nationale und internationale Forschungs- und Entwicklungsnetzwerken eingebundenen Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit und den hohen Wohlstand im Freistaat. Zweitens profitieren Unternehmen im Freistaat von der Wissensgenerierung über Netzwerke. Über 70 Prozent der Unternehmen in Bayern sind eingebunden in Entwicklungskooperationen mit Zulieferern oder Kunden, rund ein Viertel der Unternehmen arbeitet mit wissenschaftlichen Instituten oder Universitäten zusammen. 6 1.2.6 Executive summary Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Der Flughafen München und seine Bedeutung für bayerische Unternehmen – Bayern internationalisiert seine Wertschöpfungsketten und -netzwerke zunehmend und profitiert hierbei von der verstärkten Offenheit der Weltwirtschaft. In diesem Zusammenhang leisten Flughäfen einen essentiellen Beitrag für die Leistungsfähigkeit der Unternehmen in ganz Bayern. Fast 40 Prozent nutzen Flughäfen für die Passage und gut 20 Prozent, um Frachtdienstleistungen in Auftrag zu geben. – Während Beschäftigte bei fast drei von vier großen Unternehmen, die grundsätzlich Flughäfen nutzen, regelmäßig geschäftlich per Flugzeug reisen, fällt der Anteil bei kleinen Unternehmen mit gut 40 Prozent deutlich niedriger aus. Bei Frachtdienstleistungen sind die Anteile rund 33 Prozent zu knapp 20 Prozent verteilt. – Knapp 95 Prozent der Flüge von bayerischen Unternehmen werden über die drei Flughäfen München, Nürnberg und Frankfurt am Main abgewickelt. Dem Flughafen München fällt dabei mit Abstand die wichtigste Rolle zu. – Jüngere Unternehmen, die nach 1992 gegründet wurden, nutzen Flughäfen häufiger als Unternehmen, deren Gründungsjahr vor 1992 liegt – unabhängig von ihrem Firmensitz. Die Bedeutung von Flughäfen wird demnach auch in Zukunft mit jeder Neugründung weiter steigen. – Die Güte der Flugverbindung wirkt sich positiv auf internationale Investitionsentscheidungen aus. – Die betriebliche Standortwahl ist zumeist das Ergebnis eines komplexen Abwägungsprozesses unterschiedlichster Standortargumente. Hauptansiedlungsgründe von Unternehmen in der Region Flughafen München (Landkreise München, Erding und Freising und Landeshauptstadt München) liegen in der guten Straßeninfrastruktur und den attraktiven Gewerbeflächen. – Die gute Erreichbarkeit von Flugzielen ist vor allem für die Unternehmen wichtig, für die eine regelmäßige Flugtätigkeit von hoher Relevanz für ihren Geschäftserfolg ist. Mehr als vier von fünf dieser Unternehmen nennen die räumliche Nähe zum Flughafen als Ansiedlungsgrund. – Trotz seiner hohen Anziehungskraft auf Unternehmen zeichnet sich das Umfeld des Münchner Flughafens im Vergleich zu anderen Fallbeispielen wie Frankfurt am Main oder Amsterdam durch relative günstige Gewerbeimmobilienpreise aus. So liegt die Durchschnittsmiete bei Gewerbeimmobilien im Umland des Flughafens seit 2012 bei rund 9 Euro je Quadratmeter, während in der Innenstadt von München durchschnittliche Mieten von gut 15 Euro je Quadratmeter gezahlt werden. Ursächlich für diesen Umstand ist u. a. eine schlechtere landseitige Anbindung des Standorts, wie Vergleiche zu den Flughäfen in Frankfurt oder Amsterdam zeigen. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 1.2.7 Executive summary 7 Wachstumsstarke neue Hubkonkurrenten – Der Flughafen München hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten seit seiner Eröffnung zu einem wichtigen Drehkreuz im internationalen Luftverkehr entwickelt. Gleichzeitig wird der Flughafen mit einem verschärften Wettbewerbsumfeld und dem Aufstreben neuer Konkurrenten konfrontiert. Gefahren drohen vor allem aus der Türkei und den Golfstaaten mit ihren wachstumsstarken Fluggesellschaften, hohen finanziellen Ressourcen und schnellen Planungsverfahren beim Infrastrukturausbau. – Die arabische Halbinsel und die Türkei positionieren sich zunehmend als Drehscheibe im globalen Ost-West-Verkehr sowie im Verkehr zwischen Asien und Afrika und Europa und Afrika. Die Stärke der Fluggesellschaften zeigt sich vor allem auf den südostasiatischen Routen und im Australiengeschäft. – Der strukturelle Wandel lässt sich anhand der Verschiebung von Passagierströmen erkennen. Während 2005 noch drei Viertel der Passagiere zwischen Indien und den USA in Europa umstiegen und nur vier Prozent auf der arabischen Halbinsel bzw. in der Türkei, waren es 2013 nur noch 46 Prozent in Europa und schon 38 Prozent am Golf beziehungsweise in der Türkei. – Von 2004 bis 2014 wuchs der Anteil von Golf-Airlines im Europa-, Mittelost- und Asienverkehr von 8,2 Prozent auf 18,5 Prozent. – Während die Drehscheibenflughäfen in der Türkei und am persischen Golf von 2010 bis 2013 hinsichtlich der Passagierzahlen zwischen 40,9 Prozent (Dubai) und 59,7 Prozent (Istanbul) wuchsen, lagen die Wachstumsraten in Europa deutlich niedriger. So stiegen die Passagierzahlen beispielsweise am Flughafen Paris Charles de Gaulle um 7,1 Prozent und am Flughafen Amsterdam Schiphol um 16,2 Prozent. Der Flughafen München konnte ein Wachstum von 11,4 Prozent verzeichnen. – Insgesamt konnte sich der Flughafen München in den zurückliegenden Jahren im Kontext der großen europäischen Drehkreuze gut behaupten und sogar Verkehr und prozentuale Anteile hinzugewinnen. Dennoch ist durch die Entwicklungen insbesondere im Nahen Osten Aufmerksamkeit gefragt, da die Wettbewerber schnell aufholen und weniger Planungs- und Finanzierungsschwierigkeiten ausgesetzt sind als deutsche Wettbewerber. Sollten sich die relativen Anteilsverluste weiter in dieser Geschwindigkeit entwickeln, wird ein zweiter Hub-Flughafen in Deutschland früher oder später in Frage gestellt. 1.2.8 Szenarien – Auf Basis des Gravitationsmodells lassen sich die ökonomischen Auswirkungen verschiedener Szenarien untersuchen. In der vorliegenden Studie wurden drei Hauptszenarien berücksichtigt, ein Verlust der Hub-Funktion, der Bau einer dritten 8 Executive summary Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Start- und Landebahn sowie eine verbesserte landseitige Anbindung des Flughafens München. – Verlust der Hub-Funktion: Gesetzt die Annahme, dass der Flughafen München aufgrund einer fehlenden Hub-Funktion für Passagiere genauso attraktiv wäre wie die Flughäfen Stuttgart, Salzburg oder Leipzig, müsste man mit dem Verlust von über 1,1 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung in Deutschland (-0,9 Milliarden Euro in Bayern) und dem Verlust von über 22.500 Beschäftigten (davon mehr als 17.300 Beschäftigte in Bayern) rechnen. Anders herum betrachtet beziffern diese Zahlen den Wert der Hub-Funktion des Flughafens München. Ein abgemildertes Szenario, in dem davon ausgegangen wird, dass der Flughafen München zehn vor 40 hochrangingen Interkontinentalzielen verliert, beziffert die Beschäftigungsverluste auf 12.000 im Freistaat und bis zu 15.000 in Deutschland. Dieses Szenario kann so interpretiert werden, dass der Flughafen München aufgrund der ökonomischen Stärke der Landeshauptstadt auch bei Verlust der Hub-Funktion noch eine ähnliche Bedeutung aufwiese wie die Flughäfen Düsseldorf, Berlin-Tegel oder Hamburg. – Bau der dritten Start- und Landebahn: Die zusätzliche Bruttowertschöpfung betrüge fast exakt eine Milliarde Euro für Deutschland (0,9 Milliarden Euro für Bayern). Dabei würden 19.900 Arbeitsplätze (davon 15.316 Arbeitsplätze in Bayern) geschaffen werden. Diese Werte sind als Untergrenze anzusehen, da die variablen Kosten der dritten Start- und Landebahn derzeit unbekannt sind und die direkten Beschäftigungseffekte auf der Steigerung der Passagierzahlen (bis zu 20.000 Arbeitsplätze) unberücksichtigt bleiben. – Ausbau der landseitigen Erreichbarkeit: Als letztes Szenario wurden vier Annahmen über eine landseitig verbesserte Zufahrt zum Flughafen München getroffen (bessere Anbindung der Landeshauptstadt, bessere Anbindung über die nördlich, nordöstlich und südöstlich verlaufenden Verkehrsachsen). Auch hier sind die direkten Beschäftigungseffekte nicht berücksichtigt, weshalb auch dieses Szenario konservativ gerechnet ist. Die wirksamste Maßnahme stellt eine Verbesserung des Anschlusses nach München dar, da dadurch auch ein großer Teil Süd- und Südwestbayerns profitiert. Hier kann ein Bruttowertschöpfungseffekt von bis zu knapp über 100 Millionen Euro (davon etwa 90 Millionen in Bayern). Damit zusammen hinge der Aufbau von gut 2.100 Arbeitsplätzen (davon 1.600 in Bayern). Eine bessere Anbindung bspw. über die nördliche bzw. südöstliche Verkehrsachse würde dazu führen, dass der Flughafen München auch für Franken und Österreicher schneller erreichbar wäre. Die direkte Ausstrahlung und damit die Bedeutung des Flughafens München für die beiden Regionen würden damit zunehmen. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 2 Fragestellungen und Studiendesign 9 Fragestellungen und Studiendesign Analyse des Einflusses des Flughafens München auf den Freistaat Bayern Der Vernetzungsgrad der Weltwirtschaft nimmt immer weiter zu. In diesem Zusammenhang steigt die Bedeutung der Luftverkehrswirtschaft, denn im Gegensatz zu anderen Verkehrsträgern erfüllt das Flugzeug wie kein anderes Transportmedium die Erfordernisse einer global orientierten Wirtschaft nach raumübergreifender Mobilität und Flexibilität. Dies gilt vor allem für den Freistaat Bayern mit seiner stark international vernetzten Wirtschaft. Das hohe Wohlstandsniveau im Freistaat Bayern setzt eine entsprechend hohe Produktivität voraus, die sich nicht ohne ausgeprägtes arbeitsteiliges Wirtschaften erzielen lässt. Es sind die Verkehrsinfrastrukturen und die gesunkenen Mobilitätskosten, die das Entbündeln der Wertschöpfungskette erst ermöglichen, die am besten geeigneten Zulieferer einzubinden helfen und das für moderne Gesellschaften typische räumliche Auseinanderfallen von Produktion und Konsum gestatten. Flughäfen sind damit besonders strukturrelevant, binden sie doch eine Region in globale Waren- und Wissensströme ein. Neben dieser verkehrlichen Funktion gehen von Flughäfen aber auch eine Reihe weiterer positiver Effekte aus. Hauptsächlich sind es Agglomerationseffekte in Form von höheren Unternehmensdichten, Innovations-, Gründungs- oder Erfinderintensitäten in der Umgebung von Flughäfen. Besonders ausgeprägt sind diese Effekte an Flughäfen mit Drehscheibenfunktion, wie zum Beispiel dem Flughafen München. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach den wirtschaftlichen Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf den Freistaat Bayern. Um sich dieser zentralen Frage zu nähern, wurde ein innovativer und umfassender methodischer Zugang entwickelt, der unterschiedlichste quantitative Methoden miteinander verschränkt. Es wurde ein Gravitationsmodell der neuesten Art eingesetzt, flankiert von einem multiregionalen Input-Output-Modell, über das die ökonomischen Effekte des Münchner Flughafens analysiert werden können. Darüber hinaus wurden eine breit angelegte Unternehmensbefragung und eine Patentanalyse durchgeführt sowie öffentliche Statistiken und die aktuelle Literatur ausgewertet. Zunächst wird auf Basis eines Gravitationsmodells der neuesten Generation der Effekt von geografischer und zeitlicher Distanz zwischen wirtschaftlichen Akteuren im ökonomischen Kontext integriert (Kapitel 1). Es lässt sich damit errechnen, welcher Anteil des Passagieraufkommens des Flughafens Münchens autonom ist – also nur von den Gegebenheiten der Region abhängt – und welcher Teil eine darüber hinausgehende überregionale Carrier- und Hub-Funktion hat. Dabei soll die Bedeutung des Münchner Flughafens als internationales Drehkreuz herausgearbeitet werden. Das Ziel dieses 10 Fragestellungen und Studiendesign Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Untersuchungsmoduls besteht darin, quantitativ die Bedeutung der Hub-Funktion des Flughafens München zu bestimmen – dafür werden in Kapitel 3 die Grundlagen gelegt. Auf Basis der Analysen wurde ein multiregionales Input-Output-Modell erarbeitet, über das direkte, indirekte und induzierte Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte des Flughafens Münchens errechnet werden (Kapitel 5.1). Anschließend erfolgt eine Betrachtung der katalytischen Effekte, die vom Flughafen München ausgehen, mit besonderem Blick auf die Wissensökonomie (Kapitel 5.2). Ergänzend dazu stellt eine groß angelegte Unternehmensbefragung den Zusammenhang zwischen der unternehmerischen Tätigkeit in Bayern und der Notwendigkeit eines Flughafen her, um internationale Wettbewerbsfähigkeit und damit den hohen Wohlstand in Bayern auch in Zukunft gewährleisten zu können (Kapitel 5.3). Da es sich bei der Luftverkehrswirtschaft um einen zunehmend volatileren Wirtschaftszweig handelt und sich die Konkurrenzkulisse durch das Aufstreben neuer internationaler Wettbewerber zunehmend verschärft, ist es angebracht, sich in einem weiteren Schritt (Kapitel 6.1) einen Überblick über das derzeitige Wettbewerbsumfeld des Drehscheibenflughafens München zu verschaffen. Darauf aufbauend werden in Kapitel 6.2 drei Szenarien vorgestellt, wie die weitere Entwicklung des Münchner Flughafens laufen könnte. Das erste Szenario bewertet einen Verlust der Hubfunktion, das zweite Szenario berücksichtigt den Bau einer dritten Start- und Landebahn. Das dritte Szenario beschäftigt sich schließlich mit einer verbesserten Erreichbarkeit des Flughafens. Kapitel 1 stellt für den methodisch interessierten Leser die Vorgehensweisen bei der Erarbeitung des Gravitationsmodells sowie bei der Erstellung der multiregionalen InputOutput-Tabellen vor. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 3 Identifikation Münchens als Hub-Flughafen 11 Identifikation Münchens als Hub-Flughafen München – Drehscheibe im globalen Luftverkehr Im Gegensatz zu anderen Flughafenkategorien zeichnet sich ein Hub durch seine Knotenpunktfunktion innerhalb des internationalen Luftverkehrs aus. Solche Knotenpunkte im globalen Luftverkehr, auch Drehkreuze genannt, sind aus Kosten- und Effizienzüberlegungen der Fluggesellschaften heraus entstanden, weil der so genannte Punktzu-Punkt-Verkehr – also Direktverbindungen zwischen einzelnen Destinationen – für die Fluggesellschaften speziell auf Mittel- und Langstrecken in vielen Fällen nicht mehr profitabel war. Das Passagieraufkommen war zu gering, die Flugzeuge halb leer (vgl. Fraport, 2014). Das Besondere eines Hubs besteht vor allem darin, dass Flughäfen durch die Bündelung ihrer Passagierströme Skaleneffekte erzielen können und Flughafenbetreiber sowie Passagiere im Allgemeinen und Geschäftsreisende im Besonderen von einer höheren Attraktivität durch ein vielfältigeres Destinationsnetz und einer dichteren Flugtaktung profitieren. Bis heute hält die Literatur keine allgemeingültige Definition eines Hub-Flughafens bereit (vgl. Rodriguez-Deniz et al., 2013). Es herrscht jedoch ein Einverständnis darüber, dass ein Hub ein Flughafen ist, der über eine deutlich überdurchschnittliche Anzahl von Flugzielen verfügt und damit zu einem Drehkreuz für umsteigende Passagiere werden kann. Weitere Eigenschaften können unter anderem regionale Zubringerflüge und eine zeitliche Abstimmung der Anschlussflüge sein. Intuitiv kann man annehmen, dass ein Flughafen durch den Service als Hub überproportional viele Passagiere anziehen wird. Es stellt sich hier allerdings sofort die Frage: überproportional im Verhältnis wozu? Als offensichtliche Antwort kann hier die Anzahl der Flüge als Maßstab dienen. Eine weitere Frage ist, auf welche Passagiertypen sich die Eigenschaft des Hubs auswirken könnte. Aus der Definition des Hubs heraus sollte sich der Anteil der Transferpassagiere, auch „Umsteiger“ genannt, erhöhen. Weiterhin kann man vermuten, dass auch die Zahl der Personen im Quellaufkommen (Passagiere, die vom Wohnort aus landseitig zum Flughafen kommen) zunehmen könnte, da diese vom erweiterten Angebot an Flügen angezogen werden. Zum Flughafen München konnten zu diesem Zweck unter anderem die absolute Anzahl von Passagieren (zurück bis 1970), die Anzahl der regelmäßig angeflogenen Ziele (zurück bis 2000, sowie 1992), sämtliche angeflogenen Ziele (inklusive der nicht regelmäßig angeflogenen) aufgeschlüsselt nach Zielen und Passagierzahlen (zurück bis 1992) in Erfahrung gebracht werden. Details der Passagiere liegen zu den Umsteigern (zurück bis 1995) und dem Quellaufkommen (zurück bis 1997) vor. Diese Zahlen stammen entweder aus öffentlich zugänglichen Berichten (Geschäftsberichte und dergleichen) oder wurden vom Flughafen München auf Anfrage zur Verfügung gestellt. 12 Identifikation Münchens als Hub-Flughafen Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 In Abbildung 1 wird die Auswirkung der Anzahl von Flügen auf das Quellaufkommen dargestellt. Da es möglich ist, dass Passagiere von unterschiedlichen Flugangeboten unterschiedlich stark angezogen werden, ist nicht nur die Zahl der regelmäßig angeflogenen Ziele (dunkelgrau, Mitte), sondern auch der Ziele mit mehr als 10.000 Passagieren (blau, links) sowie die Anzahl aller Ziele (dunkelblau, rechts) eingetragen. Dabei zeigt sich, dass bei keiner dieser Angebotstypen ein Knick in der Nachfrage (daher in der Passagierzahl) zu erkennen ist. Für alle drei Typen gilt ein linearer Zusammenhang – je mehr Flugziele, desto mehr Passagiere. Bei den Flügen mit mehr als 10.000 Passagieren stieg die Anzahl der Flugziele beispielsweise von 147 auf 189 im Zeitraum von 1997 bis 2013. Gleichzeitig wuchsen die Passagierzahlen im Quellaufkommen von 8,9 Millionen auf 14,5 Millionen. Dieser Zusammenhang ist zwar linear, aber deutlich überproportional: Nahm die Anzahl der regelmäßigen Flugziele beispielsweise lediglich um knapp sieben Prozent zu, wurden gleichzeitig 33,5 Prozent mehr Passagiere transportiert. Dieser Effekt kommt höchstwahrscheinlich durch das allgemeine Wachsen der Nachfrage nach Flügen im Lauf der Zeit zustande. Der Hub-Effekt wird daher vermutlich von diesem Wachstum überlagert. Abbildung 1 Zusammenhänge zwischen der Anzahl von Flugzielen mit mehr als 10.000 Passagieren, regelmäßig angeflogenen Zielen und aller Ziele mit Quellaufkommen Darstellung: eigene Darstellung Economica Datengrundlage: Flughafen München Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Identifikation Münchens als Hub-Flughafen 13 Dieselben Untersuchungen wurden für innerdeutsche Flüge, Kontinentalflüge und Interkontinentalflüge durchgeführt, wobei jedoch stets derselbe lineare Zusammenhang erkennbar war. Einige Male schienen Ansätze von Nichtlinearitäten erkennbar, aufgrund der vergleichsweise wenigen Datenpunkte zeigten die zur Analyse verwendeten Statistiken aber keine signifikanten Ergebnisse. Im Fall der Umsteiger zeigt sich hingegen ein anderes Bild. Hier konnte, wie in Abbildung 2 zu sehen, ein Knick bei etwa 35 bis 40 interkontinentalen Flugzielen mit mehr als 10.000 Passagieren nachgewiesen werden. Die mittelblaue (mittlerer Abschnitt) und dunkelblaue Linie (rechter Abschnitt) zeigen die Regressionsgeraden vor bzw. nach dem Jahr 2004. Dieser Zeitpunkt ist insofern bemerkenswert, als im Sommer 2003 das Terminal 2 eröffnet werden konnte, welches die Kapazität des Flughafens auf 25 Millionen Passagiere verdoppelte. Ob sich dieser Knick aus der Inbetriebnahme von Terminal 2 oder der Anzahl der gut besetzten Interkontinentalflüge ableitet, ist anhand der Daten nicht mit letztgültiger Sicherheit zu beantworten. Für letzteres spricht allerdings, dass sich das Jahr 2004 in den anderen Daten nicht besonders heraushebt, bei den Interkontinentalflügen mit mehr als 10.000 Passagieren aber eine wichtige Rolle spielt. Abbildung 2 Zusammenhänge zwischen der Anzahl von interkontinentalen Flugzielen mit mehr als 10.000 Umsteigern Darstellung: eigene Darstellung Economica Datengrundlage: Flughafen München 14 Identifikation Münchens als Hub-Flughafen Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Für die Studie von besonderem Interesse sind Steigungen der Geraden in Abbildung 2. Die mittlere, mittelblaue Gerade zeigt ein Verhältnis von 420.000 Umsteigern je hochrangigem interkontinentalem Flugziel, die obere, dunkelblaue Gerade eines von 1,64 Millionen Umsteigern. Die Steigung der zweiten Geraden ist allerdings von stärkerer Ungenauigkeit behaftet, was zu einem guten Teil der Wirtschaftskrise in den Jahren 2008 und 2009 zuzurechnen ist. Interessant ist, dass die mittlere, mittelblaue Linie bei etwa 15 hochrangigen interkontinentalen Flugzielen durch die x-Achse stoßen würde, was gleichbedeutend mit „keine Umsteiger“ ist. Da anzunehmen ist, dass es auch bei wenigen derartigen Flügen noch Umsteiger geben wird, kann man diese mittlere Gerade nicht linear weiter verlängern. Vielmehr ist anzunehmen, dass die tatsächliche Funktion eine weitere Biegung beschreibt, um durch den Nullpunkt gehen zu können. Das ist mit der links unteren, grauen Geraden dargestellt. Vermutlich muss diese Linie sogar noch flacher und höher verlaufen, da auch ohne hochrangige interkontinentale Flüge mit Umsteigern zu rechnen ist. Diese drei Geraden zeigen gut den deutlich überproportionalen Zusammenhang zwischen den hochrangigen interkontinentalen Flügen und den Umsteigern. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Frage, ab wann der Flughafen München zum Hub geworden ist, sich nicht mit letztgültiger Klarheit beantworten lässt. Sicherlich spielten die Jahre 2003 bzw. 2004 (als erstes ganzes Jahr mit Terminal 2) eine wesentliche Rolle. Der Knick zwischen den beiden Regressionsgraden in Abbildung 2 legt nahe, dass die Eröffnung des Terminals 2 eine markante Rolle auf dem Weg zum Hub spielt. Die Infrastrukturausstattung des Flughafens scheint eine wichtigere Rolle zu spielen als die reine Anzahl der Flugziele, wenn diese beiden sich überlagernden Effekte separiert werden. Aufgrund der Berechnungen liegt zumindest für den Flughafen München der Schluss nahe, dass erst das Terminal 2 die notwendigen Kapazitäten geschaffen hat, um je weiterem hochrangigem Interkontinentalziel deutlich mehr Passagiere anzuziehen. Eine Mindestzahl an hochrangigen Interkontinentalzielen ist ebenfalls für die Ausübung einer Hub-Funktion notwendig. In München liegt die Zahl bei rund 35 Zielen. Von 2000 bis 2013 konnte der Flughafen München somit einen Passagierzuwachs von zwei Dritteln auf 38,7 Millionen verzeichnen. Düsseldorf als drittgrößter Flughafen Deutschlands erzielte im gleichen Zeitraum lediglich ein Wachstum von einem Drittel auf zuletzt 21,2 Millionen Passagiere (vgl. Geschäftsberichte der Flughäfen, 2013 und 2003). Heute gehört der Flughafen München zu den 30 passagierstärksten Flughäfen weltweit (vgl. Airports Council International, 2013). Mit rund 6,5 Millionen Reisenden im außereuropäischen Passagierverkehr liegt der Anteil interkontinentalen Flugverkehrs bei rund 17 Prozent. In Düsseldorf liegt dieser Anteil bei lediglich 13 Prozent. Flughäfen wie Nürnberg oder Stuttgart kommen auf einen Anteil von rund 4,5 Prozent, BerlinTegel auf rund 5,6 Prozent. Frankfurt als der Mega-Hub in Deutschland erzielt einen Anteil von knapp 40 Prozent (vgl. ADV- Monatsstatistik, 2014). Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Identifikation Münchens als Hub-Flughafen 15 Die fast vier Millionen Passagiere mit Interkontinentalzielen, die München im Vergleich zu Düsseldorf mehr aufweist, ermöglichen dem Standort ein viel differenzierteres Destinationsnetz. Während München 67 interkontinentale Destinationen (Amerika, Afrika und Asien, ohne Passagierlimits) anbietet, sind es in Düsseldorf lediglich 36 interkontinentale Destinationen – am Frankfurter Flughafen können Passagiere zwischen rund 140 interkontinentalen Destinationen wählen (vgl. Geschäftsberichte der Flughäfen, 2013). Der Flughafen Düsseldorf kann als guter Vergleich herangezogen werden, konnte dieser sich doch in den zurückliegenden Jahren zunehmend als drittes Drehkreuz der Lufthansa vor all im Bereich des Interkontinentalverkehrs etablieren und eine hubähnliche Qualität aufbauen. So bieten die Lufthansa und andere Fluggesellschaften heute im Vergleich zu den anderen Flughäfen in Deutschland bis auf Frankfurt und München eine Vielzahl an Langstreckenverbindungen nach Nordamerika und Asien ab Düsseldorf an. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 4 Anziehungskraft des Hub-Flughafen Münchens 17 Anziehungskraft des Hub-Flughafen Münchens Flughafen München: Infrastruktureinrichtung mit hoher Anziehungskraft Im Folgenden wird die Anziehungskraft des Flughafens München für die Gemeinden in ganz Bayern analysiert. Zur Erhöhung der Lesbarkeit wird an dieser Stelle von theoretischen Ausführungen Abstand genommen. Ausführliche Darstellungen hierzu finden sich im methodischen Anhang im Unterkapitel 7.1. Da beim Gravitationsmodell die Passagieranzahl aus den umliegenden Wohnorten analysiert wird, findet im Folgenden nur das Quellaufkommen Beachtung. Dieses umfasst einsteigende Passagiere, die von ihrem Wohnsitz zum Flughafen reisen, um von dort abzufliegen. Daneben gibt es noch eine andere Kategorie von Einsteigern, nämlich die Besucher. Das sind Passagiere, beispielsweise aus den USA, die bereits nach München geflogen sind, dort ihrem Reisezweck nachgekommen sind und jetzt einsteigen, um zurückzufliegen. Datengrundlage ist eine Passagierbefragung am Flughafen München durch die Flughafen München GmbH (FMG), an der gut 37.000 Passagiere im Jahr 2013 teilgenommen haben. Methodisch kommt ein leistungsstarkes Gravitationsmodell der neuesten Generation zum Einsatz, welches den Effekt von geografischer und zeitlicher Distanz zwischen wirtschaftlichen Akteuren in die ökonomische Berechnung integriert. In Abbildung 3 werden die Anteile der Passagiere an der Wohnbevölkerung der Gemeinden dargestellt. Zur besseren Sichtbarkeit wurden die Farbwerte auf den Wert von München normiert. Alle Gemeinden, deren Anteil höher als München war, wurden also auf den Farbwert der Hauptstadt kalibriert (bei den Berechnungen wurden natürlich die Originalwerte verwendet). Die Farbwerte der beiden Grafiken lassen sich daher nicht direkt miteinander vergleichen. Durch die Darstellung der Anteile wird in diesen Grafiken die „Strahlkraft“ des Flughafens im Sinn der Attraktivität auf potenzielle Passagiere erstmals sichtbar. Die Farbskalen sind hier linear (abgesehen von den verkürzten Ausreißern, die über München hinausragen würden), weshalb die mittleren Blautöne auch etwa die halben Anteile der dunklen Blautöne darstellen. Dreidimensional gedacht ist daher rund um den Flughafen München eine Art Kegel zu erkennen, der mit zunehmender Distanz immer niedriger wird und flach ausläuft. Da die Distanz in dieser Studie als Zeit gemessen wird, ist es auch zu erklären, warum die großen Verkehrsachsen im Münchner Umfeld gut erkennbar sind. Die A8 und A93 von München in Richtung Südsüdost nach Kufstein sind sichtbar, ebenso die A92 nach Nordosten und die A9 in Richtung Norden nach Ingolstadt sowie die A96 in Richtung Westsüdwest. 18 Anziehungskraft des Hub-Flughafen Münchens Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Abbildung 3 Anteil der Passagiere an der Bevölkerung mit privatem (oben) und geschäftlichem (unten) Reisegrund Darstellung: eigene Darstellung Economica, Näheres zur Methodik s. Kapitel 7.1 Datengrundlage: Flughafen München Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Anziehungskraft des Hub-Flughafen Münchens 19 Die aktuelle Grenze der Attraktivität nach Norden ist ebenso erkennbar. Bis etwa Regensburg, Ingolstadt und Augsburg sind noch erhöhte Passagieranteile sichtbar, jenseits davon sind selbst blass-blaue Farben und damit sehr geringe Passagierzahlen nur sehr selten zu beobachten. Hier stellt sich nun die Frage, von welchen Flughäfen die Bewohner der in mittlerer Distanz zu den Flughäfen liegenden Gemeinden – etwa jener südlich von München in direkter Alpennähe – abfliegen. Die näheren Ausführungen zur Methodik in Kapitel 7.1 zeigen, dass die Neigung, einen Flug zu unternehmen, über ganz Bayern gleich verteilt sein müsste oder zumindest sein könnte. Tatsächlich spielt aber die Distanz eine derart wesentliche Rolle (mehr bei Privaten, weniger bei den Geschäftsreisenden, wie sich zeigen wird), dass sie auch darüber entscheidet, ob überhaupt eine Flugreise unternommen wird oder nicht. Dieses Ergebnis zeigt sich auch bei anderen Studien immer wieder und kann beispielsweise bei Studierenden an den Technischen Universitäten oder an Fachhochschulen nachgewiesen werden (vgl. Fichtinger et al., 2012 und Grohall et al., 2005). Die Nähe zu einer derartigen Bildungseinrichtung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dort zu studieren, statistisch höchst signifikant und ist oft wesentlicher als die persönlichen Vorlieben für weiter entfernt angebotene Studienrichtungen. Wenn man solche Verhaltensmuster bei derart wichtigen Entscheidungen beobachten kann, erscheint es weniger erstaunlich, dass sie sich auch bezüglich Flugreisen zeigen. Zusätzlich gilt, dass bei Geschäftsreisenden die Kaufkraft eine etwas wichtigere Rolle spielt, weshalb aus urbanen Regionen und dem Münchner Umland bevorzugt Geschäftspassagiere anzutreffen sind. Die Ergebnisse des Gravitationsmodells für die Anzahl der Geschäfts- und Privatpassagiere sind in Tabelle 1 abzulesen. Neben jeder erklärenden Variablen steht zunächst der entsprechende Koeffizient der Geschäftspassagiere, welcher als Elastizität zu interpretieren ist: Steigt die Anzahl der Einwohner einer Gemeinde um 1 Prozent, steigt die Anzahl der Geschäftspassagiere im Durchschnitt um 2,29 Prozent. Der daneben stehende P-Wert ist – nicht vollständig korrekt, dafür verständlicher erklärt – die Wahrscheinlichkeit, mit der die erklärende Variable in Wahrheit keinen Einfluss auf das Passagieraufkommen hat. Die korrekte Definition des P-Wertes ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei gültiger Null-Hypothese ein Wert auftritt, der zumindest so extrem ist wie der tatsächlich beobachtete Wert. Die Null-Hypothese hier lautet, dass der Koeffizient in Wahrheit den Wert 0,0 besitzt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Anzahl der Einwohner einer Gemeinde keinen Einfluss auf das dortige Geschäftspassagieraufkommen besitzt, beträgt 0,02 Prozent und ist statistisch höchst signifikant. 