Wenn Harrius in Bradavice gegen Tom Elvis

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Wenn Harrius in Bradavice gegen Tom Elvis
Titel-H_01_2 27.01.2004 10:48 Uhr Seite 1
C
Februar 2004
M
Y
CM
Heft 1/2004
MY
CY CMY
K
ISSN 0947-1049
Interview mit Humboldt-Preisträger:
30 Jahre für tausendstel Millimeter
Prachtcodex digitalisiert:
Der Machsor für die Maus
Studienprojekt zu Naturschutz:
Ein Bio-Lob für Golfplätze
Essay über einen besonderen Prozess:
Konsum ergo sum
Universitätsbibliothek:
Die Jagd nach frühen Drucken
Projekt für ausländische Studierende:
Eine neue Eingangstür im Internet
journal
Alte Schätze und Neuerscheinungen
Die Buchmesse wirft ihren Schatten voraus
Probedruck
EDITORIAL
Perspektiven und
Kriterien sind gefragt
Inhalt
UniVersum
Endrunde bei Campus-Neugestaltung
Nervenkrieg um Mittel-/Osteuropazentrum
EU-Erweiterung wissenschaftlich begleiten
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2
3
Gremien
Senatssitzungen
3/4
Forschung
Betreuung von Alzheimer-Patienten
Alzheimer-ähnliche Prozesse bei Tieren
Interview mit Prof. Ruthven und Prof. Kärger
Internationales Graduiertenkolleg
Suche nach Proteinstrukturen
Projekt zu Armut und sozialer Sicherung
Ein Bio-Lob für Golfplätze
Kooperation mit Fraunhofer Institut
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Fakultäten und Institute
Wortbildung als Thema für die Germanistik
Sächsischer Kinder- und Jugendbericht
Interview: Prof. Wotjak zum Sprachvergleich
Afrikanistik: Sprachen als Ressourcen nutzen
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UniCentral
Die Buchmesseakademie:
Interview mit Organisator Dr. Middell
Programm und Bücher
Universitätsverlag leicht im Aufwind
Die Jugend und das Buch
Die Jagd nach frühen Drucken
Sinologischer Bücherschatz gehoben
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Studiosi
Der „konstruktive Streik“
Internet-Projekt für ausländische Studierende
Studenten zum Gefangenendilemma befragt
Studentisches Orchester erfolgreich gestartet
Nachrichten
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Personalia
Neu berufen/Ellenberger-Preis/Kurz gefasst
Ehrendoktorwürde für Carlos Rincón
Prof. Wartenberg Ehrendoktor
Geburtstage/M. Drucker zum 100. Geburtstag
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Essay
Konsum ergo sum
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Jubiläum 2009
Die Wurzeln der ökon. Forschung und Lehre
„Leipziger Machsor“ digitalisiert
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Habilitationen und Promotionen
Am Rande
Nomen
Impressum
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4
21
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Titelfoto: Christoph Busse
Das neue Jahr, für das ich allen Universitätsangehörigen Gesundheit und Schaffenskraft wünsche, begann turbulent. Mitten in die deutschlandweiten Protestaktionen der Studierenden hinein startete eine Regierungspartei den Versuchsballon
einer „Eliteuniversität“. Die Studierenden haben darauf – vielfach in drastischer Weise – mit Ablehnung, ja mit Hohn und
Spott reagiert. So leicht wollte es sich das Rektoratskollegium
nicht machen. Als Hochschullehrer daran gewöhnt, immer zunächst einmal gute Absichten und positive Ansätze zu unterstellen, haben wir in einer Stellungnahme die offensichtlich vorhandene Bereitschaft begrüßt, endlich auch bundesweit eine
Diskussion über Wissenschaftsförderung im allgemeinen und die staatliche Finanzierung der
Universitäten und Hochschulen im besonderen in
Gang zu setzen. Um nicht bei einem Bedauern
stehen zu bleiben, dass diese notwendige Diskussion gerade über einen so völlig unklaren Begriff wie den der „Eliteuniversität“ aufgezäumt
wird, hat das Rektoratskollegium drei Punkte als maßgebend
für die zu führende Debatte benannt:
• Klare Kriterien für die staatliche Forschungsförderung anstelle einer Programmförderung, die die Autonomie der
Universitäten aushöhlt.
• Klare Perspektiven für die Entwicklung und Qualitätssicherung stark nachgefragter und zukunftsweisender Studienfächer, deren Ausstattung sich immer weiter verschlechtert hat.
• Weitsichtige Programme für eine innovative Nachwuchsförderung, insbesondere durch den Ausbau eines attraktiven Stipendienwesens.
Wenn wir die Schlussfolgerung ziehen, dass wir eine neue
Bildungsdebatte brauchen, an deren Ende konkrete Verbesserungen der Arbeitsbedingungen der Universitäten und
Hochschulen stehen müssen, so ist das auch eine Antwort
darauf, wie sich Rektor und Rektorat zu dem „konstruktiven
Streik“ der Leipziger Studierenden positionieren. Wir unterstützen den Protest in seiner Zielsetzung, da er die Anliegen
der gesamten Universität zum Ausdruck bringt. Das Missverhältnis zwischen den ständig steigenden Studentenzahlen
und der politisch veranlassten Reduzierung der Finanzmittel
tritt im Universitätsalltag immer krasser zu Tage. Wenn der
Bund die Mittel für die Hochschulbauförderung kürzt und der
Freistaat in den Universitäten Stellen abbaut, ist das genau
die falsche Politik.
Den aktuellen Protest in einen Bildungskonvent münden zu
lassen, der sich über den Tag hinaus langfristig mit der Erarbeitung von Konzepten und konkreten Reformvorschlägen
beschäftigt, sieht auch die Universitätsleitung als einen der
Sache angemessenen Weg an.
Prof. Dr. Franz Häuser, Rektor
1
UniVersum
Campus-Neugestaltung
Endrunde
mit vier
Entwürfen
Der Wettbewerb um die Gestaltung des
Uni-Campus zum Augustusplatz hin tritt in
seine entscheidende Phase. Mitte Januar
wählte die Jury aus den Architekten-Vorschlägen vier Entwürfe aus, über die Ende
März abschließend entschieden werden
soll. Noch im Rennen sind Professor Peter
Kulka (bekannt durch den Landtag in Dresden und den MDR-Konzertsaal am Augustusplatz), Professor Hans-Günter Merz
(mit Meriten im Museumsbau), Erick von
Egeraat (Niederlande, von der Universität
vorgeschlagen) und die Münsteraner Architekten Martin Behet und Roland Bondzio, die mit ihrem Gesamtentwurf für den
innerstädtischen Campus den ersten Wettbewerb für sich entschieden hatten. C. H.
Journal
Mitteilungen und Berichte für die Angehörigen
und Freunde der Universität Leipzig
Impressum
Herausgeber: Der Rektor
Redakteur: Carsten Heckmann
Ritterstr. 26, 04109 Leipzig,
Tel. 0341/ 9 73 50 24, Fax 0341/ 9 73 50 29,
E-mail: [email protected]
V. i. S. d. P.: Volker Schulte
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die
Meinung der Autoren wieder.
Satz und Lithographie: DZA Satz und Bild
GmbH, Altenburg
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Jahresabonnement (sieben Hefte): 13,– e
In Fragen, die den Inhalt betreffen, wenden Sie
sich bitte an die Redaktion, in Fragen, die den
Vertrieb betreffen, an den Verlag.
Nachdruck mit Quellenangabe gestattet. Belegexemplare erbeten.
Redaktionsschluss: 16. 1. 2004
ISSN 0947-1049
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Ein Nervenkrieg
Leipzig noch im Rennen um
Mittel- und Osteuropazentrum
für Wirtschaft und Kultur
In der rot-grünen Koalitionsvereinbarung
vom Oktober 2002 verkündete die Bundesregierung die Absicht, in den neuen
Bundesländern ein Osteuropazentrum für
Wirtschaft und Kultur einzurichten. Zu
dieser Zeit gab es an der Universität Leipzig Bemühungen, die in Sachsen vorhandene Ballung an wissenschaftlichen wie
praktischen Mittel- und Osteuropapotenzialen zu bündeln und zu vernetzen, was im
März 2003 zur Gründung des Kompetenzzentrums Mittel- und Osteuropa Leipzig
e.V. (KOMOEL) führte.
Den beiden Mittel- und Osteuropakoordinatoren der Universität, dem damaligen
Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs, Prof. Dr. Helmut Papp,
und Prof. Dr. Stefan Troebst vom Institut
für Slavistik, erschien es naheliegend, sich
auch in Sachen Bundeszentrum zu engagieren. Kriterien für die Antragstellung erhielten Universität und Stadt Ende März
2003. In kürzester Frist wurde die Bewerbung Sachsens ausgearbeitet und eine
Woche später an das zuständige Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen geleitet (das Uni-Journal berichtete in Heft 3/2003). Nach einem
schwer durchschaubaren Auswahlverfahren blieben von ursprünglich vier Bewerbern zwei übrig: Sachsen mit Leipzig und
Brandenburg mit Frankfurt an der Oder.
Mecklenburg-Vorpommern und Berlin
schieden aus.
Wieder innerhalb kürzester Frist wurden
im November und Dezember vom Freistaat
Sachsen Präzisierungen am ursprünglichen
Konzept erbeten. Auch diese Hausaufgaben wurden in Leipzig termingerecht erledigt. Die Stadt Leipzig bietet als Sitz für
das Bundeszentrum eine Fabrikantenvilla
in Leutzsch an, für einen unverzüglichen
Arbeitsbeginn hat die Universität Leipzig
zeitlich befristet Räumlichkeiten mit Infrastruktur in Aussicht gestellt. Inhaltlichkonzeptionelle Vorgaben seitens der Bun-
desregierung gab es bis Ende November
2003 nicht. Dann war zu erfahren, dass das
geplante Mittel- und Osteuropazentrum für
Wirtschaft und Kultur sämtliche existierenden Informations- und Wissensmanagementsysteme zu Mittel- und Osteuropa und
in den Beitrittskandidatenländern vernetzen soll, eine vernünftige Sache, nur ursprünglich so nicht vorgesehen.
Die Konzeption wurde also innerhalb weniger Tage modifiziert, unter Einbeziehung
von Informatik und Rechenzentrum. Technischen Voraussetzungen sind gegeben,
darüber hinaus bestehen enge personelle
Verbindungen zu anderen Zentren, wie
zum Beispiel dem InformationsZentrum
Sozialwissenschaften (IZ) der Gesellschaft
Sozialwissenschaftlicher Infrastruktureinrichtungen (GESIS) oder der Gesellschaft
für Technische Zusammenarbeit (GTZ),
die in das Vorhaben eingebracht werden
können. Vorgesehen ist jetzt ein Netzwerk
mit 20 Mitarbeitern, das Informations- und
Forschungsdienstleistungen für Wirtschaft,
Kultur, Politik, Medien und Bürger anbieten und ein „Informationsportal Osteuropa“ einrichten will.
Die Leipziger Wirtschaft, (insbesondere
die Stadtwerke, die Verbundnetz Gas AG,
die Industrie- und Handelskammer) unterstützt das Projekt nachdrücklich. Ein Entscheid jedoch ist noch nicht in Sicht, obwohl bereits zwei Verhandlungsrunden
zwischen Bund und Freistaat in dieser Angelegenheit stattgefunden haben. Die Zeit
läuft davon, denn im Mai wird die Osterweiterung der Europäischen Union Realität. Hinken die Vorläufer dann hinterher?
Ende Januar (und damit nach Redaktionsschluss dieser Journal-Ausgabe)
wollte die CDU-Bundestagsfraktion in
der Plenarsitzung Druck machen und die
Regierung auffordern, Ort, Profil und
Ausstattung des Bundeszentrums zu benennen.
Dr. Sylvia Richter
journal
UniVersum | Gremien
Erweiterung der
EU weiterhin
wissenschaftlich
begleiten
Die EU-Osterweiterung wird im Mai Wirklichkeit. Die Forschung hat diesem Ereignis seit langem vorgearbeitet, Daten zusammengetragen, Analysen verfertigt,
Handlungsratschläge formuliert. Hat sich
damit die besondere Funktion der Transformationsforschung sowie historischkulturwissenschaftlicher Langzeituntersuchungen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erledigt? Ist die Stunde gekommen,
über die Fortsetzungsberechtigung von
Sonderprogrammen für die Wissenschaft
laut nachzudenken?
Die VolkswagenStiftung hat seit mehreren
Jahren einen ihrer Förderschwerpunkte
dem Thema „Europa: Einheit in der Vielfalt“ gewidmet und als Durchführungsbedingung die Beteiligung von Wissenschaftlern aus den beforschten Ländern formuliert. Vom 21. bis 23. Januar dachten die in
dieses Programm Involvierten auf einer
Tagung in Leipzig, die am Zentrum für
Höhere Studien vorbereitet wurde, über
Erfahrungen und Defizite eines solchen
Unterfangens nach. Vieles wurde erreicht,
deshalb könnte der oben genannte Verdacht
sogar gestärkt werden. Es zeichnen sich
aber zugleich mindestens zwei Aufgaben
ab, die bleiben werden: Der Prozess der
Europäisierung muss stärker als bisher in
weltgeschichtliche und weltpolitische Zusammenhänge vergleichend eingeordnet
werden, und die Verflechtung der Forschungs- und Ausbildungsszenerien wird
sehr bald über das Niveau individueller
Kooperation hinausgehen müssen. So gesehen, bedarf die wissenschaftliche Begleitung der EU-Osterweiterung noch für
mehrere Jahre besonderer Sorgfalt und
Unterstützung.
Dr. Matthias Middell
Weitere Information zur erwähnten
Tagung im Internet:
www.uni-leipzig.de/zhs/kolloquiumvolkswagenstiftung/
Heft 1/2004
Programm für
Doppelpromotion
Sitzung des Senats am 9. 12. 03
1. Der Rektor begrüßte eingangs als neue
Amtsträger im Kreis des Senats die Prorektorin Prof. Dr. Charlotte Schubert und
Prorektor Prof. Dr. Martin Schlegel sowie
den neugewählten Dekan der Fakultät für
Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften, Prof. Dr. Helmut Loos.
2. Der Senat befasste sich mit Berufungsangelegenheiten; im Einzelnen betraf das
Ausschreibung und Berufungs- bzw. Besetzungskommission für „Deutsch als
Fremdsprache mit Schwerpunkt Kulturstudien und ihre Didaktik“ (C3), „Statistik“ (C3), die Juniorprofessuren „Klinisch
kardiovaskuläre Magnetresonanztomographie“ und „Molekulare Neurophysiologie“
und Berufungsvorschläge für „Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Finanzierung und Investition“ (C4), „Bewegungsund Trainingswissenschaften der Sportarten“ (C4) (Nachfolge von Prof. Kirchgässner), „Biochemie/Molekularbiologie“
(C4), „Anorganische Chemie“ (C3) sowie
Besetzungsvorschläge für die Juniorprofessuren „Finanzmathematik und angrenzende Gebiete“ und „Meteorologie – Fernerkundungsverfahren“. Des weiteren nahm
der Senat die Beendigung des Berufungsverfahrens für „Chirurgie/Schwerpunkt
Hand-, Plastische und Wiederherstellungschirurgie“ (C3) zustimmend zur Kenntnis.
3. Der Senat stimmte mehrheitlich der von
der Philologischen Fakultät und dem Institut für Romanistik beantragten Aufhebung
des Studienganges Magister-Nebenfach
Rumänistik zum Sommersemester 2004 zu.
4. Der Senat stimmte einem interfakultären Programm der Medizinischen Fakultät
und der Fakultät für Biowissenschaften,
Pharmazie und Psychologie zur Förderung
des wissenschaftlichen Nachwuchses zu,
das hochbegabten Studierenden eine Doppelpromotion ermöglicht. Für Studierende
der Medizinischen Fakultät umfasst das
Programm ein vollwertiges Medizinstudium und ein vertieftes biowissenschaftliches Zusatzstudium sowie zwei Promotionen, die medizinische und die naturwissenschaftliche Dissertationsarbeit. Diplo-
mierte oder promovierte Absolventen der
Biowissenschaften absolvieren ein vertieftes medizinisches Zusatzstudium und können den Titel eines Dr. rer. med. erwerben.
Ob gleichzeitig die Titel MD und PhD verliehen werden können, bedarf noch einer
rechtlichen Prüfung.
5. Der Senat lehnte mehrheitlich den Antrag ab, das Institut für Psychologische
Therapie e.V., in dem eine Weiterbildung
von Psychologen erfolgt, als An-Institut an
der Universität Leipzig anzuerkennen.
6. Die studentischen Senatsmitglieder
wählten die vom Studentenrat vorgeschlagenen Politikwissenschafts-Studenten Torsten Preuß und Daniel Röthing als
studentische Mitglieder des Wahlausschusses der Universität.
7. Der Senat stimmte Studien- und Prüfungsordnungen für Erziehungswissenschaftliche Studien in den Lehramtsstudiengängen, für das Nebenfach Niederlandistik und für den Aufbaustudiengang
Master of Science in „urban management“
zu.
8. Der Senat stimmte Änderungen in der
Zusammensetzung der Bibliothekskommission zu, die jetzt im Verantwortungsbereich der Prorektorats für Lehre und Studium liegt, womit der Vorsitz der Kommission von Prof. Wiedemann auf Frau Prof.
Schubert übergeht. Prof. Buskot vertritt
künftig an Stelle von Frau Prof. Beck-Sickinger die Fakultät für Biowissenschaften, Pharmazie und Psychologie; die Studentenschaft wird jetzt von Frau Gullnick
(Fachschaft Medizin) und Frau WöckenerGade (Fachschaft Romanistik/Klassische
Philologie) vertreten.
9. Der Senat stimmte einer von der
Gruppe der studentischen Senatsmitglieder
eingereichten Erklärung zu, in der der Senat die „Bemühungen und das Engagement
der Studierenden für eine adäquate staatliche Finanzierung von Lehre und Forschung“ begrüßt und unterstützt.
Prof. Dr. F. Häuser
Rektor
V. Schulte
Pressesprecher
3
Gremien | Forschung
Personalia
Sitzung des Senats am 13. 1. 04
1. Der Senat behandelte Berufungsangelegenheiten; das betraf Ausschreibung und
Berufungskommission für „Tierhygiene
und Tierseuchenbekämpfung“ (C4) sowie
Ausschreibung und Besetzungskommission für die Juniorprofessuren „NMR-Diffusometrie“ und „Pathobiochemie der
Haustiere“.
2. Der Senat nahm den Antrag der Fakultät für Physik und Geowissenschaften, PD
Dr. habil. Thomas Trautmannn das Recht
zur Führung der Bezeichnung „außerplanmäßiger Professor“ zu verleihen, ebenso
zustimmend zur Kenntnis wie den Antrag
der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, an Prof. Dr.-Ing. Stefan Winter die
mitgliedschaftsrechtliche Stellung eines
Hochschullehrers zu übertragen.
3. Der Senat bestellte den Prorektor für
Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs, Prof. Schlegel, als Mitglied des
Stiftungsbeirates der Universitätsstiftung
Leipzig. Er tritt die Nachfolge seines Vorgängers im Prorektorenamt, Prof. Papp,
an.
Am
Rande
Gleich zu Jahresanfang machte es unter
kulinarischen Köstlichkeiten stets Aufgeschlossenen die Runde: das Elite-Rezept. Man nehme:
1 Generalsekretär
10 Universitäten
100 Millionen Euro
1000 gute Gründe
Zuerst befragt man den Generalsekretär, der einem bestimmt fast alle guten
Gründe nennen kann. Die zehn geeigneten Universitäten sind leider in
Deutschland nicht leicht zu finden, da es
zu einem Engpass an guter finanzieller
Ausstattung gekommen ist, die das Salz
in dieser Suppe darstellt. In der Gourmet-Zeitung „Die Welt“ war allerdings
nachzulesen, dass unter anderem die
Universität Leipzig in Frage käme.
Der verantwortliche Testesser muss eines
der in der Tat vorhandenen Top-Angebote im gut sortierten Leipziger Uni-Sor-
4. Der Senat stimmte der Aufnahme von
Dekan Prof. Loos und dem Studenten
Benjamin Schulz als neue Mitglieder der
Senatskommission Lehre/Studium/Prüfungen zu.
5. Der Senat beschloss Änderungssatzungen zu Studienordnungen für das Studium
der Fächer Sport, Musik und Kunsterziehung für das Lehramt an Grundschulen,
Mittelschulen und Förderschulen.
