Comdex als Spielzeug

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Comdex als Spielzeug
ITRESELLER
Comdex als Spielzeug-Messe
27. November 2000 - Auch dieses Jahr nutzten die Ellisons, McNealys und Gates‘ ihre Keynotes an der Comdex
Fall, um den Gegnern in der Show-Town Las Vegas an den Kragen zu gehen. Im Zentrum standen einmal mehr die
Gadgets. An der diesjährigen Comdex zeigten 2300 Aussteller ihre Produkte rund 100‘000 Besuchern. Damit weist selbst die
Systems bessere Zahlen vor, als die von den Amerikanern immer noch als «grösste Computer-Messe der Welt»
bezeichnete Austellung in Las Vegas. Allerdings werden auf der Herbst-Comdex nach wie vor wichtige Trends
ablesbar. Und was wäre die Computerbranche ohne die Keynote-Gockelkämpfe von Leuten wie Larry Ellison
(Oracle), Scott McNealy (Sun) und Bill Gates (Microsoft) . Ellison warf Gates wieder einmal vor, die Software von Microsoft sei zu kompliziert. Überhaupt sei die Zeit des PC
vorbei. «Der PC wird zum Netzwerk-Computer, er verwandelt sich in eine E-Appliance», verkündete der
Oracle-Chef. Microsoft blieb die Antwort nicht schuldig. Steve Ballmer in einem Interview mit Cnet: «Larry redet seit Jahren von
Ideen, die zu nichts führen. Wie lange propagiert er seinen Netzwerk-Computer nun schon – sechs oder sieben
Jahre? Und wohin führte die Idee? Ins Nichts.»Für Ballmer liegt die Zukunft nach wie vor beim PC: «Der Markt
wächst zwar langsamer, man muss aber im Auge behalten, dass die Büroangestellten in Europa noch lange nicht
so gut ausgestattet sind wie ihre Kollegen in den USA.»
Kleingeräte und Spielereien
Im Zentrum der Messe standen jedoch – wie schon im letzten Jahr — sogenannte «Gadgets». Bill Gates etwa
präsentierte während seiner Keynote den bereits am Microsoft Forum 2000 vorgeführten Tablet-PC – eine
Kombination aus E-Book und Surf-Terminal (Bild). Der Tablett-PC ist übrigens nicht etwa mit Windows CE
bestückt, sondern läuft unter Win
2000. Ein in der Presseveranstaltung gezeigter Tablet-PC lief mit einem Crusoe-Prozessor von Transmeta. Der von Gates ebenfalls angekündigte Windows Media Players für Pocket PCs liegt unterdessen als Betaversion
zum Download bereit. Damit können Besitzer des Mini-Rechners Streaming Video und Audio über das Internet
empfangen. Demnächst wird man wohl Leute beobachten können, die sich die Tagesschau im Tram reinziehen.
Für den Empfang ist entweder eine drahtlose Netzwerkverbindung oder die Übertragungen vom Handy über eine
serielle oder Infrarot-Schnittstelle notwendig. Auf der Serverseite werden die Windows Media Services unter
Windows 2000 vorausgesetzt. Die vorliegende Version lässt sich allerdings nur auf den iPaq-Pocket-PCs von Compaq installieren. Im nächsten
Monat sollen auch Geräte von Casio und Hewlett-Packard unterstützt werden. Konkurrent Palm Computing seinerseits hat einen Mobile Internet Kit vorgestellt. Hinter dem klangvollen Namen
verbirgt sich ein Softwarepaket mit einem Update auf die neue Betriebssystemversion 3.5, ein Programm zum
Versenden und Empfangen von SMS-Nachrichten sowie die Standard-Version des E-Mail-Client Multimail. Diese
kann allerdings – im Gegensatz zur Pro-Version – keine Anlagen herunterladen und beschränkt Textnachrichten
auf 60 KByte. Um mit einem Palm-Organizer ins Internet zu kommen, wird ein datenfähiges Mobiltelefon und ein
Verbindungskabel oder eine Infrarotverbindung benötigt.
Reigen der Pinguine
Natürlich durfte auch Linux auf der Comdex nicht fehlen. In der Linux-Ecke fanden sich Pinguine aller Sorten: als
Zauberer verkleidet, als Punk mit rasierten Kopffedern und sogar als Zielscheibe für Plastikpfeile. Noch skurriler ging es bei einem «Desktop Dukeout» zu, den die Firma Epitera veranstaltete: In einem Boxring
kämpfte eine hektische Büroklammer gegen einen Geist namens Kandu. Dieser ist laut Epitera ein Assistent, der
neuen Linux-Benutzern den Einstieg in das System genau so erleichtern soll, wie die Büroklammer bei Microsoft.
Damit hat Linux jetzt seine eigene Nervensäge. Neben den Einfällen der Newcomer mutete die Präsentation von Firmen wie Red Hat, Suse oder Turbo Linux
schon beinah IBM-mässig seriös an.
Etwa 60 Neuvorstellungen von eigens für den Normalanwender geschriebenen Programmen zeigten, dass Linux
auf dem Weg zum Desktop ist. Die allgemeine Linux-Seligkeit hat aber auch eine Kehrseite. Manuel de Icaza
(Gnome) machte in seiner Keynote darauf aufmerksam: Da keine verbindlichen Richtlinien für die Oberfläche
existieren, entstehen Programme, die oft genug Benutzerführung mit Benutzerverwirrung verwechseln.
Und ausserdem
Neben der Messe ging es eher zivilisiert zu. Richtig wild und fast wie in alten Zeiten feierte nur der Newcomer EDS,
der einen ganzen Flugzeughangar für den Auftritt einer Popgruppe namens Barenaked Ladys gemietet hatte. Der
EDV-Dienstleister bestritt auf der Comdex seine erste Keynote unter dem Titel «Managing Communications is like
Herdings Cats». Auf Video-Wänden in der ganzen Stadt lief dazu ein Video, in dem Cowboys eine Herde Katzen
durch den Wilden Westen treiben und am Abend Wollknäuel binden. Das gefiel den Besuchern. (fis)
Kein System preisgekrönt
Zum Ende der Messe werden traditionell die besten Produkte ausgezeichnet. In der Kategorie Mobile Systeme
schaffte es Nvidia mit «Geforce 2 Go» für Laptops auf den ersten Platz, bei den Online-Diensten Ricochet mit ihrem
in den USA populären, drahtlosen Internet-Zugang. Bei den Business-Produkten gewann Compaq mit dem
portablen Projektor MP 2800, im Bereich Enterprise «The VAN» von Virtual Access Networks. Gateway und AOL wurden für den Connected Touch Pad zu «Best of Show» gekührt. Erstmals wurde in diesem Jahr jedoch kein Betriebssystem prämiert. Es gab nichts Neues auf der Messe . Als
Ersatz wurde von der Jury die Kategorie «Vision of the Future» geschaffen. Und obwohl das Konzept des
Tablet-PC schon 1991 auf der Comdex einen Preis bekommen hatte (damals für die Firma Go), galt die Schreibhilfe
der Jury auch jetzt wieder als visionär. Als einzige Firma mochte Microsoft ihren Preis nicht abholen.
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