20 Anziehungskraft des Hub-Flughafen Münchens Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Tabelle 1 Ergebnisse des Gravitationsmodells Geschäftlich Privat Koeffizient P-Wert Koeffizient P-Wert 2,29 0,0002 2,08 0,0183 Zeit MUC -0,64 0,0008 -0,99 0,0001 Zeit NUE 0,62 0,0033 0,20 0,4304 Zeit FMM 0,06 0,8200 -0,13 0,7048 Zeit SZG -0,16 0,4308 0,27 0,3131 Zeit FRA 0,78 0,0119 2,10 0,0000 Zeit HOQ -0,11 0,8194 0,00 0,9947 Zeit STR -0,49 0,2442 0,30 0,5896 Zeit ZHR -0,43 0,5480 0,26 0,7771 Zeit PRG* -1,57 0,0014 -0,47 0,4386 0,29 0,7857 0,32 0,7765 -0,10 0,3131 -0,09 0,5154 0,77 0,4057 -0,71 0,5759 Beschäftigte am Wohnort Kaufkraft -0,91 3,58 0,1582 0,0021 -0,05 3,13 0,9563 0,0500 Exportquote -0,05 0,2819 -0,02 0,7152 Einwohner Zeit LEJ Steuerbarer Umsatz aus L&L Verfügbares Haushaltseinkommen *Näheres zur methodischen Erläuterung siehe in Kapitel 7.1 Darstellung: eigene Berechnung Economica Datengrundlage: Flughafen München; OpenStreetMap; diverse Daten aus IW Regionaldatenbank (2014) Die in der Tabelle hervorgehobenen Werte sind jene, die als statistisch signifikant eingestuft wurden. Hierfür ist ein P-Wert kleiner oder gleich 5 Prozent notwendig, womit einigermaßen sicher ist, dass die erklärende Variable das Passagieraufkommen auch tatsächlich beeinflusst. Der Wert der Kaufkraft bei den Geschäftskunden ist mit exakt 5 Prozent ein Grenzfall, wird aber noch aufgenommen. Da in unserem Kulturkreis das Dezimalsystem verwendet wird, ist 5 Prozent eine „schöne runde Zahl“. Letztlich ist sie aber nur ein willkürlich gewählter Punkt. Genauso gut kann man jeden anderen niedrigen Prozentwert verwenden. Wäre der Anteil der Passagiere unabhängig von der Zahl der Einwohner der Gemeinden (zum Beispiel immer 0,71 Prozent), müsste der Koeffizient der Einwohner den Wert 1,0 annehmen. Bei den gegebenen Werten von 2,29 bzw. 2,08 ist allerdings ein ausgesprochen überproportionales Ansteigen der Passagierzahlen in größeren Gemeinden zu verzeichnen. Genau gesagt ist bei einem Anstieg der Gemeindegröße um 1 Prozent mit 2,29 Prozent mehr Geschäfts- und 2,08 Prozent mehr Privatpassagieren zu rechnen. Dies ist ein starker Hinweis darauf, dass ein „urbaner Lebensstil“ mit einer vermehrten Anzahl von Flugreisen einhergeht. Urbane Lebensstile, der Trend zur Reurbanisierung und die zunehmende Einbettung von Unternehmen in wissensintensi- Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Anziehungskraft des Hub-Flughafen Münchens 21 ven Netzwerken in hochurbanisierten Regionen sind maßgebliche treibende Kräfte dieser Entwicklung. Die Organisationsstruktur transnationaler Unternehmen lassen einen gemeinsamen Kern erkennen. Immer stärker spezialisierte Einheiten werden weltweit in ein Netzwerk von Aktivitäten integriert, welche die Effizienz, Reaktionsfähigkeit und Kreativität fördern. Städte beherbergen solche Aktivitäten und urbane Drehscheiben – wie zum Beispiel ein Flughafen – spielen als firmeninterne oder -externe Knoten in den globalen Wissensnetzwerken eine entscheidende Rolle. Die Zeit zum Münchner Flughafen (Zeit MUC) ist hochgradig signifikant und erhält Koeffizienten von -0,64 und -0,99. Steigt die Anreisezeit daher um 1 Prozent an, sinkt die Zahl der Passagiere um 0,64 Prozent bzw. um 0,99 Prozent. Geschäftskunden reagieren weniger stark, was ein Hinweis darauf ist, dass Geschäftsreisen unternommen werden müssen, egal wie weit weg der Flughafen liegt. Die angegebenen Werte liegen recht genau in der Mitte des Intervalls der in anderen Studien gefundenen Koeffizienten. Dazu passend ist das Ergebnis der Reisezeit zum Flughafen Nürnberg (Zeit NUE). Da von dort vor allem innerdeutsche und EU-weite Flüge angeboten werden, ist dieser Flughafen für Geschäftskunden durchaus von Interesse, während er für private Urlaubsreisende tendenziell weniger attraktiv ist als der Flughafen München. Daher ist auch nur der Koeffizient der Geschäftskunden signifikant. Sein Koeffizient ist positiv, da mit fallender Distanz zu Nürnberg weniger Passagiere in München im Datensatz vorkommen (anders ausgedrückt: mit steigender Distanz zu Nürnberg steigt auch die Anzahl der Passagiere in München). Das Regressionsergebnis für den Flughafen Frankfurt (Zeit FRA) hingegen erscheint mehr als nur plausibel. Die räumliche Nähe eines Wohnortes zu Frankfurt senkt die Passagierzahlen in München. Der Koeffizient von 0,78 der Geschäftspassagiere liegt durchaus im Bereich der beiden anderen Flughafenkoeffizienten (MUC und NUE). Der Wert von 2,10 bei den Privatpassagieren ist deutlich höher. Damit steigen die Passagierzahlen in München um 2,1 Prozent, wenn die Distanz eines Wohnortes sich zu Frankfurt um 1 Prozent erhöht. Das bedeutet letztlich, dass dieser Anstieg deutlich steiler verläuft als bei den Geschäftskunden. In Abbildung 3 ist das daran zu erkennen, dass die Trennlinie Regensburg – Nürnberg – Augsburg bei den privaten (obere Grafik) schärfer verläuft als bei den Geschäftspassagieren. Diese zeigen zwar auch kaum Passagieranteile nördlich dieser Linie, Richtung München ist aber ein glatterer Verlauf zu erkennen, im Gegensatz zum plötzlich entstehenden Plateau der Privatpassagiere (die größere Fläche an mittel-orange gefärbten Gemeinden). Die Flughäfen Memmingen (Zeit FMM), Salzburg (Zeit SZG), Hof (Zeit HOQ), Stuttgart (Zeit STR), Zürich (Zeit ZHR) und Leipzig (Zeit LEJ) werden nicht als signifikant eingestuft. Die Ergebnisse zum Flughafen Prag (PRG) werden in Kapitel 7.1 näher erläutert, hier aber als nicht signifikant eingeordnet. Von den wirtschaftlichen Faktoren wird einzig die Kaufkraft als signifikant eingestuft – diese ist aber offenbar von großer Wichtigkeit. Steigt sie um 1 Prozent, gibt es im 22 Anziehungskraft des Hub-Flughafen Münchens Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Durchschnitt um 3,6 Prozent mehr Geschäfts- und um 3,1 Prozent mehr Privatpassagiere. Dass Geschäftspassagiere vermutlich eher aus kaufkraftstarken Gegenden kommen, erscheint intuitiv. Bei den Privatpassagieren muss man bedenken, dass Flugreisen oft auch zu tendenziell teuren Urlaubsdestinationen führen, was die Selektion hin zu kaufkraftstarken Gemeinden sicherlich verstärkt. Die vorliegenden Berechnungen wurden vor dem Hintergrund einer Ceteris-paribusBetrachtung durchgeführt (siehe Abschnitt 7.1). Das heißt, dass jeder Koeffizient für sich wirksam wird – bei gleichzeitiger Beibehaltung aller anderen Werte. Das gilt natürlich auch für den Koeffizienten der Einwohner, der die Präferenz urbaner Bevölkerungsschichten für Flugreisen zum Ausdruck bringt – allerdings bei gleicher Kaufkraft, wie man sie auch in anderen Regionen findet. Bedenkt man, dass es in Städten nicht nur mehr Einwohner gibt, sondern auch die Kaufkraft je Einwohner höher ist, kommen dort beide erklärenden Variablen gleichzeitig zum Tragen. Folgendes Bild resultiert aus der Regressionsanalyse: – Die Distanz zwischen Wohnort und Flughafen spielt eine entscheidende Rolle. Diese ist für Privatpassagiere nochmals wichtiger, was daran liegen dürfte, dass Geschäftsreisen unternommen werden müssen, egal wie weit der passende Flughafen entfernt ist. Dieses Muster gilt für alle im Modell vorkommenden und als signifikant erachteten Flughäfen (München, Nürnberg, Frankfurt). – Sowohl Privat- als auch Geschäftspassagiere kommen bevorzugt aus einwohnerstarken Gemeinden, wobei für Geschäftspassagiere ein höherer Wert ermittelt wird. Das lässt auf eine verstärkte Präferenz von Personen aus urbanen Lagen gegenüber Personen aus ländlichen Gegenden für Flugreisen schließen. – Sowohl Privat- als auch Geschäftspassagiere kommen bevorzugt aus Gemeinden mit hoher Kaufkraft, wobei wiederum der Effekt für Geschäftspassagiere etwas stärker sein dürfte. Hier kommen vermutlich die Flugkosten und die danach (zum Beispiel im Urlaub) folgenden Kosten zum Tragen. – Steuerbare Umsätze, Haushaltseinkommen, Beschäftigung und Exportquote scheinen keine substanzielle Rolle zu spielen. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist hier die Kaufkraft der stärkere Indikator. Aus diesen direkten Ergebnissen des Regressionsmodells lassen sich einige weitere interessante Schlüsse ziehen. So ist es zum Beispiel möglich, die verschiedenen Konkurrenzflughäfen zu München aus dem Modell herauszurechnen und sich so eine Welt mit dem Flughafen München als lokalen Monopolisten anzusehen. Um die Darstellung zu erleichtern, wird hierzu die zweidimensionale Landkarte rund um den Flughafen fächerförmig auf eine eindimensionale Gerade zusammengeklappt. Sämtliche Distanzen, seien sie nach Berchtesgaden oder nach Augsburg gemessen, sind daher auf diesem Zahlenstrahl zu finden. In Abbildung 4 sind die metrischen (unveränderte Zahlen) und logarithmierten Geschäftspassagieranteile mit steigender Reisezeit zum Flug- Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Anziehungskraft des Hub-Flughafen Münchens 23 hafen München dargestellt, wobei davon ausgegangen wird, dass alle Gemeinden gleich groß sind und über dieselbe Kaufkraft verfügen. Ferner wird angenommen, dass im Umkreis von 20 bis 30 Minuten rund um einen Flughafen die Reisezeit keine Rolle spielt – diese Annahme wurde anhand der für den Flughafen München verfügbaren Daten getroffen. Eine Regressionsanalyse zeigt, dass bei der Verwendung von logarithmierten Reisezeiten keine Erhöhung der Passagieranteile mehr zu erreichen ist, auch wenn die Reisezeit weiter verkürzt wird. Das Argument basiert dementsprechend auf einer empirischen Beobachtung und nicht etwa auf theoretischen Überlegungen oder Modellannahmen. Die Darstellung über eine eindimensionale Gerade führt zur Ausbildung linearer Funktionsabschnitte rund um die Konkurrenzflughäfen. Die Logarithmierung ist eine in der Ökonomie übliche Herangehensweise, um multiplikative Unterschiede besser sichtbar zu machen. Es werden drei Szenarien durchgespielt: – Die Anziehungskraft des Flughafens München ohne andere Flughäfen in der Nähe, die die Passagierzahlen beeinflussen könnten (blaue Linie). Die Anziehungskraft fällt relativ rasch, weil Hürden wie die Anreisezeit bei ungünstigen Flugzeiten, Parkplatzkosten, schlechtere Anreise per Bahn etc. mit steigender Distanz zunehmen. Der ähnliche Effekt wurde weiter oben anhand der Auswahl eines Studiengangs erläutert. Ohne dass andere Flughäfen in der Nähe sind, fällt die Anziehungskraft des Flughafens München somit am stärksten aus – die blaue Linie befindet sich bis zu ca. Kilometer 200 dauerhaft über den beiden anderen Linien. – Die Anziehungskraft des Flughafens München unter Berücksichtigung, dass der Flughafen Nürnberg existiert (hellblaue Linie). Je näher ein potenzieller Passagier an Nürnberg wohnt und je weiter weg von München, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass München der Flughafen seiner Wahl ist. Rund um Nürnberg wird deshalb das Niveau der Passagiere für den Flughafen München in etwa halbiert. In einiger Distanz zu Nürnberg (egal ob Richtung München oder weiter weg) ist dieser Effekt allerdings bereits wieder wesentlich schwächer, weshalb sich die hellblaue und blaue Linie wieder annähern. – Im dritten Szenario wird zusätzlich der Flughafen Frankfurt berücksichtigt (graue Linie). Diese Linie ist zwar nahe München kaum bemerkbar und verläuft fast identisch zur blauen Linie bei 20 bis 30 Minuten Fahrtzeit zum Flughafen München. Frankfurt liegt für diese Gemeinden relativ weit entfernt, München dafür sehr nah. Ab etwa 100 Minuten Fahrtzeit zum Flughafen München ist der Flughafen Frankfurt allerdings deutlich spürbar und senkt das dort bereits niedrige Niveau der Passagieranteile nochmals erheblich ab. Bei 200 Minuten Fahrtzeit zum Flughafen München liegt damit der Passagieranteil je Einwohner bei nahe Null. Fast alle Reisenden wählen dann den Frankfurter Flughafen. Diese Kurven entsprechen sehr genau den Beobachtungen in Abbildung 3, wo ab Regensburg – Ingolstadt – Augsburg nur noch sehr geringe Passagieranteile für den Flughafen München zu beobachten sind. Dies sind zunächst die vergleichsweise 24 Anziehungskraft des Hub-Flughafen Münchens Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 schwachen, aber nahe dem Flughafen doch wirksamen Effekte des Nürnberger Flughafens und weiter nördlich des Flughafens Frankfurt. Abbildung 4 Anteil der Geschäftspassagiere an der Bevölkerung bei steigender Distanz mit und ohne Nürnberg und Frankfurt; metrisch oben, logarithmiert unten Darstellung: eigene Darstellung Economica Datengrundlage: Flughafen München Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Anziehungskraft des Hub-Flughafen Münchens 25 Es werden drei Szenarien durchgespielt: – Die Anziehungskraft des Flughafens München ohne andere Flughäfen in der Nähe, die die Passagierzahlen beeinflussen könnten (blaue Linie). Die Anziehungskraft fällt relativ rasch, weil Hürden wie die Anreisezeit bei ungünstigen Flugzeiten, Parkplatzkosten, schlechtere Anreise per Bahn etc. mit steigender Distanz zunehmen. Der ähnliche Effekt wurde weiter oben anhand der Auswahl eines Studiengangs erläutert. Ohne dass andere Flughäfen in der Nähe sind, fällt die Anziehungskraft des Flughafens München somit am stärksten aus – die blaue Linie befindet sich bis zu ca. Kilometer 200 dauerhaft über den beiden anderen Linien. – Die Anziehungskraft des Flughafens München unter Berücksichtigung, dass der Flughafen Nürnberg existiert (hellblaue Linie). Je näher ein potenzieller Passagier an Nürnberg wohnt und je weiter weg von München, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass München der Flughafen seiner Wahl ist. Rund um Nürnberg wird deshalb das Niveau der Passagiere für den Flughafen München in etwa halbiert. In einiger Distanz zu Nürnberg (egal ob Richtung München oder weiter weg) ist dieser Effekt allerdings bereits wieder wesentlich schwächer, weshalb sich die hellblaue und blaue Linie wieder annähern. – Im dritten Szenario wird zusätzlich der Flughafen Frankfurt berücksichtigt (graue Linie). Diese Linie ist zwar nahe München kaum bemerkbar und verläuft fast identisch zur blauen Linie bei 20 bis 30 Minuten Fahrtzeit zum Flughafen München. Frankfurt liegt für diese Gemeinden relativ weit entfernt, München dafür sehr nah. Ab etwa 100 Minuten Fahrtzeit zum Flughafen München ist der Flughafen Frankfurt allerdings deutlich spürbar und senkt das dort bereits niedrige Niveau der Passagieranteile nochmals erheblich ab. Bei 200 Minuten Fahrtzeit zum Flughafen München liegt damit der Passagieranteil je Einwohner bei nahe Null. Fast alle Reisenden wählen dann den Frankfurter Flughafen. Diese Kurven entsprechen sehr genau den Beobachtungen in Abbildung 3, wo ab Regensburg – Ingolstadt – Augsburg nur noch sehr geringe Passagieranteile für den Flughafen München zu beobachten sind. Dies sind zunächst die vergleichsweise schwachen, aber nahe dem Flughafen doch wirksamen Effekte des Nürnberger Flughafens und weiter nördlich des Flughafens Frankfurt. nur die Reisezeiten zu den Flughäfen betrachtet wurden, lässt sich durch das Modell auch ein berechneter Anteil für die Passagierzahlen und -anteile einer jeden Gemeinde für alle als signifikant eingestuften erklärenden Variablen (mit Ausnahme der Reisezeit zu Prag) ermitteln. In Abbildung 5 ist das für die Anteile der Geschäftspassagiere geschehen, wobei die obere Grafik das Pendant zur unteren Grafik in Abbildung 3 darstellt: Man erkennt noch immer, dass die Nähe zum Flughafen München eine bedeutende Rolle spielt, welche aber durch die Einwohnerzahl und Kaufkraft öfters durchbrochen wird. So weist beispielsweise Landshut, die langgestreckte Gemeinde nordöstlich des Flughafens, einen deutlich höheren geschätzten PassagieranAbbildung 4 26 Anziehungskraft des Hub-Flughafen Münchens Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 teil auf als die Gemeinden der direkten Umgebung – auch wenn diese näher am Flughafen liegen. Ebenso sind wieder die drei großen Städte Regensburg, Ingolstadt und Augsburg erkennbar. Im Gegensatz zu Abbildung 3 stammen diese „Buckel“ aber nicht vom statistischen Rauschen der Daten, sondern werden zu 100 Prozent vom Modell erklärt. Der untere Teil von Abbildung 5 stellt genau dieselben Daten dar wie der obere, allerdings auf dreidimensionale Art. Zur besseren Sichtbarkeit wurde die Karte um 90 Grad gedreht, wodurch Norden rechts verortet wird. Ebenso wurde, wie bei den anderen Anteilskarten, das maximale Niveau normiert. Dadurch verbindet diese Art der Abbildung die korrekte geografische Darstellung der Karten mit der anschaulichen Höhendarstellung von Abbildung 4, wodurch die schnelle Abnahme der Anteile der Passagiere sichtbar wird, welche nur in den regionalen Zentren etwas höher liegen. Die Kernaussage dieser Grafiken ist letztlich, dass der Flughafen München zwar den nächsten echten Konkurrenten erst in Frankfurt hat, durch eine bessere landseitige Anbindung aber substanziell profitieren kann. Hierzu werden in Kapitel 1 weitere Berechnungen angestellt. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Anziehungskraft des Hub-Flughafen Münchens Abbildung 5 Vom Modell berechneter Anteil der Geschäftspassagiere an der Bevölkerung – in der unteren, dreidimensionalen Grafik gleichen Inhalts ist Norden rechts – Darstellung: eigene Darstellung Economica Datengrundlage: Flughafen München 27 Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 5 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität 29 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Kraftzentrum Flughafen München Die positiven Effekte von Flughäfen zum Beispiel auf die Wirtschaftsstruktur sind weitreichend. Diese stehen im nachfolgenden Kapitel im Mittelpunkt. Dabei gliedert sich das Kapitel in drei Abschnitte. Der erste Abschnitt reflektiert die Wirtschaftseffekte auf gesamtbayerischer Ebene. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht das Wertschöpfungsnetzwerk Flughafen. Der zweite Abschnitt widmet sich den Standorteffekten in der Flughafenregion München. Dieser Abschnitt geht zudem der Frage nach der Bedeutung des Flughafens im wissensökonomischen Kontext nach. Der dritte und letzte Abschnitt rückt hingegen die Bedeutung des Flughafens für bayerische Unternehmen in den Fokus. Basis dieses Abschnitts ist eine exklusive bayernweite Unternehmensbefragung. 5.1 Wirtschaftseffekte auf gesamtbayerischer Ebene Die wirtschaftlichen Effekte des Flughafens München strahlen auf den gesamten Freistaat aus. Dabei muss zwischen drei quantitativ zu messenden Effekten unterschieden werden. – Direkte Effekte: Direkte Effekte entstehen dadurch, dass der Flughafen rund 32.250 Personen beschäftigt und damit positiv zum Wertschöpfungs- und Einkommensniveau in Bayern beiträgt. – Indirekte Effekte: Die indirekten Effekte bestehen aus Beschäftigungs- und Einkommenseffekten bei den Zulieferern des Flughafens, also durch Vorleistungsbeziehungen. – Induzierte Effekte: Induzierte Effekte entstehen dadurch, dass die Flughafenbeschäftigten und die Beschäftigten bei den Zulieferern Konsumausgaben tätigen, die wiederum der bayerischen Wirtschaft zugutekommen. Im Folgenden werden diese Wertschöpfungs- und Einkommenseffekte für den Flughafen München mithilfe einer komplexen multiregionalen Input-Output-Analyse berechnet. Auch hier wird mit Blick auf die Lesbarkeit von theoretischen Ausführungen Abstand genommen. Ausführliche Darstellungen hierzu finden sich im methodischen Anhang im Unterkapitel 7.2. 5.1.1 Wertschöpfungsnetzwerk Flughafen München Unumstritten ist, dass dem Flughafen München in Bayern eine besondere Bedeutung zukommt und dass von diesem auch ein beträchtlicher Beitrag zur bayerischen Wirt- 30 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 schaftsleistung ausgeht. Und dennoch ist zu vermuten, dass der Flughafen München in seiner gesamtwirtschaftlichen Bedeutung möglicherweise unterschätzt wird. Während man mit dem Flughafen primär den Flughafenbetrieb, die Luftfahrt an sich und das Handling verbindet, bleiben andere Wirtschaftssektoren, wie das Beherbergungs- und Gaststättenwesen, der Einzelhandel, die Finanzdienstleister oder die öffentliche Verwaltung, meist unberücksichtigt. Der Flughafen München setzt sich somit aus einer Vielzahl von Branchen und Wirtschaftssektoren zusammen. Das Wertschöpfungsnetzwerk Münchner Flughafen berührt eine Vielzahl von Branchen, sodass Passagierzuwächse zu positiven Folgeeffekten in vielen anderen Sektoren und Unternehmen führen können. Folgende Wirtschaftstätigkeiten werden, aufbauend auf der NACE Rev. 2-Klassifikation, für den Flughafen München erfasst: - Verarbeitendes Gewerbe, Herstellung von Waren (C), Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen (G), Verkehr und Lagerei (H), Gastgewerbe / Beherbergung und Gastronomie (I), Erbringung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen (K), Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen (N), Öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung (O). Sämtliche Teilbereiche dieses Wertschöpfungsnetzwerks werden im Rahmen dieser Studie berücksichtigt. Insgesamt waren am Flughafen München 552 Unternehmen im Jahr 2013 angesiedelt, von welchen 353 Betriebe permanent Personal beschäftigten. Als bereinigte Grundgesamtheit für die Berechnungen gehen die Informationen von 336 Betrieben in die Berechnungen ein. Gut 32.000 Personen sind gegenwärtig am Flughafen München beschäftigt. Die größten Arbeitgeber sind der Lufthansa-Konzern mit 10.800 und der FMG-Konzern mit 8.200 Beschäftigten. 5.1.2 Bruttowertschöpfungseffekte Am Münchner Flughafen wurde im Jahr 2012 eine direkte Wertschöpfung in Höhe von 2.492 Millionen Euro erwirtschaftet. Inklusive der indirekten und induzierten Effekte überschritt der jährliche Wertschöpfungsbeitrag deutschlandweit sogar die 5 Milliarden Euro-Grenze. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität 31 Abbildung 6 Bruttowertschöpfungseffekte in Deutschland, 2012, in Millionen Euro Darstellung: eigene Darstellung Economica Berechnung: eigene Berechnung Economica Mit 4.438 Millionen Euro wird der größte Teil der generierten Wertschöpfung (knapp 89 Prozent) in Bayern selbst wirksam. Dies entspricht einem Anteil am regionalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) Bayerns in Höhe von 1,03 Prozent. Anders ausgedrückt: Jeder hundertste in Bayern erwirtschaftete Euro ist entweder direkt, indirekt oder induziert auf den Flughafen München zurückzuführen. Der seitens des Flughafens München definierte Wertschöpfungsmultiplikator als Quotient aus gesamtem Bruttowertschöpfungseffekt und direktem Wertschöpfungseffekt abzüglich direktem Effekt berechnet sich somit für Deutschland mit 1,0068, d. h. pro am Flughafen München erwirtschafteten Euro wird noch ein weiterer Euro in anderen Wirtschaftssektoren Deutschlands erwirtschaftet. Für Bayern beträgt der Wertschöpfungsmultiplikator 0,7809, d. h. knapp 80 Prozent der indirekten und induzierten Effekte werden in Bayern selbst wirksam oder anders ausgedrückt: Pro Euro, der am Flughafen München generiert wird, werden weitere 80 Cent in anderen Sektoren in Bayern erwirtschaftet. Der Ausgabenmultiplikator, definiert als Quotient aus gesamtem Bruttowertschöpfungseffekt und Gesamtausgaben, beläuft sich für Deutschland auf 0,9798, für Bayern auf 0,8695. Der Ausgabenmultiplikator ist mit 1 begrenzt, es gäbe in diesem Fall ent- 32 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 lang der gesamten Wertschöpfungskette keinen Wertschöpfungsabfluss in Form von Importen. Der sehr hohe Ausgabenmultiplikator für die Unternehmen am Flughafen München zeigt, dass nur ein sehr geringer Anteil der Wertschöpfung durch Importe aus dem Ausland abfließt. Auch der Anteil der Vorleistungsbezüge aus den anderen Bundesländern Deutschlands ist entlang der gesamten Wertschöpfungskette gering. 5.1.3 Beschäftigungseffekte Am Flughafen München waren 2012 insgesamt 32.250 Personen beschäftigt. Zu diesem direkten Beschäftigungseffekt kommen noch 35.751 indirekt Beschäftigte (deutschlandweit, inklusive Bayern) bei Vorleistungsbetrieben entlang der gesamten Wertschöpfungskette und 9.317 Personen, deren Arbeitsplatz durch die ausgelösten Einkommenseffekte, die sogenannten induzierten Effekte, abgesichert wurde. Insgesamt entspricht dies einem totalen Beschäftigungseffekt von 77.318 Personen für ganz Deutschland. Abbildung 7 Beschäftigungseffekte in Deutschland, 2012, in Köpfen Darstellung: eigene Darstellung Economica Berechnung: eigene Berechnung Economica Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität 33 Abbildung 8 Beschäftigungseffekte in Bayern, 2012, in Köpfen Darstellung: eigene Darstellung Economica Berechnung: eigene Berechnung Economica Knapp 87 Prozent des gesamten Beschäftigungseffekts werden in Bayern selbst wirksam. Der Anteil an der Gesamtbeschäftigung Bayern beläuft sich somit auf 0,97 Prozent, d. h. knapp jeden hundertsten Arbeitsplatz in Bayern verdankt man dem Münchner Flughafen. Der Beschäftigungsmultiplikator, definiert als Quotient aus gesamtem Beschäftigungseffekt und direktem Beschäftigungseffekt abzüglich des direkten Effekts, berechnet sich für Deutschland mit 1,3975, für Bayern mit 1,0844. Diese Werte sind sowohl für Bayern als auch für Deutschland höher als die Wertschöpfungsmultiplikatoren, was dahingehend interpretiert werden kann, dass der volks- und regionalwirtschaftliche „Beschäftigungshebel“ des Flughafen Münchens noch größer ist als der „Wertschöpfungshebel“. 34 5.2 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Standorteffekte in der Flughafenregion Die Luftverkehrswirtschaft gilt heute weltweit als Garant und als treibende Kraft für die Wirtschafts- und Beschäftigtenentwicklung. Die ökonomischen Effekte von Flughäfen sind dabei vielfältig und oftmals weitreichend. Während man sich in der Vergangenheit zumeist ausschließlich auf die Analyse angebotsseitiger Effekte konzentriert hat, d. h. die direkten, indirekten und induzierten Effekte (siehe oben), geht die vorliegende Studie einen Schritt weiter und ergänzt die aktuelle Analyse um einen Baustein sogenannter nachfrageseitiger Effekte. Diese Effekte werden zumeist als katalytische Effekte bezeichnet und umfassen den nachfrageseitigen Nutzen, welcher sich aus der verbesserten Erreichbarkeit eines Standorts ergibt. Weitergehend differenziert, lassen sich die katalytischen Effekte zudem in passagierseitige und unternehmensseitige katalytische Effekte unterteilen. Als Nutzer des Luftverkehrs profitieren sowohl Unternehmen als auch Touristen von einer verbesserten Erreichbarkeit. In beiden Fällen erhöht sich die Attraktivität des Standortes aufgrund der optimierten nationalen und internationalen Erreichbarkeit. Für die Wirtschaft als Nutzer des Luftverkehrs schlägt sich eine verbesserte Erreichbarkeit vor allem in einer Produktivitätssteigerung, Kostensenkungen, der besseren Erschließung von Absatzmöglichkeiten sowie in einer besseren Einbindung in Netzwerke nieder. Darüber hinaus äußert sich eine verbesserte Erreichbarkeit auch in Reisezeitersparnis sowie in höherer Flexibilität hinsichtlich der Vereinbarkeit von Geschäftsterminen. Besonders ausgeprägt sind katalytische Effekte an Drehscheibenflughäfen mit ihrer Vielzahl von Flugverbindungen und der im Vergleich zu anderen Flughafentypen höheren Taktung der Flugverbindungen. Bei der Erfassung katalytischer Effekte gilt es grundsätzlich zu beachten, dass die Messung ein schwieriges Unterfangen darstellt. Die Effekte sind in ihrem Gesamtausmaß nur schwer quantifizierbar, da eine Vielzahl von Wechselbeziehungen im Rahmen der Analyse zu berücksichtigen ist. Das nachfolgende Kapitel hat vor diesem Hintergrund die Aufgabe einer konstruktiven Näherung an die Messung katalytischer Effekte. Das Kapitel gliedert sich in drei Abschnitte. Der erste Abschnitt thematisiert allgemeine Entwicklungstendenzen, die derzeit im Umfeld von Flughäfen zu erkennen sind. Die Betrachtung erfolgt dabei aus der wissensökonomischen Perspektive. Dieser Abschnitt dient einer leichteren Einordung und einem besseren Verständnis vor allem im Hinblick auf den im dritten Abschnitt diskutierten sich vollziehenden Transformationsprozess der Flughafenregion hin zu einer Wissensregion. Im zweiten Abschnitt erfolgt die Diskussion der Standorteffekte von Hub-Flughäfen anhand des Fallbeispiels München. Im Vordergrund dieses Abschnitts stehen folgende Fragen: – Welchen Entwicklungspfad hat die Flughafenregion seit dem Jahr 1980 und vor allem seit 1992 wirtschaftsstrukturell eingeschlagen? Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität 35 – Wie haben sich die Unternehmens- und Beschäftigungsdichte in der Flughafenregion im Zeitverlauf entwickelt? – Wie gestaltet sich die Gründungsdynamik rund um den Flughafen? Zur Beantwortung dieser Fragestellungen erfolgt eine detaillierte Analyse von ausgewählten Indikatoren. Die räumliche Analyseeinheit stellt die Flughafenregion München dar. Sie umfasst die Landkreise Erding und Freising, also jene Landkreise, deren Gemarkung der Flughafen München schneidet. Die beiden Kreise waren in den 1980er Jahren relativ homogen zueinander und ländlich geprägt. Hier lassen sich die katalytischen Flughafeneffekte am besten isolieren. Eine wesentliche Ausgangshypothese der Studie ist, dass sich rund um den Flughafen Unternehmen ansiedeln, die keine direkten Geschäftsbeziehungen zu diesem aufweisen, aber gleichwohl von positiven Impulsen wie Infrastrukturverbesserungen (Zugang zum Flughafen oder zu ausgebauten Straßen) profitieren. Das ist ein wesentlicher katalytischer Effekt von Hub-Flughäfen. Um diese erhöhte Unternehmensdichte und in der Ableitung Beschäftigungsdichte nachzuweisen, wird ein Vergleich entsprechender Kennziffern zwischen der Flughafenregion München und anderen Anfang der 1980er Jahre wirtschafts- und siedlungsstrukturell vergleichbaren Regionen in Bayern und in Deutschland durchgeführt. Auf Deutschlandebene finden wegen der unterschiedlichen politischen Systeme zur damaligen Zeit nur Regionen in Westdeutschland Berücksichtigung. Grundlage für die Ermittlung von Vergleichsregionen in Bayern und Westdeutschland ist ein statistisches Verfahren: die euklidische Distanzmaßberechnung. Auf Basis dieses Vorgehens wurden in Bayern die vier zu der Region Flughafen München ähnlichsten Landkreise identifiziert, die als Gruppe die Vergleichsregion Bayern ergeben. Im Einzelnen handelt es sich um die Landkreise Aichach-Friedberg, NeuburgSchrobenhausen, Miltenberg und Günzburg. Auf Deutschlandebene wurden die zehn strukturähnlichsten Landkreise identifiziert, die in der nachfolgenden Analyse als Gruppe die Vergleichsregion Deutschland bilden. Hierzu zählen die Landkreise Northeim, Rhein-Lahn Kreis, Neckar-Odenwald Kreis, Aichach-Friedberg, Plön, Leer, Vogelsbergkreis, Bad Kreuznach, Neuburg-Schrobenhausen und Werra-Meißer Kreis. Die zwei bayerischen Landkreise Aichach-Friedberg und Neuburg-Schrobenhausen werden in beiden Gruppen berücksichtigt, weil sie eine besonders hohe Ähnlichkeit zur Region Flughafen München aufweisen (im deutschlandweiten Vergleich Platz 4 und 9). Im deutschlandweiten Vergleich platzieren sich die beiden anderen bayerischen, der Flughafenregion am ähnlichsten, Regionen Miltenberg und Günzburg auf den Plätzen 14 und 15 bezüglich ihrer wirtschaftsstrukturellen Ähnlichkeit und werden damit nur im Bayernsample berücksichtigt, in dem sie Platz 3 und Platz 4 erreichen. Im dritten Abschnitt rücken wissensbasierte Wirtschaftsaktivitäten in den Fokus der Betrachtung. Dieser Abschnitt soll aufzeigen, inwieweit sich die Flughafenregion zu einem Ort der Wissensökonomie verdichtet hat. Die zentralen Fragen dieses Abschnitts lauten: 36 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 – Wie hat sich die Wissensökonomie rund um den Flughafen München in den zurückliegenden Jahren entwickelt? – Inwieweit unterscheidet sich das wissensökonomische Raummuster der Flughafenregion von Raummustern in strukturähnlichen Regionen in Bayern und Westdeutschland? Im Zentrum dieses Abschnitts steht eine räumliche Patentanalyse, die Rückschlüsse auf die Erfinder- und Innovationsdichte in der Flughafenregion München zulässt. Insgesamt soll das Kapitel aufzeigen, inwieweit die Regionen rund um den Flughafen in katalytischer Art vom Drehscheibenflughafen München profitieren. 5.2.1 Flughäfen im wissensökonomischen Kontext Die wachsende Bedeutung der Wissensökonomie und damit der Übergang von einer ressourcenbasierten hin zu einer Wirtschaft mit der Ressource Wissen im Mittelpunkt ist unverkennbar geworden. Abbildung 9 stellt diese Entwicklung dar. Abbildung 9 Prozentuale Veränderung von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in wissensintensiven Dienstleistungs- und Industriebranchen 115 110 105 100 95 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Wissensintensive Industrien Wissensintensive Dienstleister Nichtwissensintensive Industrien Nichtwissensintensive gewerbliche Dienstleister Darstellung: IW Consult (2014), Definition nach NIW (2010): Liste wissens- und technologieintensiver Güter und Wirtschaftszweige Datengrundlage: Statistik der Bundesagentur für Arbeit: Beschäftigtenstatistik, Sozialversicherungspflicht, Beschäftigte nach Wirtschaftszweigen, Nürnberg Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität 37 Deutlich lässt sich die zunehmende Wissensintensivierung sowohl bei den Dienstleistungen als auch im industriellen Bereich erkennen. So stieg die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (SVB) in wissensintensiven Dienstleistungen und Industrien in den zurückliegenden Jahren kontinuierlich an, während die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in nicht wissensintensiven Dienstleistungsbranchen und gewerblichen Industrien seit geraumer Zeit zu stagnieren scheint oder – wie im Fall von nicht wissensintensiven Industrien – zu sinken beginnt. Mit dem Wandlungsprozess von einer ressourcenbasierten hin zu einer wissensbasierten Wirtschaft ist eine verstärkte räumliche und funktionale Ausdifferenzierung von Wertschöpfungsketten verbunden. Wettbewerbsfähig bleiben vor allem jene Unternehmen, welche fortlaufend innovieren und ihre Wissensbestände kontinuierlich weiterentwickeln. Hierzu greifen wissensintensive Unternehmen auf unterschiedlichste Wissensquellen zurück, die sowohl lokal und regional als auch global verortet sein können. Der komplexe Prozess der Wissensgenerierung wird dabei in dreierlei Hinsicht befördert: – Zum einen wirken die gesunkenen Kosten im Bereich des Verkehrswesens und der Informations- und Kommunikationssysteme unterstützend. Vor allem die in den letzten Jahren gefallenen Mobilitätskosten ermöglichen heute das schnelle und flexible Zusammenbringen von räumlich auseinanderliegenden Wissensträgern und Netzwerkpartnern. – Die Vereinfachung der Reiseabläufe erhöht die Bereitschaft von Netzwerkpartnern, sich regelmäßig persönlich zu treffen, Wissen auszutauschen und neue Formen der Kooperation zu etablieren. – Schließlich wird der Prozess der Wissensgenerierung durch die Fortentwicklung von Managementtechniken forciert, welche einen erheblichen Beitrag zur verbesserten Koordinierung von internationalen Kooperationen und Netzwerkbeziehungen leisten. Im Kontext der Wissensökonomie nimmt folglich die Bedeutung der Erreichbarkeit zu. Standorte von bester Erreichbarkeit profitieren in besonderer Weise. Die Standort- und Immobilienentwicklung direkt an bzw. im unmittelbaren Umfeld von internationalen Flughäfen – wie zum Beispiel in Frankfurt am Main, Amsterdam, München, Zürich und Düsseldorf – oder um Bahnhöfe des Hochgeschwindigkeitsverkehrs – wie zum Beispiel in Montabaur und Limburg – verdeutlicht diesen räumlichen Konzentrationsprozess eindrücklich. Vor allem internationale Flughäfen mit Drehscheibenfunktion sind in den letzten beiden Dekaden Sitz einer Vielzahl von wissensintensiven Unternehmen geworden. 38 5.2.2 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Standorteffekte von Hub-Flughäfen: Das Fallbeispiel München Seit der bereits in den 1980er Jahren konkreten Perspektive einer Eröffnung des Flughafens „Franz Josef Strauß“ im Jahr 1992 unterliegt die ehemals agrarisch geprägte Flughafenregion einem starken strukturellen Wandel. Dies gilt sowohl für die Wirtschaftsstruktur als auch für die Demografie und das morphologische Erscheinungsbild der Region. Vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht verzeichnete die Flughafenregion in den zurückliegen Jahren ein stark überdurchschnittliches Wachstum und zählt heute – wie noch im Detail zu zeigen sein wird – zu den wachstumsstärksten Räumen in Deutschland. Ausgehend von den frühen 1980er Jahren hat sich die Flughafenregion aus demografischer Sicht extrem positiv entwickelt. Abbildung 10 fasst die prozentuale Bevölkerungsveränderung in Bayern für den Zeitraum von 1980 bis 2012 auf Gemeindeebene zusammen. Es zeigt sich deutlich, dass die Gemeinden der Landkreise Erding und Freising innerhalb des Betrachtungszeitraums zu den wachstumsstärksten Gemeinden im Freistaat zählten. So lag das Bevölkerungswachstum in nahezu allen Gemeinden der Flughafenregion deutlich über dem bayerischen Durchschnitt von 15,3 Prozent. In den meisten Fällen unterlag die Bevölkerungsveränderung einer prozentualen Zuwachsrate im oberen zweistelligen Bereich und vereinzelt sogar im dreistelligen Bereich. Neben der Gemeinde Hallbergmoos (185,3 Prozent), der wachstumsstärksten bayerischen Gemeinde im Betrachtungszeitraum, verzeichneten auch die Gemeinden Berglern (137,1 Prozent), Attenkirchen (105,7 Prozent) und Oberding (101,4 Prozent) dreistellige Zuwachsraten. Sie gehören damit zu einer Gruppe von insgesamt zwölf Gemeinden in Bayern, deren Bevölkerung sich gegenüber dem Ausgangsjahr 1980 (weit) mehr als verdoppelt hat. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität 39 Abbildung 10 Bevölkerungsentwicklung in Prozent auf Gemeindeebene von 1980 bis 2012 Darstellung: IW Consult (2014), Flughafenregion grafisch hervorgehoben Datengrundlage: Datenbank Genesis, Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung Insgesamt wuchs die Bevölkerung in der Flughafenregion im Zeitraum von 1981 bis 2011 pro Jahr um durchschnittlich 1,3 Prozent und damit deutlich stärker als in den beiden Gruppen strukturähnlicher Vergleichsregionen in Bayern (0,6 Prozent) und Deutschland (0,3 Prozent). Dieses massive Bevölkerungswachstum blieb nicht ohne Auswirkungen auf die siedlungs- und verkehrsstrukturelle Beschaffenheit der Flughafenregion und damit auf deren räumliches Erscheinungsbild. Zusammengenommen wuchsen die Gewerbe- und Industrieflächen um 56,3 Prozent und die Wohnflächen um 43,9 Prozent. Damit fiel das Wachstum in diesem Bereich deutlich höher aus als in den strukturähnlichen bayeri- 40 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 schen und westdeutschen Vergleichsregionen (siehe Tabelle 2). Die starke Entwicklung der Wohnflächen ist überraschend vor dem Hintergrund, dass Flughäfen und ihre direkten Umfelder – nicht zuletzt aufgrund der Lärmemissionen – häufig als wenig attraktive Wohnstandorte wahrgenommen werden. Im Fall München werden diese Effekte offenbar von der Attraktivität der Landschaft und der Wirtschaftsstärke des Großraums Münchens überkompensiert. Tabelle 2 Veränderung der Nutzflächen in Prozent von 1996 bis 2012 Bodenflächen (nach Art der Nutzung) Regionen in West-D (10) Regionen in BY (4) Region Flughafen (2) Landwirtschaft -3,6 -5,6 -3,2 Gewerbe und Industrie 24,6 35,6 56,3 Wohnen 32,6 30,4 43,9 Darstellung: IW Consult (2014) Datengrundlage: Datenbank Genesis, Bayerisches Landesamt Statistik und Datenverarbeitung Ursächlich für die oben beschriebenen demografischen und siedlungsstrukturellen Entwicklungen ist eine vor allem seit den 1990er Jahren anhaltende positive Wirtschaftsentwicklung innerhalb der Flughafenregion, die seitdem mit einem starken Beschäftigungsaufbau einhergeht. Abbildung 11 stellt die Veränderung der Beschäftigung in Prozent für den Zeitraum von 1980 bis 2013 auf Gemeindeebene dar. Besonders hohe Beschäftigungszuwächse zeigen sich demnach im direkten Umfeld des Flughafens, hier vor allem in den Gemeinden Oberding (2.085,4 Prozent), Hallbergmoos (2.071,4 Prozent) und Marzling (165,7 Prozent) sowie in der Kreisstadt Freising (189,5 Prozent), aber auch innerhalb des Flughafenkorridors zwischen der Landeshauptstadt München und dem Flughafen München mit den Gemeinden Unterföhring (505,1 Prozent), Ismaning (254,4 Prozent), Garching (179,3 Prozent), Oberschleißheim (104,5 Prozent), Unterschleißheim (364,8 Prozent), Eching (54,4 Prozent) und Neufahrn (13,7 Prozent). Die Kommunen Eching, Garching, Hallbergmoos, Ismaning, Neufahrn, Oberschleißheim, Unterföhring und Unterschließheim bilden zusammen die NordAllianz – Metropolregion München Nord. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität 41 Abbildung 11 Beschäftigtenveränderung in Prozent auf Gemeindeebene von 1980 bis 2013 Darstellung: IW Consult (2014), Flughafenregion grafisch hervorgehoben Datengrundlage: Datenbank Genesis, Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung Setzt man alle westdeutschen Landkreise in ein Ranking, so gehören die Landkreise Erding (Platz 5) und Freising (Platz 2) zu den Top 5 Landkreisen mit den höchsten Zuwächsen bei der Beschäftigung im Zeitraum von 1980 bis 2013. Lediglich der Landkreis Vechta konnte einen im Vergleich zum Landkreis Freising einen höheren Beschäftigtenzuwachs verzeichnen. Damit zählt die Flughafenregion in Bezug auf die Beschäftigtenwicklung zu den wachstumsstärksten Regionen in Deutschland. Das jährliche Wachstum lag bis Ende 2013, ausgehend von 1980, bei 2,4 Prozent. Im Vergleich dazu kommen strukturähnliche Landkreise der Vergleichsregion Bayern lediglich auf eine jährliche Wachstumsrate von 0,9 Prozent, während strukturähnliche Landkreise der Vergleichsregion Westdeutschland ein jährliches Wachstum von 0,4 Prozent verzeichnen. 42 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Abbildung 12 fasst die Beschäftigtenentwicklung noch einmal für die drei Vergleichsregionen zusammen. Zwar lässt sich bereits für die Zeitspanne von 1980 bis 1992 ein starkes Beschäftigungswachstum für die Flughafenregion erkennen (auch als Vorläufereffekt hinsichtlich der Flughafeneröffnung). Allerdings gewinnt dies insbesondere in den Folgejahren nach der Eröffnung des Münchner Flughafens deutlich an Dynamik. Während die Wachstumskurve für die Vergleichsregionen in Bayern leicht besser verläuft als die der westdeutschen Vergleichsregionen, setzt sich der Entwicklungsverlauf der Beschäftigtenzahlen für die Flughafenregion mit der Inbetriebnahme des Flughafens im Jahr 1992 deutlich von den Entwicklungsverläufen der Vergleichsregionen Bayerns und Deutschlands ab und entwickelt sich seitdem kontinuierlich von diesen fort. Abbildung 12 Beschäftigtenveränderung in Prozent 1980=100 220 200 180 160 140 120 100 1980 1992 1995 Region West-D. 2000 Region BY 2005 2010 2013 Region Flughafen Darstellung: IW Consult (2014) Datengrundlage: Statistik der Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.) (2010): Statistik der gemeldeten erwerbsfähigen Personen, Nürnberg Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität 43 Die Beschäftigtenentwicklung steht in einem engen Verhältnis mit der Entwicklung der Anzahl von Betrieben. Ähnlich wie die Anzahl der Beschäftigten ist auch die Anzahl der Unternehmen in der Flughafenregion im Betrachtungszeitraum stark gestiegen. Wurden zu Beginn der 1980er Jahre 4.616 Betriebe in der Flughafenregion registriert, waren es 1992 bereits 5.845 und Ende 2013 mehr als 8.100 Betriebe. Dies entspricht einem Anstieg von 77,2 Prozent. Im Vergleich hierzu stieg die Anzahl der Unternehmen in der Vergleichsgruppe in Bayern um 40,2 Prozent und in der Vergleichsgruppe in Westdeutschland um 19 Prozent (Abbildung 13). Insgesamt wuchs die Anzahl der Betriebe in der Flughafenregion zwischen den Jahren 1980 und 2013 durchschnittlich um 1,7 Prozent pro Jahr und damit deutlich stärker als in den bayerischen Vergleichsregionen. Diese erreichten ein durchschnittliches Wachstum von 1 Prozent pro Jahr. Am niedrigsten fiel hingegen das durchschnittliche jährliche Wachstum in den strukturähnlichen Vergleichsregionen Westdeutschlands aus. Hier lag das jährliche Wachstum bei gerade einmal 0,5 Prozent und damit 1,2 Prozentpunkte niedriger als in der Flughafenregion. Abbildung 13 Veränderung der Betriebsanzahl in Prozent 1980=100 180 170 160 150 140 130 120 110 100 1980 Region West-D. Darstellung: IW Consult (2014) Datengrundlage: IW Regionaldatenbank (2014) 1992 Region BY 2013 Region Flughafen 44 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Ähnlich wie bei der Beschäftigungsentwicklung zeigt sich auch bei der Entwicklung der Anzahl der Betriebe ein deutlicher Schub ab dem Jahr 1992. Es ist davon auszugehen, dass diese Entwicklungsdynamik im engen Verhältnis mit der Flughafeneröffnung und der damit einhergehenden verbesserten standörtlichen Erreichbarkeit steht, welche für viele Unternehmen zusätzlich zur Nähe zur Landeshauptstadt München weitere Argumente für eine Ansiedlung schuf (siehe auch Kapitel 5.3). Trotz der starken Zuwanderung in die Flughafenregion konnte die Betriebsdichte pro 100 Einwohner im Zeitverlauf von 1980 bis 2013 weiter gesteigert werden – noch ein Hinweis für die hohe standörtliche Dynamik in der Flughafenregion. Lag die Betriebsdichte zu Beginn des Betrachtungszeitraums noch bei 2,3 Betrieben je 100 Einwohner, betrug die Relation 2013 rund 2,8 Betriebe je 100 Einwohner (21,2 Prozent). Im Vergleich dazu stieg die Betriebsdichte in den strukturähnlichen Regionen Bayerns von rund 2,3 auf 2,7 Betriebe je 100 Einwohner (17,7 Prozent). Die geringsten Zuwächse verzeichneten die strukturähnlichen Regionen Westdeutschlands, deren Betriebsdichte sich von 2,3 auf 2,5 Betriebe je 100 Einwohner erhöhte (10,3 Prozent). Die positiven Standorteffekte des Flughafens lassen sich besonders gut am Entwicklungsverlauf des realisierten Bruttoinlandsprodukts je Einwohner ablesen. So hat sich die Flughafenregion im Langzeitverlauf deutlich positiver entwickelt als ähnlich strukturierte Vergleichsregion in Bayern oder Deutschland. Seit dem Jahr 1992 wuchs das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner kontinuierlich an, wie Abbildung 14 eindrücklich verdeutlicht. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität 45 Abbildung 14 Prozentuale Veränderung des Bruttoinlandsprodukts je Einwohner 1992=100 180 170 160 150 140 130 120 110 100 1992 1995 Region West-D. 2000 Region BY 2005 2010 2012 Region Flughafen Darstellung: IW Consult (2014) Datengrundlage: Statistisches Bundesamt (2013): Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Länder. Bruttoinlandsprodukt, Bruttowertschöpfung in den kreisfreien Städten und Landkreisen der Bundesrepublik Deutschland 1992, 1994 bis 2012, Reihe 2, Band 1 (Berechnungsstand August 2013) Dabei lag die jährlich Zuwachsrate mit 2,7 Prozent deutlich über den jährlichen Wachstumsraten in den Vergleichsregionen Bayerns und Deutschlands (beide 2,1 Prozent). Insgesamt ist das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner in der Flughafenregion im Zeitraum von Anfang der 1990er Jahre bis 2012 von gut 17.000 Euro auf knapp 30.000 Euro und damit um rund zwei Drittel gestiegen. Weniger dynamisch verlief im Vergleich dazu die Entwicklung in den strukturähnlichen Vergleichsregionen in Bayern und Deutschland. Hier betrug das Wachstum lediglich rund 50 Prozent. 46 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Tabelle 3 Bruttoinlandsprodukt in Euro je Einwohner Jahr Regionen in West-D. (10) Regionen in BY (4) Region Flughafen (2) 1992 16.344 20.252 17.103 1995 17.030 20.695 20.790 2000 18.283 21.917 23.110 2005 19.808 24.412 25.606 2010 22.999 29.216 27.441 2012 24.484 30.189 28.583 Darstellung: IW Consult (2014) Datengrundlage: Statistisches Bundesamt (2013): Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Länder. Bruttoinlandsprodukt, Bruttowertschöpfung in den kreisfreien Städten und Landkreisen der Bundesrepublik Deutschland 1992, 1994 bis 2012, Reihe 2, Band 1 (Berechnungsstand August 2013) Ein hohes Beschäftigungswachstum und ein starker Anstieg der Betriebszahlen sind Indikatoren wirtschaftlicher Prosperität. Auf der Staatsseite schlägt sich diese wirtschaftliche Situation zumeist in einem erhöhten Steueraufkommen nieder. Lag der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer pro Einwohner in der Flughafenregion zu Beginn der 1980er Jahre durchschnittlich noch bei 159 Euro, stieg er bis zum Jahr 2013 auf rund 560 Euro an. Dies entspricht einer Steigerung von rund 251 Prozent. Demgegenüber betrug der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer je Einwohner in den strukturähnlichen Vergleichsregionen Bayerns zunächst 145 Euro und steigerte sich in den Folgejahren bis 2013 um rund 211 Prozent auf 449 Euro. Auch hier zeigt sich das Auseinanderdriften der Regionen ab Anfang der 90er Jahren, in denen der Flughafen eröffnet wurde (Abbildung 15). Wie bereits bei den zurückliegenden Indikatoren sind auch beim Gemeindeanteil an der Einkommensteuer je Einwohner die positiven standörtlichen Effekte des Drehscheibenflughafens klar erkennbar. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität 47 Abbildung 15 Prozentuale Veränderung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer je Einwohner 1980=100 350 300 250 200 150 100 1980 1985 1990 Region BY 1995 2000 2005 2010 2013 Region Flughafen Darstellung: IW Consult (2014) Datengrundlage: Datenbank Genesis, Bayerisches Landesamt Statistik und Datenverarbeitung Insgesamt müssen bei den vorgestellten Analysen auch positive spill-over-Effekte aus der Metropole München inklusive des dazugehörigen gleichnamigen Landkreises berücksichtigt werden Beide Regionen haben stark an Prosperität und wirtschaftlicher Strahlkraft gewonnenen. Innerhalb der Metropolregion München bestehen intensive Pendler- und wirtschaftliche Austauschbeziehungen. Die dargestellten Effekte können demnach nicht trennscharf allein der Flughafenentwicklung zugeordnet werden. Gleichwohl profitiert die gesamte Metropolregion von den positiven spill-over-Effekten des Flughafens – der Flughafen München wurde beispielsweise bei den World Airport Awards des Unternehmens Skytrax von Flugreisenden auf den 3. Platz weltweit eingestuft (vgl. World Airport Awards, 2014). Es bestehen damit reziproke Impulse, die sich gegenseitig verstärken. Für einen maßgeblichen endogenen Anteil an der Entwicklung der Flughafenregion spricht, dass andere Regionen im direkten Umfeld von München sich nicht so stark entwickelt haben wie die Flughafenregion (siehe Tabelle 4). Die an die Landeshauptstadt München angrenzenden Landkreise im Westen (Dachau, Fürstenfeldbruck und Starnberg) und der Landkreis Ebersberg im Osten Münchens erzielen nicht die Wachstumsraten im Beschäftigungsaufbau insgesamt bzw. bei Hochqualifizierten (Beschäftigte mit Fachhoch- oder Hochschulabschluss) im Besonde- 48 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 ren oder bei der Einwohnerentwicklung und damit einhergehend der Wohnflächen wie die Flughafenregion und damit die beiden Landkreise Freising und Erding. Tabelle 4 Prozentuale Veränderung ausgewählter Indikatoren im Zeitverlauf SVB (AO) (1980-2013) Wohnen (1996-2011) Bevölkerung (1980-2012) Hochqualifizierte SVB (1998-2012) Starnberg 70,4 41,9 22,2 114,4 Dachau 68,5 33,3 37,0 90,0 Fürstenfeldbruck 54,5 18,3 20,1 119,2 Ebersberg 83,2 41,9 34,9 92,0 117,5 43,9 46,2 133,9 Flughafenregion Darstellung: IW Consult (2014) Datengrundlage: Datenbank Genesis, Bayerisches Landesamt Statistik und Datenverarbeitung Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 5.2.3 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität 49 Wissensregion Flughafen Flughäfen gewinnen im Kontext der Wissensökonomie an Bedeutung. Vielfach hat sich das direkte Umfeld von Flughäfen zu Orten wissensintensiver Wirtschaftsaktivitäten verdichtet mit dem Flughafen als zentralen Ankerpunkt. Als europäische Beispiele können Amsterdam, Düsseldorf, Zürich oder München genannt werden. Physisch-materiell äußert sich der Transformationsprozess in einer erhöhten Bauaktivität von Gewerbeimmobilien – insbesondere von Büroimmobilien – und folglich in einem Wachstum des Büroflächenbestands. Damit einhergehend erfolgt eine schrittweise Veränderung des landschaftlichen Erscheinungsbildes der Flughäfen bzw. des jeweiligen Umfelds. Statistisch zeigt sich der Transformationsprozess beispielweise in der Zunahme von Hochqualifizierten und damit in einer veränderten lokalen und regionalen Qualifikationsstruktur, einer gestiegenen Anzahl angemeldeter Patente oder einer erhöhten Gründungsaktivität. Grundsätzlich gilt es zu beachten, dass die Messung von Innovationaktivitäten innerhalb einer Raumeinheit aus methodischer Perspektive nicht unproblematisch ist. Methodische Herausforderungen entstehen vor allem dadurch, dass in der öffentlich verfügbaren Statistik nur Inputfaktoren (Anzahl der Ingenieure, des Forschungs- und Entwicklungspersonals etc.) abgebildet werden, die aber nicht notwendigerweise zu einem höheren Output (mehr Innovationen) führen müssen. Ein ideales Indikatoren-Set zur Messung von Innovationen existiert daher nicht – zur korrekten Messung des Innovationsoutputs müssten Unternehmensbefragungen auf kleinräumiger Ebene mit sehr hohem Aufwand durchgeführt werden. Trotz dieser methodischen Schwierigkeiten ist die Verwendung der oben genannten Indikatoren in einem umfassenden Ansatz gerechtfertigt, liefern sie doch wichtige erste und vergleichbare Anhaltspunkte für den Nachvollzug des wissensökonomischen Entwicklungspfads sowie zur Beurteilung des gegenwärtigen Innovationspotenzials in der Flughafenregion München. Die Region ist weltweit ein gutes Beispiel für den räumlichen Restrukturierungsprozess und die gewachsene Bedeutung von Flughäfen und deren Umfeld im Kontext der Wissensökonomie. Der hohe Stellenwert der Flughafenregion bzw. des Flughafenkorridors für wissensbasierte Wirtschaftsaktivitäten spiegelt sich im Büroflächenumsatz der letzten Jahre wider. Abbildung 17 fasst den Büroflächenumsatz für die zehn umsatzstärksten Branchen im Zeitraum von 2004 bis 2014 (drittes Quartal) zusammen. Der Büroflächenumsatz berücksichtigt den realisierten Umsatz in den Gemeinden der bereits erwähnten NordAllianz. Branchen mit einer „naturgegebenen“ Affinität zum Luftverkehr, wie zum Beispiel die Logistikbranche, haben dabei einen nur sehr geringen Nachfrageanteil am gesamten Büroflächenumsatz. Ihr Anteil liegt bei gerade einmal fünf Prozent und gleicht damit dem Flächenumsatz von unternehmensbezogenen Dienstleistern. Die stärkste Nachfrage nach Büroflächen kommt hingegen von Industrieunternehmen. Deren Anteil am gesamten Büroflächenumsatz liegt bei 23 Prozent. Demgegenüber können die Branchengruppen „Verlagswesen, Medien“ und „elektronische Datenverarbeitung“ Anteile 50 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 von rund 15 Prozent bzw. elf Prozent aufweisen, während die viertstärkste Branche, das Versicherungswesen, rund zehn Prozent zum Gesamtergebnis beiträgt. Die schwächste Nachfrage mit jeweils drei Prozent gibt es in den Branchen „Bau, Immobilien“ und „Ausbildung, Gesundheit Soziales“. Abbildung 16 Büroflächenumsatz nach Branchen – Top-10 Brachen im Zeitraum 2004-Q3 2014 – Industrie 12 Verlagswesen, Medien 23 3 EDV 3 Versicherungen 5 Handel 5 15 6 Banken, Finanzdienstlesitungen Unternehmensbezogene Dienstleistungen 7 10 11 Transport. Verkehr, Lagerhaltung Bau, Immobilien Gesamtsumme: 855.100 m² Anzahl Vertragsabschlüsse: 960 Quelle: Jones Lang Lasalle (2014) Datengrundlage: Jones Lang Lasalle (2014): Bürovermietungsmarkt München – NordAllianz 2014 Q3. Aus dieser Langzeitbetrachtung lassen sich zwei Erkenntnisse ableiten: Entgegen der gängigen Vermutung sind es nicht stark flughafenkonditionierte Unternehmen – wie zum Beispiel Logistiker – die den höchsten Beitrag am Flächenumsatz stellen, sondern Verlags- und Medienunternehmen, Versicherungen, Banken und Finanzdienstleister, unternehmensbezogenen Dienstleister etc. und damit Unternehmen der Wissensökonomie. Das Flughafenumfeld sowie die Achse zwischen Innenstadt und Flughafen werden seitens der Wissensökonomie zunehmend als Unternehmensstandort gewählt (siehe. auch Abschnitt 5.3). Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität 51 Die Landkreise der Flughafenregion – welche ebenfalls in Teilen innerhalb der NordAllianz aufgehen – profitieren von diesen Entwicklungen und beheimaten heute eine Vielzahl von global tätigen Unternehmen aus unterschiedlichsten wissensintensiven Branchen. Als Beispiele lassen sich Unternehmen wie SAP, Cisco Systems, Texas Instruments oder Merial nennen. Die standörtliche Attraktivität der Flughafenregion für Unternehmen der Wissensökonomie speist sich dabei aus einem Bündel an Standortqualitäten, die in dieser räumlichen Kombination nur sehr selten anzutreffen sind. Hierzu gehört einerseits der hohe Vernetzungsgrad der Flughafenregion. Dieser ergibt sich aus der Existenz des Drehscheibenflughafens mit seiner hohen Anzahl von Direktverbindungen zu nationalen, europäischen und globalen Destinationen. Aus dieser hochwertigen Luftanbindung des Standorts erwachsen für wissensintensive Unternehmen eine Vielzahl von Erreichbarkeitsvorteilen vor allem zu Netzwerkpartnern, weltweit verstreuten Wissenspools sowie zu Absatz- und Beschaffungsmärkten. In der Wissensökonomie ist der Mensch eine erfolgskritische Größe, ist er doch Träger des für den Innovationsprozess und die Wissensgenerierung entscheidenden impliziten Wissens. Vor diesem Hintergrund sind vor allem jene Städte und Regionen begünstigt, welche über eine qualifizierte Humankapitalbasis verfügen. Dies betrifft vor allem die räumliche Ausstattung mit Hochqualifizierten, also jenen Beschäftigten, die über einen akademischen Hochschulabschluss verfügen. So stieg der Anteil Hochqualifizierter an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zwischen den Jahren 2001 und 2011 weiter an (siehe Abbildung 17) und lag zuletzt bei 8,6 Hochqualifizierten je 100 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Dies entspricht gegenüber dem Jahr 2001 einem Anstieg um rund 2,0 Hochqualifizierte bzw. einem jährlichen Wachstum von rund 2,6 Prozent (Tabelle 5). Im Vergleich dazu stieg der Anteil von Hochqualifizierten im selben Zeitraum innerhalb der strukturähnlichen Vergleichsregionen Bayerns von 4,2 auf 5,6 je 100 Beschäftigte und innerhalb der strukturähnlichen Regionen Deutschlands von 4,3 auf 5,6. 52 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Abbildung 17 Veränderung Anteil hochqualifizierter Arbeitnehmer (HQ) und Ingenieure (Ing.) je 100 sozialpflichtig Beschäftigte im Zeitverlauf 9 8 7 6 5 4 3 2 1 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Anteil HQ (West-D.) Anteil HQ (BY) Anteil HQ (Flughafenregion) Anteil Ing. (West-D.) Anteil Ing. (BY) Anteil Ing. (Flughafenregion) Darstellung: IW Consult (2014) Datengrundlage: Bundesagentur für Arbeit (BA) Zwar fällt das durchschnittliche Wachstum pro Jahr innerhalb der Flughafenregion im Vergleich zu strukturähnlichen Regionen in Bayern und Deutschland geringer aus (vgl. Tabelle 5), allerdings kann die Flughafenregion nach wie vor den Anteil der hochqualifizierten Arbeitnehmer gemessen an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten steigern, unabhängig von den deutlich höheren Ausgangsniveaus. Dieser Entwicklungsverlauf hält bis heute an. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität 53 Tabelle 5 Durchschnittliches prozentuales Wachstum pro Jahr Indikator (Betrachtungszeitraum) Regionen in West-D. (10) Regionen in BY (4) Region Flughafen (2) Hochqualifizierte je 100 SVB (2001-2011) 2,7 2,8 2,6 Ingenieure je 100 SVB (2001-2011) 1,2 1,7 1,0 FuE-Personal (Vollzeitäquivalent) je 1.000 Erwerbstätige (2001-2011) -2,4 -6,8 4,0 Darstellung: IW Consult (2014) Datengrundlage: Bundesagentur für Arbeit (BA) Ein ähnliches Entwicklungsbild zeigt sich für die Ingenieurquote. Im Kontext der Wissensökonomie wird der Berufsgruppe der Ingenieure eine besonders hohe Forschungs- und Entwicklungskompetenz bzw. Fähigkeit zu innovieren zugesprochen. Die Flughafenregion konnte sich in den zurückliegenden Jahren im Wettbewerb um Ingenieure behaupten und zeichnet sich heute durch eine sehr gute Position in Bezug auf den Anteil von Ingenieuren je 100 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus. Auch wenn der Anteil im Zeitraum von 2001 bis 2011 lediglich um 10,6 Prozent zunahm – und der Anstieg damit geringer ausfällt als in den strukturähnlichen Vergleichsregionen in Bayern (18,9 Prozent) und Deutschland (12,1 Prozent) –, verzeichnet die Flughafenregion mit 3,6 Ingenieuren pro 100 Beschäftigten einen teilweise mehr als zweimal so hohen Ingenieuranteil pro 100 Beschäftigten als strukturähnliche Vergleichsregionen. Besonders stark zeigt sich die Wissensintensivierung der Wirtschaftslandschaft innerhalb der Flughafenregion am Beispiel der gegenüber der Ingenieurdichte breiter gefassten Dichte von Forschung und Entwicklung (FuE), d. h. an der Anzahl an FuEPersonal (Vollzeitäquivalente) bezogen auf 1.000 Erwerbstätige. Sie umfasst neben Ingenieuren unter anderem auch Naturwissenschaftler, technisches Personal und dergleichen. Im Vergleich zeigt sich, dass die Flughafenregion seit dem Jahr 2001 den Anteil an FuE-Personal je 1.000 Erwerbstätigen kontinuierlich steigern und sich damit im Gegensatz zu strukturähnlichen Regionen in Bayern und Deutschland rückläufigen Entwicklungsverläufen widersetzen konnte. Es zeigt sich ferner, dass die Flughafenregion heute im Vergleich zu den anderen Regionen über die mit Abstand höchste FuE-Dichte verfügt: ein weiterer Hinweis für die hohe wissensökonomische Dynamik in der Flughafenregion (siehe Abbildung 18). 54 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Abbildung 18 Veränderung Anteil FuE-Personal (Vollzeitäquivalente) je 1.000 Erwerbstätige im Zeitverlauf 8,0 7,0 6,0 5,0 4,0 3,0 2,0 1,0 2001 2003 Region West-D. 2005 2007 Region BY 2009 2011 Region Flughafen Darstellung: IW Consult (2014) Datengrundlage: Stifterverband für die deutsche Wissenschaft Zwischen den Jahren 2001 und 2011 konnte die Flughafenregion ihren FuEPersonalbestand je 1.000 Erwerbstätige um mehr als 48 Prozent steigern. Dies entspricht einem Wachstum von ungefähr vier Prozent pro Jahr. Vergleichsregionen in Bayern (-50,6 Prozent) und Deutschland (-21,2 Prozent) verzeichneten hingegen eine rückläufige FuE-Personalintensität. Pro Jahr verringerte sich der Anteil des FuEPersonals je 1.000 Erwerbstätigen um durchschnittlich -6,8 Prozent in Bayern und um 2,4 Prozent in Westdeutschland. Zuletzt kamen in der Flughafenregion auf 1.000 Erwerbstätige 7,4 FuE-Beschäftigte, ausgehend von 5 FuE-Beschäftigen im Jahr 2001. Vergleichszahlen für strukturähnliche Regionen in Bayern und Westdeutschland liegen im Jahr 2011 hingegen um die Hälfte niedriger (siehe Tabelle 6). Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität 55 Tabelle 6 FuE-Indikatoren im Zeitverlauf von 2001 bis 2011 Regionen in West-D (10) Regionen in BY (4) Region Flughafen (2) FuE-Personal (VZÄ) je 1.000 Erwerbsfähige (Durchschnittliches Wachstum p.a. in Prozent) -2,4 -6,8 4,0 FuE-Personal (VZÄ) je 1.000 Erwerbsfähige (absolut) 4,0 (2001) 3,2 (2011) 6,6 (2001) 3,2 (2011) 5,0 (2001) 7,4 (2011) FuE-Personal (VZÄ) je 1.000 Erwerbsfähige (Veränderung in Prozent) -21,2 -50,6 48,4 Darstellung: IW Consult (2014) Datengrundlage: Stifterverband für die deutsche Wissenschaft Die zunehmende Wissensproduktion schlägt sich auch in der wachsenden Anzahl angemeldeter Patente nieder. Diese liefert wichtige Anhaltspunkte für die Güte wissensbasierter Aktivitäten und gibt zudem Aufschluss über die Erfinder- und Innovationsdichte einer Raumeinheit. Ferner liefern Patente wertvolle Hinweise zur räumlichen Verortung von Wissen. Die Patentanalyse erhärtet die zurückliegenden empirischen Befunde und verdeutlicht noch einmal in eindrücklicher Weise die hohe Bedeutung der Flughafenregion als Ort der Wissensproduktion. Mit Blick auf Abbildung 19 lässt sich die hohe Innovationsdynamik im Vergleich zu strukturähnlichen Regionen noch einmal klar erkennen. In absoluten Größen sind die Landkreise der Flughafenregion, also Erding und Freising, die bedeutendsten Patenanmelder. So lag beispielsweise die absolute Anzahl angemeldeter Patente zwischen Januar 2010 und Dezember 2014 im Landkreis Erding bei 376 Patenten und im Landkreis Freising bei 516 Patenten. An dritter Stelle liegt der Landkreis Aichach-Friedberg mit insgesamt 295 registrierten Patenten. 56 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Abbildung 19 Anzahl der registrierten Patente (EP / PCT) Freising Erding Aichach-Friedberg Günzburg Miltenberg Bad Kreuznach Neuburg-Schrobenhausen Plön Neckar-Odenwald-Kreis Northeim Rhein-Lahn-Kreis Vogelsbergkreis Werra-Meißner-Kreis Leer 0 2010/01-2014/12(e) 100 200 300 2005/01-2009/12 400 500 600 2000/01-2004/12 Anmerkung: Hochrechnung per Datenstand 31.10.2014 Darstellung und Quelle: Economica (2014) Setzt man die absolute Anzahl registrierter Patente in Bezug zur Einwohnerzahl, so tritt die hohe Innovationsdynamik der Flughafenregion noch deutlicher zutage (siehe Abbildung 20). In Relation zur Anzahl der Einwohner nimmt die Flughafenregion erneut mit einem deutlichen Abstand den Spitzenplatz unter den betrachteten Regionen ein. So lag die Patentintensität, also die Anzahl registrierter Patente bzw. Erfindungen pro 10.000 Einwohner, im Zeitraum von 2010 bis 2014 bei 29,8 Patenten pro 10.000 Einwohner. Im Gegensatz dazu kommen strukturähnliche Regionen in Bayern auf eine Patentintensität von 18,0 Patentanmeldungen pro 10.000 Einwohner, während für strukturgleiche Regionen in Deutschland eine Relation von 10,8 Patentanmeldungen pro 10.000 Einwohner registriert wird. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität 57 Abbildung 20 Patente pro 10.000 Einwohner Freising Erding Aichach-Friedberg Günzburg Neuburg-Schrobenhausen Miltenberg Plön Bad Kreuznach Rhein-Lahn-Kreis Neckar-Odenwald-Kreis Northeim Vogelsbergkreis Werra-Meißner-Kreis Leer 0 2010/01-2014/12(e) 10 2005/01-2009/12 20 30 40 2000/01-2004/12 Anmerkung: Hochrechnung per Datenstand 31.10.2014 Darstellung und Quelle: Economica (2014) Die in den vorangegangenen Abschnitten herangezogenen Indikatoren lassen die Raumwirksamkeit des Flughafens München klar erkennen. Nahezu alle diskutierten Indikatoren haben sich im Zeitverlauf positiv entwickelt. Die positiven Standorteffekte des Flughafens München sind klar erkennbar, sowohl physisch-materiell – zum Beispiel in Form einer erhöhten Bauaktivität im Bereich des Gewerbeimmobilienmarktes –, als auch statistisch in Form der Analyse von strukturbeschreibenden Indikatoren. Die herausgehobene Situation des Flughafenumfeldes und der Landeshauptstadt als hoch vernetzter und leistungsfähiger Raum generiert positive Impulse für ganz Bayern. Erstens sichern die direkt in nationale und internationale Forschungs- und Entwicklungsnetzwerken eingebundenen Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit und den hohen Wohlstand im Freistaat. Zweitens profitieren Unternehmen in ganz Bayern von der Wissensgenerierung über Wertschöpfungsketten. Über 70 Prozent der Unternehmen in Bayern sind eingebunden in Entwicklungskooperationen mit Zulieferern oder Kunden, rund ein Viertel der Unternehmen arbeitet mit wissenschaftlichen Instituten oder Universitäten zusammen (vgl. vbw, 2015). Solche Netzwerke wirken sich signifikant positiv auf den Erfolg der Unternehmen aus (vgl. IW Consult, 2012). 58 5.3 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Bedeutung für bayerische Unternehmen Flughäfen spielen für die Geschäftstätigkeit vieler bayerischer Unternehmen eine wichtige Rolle. Sie sichern den Zugang zu einer globalisierten Welt und damit die Wettbewerbsfähigkeit großer Teile der bayerischen Wirtschaft. Bayern profitiert von der weiter zunehmenden Offenheit der Weltwirtschaft. Das derzeit diskutierte transatlantische Freihandelsabkommen mit den USA (Trans-Atlantic Free Trade Agreement) kann beispielsweise dazu beitragen, dass die bayerischen Unternehmen auch in Zukunft ihre internationale Marktstellung weiter verbessern und maßgeblich zu einem höheren Wohlstandsniveau im Freistaat beitragen können. Bayern lag mit einem Ausfuhrvolumen von 167 Milliarden Euro knapp hinter BadenWürttemberg (2013) an zweiter Stelle der Bundesländer und ist damit stark in den Welthandel integriert. Zum Vergleich: Aus ganz Polen wurden Waren im Wert von 152 Milliarden Euro ausgeführt. Neben Frachtleistungen steigt auch der Passagierverkehr kontinuierlich an. Allein im ersten Halbjahr 2014 wurde an den Hauptverkehrsflughäfen in Deutschland eine Gesamtzahl von gut 97 Millionen Passagieren gezählt. Im Juni 2013 lag die Zahl erst bei knapp 95 Millionen Passagieren, im Juni 2011 bei gut 93 Millionen Passagieren. Hier zeigt sich die erhebliche Dynamik und immer weiter steigende Einbettung Deutschlands in die Weltwirtschaft. Dabei sind rund 40 Prozent aller Flugreisen geschäftlich bedingt (vgl. BDL, 2014a). Um weiter von der fortschreitenden Globalisierung profitieren zu können, muss allerdings die Verkehrsinfrastruktur höchsten Standards genügen. Zwei Merkmale von Flughäfen sind besonders wichtig, wenn sie den Anforderungen von Unternehmen bestmöglich genügen wollen: – Je mehr Flugverbindungen in einer regelmäßigen Taktung angeboten werden, desto besser. Eine Hub-Funktion trägt dazu entscheidend bei. Während beispielsweise der Regionalflughafen Nürnberg lediglich gut 40 Ziele (und davon viele nur saisonal mit Blick auf den Urlaubstourismus) anfliegt, ist die Auswahl am Hub-Flughafen München mit rund 230 Zielen etwa sechsmal so hoch. – Eine schnelle Erreichbarkeit der Flughäfen sichert ihre Stellung im internationalen Wettbewerb um Hub-Funktionen und den damit einhergehenden positiven Effekten. Je besser ein Flughafen landseitig erreichbar ist, desto stärker wird er auch von Unternehmen im entfernten Umfeld in Anspruch genommen (siehe auch Kapitel 1). Vor diesem Hintergrund wurde für die vorliegende Studie eine exklusive Unternehmensbefragung unter 1.000 bayerischen Unternehmen durchgeführt – der Fragebogen findet sich in Kapitel 7.5. Knapp 40 Prozent (379 Unternehmen) der befragten Unternehmen nutzen Flughäfen für Geschäftsreisen, gut 20 Prozent (203 Unternehmen) für das Versenden von Fracht. Die Ergebnisse harmonieren gut mit anderen empirischen Studien. So zeigt eine vbw-Studie von Anfang 2014, dass ebenfalls gut 20 Prozent der bayerischen Unternehmen direkt in internationale Wertschöpfungsketten eingebunden Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität 59 sind (vgl. vbw, 2014). Die große Mehrheit dieser Unternehmen fragt Frachtdienstleistungen nach. Der höhere Anteil bei Geschäftsreisen resultiert daraus, dass Unternehmen Flughäfen auch regelmäßig für inländische Flüge nutzen (siehe folgende Ausführungen). Die oberste Führungsebene der 379 Unternehmen hat sich im August 2014 zu einem umfassenden Telefoninterview bereit erklärt. Alle weiteren Ergebnisse beziehen sich demnach auf die 379 Unternehmen und nicht etwa auf die Basisstichprobe der 1.000 Unternehmen. Damit kann die Bedeutung von Flughäfen innerhalb der Wertschöpfungsketten bayerischer Unternehmen mit hoher Güte und Aktualität geprüft und bewertet werden. Die Stichprobe ist so konzipiert, dass die Anzahl der Unternehmen valide Rückschlüsse auf die Meinung aller Unternehmen in Bayern gewährleistet. Die Verteilung der befragten Unternehmen über Umsatzgrößen und Branchen entspricht nicht der Grundgesamtheit aller Unternehmen in Bayern. Deshalb wurden die Ergebnisse der Befragung anhand des Unternehmensregisters von Bayern repräsentativ hochgerechnet. Die Hochrechnung erfolgte umsatzgewichtet, um Aussagen für die bayerische Wirtschaft als solche treffen zu können – ein kurzer Exkurs findet sich in Kapitel 5.3.1. Tabelle 7 Nutzung von Flughäfen durch die Wirtschaft – Anteil der Unternehmen in Prozent – Passage Fracht Häufig 12,1 4,6 Gelegentlich 10,6 5,8 Selten 10,6 4,7 3,9 5,0 62,8 79,9 In Ausnahmefällen Nie Quelle: Unternehmensbefragung IW Consult (2014) 5.3.1 Bedeutung von Flughäfen für die Wirtschaft Flughäfen können aus zwei Gründen wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen sein: – Passage: Insbesondere wissensintensive Dienstleistungsunternehmen, wie Anwaltssozietäten, Unternehmensberatungen und Forschungsinstitute, benötigen einen stetigen (inter-)nationalen Austausch zur Generierung und Weitervermittlung von Wissen (insbesondere von Tacit Knowledge, also erfahrungsgebundenem Wissen, das nicht kodifiziert ist) – und eine hohe Mobilität aufgrund enger Kundenbe- 60 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 ziehungen, weil ein hohes Maß an Vertrauen gegeben sein muss. Industrieunternehmen binden sich in einer immer stärker arbeitsteiligen Wirtschaft in Forschungsnetzwerke ein, wodurch themenspezifische unternehmensinterne (beispielsweise bei Großkonzernen) oder unternehmensexterne Kooperationen entstehen. Schon heute nehmen rund 40 Prozent aller bayerischen Unternehmen (große Unternehmen häufiger als kleine Unternehmen) Flugleistungen in Anspruch. Sie werden voraussichtlich ihre Wettbewerbsfähigkeit durch die intensive Integration in solche wissensgenerierende Verbünde weiter erhöhen und so auch in Zukunft Wettbewerbsvorsprünge bewahren und ausbauen. Gleichzeitig muss eine hohe Mobilität gewährleistet sein für die Unternehmen, die engen Kundenkontakt über größere Distanzen pflegen. Der weltweite Trend zu einem steigenden Offenheitsgrad der Märkte, die Globalisierung von Wertschöpfungsketten und das Wachstum in wissensintensiven Beratungsbranchen (Recht, Strategie, IT etc.) sind starke Indizien für ein weiter steigendes Bedürfnis unmittelbarer Kundenkontakte. Der Trend zur Beschleunigung von Prozessen trägt zudem dazu bei, dass die Taktungen von Flugbewegungen möglichst eng sein müssen, um den heutigen Anforderungen gerecht werden zu können. – Fracht: Bayern als Exportland ist auf leistungsfähige Flughäfen mit dem Angebot einer Vielzahl von Destinationen angewiesen, um auch im Warenverkehr in Zukunft vom steigenden Offenheitsgrad der Weltwirtschaft profitieren zu können. Immerhin 20 Prozent der bayerischen Unternehmen versendet Fracht per Flugzeug. Der Freistaat muss dementsprechend sicherstellen, dass bei der Güte der Infrastruktur der aktuelle Status quo gehalten wird und darüber hinaus gezielte Verbesserungen bei für den Erfolg Bayerns kritischen Infrastrukturprojekten bewirkt werden. Kapitel 6.1 zeigt, dass Länder, die in direktem Wettbewerb zu Bayern stehen, große finanzielle Anstrengungen hinsichtlich ihrer Flugverkehrsinfrastruktur bewältigen müssen, um weiter aufzuschließen zu können. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 61 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Tabelle 8 Intensität der Nutzung von Flughäfen durch die Wirtschaft – Anteil der Unternehmen mit Flughafennutzung nach Unternehmensgröße – Klein Mittel Groß bis 9 Beschäftigte bis 49 Beschäftigte ab 50 Beschäftigte Gesamt Passage Häufig 15,1 28,1 40,6 35,7 Gelegentlich 27,2 20,3 31,7 29,0 Selten 35,6 32,5 19,8 23,8 In Ausnahmefällen 12,7 14,3 5,8 8,2 9,4 4,8 2,1 3,3 11,1 10,4 14,2 13,2 Gelegentlich 8,7 10,1 19,0 16,2 Selten 8,8 3,9 14,7 12,0 In Ausnahmefällen 14,8 10,7 15,5 14,5 Nie 56,6 64,9 36,6 44,1 Nie Fracht Häufig Quelle: Unternehmensbefragung IW Consult (2014) Die Auswertung der Befragung zeigt, dass zwei Drittel der bayerischen Wirtschaft, die Flughäfen nutzt, zumindest gelegentlich Geschäftsreisen per Flugzeug absolviert und knapp ein Drittel der Unternehmen zumindest gelegentlich Frachtdienstleistungen nutzt. Flughäfen spielen demnach für weite Teile der bayerischen Wirtschaft eine Rolle in ihrer Wertschöpfungskette. Grundsätzlich gilt, dass große Unternehmen Flughäfen deutlich häufiger nutzen als kleine. Während Beschäftigte bei fast drei von vier großen Unternehmen, die Flughäfen nutzen, regelmäßig geschäftlich per Flugzeug reisen, fällt der Anteil bei kleinen Unternehmen mit gut 40 Prozent deutlich niedriger aus. Bei Frachtdienstleistungen liegen diese Anteile bei 33,2 Prozent bzw. 19,8 Prozent. 62 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Exkurs zum Gewichtungsmodell Die Ergebnisse der Unternehmensbefragung werden repräsentativ gemäß dem Umsatz bayerischer Unternehmen aus dem Unternehmensregister (2012) hochgerechnet. Die Ergebnisse spiegeln somit die Realität der bayerischen Wirtschaft besser wider, da die kleinen Unternehmen bei einer ungewichteten oder anzahlgewichteten Zählung eine erhebliche Dominanz entfalten würden. Ein Unternehmen mit zehn Beschäftigten hätte dann eine gleiche Bedeutung für die bayerische Wirtschaft wie ein Unternehmen mit 1.000 Beschäftigten. Große Unternehmen erhalten nach dieser Methodik ein ihrem Umsatz angemessen höheres Gewicht als kleine Unternehmen. Für bayerische Unternehmen ist der Hub-Flughafen München mit Abstand am wichtigsten. An zweiter Stelle steht der Regionalflughafen Nürnberg, gefolgt von Frankfurt am Main. Ein Ergebnis der Unternehmensbefragung ist, dass für knapp 70 Prozent der Unternehmen der Flughafen München am bedeutendsten ist. Knapp 20 Prozent der Unternehmen gaben Nürnberg als wichtigsten Flughafen an – von hier sind gleichwohl internationale Destinationen am bedeutendsten, für die ein Umsteigen in Frankfurt oder München notwendig ist. Frankfurt am Main wird von gut 8 Prozent der Unternehmen am häufigsten genutzt. Insgesamt werden demnach knapp 95 Prozent der Flüge von bayerischen Unternehmen über die drei Flughäfen München, Nürnberg und Frankfurt am Main abgewickelt. Sowohl internationale Flughäfen wie Wien-Schwechat oder Zürich, als auch andere nationale Flughäfen wie Stuttgart oder Friedrichshafen spielen als Abflughäfen nur eine marginale Rolle für bayerische Unternehmen. Dass knapp 70 Prozent der Unternehmen München als wichtigsten Flughafen angeben, liegt an der räumlichen Stichprobenverteilung. In der Stichprobe haben 67,4 Prozent der Unternehmen ihren Sitz im südlichen Bayern, also Oberbayern, Niederbayern oder Schwaben. Knapp ein Drittel der Unternehmen haben ihren Standort dagegen in der Oberpfalz oder in Franken. Damit wird die Realität gut abgebildet. Laut Unternehmensregister haben 64,3 Prozent aller bayerischen Unternehmen ihren Sitz im südlichen Bayern. Die Abweichung zur öffentlichen Statistik beträgt damit lediglich 3,1 Prozentpunkte. Die Flughafennutzung ist in Bayern aus regionaler Perspektive dreigeteilt. Die Unternehmen in Schwaben, Oberbayern und Niederbayern nutzen für Geschäftsreisen in überwältigender Mehrheit den Flughafen München. Auch in der südlichen Oberpfalz wird der Münchner Flughafen noch von einer deutlichen Mehrheit genutzt. Der nördliche Teil der Oberpfalz sowie Oberfranken und Mittelfranken konzentrieren sich eher auf den Flughafen Nürnberg, während drei Viertel aller befragten Unternehmen in Unterfranken den Frankfurter Flughafen in Anspruch nehmen (Abbildung 21). Hier zeigt sich also die Nord-Süd-Teilung Bayerns hinsichtlich der Nutzung des Flughafens München (siehe Kapitel 1) bestätigt. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität 63 Abbildung 21 Wichtigste Flughäfen für bayerische Unternehmen nach Bezirken – Anteile in Prozent der wichtigsten Flughäfen für Geschäftsreisende – Quelle: Unternehmensbefragung IW Consult (2014) Der mit Abstand wichtigste Flughafen für bayerische Unternehmen ist wie gezeigt München. Hier kulminiert sowohl nationaler als auch internationaler Flugverkehr. Die bedeutendsten nationalen Flugdestinationen von München sind Berlin, Düsseldorf und Hamburg. Die USA und China sind als internationale Destinationen stark gefragt. Dies deckt sich damit, dass diese beiden Länder die wichtigsten Handelspartner des Freistaats sind. Die Ergebnisse fallen erstaunlich ähnlich wie die Ergebnisse der offiziellen Passagierbefragung des Münchner Flughafens aus. Während die Werte der Unternehmensbefragung als Indexpunkte nach der (qualitativen) Bedeutung der Flughäfen wiedergegeben werden, kann über die Passagierbefragung der Anteil nationaler und internationaler Ziele präzise quantifiziert werden. Die Ergebnisse lauten im Vergleich: – Aus der Unternehmensbefragung ergibt sich für den Flughafen München bei nationalen Zielen eine etwas geringere Bedeutung als bei internationalen Zielen (42,3 Indexpunkte gegenüber 57,7 Indexpunkten, Abbildung 22). 64 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 – Die offizielle Passagierbefragung des Jahres 2012 ergab, dass 45,2 Prozent der originären Passagiere zu nationalen Destinationen und 54,8 Prozent zu internationalen Destinationen fliegt. – Die Abweichung zwischen der exklusiv für die vorliegende Studie durchgeführten Unternehmensbefragung und der offiziellen Passagiererhebung des Flughafens München beträgt demnach nur wenige Prozentpunkte. – Die Kongruenz der Ergebnisse – trotz unterschiedlicher Erhebungsmethodik als qualitative Plausibilisierung einzuordnen – stützt die Erhebungen wechselseitig und erhärtet damit auch zusätzlich die Aussagekraft der Ergebnisse für die Flughäfen Nürnberg und Frankfurt. Vom Flughafen Nürnberg aus werden wesentlich häufiger internationale als nationale Flugziele angesteuert. Die wichtigsten internationalen Ziele sind die USA, Österreich und China. Da vom Nürnberger Flughafen aufgrund der fehlenden Hub-Funktion keine Direktflüge in die USA oder China angeboten werden, müssen die Passagiere erst in den Hub-Flughäfen Frankfurt oder München umsteigen. Ein beträchtlicher Teil des Nürnberger Luftverkehrs besteht demnach aus diesem Umsteigeverkehr. Frankfurt wird von bayerischen Unternehmen insbesondere für internationale Direktflüge genutzt. Die bedeutendsten Verbindungen gehen nach China, nach Großbritannien, in die USA, nach Japan und Indien. Abbildung 22 Wichtigste Flugziele für bayerische Unternehmen – Indexpunkte der drei wichtigsten Flughäfen für Geschäftsreisende – Quelle: Unternehmensbefragung IW Consult (2014) Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 5.3.2 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität 65 Bedeutung der Güte von Flugverbindungen für die Wirtschaft Unternehmen messen Flughäfen eine unterschiedliche Bedeutung für ihren Geschäftserfolg bei. Dies liegt an der Häufigkeit der Nutzung, an dem damit verbundenen Geschäftsvolumen und an der Qualität der Termine – beispielsweise, ob theoretisch auch eine Videokonferenz anstatt physischer Präsenz möglich wäre. Die Befragungsergebnisse zeigen, dass über ein Fünftel aller Unternehmen mit Flugtätigkeit dieser einen hohen Stellenwert für ihren Geschäftserfolg beimisst – und daher Flughäfen regelmäßig nutzt bzw. damit wichtige Termine verbindet. Fast die Hälfte der Unternehmen ordnet Flugtätigkeit eine mittlere Relevanz für ihren Geschäftserfolg zu, für knapp ein Drittel der Unternehmen ist die Bedeutung von Flughäfen eher gering. Insbesondere Unternehmen, die sich nach 1992 – dem Eröffnungsjahr des Flughafens München – in der Nähe des Flughafens angesiedelt haben, messen der Flughafennutzung eine hohe Relevanz für ihren Geschäftserfolg bei – ihr Anteil liegt in dieser Kategorie bei 40 Prozent und damit doppelt so hoch wie im Durchschnitt. Die Formulierung „Nähe zum Flughafen München“ bedeutet, dass die Unternehmen in einem der drei Landkreise München, Erding oder Freising bzw. in der Landeshauptstadt München ansässig sind. Von den 379 befragten Unternehmen mit Flugtätigkeit trifft dies auf 110 Unternehmen zu, wovon 61 Unternehmen ihren Sitz in der Landeshauptstadt haben. Tabelle 9 Relevanz von Flugtätigkeit für den Geschäftserfolg bayerischer Unternehmen Nähe zum Flughafen, Datum der Ansiedlung Geringe Relevanz Mittlere Relevanz Hohe Relevanz Nähe zu MUC, nach 1992 15,5 44,3 40,2 Nähe zu MUC, vor 1992 28,2 45,1 26,7 Keine Nähe zu MUC, nach 1992 35,3 42,6 22,0 Keine Nähe zu MUC, vor 1992 32,3 50,1 17,6 Gesamt 30,8 47,3 21,9 Anteil der Dienstreisen per Flugzeug 12,0 37,0 50,0 Quelle: Unternehmensbefragung IW Consult (2014) Jüngere Unternehmen, die nach 1992 gegründet wurden, nutzen Flughäfen häufiger als Unternehmen, deren Gründung vor dem Jahr 1992 stattfand – unabhängig von ihrem Firmensitz. Mit jeder Neugründung eines bayerischen Unternehmens wird demnach die Bedeutung von Flughäfen auch in Zukunft eher weiter zunehmen. 66 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Je wichtiger eine Flugtätigkeit für den Geschäftserfolg ist, desto größer ist auch der Anteil von Dienstreisen per Flugzeug an allen Dienstreisen. Unternehmen, bei denen Geschäftsreisen per Flugzeug mit einer hohen Relevanz für den Geschäftserfolg bewertet werden, absolvieren die Hälfte aller Dienstreisen im Flugzeug. Das Flugzeug spielt damit eine ganz erhebliche Rolle für den Erfolg der zugrunde liegenden Geschäftsmodelle, die eine hohe (internationale) und kurzfristige Mobilität erfordern. Im geschäftlichen Flugverkehr spielen internationale Direktverbindungen eine besonders wichtige Rolle, weil der Zeitkomponente von Geschäftsreisenden eine ungleich größere Bedeutung zugemessen wird als von Privatreisenden (vgl. BDL, 2014a). Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass schon heute für knapp zwei Drittel aller Unternehmen mit Flugtätigkeit internationale Direktverbindungen wichtig sind. Der Anteil wird in den nächsten fünf Jahren auf 70 Prozent steigen. Dies zeigt den Zusammenhang zu einem der wesentlichen Argumente dafür, warum eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass in Zukunft der Flugverkehr in Deutschland quantitativ weiter an Bedeutung gewinnen wird. Auch wenn die Prognosen von sinkenden Einwohnerzahlen für die nächsten Jahrzehnte ausgehen, wird durch den zunehmenden Offenheitsgrad der Wirtschaft und die damit einhergehende stärkere Arbeitsteilung auch die Integration deutscher Unternehmen in internationale Wertschöpfungsketten weiter steigen. Für Bayern implizieren indes beide Entwicklungen eine höhere Relevanz des Flugverkehrs. Erstens liegt die Bevölkerungsprognose für den Freistaat bei 2,8 Prozent bis 2032 (vgl. Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, 2014) – von sinkenden Bevölkerungszahlen kann hier demnach keine Rede sein – und zweitens sind die Unternehmen schon heute überdurchschnittlich stark in internationale Wertschöpfungsketten eingebunden. Insbesondere Industrieunternehmen, die in Bayern überdurchschnittlich häufig ansässig sind, nutzen die Chancen der Globalisierung intensiv. Oberbayern wird aufgrund seines überdurchschnittlichen Wachstums und seines hohen Wohlstandniveaus voraussichtlich besonders starke Impulse auf eine zunehmende Bedeutung von Flugverkehr ausüben. Die weiter zunehmende technologische Vernetzung von Unternehmen – beispielsweise im Rahmen von Industrie 4.0 – und die damit einhergehenden horizontalen, unternehmensübergreifenden Wertschöpfungsnetzwerke werden voraussichtlich dazu beitragen, dass auch die reale Vernetzung über einen noch intensiveren Austausch von Beschäftigten und Waren an Bedeutung gewinnen wird. Insbesondere Unternehmen, die nach 1992 gegründet wurden und in der Nähe des Flughafens München angesiedelt sind, messen internationalen Direktbeziehungen eine hohe Bedeutung bei. 85 Prozent dieser Unternehmen werden demnach in fünf Jahren den Flughafen regelmäßig für Pflege und Aufbau internationaler Verbindungen nutzen (Tabelle 10). Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität 67 Auch Unternehmen, für deren Geschäftserfolg Flugverbindungen eine mittlere Relevanz aufweisen, benötigen zu einer deutlichen Mehrheit internationale Direktverbindungen (80 Prozent). Nur ein sehr geringer Anteil von Unternehmen gibt dagegen an, dass internationale Direktverbindungen heute (6,4 Prozent) und in Zukunft (4,4 Prozent) keine Rolle für ihr Unternehmen spielen bzw. spielen werden. Damit bayerische Unternehmen von den weltweiten Wirtschaftsverflechtungen bestmöglich profitieren können, ist es deshalb erforderlich, dass im Freistaat ein Flughafen mit einer starken Hub-Funktion existiert, durch den eine Vielzahl von Direktverbindungen mit angemessener Taktung gewährleistet werden können. Mit Blick auf den sich stark intensivierenden Wettbewerb der Hub-Flughäfen insbesondere zwischen Europa und dem Nahen Osten (siehe Kapitel 6.1) genügt es nicht, den Status quo lediglich zu konservieren. Vielmehr muss sichergestellt werden, dass der Standort auch in Zukunft wettbewerbsfähig bleibt, indem die Infrastruktur den erhöhten Anforderungen genügt. Tabelle 10 Bedeutung internationaler Direktverbindungen Nähe zum Flughafen, Datum der Ansiedlung Hohe Bedeutung heute Hohe Bedeutung in 5 Jahren Nähe zu MUC, nach 1992 75,5 85,5 Nähe zu MUC, vor 1992 67,5 75,3 Keine Nähe zu MUC, nach 1992 53,7 65,5 Keine Nähe zu MUC, vor 1992 60,8 68,1 Gesamt 61,5 70,1 Quelle: Unternehmensbefragung IW Consult (2014) Die Güte der Flugverbindung – und damit beispielsweise die Direktflugangebote oder die Taktung der Flugziele – wirkt sich auch auf internationale Investitionsentscheidungen aus. Insgesamt gibt ein Drittel der Unternehmen an, ihre Investitionsentscheidung auch nach der Qualität der Flugverbindung in den potenziellen Zielort zu treffen. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass bayerische Unternehmen unter anderem durch konsequente Internationalisierungsstrategien wettbewerbsfähig bleiben konnten. Neben dem Beschäftigungsaufbau in Bayern und Deutschland wurden insbesondere von Konzernen und großen Mittelständlern weitere Produktions- und Vertriebsstandorte im Ausland gegründet. Die überdurchschnittlich intensive Einbindung in internationale 68 Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Wertschöpfungsketten, die Ausschöpfung internationalen Marktpotenzials sowie oftmals die relativen Kostenvorteile sicherten Arbeitsplätze und Wohlstand im Freistaat. Vor allem Unternehmen, für die ihre Flugtätigkeit generell von hoher Bedeutung für den Geschäftserfolg ist, berücksichtigen die Qualität von Flugverbindungen in ihrem Investitionskalkül. Mehr als die Hälfte der Unternehmen, die internationale Flugziele anfliegen und für die Flugtätigkeit zu ihrem Geschäftsmodell gehört, misst der Qualität der Flugverbindungen eine hohe Bedeutung für ihre Investitionsentscheidungen bei. Nur knapp 10 Prozent dieser Unternehmen fliegen keine internationalen Flugziele an, sondern agieren ausschließlich in Deutschland. Im Umkehrschluss erscheint es plausibel, dass auch ausländische Unternehmen die Güte der Flugverbindung nach Deutschland – die maßgeblich davon abhängt, wie viele Flughäfen mit Hub-Funktion hier existieren – von ihren Investitionsentscheidungen abhängig machen. Tabelle 11 Bedeutung von Flugverbindungen für internationale Investitionsentscheidungen – Anteil der Unternehmen nach Relevanz von Flugtätigkeit für den Geschäftserfolg – Geringe Relevanz Mittlere Relevanz Hohe Relevanz Gesamt Hoch 17,3 29,0 56,0 31,8 Niedrig 82,7 71,0 44,0 68,2 Nicht relevant 21,8 16,7 9,8 16,8 Quelle: Unternehmensbefragung IW Consult (2014) 5.3.3 Bedeutung von Frachtleistungen für die bayerische Wirtschaft Von gut einem Fünftel aller bayerischen Unternehmen, die Frachtdienstleistungen in Anspruch nehmen (siehe Kapitel 4.1), messen wiederum gut die Hälfte heute und knapp zwei Drittel in fünf Jahren Luftfracht eine wichtige Rolle bei (Tabelle 12). Je bedeutender die Flugtätigkeit für den Geschäftserfolg von Unternehmen ist, desto höher ist dabei auch die Bedeutung von Luftfracht – der Anteil geht bis zu drei Viertel. Ist die Bedeutung von Flugtätigkeit für den Geschäftserfolg relativ gering, liegt die Quote immer noch bei gut einem Drittel der Unternehmen, für die Luftfracht heute wichtig ist, und bei fast der Hälfte mit Blick auf die Zukunft. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität 69 Tabelle 12 Bedeutung von Luftfracht – Anteil der Unternehmen nach Relevanz von Flugtätigkeit für den Geschäftserfolg – Geringe Relevanz Mittlere Relevanz Hohe Relevanz Gesamt Heute 31,4 54,2 74,3 54,8 In 5 Jahren 39,6 64,6 76,8 62,9 Quelle: Unternehmensbefragung IW Consult (2014) Der Hauptgrund, warum Waren mit Luftfracht transportiert werden, ist Zeitknappheit. Diese kann verschiedene Gründe haben: Dazu gehören beispielsweise kurzfristige Beschaffungstermine, Just-in-time-Lieferungen oder der Versand verderblicher Waren (im Groß- und Einzelhandel). Rund 70 Prozent der Unternehmen geben an, Luftfracht zu wählen, weil sie ihre Waren zeitnahliefern müssen (siehe Tabelle 13). 60 Prozent der Unternehmen müssen eine so große Distanz überbrücken, dass nur Luftfracht für sie in Frage kommt. Der Versand per Schiff oder auf dem Landweg ist hier offensichtlich zu kompliziert, weil beispielsweise mehrere Landesgrenzen überschritten werden müssen. Knapp ein Drittel der Unternehmen versendet hochwertige Waren mit dem Flugzeug, wobei sich der schnelle Lufttransport im Vergleich zum wesentlich langsameren Seebzw. Straßentransport lohnt. Insbesondere diejenigen Unternehmen, für die Flugtätigkeit von hoher Relevanz für ihren Geschäftserfolg ist, nutzen Luftfracht überdurchschnittlich stark aus Gründen großer räumlicher Distanz oder wegen der Hochwertigkeit ihrer Waren. Hier zeigt sich erstens die intensive globale Einbindung dieses Unternehmenstyps in die Weltwirtschaft. Zweitens wird deutlich, dass diese Unternehmen besonders werthaltige Waren per Flugzeug versenden. Ohne leistungsfähige Flughäfen würden diese Unternehmen demnach vor großen Schwierigkeiten stehen, wenn sie ihr Geschäftsmodell weiterhin erfolgreich verfolgen wollen. 70 Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Tabelle 13 Gründe für Frachttransport mit Flugzeug – Anteil der Unternehmen nach Relevanz von Flugtätigkeit für den Geschäftserfolg – Geringe Relevanz Mittlere Relevanz Hohe Relevanz Gesamt Zeitkritische Waren 59,6 74,5 68,1 69,8 Große Distanzen 49,1 51,7 81,3 59,0 Hochwertige Waren 17,2 31,1 43,5 31,5 Quelle: Unternehmensbefragung IW Consult (2014) Ergänzend zu der unmittelbaren Nutzung von Flughäfen im eigenen Beschaffungs- und Absatzprozess benötigen Unternehmen mittelbar den Zugang zu Flughäfen, um beispielsweise von weiteren Stufen aus der Wertschöpfungskette Waren geliefert zu bekommen. Rund 28 Prozent der Unternehmen messen dementsprechend Flughäfen in ihrer Beschaffungslogistik eine wichtige Rolle zu – im Vergleich zu 13,2 Prozent, die Flughäfen selbst häufig für Frachtdienstleistungen benötigen (siehe Tabelle 8). Unternehmen, für die Flugtätigkeit für ihren Geschäftserfolg entscheidend ist, geben zu knapp 50 Prozent an, dass Flughäfen auch in der Beschaffungslogistik eine wichtige Rolle spielen und nur rund 5 Prozent, dass Flughäfen hier keine Relevanz für ihr Unternehmen entfalten. Dagegen sind Flughäfen nur für 10 Prozent der Unternehmen wichtig, für die Flugtätigkeit grundsätzlich von geringer Relevanz sind – für 50 Prozent dieser Gruppe sind Flughäfen nicht relevant für ihre Beschaffungslogistik. Offenbar siedeln sich Unternehmen auch aufgrund der räumlichen Nähe näher an Flughäfen an, wenn diese für ihre Logistik eine wichtige Rolle spielen. Für rund 36 Prozent der Unternehmen, die in der Nähe des Flughafens München ansässig sind, spielen Flughäfen eine wichtige Rolle – im Vergleich zu gut jedem vierten Unternehmen, das seinen Standort nicht in der Nähe des Flughafens hat. Hier entstehen Vorteile bezüglich der Transportkosten, der Transportrisiken und der Lieferzeit insbesondere bei Waren, die besonders hochwertig sind oder zeitnah geliefert werden müssen. Wie gezeigt, trifft dies auf die große Mehrheit der Frachtgüter zu (Tabelle 14). Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 71 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Tabelle 14 Bedeutung von Flughäfen für die Beschaffungslogistik von Unternehmen – Nach Relevanz von Flugtätigkeit für den Geschäftserfolg und Standortnähe zu MUC – Geringe Relevanz Mittlere Relevanz Hohe Relevanz Nähe zu MUC Keine Nähe zu MUC Gesamt Wichtig 10,1 25,5 49,1 35,9 27,1 28,4 Weniger wichtig 39,9 62,9 45,7 44,7 55,0 53,6 Nicht relevant 50,0 11,6 5,2 19,4 17,9 18,0 Quelle: Unternehmensbefragung IW Consult (2014) 5.3.4 Landseitige Erschließung des Flughafens München Die sogenannte Multimodalität im Verkehr spielt eine wichtige Rolle für eine effiziente Einbindung von Flughäfen in die Wertschöpfungsketten von Unternehmen. Nicht nur das Flugangebot und dessen Taktung bestimmen darüber, wie effektiv Flughäfen von Unternehmen bei der Ausübung ihrer Geschäftstätigkeit genutzt werden können, sondern auch die Erreichbarkeit über Straße und Schiene. Die bisherigen Auswertungen der Unternehmensbefragung zeigen eindrücklich die große Bedeutung der Nähe zum Flughafen insbesondere für Unternehmen, für die Flugtätigkeit von hoher Relevanz für ihren Geschäftserfolg ist. Entscheidend ist eine gute Erreichbarkeit insbesondere für Hub-Flughäfen, weil dort das Einzugsgebiet größer ist als bei kleineren Flughäfen. Je weiter die Anreise ausfällt, desto wichtiger ist die Verkürzung der Fahrzeit – je besser also ein Flughafen landseitig angebunden ist, desto häufiger wird er genutzt. Steigende Passagierzahlen führen wiederum zu einem verbesserten Flugangebot, wodurch die Attraktivität des Flughafens sowohl für originäre Passagiere als auch für Umsteiger abermals steigt. Beim Flughafen München zeigt sich, dass die überwältigende Mehrheit der Mitarbeiter von Unternehmen, welche ihren Sitz nicht in der Nähe des Flughafens haben, mit dem Auto anreist. Weder der Nahverkehr (Regionalverkehr) noch der Fernverkehr wird dazu genutzt, den Flughafen zu erreichen. Dies zeigt die unterdurchschnittliche landseitige Erschließungsqualität. Der Flughafen ist nicht wie in Frankfurt am Main, Düsseldorf oder Köln in das ICE-Streckensystem eingebunden. Der einzige Zugang über den Schienenverkehr existiert über zwei S-Bahn-Linien, die über die Münchner Innenstadt angeschlossen sind. Kapitel 3.1 zeigt, wie bedeutend die positiven Effekte ausfielen, wenn schon allein die Fahrzeit zum Flughafen nur um wenige Minuten reduziert werden könnte. Als zweiter 72 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 positiver Effekt entstünde durch eine bessere Schienenanbindung eine Entlastung der Straßeninfrastruktur insbesondere auf den Münchner Ringen und im direkten Umfeld. Mitarbeiter, deren Unternehmen in der Nähe zum Flughafen angesiedelt sind, nutzen zu einem Drittel den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV, im MVV-Gebiet) und damit die bereits erwähnten S-Bahn-Linien. Die Bereitschaft, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, existiert demnach auch im geschäftlichen Umfeld. Geschäftsreisende legen dabei deutlich mehr Wert auf eine kurze Reisezeit „von Tür zu Tür“ als Privatreisende (s. Kapitel 4.2). Deshalb ist es umso wichtiger, die landseitige Verkehrsinfrastruktur so zu optimieren, dass die Fahrzeit zum Flughafen möglichst gering ausfällt. Dies lässt sich primär durch den Ausbau des Schienennetzes erreichen. Eine bessere landseitige Anbindung würde die Standortqualität signifikant erhöhen. Tabelle 15 Wichtigste Verkehrsmittel zum Flughafen MUC Standort der Unternehmen Auto ÖPNV Nähe zu MUC 65,1 32,0 1,5 1,4 Keine Nähe zu MUC 96,8 1,5 0,2 1,5 Gesamt 86,0 11,9 0,6 1,5 Nahverkehr Fernverkehr Quelle: Unternehmensbefragung IW Consult (2014) 5.3.5 Gründe für eine Ansiedlung nahe dem Flughafen München Die Hauptgründe aus denen sich Unternehmen im Großraum München – Flughafen München (Landkreise München, Erding und Freising und Landeshauptstadt München) ansiedeln, liegen in der guten Straßeninfrastruktur und in den attraktiven Gewerbeflächen (Tabelle 16). Hier zeigen sich zwei wichtige Erkenntnisse: – Erstens spielt die Verkehrsinfrastruktur eine entscheidende Rolle bei der Standortwahl. Eine leistungsfähige Anbindung garantiert in einer Welt mit ständig zunehmenden Mobilitätsanforderungen, dass Unternehmen (international) wettbewerbsfähig sein können. Vor allem die Landeshauptstadt München kann mit einem Zugang zu mehreren Autobahnen und einem ICE-Knotenpunkt in alle wichtigen wirtschaftlichen Regionen punkten. – Zweitens wird damit das Potenzial deutlich, dass der Flughafen bei einer verbesserten landseitigen Infrastruktur hätte. Wie aufgezeigt, wird der Flughafen München von einer großen Mehrheit der Reisenden per Auto angesteuert. Ein multimodaler Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität 73 Zugang würde die Erreichbarkeit verbessern und damit den Standort für Unternehmensgründungen und -verlagerungen attraktiver werden lassen. Die Auswertung zeigt auch strukturelle Unterschiede zwischen Unternehmen, für die hohe Mobilität über weite Strecken eher weniger wichtig ist (geringe Relevanz), und solchen, für die eine hohe Mobilität mit einer schnellen Erreichbarkeit eines Flughafens entscheidend für ihr Geschäftsmodell ist. Die erste Gruppe legt bei einer Standortentscheidung am meisten Wert auf attraktive Gewerbeflächen und ein günstiges Immobilienpreisniveau. Für die zweite Gruppe sind zwar auch diese beiden Aspekte relevant, aber noch höher bewerten sie die Erreichbarkeit in ihrem Standortkalkül. Dies liegt unter anderem daran, dass zur ersten Gruppe eher Unternehmen des Groß- und Einzelhandels gehören, die auf große Flächen angewiesen sind, während sich in der zweiten Gruppe überdurchschnittlich viele wirtschaftsnahe Dienstleister wie Unternehmensberater oder Anwaltssozietäten befinden, die weniger Fläche benötigen, aber auch kurzfristig hochmobil sein müssen. Mehr als vier von fünf dieser Unternehmen nennen die räumliche Nähe zum Flughafen als Ansiedlungsgrund. Damit sind die Nähe zum Flughafen und eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur für diesen Unternehmertyp am wichtigsten bei der Standortentscheidung. Das unternehmerische Umfeld gehört ebenfalls zu den wichtigsten Ansiedlungsgründen der Unternehmen. Der Großraum München als das wirtschaftliche Kraftzentrum des Freistaats übt eine große Anziehungskraft auf Unternehmen aus. Die Rahmenbedingungen sind aufgrund der hohen Dichte von potenziellen Wertschöpfungs- und Kooperationspartnern besser als in den meisten Regionen Deutschlands. Plausibel ist ebenfalls, dass ein größerer Anteil von Unternehmen, für die Flugtätigkeit von geringer Relevanz für ihren Geschäftserfolg ist, eher die Nähe zu Beschaffungsund Absatzmärkten in der Umgebung als weiteren Ansiedlungsgrund angibt, als dies Unternehmen tun, die Flugreisen eine hohen Bedeutung beimessen. Bei den Angaben bezüglich der Nähe zu Forschungs- und Entwicklungskooperationen muss berücksichtigt werden, dass das Ergebnis vor dem Hintergrund, dass nur ein Teil aller Unternehmen überhaupt forschend und entwickelnd tätig ist, als relativ hoch eingeschätzt wird. Aus anderen, deutschlandweiten Befragungen im Rahmen des IWZukunftspanels oder des ZEW-Innovationspanels ist bekannt, dass lediglich rund 40 Prozent aller industrie- und unternehmensnahen Dienstleistungsunternehmen überhaupt Innovationen vornehmen (vgl. ZEW, 2014). 74 Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Tabelle 16 Ansiedlungsgründe – Anteil der Unternehmen nach Relevanz von Flugtätigkeit für den Geschäftserfolg – Geringe Relevanz Mittlere Relevanz Hohe Relevanz Gesamt Gute Schienen- / Straßeninfrastruktur 63,1 69,5 81,2 71,7 Attraktive Gewerbeflächen 70,2 61,5 77,4 68,3 Günstiges Immobilienpreisniveau 66,1 59,8 78,4 67,3 Unternehmerisches Umfeld 64,6 64,4 69,5 66,0 Erreichbarkeit von Flugzielen 45,4 54,7 81,7 61,6 Nähe zu Kunden / Kooperationspartnern in der Umgebung 62,3 60,6 61,9 61,4 Nähe zu Absatz- / Beschaffungsmärkten in der Umgebung 57,1 48,2 47,1 49,9 Nähe zu Forschungs- / Entwicklungseinrichtungen in der Umgebung 40,8 41,7 44,4 42,3 Quelle: Unternehmensbefragung IW Consult (2014) Während die Durchschnittsmiete bei Gewerbeimmobilien im Umland des Flughafens seit dem Jahr 2012 bei rund 9 Euro je Quadratmeter lag, konnten in der Innenstadt Münchens durchschnittliche Mieten von gut 15 Euro pro Quadratmeter erzielt werden (Abbildung 23). Die relativ günstigen Gewerbeflächen im Umfeld des Münchner Flughafens sind unter anderem der Erschließungsqualität geschuldet. Bei einer guten landseitigen Erreichbarkeit und hoher Gewerbeimmobilienqualität könnten die Immobilienpreise im Umfeld des Münchner Flughafens zu den Immobilienpreisen in der Münchner Innenstadt aufschließen. Dieselbe Dynamik kann an anderen Flughäfen beobachtet werden, die landseitig optimal angeschlossen sind. Dazu gehören beispielsweise Frankfurt am Main und Amsterdam-Schiphol. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Hub-Flughafen München: Treiber für Prosperität Abbildung 23 Gewerblicher Immobilienmarkt Innenstadt München vs. Flughafen München – Standorte von Inseraten bei ImmobilienScout24 seit 2012, N = 60.000 – Quelle: ImmobilienScout24; eigene Darstellung (2014) 75 Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 6 Mögliche Entwicklungspfade 77 Mögliche Entwicklungspfade Die Hub-Funktion Münchens steht unter Druck Der Flughafen München hat sich in den zurückliegenden Jahren äußerst positiv entwickelt und sukzessive eine Hub-Kompetenz aufgebaut und international gefestigt. Diese gerät jedoch – vor allem vor dem Hintergrund eines extrem dynamischen Wettbewerbsumfelds – in jüngster Vergangenheit zunehmend unter Druck. Das nachfolgende Kapitel reflektiert in einem ersten Abschnitt dieses Konkurrenten- bzw. Wettbewerbsumfeld. Im zweiten Abschnitt werden dann mögliche Entwicklungsverläufe aufgezeigt. Zum einen wird der Frage nach den Konsequenzen aus dem Verlust der Hub-Funktion für den Flughafenstandort München nachgegangen (Szenario 1). Neben diesem Worst-Case-Szenario wird der Frage nach möglichen Entwicklungsverläufen aufgrund von investiven Maßnahmen nachgegangen: Welchen Entwicklungsverlauf könnte der Drehscheibenflughafen München nach einer Inbetriebnahme einer dritten Start- und Landebahn (Szenario 2) bzw. nach Verbesserung der landseitigen Anbindung (Szenario 3) einschlagen? 6.1 Wachstumsstarke neue Hub-Konkurrenten Die Wettbewerbssituation im interkontinentalen Luftverkehr verändert sich grundlegend. Das Wachstum der Fluggesellschaften aus der Golfregion, das durch eine entsprechende Zunahme der Flughafenkapazitäten unterfüttert wurde, war im letzten Jahrzehnt immens. Die Fluggesellschaft Emirates hat seit ihrer Gründung im Jahr 1985 die weltweit größte Flotte von Großraumflugzeugen aufgebaut, mit dem Schwerpunkt auf dem Zweidecker Airbus A380. Mit 190 ausgelieferten und bestellten Maschinen entfallen 59 Prozent der Order für dieses Modell auf die Airline aus dem Mittleren Osten. Was den europäischen Flugzeugkonzern angesichts zurückhaltender Aufträge anderer Fluggesellschaften für ihr Flaggschiffmodell freuen kann, stellt jedoch eine wachsende Bedrohung für die großen europäischen Fluggesellschaften und ihre Heimatbasen dar. Diese Bedrohung wird potenziert, seit mit Etihad, Qatar Airways und Turkish Airlines weitere Fluglinien eine klare Expansionsstrategie aufgelegt haben, um von der günstigen Lage ihrer Drehkreuze zwischen Europa und Asien und von dem wachsenden Asien-Verkehr zu profitieren. Mit dem Ausbau der Hub-Funktion steigt auch die Bedeutung im Europa-Afrika- sowie im Asien-Nordamerika-Verkehr. Das starke Wachstum von Fluggesellschaften aus dem Mittleren Osten stellt mittlerweile nicht mehr nur eine Bedrohung für europäische Fluggesellschaften dar, sondern beginnt sich sukzessive auch auf der anderen Seite des Atlantiks, in Nordamerika, zu zeigen. So plädieren aktuell die drei größten amerikanischen Fluggesellschaften Delta, United Airlines und American Airlines – als Maßnahme zur Begegnung der wachsenden Gefahr – für eine Beschneidung der Landerechte für Fluggesellschaften vom Persischen Golf und eine Kündigung des „Open Skies“-Abkommen mit Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten. 78 Mögliche Entwicklungspfade Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Abbildung 24 Die neuen Konkurrenten vom Golf und aus der Türkei – Flotten von Emirates, Ethiad, Qatar Airways und Turkish Airlines, September 2014 – 250 200 150 100 50 0 Emirates A380 A340 Etihad A330 B777 Qatar B787 B747 A320-family Turkisch Airlines A310 B737 Darstellung: Institut der deutschen Wirtschaft (2014) Datengrundlage: Angaben der Fluggesellschaften Bis zum Jahr 2020 planen die drei großen Airlines der Golfanrainerstaaten, Emirates, Etihad und Qatar Airways eine weitere kräftige Ausweitung ihrer Kapazitäten auf den Europa- und Asienrelationen um 60 Prozent bis 170 Prozent. 600 Großraumflugzeuge, die nur zum geringsten Teil vorhandene Flugzeuge ersetzen sollen, werden von den betroffenen Luftfahrtunternehmen bis zum Jahr 2020 voraussichtlich gekauft (vgl. Credit Suisse, 2014). Turkish Airlines folgt der Strategie der drei arabischen Gesellschaften und baut ebenfalls seine Europa-Asien-Verbindungen zügig aus (vgl. Turkish Airlines, 2013). Die bestehenden Landerechte auf Flughäfen der Europäischen Union und die vielen Verbindungen in mitteleuropäische Städte, die auch durch in Europa lebende Türken und Touristen genutzt werden, bilden dabei eine gute Basis für den Ausbau des Netzes im Asienverkehr, da die Großraumflugzeuge auf den Asienrouten relativ kostengünstig aus den mit Single-Aisle-Gerät bedienten Europastrecken gefüllt werden können. Im Zeitraum von 2014 bis 2017 wird die Gesellschaft 38 neue Großraumflugzeuge erhalten, die vollständig der Kapazitätserweiterung auf der Langstrecke dienen sollen. Insgesamt soll die Flotte bis zum Jahr 2020 um 84 Prozent auf 428 Maschinen wachsen (vgl. Turkish Airlines, 2014). Damit dürfte das rasante Wachstum der Gesellschaften des Mittleren Ostens (mit Türkei, vgl. Abbildung 26), die seit dem Jahr 2000 um über 340 Prozent gewachsen sind, seine Fortsetzung finden. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 79 Mögliche Entwicklungspfade Abbildung 25 Wachstum des Luftverkehrs nach Weltregionen – Entwicklung der verkauften Passagierkilometer 2000-2012 in Prozent – 400 350 300 250 200 346 150 100 50 0 21 51 65 70 98 110 Darstellung: Institut der deutschen Wirtschaft (2014) Datengrundlage: BDL (2013) / IATA 6.1.1 Der Ausbau der Flughafeninfrastruktur in der Golfregion und der Türkei Die Flughafenstandorte Dubai und Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Doha in Katar sowie Istanbul in der Türkei sind in ihrer laufenden Expansion unterschiedlich weit vorangekommen. In Dubai ist die Entwicklung zum Mega-Hub im Asien-Europa-Verkehr bereits am weitesten fortgeschritten. Der Flughafen Dubai International ist die Heimatbasis von Emirates und damit der weltgrößten Flotte an Zweideckern vom Typ Airbus A380. Dubai International fertigte im Jahr 2013 66,4 Millionen Passagiere ab, eine Steigerung um 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr (Tabelle 17). Weltweit liegt der arabische Hub damit schon auf Rang 7, Frankfurt wurde bereits im Jahr 2012 überholt. Im Jahr 2014 wird eine Steigerung auf 73 Millionen Passagiere erwartet. Die aktuelle Kapazität von 75 Millionen Passagieren soll durch ein neues Terminal bis zum Jahr 2016 auf 90 Millionen gesteigert werden. Gleichzeitig entsteht mit dem im Oktober 2013 für den Passagierverkehr eröffneten Dubai World Central eine neue „AirportCity“, die im Endausbaustadium jährlich 160 Millionen Passagiere abfertigen soll. Dubai schafft Kapazitäten für die Zukunft – wahrscheinlich auch auf lange Zeit Überkapazitäten – offenbar ohne auf finanzielle Restriktionen Rücksicht nehmen zu müssen. Abbildung 26 zeigt das Wachstum der führenden europäischen Hubs um LondonHeathrow und Frankfurt sowie der neuen Wettbewerber vom Golf und in der Türkei in den Jahren von 2010 bis 2013. London und Frankfurt konnten so wie München ihre Verkehrsleistung im Passagierverkehr nach dem Einbruch des Jahres 2009 nur um ein 80 Mögliche Entwicklungspfade Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Zehntel steigern, während die vier neuen Hauptkonkurrenten um 40 Prozent bis 60 Prozent gewachsen sind. Abbildung 26 Hubs im Mittleren Osten und Türkei setzen sich ab – Wachstum wichtiger Hub-Flughäfen 2010-2013 in Prozent – 60 Prozent 50 40 30 40,9 20 10 0 7,1 9,8 10,0 11,4 48,1 52,2 59,7 16,2 Darstellung: Institut der deutschen Wirtschaft (2014) Datengrundlage: BDL – Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (2014) / IATA, Angaben der Flughäfen Neben Dubai konnte im Jahr 2014 auch Katar einen neuen Großflughafen in Doha in Betrieb nehmen. Am Golf ist der Auf- und Ausbau neuer Flughafenkapazitäten damit bereits weiter fortgeschritten als in der Türkei. Istanbuls zwei Flughäfen mit zusammen 60 Millionen Passagieren sollen weiter ausgebaut und durch einen neuen Großflughafen ergänzt werden. Mit 51,2 Millionen Passagieren im Jahr 2013 operiert das Istanbuler Drehkreuz Atatürk International nahe an seiner Kapazitätsgrenze (Tabelle 17). Der Bau eines neuen Drehkreuzes für bis zu 150 Millionen Passagiere jährlich wurde Mitte 2014 begonnen, um die Wachstumsstrategie des nationalen Carriers mit entsprechenden Kapazitäten zu unterfüttern. Der Zeitplan der türkischen Regierung ist ehrgeizig, was die hohe Priorität unterstreicht, die dem Luftverkehr als Wirtschaftsfaktor in dieser Weltregion – im Gegensatz zu Deutschland und der EU – beigemessen wird: Schon bis Ende des Jahres 2018 soll der erste Bauabschnitt für bis zu 90 Millionen Passagiere fertiggestellt sein. Die türkische Regierung sieht in der nationalen Fluggesellschaft und dem Luftfahrtstandort ein zentrales Element der aufstrebenden Wirtschaft des Landes, das schon im Jahr 2020 zu den global größten zehn Volkswirtschaften gehören soll (vgl. Gamze / Gerede, 2013). Das schnelle Wachstum des türkischen Luftverkehrsmarktes – im Sommerflugplan 2014 wurde das Sitzplatzangebot vom Vorjahr um 16 Prozent überschritten, was die mit Abstand höchste Zuwachsrate in Europa war – unterfüttert die Wachstumspläne der Regierung (Vgl. BDL, 2014b). Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 81 Mögliche Entwicklungspfade Weitere mittelöstliche Gesellschaften wie Oman Air expandieren und versuchen, das erfolgreiche Geschäftsmodell zu kopieren. Tabelle 17 Die neuen Hub-Flughäfen am Golf und in der Türkei sowie in Westeuropa – Abgefertigte Passagiere 2013 und Wachstum gegenüber 2012 – Passagiere 2013 Veränderung zu 2012 in Prozent London Heathrow 72.368.030 3,3 Dubai International Airport 66.431.533 15,2 Paris Charles de Gaulle 62.052.917 0,7 Frankfurt am Main 58.036.948 0,9 Atatürk International Airport 51.172.626 13,6 München FJS 38.672.644 0,8 Doha International Airport 23.266.187 9,9 Abu Dhabi International Airport 16.700.000 12,4 Anmerkung: Doha International wurde im Mai 2014 durch den Hamad International Airport ersetzt, da der bisherige Flughafen an die Kapazitätsgrenzen stieß; Abu Dhabi International: gerundet. Darstellung: Institut der deutschen Wirtschaft (2014) Datengrundlage: Airports Council International / Port Authority of NY and NJ (2014), Flughafenangaben Abbildung 28 zeigt, dass die Flughafendichte bezogen auf die Bevölkerung in Asien und im Mittleren Osten noch deutlich gegenüber Europa und Nordamerika zurückliegt. Im Mittleren Osten gibt es ebenso wie in den entwickelten Ländern Asiens nur etwa einen Flughafen pro zwei Millionen Einwohner, in Europa ist die Dichte doppelt so hoch. China liegt mit 0,13 Flughäfen pro Million Einwohner noch weit zurück, obwohl es in den letzten Jahren einen starken Ausbau der Infrastruktur – einschließlich Flughäfen – gab. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Region Mittlerer Osten abgesehen vom Ausbau ihrer Drehkreuzfunktion auch noch eigenes Wachstumspotenzial im Luftverkehr aufweist. 82 Mögliche Entwicklungspfade Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Abbildung 27 Dichte der Flughafenstruktur nach Kontinenten – Flughäfen pro Million Einwohner – 2,5 2 1,5 2,5 1 0,5 1 0,8 0,7 0,5 0,5 0,4 0,3 0,1 0 Darstellung: Institut der deutschen Wirtschaft (2014) Datengrundlage: Airbus (2014), S.42 6.1.2 Die Konzentration auf Megacities nimmt zu Der Langstreckenflugverkehr zeigt eine starke Konzentration auf die Routen zwischen den ca. 40 bedeutendsten Hub-Flughäfen. Airbus definiert sogenannte Megacities als Flughafenstandorte, die mehr als 10.000 Langstreckenpassagiere täglich abfertigen (vgl. Airbus, 2011). Hierzu zählt auch die 1,4-Millionen-Einwohner-Stadt München. Aktuell (Daten für 2010) werden knapp über die Hälfte der weltweiten Langstreckenpassagiere zwischen 39 solcher Megacities wie London, Los Angeles, Frankfurt oder München transportiert, weitere 42 Prozent zwischen Megacities und Sekundär-Hubs wie beispielsweise Düsseldorf. Anders ist das Bild bezüglich der beflogenen Routen: Hier entfallen nur 22 Prozent auf Megacity-Verbindungen, aber 58 Prozent auf Anbindungen der Sekundär-Hubs an die Megacities. Zwischen den kleineren Sekundär-Hubs fliegen nur sieben Prozent der Langstreckenpassagiere, allerdings auf einem Fünftel der insgesamt angebotenen Fernrouten. Zwar wird bis zum Jahr 2033 eine Steigerung der Anzahl der Megastädte, die mindestens 10.000 Langstreckenpassagiere aufweisen, um 120 Prozent auf 87 Städte erwartet. Jedoch bleibt die Konzentration des Verkehrs gemessen anhand der Passagierzahl wie der angebotenen Passagierkilometer (ASK) auf die führenden Hubs (vgl. Abbildung 29) nach der Prognose von Airbus weitgehend bestehen (vgl. Airbus, 2011). Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Mögliche Entwicklungspfade 83 Abbildung 28 Passagiere und Routen nach Größen der Hubs – Aufteilung des internationalen Langstreckenverkehrs – Darstellung: Institut der deutschen Wirtschaft (2014) Datengrundlage: Airbus (2011), Global Market Forecast 6.1.3 Unterstützung der Regierungen für die Expansionsstrategie Während dem Luftverkehr und den Flughafenstandorten in Europa und speziell in Deutschland nur eine begrenzte Unterstützung der politischen Entscheidungsträger zuteil wird – in Deutschland führen Maßnahmen wie eine Ausweitung von Nachtflugverboten und die Luftverkehrssteuer, die die Kostenbelastung des Sektors um ca. eine Milliarde Euro jährlich erhöht, sogar zu wachsenden Belastungen (vgl. BDL, 2013) – sind die heimischen Airlines und Flughäfen für die Golfstaaten und die Türkei Teil der nationalen Wachstums- und Entwicklungsstrategien. Die Türkei möchte den Aufstieg des Schwellenlandes zur entwickelten Welt durch den Ausbau des Luftverkehrsstandorts flankieren. Die VAE sowie Katar suchen ein wirtschaftliches Standbein für die Zeit „nach dem Öl“, indem sie ihre geografische Lage zwischen Europa und Asien für die Entwicklung zur Handels-, Logistik- und Luftverkehrsdrehscheibe nutzen. Klar ist damit, dass die Rahmenbedingungen für die Fluggesellschaften und Drehkreuze im Mittleren Osten weit günstiger ausfallen als in Europa. Wie stark sich dies auf die Anteile am Passagieraufkommen im wichtigen Europa-Asien-Verkehr auswirkt, zeigt Abbildung 29. Innerhalb eines Jahrzehnts hat sich der Anteil von Emirates, Etihad und Qatar Airways bezogen auf die verkauften Sitze auf fast ein Fünftel verdoppelt. 