6. Der Senat stimmte einer Änderung in
der Zusammensetzung des SYLFF-Komitees (Sasakawa Young Leaders Fellowship
Fund) zu: Anstelle von Prof. Papp wird
sein Nachfolger im Prorektorenamt, Prof.
Schlegel, Mitglied des Komitees.
7. Studentenrats-Sprecher
Benjamin
Schulz informierte den Senat über Aktionen im Rahmen des kreativen und konstruktiven studentischen Protests zur Verbesserung der Studienbedingungen, was
vom Senat mit Zustimmung aufgenommen
wurde.
Prof. Dr. P. Wiedemann
V. Schulte
Prorektor
Pressesprecher
timent erwischt haben, um zu diesem
Schluss zu kommen – zugleich aber hat
er offenbar übersehen, dass der Uni
wie allen anderen in Sachsen auch gerade eine heftige Diät verordnet
wurde. Gar im ganzen Lande seien die
Universitäten schon „ausgehungert“,
schrieb das Nouvelle-Cuisine-Organ
„Spiegel Online“. Und wie man weiß,
ist freiheitliches Kochen deutschen Universitäten fremdbestimmungsgemäß
sowieso fremd.
Aber da gibt es ja noch eine entscheidende Zutat, die das Gericht zu einem
Genuss werden lässt: 100 Millionen
Euro kommen bestimmt schnell zusammen. Dazu seien eigentlich nur ganz
viele Köche nötig, hieß es im Januar
aus dem Kochstudio Weimar.
In Kürze kann also angerührt werden.
Mal sehen, wem es schmeckt (Falls
nicht ohnehin die Kostverächter in der
Mehrzahl sein sollten). Kochkünstler raten übrigens: Man sollte noch mit ein
paar Schnapsideen nachwürzen.
Carsten Heckmann
Niemand
muss die
Last allein
tragen
Neue Studie zur
Betreuung von
AlzheimerPatienten
Die Alzheimer Informations- und Beratungsstelle an der Universität Leipzig führt
seit Anfang des Jahres eine Studie durch,
die klären soll, ob die Schulung der Angehörigen von Alzheimer-Patienten die
Hospitalisierung hinauszögert.
Allein in Deutschland leiden eine Million
Menschen an der Alzheimerschen Erkrankung. Die Erkrankung ist zurückzuführen
auf eine Degeneration des Gehirns und
macht sich dadurch bemerkbar, dass komplexe Aufgaben nicht mehr in der gewohnten Art und Weise ausgeführt werden
können und zu einer Überforderung im sozialen oder beruflichen Bereich führen.
Pflegende Angehörige von Alzheimer-Patienten sind besonders großen Belastungen
ausgesetzt, was mit erhöhten Krankheitsrisiken einhergeht.
„Je früher man als Angehöriger lernt, mit
dem kranken Menschen umzugehen, um so
besser kann man später mit Komplikationen und Belastungen fertig werden.“, erklärt Prof. Dr. Hermann-Josef Gertz, der
die Abteilung für Gerontopsychiatrie an der
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie der
Universität Leipzig leitet. Prof. Gertz sieht
den ersten Schritt zur Bewältigung der Probleme im Akzeptieren der Diagnose. „Das
ist deshalb wichtig, weil es im Vorfeld der
Diagnosestellung häufig zu heftigen Spannungen in der Beziehung kommen kann.“
Deshalb sei es immer günstig, die Diagnose
möglichst früh zu stellen.
Der zweite Schritt besteht in einer möglichst umfangreichen Information über
journal
Forschung
die Krankheit. „Das führt oft zum intensiveren Erleben der Zweisamkeit“, meint
Gertz, „denn wir bekommen oft gesagt, ‚So
lange es noch geht, wollen wir das Zusammensein genießen‘, egal ob es den Ehepartner oder ein Elternteil betrifft. Das
kann bei aller Tragik auch sehr befruchtend
sein.“
Wenn dann der Krankheitsverlauf fortgeschritten ist, muss man im dritten Schritt
lernen, mit dem Kranken umzugehen.
„Wichtig“, so Gertz: „Man darf den Kranken nicht erziehen wollen und keinen persönlichen Affront in seinem Verhalten sehen.“ Was man genau tun kann, vermittelt
die Alzheimer Informations- und Beratungsstelle an der Universität Leipzig mit
einem speziellen Schulungsprogramm.
Dort bekommt man kostenlos nicht nur Informationen über die Alzheimer-Krankheit, sondern konkrete Hilfe, angefangen
bei der Betreuung in Einzel- und Gruppengesprächen über Hinweise zum täglichen
Umgang mit dem kranken Menschen bis
zur Beratung zu rechtlichen und finanziellen Ansprüchen. Der Kranke kann mitgebracht werden und wird in dieser Zeit professionell betreut, so dass kein zusätzlicher
Stress aus der Suche nach seiner Betreuung
für diese Zeit erwächst.
Prof. Gertz: „Von großer Bedeutung dabei
ist, dass der Angehörige vermittelt bekommt: Ich bin nicht allein. Außerdem
fördern wir einen gewissen Egoismus insofern, als der pflegende Angehörige erkennen soll, wo seine Grenzen sind, und
wann man den Kranken besser in einem
Heim unterbringen sollte.“
Dr. Bärbel Adams
Wer an der Angehörigenberatung teilnehmen möchte, kann sich bei Dr. Markus
Kiefer unter der Telefonnummer 0341/
9 72 43 04 melden.
Nützt „Alzheimer“
Tieren?
Proteinveränderungen bei
Winterschläfern ähneln Krankheit
Bei der Alzheimerschen Erkrankung verändern sich zwei Proteine im Gehirn, das
Amyloid- und das Tau-Protein. Die Veränderungen des Tau-Proteins führen zu den
sogenannten Tangles, den fibrillären Ablagerungen, die für die Degeneration des
Gehirns bei Alzheimer typisch sind. Seit 10
bis 15 Jahren ist das Tau-Protein stärker in
den Blickpunkt der Forscher gerückt, da
man erkannt hat, dass es durch Überphosphorylierung (Anreicherung von Phosphatresten) wesentlich zu den pathologischen
Veränderungen bei Alzheimer kommt.
Wenn man, wie der Leipziger Neurowissenschaftler Prof. Thomas Arendt, von
einer funktional dynamischen Veränderung
des Gehirns bei Alzheimer ausgeht, liegt es
nahe, nach entsprechenden natürlichen
Modellen in der Welt der Lebewesen zu
suchen. Das ist Prof. Arendt mit den European Ground Squirrels jetzt gelungen. Dabei handelt es sich um kleine Nager aus
dem Mittelmeerraum, die während des
Winterschlafes einen bestimmten Mechanismus entwickeln, um über die nahrungsarme Zeit zu kommen. Sie reduzieren ihren
Energiebedarf um 90 Prozent, wobei alle
Lebensfunktionen in reduziertem Zustand
weiter betrieben werden (Vita minima).
Die Überlegung des Neurowissenschaftlers ging dahin, dass die Reduzierung der
Lebensfunktionen eine Reduzierung der
Hirnaktivitäten einschließen müsse, was
tatsächlich der Fall war. Während des Winterschlafs nehmen die Tiere nicht nur stark
ab, sondern es findet auch ein Abbau im
Gehirn statt, indem bestimmte Synapsen
stillgelegt werden und damit auch die Proteine an den synaptischen Kontaktstellen.
Das war mit Tau-Phosphorylierung verbunden. Nur: Beim Aufwachen aus dem
Winterschlaf erwies sich diese bei den
Squirrels innerhalb von Tagen als reversibel. D. h. die Veränderung des Tau-Proteins
kann offensichtlich ein ganz normaler Vorgang sein, mit dem die Natur gut umgehen
kann. Von seiner Anlage her, ist es offenbar ein nützlicher Zustand, der das Tier
beim Überleben in der nahrungsarmen Zeit
unterstützt, indem es vermutlich Schutzmechanismen stabilisiert und vor dem
Zelltod schützt. Dies wirft ein völlig neues
Licht auf diese Veränderungen bei Alzheimer, da man bisher davon ausgegangen
war, dass es sich um einen das Hirn schädigenden Prozess handelt, den man bekämpfen muss.
Die Experimente sind langwierig, jede
Reihe dauert naturgemäß mindestens ein
ganzes Jahr. Dennoch machen die Forscher
um Prof. Arendt weiter. Jetzt wollen sie die
Mechanismen weiter untersuchen, die zu
diesem Zustand führen und die diesen Zustand umkehrbar machen. „Es gibt viele Ansatzpunkte, die Parallelen zur Alzheimerschen Erkrankung erkennen lassen“, so
Arendt. Es ist letztendlich zu klären, warum ein eigentlich normales zelluläres Programm beim Menschen krankhaft wird.
Die Arbeit zu den Vorgängen im Gehirn bei
den Squirrels ist 2003 im Journal of Neuroscience erschienen. Dr. Bärbel Adams
Weitere Informationen:
www.uni-leipzig.de/~pfi/
Ein Squirrel beim Fressen.
Foto: Medizinische Fakultät
Heft 1/2004
5
Forschung
30 Jahre für
tausendstel Millimeter
Humboldt-Preisträger Douglas Ruthven und
Jörg Kärger erforschen die Diffusion in Zeolithen
Seit September 2003 weilt Professor Douglas Morris Ruthven von der University of
Maine (Orono, USA) an der Fakultät für
Physik und Geowissenschaften. Der halbjährige Forschungsaufenthalt bis April dieses Jahres steht in Zusammenhang mit dem
Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung, der dem 65-Jährigen am
21. Juni 2002 für seine herausragen Leistungen auf dem Gebiet der Zeolithforschung verliehen wurde. Mit dem fünf
Jahre jüngeren Professor Jörg Kärger vom
Institut für Experimentelle Physik I forscht
der Chemieingenieur in Leipzig zur Adsorption und Diffusion in Zeolithen. Seit
Jahrzehnten besteht eine enge Zusammenarbeit zwischen den beiden Wissenschaftlern. 1992 schrieben sie ein wichtiges Standardwerk zur Erforschung von Zeolithen,
wofür sie 1993 gemeinsam den MaxPlanck-Forschungspreis erhielten. Im
Interview mit dem Journal berichten sie
von den Anfängen ihrer Kooperation, vom
Nutzen der Zeolithe und von den Perspektiven der Zeolithforschung.
Professor Ruthven, die Diffusion in Zeolithen ist einer Ihrer Forschungsschwerpunkte. Was sind Zeolithe?
Ruthven: Zeolithe sind poröse Kristalle.
Sie kommen in der Regel nur als winzige
Kristalle von wenigen tausendstel Millimetern Durchmesser vor. Die in ihnen befindlichen Poren sind wiederum um einen
Faktor von mehr als Tausend kleiner, sie
besitzen damit die Größe von Molekülen.m
Man kann Gasgemische und einige Flüssigkeitsgemische trennen, indem man sie
diesem besonderen Material aussetzt. Nur
Moleküle, die klein genug sind, werden
durch die Hohlräume hindurchgelassen, zu
große werden zurückgehalten. Diese Eigenschaft der Zeolithe, auch Formselektivität genannt, ist die Grundlage für einige
wichtige industrielle Prozesse wie die
Trennung von Gemischen und die katalysatorische Stoffumwandlung. Die ChemieProfessoren Einicke, Papp und Wendt haben das im Uni-Journal 6/2003 gut beschrieben.
Prof. Dr. Jörg Kärger und Prof. Douglas Ruthven, Träger des HumboldtForschungspreises, mit einem Zeolith-Modell.
Foto: Carsten Heckmann
6
Welche Bedeutung hat dieser Vorgang
für die Industrie?
Ruthven: Zeolithe werden vor allem in der
Erdölindustrie genutzt. Jede Kraftstoffraffinerie nutzt Zeolithe. Jeder Tropfen Benzin wird durch drei oder vier verschiedene
Zeolith-Katalysatoren „gefiltert“. Die besondere Bedeutung der Zeolithe hierbei resultiert aus der Verbindung ihrer katalytischen und formselektiven Eigenschaften.
Welche anderen Industriezweige nutzen
Zeolithe?
Ruthven: Klimaanlagen stellen ein weiteres Einsatzgebiet für Zeolithe dar. Feuchtigkeit und Temperatur sollen durch diese
Systeme kontrolliert werden. Dies wird
durch den Austausch von hereinströmender
und herausströmender Luft über Zeolithe
erreicht.
Ein anderes Beispiel ist die Gastrocknung.
Alle Wasserpartikel werden aus dem Gas
mit Hilfe von Zeolithen herausgefiltert.
Dies ist besonders wichtig für industrielle
Vorgänge, wo es sehr kalt ist, damit das
Wasser nicht in der Leitung gefriert.
An welchen Projekten arbeiten Sie beide
in Leipzig gemeinsam? Zu welchen Ergebnissen sind Sie bislang gekommen?
Ruthven: Schwerpunktmäßig arbeiten wir
an einer Neuauflage unseres gemeinsamen
Buches „Diffusion in Zeolites and Other
Microporous Solids“. Dies ist die erste
Überarbeitung des Werkes.
Kärger: Eine Neuauflage ist sehr wichtig,
da die Zeolithforschung ein sich immer
noch schnell entwickelndes Feld darstellt.
Ruthven: Daneben forschen wir natürlich
gemeinsam …
Kärger: Wir freuen uns, dass uns die Deutsche Forschungsgemeinschaft ein internationales Graduiertenkolleg zur Diffussion
in porösen Materialien bewilligt hat (siehe
dazu Beitrag auf S. 8). Unter diesen spielen natürlich die Zeolithe eine besondere
journal
Forschung
Rolle, bei der die Zusammenarbeit mit Professor Ruthven von großem Nutzen sein
wird.
Welche Vorteile entstehen aus der direkten Zusammenarbeit vor Ort?
Ruthven: Hier muss ich mich nicht mit
den täglichen Kleinigkeiten befassen, die
bei der Leitung eines Instituts anfallen. In
Leipzig kann ich mich ganz auf meine Forschung konzentrieren. Bezüglich der Zusammenarbeit für das Buch sind direkte
Absprachen und fachlicher Austausch wesentlich unkomplizierter.
Wie kommt es zu einer Zusammenarbeit
zwischen einem Physiker und einem
Chemieingenieur?
Ruthven: Chemieingenieure profitieren
sehr von einer gediegenen physikalischen
Bildung, da die Forschungsinhalte grundlegende Phänomene beschreiben. Die Zusammenarbeit mit Physikern ist daher alles
andere als ungewöhnlich. Naturgemäß besitzen darüber hinaus die Chemieingenieure einen engeren Bezug zur Praxis, zu
Firmen.
Wann begann Ihre Zusammenarbeit?
Ruthven: Wir trafen uns erstmals 1973 in
Ostberlin, wo ich einen Vortrag hielt. Professor Kärger war damals wissenschaftlicher Mitarbeiter in Leipzig. Nach der Vorlesung sprach er mich an. Unsere Unterhaltung endete mit einer Einladung seinerseits nach Leipzig, die ich während der
1970er Jahre mehrmals annahm. Professor
Kärger besuchte mich im Gegenzug in den
80ern in Kanada, wo ich damals tätig war.
Sie durften nach Kanada reisen, Professor Kärger?
Kärger: Man ist zurecht davon ausgegangen, dass ich zu meiner Frau und unseren
vier Kindern, aber auch zu meinen Kollegen und Freunden zurückkehren würde. So
besuchte ich Professor Ruthven ca. zehn
Jahre nach unserem ersten Treffen in Kanada.
Welche Forschungsbedingungen fanden
Sie, Professor Ruthven, bei Ihren Aufenthalten in der ehemaligen DDR vor?
Ruthven: Die Ausstattung mit Untersuchungsgeräten war sehr begrenzt. Es war
erstaunlich, was meine Kollegen alles mit
geringen finanziellen Mitteln auf die Beine
stellten. So sicherten sie die Stromversorgung beispielsweise mit einem Raum voller Autobatterien!
Heft 1/2004
Jahrestagung
der Alexander
von HumboldtStiftung am
21. 06. 2002:
Der Präsident
der HumboldtStiftung, Prof.
Dr. Wolfgang
Frühwald (l.),
verleiht im
Opernpalais
Berlin den
Humboldt-Forschungspreis
an Professor
Douglas
Ruthven.
Foto:
HumboldtStiftung/Lüders
Wie empfinden Sie heute die Bedingungen für die Forschung an der Universität
Leipzig? Sind sie vergleichbar mit Ihrer
Universität in den USA?
Ruthven: Die Bedingungen sind hier wirklich sehr gut. Die nötigen Gelder für Forschungsprojekte werden weitgehend durch
die Regierung, aber insbesondere auch
durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die EU bereitgestellt. Ich bin
sehr beeindruckt von den Vorgängen hier.
Leipzig ist zudem eines der Hauptforschungszentren zur Diffusion in Zeolithen.
Die Situation in den USA scheint mir ungünstiger zu sein. Natürlich gibt es dort
einige sehr gute Forschungszentren und
Universitäten. Doch die finanzielle Seite
funktioniert ganz anders, es fehlt an Kontinuität.
Sie forschen beide seit 30 Jahren zur
Thematik Diffusion in Zeolithen. Dieses
Thema scheint noch immer viele Fragen
aufzuwerfen. Ist da vielleicht eine ErElektronische Zeitschrift gegründet
Seit Anfang Dezember 2003 existiert die
erste wissenschaftliche Zeitschrift zum
Thema Diffusion – im Internet. Das englischsprachige Fachjournal wird gemeinsam von Professor Jörg Kärger von der
Universität Leipzig und Professor Paul
Heitjans von der Universität Hannover herausgegeben. Neben der Veröffentlichung
von wissenschaftlichen Beiträgen zur
Thematik verweist die Zeitschrift auch
auf Aufsätze in wichtigen anderen Fachmedien, die z. T. vollständig oder als
kenntnis denkbar, für die man den Nobelpreis gewinnen könnte?
Ruthven: Professor Richard Barrer, der
Nestor der Zeolithforschung, war in der Tat
von vielen Kollegen für den Nobelpreis
vorgeschlagen worden, doch er starb kurz
vor der Nominierung.
Es ist erstaunlich, dass diese Forschung
schon so lange andauert. Wir versuchten,
Darstellungen durch Modelle zu vereinfachen, aber die Natur funktioniert anders.
Es ist wahrscheinlich etwas komplizierter,
als wir zunächst angenommen hatten. Für
industrielle Prozesse ist es nicht wichtig,
jede Einzelheit über Zeolithen zu wissen.
Doch für die Forschung wäre es ein zusätzlicher Gewinn, wenn wir mehr Details
und Hintergründe verstünden.
Kärger: Mit Prognosen über die Bedeutung der gewonnenen Erkenntnisse wollen
wir lieber so lang warten, bis sie vorliegen.
Interview und Übersetzung aus dem Englischen: K. Märker und C. Heckmann
Kurzfassungen bereits eingesehen werden
können. Weiterhin sind Rezensionen geplant. Unter den zahlreichen Publikationen auf dem Gebiet der Diffusion ist dies
die erste wissenschaftliche Zeitschrift, die
sich ausschließlich mit der Thematik befasst. Professor Kärger unterstreicht insbesondere die elektronische Form. Diese
werde für die Verbreitung von wissenschaftlichen Inhalten in Zukunft immer
wichtiger werden.
K. M.
Das Online-Journal im Internet:
www.diffusion-fundamentals.com
7
Diffusion
in porösen
Materialien
Internationales Graduiertenkolleg nach Leipzig vergeben
In Anerkennung der herausragenden Aktivitäten auf dem Gebiet der Diffusion und
ihrer internationalen Ausstrahlung vergab
die Deutsche Forschungsgemeinschaft
(DFG) jetzt mit 15 anderen Graduiertenkollegs das einzige Internationale Graduiertenkolleg nach Leipzig, an die Abteilung
Grenzflächenphysik des Institutes für Experimentelle Physik I der Universität unter
Leitung von Prof. Dr. Jörg Kärger. Gemeinsam mit den niederländischen Universitäten in Amsterdam, Delft und Eindhoven
wollen die Forscher die „Diffusion in
porösen Materialien“ näher untersuchen.
Allein Leipzig bekommt für die 41/2 Jahre
der ersten Förderperiode rund 1,1 Millionen e, die u. a. für die Bezahlung von
Wissenschaftlern, Verbrauchsmaterial und
Reisen zu den Wissenschaftlerkollegen in
den Niederlanden ausgegeben werden können. Die Förderzeit kann insgesamt neun
Jahre umfassen.
In Leipzig werden sechs von 16 Einzelthemen von sechs Doktoranden und zwei
Postdoktoranden unter Leitung von Prof.
Kärger bearbeitet. „Wir haben mit dem
Projekt Weichen in die Zukunft gestellt“,
erklärt Prof. Kärger. Nun gelte es auch,
neue Formen der Wissenschaftsorganisation zu finden, die um so wichtiger sind, als
Kärgers Abteilung in noch weitere große
Forschungsvorhaben eingebunden ist.
Das Internationale Graduiertenkolleg beschäftigt sich mit dem molekularen Stofftransport (Diffusion) in porösen Materialien. Die Diffusion, also die ungeordnete
Bewegung von Molekülen aufgrund ihrer
Wärmeenergie, ist ein allgegenwärtiges
Phänomen in der Natur und für zahlreiche
technische Prozesse von großer Bedeutung. Wegen der komplizierten Struktur der
porösen Materialien lassen sich ihre Transporteigenschaften nur mit komplexen
Untersuchungsmethoden erforschen. „Wir
arbeiten seit einem Jahr mit dem in dieser
Hinsicht wohl leistungsstärksten Kernspinresonanz-Spektrometer in der Bundesrepublik“, so Kärger. „Damit können wir Materialstrukturen im Nano-Meter-Bereich
untersuchen.“
Seit 1990 fördert die DFG in Graduiertenkollegs besonders qualifizierte Doktorandinnen und Doktoranden in allen wissenschaftlichen Disziplinen. Internationale
Graduiertenkollegs bieten die Möglichkeit
einer gemeinsamen Doktorandenausbildung zwischen einer Gruppe an einer deutschen Hochschule und einer Partnergruppe
im Ausland. Die Forschungs- und Studienprogramme werden gemeinsam entwickelt
und in Doppelbetreuung durchgeführt. Für
die Doktoranden in den beteiligten Gruppen ist ein etwa sechsmonatiger Auslandsaufenthalt bei dem jeweiligen Partner vorgesehen.
Dr. Bärbel Adams
Weitere Informationen:
www.uni-leipzig.de/~gasse/
nysid_a/inst
Oben:
Dipl.-Phys. Christian Chmelik am
IR-Mikroskop
Rechts:
Dipl.-Phys. Johanna Kanellopoulos
beim Probewechsel am NMR-Spektrometer Avance 750
Fotos: Lutz Moschkowitz
8
journal
Forschung
Auf der Suche
nach Proteinstrukturen
Nachwuchsgruppe erforscht Grundlagen
Von Dr. Bärbel Adams
Sie sind auf der Suche nach der Struktur
von Proteinen – die Mitarbeiter der Nachwuchsgruppe „Strukturaufklärung membranassoziierter Proteine mittels Festkörper-NMR“ am Biotechnologisch-Biomedizinischen Zentrum (BBZ) unter Leitung
von Dr. Daniel Huster.
Proteine steuern biologische Prozesse,
letztendlich alle Körperfunktionen der Lebewesen. Viele Krankheiten liegen darin
begründet, dass die Funktion eines Proteins gestört ist – u. U. ausgelöst durch
Veränderungen in seiner Struktur. Dies ist
z. B. bei der Creutzfeld-Jacob-Krankheit
der Fall. Die Aufklärung von Struktur und
Dynamik von Proteinen kann deshalb Aufschlüsse über Krankheiten und Hinweise
für deren Behandlung geben.
Die Proteinstruktur ist der Fingerabdruck
eines Makromoleküls und kann mit verschiedenen Verfahren gewonnen werden.
Die Gruppe um Huster bedient sich der
Festkörper-NMR-Spektroskopie (NMR für
Nuclear Magnetic Resonance). Mit dieser
Methode kann man besonders jene wasserunlöslichen Proteine untersuchen, die in
den Zellmembranen verankert sind und
dort z. B. Rezeptorfunktionen wahrnehmen
oder die Kommunikation zwischen den
Zellen ermöglichen. Die Universität Leipzig verfügt dazu über ein weltweit seltenes
leistungsfähiges NMR-Spektrometer, das
bei einer außerordentlich hohen magnetischen Feldstärke (17.6 T) arbeitet.
Das gleiche Prinzip liegt der KernspinTomografie in der Medizin zugrunde. Jedoch erlaubt es das hohe Magnetfeld bei
der von Huster verwendeten Methode,
neben den Protonen auch alle anderen
Atome eines Biomoleküls zu detektieren.
Dabei wird ein im Vergleich zu dem riesigen Magneten winziger zylinderförmiger
Rotor verwendet, der die Probe mit dem
Membranprotein enthält. Dieser Rotor
wird in einem bestimmten Winkel im Magnetfeld orientiert und rotiert bis zu 35 000
Mal in der Sekunde. Dadurch können gut
Heft 1/2004
aufgelöste NMR-Spektren erzeugt werden.
Dabei gibt jedes Signal z. B. einen bestimmten Kohlenstoffkern im Molekül
wieder. Die Mitarbeiter der Nachwuchsgruppe bestimmen die Abstände zwischen
den Atomkernen und können daraus die
Proteinstruktur ableiten. Die Struktur wird
um so genauer bestimmt, je größer die
Anzahl der gemessenen atomaren Abstände ist. Aus der Struktur des Proteins
sind wiederum Aussagen zu dessen Funktion ableitbar. „Was wir hier machen, ist
reine Grundlagenforschung. Doch wenn
man weiß, wie eine biologische Funktion
durch Strukturveränderungen ausgeübt
wird, ist es möglich, auf diese Funktion
Einfluss zu nehmen“ erkärt Huster. „Und
je mehr ich weiß, desto leichter sind die
Brücken zur anwendungsbezogenen Forschung zu schlagen.“
Für ein anwendungsbezogenes Projekt hat
er gemeinsam mit Partnern kürzlich den
Zuschlag erhalten: Vom Europäischen
Fonds für regionale Entwicklung (EFRE)
wurden rund 600 000 Euro über drei Jahre
für die Entwicklung eines neuartigen Verfahrens zur Herstellung individuellen
Knorpelgewebes zur Verfügung gestellt. In
Kooperation mit Prof. Augustinus Bader,
Inhaber der Professur „Zelltechniken und
angewandte Stammzellbiologie“ am BBZ,
versucht er, biosynthetisch künstliches
Knorpelgewebe herzustellen, das der Natur
möglichst nahe kommen soll. Dazu werden
einem Patienten zunächst Knorpelzellen
entnommen, die dann in einem Bioreaktor
kultiviert werden. Die Knorpelsynthese im
Bioreaktor soll durch NMR-Spektroskopie
verfolgt werden, um die Qualität des Gewebes zu sichern. Damit das möglich ist,
muss ein spezieller Bioreaktor entwickelt
werden, der den gesamten Herstellungskreislauf steril hält und gleichzeitig optimale NMR-Meßmöglichkeiten erlaubt.
Bei bisher angewendeten Verfahren zur Erzeugung künstlichen Knorpelgewebes ist
oft nicht bekannt, ob die Knorpeleigen-
schaften denen des natürlichen Gewebes
wirklich entsprechen. Mit Hilfe der NMR
ist es nun möglich, bestimmte Komponenten zu erfassen, die z. B. die Elastizität des
Knorpels bestimmen. Noch während der
Gewebeherstellung ist also eine ständige
Qualitätskontrolle sowie die Dokumentation des Aufbaus der Knorpelstruktur gewährleistet. Man rechnet sogar damit, genau den Zeitpunkt erfassen zu können, der
am günstigsten für eine Implantation des
neu entstandenen Knorpelgewebes ist.
Den Projektteil Bioreaktor-Entwicklung
und Knorpelzüchtung übernimmt die
Gruppe Bader, die NMR-Kontrollen die
Gruppe Huster. Kooperationspartner an der
Medizinischen Fakultät der Universität
Leipzig sind die Klinik und Poliklinik für
Orthopädie unter der Leitung von Prof.
Georg Freiherr von Salis-Soglio und das
Institut für Medizinische Physik und Biophysik unter Leitung von Prof. Klaus
Arnold sowie in der Industrie die Firmen
Bruker BioSpin GmbH und Bionethos
Alphacells GmbH.
Dr. Daniel Huster (l.) und Ronny Schulz
(Arbeitsgruppe Prof. Bader) mit einem
Prototyp des Bioreaktors vor dem 750MHz-NMR-Spektrometer der Fakultät
für Physik und Geowissenschaften (Arbeitsgruppe Prof. Michel).
Foto: privat
Forschung
Scharfe Differenzierung
Projekt zu Armut und sozialer Sicherung
in Mittel- und Osteuropa
Von Prof. Dr. Rolf Hasse und Dr. Cornelie Kunze, Zentrum für Internationale Wirtschaftsbeziehungen
Die Transformation in Mittel- und Osteuropa wurde von der Bevölkerung dieser
Region nicht nur als Übergang zu Demokratie und Marktwirtschaft angestrebt,
sondern war von Anfang an untrennbar mit
dem Ziel einer umfassenden nachholenden
Modernisierung, einer spürbaren Anhebung des gesamten Lebensniveaus verbunden. Im Hinblick auf die Probleme von
Armut und sozialer Sicherung befanden
sich die Regierungen der mittel- und osteuropäischen Transformationsländer dabei
von Anfang an in einem Dilemma: Transformation als Prozess umfassenden institutionellen Wandels verlangt einerseits einen
Grundkonsens darüber, dass dieser gesellschaftliche Umbruch und Umbau von der
Mehrheit der Gesellschaft gewollt, also
demokratisch legitimiert ist. Auf der anderen Seite hatten die abgedankten staatssozialistischen Regimes mit ihrer extremen
Umverteilungspolitik einen, trotz deutlicher Aushöhlungstendenzen im Verlauf
Im November 2003 fand an der Universität das 17. Leipziger Weltwirtschaftsseminar zum Thema Armut und soziale
Sicherung im Transformationsprozess
der mittel- und osteuropäischen EU-Beitrittsländer: Bestandsaufnahme, Armutsursachen und Armutsbekämpfung statt
mit Beiträgen des Leipziger Finanzwissenschaftlers Thomas Lenk, der Ökonomen Peter Nunnenkamp und Rainer
Thiele (Kiel), Walter Wolf (EU-Kommission für Beschäftigung und Soziales)
sowie Maie Toimet (Tallinn), Janusz
Rowiński (Warschau), Piotr Błędowski
(Warschau) sowie Zoltán Cséfalvay (Budapest) und Tuija Nykänen (Berlin).
Das Seminar fand im Rahmen eines längerfristigen Forschungsprojekts gleichen
Namens statt. Prof. Dr. Rolf Hasse und
Dr. Cornelie Kunze vom Zentrum für
Internationale Wirtschaftsbeziehungen
stellen das Forschungsprojekt vor.
10
der achtziger Jahre, vergleichsweise hohen
Standard sozialer Sicherung geboten, der
weder unter den alten Bedingungen aufrecht zu erhalten war, noch während der
beginnenden Transformation. Im Gegenteil, Armut und soziale Ungleichheit haben
zunächst im Verlauf der Anpassungskrise
stark zugenommen, in den meisten Ländern auch noch danach. Aufgrund der
überlieferten Gleichheitsideale und der
erlebten Gleichheitspolitik und vor dem
Hintergrund der im Transformationsprozess extrem ansteigenden Unsicherheiten
stehen die Bevölkerungen der MOEL der
eingetretenen scharfen sozialen Differenzierung eher ablehnend gegenüber.
Wachsende Armut und soziale Ausgrenzung stellen insofern auch ein politisches
Problem dar, da sie die Zustimmung zum
und die Teilhabe am Transformationsprozess beeinträchtigen oder sogar gefährden
können. Fast alle MOE Regierungen haben
im Verlauf der Transformation immer wieder bestimmte Transformationsziele und
-aufgaben (etwa Privatisierungsaufgaben,
Preisliberalisierung sensibler Güter, Sozialreformen u. a. mehr) zurückstellen müssen, weil die damit einhergehenden sozialen
Härten der Bevölkerung nicht vermittelbar
waren. Sozialausgaben stellen einen erheblichen Anteil der oft unterfinanzierten
Staatshaushalte dar. Wenn es den Transformationsländern in der Vergangenheit gelungen ist, die große Kluft zwischen den sozialen Erwartungen und den eingetretenen
sozialen Ergebnissen auszubalancieren, so
hatte daran die Perspektive des EU-Beitritts
als „Hoffnungsanker“ auf eine für die Gesamtheit der Bevölkerung spürbar erfolgreiche nachholende Entwicklung einen
wesentlichen Anteil.
Bereits jetzt steht fest, dass mit dem Beitritt der acht mittel- und osteuropäischen
Länder 2004 nicht nur ein größeres Wohlstandsgefälle als je zuvor innerhalb der EU
existieren wird, sondern die EU wird durch
den Beitritt auch mit den erheblichen
Armutsproblemen der Transformationsökonomien konfrontiert sein. So wird
gegenwärtig allein für Polen die Zahl der
Armen (Personen in Haushalten mit einer
Ausgabenhöhe, die unter 50% der durchschnittlichen Ausgaben in den Haushalten
liegt), auf etwa 7,2 Mio. geschätzt. Das
bedeutet, dass knapp 19% der polnischen
Bevölkerung unter Armut leiden.
Die EU-Kommission wird darum nicht
umhin kommen, sich eingehend mit dem
Armutsproblem in MOE zu befassen, um
gegebenenfalls eingreifen zu können,
wenn die Belastbarkeit der Sozialsysteme
bzw. der Staatshaushalte in einzelnen
MOE-Ländern – etwa aufgrund weiter steigender Arbeitslosigkeit im Strukturanpassungsprozess – überfordert sein sollte.
Ziel des Forschungsprojekts am Zentrum
für Internationale Wirtschaftsbeziehungen
ist daher eine Bestandsaufnahme der Armut und der breiten Varianten der Armutsbekämpfung in MOE, beginnend mit der
Definition von Armut und der Klärung des
Aumaßes der Armut in einzelnen Ländern,
einzelnen sozialen Gruppen und in bestimmten Regionen. Untersucht werden die
wichtigsten Quellen von Armut in den
Transformationsländern, insbesondere Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne und regionalstrukturelle Problemlagen. Weiterhin sollen die staatlichen Armutsbekämpfungsstrategien dargestellt und auf ihre Effizienz
hin befragt werden. Dabei wird auch die
Situation in Ostdeutschland einbezogen,
das mit einer extrem hohen, durch Transformation und Strukturanpassung bedingten Arbeitslosigkeit konfrontiert ist,
deren Armutsrisiken aber bisher durch aufwändige Maßnahmen sozialer Sicherung
begrenzt wurden. Schließlich soll auch die
Perspektive der Europäischen Kommission
auf die Armutsprobleme und die Armutsbekämpfung in MOE erörtert werden, denn
sie rückt mit der Erweiterung in das Zentrum der Erwartungen, zur Problemlösung
beizutragen.
journal
Forschung
Biotop in Machern: Grün und Biotop –
auf dem Golfplatz Machern kein
Neben-, sondern ein Miteinander.
Ein Bio-Lob
für Golfplätze
Studienprojekt zu Naturschutz
Von Sebastian Beyer, Institut für Geographie
Obwohl sich der Deutsche Golfverband
schon geraume Zeit mit Umweltschutzfragen auseinander setzt, bilden die einzelnen Golfplätze häufig Streitobjekte zwischen Betreibern und Naturschutzverbänden oder engagierten Bürgern. Ein unter
dem Titel „Golfplätze – ökologisch besser
als ihr Ruf“ durchgeführtes Studienprojekt
am Leipziger Institut für Geographie
wollte genau dort ansetzen. Wenngleich die
ökologische Wertigkeit von Golfplätzen
schon mehrfach Thema wissenschaftlicher
Arbeiten war, so konnte die Gruppe um
Prof. Dr. Jürgen Heinrich (Professur für
Physische Geographie und landschaftsbezogene Umweltforschung und selbst kein
aktiver Golfer) bei ihren Untersuchungen
die regionalen Aspekte der Clubs im Leipziger Umland besser berücksichtigen. Den
Schwerpunkt der Arbeiten auf den Clubanlagen in Machern, Noitzsch und Seehausen bildete die Betrachtung der Geokomponenten Klima, Boden, Wasser und
Biosphäre.
Für die Komponente Klima sind die Auswirkungen der Golfanlagen auf die Frischluftzufuhr der angrenzenden Siedlungsgebiete einer der wesentlichen Gesichtspunkte. Mit Hilfe von Klimamessungen
und dreidimensionalen Landschaftsmodellen konnten am Computer die potentiellen
Luftströme modelliert werden. Die relativ
ebene Struktur der Golfplätze und die
vielen Wasserflächen haben sich dabei als
Heft 1/2004
unterstützend für den Frischlufttransport
herausgestellt.
Für die Bodenanalytik wurden jeweils Proben auf den Golfplätzen und den angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen genommen. Abgesehen von den Grüns und
Abschlägen – den am intensivsten genutzten Flächen – konnten kaum Veränderungen im Bodenaufbau gefunden werden.
Auch beim Thema Stickstoffaustrag
schneiden die Spielflächen überwiegend
besser ab als die Ackerflächen der Umgebung – ein Beleg für den fachgerechten
Einsatz von Dünger seitens der Clubverantwortlichen.
Diese Ergebnisse decken sich auch mit
denen der Wasseranalytik, die bei der
Untersuchung der Oberflächengewässer
keine Belastungen feststellen konnte. Verglichen mit den monotonen Ackerflächen
früherer Tage stellen die neu angelegten
Teiche zusätzlich eine landschaftliche und
biotische Aufwertung dar.
Die genauere Betrachtung der Biotopausstattung vollzog sich in zwei Schritten:
Luftbildinterpretation und Begehung. Da
für die drei Untersuchungsgebiete kein
aktuelles Kartenmaterial vorhanden war,
sind zuerst die verschiedenen Golfplatzelemente mit Hilfe von Luftbildaufnahmen
kartiert worden. Anschließend erfolgte vor
Ort die detaillierte Aufnahme von Flora
und Fauna. Wie zu erwarten zeigen die
direkten Spielelemente eine sehr monotone
Artenausstattung. Die Randbereiche, das
so genannte Rough, sind hingegen durch
eine Vielzahl von unterschiedlichen Biotopen geprägt. Zahlreiche Hecken, Gebüschinseln und Streuobstwiesen schaffen
neuen Lebensraum für Vögel und Insekten
auf den einst kargen Ackerflächen.
Für die Golf-Skeptiker unter der Leserschaft mögen diese Ausführungen nicht
das Argument des „Elitensportes“, des
„Flächenverbrauches für eine kleine Nutzerschicht“ entkräften. Aber Sie sollten
bedenken, dass es sich bei allen drei Golfanlagen um Umwandlungen ehemaliger
Ackerflächen handelt und selbige neben
ihrer geringen Biodiversität auch keinen
Beitrag zur öffentlichen Naherholung dargestellt haben.
Zusammenfassend können wir den Golfplätzen in der Kulturlandschaft um Leipzig
einen nicht zu vernachlässigenden Beitrag
zur Erhöhung der Biotoptypenvielfalt bescheinigen. Insbesondere für intensiv genutzte Ackerflächen stellen sie eine gute
Nutzungsalternative dar.
Interessenten können den Bericht zum
Studienprojekt im pdf-Format auf
CD-ROM erhalten. Anfragen bitte an:
[email protected]
Bodenprofil: Der überwiegende Teil der
Spielflächen erfährt keinen Bodenaustausch – lediglich eine dünne Rasentragschicht wird aufgebracht.
Fotos: Müller
11
Forschung | Fakultäten und Institute
Molekulare Anatomie
Kooperation
mit Fraunhofer
Institut wird
ausgebaut
Mit der Ernennung von Prof. Jürgen Borlak zum Honorarprofessor für Molekulare
Anatomie an der Universität Leipzig wird
eine bereits fruchtbare Zusammenarbeit
zwischen dem Fraunhofer Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin
(ITEM) Hannover fortgesetzt und ausgebaut. Die Leipziger und Hannoveraner
haben gemeinsam ein Verfahren für eine
DNA-Analyse von Gewebeproben fehlgebildeter menschlicher Herzen entwickelt,
die über vierzig Jahre in Formaldehydlösung konserviert waren. Dabei entdeckten sie charakteristische Muster jener Faktoren somatischer Genmutationen, die für
die Übertragung der in einem Gen gespeicherten Informationen verantwortlich sind.
Diese Transkriptionsfaktoren wurden bei
Defekten der Scheidewand des Herzvorhofs und der Herzkammer gehäuft beobachtet. Die Befunde lassen zu, über die
Entwicklung eines klinischen Vorsorgetests zu spekulieren. Weitere gemeinsame
Forschungsvorhaben zwischen der ITEM
und der Leipziger Anatomie betreffen das
dysfunktionelle Endothel, den Mechanismus der Apoptose im Ovar sowie transgene Tiermodelle für die Entstehung von
Leber- und Lungentumoren.