84 Mögliche Entwicklungspfade Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Abbildung 29 Anteil der Golf-Airlines im Europa-Mittelost- / Asien-Verkehr 20 15 10 5 8,2 9,0 2004 2005 13,5 14,5 11,0 12,5 14,2 11,9 2006 2007 2008 2009 2010 2011 16,5 17,5 18,5 2012 2013 2014 0 Darstellung: Institut der deutschen Wirtschaft (2014) Datengrundlage: Credit Suisse (2014); Diio Mi Data Umstritten ist allerdings, inwieweit diese erfolgreiche Expansionsstrategie durch „Investitionen in die Zukunft“ oder aber durch direkte staatliche Subventionen gefördert wird. Luftverkehrsexperten gehen überwiegend von Beihilfen der Golf-Regierung aus, diese sind aber angesichts fehlenden Einblicks in die Kostenstrukturen der nicht börsennotierten Fluggesellschaften und Flughafenbetreiber nur schwer zu belegen. – Investitionen. Es ist angesichts der gewaltigen Investitionen der letzten Jahre offensichtlich, dass sowohl die staatseigenen Fluggesellschaften wie auch die Flughäfen keinen finanziellen Restriktionen bei der Beschaffung von Flugzeugen und dem Bau der Infrastrukturen unterliegen. Die Staatsfonds der Golfanrainer befinden sich allerdings in einem globalen Niedrigzinsumfeld weltweit auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten für die hohen Einnahmen aus der Ölproduktion, sodass eine Investition in die eigenen Airlines nicht per se eine Subvention darstellt. – Besteuerung. Auch die Steuerfreiheit der Beschäftigten in den Golfstaaten und die niedrige oder fehlende Besteuerung der Unternehmen sind nicht unbedingt als Subventionen einzustufen. Sie bilden zwar einen klaren Kostenvorteil gegenüber den europäischen Standorten und Airlines, gelten aber nicht nur für die Mitarbeiter und Unternehmen im Luftfahrtsektor. – Kerosinpreis Ein leichter zu überprüfendes Element staatlicher Unterstützung wäre eine Subventionierung der Treibstoffpreise. Kerosin trägt im Durchschnitt mit ca. 30 Prozent zu den Kostenpositionen von Fluggesellschaften bei, so dass hier eine wichtige Einflussmöglichkeit gegeben ist. Aufgrund der immensen Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit von Flughafenstandorten und Fluggesellschaften wird Kerosin weltweit nicht besteuert, so dass sich sein Preis prinzipiell überall aus dem Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Mögliche Entwicklungspfade 85 Rohölpreis zuzüglich Raffinerie- und Transportkosten zusammensetzen sollte. Derzeit liegt der Preis von Kerosin bei ca. 0,60 Euro je Liter (nach IATA-Preisindex August 2014). Auch in den Ölländern sollte es im Rahmen der Transportkosten für das Rohöl nur geringfügig billiger sein. Trotzdem gibt es immer wieder Berichte, dass die Airlines der Golfstaaten auf europäischen Flughäfen weit weniger Kerosin tanken, als für die Flug nach Abu Dhabi, Dubai oder Doha notwendig ist. Die Großraumflugzeuge, deren Reichweite weit größer ist als für den Flug nach Europa erforderlich, kommen also vom Golf offenbar mit ausreichend Treibstoff für einen Teil des Rückflugs nach Europa. Da diese Betankungsstrategie aufgrund des höheren Gewichts den Kerosinverbrauch erhöht, ergibt sie nur Sinn, wenn es für die betreffenden Gesellschaften deutliche Preisunterschiede für das Betanken an heimischen und europäischen Flughäfen gibt. Das Tankverhalten gibt derzeit den deutlichsten Hinweis auf Treibstoffsubventionen für die Golf-Airlines. 6.1.4 Kapazitätsaufteilung wichtiger Airlines Die folgende Grafik zeigt die geografische Kapazitätsaufteilung von elf wichtigen Fluggesellschaften aus Europa, der Golfregion und Asien. Es zeigen sich interessante Unterschiede zwischen den kontinentalen Schwerpunkten nach den Herkunftsregionen der Airlines, die sich auf die Streckennetze der jeweiligen Airline-Drehkreuze auswirken. Die asiatischen Gesellschaften und Qantas konzentrieren ihre Liniennetze auf Asien, mit nur noch geringen (Singapore Airlines, Cathay Pacific, Air China) oder sogar vollständig zu vernachlässigenden Verbindungen nach Europa. Hier macht sich die Dominanz der Golf-Carrier auf den Europaverbindungen bereits stark bemerkbar: Qantas betreibt Codesharing mit Emirates und hat die eigenen Europarouten quasi aufgegeben. Es ist damit zu rechnen, dass weitere Airlines diesen Weg beschreiten, statt sich in einen finanziell nicht zu gewinnenden Konkurrenzkampf zu begeben. Bis auf Singapore Airlines setzt keiner der asiatischen Carrier über zehn Prozent seiner Kapazitäten im Europa-Verkehr ein. Der Mittlere Osten wird von den asiatischen Airlines fast vollständig gemieden, nur Qantas bedient dank der Kooperation mit Emirates Dubai mit höherer Frequenz. Ganz anders ist die Aufteilung der Kapazitäten der drei europäischen klassischen nationalen Fluggesellschaften: Ihr Europa-Verkehrsanteil liegt im Maximum (LufthansaGruppe) bei 35 Prozent und bei Air France-KLM und der IAG (British Airways / Iberia) nur bei einem Fünftel der gesamten Kapazitäten. Die IAG konzentriert ihre Routen auf Nordamerika (British Airways) bzw. Südamerika (Iberia), mit europäischem Zubringerverkehr und nur noch geringen Asien- und Mittelost-Routen. Air France-KLM meidet den Mittleren Osten, setzt aber fast ein Viertel der Kapazitäten im Asien-Verkehr ein. Die Lufthansa-Gruppe ist im Asien-Verkehr ähnlich stark vertreten wie Air France-KLM und im Mittleren Osten wie die IAG. Mit zusammen 28 Prozent der Kapazitäten in diesen beiden Weltregionen besteht ein starkes Bedrohungspotenzial durch die drei Golf- 86 Mögliche Entwicklungspfade Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Airlines und den neu hinzustoßenden Konkurrenten Turkish Airlines für die führende deutsche Gesellschaft mit ihren Hub-Standorten in Frankfurt und München. Relativ gleichmäßig ist die geografische Routenverteilung bei den großen Golf-Airlines mit einem bislang schwachen Amerikaverkehr. Derzeit setzen die drei großen Carrier 18 Prozent bis 24 Prozent ihrer Kapazitäten – gemessen in angebotenen Sitzplätzen – auf Europarouten ein, gegenüber 31 Prozent bis 37 Prozent auf den Asien-PazifikRelationen und nur drei Prozent bis fünf Prozent auf den Verbindungen nach Nordamerika (vgl. Credit Suisse, 2014). Abbildung 30 Geografische Kapazitätsaufteilung – Aufteilung der Kapazitäten europäischer, mittelöstlicher und asiatischer Airlines – 100% 80% 60% 40% 20% 0% Europa Nordamerika APAC Mittelost Sonstige Anmerkung: Sonstige = einschließlich fehlende Abgaben Darstellung: Institut der deutschen Wirtschaft (2014) Datengrundlage: Angaben der Fluggesellschaften; Credit Suisse (2014); Berechnungen IW Köln Es ist damit zu rechnen, dass sich die grundlegende Verteilung für die GolfGesellschaften mit den neu zulaufenden Großraumflugzeugen weiter Richtung Langstrecken verschiebt. Aber auch bei einer Verstärkung der bislang schwachen AmerikaVerbindungen über die Atlantikroute und der Asien-Pazifik-Routen dürften Europaflüge weiterhin ca. ein Fünftel der neuen Kapazitäten binden, während die Kurzstrecken innerhalb des Mittleren Ostens an Relevanz verlieren. Emirates mit seiner Dominanz auf der Langstrecke gibt dabei den Weg bereits vor. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 6.1.5 Mögliche Entwicklungspfade 87 Bedrohungspotenzial für europäische Gesellschaften steigt Die Gefahr der Mittelost-Airlines für etablierte europäische (und südasiatische) Airlines im Europa-Asien-Verkehr ist real und wachsend. Credit Suisse Research sieht einen Kostensenkungsbedarf auf den Asienverbindungen von bis zu 40 Prozent, damit europäische Gesellschaften wie die Lufthansa konkurrenzfähig bleiben können. Dies erfordert nicht nur Sparmaßnahmen beispielsweise bei den Personalkosten, sondern auch mehr Investitionen in konkurrenzfähiges modernes Gerät mit geringerem Treibstoffverbrauch je Passagier. Der Verkauf älterer Maschinen stellt dabei üblicherweise eine wichtige Einnahmequelle als Basis für neue Flugzeugkäufe dar. Die Investitionsbudgets europäischer Airlines sind aber durch den Wertverlust der Flotten bedroht: Da die Golf-Airlines junge Flotten unterhalten und ihre gebrauchten Maschinen eher abstoßen als die etablierten Gesellschaften in Europa und den Vereinigten Staaten, könnte sich der Wert älterer Großraumflugzeuge halbieren. Unter den drei großen europäischen Airlines wäre British Airways / Iberia (IAG) mit einem Wertverlust der Flotte von ca. sieben Prozent am stärksten betroffen, vor Air France-KLM (vier Prozent) und Lufthansa (zwei Prozent) (vgl. Credit Suisse, 2014). Die Abbildung 31 zeigt den Umsteigeverkehr an wichtigen europäischen und mittelöstlichen Hub-Flughäfen. Während Frankfurt sich im Kontext der großen europäischen Drehkreuze relativ gut behaupten konnte und München sogar Verkehr und prozentuale Anteile hinzugewonnen hat, ist der Zuwachs der drei Hubs am Golf und in Istanbul weit größer. Mit 16,3 Millionen Umsteigern ließ Dubai im Jahr 2013 Frankfurt (14 Millionen) hinter sich, während Doha mit 7,6 Millionen Umsteigepassagieren München (6,9 Millionen) überholt hat. Für die Marktanteile im Umsteigeverkehr zeigt sich die Verschiebung zu den neuen Konkurrenten am Golf und in der Türkei entsprechend. Der strukturelle Wandel lässt sich auf einzelne Märkte herunterbrechen: Während im Jahr 2005 noch drei Viertel der Passagiere zwischen Indien und den USA in Europa umstiegen und nur 4 Prozent im Nahen bzw. Mittleren Osten, waren es im Jahr 2013 nur noch 46 Prozent in Europa und schon 38 Prozent am Golf bzw. in Nahost (vgl. BDL, 2014b). Die Luftverkehrsströme gehen zunehmend an Europa vorbei. 88 Mögliche Entwicklungspfade Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Abbildung 31 Umsteigeverkehr nach Hub-Flughäfen – Entwicklung von Umsteigezahlen (oben, in Millionen) und Marktanteilen (unten, in Prozent) von 2004 bis 2013 – 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 2004 2007 2010 2013 14 12 10 8 6 4 2 0 Darstellung: Institut der deutschen Wirtschaft (2014) Datengrundlage: Sabre Airport Data Intelligence; Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Mögliche Entwicklungspfade 89 Die weitere Entwicklung ist allerdings auch von der Frage der Landerechte auf dem europäischen Kontinent abhängig: Deutschland limitiert beispielsweise für Emirates den Zugang zum deutschen Markt, sodass beispielsweise Berlin nur unter Aufgabe einer anderen Relation angeflogen werden könnte. Derartige Beschränkungen der Landerechte sind vor allem für dispers strukturierte oder sehr große Länder marktrelevant – neben Deutschland also noch stärker die Vereinigten Staaten und China –, während kleinere oder monozentrische Luftfahrtstandorte wie das Vereinigte Königreich und Frankreich mit ihren dominierenden Hauptstädten oder der Stadtstaat Singapur die Marktdurchdringung ausländischer Airlines schwerer begrenzen können. Zur Umgehung der Beschränkungen bei den Landerechten setzt Etihad in Europa stark auf Kooperationen und Beteiligungen (Etihad 2015)So hält die Fluggesellschaft aus den Vereinigten Arabischen Emiraten seit Dezember 2011 einen Aktienanteil von 29 Prozent an der deutschen Fluggesellschaft Air Berlin und seit August 2014 einen Aktienanteil von 49 Prozent an der italienischen Fluggesellschaft Alitalia. 6.1.6 Europa-China-Verkehr mit höherer Immunität Neben der Frage der Landerechte gibt es noch einen weiteren Grund, für die europäischen Luftfahrtstandorte nicht nur pessimistisch bezüglich der zukünftigen Rolle der Golf-Hubs und Istanbuls im Asien-Verkehr zu sein: Wettbewerbsfähig sind die Drehkreuze im Mittleren Osten und ihre Carrier vorwiegend im Südasien- und AustralienVerkehr, weniger im Chinaverkehr. Mit dem Aufstieg Chinas zur weltgrößten Volkswirtschaft bis voraussichtlich zum Jahr 2023 besitzt gerade der Europa-China-Verkehr immenses Wachstumspotenzial (vgl. Airbus, 2014). Für die Routen nach China liegen die Golf-Hubs zu weit südlich außerhalb des Großkreises (als kürzeste Flugverbindung zwischen zwei Punkten auf der Erdoberfläche), der über Russland und Zentralasien führt. Die Zeitverluste eines Fluges mit Zwischenstopp am Golf sind dadurch erheblich, ebenso der Mehrverbrauch an Kerosin gegenüber einem Nonstop-Flug von Europa. Zudem bremst Peking bei der Vergabe von Landerechten für die Golf-Airlines, um seine eigenen Fluggesellschaften nicht in ihrer Expansion zu gefährden. Indirekt hilft dies auch den europäischen Wettbewerbern. Turkish Airlines besitzt hier allerdings aufgrund der nördlicheren Lage Istanbuls eine deutlich günstigere Position als die Golf-Airlines. Mit dem neuen Großflughafen in Istanbul könnte die Airline an der Nahtstelle zwischen Europa und Asien nach dem Jahr 2020 zu einer noch größeren Gefahr für die europäischen Hubs werden als die Konkurrenten am Persischen Golf. 6.1.7 Zusammenfassung Die Wettbewerbssituation im interkontinentalen Luftverkehr verändert sich grundlegend. Fluggesellschaften aus der Golfregion sind zu wachstumsstarken Global Playern geworden, die Interkontinentalverkehr vor allem in der Europa-Asien-Relation an sich 90 Mögliche Entwicklungspfade Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 ziehen. Besonders auf der Relation von Europa nach Südostasien sind Gesellschaften wie Emirates aus Dubai – weltgrößter Betreiber des Großflugzeugs Airbus A380 – dominierend, da der arabische Golf hier auf dem Großkreis als kürzester Verbindung zwischen zwei Punkten auf der Erdoberfläche liegt. In den Jahren von 2004 bis 2014 haben die Golf-Airlines ihren Anteil im EuropaMittelost- und Asien-Verkehr von 8,2 Prozent auf 18,5 Prozent gesteigert. Bis zum Jahr 2020 planen die drei großen Airlines vom Golf, Emirates, Etihad und Qatar Airways, eine weitere kräftige Ausweitung ihrer Kapazitäten auf den Europa- und AsienRelationen um 60 Prozent bis 170 Prozent. Zulaufen werden ca. 600 Flugzeuge. Ein Großteil hiervon ist für den Interkontinentalverkehr vorgesehen. Bedeutende asiatische Airlines wie Singapore Airlines und Thai wurden bereits überwiegend aus den Europa-Asien-Relationen verdrängt; auch British Airways/Iberia (IAG) und Qantas mussten die Bedienung dieser Relation stark einschränken bzw. aufgeben. Lufthansa und Air France / KLM setzten hingegen noch 23 Prozent ihrer Sitzplatzkapazitäten im Asien-Verkehr ein. Die Wachstumsstrategie der drei Golf Airlines und auch von Turkish Airlines wird durch einen rasanten Ausbau der Hub-Kapazitäten an den Heimatbasen unterlegt. In Istanbul wurde mit dem Bau eines neuen Großflughafens begonnen, der schon im Jahr 2018 mit einer Kapazität von 90 Millionen Passagieren eröffnen und danach auf 150 Millionen Passagiere ausgebaut werden soll. Dubai entwickelt neben dem bestehenden Dubai International Airport für bis zu 90 Millionen Passagiere eine neue AirportCity mit bis zu 160 Millionen jährlicher Passagierkapazität. Die Regierungen der jeweiligen Länder des Mittleren Ostens sehen den Luftverkehr und ihre Hubs als Teil der nationalen Entwicklungsstrategie; Fluglinien und Flughafenausbau werden dementsprechend konsequent gefördert. Subventionen für die Fluggesellschaften sind jedoch trotz vorliegender Indizien (Tankverhalten, Besteuerung, Kapitalkosten) schwer nachzuweisen. Die andauernde starke Ausweitung des Interkontinentalverkehrs durch die GolfFluglinien und Turkish Airlines kosten die europäischen Gesellschaften im EuropaAsien- sowie zukünftig verstärkt im Europa-Afrika-Verkehr Marktanteile. Dies wirkt sich auf das Wachstum der Hub-Flughäfen aus: Im Zeitraum von 2010 bis 2013 sind London Heathrow und Frankfurt um ca. 10 Prozent, Dubai um 40 Prozent, Doha und Abu Dhabi um ca. 50 Prozent und Istanbul um knapp 60 Prozent gewachsen. Die Strategie der Golfanrainer und der Türkei für ihre Airlines und Hub-Flughäfen greift die Stellung europäischer Drehkreuzflughäfen im Interkontinentalverkehr an. Dies gefährdet die Hub-Funktion der großen Sekundär-Hubs wie München und Amsterdam stärker als die der Primär-Hubs (London Heathrow, Paris CDG, Frankfurt), da sich die jeweiligen Fluggesellschaften im Falle einer Konsolidierung auf ihren wichtigsten Hub konzentrieren werden. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 6.2 Mögliche Entwicklungspfade 91 Szenarien Im Folgenden werden drei Szenarien berechnet, um potenzielle Entwicklungen des Münchner Flughafens und ihre ökonomischen Konsequenzen bewerten zu können. Zunächst wird berechnet, welche Folgen der Verlust der Hub-Funktion für den Münchner Flughafen bedeuten würde. Wie Kapitel 6.1 zeigt, kann dieser Verlust allein dadurch zustande kommen, wenn lediglich der Status quo am Münchner Flughafen erhalten wird. Wenn wichtige andere Drehkreuze wie Istanbul oder Dubai hohe Investitionen in den weiteren Ausbau tätigen, fällt der Flughafen München schnell in seiner relativen Bedeutung zurück. Dies wiederum kann die Verkleinerung des Streckennetzes und damit auch den Verlust eines großen Teils der Passagiere bedeuten. Ein solches Szenario würde, wie im Folgenden gezeigt, den Wirtschaftsstandort Bayern massiv schwächen. Im Vergleich dazu werden auch zwei positive Szenarien berechnet. Erstens werden die Konsequenzen eines Ausbaus des Flughafens mit einer dritten Startbahn analysiert. Zweitens wird berechnet, wie die Erhöhung der Erreichbarkeit des Münchner Flughafens auf dessen Bedeutung Einfluss nähme. Alle drei Szenarien treffen Aussagen darüber, wie sich vom Status quo aus betrachtet Beschäftigungs- und Wertschöpfungseffekte für Bayern und Deutschland entwickeln. Entscheidend ist bei diesen Maßnahmen auch die Zeitkomponente, die in den folgenden Ausführungen nicht berücksichtigt werden kann. Wenn die Wettbewerber schneller sind, kann trotz Ausbauplänen ein Wendepunkt kommen, an dem andere Drehkreuze an München vorbeigezogen sind. Zu diesem Zeitpunkt ist ein Gegensteuern erheblich schwieriger. Um einen Anker für die Szenarien fixieren zu können, von dem die drei Entwicklungspfade ausgehen, muss zunächst geklärt werden, wie sehr sich die Passagierzahlen auf die unterschiedlichen Komponenten (wie Beschäftigung, Materialkosten, Wertschöpfung und dergleichen) der wirtschaftlichen Tätigkeit am Flughafen auswirken. Sind diese Beziehungen geklärt, kann anhand der jeweiligen Vorgaben des zu untersuchenden Szenarios die Passagierzahl und anschließend deren Auswirkung auf die einzelnen Komponenten berechnet werden. Ist das geschehen, wird anhand der Input-OutputAnalyse der ökonomische Impact auf Bayern und Deutschland ermittelt. Festzustellen ist, dass Interkontinentalflüge eine große Bedeutung für die Hub-Funktion von Flughäfen aufweisen. Werden diese Flüge reduziert, reduzieren sich in der Folge auch Kontinentalflüge. Zunächst ist in Abbildung 32 das Zusammenspiel von Passagieren zu Beschäftigten für die Jahre 1994, 1997, 2000, 2003, 2006, 2009 und 2012 zu sehen. Anmerkung: Die Arbeitsstättenerhebung (vgl. FMG, 2012) zeigt ein sinkendes Verhältnis von Beschäftigten je Passagier. Dies wiederspricht nicht der hier getroffen Aussage, da hier die Entwicklung beider Variablen und nicht deren Verhältnis zueinander eingezeichnet ist. Bei einer Verbindung der blauen Datenkreise mittels einer Geraden mit dem Ursprung 92 Mögliche Entwicklungspfade Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 werden diese Geraden immer flacher. Dies zeigt das sinkende Verhältnis von Beschäftigten zu Passagieren. Abbildung 32 Zusammenhang zwischen Passagieren und Beschäftigten am Flughafen Darstellung: eigene Darstellung Economica Datengrundlage: Flughafen München Es gilt ein linearer Zusammenhang, wobei bei null Passagieren noch immer etwa 5.000 Beschäftigte notwendig wären, um den Flughafengrundbetrieb zu gewährleisten. Der Sprung über die blaue Linie im Jahr 2003 lässt sich als das für das Terminal 2 notwendige zusätzliche Personal interpretieren, was jedoch nichts am prinzipiellen linearen Zusammenhang ändert. Dieselbe Grafik für den Materialaufwand ist in Abbildung 33 dargestellt. Hier zeigt sich ebenso ein linearer Zusammenhang. Dieser gilt jedoch erst mit der Eröffnung von Terminal 2 im Jahr 2003. Davor war der Materialaufwand bei etwa vergleichbaren Passagierzahlen deutlich niedriger. Aus einem sachlogischen Zusammenhang muss der Materialaufwand selbst ohne Passagiere bei einem positiven Wert liegen. Strikt aus den Daten extrapoliert ergäbe sich allerdings bei etwa 10 Millionen Passagieren ein Materialaufwand von null Euro. Daher muss die eigentliche Verbindungslinie von Terminal 1 wesentlich flacher verlaufen und zumindest durch den Nullpunkt oder noch höher verlaufen (graue, flache Linie). Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Mögliche Entwicklungspfade 93 Abbildung 33 Zusammenhang zwischen Passagieren und Materialaufwand Darstellung: eigene Darstellung Economica Datengrundlage: Flughafen München Auf diese Weise lassen sich alle für die Szenarien notwendigen Berechnungen durchführen. Mit den gewonnenen Informationen kann der Impact des Flughafens für beliebige Passagierzahlen im Bereich von 25 Millionen bis 50 Millionen berechnet werden. Für Werte darunter muss auf die entsprechenden Verhältnisse für das Terminal 1 zurückgegriffen werden. Dies ist aber aufgrund der fehlenden Daten nicht möglich, wird aber bei einem Szenario mit Annahmen versucht. Die hier berechneten Auswirkungen stellen demnach Maximalwerte dar. Dieser Fall tritt in dieser Studie aber nur einmal ein und findet dort nochmals separat Erwähnung. Bei Passagierzahlen über 50 Millionen werden die sprungfixen Kosten der dritten Startbahn schlagend. Das heißt, dass prinzipiell die Kosten von Terminal 2 weiter nach oben fortgeschrieben werden können, dazu aber noch zusätzliche Kosten in derzeit unbekannter Höhe anfallen. Für eine Abschätzung dieser Zahlen müssen sehr detaillierte Planungen und Wirtschaftlichkeitsrechnungen für die dritte Startbahn bekannt sein. Die Werte bei mehr als 50 Millionen Passagieren sind daher als Untergrenze zu verstehen. Auch darauf wird im Text extra verwiesen. 94 Mögliche Entwicklungspfade 6.2.1 Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Szenario 1: Verlust der Hub-Funktion Der Verlust der Hub-Funktion ist ein nicht einfach zu handhabendes Szenario. Da der Verlust dieser Funktion für den Münchner Flughafen nur näherungsweise bestimmt werden kann (siehe Kapitel 3), sollen hier zur besseren Einordnung zwei Szenarien berechnet werden: 1. Als ein Extremfall stelle man sich den Flughafen München als gleichstarken Anbieter vor, wie es derzeit etwa die Flughäfen Nürnberg, Salzburg, Stuttgart oder Leipzig sind. Durch diesen Umstand entscheidet alleine die Reisezeit, welcher dieser Flughäfen (einschließlich München) von den Reisenden gewählt wird, da sich der Flughafen München ohne Hub-Funktion nicht mehr vom Rest unterscheidet. Berechnet man nun anhand des Gravitationsmodells die Anzahl der Passagiere aus dem Quellaufkommen, so zeigt sich, dass dieses um 46 Prozent reduziert wird. Nimmt man weiter an, dass sich die restlichen einsteigenden Passagiere (angebotsorientierte Kunden, die aufgrund der Vielzahl an Flugverbindungen den Flughafen München nutzen) identisch verhalten und aufgrund der Definition eines Hubs noch mit dem Verlust der Ausland-Ausland-Umsteiger zu rechnen ist, ergibt sich in der Summe ein Minus von 11,1 Millionen einsteigenden Passagieren. Unter der Annahme, dass sich die aussteigenden Passagiere analog verhalten, verliert der Flughafen München in diesem Fall 22,1 Millionen Passagiere, was knapp über 57 Prozent des Wertes vom Jahr 2013 entspricht. Wie man in Tabelle 18 ablesen kann, würde dieses Worst-Case-Szenario einen Verlust von beinahe einer Milliarde Euro an Bruttowertschöpfung in Bayern (gut 1,1 Milliarden Euro in ganz Deutschland) und von etwa 17.400 Beschäftigten (22.600 für Deutschland) bedeuten. Tabelle 18 Abschätzung des ökonomischen Impacts des Verlustes der Hub-Funktion am Flughafen München Bruttowertschöpfung in Millionen Euro direkt Deutschland -934,7 Bayern -934,7 total Veränderung von total -1.139,7 -22,8 % -976,9 -22,0 % Beschäftigung in Köpfen direkt total -16.011 -22.557 Veränderung von total -29,2 % -16.011 -17.358 -25,8 % Darstellung: eigene Berechnung Economica Datengrundlage: Flughafen München; OpenStreetMap; diverse Daten aus IW Regionaldatenbank (2014) Im Ergebnis zeigt sich der Verlust von über einem Viertel der generierten Wertschöpfung des Flughafens in Bayern und ein Abbau von rund 22 Prozent der Beschäftigung, die vom Flughafen München unmittelbar und mittelbar abhängen. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Mögliche Entwicklungspfade 95 Bei der wohl realistischsten Annahme, dass der Flughafen München bei Verlust seiner Hub-Funktion aufgrund der ökonomischen Stärke der Landeshauptstadt lediglich auf die Bedeutung eines Flughafens Düsseldorf oder Berlin-Tegels schrumpfen würde, läge der Gesamteffekt des Verlustes unter den genannten gut 17.000 Arbeitsplätzen im Freistaat (siehe auch folgendes Szenario). 2. In Kapitel 3 (siehe Abbildung 2) wurde gezeigt, dass vor der Eröffnung des Terminals 2, die als wesentlicher Impuls für die Etablierung der Hub-Funktion identifiziert werden konnte, die Relation zwischen vom Flughafen München attrahierten Umsteigepassagieren und Flugzielen deutlich schwächer ausgeprägt war als nach der Eröffnung. Folgende Annahmen werden vor diesem Hintergrund für zweite Szenario getroffen: Die Anzahl der interkontinentalen Flüge mit mehr als 10.000 Passagieren wird von derzeit 40 auf 30 reduziert, wenn die Hub-Funktion des Flughafens verloren geht. Zusätzlich soll bei Erreichen von 35 interkontinentalen Flügen der Flughafen um Terminal 2 rückgebaut werden, wodurch die Kapazitäten grundsätzlich wieder auf die Jahre vor 2003 kalibriert werden. Da das Terminal 2 im Jahr 2003 eröffnet wurde, als am Flughafen München etwa 35 interkontinentale Flüge mit mehr als 10.000 Passagieren starteten, handelt es sich bei diesem Szenario um eine Art symmetrischen Rückbau. Hierbei wird vereinfachend angenommen, dass sich alle Prozesse perfekt revidieren lassen. Speziell in Hinsicht auf die Erwartungshaltung der am Flughafen ansässigen Geschäftsinhaber ist diese Annahme vermutlich nicht zutreffend, da bei den etwa 24 Mio. Passagieren im Jahr 2003 starke Zuwächse erwartet wurden, während die Inhaber im berechnete Szenario eigentlich mit einer weiteren Abnahme rechnen sollten. Im Szenario spielen derartige Erwartungen keinerlei Rolle. Nur der aktuelle wirtschaftliche Status Quo fließt in die Überlegungen mit ein. Folgende Schlüsse ergeben sich daraus: Zunächst würde, wie aus Abbildung 2 bekannt, die Anzahl der umsteigenden Passagiere zunächst mit 1,64 Mio. pro Flug abnehmen. Der Verlust der ersten fünf Interkontinentalziele würde deshalb mit einem Umsteigerrückgang in Höhe von 8,2 Mio. Passagieren einhergehen. Der Verlust weiterer fünf Interkontinentalziele bedeutete einen Rückgang der Umsteigerpassagiere von 420.000 pro Flug und damit in Summe 2,1 Mio. Umsteiger. Insgesamt läge damit der Verlust bei 10,3 Mio. Umsteigern. Zusätzlich müsste mit einem Verlust von rund 4,7 Mio. originären Passagieren gerechnet werden. Letztlich ist also mit einem Gesamtverlust von rund 15 Mio. Passagieren auszugehen, sofern nur noch 30 Interkontinentalziele angeflogen werden. 96 Mögliche Entwicklungspfade Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Dies wiederum hat Implikationen auf die Kosten, Wertschöpfung und Überschüsse für den Flughafen. Leider stehen hierfür, wie weiter oben bereits erwähnt, nur wenige Datenpunkte zur Verfügung, weswegen diese Abschätzungen mit deutlichen Unsicherheiten in beide Richtungen versehen sind. Optimistisch stimmt allerdings, dass für die Beschäftigung Daten zurück bis 1987 vorliegen, die erlauben, den nicht unbeträchtlichen Teil der Personalkosten gut einzuschätzen. In diesem Szenario fällt der Verlust geringer aus als im ersten Szenario. Dies ist plausibel, weil es eher unwahrscheinlich ist, dass das erste Szenario in seinem Extrem auftritt und die Bedeutung des Münchner Flughafens derart sinkt. Der Verlust von knapp 12.000 Arbeitsplätzen im Freistaat beziehungsweise 15.000 in ganz Deutschland geht konform mit der Überlegung, dass die Bedeutung der Münchner Flughafens eher in Richtung Düsseldorf, Berlin-Tegel oder Hamburg abnähme. Tabelle 19 Abschätzung der Größenordnung des ökonomischen Impacts des Verlustes der Hub-Funktion am Flughafen München bei Rückbau desselben Bruttowertschöpfung in Millionen Euro direkt total Deutschland -582,9 Veränderung von total -710,3 -14,2 % Bayern -582,9 -608,8 -13,7 % Beschäftigung in Köpfen direkt total -10.889 Veränderung von total -14.957 -19,4 % -10.889 -11.717 -17,4 % Darstellung: eigene Berechnung Economica Datengrundlage: Flughafen München; OpenStreetMap; diverse Daten aus IW Regionaldatenbank (2014) 6.2.2 Szenario 2: Ausbau des Flughafens Ein Bau der dritten Startbahn führt zu einem von Intraplan vorhergesagten Anstieg der Passagierzahlen im Jahr 2025 von 58,2 Millionen Passagieren, wovon 27,5 Millionen (ein Anteil von 47 Prozent) Umsteiger sein werden. Unter Annahme der Zusammenhänge in Abbildung 2 auf Seite 13 werden für diese Passagierzahl etwa zehn zusätzliche hochrangige Interkontinentalziele (diese zählten im Jahr 2013 im Durchschnitt 140.000 Passagiere) notwendig sein. Aufgrund der bisher angestellten Überlegungen zu den Auswirkungen zusätzlicher Passagiere und der in 5.1 vorgestellten Impactanalyse, lassen sich nun die Kennzahlen in Tabelle für den Infrastrukturausbau errechnen. Hierin sind die Werte des zusätzlichen laufenden Betriebs gegenüber dem Jahr 2013 enthalten (d. h. der Effekt der zusätzlichen 58,2 Millionen abzüglich 38,7 Millionen = 19,5 Millionen Passagiere). Da hierfür die dritte Startbahn notwendig sein wird, die entsprechenden Betriebskosten aber unbekannt sind, verstehen sich die Zahlen als Minimalansatz – ebenso ist der Bau der dritten Startbahn hier nicht inkludiert. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 97 Mögliche Entwicklungspfade Eine dritte Startbahn würde demnach die gesamte Wertschöpfung, die unmittelbar und mittelbar durch den Flughafen München entsteht um rund 20 Prozent bzw. 862 Millionen Euro erhöhen. Die induzierte Beschäftigung stiege dadurch bayernweit um rund 23 Prozent oder gut 15.000, wobei diese Schätzungen am untersten Rand liegen. Tabelle 20 Ökonomischer Impact des zusätzlichen laufenden Betriebs nach dem Ausbau um eine dritte Startbahn, Minimalansatz Bruttowertschöpfung in Millionen Euro direkt Deutschland 824,8 Bayern 824,8 total Veränderung von total 1.005,7 20,1 % 862,0 19,4 % Beschäftigung in Köpfen direkt total 14.128 19.903 Veränderung von total 25,7 % 14.128 15.316 22,8 % Darstellung: eigene Berechnung Economica Datengrundlage: Flughafen München, OpenStreetMap, diverse Daten aus IW Regionaldatenbank (2014) 6.2.3 Szenario 3: Verbesserung der Erreichbarkeit Als letztes Szenario wird ein verbesserter landseitiger Anschluss des Flughafens München analysiert. Ein derartiger Infrastrukturausbau würde sich sicherlich positiv auf das Quellaufkommen auswirken. Eine ebensolche Wirkung auf die Besucher (jene Passagiere, die beispielsweise aus den USA kommen, in München landen und sich dann wieder auf den Rückflug begeben) ist unsicher, aber möglich. Im Folgenden soll daher nur der Effekt auf das Quellaufkommen untersucht werden. Der Modal Split zwischen den letzten Anreiseverkehrsmitteln liegt bei 32 Prozent mit Schienenverkehr und 68 Prozent mit Autos aller Art inklusive Busse. Die Analysen wurden zwar prinzipiell unter Verwendung von Autoreisezeiten gerechnet, ein analoges Umlegen der Ergebnisse auf den Schienenverkehr ist jedoch durchaus plausibel. Um einen Vergleich über die verschiedenen Auswirkungen zu ermöglichen, wurden drei unterschiedliche Situationen angenommen: 1. Um 10 Minuten verbesserte Anbindung nach München: Da über dieses letzte Autobahnstück (bzw. diese Schienentrasse) nicht nur Münchner, sondern auch sämtliche Bewohner von Gemeinden rund um den Chiemsee, aus ganz Südbayern und sogar aus einem Stück nördlich von Augsburg (etwa Dillingen) fahren müssen, ergibt sich hier ein enormes zusätzliches Passagierpotenzial. 