Jürgen Borlak wurde 1958 in Neu-Ulm/
Bayern geboren. Er studierte von 1978 bis
1989 Biochemie, Physiologie und Agrarwissenschaften in Kassel und in Reading/
Großbritannien. Von 1989 bis 1990 untersuchte Jürgen Borlak als Postdoktorand bei
der Britischen Gesellschaft für Krebsforschung die molekularen Mechanismen der
Brustkrebsentstehung durch Xenobiotica.
Von 1990 bis 1992 leitete er die Arbeitsgruppe Pharmakogenetik am Marion Merrel Dow Forschungszentrum, Straßburg/
Frankreich, und war danach bis 1998 Abteilungsleiter der Präklinischen Pharmakokinetik und Metabolismusforschung. Seit
1999 ist Borlak Bereichsleiter für Pharmaforschung und Medizinische Biotechnologie am ITEM. Die Medizinische Hochschule Hannover hat ihn zum C4-Professur
für Pharmako- und Toxikogenomik berufen.
B. A.
12
Zwischen Lexikon
und Text
Wortbildung als Thema
für die Germanistik
Am Institut für Germanistik gibt es in diesem Wintersemester die Möglichkeit, sich
im Bereich Lexikologie mit der Nomination im Deutschen und im Bereich Wortbildung mit der Wortbildung des Verbs
intensiv zu beschäftigen. Von Veranstaltungen zu diesen Themenbereichen kennen
wir Studierende der Universität Leipzig
Prof. Dr. Irmhild Barz. Wortbildung ist
Thema an der Leipziger Universität und so
nimmt man sicher des Öfteren das Studienbuch „Wortbildung der deutschen
Gegenwartssprache“ von Fleischer/Barz
zur Hand – ein Buch mit Geschichte, das
wohl jedem Germanistikstudenten ein Begriff sein dürfte.
Seinen Anfang nahm diese Veröffentlichung unter Wolfgang Fleischer – einem
Schüler des bekannten Leipziger Philologen Theodor Frings. Als erste synchron
orientierte Wortbildungslehre erschien das
Buch 1969 in Leipzig. Damit leistete Wolfgang Fleischer einen wichtigen Beitrag zur
modernen Sprachwissenschaft, die in den
letzten Jahrzehnten tief greifende Veränderungen erfuhr. Sie machte sich ausgehend
von mediävistischer Philologie die Gegenwartssprache zum zentralen Gegenstand,
um Aufbau und Funktion von Sprache bzw.
Anlässlich des 60. Geburtstages von
Prof. Dr. Irmhild Barz fand im vergangenen Oktober in Leipzig ein interdisziplinäres und internationales Kolloquium
zum Thema „Zwischen Lexikon und Text
– lexikalische, textlinguistische und
stilistische Aspekte“ statt. Die von Prof.
Dr. Ulla Fix und Dr. Marianne Schröder
geleitete Tagung wurde vom Institut für
Germanistik der Universität Leipzig, von
der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und vom Lehrstuhl
für Deutsche Sprachwissenschaft der
Universität Augsburg veranstaltet.
Sprachen zu beschreiben und zu analysieren. Wolfgang Fleischer hat diese Entwicklung u. a. im Bereich der Wortbildung
maßgeblich bestimmt und nach zahlreichen Neuauflagen des Buches publizierte
er 1990 zusammen mit Irmhild Barz eine
vollständige Neufassung „Wortbildung der
deutschen Gegenwartssprache“.
Prof. Dr. Barz führt diese Leipziger Tradition der Wortbildungsforschung am Lehrstuhl für Lexikologie und Wortbildung fort.
Nicht umsonst eröffnete Prof. Dr. Wolf aus
Würzburg seinen Vortrag beim Kolloquium anlässlich des 60. Geburtstags von
Irmhild Barz mit dem Satz „Wir sind hier
in Leipzig zusammen gekommen, um zu
barzeln.“ Auf unterhaltsame Weise wurde
die Bedeutung dieses ungewöhnlichen,
scherzhaft verwendeten Verbs erläutert:
Die Zuhörer sollten bescheiden versuchen
dürfen, sich wie Prof. Dr. Barz zu verhalten.
Sprecher brauchen Wortneubildungen in
Texten, um etwas, was sie sich ausgedacht
haben und was sie ausdrücken wollen, auf
den Punkt zu bringen. Während Sätze und
Texte nicht Begriffe, sondern Situationen
oder Ausschnitte aus Welten benennen,
leisten Wörter etwas Besonderes. Sie bieten – so ökonomisch und präzise wie keine
andere sprachliche Struktur – die Möglichkeit, einen neuen Begriff in Texte bzw.
Situationen einzuführen. Sie machen ihn
kommunizierbar.
Auf welche Weise diese Möglichkeit praktisch umgesetzt werden kann und von welchen Bedingungen die Wahl der Bildungsverfahren und die Verständlichkeit der
neuen Wörter bestimmt wird, das sind Themen, mit denen man sich als Student gern
auseinandersetzt.
Claudia Telschow,
Institut für Germanistik
journal
Fakultäten und Institute
Zeichen der
Integration setzen
Sozialpädagoge erarbeitete
Kinder- und Jugendbericht mit
Der Sächsische Kinder- und Jugendbericht steht auf der Internetseite des
Staatsministeriums für Soziales (Unterpunkt „Kinder und Jugendliche“) zum
Download zur Verfügung:
www.sms.sachsen.de
Heft 1/2004
Im Oktober 2003 wurde der Öffentlichkeit
durch die Staatsministerin für Soziales,
Helma Orosz, der zweite Sächsische Kinder- und Jugendbericht vorgestellt. Der
Bericht wurde in zweijähriger Arbeit von
einer unabhängigen Expertenkommission
erstellt, der Vertreter aus dem Hochschulbereich und der Praxis angehörten. Für die
Universität Leipzig arbeitete Prof. Dr.
Christian v. Wolffersdorff (Lehrstuhl Sozialpädagogik in der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät) in der Berichtskommission mit.
Der Auftrag der Landesregierung bezog
sich – erstmals seit 1990 – auf die Erstellung eines „Gesamtberichts“ über die Lebenssituation junger Menschen in Sachsen
sowie die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe. Um der Erwartung gerecht zu
werden, dabei zu allen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe begründete Aussagen
zu machen, mussten von der Kommission
sowohl Daten aus den verfügbaren Quellen
des Statistischen Landesamts als auch
fachliche Informationen über den Entwicklungsstand unterschiedlichster Praxisbereiche gesammelt und ausgewertet werden.
Eine Reihe von Expertisen, die vom Sächsischen Staatsministerium für Soziales
demnächst als Ergänzungsband zum Berichtstext veröffentlicht werden, vervollständigen die Datengrundlage, mit der die
Kommission gearbeitet hat.
Der erste Teil des Kinder- und Jugendberichts befasst sich mit den Lebensverhältnissen und Sozialisationsbedingungen junger Menschen in Sachsen, betrachtet also
die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Aufwachsens sowie des Wandels
von Lebenslagen, familialen Lebensformen und Geschlechterverhältnissen. Informationen über Erwerbsarbeit, Einkommen
und Armut, zum Bildungs- und Ausbildungssystem, über Jugend und Medien
sowie zur gesundheitlichen Situation von
Kindern und Jugendlichen in Sachsen
schließen sich an.
Der zweite Teil gibt einen Überblick über
die Struktur und Ausstattung der Kinderund Jugendhilfe im Freistaat, wobei neben
Fragen der Organisation und Finanzierung
eine ausführliche Darstellung ihres Leistungsspektrums im Mittelpunkt steht.
Probleme der Betreuung in Kindertagesstätten kommen hier ebenso zur Sprache
wie Familienförderung, Jugendarbeit, Jugendschutz und das stark ausdifferenzierte
Feld der Hilfen zur Erziehung, das heute
sowohl präventive Aufgaben der Beratung
als auch Familienhilfe, Krisenintervention
und Heimerziehung umfasst.
Der dritte Teil des Berichts folgt der These,
dass wesentliche Aufgaben von Erziehung,
Bildung und Betreuung sich heute als
Querschnittsaufgaben stellen, also die
systematische Zusammenarbeit verschiedener Institutionen erforderlich machen.
Angesichts der aktuellen bildungspolitischen Diskussion kann dieses Erfordernis
am Beispiel der Kooperation von Jugendhilfe und Schule besonders gut verdeutlicht
werden, die trotz beträchtlicher Fortschritte
noch immer stark verbesserungsbedürftig
ist. Aber auch bei Problemfeldern wie
Gesundheit und Suchtprävention, Kriminalität, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt
handelt es sich, wie der Bericht deutlich
macht, um Querschnittsaufgaben, bei deren Bewältigung es um das abgestimmte
Zusammenwirken von Akteuren geht, die
in der Vergangenheit oft genug nebeneinander her gearbeitet haben.
Insgesamt ging es der Kommission darum,
mit ihrem Bericht für ein Verständnis von
Kinder- und Jugendhilfe zu werben, das
den Erfordernissen einer modernen sozialen Infrastruktur verpflichtet ist und jungen
Menschen Beteiligung ermöglicht. Soziale
Arbeit kann sich nicht heute nicht mehr
darauf beschränken, eine Notfallagentur
oder ein Reparaturbetrieb für gesellschaftliche Defizite zu sein – obwohl ihr im
Zeichen der Sparpolitik und des Abbaus
sozialer Leistungen eben diese Funktion
wieder verstärkt zugeschrieben wird. Vielmehr muss sie versuchen, Zeichen der Integration zu setzen und Verantwortung für
die Gestaltung des Sozialen übernehmen.
Denn angesichts fortschreitender Erosionserscheinungen in ihrer Lebenswelt
sind Kinder und Jugendliche heute mehr
denn je darauf angewiesen, dass die Gesellschaft ihnen verlässliche Rahmenbedingungen für ihr Aufwachsen schafft und
eine positive Identifikation mit den Werten
einer demokratischen Gesellschaft ermöglicht. Prof. Dr. Christian von Wolffersdorff
13
Fakultäten und Institute
Wo Deutsche dünne Bretter
bohren, pflücken Kubaner
tief hängende Mangos
Im Gespräch mit Gerd Wotjak über die Tagungen
zum romanisch-deutschen Sprachvergleich
Von Volker Schulte
Im Oktober 2003 fanden zwei internationale Linguistik-Tagungen an der Universität Leipzig statt, die eng mit dem Namen
von Prof. Dr. Gerd Wotjak vom Institut für
Angewandte Linguistik und Translatologie verbunden sind. Beide hat der 62-Jährige initiiert und über die Jahrzehnte
begleitet: seit 1978 den Kongress zur
hispanistischen Linguistik (jetzt der
sechste) und seit 1987 die Arbeitstagung
zum romanisch-deutschen und innerromanischen Sprachvergleich (jetzt die
fünfte). Die sich am Horizont abzeichnende Emeritierung Gerd Wotjaks (2007)
und der zeitliche Rhythmus der Tagungen
brachten es mit sich, dass er anno 2003
seine akademischen Kinder zum letzten
Mal betreut hat. Dies wiederum hat die
Zahl der Teilnehmer und Beiträge in bisher
nicht gekannte Höhen schießen lassen: Bei
der hispanistischen Linguistik hat sich die
Teilnehmerzahl verdreifacht, darunter
allein 100 Wissenschaftler aus Spanien,
und beim Sprachvergleich hat sie sich
mehr als verdoppelt.
Dass der Sprachvergleich in der Ausbildung von Übersetzern und Dolmetschern
eine wichtige Rolle spielt, liegt auf der
Hand. Wie soll man sonst Gemeinsamkeiten und Unterschiede, etwa zwischen
romanischen Sprachen und der deutschen
Sprache, herausfinden? Und wer sollte
dazu besser berufen sein als Germanisten
aus romanischen Ländern und Hispanisten
oder Französisten aus deutschsprachigen
Ländern, wie sie sich traditionell auf den
Leipziger Konferenzen zum Sprachvergleich treffen?
Dabei geht es nicht darum, wie Professor
Wotjak betont, aus den Vergleichen völkerpsychologische und Mentalitätsspezifika
abzuleiten. Den Wissenschaftlern geht es
vielmehr um nachweisbare Resultate auf
den sachlicheren Gebieten der Lexik, Phonetik oder Syntax. Und diese sprachwissenschaftliche Forschungsarbeit ist spannend genug!
Unterschiede lassen sich jedenfalls nicht in
Rankings von „fortschrittlicheren“ oder
„intelligenteren“ Sprachen erfassen; sie
alle sind gleichwertig und orientieren sich
jeweils an den Bezeichnungsbedürfnissen
einer Sprachgemeinschaft. Aus der Tatsache, dass es im Deutschen mehr spezifi-
sche Bezeichnungen zum Beispiel zur
Fortbewegung gibt als im Französischen
oder Spanischen und dass in diesen Sprachen keine rechten Entsprechungen zu unserem „Gemüt“ und zu unserer „Gemütlichkeit“ existieren, kann keineswegs geschlossen werden, dass die Deutschen konkreter denkende und gefühlvollere
Menschen sind. Das wäre absurd oder einfach nur anmaßend.
Die Leipziger Konferenzen haben sich
dabei weniger mit der Phonetik, wo es im
Deutschen 25 bedeutungsunterscheidende
Laute gibt, im Spanischen etwa 20 und im
Französischen rund 30, befasst, sondern
vor allem mit Textvergleichen auf dem Gebiet der Lexik, also dem Wortschatz einer
Sprache, und auf dem Gebiet der Syntax,
also der in einer Sprache üblichen Verbindung von Wörtern zu Wortgruppen und
Sätzen.
Zum letzteren Punkt, so Prof. Wotjak,
wurde ermittelt, dass in Bezug auf die im
Deutschen vorherrschenden Substantivkonstruktionen in französischen und spanischen Texten eine Aufholtendenz zu verzeichnen ist. Das ist u. a. auch mit den umfangreichen Textproduktionen der EU zu
erklären, insbesondere solchen zur Gesetz-
gebung und deren Übersetzung in zahlreiche Sprachen. Wie von jeder Übersetzung
eine normierende Kraft ausgeht, so umso
mehr, wenn Maschinenübersetzungssysteme am Werk sind. Fällt doch den Maschinen ihre Übersetzungsarbeit umso
leichter, je normierter die Formulierungen
sind. Darauf hat sich die EU-Verwaltung
eingestellt.
Von diesem Punkt ist es nur ein kleiner
Schritt zu den sprachlichen Folgen der Globalisierung, die ebenfalls auf den Leipziger
Tagungen thematisiert wurden. Was die
Anglizismen betrifft, da sieht Gerd Wotjak
„kein besonderes Bemühen, sie durch
deutsche Entsprechungen zu ersetzen“. Im
Französischen, aber auch im Spanischen ist
das etwas anders. In Frankreich überlässt
man das keineswegs dem Selbstlauf, seit
Mitte der 70er Jahre wird das Französische
sogar per Gesetz geschützt, ohne dass dies
Ergebnisse gebracht hätte, wie man sie sich
erhoffte. Immerhin wurde im französischen und teilweise auch im spanischen
Sprachraum der Omnipräsenz des Englischen, beispielsweise in der Informatik,
mit eigenen Bezeichnungen (zum Beispiel
für E-Mail, PC, Software) etwas entgegengesetzt.
14
Dem Thema des romanisch-deutschen
Sprachvergleichs widmet sich auch der
nachfolgende Beitrag, der aus einem Gespräch mit Prof. Wotjak entstand.
journal
Fakultäten und Institute
Aber nicht den „Luxusentlehnungen“ aus
dem Englischen, mit denen sich die Sprecher oder Schreiber ein größeres Prestige
versprechen, bereiten Professor Wotjak
Sorge, schon eher die Tendenz, dass das
Englische ganze Kommunikationsbereiche
des Deutschen, so in der Wissenschaft,
verdrängt. Dass da auch ganz handfeste
ökonomische und politische Interessen
eine Rolle spielen, mag aus der Tatsache erhellen, dass das Mutterland des Englischen
aus der Vermittlung seiner Sprache mehr
Gewinn erzielt als durch andere Produktionsbereiche. Andererseits, und auch
darauf verweist unser Gesprächspartner,
steht die Dominanz einer Sprache auch in
einem Zusammenhang mit der Leistung eines Landes auf dem jeweiligen Wissenschaftsgebiet. So werden zum Beispiel
Deutschkenntnisse erforderlich in der klassischen Philologie oder auf einem bestimmten Gebiet der Sprachwissenschaft,
der Phraseologie, wo vorwiegend in
Deutsch publiziert wird.
Mit der Phraseologie, der
Beschäftigung mit Redensarten und Sprichwörtern, ist
ein weiteres Feld des Sprachvergleichs gegeben. Zumeist
vor vielen Jahrhunderten
entstanden, nicht selten auch
über die Bibel verbreitet, offenbaren sich hier tatsächlich
in expressiver, bildhafter
Weise kulturelle Spezifika
der Sprachbenutzer. Über
den kleinen Unterschied
zwischen „Von Kopf bis
Fuß“ (Deutsch) und „Von
Fuß bis Kopf“ (Spanisch)
muss man nicht weiter philoProfessor
sophieren, eher schon darüber, dass der Spanier häufig
von „Seele“ spricht, wo der
Deutsche „Herz“ sagt. Dass
im Deutschen Fehlanzeige ist, wo im Spanischen die Phraseologismen blühen, nämlich im Umfeld des Stierkampfs, kann niemanden überraschen. Wo der Deutsche den
bequemsten Weg im „Dünnbrettbohren“
charakterisiert, verwendet der Spanisch
sprechende Kubaner das Bild vom „Pflücken tief hängender Mangos“. Wird im
Deutschen „Das Geld aus dem Fenster geworfen“, wird im Spanischen sogar „Das
Haus durch das Fenster geworfen“. Allen
gemeinsam ist aber die Tendenz, dass die
Verwendung von Phraseologismen zurückgeht, insbesondere in den Großstädten. Das
gilt in ähnlicher Weise auch für die VerHeft 1/2004
wendung von Sprichwörtern, in denen sich
Volksweisheit verdichtet vorfindet. Dabei
spielt auch eine Rolle, dass das Waffengeklirr und die latente Frauenfeindlichkeit,
wie sie in den aus dem Mittelalter herkommenden Sprichwörtern aufklingen,
heutigem Weltverständnis nicht mehr entsprechen. Interessant ist auch zu untersuchen, welche phraseologischen Wendungen idiomatischer Natur sind wie zum Beispiel im Deutschen die merkwürdigen Formulierungen „Kohldampf schieben“ oder
„Jemandem einen Bären aufbinden“.
In dem Versuch eines Resümees: Die Sprachen existieren nie unabhängig voneinander; Übernahmen oder Ableitungen auf
dem Gebiet des Wortschatzes stellen immer dann eine Bereicherung dar, wenn sie
nicht existenzgefährdend für die aufnehmende Sprache werden. Ohnehin geringer
ist der Einfluss in der Syntax. Als angloamerikanischer Sprachstil gilt die Bevorzugung von kurzen Sätzen. Leserfreund-
prägte Höflichkeit im Umgang miteinander. Stattdessen wird diese nur sprachlich
anders strukturiert und kann differenzierter
ausgedrückt werden. Missverständnisse
sind leicht möglich, wenn man das nicht
beachtet. Da es beispielsweise einem Spanier aus Gründen der Höflichkeit schwer
fällt, ein krasses Nein zu sagen, wird er
vielleicht antworten: „Ich werde noch einmal darüber nachdenken.“ Wenn darauf
nichts weiter erfolgt, mag der Deutsche
daraus den Schluss ziehen, dass hier etwas
versprochen wurde, was dann doch nicht
eingehalten wurde. Der Spanier dagegen,
wenn er darauf angesprochen wird, wird
bei sich denken: Wie unsensibel und unhöflich, danach zu fragen.
Für den Übersetzer ist es allerdings wichtig, die Unterschiede ebenso wie die Gemeinsamkeiten zu kennen und entsprechend darauf zu reagieren. Auf diese Weise
Grundlagen für ein schnelleres, auch computergestütztes Übersetzen zu schaffen und
damit für eine praktische Anwendung, ist ein wichtiges
Anliegen der Leipziger Tagungen zum Sprachvergleich. Hier gewonnene Erkenntnisse können sich u. a.
in verbesserten, das heißt
auch terminologisch vereinheitlichten Wortschatz-Datenbanken, in der Erstellung
maschinenlesbarer Textkorpora oder kombinatorischer
Wörterbücher niederschlagen.
Versucht man ein Fazit, so
könnte man mit Professor
Gerd Wotjak sagen: Durch
den Sprachvergleich wird die
Dr. Gerd Wotjak
Foto: Armin Kühne
Zunahme von Gemeinsamkeiten, zumindest im Wortschatz, deutlich. Dies bildet
einen geeigneten Ausgangslichkeit ist erstes Gebot: möglichst nach punkt, um die Bereitschaft zum Erlernen
sieben Worten ein Punkt. Der „teutoni- fremder Sprachen und deren gleichberechsche“ Stil ist eher schreiberorientiert. Die tigten Gebrauch als eine realistische AlterSätze sind sehr viel länger. Hier sind auch native zu einer englischen Einheitssprache
Spanier und Russen anzusiedeln. Beim zu fördern.
„gallischen“ Stil wird das Augenmerk vor Die Aneignung zumindest von ausgewählallem auf Abwechslung und Brillanz ge- ten europäischen Sprachen mittels moderlegt.
ner Sprachlernprogramme, wie sie – unter
Schon noch etwas stärker auf das Glatteis Nutzung von Sprachkenntnissen in einer
von Mentalitätsunterschieden gerät man, romanischen/slavischen Sprache für das
wenn man sich dem Thema Höflichkeit zu- Verstehen weiterer Sprachen aus diesen
wendet. Wenn in einer Sprache das Wort Familien – ja bereits im Internet angeboten
„bitte“, etwa im Spanischen, weniger ge- werden (so als InterComRom bzw. Interbraucht wird als in einer anderen, so be- ComSlav) wäre hierfür die notwendige
deutet das keineswegs eine weniger ausge- Voraussetzung.
15
Fakultäten und Institute
Sprachen als
Ressourcen nutzen
Erfolgreiche Afrikanistik-Initiative
Von Prof. Dr. H. Ekkehard Wolff, Institut für Afrikanistik
Von den ca. 6 000 auf der Erde heute noch
gesprochenen Sprachen findet sich etwa ein
Drittel in Afrika. Die Zahl der Sprecher
schwankt im Einzelfall zwischen 50 Millionen und wenigen hundert Menschen. Unabhängig von der Zahl der Sprecher verkörpert die Sprache deren geistiges Kulturerbe;
rhetorische Meisterschaft in der Sprachverwendung ist ihnen ein hohes kulturelles
Gut, zugleich Quell der Freude, Identifikation und Maßstab menschlicher Reife. Einschränkungen der Sprachverwendung berühren fundamentale Menschenrechte, die
Identität von sozialen und kulturellen Gruppen, sowie die Selbstverwirklichung des
Einzelnen. Sprache ist ein entscheidender
Faktor für Effizienz oder Ineffizienz in Bildungssystemen. Sprache fördert Partizipation und Demokratie ebenso wie die erfolgreiche Bekämpfung von Unterentwicklung
und Massenarmut.
In den letzten zehn Jahren hat ein Paradigmenwechsel die Afrikanistik erfasst, dem
in Leipzig in Forschung und Lehre sowie
durch internationale Wissenschaftskooperation, zumal mit Partnern in Afrika, Rechnung getragen wird. Dies geschieht in
einem innovativen Studienschwerpunkt
mit Fokus auf Soziolinguistik, EthnolinAnlässlich seiner Mitgliederversammlung am Rande des 16. Afrikanistentages
(25.–27. 9. 03) an der Universität Leipzig
hat der Fachverband Afrikanistik eine
Initiative der Leipziger Afrikanisten aufgegriffen, einen innovativen Studienschwerpunkt „Angewandte Afrikanistik“
im Kernangebot aller neuen afrikanistischen Bachelor- und Master-Studiengänge zu verankern. Der Schwerpunkt
wurde in Leipzig entwickelt und ist seit
einigen Jahren Teil des hiesigen Studienangebots. Die Initiative soll von einer
Arbeitsgruppe unter dem Leipziger Afrikanisten Dr. Gerald Heusing, der Prof.
Ekkehard Wolff im Vorstand des Fachverbandes ablöst, generalisiert und zur Umsetzung anderenorts empfohlen werden.
16
guistik, und Aspekten einer „Angewandten
Afrikanistik“ (Sprachstandardisierung und
Sprachtechnologie,
MultilingualismusManagement in Schul- und Berufsbildung,
aber auch Dokumentation bedrohter Sprachen etc.), wie er in dieser Form ohne Vorbild ist. Kern des Paradigmenwechsels ist
die Wahrnehmung von indigenen Sprachen
nicht länger nur als Gegenstand einer abstrakten Sprachwissenschaft oder als „exotische“ Hervorbringungen menschlichen
Geistes, sondern als wesentliche Ressourcen für erfolgreiches soziales, politisches
und wirtschaftliches Handeln. Dabei kommen den Erst- oder Muttersprachen als
„Ressource“ für die Entwicklung des Einzelnen im Rahmen einer vollständigen
soziokulturellen Sozialisation eine besondere Bedeutung zu.
In Afrika, unter den Bedingungen eines
ausgeprägten Multilingualismus, bedeutet
dies die komplementäre Nutzung aller
dem Sprecher verfügbaren linguistischen
Ressourcen. Dies betrifft nicht nur die in
der Mehrheit der Bevölkerung nur unzureichend beherrschten Amtssprachen Englisch, Französisch oder Portugiesisch. Es
betrifft vor allem Hunderte von lokalen
Sprachen sowie die regionalen Verkehrssprachen, indigene und importierte. Hinzu
kommen new urban vernaculars, wie sie
etwa in Abidjan oder Nairobi als kreative
Mischungen lokaler und importierter Sprachen von Jugendlichen als bevorzugtes
Kommunikations- und Identifikationsmedium verwendet werden.
Der Paradigmenwechsel reagiert auf
sprachsoziologische Umbrüche, die einhergehen mit politischer Dezentralisierung
und Globalisierungskritik, durch die lokale
Handlungs- und indigene Kommunikationsstrategien an Bedeutung gewinnen.
Orthographieentwicklung, Alphabetisierung, Publikations- und Sendetätigkeit in
den lokalen Sprachen nimmt zu. Die Annahme, Hunderte von sog. „Stammessprachen“ würden bald zugunsten des
Englischen oder Französischen „ausster-
ben“, erfüllt sich nicht – im Gegenteil, deren Sprecherzahlen steigen aufgrund der
demographischen Entwicklung an, wenn
auch einzelne Sprachen akut von „Sprachtod“ betroffen sind. Immer mehr Menschen
erkennen die Unverzichtbarkeit, neben
dem Erlernen der jeweiligen Amtssprachen
zugleich dem Erst- bzw. Muttersprachunterricht zumindest in der Grundschule
allgemeine Verbreitung einzuräumen. Wie
soziolinguistische Forschungen in Afrika
beweisen, sind hohe Abbrecherquoten und
Schulversagen, neben anderen Defiziten,
auf die falsche Wahl von Unterrichtssprachen zurückzuführen.
Ein Konzept von nachhaltiger Entwicklung
setzt die Optimierung von kommunikativen Strategien voraus, über die lokales
mit neuem Wissen verbunden werden kann.
Unerlässlich ist die Nutzung kognitiver, intellektueller und kreativer Fähigkeiten des
Einzelnen, die nur über eine ungestörte
Erst- bzw. Muttersprachenentwicklung,
durchaus bei gleichzeitiger oder sukzessiver Mehrsprachigkeit in den importierten
Amtssprachen, erlangt werden kann. Die
interdisziplinären Grundlagen liefern Ansätze aus der modernen Psycho- und Soziolinguistik, die in eine anwendungsbezogene Afrikanistik integriert werden.
Um eine weitere Abkoppelung Afrikas
vom Rest der Welt zu verhindern, verlangt
globale Kommunikation auch den verstärkten Ausbau der Sprachtechnologie für
afrikanische Sprachen. Man denkt hier,
neben der Verwendung im Internet, zunächst an elektronische Auskunftssysteme
in lokalen Sprachen, die ein Segen für
Millionen von Analphabeten sind, die für
long distance communication ohnehin
Telefone benutzen! Die Leipziger Afrikanistik konnte sich speziell mit Partnern in
Helsinki, Stellenbosch und Pretoria auf
dem Gebiet der Human Language Technology einen Know-how-Vorsprung erarbeiten, dessen Wahrung im Lichte schwindender personeller Ressourcen eine Herausforderung darstellt.
Es entsteht derzeit in Afrika eine Sprachindustrie, die sozialen und wirtschaftlichen
Fortschritt sowie Arbeitsplätze schafft –
auch für Absolventen einer entsprechend
auf diese Anforderungen reagierenden
Afrikanistik. Als Prüfungsgebiet ist Angewandte Afrikalinguistik bereits verankert
worden. Auch bei der Einrichtung von konsekutiven Studiengängen an der Universität Leipzig wird es gut sein, sich dieser
Ausbildungsdimension weiterhin, wenn
nicht gar verstärkt, anzunehmen.
journal
UniCentral
„Wir werben für das
wissenschaftliche Buch“
Der Reiz der Buchmesseakademie –
Organisator Matthias Middell im Interview
Die Leipziger Buchmesse wirft ihren
Schatten voraus. Vom 25. bis 28. März werden die Bücherfreunde wieder auf die Neue
Messe strömen – viele von ihnen auch zur
Buchmesseakademie, die seit 1999 im
Rahmen der Messe stattfindet. Die Akademie-Organisation ist angesiedelt am Zentrum für Höhere
Studien der Universität Leipzig. Dessen wissenschaftlicher
Geschäftsführer Dr. Matthias
Middell blickt im Interview mit dem UniJournal auf die Entwicklung der Buchmesseakademie zurück und verrät, was die
Besucher in diesem Jahr erwartet.
Herr Dr. Middell, was will die Buchmesseakademie generell leisten?
Die Gründungsintention war, neben der
Veranstaltung „Leipzig liest“ und neben
der Antiquariatsmesse ein weiteres Forum
zu etablieren, in dem für das wissenschaftliche Buch geworben wird. Werbung kann
dabei auf zwei Wegen erfolgen: Einmal, indem man Themen in den Mittelpunkt rückt,
die im Moment eine öffentliche Aufmerksamkeit finden – um dann auf Bücher zu
verweisen, die zum Thema erschienen sind.
Zum Zweiten kann man sich anhand einzelner Neuerscheinungen die Frage stellen,
warum für ein Buch soviel investiert wurde
und Forscher sich in Bewegung setzen, was
also das Drängende ist, das zu diesem Buch
geführt hat. Damit kann man dem Publikum zeigen: Dieses Thema verdient Aufmerksamkeit, auch wenn es gerade keine
zentrale Rolle in den Talkshows spielt.
Wie hat sich das Projekt Ihrer Ansicht
nach seit der Premiere 1999 entwickelt?
Die Buchmesseakademie war von Anfang
an ein Erfolg. Die Zusammenarbeit mit der
Messe klappt sehr gut. Die Messe hat sich
engagiert, hat berühmte Autoren, Politiker
oder Journalisten mit uns gemeinsam auf
die Messe geholt. Zudem finanziert die
Messe den Stand der Akademie mit.
Heft 1/2004
Was uns die Sache auch gleich erleichtert
hat: Die angesprochenen Wissenschaftler
aus den einzelnen Fakultäten haben bislang
stets mit großer Begeisterung mitgemacht.
Sie haben sich auch überlegt, wie sie die
wissenschaftlichen Erkenntnisse vermit-
teln können. Das muss ja anders als Hörsaal oder auf einer Konferenz geschehen.
Auch die Verlage sind mit großer Unterstützung unseres Vorhabens dabei. Nach
nunmehr fünf Jahren fragt man sich, warum nicht früher schon jemand auf die Idee
gekommen ist.
Dr. Matthias Middell
Foto: Heckmann
Gab es Akademie-Veranstaltungen, die
aus den bisherigen hervorstechen, die
man also nicht jedes Jahr hat? Ihre persönlichen Highlights?
Wenn Sie nach der auch durch mediale
Begleitung provozierten öffentlichen Aufmerksamkeit gehen, dann war es sicher die
Veranstaltung mit Eric Hobsbawm über die
Frage, wie man eine Weltgeschichte des
20. Jahrhunderts schreibt. Auch die Diskussion mit Lothar de Maizière über seine
Erinnerungen als letzter Regierungschef
der DDR kam sehr gut an. Gleiches gilt für
die Debatte mit Joschka Fischer und zahlreichen Botschaftern beziehungsweise
Konsuln zur EU-Osterweiterung.
Brisant war aber auch etwa im vergangenen Jahr das Forum mit Bielefelder Wissenschaftssoziologen zur Frage: Was passiert eigentlich, wenn Universitäten auf den Medienmarkt
gehen und versuchen, sich am
Geschäft mit wissenschaftlichen Sensationen zu beteiligen? Solche Veranstaltungen ziehen vielleicht kein so riesiges Publikum an, sind
aber außerordentlich lehrreich – auch für
die Buchmesseakademie selbst.
Andere Auseinandersetzungen galten der
Umsetzung politischer Themen in neue
Studienschwerpunkte, etwa dazu, wie das
neue Europa an verschiedenen Universitäten unterichtet wird. Die große Aufmerksamkeit in der Buchmesseakademie hatte
schließlich auch Konsequenzen für einen
neuen Studiengang an unserer Universität
Das heißt: Je nachdem, welches Kriterium
Sie anlegen, können Sie unterschiedliche
Highlights sehen.
In den ersten Jahren hatte die Buchmesseakademie immer einen thematischen Schwerpunkt, im letzten Jahr gab
es diesen erstmals nicht mehr. Warum
verzichten Sie darauf?
Das hängt mit den Strategien zusammen,
mit denen man wissenschaftliche Erkenntnisse und wissenschaftliche Bücher in die
Öffentlichkeit bringen kann. Zuerst haben
wir uns gedacht: Wir setzen ein Rahmenthema, laden dazu kompetente Leute ein,
und wenn es dazu auch Bücher gibt, ist das
schön. Aber der Ablauf der Akademie ist
nicht gebunden an die Existenz einer Neuerscheinung. Der Unterschied dieser Art
von Veranstaltung zu normalen universitären Präsentationen ist verhältnismäßig gering. Wir haben uns dann gedacht: Das,
was bei „Leipzig liest“ den Erfolg ausmacht, ist die Konzentration auf Neuer17
UniCentral
scheinungen. Die Besucher kommen der
Bücher wegen und wollen ihre Autoren
kennen lernen. Diesen Zugang wählen wir
nun seit dem vergangenen Jahr auch. Da
das Feuilleton sich vorwiegend um die
Neuerscheinungen im Herbst vor der
Frankfurter Buchmesse kümmert, haben
wir hier auch eine Lücke im Frühjahr, wo
wir auf wissenschaftliche Neuheiten aufmerksam machen können. Die Konzentration auf ein Buch fokussiert auch stärker
als die Besprechung eines breiteren Themas. Das bedeutet für das Publikum in der
einen Stunde, die die Veranstaltung vielleicht dauert, auch eine Entlastung gegenBuchpreis wird verliehen
„H-Soz-u-Kult – Kommunikation und
Fachinformation für die Geschichtswissenschaften“ ist ein moderiertes Informations- und Kommunikationsnetzwerk
für professionell tätige Historikerinnen
und Historiker. Seit 1996 hat sich „HSoz-u-Kult“ zu einem zentralen Angebot
der historischen Fachinformation im
deutschsprachigen Raum entwickelt, das
inzwischen von mehr als 9 000 Subskribenten an fast allen geschichtswissenschaftlichen Einrichtungen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz genutzt wird. „H-Soz-u-Kult“ ist an der
Humboldt Universität zu Berlin verankert. Eine zweite Redaktion an der Universität Leipzig befasst sich vorzugsweise mit der Geschichte Ost- und Westeuropas, Afrikas, Lateinamerikas und
des Nahen Ostens.
Für den Preis „Das historische Buch“,
der Anfang 2002 erstmals vergeben
wurde, stellt die „H-Soz-u-Kult“-Jury
herausragende geschichtswissenschaftliche Publikationen des vergangenen
Jahres zusammen. Sie werden nach Epochen und thematischen Schwerpunkten
untergliedert und von Experten bewertet.
Analog zu den Themen der Buchmesseakademie lauten die Schwerpunkte in
diesem Jahr „Religion und Gesellschaft
– Geschichte des Islam – Europa und das
Christentum“ und „World history –
internationale Geschichte – der historische Vergleich“. Die Preisverleihung findet am Samstag, 27. März, um 11 Uhr
auf dem Messestand der Universität statt.
Weitere Informationen im Internet:
http://
hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/
18
über der Komplexität großer Podiumsdiskussionen.
Welches sind Ihre Auswahlkriterien für
die Bücher und Autoren, die in der Akademie eine Rolle spielen sollen?
Im Prinzip versuchen wir, zwei Sensibilitäten zusammenzuführen. Das Projekt
Buchmesseakademie ist nicht zufällig am
Zentrum für Höhere Studien angesiedelt.
Wir haben hier mit den fünf Teilzentren
eigentlich das gesamte Fächerspektrum der
Universität abgebildet und beobachten das
ganze Jahr über, welche Themen in der wissenschaftlichen Kommunikation Aufregung erzeugen oder im Kommen sind.
Dann schauen wir, ob es dazu interessante,
präsentierbare Neuerscheinungen gibt. Das
Zweite ist die Beobachtung der medialen
Diskussion über Wissenschaft. Wo können
wir erwarten, dass das Publikum schon
vorinformiert ist? Gibt es dazu Bücher, die
über das hinausführen, was im Feuilleton
schon breitgetreten ist?
Dann kann die Akademie wohl erst
kurzfristig richtig geplant werden?
Nun ja, die Bücher, die im Frühjahr 2004
erscheinen, wurden de facto spätestens ein
Jahr zuvor begonnen. Und die wenigsten
Autoren können wirklich den Mund bis
zum Erscheinen ihres Buches halten. Da ist
also auf Konferenzen und in Zeitschriften
Einiges abzusehen, bevor man die Bücher
in der Hand hält. Dazu braucht es schlicht
eine Gruppe von aufgeweckten Leuten, die
die Lage beobachten. Unsere Koordinatorin der Buchmesseakademie, Isabella
Löhr, schaut quasi ständig, welche Themen
sich abzeichnen und welchen Hinweisen
man nachgehen muss. Zudem bekommen
wir auch Angebote aus unserer Universität
wie auch aus anderen Hochschulen.
In diesem Jahr gibt es während der Buchmesseakademie etwas ganz Neues …
Ja, wir verbinden die Akademie mit der
Verleihung des Buchpreises des elektronischen Journals „H-Soz-u-Kult“. Das ist
eine Internetzeitschrift für einen sehr weiten Bereich der historisch orientierten
Humanwissenschaften mit mehr als 9 000
Abonnenten. Die Hauptredaktion sitzt an
der Berliner Humboldt-Universität, in
Leipzig befindet sich der Redaktionsteil,
der sich mit ost-, westeuropäischen, afrikanischen und südamerikanischen Entwicklungen befasst. Für den Buchpreis werden
Juroren aus allen Teilen der Geschichtswissenschaft befragt, und es ist für uns
schon im Vorhinein interessant, die Nominierungslisten für den Preis auszuwerten
(siehe dazu Infokasten, Red.).
Was erwartet die Besucher der kommenden Buchmesseakademie sonst
noch?
Wir haben uns einige große Schwerpunkte
vorgenommen. Wir greifen die gegenwärtig heftig diskutierte Rolle von Religion
und religiösem Fundamentalismus in der
internationalen politischen Ordnung auf.
Das machen wir mit zwei Ausrichtungen:
Es geht um das Verhältnis zwischen Islam
und westlicher Kultur sowie um die Diskussion über die potenzielle EU-Mitgliedschaft der Türkei. Den entsprechenden historischen Hintergrund erörtern wir mit
Blick auf Neuerscheinungen zum Thema
Welt- und Globalgeschichte. Dann werden
wir uns natürlich auch mit Innenpolitik
beschäftigen. Es gibt seit 2003 an unserer
Universität ein Zentrum für Prävention und
Rehabilitation. Da liegt es nahe, die alle betreffende und alle aufregende Gesundheitsreform zu konfrontieren mit den Forschungsanliegen eines solchen Zentrums.
Zugleich konfrontieren wir Mediziner mit
einer Althistorikerin, die über den Hippokratischen Eid geschrieben hat und fragen,
welche ethischen Vorstellungen von Möglichkeiten und Grenzen ärztlichen Handelns uns heute leiten sollten.