2. Um 10 Minuten verbesserte Anbindung entlang der nördlich verlaufenden Verkehrsachsen in Richtung Nürnberg: Hierzu zählen sämtliche Gemeinden in der Verlängerung des gedachten Dreiecks Donauwörth – Flughafen München – Regensburg. Hierdurch wird auch der gesamte Norden Bayerns abgedeckt. 98 Mögliche Entwicklungspfade Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 3. Um 10 Minuten verbesserte Anbindung entlang der nordöstlich verlaufenden Verkehrsachsen in Richtung Dingolfing und Deggendorf: Dieser eher kleine Abschnitt deckt vom Flughafen München aus gesehen den Nordosten ab, auch mit Blick in Richtung Tschechische Republik. 4. Um 45 bzw. 60 Minuten verbesserte Anbindung entlang der südöstlich verlaufenden Verkehrsachsen in Richtung Salzburg. Dabei wurde für die Regionen südöstlich von Mühldorf eine Fahrzeitreduktion von 45 Minuten und für solche südöstlich von Freilassing (inkl. des gesamten Bundeslandes Salzburg sowie dem angrenzenden Teil von Oberösterreich) eine Reduktion von 60 Minuten angenommen. Es wird explizit nur die grundsätzliche Erhöhung der Leistungsfähigkeit der genannten Verkehrsachsen modelliert, ohne dass definierte Infrastrukturprojekte hinterlegt werden. Das Modell arbeitet wie folgt: Zunächst wird das Passagieraufkommen jeder Gemeinde berechnet. Danach wird geprüft, ob eine Gemeinde innerhalb der betrachteten Region liegt und sich die Reisezeit entsprechend verkürzt. Mit diesen regional verkürzten Zeiten wird nun das neue Passagieraufkommen berechnet und mit dem zuvor ermittelten verglichen. Dieses Verfahren wird sowohl für Privat- als auch für Geschäftspassagiere durchgeführt, wobei hierbei im Quellaufkommen ein Verhältnis von 65 Prozent zu 35 Prozent zu beobachten ist. Tabelle 21 Ergebnisse der besseren Erreichbarkeit in Prozent Geschäftspassagiere Privatpassagiere München Norden Nordosten Südosten 9,7* 3,4 1,2 5,9 17,5* 5,6 2,6 18,9 Darstellung: eigene Berechnung Economica Datengrundlage: Flughafen München, OpenStreetMap, diverse Daten aus IW Regionaldatenbank (2014) * Distanzeffekt auf Passagiere aus der Stadt München vermutlich zu hoch, siehe Text. Die Privatpassagiere zeigen immer die stärkere Reaktion, weil die Reaktion auf lange Reisezeiten höher ausfällt. Ebenso nicht unerwartet ist die Reihung der drei Infrastrukturmaßnahmen mit dem Anschluss an München als erfolgsträchtigstes Vorhaben, gefolgt von der Verbesserung der Verkehrsachsen nach Norden und Nordosten. Es ist notwendig, einige Anmerkungen zur Maßnahme einer verbesserten Anbindung Münchens zu machen. Die außergewöhnlich hohen Zahlen sind vor allem der Stadt München selbst geschuldet, die drei Eigenschaften vereint: Die Landeshauptstadt hat viele Einwohner, ein relativ großer Anteil davon ist einkommensstark und sie liegt in direkter Nähe zum Flughafen. Durch die räumliche Nähe wirkt sich die Verringerung der Zeit um 10 Minuten anteilsmäßig stark aus, wodurch es zu den hohen Werten in Tabelle kommt. Dazu muss allerdings erläutert werden, dass es, wie bereits weiter Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 99 Mögliche Entwicklungspfade vorne beschrieben (siehe Kapitel 1), eine Minimalreisezeit von etwa 20 bis 30 Minuten gibt, unter welcher eine weitere Verkürzung keinerlei Auswirkung mehr zeigt. Dies ist sozusagen die „Fühlbarkeitsgrenze“ für die Passagiere, die aus den vom Flughafen München zur Verfügung gestellten empirischen Daten ermittelt werden kann. Die Stadt München liegt am oberen Rand dieser Grenze, weshalb die dort wohnenden potenziellen Passagiere vermutlich nicht den vollen Effekt der Reisezeitverkürzung wahrnehmen. Man muss daher annehmen, dass die in der Tabelle ausgewiesenen Zahlen für München vom Modell eher zu hoch geschätzt werden. Eine Umrechnung in einsteigende Passagiere erfolgt in Tabelle unter der Annahme, dass nur Personen aus dem Quellaufkommen (daher keine Besucher) betrachtet werden. Von diesen Passagieren werden allerdings alle herangezogen. Möchte man nur die Personen mit Auto als Letztverkehrsmittel analysieren, muss man die Werte um 32 Prozent reduzieren. Gleichwohl würde die bessere Erreichbarkeit mit dem Auto den Anteil der Autofahrer erhöhen. Tabelle 22 Ergebnisse der besseren Erreichbarkeit in Personen aus dem einsteigenden Quellaufkommen München Norden Nordosten Südosten** Geschäftspassagiere 242.000* 86.000 30.000 36.000 Privatpassagiere 804.000* 255.000 120.000 152.000 Darstellung: eigene Berechnung Economica Datengrundlage: Flughafen München, OpenStreetMap, diverse Daten aus IW Regionaldatenbank (2014) * Distanzeffekt auf Passagiere aus der Stadt München vermutlich zu hoch, siehe Text. ** inkl. Besucher, daher Originäreinsteiger Für die Berechnung des ökonomischen Impacts muss man diese Zahlen um die Aussteiger verdoppeln, um die Zusammenhänge zwischen wirtschaftlicher Aktivität und Passagieren anwenden zu können. Tabelle 23 Ökonomischer Impact des zusätzlichen laufenden Betriebs nach der besseren Anbindung Münchens; Maximaleffekt bei voller Distanzwirkung Bruttowertschöpfung in Millionen Euro direkt Deutschland 88,5 Bayern 88,5 total Veränderung von total 107,9 2,2 % 92,8 2,1 % Beschäftigung in Köpfen direkt total 1.516 Veränderung von total 2.135 2,8 % 1.516 1.643 2,4 % Darstellung: eigene Berechnung Economica Datengrundlage: Flughafen München; OpenStreetMap; diverse Daten aus IW Regionaldatenbank (2014) 100 Mögliche Entwicklungspfade Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Tabelle 24 Ökonomischer Impact des zusätzlichen laufenden Betriebs nach der besseren Anbindung des Korridors entlang der nördlichen Verkehrsachse Deutschland Bayern Bruttowertschöpfung in Millionen Euro direkt total Veränderung von total 27,3 33,3 0,7 % 27,3 28,6 0,6 % Beschäftigung in Köpfen direkt total 468 659 Veränderung von total 0,9 % 468 507 0,8 % Darstellung: eigene Berechnung Economica Datengrundlage: Flughafen München; OpenStreetMap; diverse Daten aus IW Regionaldatenbank (2014) Tabelle 25 Ökonomischer Impact des zusätzlichen laufenden Betriebs nach der besseren Anbindung des Korridors entlang der nordöstlichen Verkehrsachse Deutschland Bayern Bruttowertschöpfung in Millionen Euro direkt total Veränderung von total 12,7 15,5 0,3 % 12,7 13,3 0,3 % Beschäftigung in Köpfen direkt total 217 306 Veränderung von total 0,4 % 217 236 0,4 % Darstellung: eigene Berechnung Economica Datengrundlage: Flughafen München; OpenStreetMap; diverse Daten aus IW Regionaldatenbank (2014) Tabelle 26 Ökonomischer Impact des zusätzlichen laufenden Betriebs nach der besseren Anbindung des Korridors entlang der südöstlichen Verkehrsachse Deutschland Bayern Bruttowertschöpfung in Millionen Euro direkt total Veränderung von total 16,0 19,4 0,4 % 16,0 16,7 0,4 % Beschäftigung in Köpfen direkt total 273 385 Veränderung von total 0,5 % 273 296 0,4 % Darstellung: eigene Berechnung Economica Datengrundlage: Flughafen München; OpenStreetMap; diverse Daten aus IW Regionaldatenbank (2014) Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Mögliche Entwicklungspfade 101 Bei einer Realisierung aller vier vorgestellten Verbesserungen würde sich die vom Flughafen induzierte Bruttowertschöpfung in Bayern um rund 154 Millionen Euro und die induzierte Beschäftigung um knapp 2.700 erhöhen. Der Hauptanteil von knapp zwei Drittel lässt sich dabei auf die bessere Anbindung der Landeshauptstadt zurückführen. Die Berechnungsgrundlagen beziehen sich auf das Jahr 2013. Da für das Jahr 2025 – bei einem Bau der dritten Startbahn – mit einem Aufkommen von 58,2 Millionen Passagieren zu rechnen ist (bei einem gestiegenen Umsteigeranteil von 47 Prozent), fallen die Effekte dann entsprechend höher aus. Berücksichtigt werden müssen ebenfalls – wie bei den beiden anderen Szenarien – die direkten Beschäftigungseffekte, die aus der Steigerung der Passagierzahlen resultieren. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 7 Methodische Anhänge 103 Methodische Anhänge Vertiefende Erläuterungen Das nachfolgende Kapitel enthält weitergehende Vertiefungen zu den angewandten Methoden und Modellen. 7.1 Gravitationsmodell Beim hier verwendeten Modell handelt es sich um eine wesentliche Erweiterung des ursprünglichen Gravitationsmodellansatzes um die Fähigkeit, nicht nur Handel, sondern verschiedene ökonomischen Aktivitäten durch die Distanz bzw. die Reisezeit erklären zu können (vgl. bspw. Savage / Deutsch, 1960; Pöyhönen, 1963; Linnemann, 1966; Bussiere et al., 2005; Grohall / Yegorov, 2010). Diese Flexibilität ist möglich, da die Reisezeit nicht nur den Handel beeinflusst, sondern unter anderem durch Such-, Transport- und Reisekosten auch auf andere soziale Phänomene einwirkt. Im vorliegenden Fall wird das Verhalten potenzieller Passagiere dahingehend untersucht, wie die Anreisezeit zu einem Flughafen die Wahl des Flughafens beeinflusst. Grundsätzlich könnte man annehmen, dass die Durchführung vor allem von Geschäfts-, aber auch von Privatreisen nur bedingt vom Vorhandensein eines geeigneten Flughafens abhängt. Die Entscheidung, eine spezielle Reise zu unternehmen, könnte oder sollte eigentlich über alle Einwohner Bayerns gleich verteilt sein. Um diese Annahme zu untersuchen, unterstellt das Gravitationsmodell die exakt gegenteilige Hypothese, nämlich einen Zusammenhang (üblicherweise negativ) zwischen der Distanz Di zwischen Heimatort i und dem Standort des Flughafens und der Häufigkeit einer Flugreise. Anders ausgedrückt: Der Anteil der Passagiere aus den einzelnen Wohnorten sollte mit steigender Distanz dieser Wohnort zum Flughafen sinken. Dieses Verhältnis von Passagieren Pi zu Einwohnern Ei eines Wohnortes i sollte daher zunächst eine Konstante q als Ausgangswert haben (beispielsweise ein Prozent aller Einwohner), welcher durch die Distanz verändert werden kann. Es wird dabei eine exponentielle Einflussnahme angenommen, welche mit Di beschrieben werden kann: Je größer das im Zug der Analyse zu berechnende , desto rascher nimmt der Anteil der Passagiere mit steigender Distanz ab. Gilt = -1, wird bei einer Verdoppelung der Distanz der Anteil halbiert, bei = -2 sinkt der Anteil auf ein Viertel des Ausgangswertes. Die Variable findet als Konstante mit dem Wert -2 Verwendung in Newtons Gravitationsformel, in der die Anziehungskraft mit dem Quadrat der Distanz sinkt. Daher leitet sich der Name des Modells ab. Weitere, vor allem soziodemografische und wirtschaftliche Einflussgrößen Si,j können ebenfalls mitberücksichtigt werden, wobei in dieser Studie erstmals unter anderem auch spezielle Variablen für die Distanz zu anderen Flughäfen eingebaut wurden. Auf diese Weise wird nicht nur für den Flughafen München ein Gravitationsmodell geschätzt, sondern parallel auch für die Konkurrenzflughäfen. 104 Methodische Anhänge Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 In einer weiteren Neuerung gegenüber den bisherigen Modellen wird nicht der tatsächliche Anteil der Passagiere aus jedem Wohnort geschätzt (man hätte dann P i / Ei auf der linken Seite der Gleichung), sondern nur die Anzahl der Passagiere mit der Anzahl der Einwohner Ei auf der rechten Seite als erklärende Variable. Diese an sich einfache Umformung erlaubt die Schätzung nicht linearer Zusammenhänge zwischen Wohnortgröße und Passagierzahlen. Nimmt man zwei Orte A und B an, wobei A doppelt so viele Einwohner hat wie B, die sonst aber identisch sind, wäre in der originalen Anteilsschätzung A auch die doppelte Anzahl an Passagieren zugeordnet worden. In der neuen Variante ist es möglich, dass A mehr (oder auch weniger) als doppelt so viele Passagiere wie B erhält. Diese zusätzliche Freiheit kann man als „Auswirkung der Urbanität“ interpretieren, das heißt, man kann aus städtischen Regionen mehr (oder weniger) Passagiere pro Einwohner erwarten als aus ländlichen Regionen. Im Zuge der Untersuchung zeigt sich, dass dieser Effekt tatsächlich vorhanden ist und eine substanzielle Größe annimmt. Aufgrund der multiplikativen Beziehungen lautet die zentrale Gleichung zur Beschreibung der Daten daher (zur vereinfachten Darstellung wurden die Koeffizienten nicht dargestellt – sie kommen als Exponenten und in der zweiten Formel als multiplikative Faktoren zum Einsatz): Diese Formel ist in dieser Form wenig anschaulich und auch nicht einfach schätzbar. Daher werden beide Seiten logarithmiert, was zu führt. Von der Struktur her handelt es sicher hierbei um eine log-lineare Regressionsgleichung, die die logarithmierten Passagierzahlen (P iu für jeden Heimatort i und den Reisegrund u (geschäftlich oder privat)) durch die Konstante log(q), die logarithmierten Einwohnerzahlen Ei, die logarithmierten Distanzen zu allen Flughäfen f inklusive München Dif und den weiteren erklärenden Variablen schätzt. Die zu schätzenden 1+F+NKoeffizienten sind aus Gründen der Übersichtlichkeit wiederum nicht eingetragen und wären hier multiplikative Faktoren vor jedem Wert auf der rechten Seite der Gleichung. Der Koeffizient des Wertes „1“ entspricht dem Logarithmus von q und damit der oben erwähnten grundsätzlichen Anzahl von Passagieren eines Wohnorts. Für die vorliegende Studie sind die anderen Koeffizienten aber von weit größerem Interesse. Sie zeigen die Präferenz von Personen zu kurzen Distanzen: Die Koeffizienten der einzelnen Dif – und damit der Attraktivität der einzelnen Flughäfen – weist bei internationalen Handelsmodellen (wobei Außenhandelsströme modelliert werden) meist Werte um -1,5 auf, bei Universitäten und Fachhochschulen konnten Werte zwischen -0,5 und -1,4 gemessen werden. Bei der Modellierung der Verteilung von Heimatorten des Personals von Krankenhäusern zeigten sich Werte ebenfalls um die -1,5 für Ärzte, um -2,0 für sonstiges medizinisches Personal und um rund -4,0 für das sonstige Personal. Ärzte Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Methodische Anhänge 105 wohnen daher weit gestreut um ihren Arbeitsort, während das sonstige Personal fast nur aus dem Standort des Krankenhauses und den Nachbargemeinden kommt. Die anderen erklärenden Variablen sind, wie erwähnt, Erklärende für soziodemografische und wirtschaftliche Indikatoren, wie das verfügbare Haushaltseinkommen, der steuerbare Umsatz, die Anzahl der Beschäftigten im Wohnort und die Exportquote der regionalen Wirtschaft. Da es sich hier um ein doppelt logarithmiertes Modell handelt, müssen alle Koeffizienten als Elastizitäten interpretiert werden. So zeigt beispielsweise die Kaufkraft einen Koeffizienten von 3,13, was bedeutet, dass bei einer Steigerung der Kaufkraft um 1 Prozent die Anzahl der Passagiere um 3,13 Prozent steigt. Ein Wert rund um 0,0 hieße hingegen, dass diese erklärende Variable keinen Einfluss auf die Passagierzahl hat. Ein negativer Wert hingegen, etwa -0,64 bei der Distanz zum Flughafen München, heißt, dass bei einer Steigerung der Distanz zum Flughafen um 1 Prozent die Anzahl der Passagier um 0,64 Prozent sinkt. Bei diesem Modelltyp ist, wie bei den meisten anderen statistischen Verfahren, die sogenannte Ceteris-paribus-Kritik zu bedenken. Die Koeffizientenanalyse betrachtet den Fall, sodass man nur die eine betrachtete Erklärende verändert (etwa nur die Distanz oder nur das Haushaltseinkommen) unter sonst gleichen Bedingungen (lat.: ceteris paribus). Diese Sichtweise ist für den hier verwendeten analytischen Ansatz extrem wertvoll und sogar notwendig, da er eine Aufteilung des beobachtbaren Gesamteffekts auf einzelne Erklärende erlaubt. In Realität hängen aber zum Beispiel die Anzahl der Einwohner der Gemeinden und das Haushaltseinkommen bis zu einem gewissen Grad voneinander ab. Man muss daher im Gedächtnis behalten, dass bei einer Veränderung einer erklärenden Variablen oft andere erklärende Variable mit verändert werden. Die Berechnung der Koeffizienten wurde nicht, wie meist üblich, mit der Methode der Kleinsten Quadrate (engl.: Ordinary Least Squares, OLS) vollzogen. Da in den Daten von Gemeinden oft keine Passagiere gelistet werden (etwa im Norden Bayerns) und somit das Logarithmieren hier nicht möglich gewesen wäre, wurde ein sehr kleiner Wert zu allen Passagierwerten addiert. Dieser Wert verändert nur die Konstante q, wirkt daher nicht auf die hier gezeigten Analysen. Dadurch entsteht allerdings ein „unterer Schwellwert“ oder „Knick“ in den Daten, da alle Orte ohne Passagiere plötzlich diesen kleinen Wert als Passagierzahl ausweisen. Würde man hier OLS anwenden, käme es zu einer deutlichen Verzerrung der Koeffizienten. Ein Weglassen dieser Gemeinden ohne Passagiere würde zwar das Logarithmusproblem entschärfen, aber ebenso zu einer Verzerrung führen. Um Probleme dieser Art bearbeiten zu können, entwickelte James Tobin den sogenannten Tobit-Schätzer, der geeignet ist, bei solchen, im statistischen Sinn zensierten Daten (wenn die Daten gewisse Werte nicht über- oder unterschreiten können) eine unverzerrte Berechnung der Koeffizienten zu gewährleisten. Eine Erweiterung des ursprünglichen Tobit-Schätzers auf eine frei wählbare Grenze (vgl. Carson / Sun, 2007), die gleichzeitige Verwendung von Ober- und Untergrenzen (vgl. Rosett, Nelson, 1975) 106 Methodische Anhänge Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 oder gar unbekannte Grenzen sind mittlerweile bekannt (vgl. Zuehlke, 2003). In der vorliegenden Studie wurde das Verfahren der frei wählbaren Untergrenze herangezogen. 7.2 Ausreißer bei der Passagierbefragung Bei der Berechnung der Anteile in Abbildung 3 auf Seite 18 treten kleine Gemeinden mit wenigen Einwohnern mit sehr hohen Anteilen hervor. So kann man etwa bei den Privatpassagieren Königsberg im Norden nahe der Grenze gut erkennen, welches über gerade 3.600 Einwohner verfügt. Bei den Geschäftskunden sticht ein Stück weiter westlich davon Nüdlingen mit knapp über 4.000 Einwohnern hervor. Beides kann durch Ausreißer erklärt werden, die bei Stichproben fast immer vorkommen, seien diese auch noch so groß. Eine einzige Reisegruppe kann bei derart kleinen Gemeinden den Anteil der Passagiere deutlich über den Erwartungswert heben. Dieser Effekt ist nicht nur bei einzelnen Gemeinden erkennbar, sondern wirkt über das gesamte Gebiet. Durch das Verteilen der Stichprobendaten auf die über 2.000 Gemeinden Bayerns bleibt für einzelne Gemeinden nur noch eine sehr geringe Anzahl von Passagieren, im Norden sogar oft gar keine mehr. Die entsprechende „verrauschende“ Wirkung der zufälligen Abweichungen ist daher auf den beiden Bildern gut erkennbar. 7.3 Der Fall Prag Ein interessanter Fall ist Prag (Zeit PRG), der für die Geschäftskunden signifikant ist – allerdings mit dem falschen Vorzeichen! Das negative Vorzeichen bedeutet, dass bei sinkender Distanz zu Prag mehr Passagiere in München anzutreffen sind. Glaubte man diesem Ergebnis, würde der Prager Flughafen Passagiere in München erzeugen. Da das sachlogisch nicht sein kann, stellt sich die Frage, wie es zu diesem Ergebnis kommt. Betrachtet man Abbildung 3 genauer, zeigen sich einige dunkle Punkte nahe der Grenze zur Tschechischen Republik. Es ist möglich, dass diese ausreichen, um die Statistik in die Irre zu führen. Überlegt man ferner, dass man 95-prozentige Sicherheit verlangt, um eine erklärende Variable als signifikant einzustufen, heißt das im Umkehrschluss, dass 5 Prozent der insignifikanten erklärenden Variablen fälschlicherweise als signifikant eingestuft werden. Dieses in der Statistik gut bekannte Phänomen wird als Fehler 1. Art oder auch als -Fehler bezeichnet. In Tabelle 1 sind zwölf signifikante Variablen eingetragen. 5 Prozent davon ergeben einen Erwartungswert von 0,6 signifikanten Variablen, die fälschlicherweise diese Einstufung erhielten. Es ist daher durchaus möglich, dass sich rein aufgrund des Rauschens der zu kleinen Stichprobe eine derartige falsche Bewertung eingeschlichen hat. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Einstufung der Reisezeit nach Prag mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch und die erklärende Variable in Wahrheit insignifikant ist. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 7.4 Methodische Anhänge 107 Methodik multiregionale Input-Output-Tabellen Die herkömmliche Statistik vermag die Vielfalt an volkswirtschaftlichen Verflechtungen eines Flughafens nur unzureichend darzustellen, denn diesbezügliche Daten sind nur auf zu hohem Aggregationsniveau vorhanden. Zur Erfassung der monetären Größenordnung und zur Erstellung einer Datenbasis sind daher die Entwicklung eines Satellitensystems „Flughafen München“ (eines sogenannten Flughafensatellitenkontos) – ähnlich dem Tourismus-, Sport- oder Kultur-Satellitenkonto – und dessen Implementierung in die für Bayern und Deutschland entwickelte multiregionale Input-Output-Tabelle die geeigneten Ansätze. 7.4.1 Definition von Satellitensystemen Für bestimmte Fragestellungen gesellschaftlichen und ökonomischen Interesses bedarf es, um die Übersichtlichkeit der Daten für diese Bereiche zu gewährleisten, einer Disaggregierung jener Daten, die in den Ausgangstabellen – etwa der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung – aufgrund des zu hohen Aggregationsgrads für bestimmte Fragstellungen nur schwer zu interpretieren sind. Daher werden ergänzend zur Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung sogenannte Input-Output-Tabellen erstellt. Diese Tabellen stellen die Verflechtung der einzelnen Wirtschaftsbereiche einer Volkswirtschaft sowie deren Beiträge zur Wertschöpfung dar. Die Gliederung erfolgt nicht, wie in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, nach institutionellen Gesichtspunkten (Unternehmen, private und öffentliche Haushalte), sondern nach funktionellen Gesichtspunkten, wodurch die Ströme einzelner Güter und Gütergruppen von der Produktion bis hin zur Verwendung deutlich gemacht werden können. Insbesondere können sämtliche Vorleistungsströme exakt dargestellt werden. Diese detaillierte sektorale Gliederung des Modells ist allerdings mit dem Nachteil verbunden, dass die Abbildung der volkswirtschaftlichen Verflechtungsstrukturen aufgrund des enormen Erhebungs- und Verarbeitungsaufwands nur zeitlich verzögert bereitgestellt werden kann. Die aktuellste Fassung einer Input-Output-Tabelle für Deutschland stammt daher aus dem Jahr 2010. Aber auch diese Input-Output-Tabellen sind für gewisse Fragestellungen nicht detailliert genug. So stellt etwa der Flughafen München keinen eigenen Wirtschaftssektor dar, sondern bewirkt in vielen Subsektoren wirtschaftliche Tätigkeiten. Dazu zählen neben „Verkehr und Lagerei“ beispielsweise auch der „Einzelhandel“ und die „Gastronomie“ sowie „Finanz- und Versicherungsdienstleistungen“ oder die „Öffentliche Verwaltung und Sicherheit“. Diese Tätigkeiten werden jedoch nicht gesondert ausgewiesen. Um diese, nicht in dem benötigten Detailgrad dargestellten Informationen sichtbar machen zu können, wurden tiefer gegliederte Input-Output-Tabellen entwickelt, die einen bestimmten Bereich – in diesem Fall den Flughafen München – genauer darstellen. Da diese Erweiterungen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und der InputOutput-Tabellen die Basistabellen thematisch sozusagen umkreisen, nennt man diese Satellitensysteme. 108 Methodische Anhänge Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Haslinger gibt eine allgemeine Definition eines Satellitensystems: „Ein Satellitensystem ist ein in regelmäßigen Abständen auszuweisendes, konsistentes System monetärer und nicht monetärer Messgrößen, die hinlänglich genau, detailliert und umfassend Vorgänge und Zustände bzw. Zustandsänderungen nachweisen sollen, die in einem Sinnbezug bzw. Zusammenhang zu einem wichtigen gesellschaftlichen Anliegen stehen. Die monetären Messgrößen sollen dabei mit dem Zentralsystem verknüpft sein“ (Haslinger, 1988). Eine weitere Definition stammt von Stahmer, welcher Satellitensysteme als „spezifische Datensysteme sieht, deren Konzepte auf die jeweilige Thematik zugeschnitten sind, die aber mit den traditionellen Gesamtrechnungen eng verknüpft werden, um Analysen im gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang zu ermöglichen“ (Stahmer, 1988). Um die Daten des Satellitensystems mit der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verknüpfen zu können, ist es notwendig, auf gleiche Definitionen, Bewertungsgrundsätze und Abgrenzungen zu achten sowie auf eine der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung entsprechende Sektorengliederung abzustellen. 7.4.2 Anwendungsmöglichkeiten von Satellitensystemen Die Anwendungsmöglichkeiten von Satellitensystemen sind vielfältig: Im Vordergrund steht die Darstellung des Ist-Zustands eines Teilbereiches der Volkswirtschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt. Darüber hinaus können Satellitensysteme – wenn sie regelmäßig mit den aktuellsten Daten fortgeschrieben und aktualisiert werden – aber auch als Prognose-, Planungs- und Kontrollinstrumente eingesetzt werden. Bei der Wahl der Thematik gibt es grundsätzlich keine Einschränkungen. Erstellt wurden Satellitensysteme beispielsweise bereits für die Bereiche: - Gesundheit, Umwelt, Tourismus, Kultur, Sport oder Haushaltsaktivitäten. Denkbar und möglich sind Satellitensysteme natürlich aber auch für kleinere Teilbereiche der Wirtschaft, wie beispielsweise den Münchner Flughafen. Auch „exotische“ Themen wie Ehrenamt oder Verkehrsunfälle könnten in Form eines Satellitensystems aufbereitet werden. Für Satellitenkonten (Satellitensysteme) gilt: – Satellitenkonten bleiben mit der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verknüpft. Bestimmte Definitionen, Abgrenzungen, Bewertungsgrundsätze u. ä. werden aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung übernommen. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Methodische Anhänge 109 – Bei der Erstellung von Satellitenkonten werden auch Informationen abseits der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung berücksichtigt. Auch nicht-monetäre, fiktive oder alternativ bewertete Informationen sowie Daten aus Primärdatenerhebungen können innerhalb eines Satellitensystems analysiert werden, jedoch müssen diese Abweichungen bzw. Erweiterungen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als solche gekennzeichnet und dokumentiert werden. Satellitenkonten stellen somit notwendige Erweiterungen der Einsatzfähigkeit der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung dar. Das geplante „Satellitenkonto Flughafen München“ hat zum Ziel, die durch den Flughafen München direkt ausgelösten Effekte, welche in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung enthalten sind, aber nicht in der notwendigen und gewünschten Detaillierung wiedergegeben werden, in einer konsistenten Form gemäß den Richtlinien der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auszuweisen. Die Ermittlung der durch den Flughafen ausgelösten Effekte auf die Bruttoproduktion, Bruttowertschöpfung und Beschäftigung auf der Aufkommensseite (Angebotsseite) erfolgt somit über die Verwendungsseite (Nachfrageseite). Von den direkten sind die sonstigen wirtschaftlichen Beiträge abzugrenzen, die durch die Aktivitäten am Münchner Flughafen generiert werden. Diese sonstigen Effekte lassen sich in drei Kategorien unterteilen: – Die gesamte Wertschöpfungskette, welche in der Volkswirtschaft durch die Vorleistungsnachfrage der mit dem Flughafen verbundenen Wirtschaftszweige ausgelöst wird (die so genannten indirekten Effekte), – die Bruttoinvestitionen (Veränderungen des Kapitalstocks) der Unternehmen am Flughafen und – die durch den Flughafenbetrieb ausgelösten Einkommenseffekte, die sogenannten induzierten Effekte (im Zusammenhang mit Beschäftigung am Flughafen München erzielte Lohneinkommen, welche zu Konsumausgaben führen). Diese sonstigen Effekte führen bei weiteren Wirtschaftszweigen zu weiterer flughafeninduzierter Bruttoproduktion, Bruttowertschöpfung und Beschäftigung. Daher sind diese bei der Analyse der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung des Münchner Flughafens zu berücksichtigen. Durch die vollständige Kompatibilität mit der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung wird ein Vergleich wichtiger makroökonomischer Aggregate des Flughafens (Bruttowertschöpfung, Beschäftigung, u. ä.) mit makroökonomischen Aggregaten anderer Wirtschaftszweige oder der Gesamtwirtschaft möglich. 