Außerdem werden wir uns mit einer Thematik beschäftigen, die schon seit drei Jahren in der Buchmesseakademie virulent ist,
nämlich die EU-Osterweiterung. Wie wird
der absehbare Alltag dieser Erweiterung
aussehen? Da geht es dann zum Beispiel
um die Ausgestaltung gemeinsamer Erinnerung: Wie kann ein erweitertes Europa
mit seinen regional verschiedenen historischen Erfahrungen umgehen? Erste empirische Arbeitsergebnisse dazu werden
präsentiert und natürlich auch mit dem prominenten Thema der Rolle von Vertreibung
konfrontiert.
Kommen auch wieder junge Literaten
zu Wort?
Ja, seit dem vergangenen Jahr gehören die
Nachwuchsautoren aus dem Deutschen
Literaturinstitut, das der Universität ja angegliedert ist, als wirklich fester Bestandteil zur Buchmesseakademie. Deren experimentelle, frische Literatur hat im vergangenen Jahr enormen Zuspruch erfahren
und soll auch in diesem Jahr wieder zu
einer Anthologie führen.
Das Interview führte Carsten Heckmann.
journal
UniCentral
Im Programm
der Buchmesseakademie
Die Buchmesseakademie wird wie in jedem Jahr neben dem Stand der Universität
in Halle 3 auf der Neuen Messe zu finden
sein. Unter anderem werden dort folgende
Bücher vorgestellt:
Donnerstag, 25. März
Matthias Middell, Charlotte Schubert, Pirmin Stekeler-Weithofer, Erinnerungsort
Leipziger Universitätskirche. Eine Debatte, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2003.
Florian Keisinger u. a., Wozu Geisteswissenschaften. Kontroverse Argumente für
eine überfällige Debatte, Frankfurt am
Main, New York: Campus 2003.
Freitag, 26. März
„Bedeutung und Funktion des Denkmals in
postsozialistischen Erinnerungskulturen
Osteuropas“ mit Wilfried Jilge, Stefan
Troebst (beide GWZO), Juri Andruchowytsch (L’viv) und Oksana Plysjuk (Kiew)
Jürgen Beyer, Vom Zukunfts- zum Auslaufmodell? Die deutsche Wirtschaftsordnung im Wandel, Opladen: Westdeutscher
Verlag 2003.
Samstag, 27. März
Thomas Petermann, Christopher Coennen,
Reinhard Grünwald, Aufrüstung im All.
Technologische Optionen und politische
Kontrolle, Edition Sigma 2003.
Sonntag, 28. März
Steffi Richter, Wolfgang Höpken, Vergangenheit im Gesellschaftskonflikt. Ein Historikerstreit in Japan, Köln, Weimar: Böhlau 2003.
Lyrik und Prosa des Deutschen Literaturinstituts Leipzig
Das detaillierte Programm wird Ende Februar auf Flyern und Plakaten veröffentlicht. Es ist zudem schon ab Mitte Februar
einsehbar auf der Internetseite des Zentrums für Höhere Studien:
www.uni-leipzig.de/zhs
Das Programm der gesamten Buchmesse
erscheint Ende Februar. Die Buchmesse ist
im Internet zu finden unter:
www.leipziger-buchmesse.de
Heft 1/2004
Kurz vorgestellt
Auch folgende Neuerscheinungen werden im Rahmen der Buchmesseakademie eine
Rolle spielen:
Dieter Bingen, Włodzimierz Borodziej, Stefan Troebst (Hrsg.), Vertreibungen europäisch erinnern? Historische Erfahrungen – Geschichtspolitik – Zukunftskonzeptionen, Wiesbaden: Harrassowitz 2003.
Die Gründung eines „Zentrums gegen Vertreibungen“ ist seit
Ende der 1990er Jahre im Gespräch. Seit den Sommermonaten des Jahres 2003 wurde die Kontroverse um die „Zuständigkeit“ für das Thema und geeignete bzw. ungeeignete
Orte mit ungeahnter Heftigkeit weitergeführt. Bereits Monate vorher hatte das Deutsche Polen-Institut im Frühjahr
2002 die Initiative ergriffen und gemeinsam mit dem
Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur
Ostmitteleuropas (GWZO), Leipzig, und dem Historischen
Institut der Universität Warschau zu einem wissenschaftlichen Workshop nach Darmstadt eingeladen. Der vorliegende Band dokumentiert ungekürzt und in Originalfassung
die Vorträge und Kurzreferate der Experten sowie die Diskussionen.
Étienne Balibar, Sind wir Bürger Europas? Politische Integration, soziale Ausgrenzung und die Zukunft des Nationalen, Hamburg: Hamburger Edition 2003.
Wie verhält sich unsere Europäisierung zur vielberedeten
Globalisierung? Als Philosoph hat Balibar keine politischen
Lösungen zu bieten – er geht den inneren Widersprüchen des
Einigungsprozesses nach. Seine an Hegel, Marx und Althusser geschulten Reflexionen drehen sich zentral um die
Frage der europäischen „Staatsbürgerschaft“ – ein begriff,
der neu zu definieren ist. Anhand von politischen Zeitanalysen und historisch-kritischen Analysen unserer Begriffe
(Nation, Staat, Volk …) erkundet Balibar die Bedingungen
einer europäischen Einigung, die nicht „von oben“ dekretiert
werden kann.
Sylke Niessen (Hrsg.), Kriminalität und Sicherheitspolitik. Analysen aus London,
Paris, Berlin und New York, Opladen: Leske + Budrich 2003.
Für viele Städte ist Kriminalität zu einem zentralen Thema
geworden und sie reagieren auf steigende Kriminalitätszahlen mit zunehmender Härte. Dies machen die hier dargelegten Analysen deutlich. Sie zeigen darüber hinaus, dass Lokalpolitiker mit kompromisslosem sicherheitspolitischem
Vorgehen nicht nur die Verbrechensraten senken, sondern
auch andere, weitergehende Ziele verfolgen können.
Achtung: Kurzfristige Änderungen
des Programms sind möglich.
19
UniCentral
Dem
Abwärtstrend
trotzen
Universitätsverlag
leicht im Aufwind
Auch auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse wird sich der Leipziger Universitätsverlag wieder in räumlicher Nähe des
Universitätsstandes befinden. Die geistige
Nähe ist ja ohnehin gegeben. Wie sollte
es auch anders sein, versteht sich doch
der Verlag – so sein Geschäftsführer Dr.
Gerald Diesener – „als ein sächsischer
Wissenschaftsverlag, der insbesondere
universitäre Arbeitsergebnisse in großer
Breite widerspiegelt und das intellektuelle
Klima in der Region und im Freistaat
durch seine Publikationen, nicht zuletzt
die profilbestimmenden Reihen, mitgestaltet“.
Der Verlagschef sieht dabei die Zusammenarbeit mit der Universität keineswegs
schon „ausgereizt“, das gelte z. B. für die
Buchmesseakademie oder die noch stärkere Einbindung von Texten aus der Forschung in neue Reihen, etwa „Leipziger
Forschungen zu …“ oder „Leipziger
Schriften zu …“. Und natürlich schaut Dr.
Diesener auch mit einiger Erwartung auf
das große Universitätsjubiläum im Jahr
2009, in dessen publizistische Vorbereitung der Universitätsverlag sich gern einbringen würde.
Aber bereits jetzt verfügt der Verlag über
attraktive Publikationsreihen, mit denen er
sich im geistigen Leben nicht nur der Universität verankert hat. Zu nennen wären da
Leipziger Juristische Studien, Leipziger
Schriften zur Philosophie, Veröffentlichungen des Frankreich-Zentrums der Universität Leipzig, Mitteldeutsche Studien zu
Ostasien, Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde (als Hausverlag
des gleichnamigen Instituts in Dresden),
Schriftenreihe zur Programmgeschichte
des DDR-Fernsehens oder TRANSFER –
Die Deutsch-Französische Kulturbibliothek. Diese Reihen sind der Stolz des Verlages.m
20
Die größte Öffentlichkeit
im zurückliegenden Jahr
erreichte aber ein Einzelband, die von Konrad
Krause vorgelegte Geschichte der Universität
Leipzig von 1409 bis zur
Gegenwart unter dem Titel „Alma mater Lipsiensis“. Mag hier, fasst man
den langen Zeitraum bis
2009 ins Auge, noch am
ehesten so etwas wie ein
Gewinn über den Verkauf
möglich sein, so sind jedoch generell Verlage, die
akademische Literatur verlegen, durch die
niedrigen Auflagenzahlen auf eine Bezuschussung angewiesen. Die kann durch die
Universität, einzelne Institute bis hin zum
Doktoranden, dessen Dissertation publiziert werden soll, und vor allem durch Stiftungen, Bibliotheken und andere öffentliche Einrichtungen erfolgen. Erfreulich,
dass die Zahl der Stiftungen aus Privatvermögen in Deutschland zunimmt; gegenwärtig existieren über 1000 solcher Stiftungen. Dass es der vierköpfige Leipziger
Universitätsverlag versteht, sich auch in
wirtschaftlich schwierigen Zeiten auf dem
Sponsorenparkett geschickt zu bewegen,
mag man daraus ersehen, dass er entgegen
dem allgemeinen Trend der Umsatzrückgänge bei akademischer Literatur Jahr für
Jahr eine leichte Steigerung erzielen
konnte.
Von den zahlreichen Neugründungen von
Universitätsverlagen in den Neuen
Bundesländern hat sich einzig der 1992 als
GmbH gegründete Leipziger Universitätsverlag kontinuierlich weiter entwickelt. In
den letzten zehn Jahren hat er rund 600 Titel (einschließlich Zeitschriftenausgaben)
herausgebracht. Dr. Dieseners Fazit: Unser
Zeichnung: Oliver Weiss
Streben ging immer nach einem
eigenständigen Profil. Die Handlungsfähigkeit am Markt zu erhalten, gelinge
nicht, wenn man nur in dem administrativen Gewebe von Universitätsstrukturen
verbleibe. So reicht die Bandbreite von
Sammelbänden, Festschriften bis zu Memoiren, Essaybänden (z. B. über Nietzsche) oder Regionalliteratur (z. B. Flutbilder von Grimma). Als zweiten Punkt nennt
er das ständige Bemühen um hohe Qualität. Da wiederum komme die enge Zusammenarbeit mit der Universität Leipzig
mit ihrem starken wissenschaftlichen
Potential zum Tragen: in Gestalt von Tagungsbänden, Monographien, Dissertationen, Habilitationen – Material und Qualitätsfilter zugleich durch die vorausgegangenen akademischen Prüfverfahren.
Der Leipziger Universitätsverlag hat sich
ein solides Fundament erarbeitet und klare
Konturen gewonnen. So muss er seine Zukunft nicht in der vom Buchdruck bevorzugten Farbe sehen.
Volker Schulte
Der Verlag im Internet:
www.univerlag-leipzig.de
journal
NOMEN
Namenforscher Prof. Jürgen Udolph zur
Herkunft des Namens „Diesener“
In der Schreibung Diesener ist der Name
77mal in Deutschland belegt (TelephonCD von 1998). Sehr viel häufiger ist die
Form Diesner bezeugt (419 Einträge), auch
Diessner/Dießner (826) ist zu berücksichtigen. Schreibvarianten dieser Art sind bei
vielen Familiennamen zu beobachten.
Die Streuung der Diesener- und DiesnerNamen lässt mehrere Schwerpunkte erkennen: Sachsen, das Ruhrgebiet, RheinMain-Gebiet sowie Bayern. Die Erklärung
bietet der Name selbst: Es liegt ein sogenannter Herkunftsname vor. So wie Hamburger, Merseburger, Hildesheimer, Meißner/Meissner aus den entsprechenden Orten kommen, stammte ein Dies(e)ner ursprünglich aus einem bestimmten Ort. In
Betracht kommen vor allem: 1. Dießen bei
Horb am Neckar; 2. Dießen am Ammersee;
3. Dissen bei Melsungen; 4. Dissen am
Teutoburger Wald; 5. Dissen bei Cottbus.m
Da Gerald Dieseners Familie jedoch aus
der Umgebung von Magdeburg und Haldensleben stammt, kommt kaum einer der
genannten Ortsnamen in Frage. Viel näher
liegen zwei Dörfer mit dem Namen Thießen bei Roßlau bzw. Wittenberg. Vor allem
der erstere ist „verdächtig“, die älteren Belege lauten: 1307 tu Disene, 1355 Dissen,
1391 Dysene (I. Bily, Ortsnamenbuch des
Mittelelbegebietes, Berlin 1996, S. 368).
Erst spät wird das anlautende D- durch Thersetzt (1867 Thiessen). Der Ortsname
wird als Ableitung von einem slavischen
Personennamen aufgefasst, dessen Grundlage altsorbisch dyš-n- (zu dych „Atem,
Hauch“) gewesen sein dürfte. Allerletzte
Klarheit gewinnt man allerdings erst dann,
wenn die Familiengeschichte der Dieseners
weiter zurückverfolgt wird und eine nähere
Beziehung zu einer der in Frage kommenden sieben Orte hergestellt werden kann.
Dr. Gerald Diesener
Heft 1/2004
Foto: Heckmann
Die Jugend
und das Buch
Buchwissenschaftler an Projekt
zum Medienkonsum beteiligt
Im Jahre 2000 suchte die Stiftung Ravensburger Verlag, repräsentiert durch ihre Vorsitzende Dorothee Hess-Maier, Partner für
Projekte rund um die Thematik „Jugend
und Medien“, die in der Satzung der neuen
Stiftung angemahnt war. Der Ravensburger
Verlag ist Marktführer bei Büchern und
Spielen für eine kindlich-jugendliche
Klientel. Das erklärt die Thematik, die Forschung ist selbstverständlich völlig unabhängig von den Interessen des Verlages.
Prof. Dr. Dietrich Kerlen, an der Universität Leipzig zuständig für Buchwissenschaft und Buchwirtschaft und seinerzeit
Geschäftsführender Direktor des hiesigen
Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaft, kam mit der Stiftung ins
Gespräch. Er konnte sie überzeugen, dass
die Buchwissenschaft als Medienwissenschaft für dieses Projekt deshalb besonders
geeignet ist, weil einmal das Buch immer
noch Leitmedium für die Heranwachsenden sein soll, zum anderen die kulturhistorische Perspektive dann besonders profiliert wird, wenn man das Buch in den
Kanon der Medien hinein nimmt (wie im
Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig für
Deutschland einmalig realisiert). Dann
nämlich wird auch der „garstige Graben“
zwischen „guter Buchkultur“ und
„schlechtem Medienkonsum“ zugeschüttet
und eine integrative Sicht auf den jugendlichen Mediengebrauch möglich.
Drei Zugänge sind in dem Forschungsprojekt verwirklicht: Die empirische Forschung, die in den Händen der beiden
Ludwigsburger Wissenschaftler Prof. Dr.
Matthias Rath (Philosophie, Medienethik)
und Prof. Dr. Gudrun Marci-Boehnke
(Literaturwissenschaft sowie Literaturund Mediendidaktik) liegt, die Medienethik, für die Matthias Rath zuständig
ist, und schließlich die Kulturgeschichte,
die Dietrich Kerlen zum Forschungsfeld
hat.
Eine Studie zum jugendlichem Mediengebrauch in Deutschland (und zwar in beiden deutschen Staaten) seit 1945 hat Professor Kerlen fertig gestellt – und zwar
zweispurig: einmal der Mediengebrauch
selbst, zum anderen seine Beurteilung
durch die Erwachsenen in den jeweiligen
Epochen. Es hat sich gezeigt, dass diese
Studie über die Nachkriegszeit ein Torso
bleibt, wenn nicht die drei Phasen davor,
seit der Reicheinigung, also Kaiserreich,
Weimarer Zeit und „Drittes Reich“ hinzugenommen werden. Denn bereits um 1900
waren Beurteilungsmuster aus dem Bildungsbürgertum („Schund- und Schmutzdebatte“) und der Jugendbewegung („natürliches Leben gegen mediale Scheinwelt“) entstanden, die bis in die 1980er
Jahre hin wirksam blieben. Erst mit der
Freigabe des Rundfunks für private Anbieter 1982/84 hat sich die Medienwelt derart
ausgebreitet, dass Weltwissen bei Heranwachsenden zu erheblichen Teilen medienvermittelt ist. Die gesamte Studie über den
Zeitraum seit 1871 wird im Laufe des Jahres 2004 abgeschlossen und als Buch erscheinen.
Die Stiftung Ravensburger Verlag begleitet
die Jugend-Medien-Studien im Sinne des
Aufmerksamkeitsmarketings. Eine Präsentation auf der Leipziger Buchmesse im
März 2003 hatte über zweihundert Medienresonanzen deutschlandweit, eine weitere Präsentation der Projekte und ein
Workshop von Prof. Dr. Marci-Boehnke
für Lehrer sind für die diesjährige Messe
geplant. Im November 2004 findet in Ravensburg eine Tagung zum Thema „Jugend
– Werte – Medien“ statt, für welche die drei
Verantwortlichen Experten zu Vorträgen
und zu einem öffentlichen Abend-Podium
einladen.
r.
Oben rechts:
Das Logo der Leipziger Buchwissenschaftler.
21
UniCentral
Die Jagd
nach
frühen
Drucken
Zur
Erwerbspolitik
der Universitätsbibliothek
Von Katharina Märker
22
Bereits mit ihrer Gründung 1543 erhielt die
Universitätsbibliothek Leipzig große Bestände aus säkularisierten Klöstern Leipzigs. So gelangten wertvolle Handschriften
und frühe Drucke in den Besitz der Bibliothek. Seit dem 16. Jahrhundert haben sich
die Bestände enorm vergrößert – von 5 000
auf inzwischen fünf Millionen Bände.
Auch eine große Zahl an bedeutenden
Handschriften und frühen Drucken ist in
den letzten 460 Jahren hinzugekommen.
Doch wie gelangen derartige Raritäten in
die Leipziger Universitätsbibliothek?
Dr. Ekkehard Henschke, der Direktor der
Bibliothek, verweist auf die enormen Kosten, die der Ankauf von wertvollen Schriften aus vergangenen Jahrhunderten mit
sich bringt. Dennoch wird die Sammlung
von Leipziger Drucken des 16. Jahrhunderts ständig erweitert. Zudem bilden
Autographe, z. B. Briefe von Gelehrten wie
Gellert und Gottsched, einen Schwerpunkt
der Sammlung. „Die Leipziger Universitätsbibliothek bezieht sich vor allem
auf Werke, die im Zusammenhang mit
der Universität, Leipzig, Sachsen und
Mitteldeutschland stehen“, so Ekkehard
Henschke.
Die Werke gelangen durch Ankauf, Ersteigerungen oder Schenkungen in den Besitz
der Bibliothek. Das nötige Geld stammt
teils aus eigenen Mitteln, teils von außerhalb, zum Beispiel von der Vereinigung der
Förderer und Freunde der Universität. Der
Leiter der Abteilung für Buchbearbeitung,
Peter König, berichtet von der Zusammenarbeit mit anderen Bibliotheken und Antiquariaten: „Antiquare informieren uns
über wertvolle Neuerwerbungen und reservieren diese für uns.“ Ekkehard Henschke
fügt hinzu: „Bei Versteigerungen werden
zudem Absprachen zwischen Bibliotheken
getroffen, damit der Preis nicht gegenseitig
hochgesteigert wird.“ Leider gehen jedoch
viele bedeutende Werke ins Ausland.
Oft erreichen gerade Schenkungen die
Bibliothek auf seltsamen Wegen. „Witwen
wenden sich mit dem Nachlass ihrer verstorbenen Ehemänner an die Universitätsbibliothek, da sie eine besondere Verbundenheit zu Leipzig verspüren“, erzählt
Peter König. Häufig spielen Verbindungen
eine große Rolle. So kamen über persönliche Kontakte Verhandlungen mit einer
Prinzessin zustande. Doch auch Institutionen wie der British Council in Leipzig oder
die Bibliothek der US-Armee in Neu-Ulm
schenkten der Universitätsbibliothek bei
ihrer Auflösung ihre Bestände. Zu Ehren
des ursprünglichen Eigentümers wird ein
Exlibris, ein Nachweis des Erblassers, in
jedes Buch eingeklebt.
Beim Erwerb von Nachlässen und Sammlungen von Privatpersonen erlebten Ekkehard Henschke und Peter König so manche
ungewöhnliche Begebenheiten. So kaufte
die Universitätsbibliothek 1993 unter
strenger Geheimhaltung die weltberühmte
Gelehrtenbibliothek des Mittelalterhistorikers Bernhard Bischoff. Noch bevor die
Erben mit dem Nachlass auf den Markt
gingen, schlug die Bibliothek zu. Ekkehard
Henschke betont: „Dieser Nachlass ist
keine reine Arbeitsbibliothek mit zeitgenössischen Werken wie die meisten Gelehrtenbibliotheken, sondern sie enthält
auch viele kostbare Stücke aus früherer
Zeit.“ Die Universitätsbibliothek erwarb
15 000 Bände, darunter Inkunabeln (frühe
Drucke), Handschriften und wertvolle
Drucke des 16. bis 18. Jahrhunderts. Durch
gute Informationen und schnelles Handeln
sicherte sich die Universitätsbibliothek
eine bedeutende Gelehrtenbibliothek.
Ein weiterer interessanter Fall spielte sich
1997 in Amman, der Hauptstadt von Jordanien, ab. Ein Import-Export-Kaufmann
bot der Bibliothek 51 seltene Stücke aus
dem arabischen und persischen Raum an:
ein orientalischer Druck und 50 orientalische Handschriften. Es handelte sich v. a.
um Koranhandschriften und astronomische, grammatikalische, literarische und
Rechtshandschriften. Auf einer privaten
Reise in den Nahen Osten besuchte Ekkehard Henschke den Kaufmann: „In Begleitung eines Professors für Orientalistik von
der dortigen Universität, der Deutsch
sprach, traf ich den Kaufmann in dessen
Privatwohnung. Der Professor begutachtete die Sachen. Alsbald wurde der Kauf
mit Handschlag besiegelt, worauf ein köstliches Mittagessen folgte.“ Die mündliche
Absprache wurde eingehalten. Der Kaufmann brachte die Werke durch den Zoll, sie
trafen unversehrt in Leipzig ein, woraufhin
die Universitätsbibliothek in Dollar bezahlte – wie vereinbart. Durch dieses
Abenteuer konnte die Universitätsbibliothek ihre orientalischen Handschriften mit
wertvollen Stücken, zum Teil prächtig ausgestattet, ergänzen.
Werke aus der Sammlung Bernhard Bischoff und anderen Bibliotheken, die die
Universitätsbibliothek seit 1994 erwerben
konnte, werden Ende dieses Jahres der
Öffentlichkeit in einer Ausstellung vorgestellt.
journal
Sinologischer
Bücherschatz
gehoben
Bibliographie seltener
China-Literatur in
Uni-Bibliothek erschienen
Von Dr. Thomas Jansen, Religionswissenschaftliches Institut
Mit der Berufung von Hans Georg Conon
von der Gabelentz (1840–1893) zum
außerplanmäßigen Professor für ostasiatische Sprachen im Jahre 1878 erhielt die
Universität Leipzig die erste sinologische
Professur im deutschen Sprachraum. Aus
dieser Tradition der akademischen Beschäftigung mit China resultiert ein beachtlicher Altbestand an China-Literatur in
der Universitätsbibliothek Leipzig. Neben
zahlreichen Titeln aus dem 19. Jahrhundert
enthält die Sammlung seltene Bände aus
dem 16., 17. und 18. Jahrhundert, die zum
Teil gar nicht oder nur in wenigen deutschen Bibliotheken nachweisbar sind. Das
Ziel eines am Ostasiatischen Institut mit
Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft durchgeführten Projektes bestand darin, diesen Bücherschatz erstmals
vollständig bibliographisch zu erfassen,
thematisch zu ordnen und allgemein zugänglich zu machen. Das Ergebnis dieses
Projektes – 1 690 chinesische und japanische sowie 2 495 westlichsprachige Werke
zu China aus der Zeit bis 1939 – liegt jetzt
in einer zweibändigen Bibliographie vor.m
Zuallererst stellt die Bibliographie ein wissenschaftliches Hilfsmittel dar, welches
den Zugang zu den an verschiedenen Orten aufbewahrten China-relevanten Buchbeständen erleichtern soll. Beispielsweise
ist die bislang notwendige, äußerst zeitraubende Benutzung der handschriftlich
geführten Bandkataloge in der Bibliotheca
Albertina, welche die westlichsprachige
Literatur zu China über mehr als 50 Bände
verstreut verzeichnet, durch die Bibliographie überflüssig geworden.
Eine andere Frage, welche die Arbeiten
jedoch stets begleitet hat, lautet: Welcher
Heft 1/2004
wissenschaftliche Wert kommt der Katalogisierung der sinologischen Bestände neben ihrem praktischen Nutzen heute zu? Ist
die Erfassung von „Altbeständen“ hauptsächlich durch antiquarische Interessen
motiviert, dient sie mit anderen Worten primär der sinologischen Traditionspflege an
der Universität Leipzig? Oder können die
so erschlossenen Bücher auch zur gegenwärtigen wissenschaftlichen Beschäftigung mit China beitragen? Notwendig dafür ist freilich die fortgesetzte Aneignung
der Texte unter neuen Fragestellungen, eine
erneute Kontextualisierung, die bei Büchern zugleich eine Form der Aktualisierung darstellt: „Gelesene und insofern benutzte und genutzte Büchersammlungen
und Bibliotheken unterscheiden sich dadurch von den Mausoleen der Kulturen,
dass es sich hier um Schätze und Schatzhäuser handelt“, hat Helwig SchmidtGlintzer einmal konstatiert. Der alte Begriff des Schatzhauses, der im Zeichen ku
auch in chinesischen Bezeichnungen für
Büchersammlungen anklingt – shuku
(„Magazin“), wenku („Buchreihe“, wörtlich: „Schatzhaus der Literatur“) – ist bewusst gewählt: „Schätze sind solche Gegenstände, die einer dauerhaften Verdinglichung als Folge eines Lebensentzugs entgehen“, so Schmidt-Glintzer.
In diesem Sinne ist die Rede vom sinologischen Schatz im Titel als Aufforderung
zu verstehen, sich diesen erstmals in Gänze
zugänglichen Bestand an China-Literatur
Literatur anzueignen. Bei einigen Titeln
dürfte dies nicht schwer fallen, da
sie trotz ihres Alters kaum etwas ihres
ursprünglichen wissenschaftlichen Wertes
eingebüßt haben. In erster Linie trifft dies
Ein Buch aus dem Altbestand an ChinaLiteratur (u.) und die neu erschienene
Bibliographie (l.).
Foto: Armin Kühne
natürlich auf Übersetzungen zu, wie die
immer noch häufig konsultierten Arbeiten
von Richard Wilhelm oder James Legge,
aber auch auf Augenzeugenberichte oder
Quellensammlungen. Andere Werke wird
man dagegen primär unter rezeptionsgeschichtlichen und wissenschaftshistorischen Fragestellungen lesen müssen. Gerade in dieser Hinsicht stellt der Leipziger
Bestand jedoch eine Fundgrube dar. Zahlreiche der in Leipzig vorhandenen Werke
prägten nicht nur die europäische Chinarezeption im 17. und 18. Jahrhundert, sondern sie wirken über die sich im 19. Jahrhundert etablierende akademische Sinologie teilweise bis in die Gegenwart hinein
fort. Zu nennen sind hier vor allem Reiseberichte oder enzyklopädische Werke wie
zum Beispiel Jean Baptiste du Haldes
(1674–1743) Description géographiques,
historiques, chronologiques, politique et
physique de l’Empire des la Chine et de la
Tartarie chinoise (1735) oder das von Philippe Couplet (1622–1693) zusammengestellte Werk Confucius sinarum philosophus sive scientia sinensis Latine exposita
(1687), das die erste Übersetzung des kanonischen konfuzianischen Textes Lunyu
(Gespräche des Konfuzius) in eine europäische Sprache enthält. „Im Schatzhaus“,
so der Kunstwissenschaftler Hans Belting,
„kehrten die gehorteten Schätze in die Benutzung zurück, wenn das Fest anbrach, an
dem sie ihren Auftritt bekamen.“ Der alten
China-Literatur in der Universitätsbibliothek Leipzig diesen Auftritt zu verschaffen,
ist das Ziel der jetzt erschienenen Bibliographie.
Thomas Jansen (unter Mitarbeit von Gabriele
Schlesinger, Richard Teschke und Katharina
Zinn). China-Literatur in der Universitätsbibliothek Leipzig: 1500–1939. Eine systematische Bibliographie. Bd. 1: Werke in westlichen
Sprachen; Bd.2: Sinica. Leipzig: Leipziger
Universitätsverlag, 2003.
23
Studiosi
Am Anfang war die Demo …
Am 13. Dezember 2003 hatten in Leipzig rund 15000 Studenten bei einer von bundesweit drei Demonstrationen ihren
Unmut über die Bildungspolitik zum Ausdruck gebracht.
Foto: Carsten Heckmann
Der „konstruktive Streik“
Mancher Politiker hatte bestimmt insgeheim gehofft, dass die Studentenproteste
des Dezembers die Weihnachtsferien nicht
überleben würden. Aber es kam anders. An
der Universität Leipzig begann am 7. Januar ein von der Vollversammlung der
Studenten beschlossener „konstruktiver
Streik“, der eine Woche später verlängert
wurde und bei Redaktionsschluss dieser
Journal-Ausgabe andauerte. Seminare und
Vorlesungen fanden weiterhin statt, wurden
aber begleitet von kreativen, wenn auch
nicht immer unumstrittenen Protestformen.
So trugen die Studenten die „Bildung zu
Grabe“, veranstalteten einen „Kürzungsparcours“ und „Flötenkonzerte mit Streichern“, verteilten „Studienplätzchen“ an
Leipziger Bürger und drehten einen Softporno-Film zum Thema „Bildung ist nicht
die Hure der Wirtschaft“. Einige reguläre
Uni-Veranstaltungen fanden bei nasskalter
Witterung im Freien statt, manche auch in
der Osthalle des Hauptbahnhofs. Das Rektorat der Universität wurde „besetzt“. Die
Studenten erhielten vom Kanzler Peter
Gutjahr-Löser das Hausrecht und ihnen
wurde ein provisorisches Büro eingerichtet. Im Gegenzug beschränkten sie ihre
„Besetzung“ auf normale Bürozeiten.
Auch inhaltlich stellte sich die Universitätsleitung hinter die Studenten (siehe dazu
auch das Editorial des Rektors). Vor allem
das studentische Anliegen, die Diskussion
über Bildung in Deutschland auf breiter
Basis zu führen und in einem Leipziger
Bildungskonvent zu institutionalisieren,
fand Zustimmung. Die Studenten protestierten außerdem gegen die Verfassungs-
klage des Freistaates Sachsen, die sich gegen die Verankerung eines Gebührenverbots für das Erststudium im Hochschulrahmengesetz wendet. Zudem solle die
Landesregierung ihre Pläne korrigieren,
den Studentenwerken Mittel in Millionenhöhe zu streichen. Weitere Anliegen formulierten die Studenten in einem Forderungskatalog, der im Internet nachzulesen
ist.
C. H.
Aktuelle Informationen zu den Protesten (inkl. des Forderungskatalogs) stehen auf der Internetseite des StudentInnenRates: www.stura.uni-leipzig.de
Das Streikkomitee verfügt über eine
eigene Internet-Präsenz:
www.leipzig04.de.vu
… dann kam der
„konstruktive
Streik“.
Das Rektorat galt für
anderthalb Wochen
als „besetzt“ (linkes
Bild).
Foto:
Carsten Heckmann
Der Protest fand
Unterstützer aus
allen Fachbereichen.
Foto: Armin Kühne
24
journal
Studiosi
Eine neue
Eingangstür
im Internet
Projekt „Haus der
Fünf Kontinente“
für ausländische
Studierende gestartet
Ausländische Studierende können seit
neuestem schon ein Leipziger Haus betreten, obwohl sie noch gar nicht in Leipzig
angekommen sind. Das „Haus der Fünf
Kontinente“ (HFK) nämlich. Gemeint ist
in diesem Fall natürlich nicht das frisch
sanierte Wohnheim in der Nürnberger
Straße, obwohl auch das unter diesem
Namen Bekanntheitsgrad erlangen soll.
Nein, es handelt sich um ein virtuelles
Haus, die Eingangstür ist eine Internetadresse: www.uni-leipzig.de/~hfk.
Die Dame des Hauses heißt Ludmilla Anjuschina. Die 30-Jährige war lange Jahre
Sprecherin des Referats Ausländischer
Studierender und wird in Kürze ihr Studium (Deutsch als Fremdsprache und Ostslavistik) abschließen. Doch vor einem
guten Jahr brachte eine Anfrage aus dem
Akademischen Auslandsamt (AAA) die
Weißrussin dazu, noch mal stark an den
Anfang ihres Studiums im April 1998 zurückzudenken … „Ich stand am Bahnhof
und wusste erst mal gar nicht, wohin. Ich
fühlte mich alleine, hatte viele Fragen im
Kopf. Dann war auch alles viel zu viel und
viel zu schwer. Diesen psychischen Stress
wünsche ich keinem.“
Das war im Prinzip schon der Schlüssel
zum „Haus der Fünf Kontinente“. Denn die
AAA-Anfrage bezog sich auf eine Ausschreibung des Deutschen Akademischen
Austauschdienstes (DAAD). Es ging um
neue, interessante Projekte für ausländische Studierende. Und ein solches ist das
HFK. „Es handelt sich um eine Dienstleistung, die die Studierenden über das Internet bekommen“, so Ludmilla Anjuschina.
Heft 1/2004
In erster Linie ist es ein Informationsportal, und zwar für die jungen Ausländer, die
sich für ein Studium in Leipzig interessieren, und für die, die gerade frisch in Leipzig angekommen sind. In beiden Phasen
treten besondere Probleme auf, Fragen der
Studienmöglichkeiten, der Bewerbung, der
Immatrikulation. Brauche ich ein Visum?
Was heißt das eigentlich, dass Dokumente
beglaubigt sein müssen? „Auf unserer
Seite sollen die Interessenten die nötigen
Informationen für jeden einzelnen Schritt
bekommen, und zwar nicht im BeamtenDeutsch. Daher haben wir diese Informationen in einfachen Texten aufbereitet und
bieten sie auf deutsch und englisch an“, erläutert Ludmilla Anjuschina. Schon im
Vorfeld könnten die Ausländer, die in Leipzig studieren möchten, mit Hilfe der HFKSeite viele Fehler vermeiden.
Das Informationsportal steht bereits.
Hinzu kommen sollen demnächst Suchund FAQ-Funktionen und vielleicht sogar
die Vermittlung von E-Mail-Tandems, bei
denen sich dann zum Beispiel ein Studieninteressent aus Polen mit einem bereits Studierenden aus Polen per E-Mail austauschen kann. Noch in diesem Jahr wird es
auch eine interaktive Wohnungsbörse (mit
vorwiegend privaten Anbietern) geben, die
vor allem das leidige Problem beseitigen
soll, dass viele Neuankömmlinge erst mal
ohne jegliches Dach über dem Kopf dastehen. 2005 soll das Projekt innerhalb des
Universitätsverbundes Leipzig-Halle-Jena
vorgestellt und auch darüber hinaus beworben werden – denn die Plattform ist als
sogenanntes „Template“ zu verstehen, das
Der Screenshot zeigt eine der neuen
HFK-Seiten im Internet.
heißt, sie kann potenziell auch von anderen
Universitäten zu gleichen Zwecken genutzt
und auf eigene Bedürfnisse hin angepasst
werden. Vorerst muss das Ganze aber natürlich überhaupt erst mal bekannt werden
– vor allem bei der Zielgruppe. Ein Link
auf der Internetseite des Akademischen
Auslandsamtes wird dabei helfen, Flyer
sind gedruckt, und die gute alte Mundpropaganda soll ein Übriges tun.
Da der DAAD das Konzept im Frühjahr
dieses Jahres für förderungswürdig befand,
steuert er Geld für studentische Hilfskräfte
bei, 2003 waren es rund 5 000 Euro, in
diesem und im nächsten Jahr werden es
jeweils rund 10 000 Euro sein. Zum Team
gehören nun neben Ludmilla Anjuschina
auch Kinga Eröss (Rumänien), Tam Quach
(Vietnam), Alselda Zeqiri (Albanien), Sergey Kireyev (Weißrussland) und Axel
Ngonga (Kamerun).
Mit im Boot sind zudem das Akademische
Auslandsamt der Universität und das Studentenwerk Leipzig. Sie sorgten für eine
technische Grundausstattung und einen
Büroraum – passenderweise im Untergeschoss des Wohnheims in der Nürnberger
Straße.
Carsten Heckmann
Projekt „Haus der Fünf Kontinente“
Nürnberger Str. 46
04103 Leipzig
Internet:
www.uni-leipzig.de/~hfk
E-Mail: [email protected]
25
Studiosi
Wie du
mir, so
ich dir
Befragung von
Studenten zum
Gefangenendilemma
Von Manuela Vieth, Institut für Soziologie
In einer Vielzahl von Situationen führen
Handlungen, die für den Einzelnen am vorteilhaftesten sind, ein Ergebnis herbei, das
von allen Beteiligten unerwünscht ist. Ein
Beispiel ist eine Projektgruppe, in der die
einzelnen Beiträge den Mitgliedern nicht
mehr zugeordnet werden können. Vom Gesamtergebnis profitieren dann alle Beteiligten in gleicher Weise, unabhängig von
ihrer geleisteten Arbeit. Da die Beiträge
mit Aufwand verbunden sind, besitzt jede
Person den Anreiz, möglichst wenig beizusteuern. Dies führt dazu, dass sich niemand
in besonderem Maße für das Projekt einsetzt und das Ziel möglicherweise nicht erreicht wird.
So sagt es zumindest die Theorie für solche Situationen eines nicht wiederholten
Gefangenendilemmas – in der Praxis sieht
es jedoch anders aus. Welche Mechanismen sind also dafür verantwortlich, dass
trotzdem Beiträge geleistet werden?
Manuela Vieth hat an den Universitäten
Leipzig und Bern (Schweiz) Soziologie
im Hauptfach studiert. Die von ihr beschriebene Studie entstand im Rahmen
ihrer Magisterarbeit, mit der sie im September 2003 ihr Studium abgeschlossen
hat (http://www.uni-leipzig.de/~vieth).
Zurzeit arbeitet sie am Institut für Soziologie bei Prof. Dr. Thomas Voss. In ihren
wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt
sie sich besonders mit der spieltheoretischen Erklärung sozialer Normen.
26
Angenommen, allen Betroffenen sind die
Tücken dieser sozialen Fallgrube bewusst
und sie finden, dass es besser wäre, wenn
sich alle beteiligten. Selbst wenn der
Wunsch nach einem kooperativen Ergebnis
von allen geteilt wird, kann das Dilemma
jedoch nicht überwunden werden. Denn
jeder Einzelne besitzt den Anreiz, sich
durch die Verweigerung einen Vorteil zu
verschaffen. Dies gilt gerade auch dann,
wenn alle anderen tatsächlich kooperierten. Allein die Nachfrage nach Normen
oder ihre funktionale Nützlichkeit für die
Gesellschaft besagt also noch nicht, dass
diese auch durchgesetzt werden.
Es stimmt, informelle soziale Normen können helfen, solche sozialen Dilemmata
aufzulösen, weil sie die Anreizstruktur verändern. Aber damit Regeln und Vereinbarungen normative Verbindlichkeit erhalten,
müssen den Personen, die von der Norm
abweichen, wirksame Strafen drohen.
Wirksam sind diese jedoch nur dann, wenn
ein Normbrecher genügend hohe Verluste
zu erwarten hat, so dass es sich nicht mehr
lohnt, von der Norm abzuweichen. Dies
betrifft nicht nur die absolute Höhe seiner
Einbußen, sondern erfordert auch, dass die
Sanktionen glaubwürdig sind, d. h. mit genügend hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich verhängt werden. Das Problem dabei
ist, dass die Vergeltung für den Sanktionierenden nichts kosten darf. Dies zeigt
Voss am Normspiel, einem Gefangenendilemma mit Sanktionsebene.
Wie kommt es jedoch, dass Menschen zum
Teil erhebliche Verluste in Kauf nehmen,
um abweichendes Verhalten von Interaktionspartnern zu bestrafen? Beispielsweise
sorgt die Züricher Forschergruppe um
Ernst Fehr mit spieltheoretischen Experimenten zum Bestrafungsverhalten vermehrt für Aufmerksamkeit (auch in Nature
415 (1): 137–140 (2002)). Ihre bisherigen
Ergebnisse zum Freifahrerspiel (eine Art
verallgemeinertes Gefangenendilemma)
zusammengefasst: Sofern Sanktionen
möglich sind, selbst mit monetären Einbußen für den Strafenden, entwickelt sich
ein relativ hohes Kooperationsniveau. Es
existiert also eine soziale Norm. Dies zeigt
sich sowohl in festen Gruppen mit den gleichen Partnern für zehn Runden als auch,
besonders überraschend, in solchen mit
wechselnden Partnern.