110 Methodische Anhänge Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Multiregionale Input-Output-Tabelle „Flughafen München“ 7.4.3 7.4.3.1 Der Aufbau von Input-Output Tabellen Die Arbeit mit Input-Output-Tabellen sowie deren Analyse ist heute eine der am häufigsten angewandten Methoden der Ökonomie. Bei diesen Input-Output-Tabellen handelt es sich grundsätzlich um ein System linearer Gleichungen, das die Verteilung des Bruttoproduktionswerts auf die Ökonomie beschreibt. Eine Input-Output-Tabelle hat Matrizenstruktur. Die Reihen geben die Verteilung eines Outputs auf die Ökonomie an, d. h. wie viel ein Sektor an die anderen Sektoren als Input und an die Endnachfrage liefert. In weiteren zusätzlichen Reihen werden Wertschöpfung nach Wertschöpfungskategorien sowie Importe nach Inputsektoren vermerkt. Die Spalten geben an, wie viel Input zur Erzeugung des Outputs benötigt wird, d. h. wie viel ein Sektor an Input von anderen inländischen Sektoren oder aus dem Ausland als Vorleistung bezieht und wie viel Wertschöpfung im Laufe des Produktionsprozesses generiert wird. Es ist zu beachten, dass es grundsätzlich zwei Varianten der Input-Output-Tabelle gibt. In der ersten Variante, welche als Basis für die Input-OutputTabelle Flughafen München genutzt wird, werden Importe aus den anderen Bundesländern Deutschlands und aus dem Ausland gesondert ausgewiesen, in der zweiten Variante nicht. In zusätzlichen Spalten steht die Endnachfrage. Hier werden die Verkäufe eines jeden Sektors an die verschiedenen Endnachfragesektoren notiert. Die Input-Output-Tabelle kann somit in drei Teiltabellen gegliedert werden, die üblicherweise als Quadranten bezeichnet werden (Quadrant 4 ist nicht besetzt): - - Quadrant 1: Der eigentliche Kern der Input-Output-Tabelle, welcher die Lieferungen und Bezüge der einzelnen Sektoren (d. h. die Vorleistungen) zum Gegenstand hat; Quadrant 2: die Endnachfrage; Quadrant 3: Wertschöpfung und Import. Um den ersten Quadranten der Tabelle, auch Vorleistungstabelle genannt, mit Daten zu füllen, benötigt man Informationen bezüglich der Austauschbeziehungen von Produkten zwischen den verschiedenen Sektoren. Diese Austauschbeziehungen nennt man auch interindustrielle bzw. intersektorale Ströme. Diese werden für eine bestimmte Zeitperiode (üblicherweise ein Jahr) gemessen und in Geldeinheiten angegeben. Wenn n die Zahl der Sektoren beschreibt, ist der erste Quadrant grundsätzlich eine (n x n)Matrix: n Sektoren (in den Spalten) erhalten Vorleistungen aus n Sektoren (in den Zeilen). Die Vorleistungen des Sektors i an Sektor j werden mit z*ij bezeichnet (i,j=1,...,n). Dabei bleibt unberücksichtigt, ob die Vorleistungen aus dem Inland oder aus dem Ausland stammen (zweite Variante der Input-Output-Tabelle). Werden jedoch Importe gesondert ausgewiesen, so wird eine weitere Zeile hinzugefügt, sodass der erste Quadrant zu einer ((n+1) x n)-Matrix wird. Die ersten n Zeilen Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Methodische Anhänge 111 beschreiben nun die Vorleistungen des Sektors i an Sektor j aus dem Inland, diese werden mit zij bezeichnet (i,j=1,...,n). Die Importe des Sektors j werden mit Mj bezeichnet. Es gilt: z *ij z ij , i,j=1,...,n; d. h., die auch importierte Inputs umfassenden Vorleistungen sind natürlich mindestens so hoch wie jene nur aus dem Inland bezogenen Vorleistungen und n n i 1 i 1 * z ij z ij M j , j=1,...,n; d. h., die Summe der von jedem Sektor j bezogenen Vorleistungen (inklusive Importe) ergibt sich durch Addition der inländischen Vorleistungen zu den importierten Vorleistungen. Unter Endnachfrage versteht man jene Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, die nicht als Inputs im Produktionsprozess verwendet werden. Die Endnachfrage unterteilt man in fünf große Bereiche: Konsumausgaben der privaten Haushalte, bezeichnet mit C; private Investitionen, abgekürzt mit V; Lagerveränderungen, H; die Staatsausgaben, definiert als G und die Exporte, bezeichnet mit E. Die ersten vier Komponenten werden häufig unter dem Begriff der „inländischen Endnachfrage“ zusammengefasst, während die Exporte auch als „ausländische Endnachfrage“ bezeichnet werden. Die Endnachfrage selbst wird mit Y abgekürzt und definiert sich wie folgt: Yi Ci Vi H i G i E i . Diese Gleichung gilt für jeden Sektor i, i=1,...,n, sowie für die Importe, wenn diese gesondert ausgewiesen werden. Die Wertschöpfungsmatrix zeigt, zeilenweise gelesen, die Verteilung der Wertschöpfungskomponenten auf die Sektoren und, spaltenweise gelesen, die Zusammensetzung der Wertschöpfung eines bestimmten Sektors. Die einzelnen Komponenten der Wertschöpfungsmatrix sind insbesondere die Zahlungen für Arbeitskraft, bezeichnet mit L, und weitere Komponenten wie Kapitalerträge, Bodenerträge, Gewinne, Abschreibungen, indirekte Steuern, die im Weiteren unter N zusammengefasst werden sollen. Die Wertschöpfung selbst wird mit W abgekürzt und definiert sich wie folgt als: Wi L i N i . Führt man nun all diese Elemente zusammen, so erhält man eine Tabelle mit der Grundstruktur (Variante 1) wie in Abbildung 34. 112 Methodische Anhänge Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Abbildung 34 Grundstruktur einer Input-Output-Tabelle (Variante 1: Importe werden gesondert ausgewiesen) ……………. Sektor n Endnachfrage Produktion z11 ….. Y1 ….. ….. X1 ….. z1n ….. ….. ….. Sektor 1 Sektor 1 Sektor n zn1 ….. znn Yn Xn Importe M1 ….. Mn MY MX Wertschöpfung W1 ….. Wn Input-Produktion X1 ….. Xn Darstellung: eigene Darstellung Economica Man schreibt: zij Vorleistungen (Ströme) von Sektor i zu Sektor j; Mj Importe von Sektor j; Yi gesamte Endnachfrage in Sektor i; Y M Importe der Endnachfrage; Xi Gesamtoutput von Sektor i; X M Gesamtimporte; Wj Wertschöpfung im Sektor j. Für jeden Sektor n gilt die Gleichheit zwischen Produktion und Verbrauch: n n i 1 j1 zij Mi Wi Xi zij Yi , i,j= 1,...,n Wird die Zusammensetzung des Verbrauchs des Produkts Xi betrachtet X i z i1 z i 2 ..... z in Yi , i= 1,...,n, Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Methodische Anhänge 113 so zeigt sich die Verteilung des Outputs von Sektor i auf die anderen Sektoren (verwendete Vorleistungen) und auf die Endnachfrage Yi im Sektor i. Diese Gleichung lässt sich für jeden einzelnen Sektor i=1,...,n und auch für die Importe aufstellen. Für die weitere Analyse wird angenommen, dass die interindustriellen Ströme von i nach j vom Gesamtoutput des Sektors j in einer bestimmten Periode abhängen. Dabei werden konstante Skalenerträge unterstellt, sodass eine Erhöhung aller Inputs um einen bestimmten Faktor zu einer Steigerung des Outputs um genau diesen Faktor führt. Das Verhältnis von Input zu Output kann daher folgendermaßen definiert werden: aij zij Xj Inputstrom . Output Diese n x n Verhältnisse werden als technische Koeffizienten, Input-Output-Koeffizienten oder auch direkte Input-Koeffizienten bezeichnet. Der Output eines jedes Sektors (Xi) kann mittels der technischen Koeffizienten als Funktion der Inputbedürfnisse aller Sektoren nach diesem Output dargestellt werden, sodass gilt: X i a1i X1 a1i X 2 ..... a1i X n Yi , i=1,...,n. 7.4.3.2 Multiregionale Input-Output-Tabellen Ursprünglich wurden Input-Output-Tabellen nur auf nationalem Niveau angewandt. Das Interesse für ökonomische Analysen auf regionalem Niveau macht es jedoch erforderlich, nationale Input-Output-Modelle zu modifizieren, um die Besonderheiten regionaler Probleme darstellen zu können. In formaler Hinsicht unterscheiden sich diese regionalen Input-Output-Tabellen nicht von jenen der Gesamtwirtschaft. In den USA wurden die ersten multiregionalen Ansätze bereits in den 1950er Jahren verwendet. Im Allgemeinen gilt, dass je kleiner die betrachtete Wirtschaftseinheit ist, desto größer ist die Abhängigkeit vom Handel mit „außen Gelegenen“ – sowohl als Exportland für die eigenen, regionalen Produkte als auch als Lieferant für notwendige Inputs der Produktion. Ein wesentlicher Kernpunkt ist es daher, abzuschätzen, wie groß die Sickerverluste aus dem entsprechenden Bundesland sind. Der bereits auf nationalem Niveau herrschende Datenmangel für die Tabellen ist bei regionalen Tabellen natürlich noch wesentlich größer, da diese Daten meist nicht oder nur sehr eingeschränkt vorliegen. Daraus resultiert der Versuch, Tabellen und Regionalisierungsansätze zu wählen, die möglichst wenig zusätzliches Datenmaterial erfordern. Im Rahmen der Erstellung der Tabellen ist daher stets ein Zielkonflikt zwischen den vier zueinander in konkurrierender Beziehung stehenden Zielen „Exaktheit“, „Aktualität“, „Vergleichbarkeit“ und „ausreichendes Disaggregationsniveau“ zu lösen. 114 Methodische Anhänge Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Die Anzahl der möglichen Modelle und Methoden, um multiregionale Input-Output Tabellen zu erstellen, sind vielfältig. An Modellen unterscheidet man zwischen: dem Interregionalen Input-Output-Modell (IRIO) von Isard, dem Multiregionalen Input-Output-Modell (MRIO) von Chenerey und Moses und dem Ausgewogenen Regionale Modell von Leontief. Bei den Verfahren unterscheidet man im Wesentlichen zwischen Bottom-up-Verfahren, die auf Primärdatenerhebungen basierend, und Top-down-Verfahren, in welchen die Tabellen vor allem sekundärdatenbasiert erstellt werden. Auch eine Kombination aus Bottom-up- und Top-down-Verfahren ist natürlich möglich. Hinsichtlich der Daten und Datenqualität sei darauf hingewiesen, dass mittlerweile auf eine vergleichsweise gute Datenbasis zumindest bis auf Bundesländer-Niveaus zurückgegriffen werden kann, weshalb eine Orientierung an diesem Schema üblich ist. Dennoch ist eine vollständige Abdeckung aller Daten auch heute nicht möglich – weder für nationale, noch für multiregionale Tabellen – und auch nicht vorgesehen. So ist praktisch jedes Modell im Bewusstsein derartiger Datenlücken entwickelt worden. Das Verfahren von Chenerey und Moses etwa umgeht unvollständige Außenhandelsdaten mittels einiger Annahmen, welche eine gute Annäherung an die Realität erlauben. Übliche Datenquellen sind Eurostat, die Nationalen Statistikämter, Regionalverwaltungen, Wirtschaftskammern u. ä., Transportstatistiken, Leistungs- und Strukturstatistiken, Konjunkturstatistiken sowie weitere derartige Institutionen und deren Publikationen. Diese werden meist um Informationen aus der Sekundärliteratur oder auch aus Primärdatenerhebungen ergänzt. Es wird rasch klar, dass Datenquellen einander widersprechen können oder die Datenqualität und -quantität nicht immer ausreichend ist, um sämtliche Anforderungen eines Verfahrens zu erfüllen. Hier wird dann auf parallele Ansätze der anderen Verfahren zurückgegriffen. Letztlich handelt es sich bei den einzelnen Verfahren weniger um scharf voneinander getrennte Prozesse, als vielmehr um eine Sammlung von Methoden, die auf die jeweilige Problemstellung angewandt werden kann. Der von Economica verwendete Ansatz orientiert sich vor allen an den Bedürfnissen der wesentlichen Fragestellungen, nämlich der Berechnung der regionalen und nationalen Branchen-Multiplikatoren, der Sickerverluste (in andere Bundesländer und ins Ausland) und der Verflechtungen zwischen den einzelnen Regionen, und lässt sich als Kombination von Top-down- und Bottom-up-Verfahren interpretieren. Die im Rahmen dieser Studie erstellte multiregionale Input-Output-Tabelle stellt im Wesentlichen ein 2Regionen- (Bayern und die übrigen Bundesländer Deutschlands) und 20-SektorenModell dar. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 115 Methodische Anhänge 7.4.3.3 Grundlagen der Input-Output Analyse Die der Input-Output-Analyse zugrunde liegende Fragestellung ist folgende: Wenn die Endnachfrage nach einem bestimmten Sektor für ein Jahr abgeschätzt werden kann, wie viel Output muss dann von den anderen Sektoren produziert werden, um diese Nachfrage zu decken (vgl. Franz et al.)? Bekannt seien die Endnachfrage Yi sowie die technischen Koeffizienten aij. Gesucht werden die Werte X1 bis Xn. Werden alle Unbekannten auf eine Seite gebracht, erhält man folgendes lineares System mit n Unbekannten und n Gleichungen: 1 a11 X1 a12X 2 ..... a1n X n Y1 , a n1X1 a n 2 X 2 ..... 1 a nn X n Yn bzw. I AX Y , a11 a1n A an1 ann wobei X1 X X n und Y1 Y Yn . Die Matrix A sei die Matrix der technischen Koeffizienten, X und Y seien Spaltenvektoren des Brutto-Outputs bzw. der Endnachfrage. I ist die Einheitsmatrix. (I–A) wird als die Leontief-Matrix bezeichnet. Um den gesamten Effekt einer Änderung der Endnachfrage zu bestimmen, ist es notwendig, nicht nur die direkten Auswirkungen, sondern auch die indirekten Effekte durch benötigte Vorleistungen zu messen. Um solche Effekte zu quantifizieren, wird der Brutto-Output als Funktion der Endnachfrage dargestellt: X I A Y . 1 (I–A)–1 wird auch als die Leontief-Inverse bezeichnet. Mit der Leontief-Inversen können die primären Effekte (das sind die direkten und die indirekten Effekte) ermittelt werden. Ihre einzelnen Elemente zeigen, wie viele monetäre Einheiten Lieferungswert des Zeilenvektors für eine monetäre Einheit Endnachfrage im Spaltenvektor erforderlich sind. 116 Methodische Anhänge Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 7.4.3.4 Erstellung der Input-Output-Tabelle Flughafen München Die herkömmliche Statistik vermag die Vielfalt an volkswirtschaftlichen Verflechtungen des Flughafens nur unzureichend darzustellen. Zum einen sind die erforderlichen Daten nicht ausreichend disaggregiert, zum anderen stellt der Flughafen München keine selbstständige, klar definierte Branche dar, sondern setzt sich vielmehr aus unterschiedlichsten Teilbereichen vieler Sektoren zusammen. Neben der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung finden sich in Deutschland bzw. Bayern noch eine Reihe alternativer Quellen für flughafenrelevante Daten. Dazu zählen beispielsweise: - - Arbeitsstättenerhebung des Flughafens München, Geschäftsberichte des FMB-Konzerns, Beschäftigtendaten auf Bundeslandebene vom Amt für Arbeit, Güterverkehrsdaten (zur Darstellung der intra- und interregionalen Güterverkehrsströme innerhalb Bayerns sowie zwischen Bayern und den übrigen Bundesländern Deutschlands und auch dem Ausland), Berechnungen von Ernst Basler & Partner zur direkten Bruttowertschöpfung der Unternehmen am Flughafen München und Primärdatenerhebungen des IW Köln zur Verflechtungs- und Vorleistungsstruktur bayerischer Unternehmen. Da diese, einen Mehrwert an Information generierenden, Daten nicht mit dem System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung abgestimmt sind, konnten diese Daten bis heute nicht in eine umfassende Analyse der wirtschaftlichen Bedeutung des Flughafens einfließen. Das notwendige Instrument, um eine Erweiterung der Einsatzfähigkeit der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu bewirken, stellen Satellitenkonten dar. Das Satellitensystem kann in weiterer Folge mit der multiregionalen Input-OutputTabelle zu einer „Multiregionalen Input-Output-Tabelle Flughafen München“ zusammengeführt werden, welche als methodisches Endresultat die Verflechtungen ökonomischer Aktivitäten des Flughafens mit der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung aufzeigt. Es können damit unter anderem das flughafenbezogene Bruttoinlandsprodukt, einzelne Wertschöpfungskomponenten, Beschäftigungseffekte sowie fiskalische Effekte berechnet werden. Die Anwendungsmöglichkeiten eines Satellitenkontos Flughafen München sind vielfältig und reichen über die reine Sammlung und Bereitstellung flughafenbezogener Daten weit hinaus. Nachhaltig betrachtet ermöglicht die Erstellung eines Flughafensatellitenkontos die kontinuierliche Erfassung von Daten des Flughafens. Der laufenden Wartung der Daten Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Methodische Anhänge 117 sowie der Aktualisierung und Fortschreibung des Flughafensatellitenkontos sollte daher besondere Bedeutung beigemessen werden. Fragestellungen, die ökonomisch gesehen interessant sind, könnten daher in Zukunft mit einem deutlich geringeren Aufwand der Datenrecherche, -aufbereitung und -berechnung durchgeführt werden. 7.4.4 Berechnung ökonomischer Effekte Die im Rahmen der Studie entwickelte Multiregionale Input-Output-Tabelle Flughafen München stellt eine flughafenspezifische, bayerische Disaggregation der bestehenden Input-Output-Tabelle der amtlichen Statistik dar und ist auf diese vollständig abgestimmt. Darauf aufbauend kann daher die ökonomische Bedeutung des Flughafens München ermittelt werden. Neben dem flughafenbezogenen Bruttoinlandsprodukt der einzelnen Branchen vor Ort können direkte und indirekte Effekte, die sich aus der Tabelle der inversen Koeffizienten der Input-Output-Tabelle ableiten lassen, für die Wertschöpfung und Beschäftigung berechnet werden. 7.4.5 Berechnung von Wertschöpfungseffekten Die Wertschöpfung eines Sektors berechnet sich als Gesamtproduktion abzüglich der Vorleistungen. Zur Quantifizierung der direkten Wertschöpfungseffekte benötigt man Informationen zu den Einnahmen und Ausgaben. Zieht man vom Bruttoproduktionswert die für Vorleistungen aufgewendeten Ausgaben ab, so erhält man den direkten Bruttowertschöpfungseffekt. Auf Basis der Leontief-Inversen können die indirekten Wertschöpfungseffekte ermittelt werden. Die im Gutachten angeführten Multiplikatoren liegen – sowohl für Bayern als auch Deutschland insgesamt – über den von Ernst Basler & Partner (ebp) ausgewiesenen Werten von 0,67 in Bayern und 0,96 in Deutschland, die verschiedene Studien zu Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekten des Flughafens München im Auftrag der FMG erstellt haben (vgl. ebp, 2007). Dieser Unterschied ist methodisch zu begründen: Durch die Darstellung aller intra- (innerhalb Bayerns), inter- (innerhalb Deutschlands) und internationalen (inklusive Ausland) Verflechtungen werden im Rahmen der InputOutput-Analyse auch Vorleistungsbezüge aus Bayern durch Unternehmen aus den übrigen Bundesländern Deutschlands oder aus dem Ausland erfasst. Obwohl es einen Wertschöpfungsabfluss durch Importe aus den übrigen Bundesländern Deutschlands zum Flughafen München gegeben hat, werden diese Zulieferer zum Teil wiederum von bayerischen Unternehmen beliefert, wodurch es wieder zu positiven Wertschöpfungseffekten in Bayern kommt. Derart komplexe Strukturen sind ausschließlich mittels einer konkret auf den Flughafen abgestimmten, multiregionalen Input-Output-Tabelle für den Flughafen München zu erfassen. Die Differenz der ausgewiesenen Multiplikatoren zeigt, dass auch diese Rückkopplungseffekte nach Bayern in ihrer Größenordnung nicht unterschätzt werden dürfen. Immerhin liegt die Differenz am Bruttowertschöpfungsbeitrag innerhalb Bayerns bei 110.000 Euro pro 1 Million Euro ausgelöster direkter Bruttowertschöpfung. 118 7.4.6 Methodische Anhänge Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Berechnung von Beschäftigungseffekten Die direkten Beschäftigungseffekte werden im Rahmen der Arbeitsstättenerhebung am Flughafen München erhoben und wurden aus dieser in das Satellitenkonto aufgenommen. Die Berechnung der indirekten Beschäftigungseffekte erfolgt, abhängig vom vorhandenen Datenmaterial, mittels zwei unterschiedlicher Verfahren: – Methode 1 berechnet die Effekte auf Basis des durchschnittlichen Personalaufwands pro Jahr, – Methode 2 hingegen geht von der allgemein üblichen Beschäftigungsstruktur der jeweiligen Branche (des jeweiligen Sektors) im Verhältnis zur Bruttowertschöpfung aus. Ein weiterer, nicht zu vernachlässigender Faktor ist auch die Auslastung der Kapazitäten in den betrachteten Sektoren: Der volle Beschäftigungseffekt wird sich nur bei einer bereits 100-prozentigen Auslastung und einer entsprechenden Aufstockung der Kapazitäten entfalten; in allen anderen Fällen kommt es aber auf jeden Fall zu einer Absicherung bereits vorhandener Arbeitsplätze und einer weiteren Auslastung der Kapazitäten. Darüber hinaus besteht bei nicht permanent anfallender Nachfrage häufig die Tendenz, diese eher in Form von Überstundenleistungen und Sonderschichten als durch die Neueinstellung von Arbeitskräften zu bedienen. Auch hier sei angemerkt, dass – wie auch die Wertschöpfungseffekte – die von Economica berechneten Multiplikatoren methodisch bedingt höher liegen als die von Ernst Basler & Partner berechneten Werte in Höhe von 0,85 für Bayern und 1,34 für Deutschland. 7.4.7 Berechnung von Multiplikatoreffekten Von den ursprünglich getätigten Ausgaben werden Folgerunden- bzw. Multiplikatoreffekte induziert, da jedes Unternehmen für die Herstellung seiner Produkte bzw. Dienstleistungen Halbfabrikate sowie Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe von anderen Branchen benötigt. Um von den Erstrundeneffekten auf die Höhe dieser Folgerundeneffekte schließen zu können, verwendet man Multiplikatoren, welche aus der Input-OutputTabelle abgeleitet werden. Die Höhe der Multiplikatoren hängt in erster Linie von der Struktur der wirtschaftlichen Verflechtungen der primär „angeregten“ Sektoren mit den übrigen Sektoren ab, d. h. vor allem davon, an wen die Personal- und Sachausgaben fließen und wie diese in Folgeaufträgen weitergegeben werden. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Vorleistungen innerhalb Bayerns, aus den übrigen Bundesländern Deutschlands oder aus dem Ausland bezogen werden können. Primäre Effekte für Bayern gehen aber nur von jenem Teil der laufenden Ausgaben und Investitionen aus, der nicht durch Importe in die übrigen Bundesländer Deutschlands oder ins Ausland abfließt. Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Methodische Anhänge Abbildung 35 Direkte, indirekte und induzierte Effekte im Rahmen der Input-Output-Analyse Darstellung: eigene Darstellung Economica 119 120 7.5 1. Methodische Anhänge Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Fragebogen zur Unternehmensbefragung Wie oft nutzt Ihr Unternehmen einen Flughafen… Häufig Gelegentlich Selten Nie für Mitarbeiter? für Fracht (für Beschaffung und / oder Auslieferung) ? F.1 selten oder nie – Frage jeweils für Mitarbeiter und / oder Fracht stellen 2. Warum nutzt Ihr Unternehmen einen Flughafen nur selten [Item aus F01]? Warum nutzt Ihr Unternehmen einen Flughafen nie [Item aus F01]? Nicht (öfter) notwendig Die Erreichbarkeit ist zu schlecht Ökonomische Gründe (zu teuer) Ökologische Gründe (zu schlecht für die Umwelt) Zeitliche Vorteile zu gering F.1 bei beiden Items häufig, gelegentlich, selten 3. Bitte ordnen Sie die Bedeutung der folgenden drei Aspekte eines Flughafens für die Reisetätigkeit Ihrer Mitarbeiter bzw. Frachtleistungen Ihres Unternehmens ein. Bitte bewerten Sie auf einer Skala von 1 "vollkommen unwichtig" bis 7 "sehr wichtig". Mit den Werten dazwischen können Sie Ihre Meinung abstufen. 1 = vollkommen unwichtig, 7 = sehr wichtig Mitarbeiter Erreichbarkeit für die Mitarbeiter Angebotene Flugziele für die Mitarbeiter Regelmäßigkeit der Flugverbindungen für die Mitarbeiter Fracht Erreichbarkeit für die Fracht Angebotene Flugziele für die Fracht Regelmäßigkeit der Flugverbindungen für die Fracht Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Methodische Anhänge 121 F.1 bei mindestens einem Item häufig, gelegentlich, selten 4. Würde Ihr Geschäftserfolg beeinträchtigt werden, wenn sich die Erreichbarkeit, das Angebot an Flugzielen oder die Regelmäßigkeit der Flugverbindungen verschlechtern würden? Bitte bewerten Sie auf einer Skala von 1 "überhaupt nicht" bis 7 "sehr stark". Mit den Werten dazwischen können Sie Ihre Meinung abstufen. 1 = überhaupt nicht, 7 = sehr stark Wenn F.1 = Mitarbeiter ungleich nie / NA 5. Wieviel Prozent aller Dienstreisen in Ihrem Unternehmen entfallen auf das Flugzeug? 1 bis 100 % Wenn F.1 = Fracht ungleich nie / NA 6. Wieviel Prozent Ihres Beschaffungsvolumens wird per Luftfracht geliefert? 0 bis 100 % Hilfe: Fracht zur Beschaffung sind z.B. Zulieferteile, Komponenten und andere Güter und Materialien zur Sicherung des Produktionsprozesses. Wenn F.1 = Fracht ungleich nie 7. Wieviel Prozent Ihres Frachtvolumens (Wertangabe) liefern Sie über Luftfracht aus? 0 bis 100% Wenn F.1 = Fracht ungleich nie 8. Warum befördern Sie Fracht per Flugzeug? Weil die Lieferung zeitkritisch ist Weil sie hochwertig ist Weil die räumliche Distanz groß ist Andere Gründe, offen 122 Methodische Anhänge Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Wenn F.1 = Fracht ungleich nie 9. Wie hoch ist die Bedeutung von Luftfracht für Ihr Unternehmen heute und in 5 Jahren? Heute Sehr wichtig Wichtig Weniger wichtig Unwichtig Weiß nicht Keine Angabe Wenn F.1 = Fracht ungleich nie 10. Welche Rolle spielt der Flughafen für Ihre Beschaffungslogistik? Eine wichtige Rolle Eine eher wichtige Rolle Eine eher geringe Rolle Eine geringe Rolle Keine Rolle Weiß nicht Keine Angabe In 5 Jahren Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Methodische Anhänge 123 F.1 Frage jeweils für Mitarbeiter Wenn F1(1) =1,2 oder 3 -> (F12a) und Fracht Wenn F1(2)=1,2 oder 3 -> (F12b) stellen, wenn beide relevant 11. Bitte nennen Sie die für Ihren Standort die drei am häufigsten genutzten (Ab-)Flughäfen.(Nennen Sie mir zunächst den wichtigsten Flughafen) / ( Nennen Sie mir nun den zweitwichtigsten Flughafen) / ( Nennen Sie mir nun den drittwichtigsten Flughafen) Punktevergabe: 3 = wichtigster Flughafen, 2 = zweitwichtigster… Flughafen Frankfurt am Main Flughafen Friedrichshafen Flughafen Innsbruck Flughafen Leipzig / Halle Flughafen Memmingen Flughafen München Flughafen Nürnberg Flughafen Prag Flughafen Salzburg Flughafen Stuttgart Flughafen Wien-Schwechat Flughafen Zürich-Kloten Flughafen, anderer Keine Angabe Wenn F.12a / 12b= MUC nicht genannt 12. Welche Rolle spielt der Münchner Flughafen für Ihre Geschäftstätigkeit? Eine wichtige Rolle Eine eher wichtige Rolle Eine eher geringe Rolle Eine geringe Rolle Keine Rolle Weiß nicht Keine Angabe 124 Methodische Anhänge Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 F.1 Mitarbeiter: Wenn F1(1)=1,2 oder 3 -> f14a und Fracht: F1(2)=1,2 oder 3 -> f14b 13. Bitte nennen Sie die drei wichtigsten Flugziele für Ihr Unternehmen. Punktevergabe: 3 = wichtigstes Flugziel, 2 = zweitwichtigste… F.1 bei Mitarbeiter: Wenn F1(1)=1,2 oder 3 -> f15a und Fracht: Wenn F1(2)=1,2 oder 3 -> f15b 14. Zu welchen Flugzielen fehlen Ihnen geeignete Flugverbindungen? Offen 15. Welche Rolle spielen internationale Direktverbindungen für Ihr Unternehmen heute und in 5 Jahren? Heute In 5 Jahren Eine wichtige Rolle Eine eher wichtige Rolle Eine eher unwichtige Rolle Eine unwichtige Rolle Keine Rolle, weil internationale Flugziele nicht angeflogen werden Weiß nicht Keine Angabe 16. Mit welchem Verkehrsmittel erreichen Sie den von Ihrem Unternehmen am meisten genutzten Flughafen am besten? Bitte nennen Sie mir (zunächst das wichtigste) / (das zweitwichtigste) / (das drittwichtigste) Verkehrsmittel Punktevergabe: 3 = wichtigstes Verkehrsmittel, 3 = zweitwichtigstes… Auto (bzw. LKW bei Fracht) Öffentlicher Personennahverkehr Nahverkehr (z.B. RE, RB etc.) Schienenfernverkehr (z.B. ICE, IC) Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Methodische Anhänge 125 17. Wie sehr würde Ihr Unternehmen von einer besseren Erschließung (bspw. ICE- Anschluss) des Münchner Flughafens profitieren? Sehr stark Eher stark Eher nicht Gar nicht Weiß nicht Keine Angabe 18. Welche Rolle spielt bei Ihren internationalen Investitionsentscheidungen die Güte der Flugverbindung dorthin? Eine wichtige Rolle Eine eher wichtige Rolle Eine eher unwichtige Rolle Eine unwichtige Rolle Keine Rolle, weil wir nicht international investieren Weiß nicht Keine Angabe 19. Erfolgte Ihre Standortansiedlung vor oder nach der Eröffnung des Flughafens Mün- chen im Jahre 1992? Vor der Eröffnung des Flughafens Nach der Eröffnung des Flughafens 20. In welchem Landkreis liegt Ihr Unternehmen? Landkreis Erding Landkreis Freising Landkreis München München, Landeshauptstadt Anderer Landkreis 126 Methodische Anhänge Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Filter wenn F.20 ungleich Anderer Landkreis und ungleich NA 21. Welche Rolle spielten folgende Gründe für diese Standortentscheidung? 1 = vollkommen unwichtig, 7 = sehr wichtig Nähe zu Kunden und / oder Kooperationspartnern in der Umgebung Nähe zu Absatz- und / oder Beschaffungsmärkten in der Umgebung Nähe zu Forschungs- und / oder Entwicklungseinrichtungen in der Umgebung Schnelle Erreichbarkeit von Flugzielen Gute Straßen- und / oder Schieneninfrastruktur Unternehmerisches Umfeld Attraktive Gewerbeflächen Günstiges Immobilienpreisniveau Andere, offen 22. Nun noch zum Abschluss eine Schätzfrage: Wie häufig fliegen die Mitarbeiter Ihres Unternehmens im Monat etwa? Kommazahl möglich, bitte umrechnen! Wir benötigen abschließend noch Angaben zu Größe und Tätigkeit Ihres Unternehmens. Diese dienen dazu, ein differenziertes Bild zur Bedeutung von Flughäfen für bayerische Unternehmen zu erhalten. 23. Wie viele Mitarbeiter hatte Ihr Unternehmen, ohne Auszubildende zum Ende des Jah- res 2013? bitte ohne Auszubildende angeben. Schätzungen genügen. 24. Wie hoch lag der Jahresumsatz, ohne USt. Ihres Unternehmens im Jahre 2013? Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Methodische Anhänge 127 Wenn F.24 = keine Angabe 25. Sie haben keine Angabe zur Umsatzhöhe des Unternehmens gemacht. Versuchen Sie bitte, den Umsatz, ohne USt. in 2013 als Größenordnung zu schätzen. Unter 1 Mio. Euro 1 bis unter 10 Mio. Euro 10 bis unter 50 Mio. Euro 50 bis unter 100 Mio. Euro 100 bis unter 250 Mio. Euro 250 Mio. Euro und mehr Möchte ich nicht angeben k. A. 26. Welchem Wirtschaftsbereich können Sie Ihr Unternehmen am ehesten zuordnen? bitte ankreuzen Chemie / Gummi und Kunststoff Metallerzeugung und -bearbeitung sowie Herstellung von Metallerzeugnissen Maschinenbau Elektroindustrie Fahrzeugbau Andere Branche des Verarbeitenden Gewerbes Bauwirtschaft Verkehr, Logistik Groß- oder Einzelhandel Gastgewerbe IKT/Medien Mouseover: Verlagswesen, Rundfunkveranstalter, Telekommunikation, Erbringung von Dienstleistungen der Informationstechnologie und Informationsdienstleistungen Wirtschaftsnahe Dienste (Mouseover: Rechts-, Steuer- und Unternehmensberatung, Werbung, Marktforschung, Vermietung beweglicher Sachen, Arbeitnehmerüberlassung, Reinigung, Bewachung, Architekten und Ingenieure u. ä.) Kreditwesen, Versicherungen Datenverarbeitung und Datenbanken, Forschung und Entwicklung Sonstiges, und zwar: Keine Angabe 128 Methodische Anhänge Studie – Wirtschaftliche Auswirkungen des Luftverkehrsdrehkreuzes München auf Bayern vbw – Oktober 2015 Quellenverzeichnis. 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Zur besseren Lesbarkeit wurde meist auf die zusätzliche Bezeichnung in weiblicher Form verzichtet. Herausgeber: Autoren: vbw Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. Economica Institut für Wirtschaftsforschung Max-Joseph-Straße 5 80333 München www.vbw-bayern.de © vbw Oktober 2015 IW Consult GmbH Institut der deutschen Wirtschaft Consult GmbH IW Köln e. V. Institut der deutschen Wirtschaft Köln e. V.