Theoretische Arbeiten haben daraufhin das
Prinzip der Reziprozität wiederentdeckt.
„Vergelte Gutes mit Gutem und Schlechtes
mit Schlechtem“, lautet die grundlegende
und bestechend einfache Regel. Beschrie-
ben wurde sie bereits von Hume, von
Kulturanthropologen (Malinowski, Mauss)
hinsichtlich des Gabentauschs in einfachen
Gesellschaften oder als legendäre Tit-forTat-Strategie in den wiederholten Spielen
des Computerturniers von Axelrod (1984).
Reziprozität kann etwa durch Fairness motiviert sein. Dann sanktionieren Menschen,
die reziprok handeln, eine Verweigerung
ihres Partners bis zu einem Grad auch
dann, wenn es sie etwas kostet. Diese Sanktionsdrohung setzt einen wirksamen Anreiz, eine Norm der Kooperation zu befolgen.
Allerdings ist das noch nicht alles. Menschen bilden ja auch Erwartungen über das
Handeln ihrer Interaktionspartner. Daher
würden sie auch ohne Sanktionsmöglichkeit einen Beitrag leisten, wenn sie mit genügend hoher Wahrscheinlichkeit erwarten, dass ihr Partner ebenfalls kooperiert.
In der Tat zeigt sich in Experimenten mit
einmaligen Kollektivgutspielen und ohne
Bestrafungsoption eine recht hohe Beitragsrate. Aber hängt das mit Reziprozität
oder mit Altruismus zusammen? Altruistisch motivierte Personen kooperierten auf
jeden Fall, selbst wenn sie eine Verweigerung von ihrem Partner erwarten. Auch
stellt sich die Frage, in welchen Situationen
und von welchen Elementen in diesen Situationen das handlungsleitende Prinzip
der Reziprozität beeinflusst wird und wie
sehr seine Auswirkungen dann von der
jeweiligen Situation abhängen.
Im Alltag gibt es
viele kleine Fallgruben
Der Beantwortung dieser Fragen hat sich
eine Studie am Institut für Soziologie der
Universität Leipzig gewidmet. Sie ist Teil
eines DFG-Forschungsprojektes und Gegenstand einer Magisterarbeit unter der
Leitung von Prof. Dr. Thomas Voss. Abweichend von den üblichen Laborexperimenten handelt es sich hier um einen faktoriellen Online-Survey, programmiert mit
Unterstützung von Marco Vieth. Ein faktorieller Survey ist eine Art komplexer und
zufälliger Fragebogen-Split. In kurzen Situationsbeschreibungen werden bestimmte
Konstellationen von Merkmalen zufällig
variiert. Auf diese Weise wird untersucht,
wie sich Kontexteffekte auf die Handlungsentscheidungen der Befragten auswirken. Der Hauptteil des Fragebogen besteht hier aus neun Beschreibungen eines
Gefangenendilemmas für zwei Personen.
journal
Studiosi
Dies sind entweder abstrakte Gewinnspiele, in denen farbige Karten einen bestimmten Punktwert besitzen, oder reale
Alltagssituationen. In den realen Situationen geht es darum, zeitgleich ein Gut zu
tauschen (bilateraler Austausch beim Wohnungsumzug oder als Konzertkartentausch, siehe Beispiel im Info-Kasten),
eine Verringerung des Leistungseinsatzes
zu vereinbaren (Output-Beschränkung
zum Vorstellungsgespräch), gemeinsam
eine knappe Ressource zu nutzen
(Ressourcen-Nutzung beim Wanderausflug) oder einen Beitrag zu einem gemeinsamen Gut zu leisten (Kollektivgut-Produktion bei Übungsaufgaben).
In jeder Situation werden die Teilnehmer
nach der eigenen Beitragsentscheidung gefragt und danach, wie sehr sie erwarten,
dass ihr Partner einen Beitrag leisten wird
(nicht sollte!). Sind in der Situationsvariante Sanktionen möglich, folgt eine
zweite Seite, auf der ebenfalls Erwartung
und Entscheidung zur Sanktion erhoben
werden. Die Beitragsentscheidung des
Partners wird vom Computer simuliert und
auf Kooperation gesetzt, wenn der Befragte
den Beitrag verweigert hat, sonst umgekehrt. Abweichend vom Normspiel, dürfen
nur die Personen sanktionieren, die kooperiert haben. Je nach Beitragsentscheidung
befindet sich der Befragte also in einer aktiven (Entscheidung) oder passiven (Erwartung) Sanktionssituation. Um dennoch
beides, Erwartung und Entscheidung, zu
ermitteln, wird zusätzlich der umgekehrte
Beitragsfall in Konjunktiv-Form formuliert.
Die Methode des faktoriellen Surveys ist
erstmalig als Online-Befragung umgesetzt
worden. Dies unterstützt die Zufallsprozesse und ermöglicht, spieltheoretische
Konzepte einzubinden, in denen Entscheidungen gleichzeitig getroffen werden und
mehrere Spielebenen relevant sind. Mit
Hilfe von Thomas Braatz, Claudia Löbin
und Klaus Kunze vom Universitätsrechenzentrum waren im Juli 2003 alle damals
28 433 Studierenden der Universität Leipzig zur Teilnahme aufgerufen (Rücklauf:
808-mal Link angewählt und davon 436mal bis Fragebogenende). Dazu sind an
alle studserv-Adressen E-Mails mit einem
einmaligen und zufällig codierten Link
zum Fragebogen geschickt worden. Beim
ersten Anklicken des Links wird im
Hintergrund ein kompletter Fragebogen
zufällig erzeugt.
Weniger Kooperation
beim Wettbewerb
Ein zentrales Ergebnis dieser Studie ist,
dass ein enormer positiver Einfluss der Erwartung auf die Entscheidung der gleichen
Situationsebene nachzuweisen ist (s. Diagramm). Wenn die Befragten einen Beitrag
vom Partner sicher erwarten, erhöht sich
die Wahrscheinlichkeit ihrer eigenen kooperativen Entscheidung bis zu 73 Prozent.
Der Effekt der Sanktionserwartung auf die
Sanktionsentscheidung ist ähnlich hoch.
Im Hinblick auf Kooperation in sozialen
Dilemmata ist dieser Befund keineswegs
trivial, weil ja stets der Anreiz zur Verweigerung besteht. Somit sind Beitrags- und
Sanktionsentscheidungen trotz materieller
Einbußen in hohem Maße strategisch und
an Reziprozität orientiert. Gleichzeitig
unterscheidet sich jedoch das Ausmaß der
Reziprozität, gemessen am Grad der Übereinstimmung zwischen Entscheidung und
Konzertkartentausch –
ein Beispiel aus der Befragung
Sie besitzen eine Konzertkarte. Kurz vor
der Veranstaltung haben Sie jedoch einen
anderen Termin. Das Konzert können Sie
trotzdem besuchen, hätten aber doch
gerne eine Karte für eine andere Veranstaltung. Sie haben einen Aushang entdeckt. Ein Student einer anderen Universität sucht aus ähnlichen Gründen Ihre
Karte. Er bietet dafür eine andere, die Sie
bevorzugen würden. Sie haben vereinbart, die Karten einander per Post zuzuschicken. Allerdings müssten beide Karten gleich morgen abgeschickt werden.
Sie beide wissen voneinander, dass jeder
die Veranstaltung mit seiner eigenen
Karte ebenfalls besuchen kann. Sie beide
können sich nun entscheiden, ob sie die
Karte abschicken oder nicht …
Erwartung, in den realen Situationstypen.
Auch bestehen erhebliche Kontexteffekte
hinsichtlich des bloßen Niveaus der Beitragsleistung und Sanktion. Beispielsweise
wird in Situationen, die als Wettbewerb
zwischen den Beteiligten dargestellt werden (die Anreizstruktur bleibt unverändert!), deutlich weniger kooperiert und Kooperation erwartet.
Die Ergebnisse dieser Studie belegen, dass
Reziprozität ein Grundprinzip menschlichen Handelns ist: Freundliche Handlungen werden freundlich erwidert und unfreundliche entsprechend unfreundlich
beantwortet – selbst wenn es sich um erwartete Entscheidungen und einmalige
Situationen handelt.
Die Grafik zeigt: Je eher eine Person
den Beitrag einer anderen erwartet,
desto mehr ist sie selbst bereit,
einen Beitrag zu leisten.
Die schwarze durchgezogene Linie
zeigt die an den Daten geschätzte
Wahrscheinlichkeit der Entscheidung
bei der jeweiligen Ausprägungen
der Erwartung. Die gestrichelten
grauen Linien zeigen die statistisch
möglichen Abweichungsbereiche
(oberes und unteres Konfidenzintervall).
V: Verweigern; K: Kooperieren
Heft 1/2004
27
Studiosi
Ein
Orchester
findet
sich selbst
43 Studenten
musizieren jetzt
gemeinsam
Aus eigener Initiative haben sich in diesem
Wintersemester 43 Studenten zu einem
Orchester zusammengefunden. Ihr Ziel ist
es, ein neues klassisches Orchester an der
Universität zu bilden. Die begabten jungen
Musiker mit Orchestererfahrung stammen
aus allen Fachrichtungen. Probe ist einmal
wöchentlich (montags), es wird ein Programm im Semester einstudiert, und das
Orchester verwaltet sich selbst. Das gemeinsame Musizieren soll vor allem Spaß
machen und sowohl den Teilnehmenden als
auch den Zuhörenden Freude bereiten.
Die Idee stammt von zwei Leipziger Studenten. Britta Glaser, die Kunst und Englisch auf Lehramt studiert, und der Medizinstudent Julian Bindewald wollten sich
einem studentischen Orchester anschließen. „Da jedoch kein Orchester an der Universität Leipzig mit geeigneten Konditionen existierte, gründeten wir selbst eins“,
so Britta Glaser. Und Julian Bindewald fügt
hinzu: „Wie ein Lauffeuer verbreitete sich
Das studentische Orchester bei seinem ersten Konzert.
die Nachricht unter den Studenten.“
Schnell schlossen sich immer mehr Studenten an, bis das Orchester die heutige Größe
erreicht hatte. Die Idee für ein derartiges
Orchester besteht schon seit längerem,
wurde aber erst jetzt in die Tat umgesetzt.m
Das Orchester verfügt inzwischen über
eine vollständige Kammerorchesterbesetzung. „Wir wollen in unserem Repertoire
Schwerpunkte auf die Musik der Klassik,
Romantik und zeitgenössische Musik setzen“, erklären die beiden Studenten. Dabei
soll pro Semester ein Sinfoniekonzert einstudiert werden, welches dann in zwei bis
drei Aufführungen zu hören sein wird.
Nicht nur junge Laienmusiker finden im
neuen Orchester die Möglichkeit, ihr Können unter Beweis zu stellen. Das Orchester
will jedes Jahr einem Studenten oder Absolventen des Faches Dirigieren, zum Beispiel von der Hochschule für Musik und
Theater in Leipzig, die Chance geben, ein
erfahrenes Laienorchester zu leiten. So
können junge Nachwuchsdirigenten neue
Erfahrungen sammeln. Der Dirigent des
Gründungskonzertes, Norbert Kleinschmidt, beendet gerade sein Studium an
der Hochschule. Um mögliche Nachfolger
zu ermitteln, wurde Ende Januar ein Probedirigat durchgeführt. Auch die Solisten
greifen auf eine fundierte musikalische
Foto: Armin Kühne
Ausbildung zurück und sollen durch das
Orchester die Möglichkeit bekommen, ihr
Konzertrepertoire darzubieten.
Am 15. Januar war das neugegründete studentische Orchester erstmalig öffentlich zu
hören. Der Mendelssohnsaal im Gewandhaus war bis auf den letzten Platz besetzt.
Draußen warteten noch viele Klassik-Fans,
aber es ging nichts mehr. Auf dem Programm des Gründungskonzertes standen
die Rumänischen Volkstänze von Béla
Bartók, das Konzert für Flöte und Orchester Nr. 1 in G-Dur von Wolfgang Amadeus
Mozart und die Sinfonie Nr. 104 von
Joseph Haydn. Die Solistin war Dóra
Ombódi. Das Konzert war ein großer Erfolg. Die Studenten ernteten anschließend
Standing Ovations.
Finanzielle Zuwendung und organisatorische Unterstützung für das Konzert hatte
das neue Orchester vom StudentInnenrat
der Universität, vom Studentenwerk, vom
CD-Fachgeschäft „Opus 61“ sowie vom
Gewandhaus zu Leipzig bekommen. Auch
die Universität Leipzig half bei der Organisation.
Katharina Märker
Interessierte Studenten sind herzlich
eingeladen, sich unter
[email protected]
zu melden.
Anzeige
Öffentliche Bekanntmachung
Jurastudenten an der Technischen Universität Dresden und der Universität Leipzig
Die Dr. Hedrich-Stiftung ist eine rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts mit Sitz in Dresden. Sie ist benannt nach ihrem Stifter,
Herrn Staatsminister a. D. Dr. jur. Hans Richard Hedrich, verstorben am 20. 09. 1945 in Dresden. Zweck der Stiftung ist es, begabte und
bedürftige Studentinnen und Studenten, die ein juristisches Studium an der Technischen Universität Dresden oder an der Universität
Leipzig absolvieren, finanziell zu fördern.
Die Voraussetzungen einer Förderung im Einzelnen ergeben sich aus der Satzung und der Vergaberichtlinie der Stiftung.
Interessenten fordert der Vorstand der Stiftung hiermit auf, bis zum 15. 04. 2004 einen Antrag auf Förderung zu stellen.
Nähere Informationen zu den Antrags- und Förderbedingungen sind erhältlich bei der Dr. Hedrich-Stiftung, Landeshauptstadt Dresden,
Geschäftsbereich Finanzen und Liegenschaften, Postfach 12 00 20, 01001 Dresden oder telefonisch unter 03 51 / 488 20 82 (Frau Behn).
Der Vorstand der Dr. Hedrich-Stiftung
28
journal
Studiosi
Verleihung des Kurt-Meinel-Preises
Arbeit zu Ski-Material prämiert
Der 26-Jährige Student der Sportwissenschaften Sascha Kreibich wurde im Rahmen der Festveranstaltung „Zehn Jahre
Sportwissenschaftliche Fakultät“ am 5. Dezember mit dem Kurt-Meinel-Preis ausgezeichnet. Sein Referat „Untersuchungen
zur Optimierung der Bindungseinstellung
und Materialanpassung im Skispringen“,
mit dem er die Jury zum wissenschaftlichen
Wettbewerb am Dies academicus beeindruckte, basiert auf seiner Diplomarbeit.
Darin untersuchte er die optimale Einstellung bzw. individuelle Abstimmung des
Sportlers auf sein Material, was besonders
für Leistungssportler extrem wichtig ist.
Der ehemalige Skispringer und Leistungssportler kam erstmalig als studentische
Hilfskraft am Institut für Angewandte Trainingswissenschaften (IAT) mit der Thematik in Kontakt. Im Fachbereich Skisprung
beschäftigte er sich wissenschaftlich mit
seinem Hobby.
Der Preis wurde nach Professor Dr. Kurt
Meinel benannt, dem Begründer der allgemeinen Bewegungslehre. Seit 1998 erhält
diese Auszeichnung jedes Jahr ein Student
oder Nachwuchswissenschaftler mit außergewöhnlichen wissenschaftlichen Leistungen auf dem Gebiet der Sportwissenschaften. Besonders bemerkenswert ist die Tatsache, dass sich erneut ein Student gegenüber dem wissenschaftlichen Nachwuchs
durchgesetzt hat.
Der Preisträger des Kurt-Meinel-Preises
wird jährlich unter den Siegern des wissenschaftlichen Wettbewerbes, der zum
Dies academicus ausgetragen wird, verliehen. In den Kategorien Referate, Video,
Multimediapräsentation und Poster treten
jeweils Studenten und der wissenschaftliche Nachwuchs in den Wettstreit.
Sacha Kreibich erhält ein Preisgeld von
400 Euro, das von der Sparkasse Leipzig
gesponsert wird. Die Frage, was er mit dem
Preisgeld machen werde, beantwortete er
ohne zu zögern: Natürlich in den Skiurlaub
fahren.
Katharina Märker
Sascha Kreibich
Foto: Märker
Rektor
zeichnete beste
Sportler aus
Die Veranstaltung für die besten Sportler
der Universität stand im Dezember im
Zeichen des kleinen Gründungsjubiläums
(zehn Jahre) des Zentrums für Hochschulsport. Rektor Prof. Dr. Franz Häuser
zeichnete die Studierenden aus, die im
Wettkampfjahr 2003 die Universität bei
internationalen Studierendenwettkämpfen,
Deutschen und Sächsischen Hochschulmeisterschaften in den verschiedensten
Sportarten erfolgreich vertreten haben. Die
herausragendsten Ergebnisse erzielten
Gabi Teichmann (2. Platz bei der Studierenden-WM im Judo), Enrico Friedemann
(3. Platz bei der 1. Studierenden-WM der
Schützen, Kleinkalibergewehr), Roman
Schulze (Deutscher Hochschulmeister im
Judo und Teilnehmer bei der StudierendenWM und der Universiade) und René Sack
(Deutscher Hochschulmeister im Kugelstoßen und 4. Platz bei der Universiade in
Südkorea).
Weitere vordere Platzierungen von Studierenden der Universität bei Deutschen
Hochschulmeisterschaften legten auch
2003 den Grundstein für einen Spitzenplatz der Uni im studentischen Wettkampfsport in Deutschland.
Weitere Informationen im Internet:
www.uni-leipzig.de/~sport/
„Ariadne“ mit neuen Angeboten
Der „rote Faden“ ins Berufsleben
Jetzt geht es richtig los: Der studentische
Verein „Ariadne – Arbeitsmarktinitiative
Leipzig“ will von sich reden machen. Den
Verein gibt es schon seit 1999, aber 2003
schrieben neue Mitglieder ein neues Konzept. „Wir möchten Studenten aller Fachrichtungen Angebote unterbreiten, die den
Einstieg in das Berufsleben erleichtern sollen“, sagt die stellv. Vereinsvorsitzende
Mandy Jahnke. „Wir“, das sind elf Studenten und neun Absolventen der Uni Leipzig
(aus den Bereichen Erwachsenenpädagogik, Soziologie, Psychologie, Politikwissenschaft, Theaterwissenschaft, Deutsch
als Fremdsprache und Sportwissenschaft).
„Ariadne“ will als eine Lern- und Laufbahnberatung etablieren und die Rolle
Heft 1/2004
eines „I-Punktes“ im Rahmen des Projekts
„Lernende Regionen“ einnehmen. Dazu
gehört auch, sich um den Bereich der
Weiterbildung zu kümmern. Der Verein
will Seminare und Workshops anbieten,
welche durch externe Trainer und Experten
aus der Wirtschaft, aber auch fachkundige
Studenten umgesetzt werden. „Dies werden Studenten der Erwachsenenbildung
sein“, da sie das nötige Handwerkszeug im
Laufe ihres Studiums erwerben“, erklärt
Mandy Jahnke. Weitere „Ariadne“-Angebote werden u. a. sein: eine Praktikumsbörse, Bewerbungsseminare, individuelle
Beratung. Ein Bildungsnetzwerk soll so
entstehen. Der Verein sieht sich als Bindeglied zwischen Universität und Wirtschaft
und kooperiert bereits mit dem Institut für
postgraduale Weiterbildung Leipzig.
Der Vereinsname stammt übrigens aus der
griechischen Mytologie. Ariadne war die
Tochter von Minos, König von Kreta. Mit
Hilfe eines roten Wollfadens half sie dem
Helden Theseus aus dem Labyrinth und
rettete ihn dadurch vor dem Ungeheuert
Minotaurus. „Diesen ‚roten Faden‘ wollen
wir den Studenten auf ihrem Weg ins Berufsleben bieten“, so Mandy Jahnke. C. H.
Wer Fragen oder Anregungen loswerden möchte, kann eine E-Mail an
[email protected] schicken.
Weitere Informationen im Internet:
www.ariadne-leipzig.com
29
Personalia
Veterinärmedizin
Ellenberger-Preis
für Ellenberger
Neu
berufen:
Neu
berufen:
Jörg Jescheniak
Ch. Schneider
Er beschäftigt sich mit den mentalen Prozessen des Menschen: Prof. Dr. Jörg D.
Jescheniak, C3-Professor für Kognitionspsychologie am Institut für Allgemeine
Psychologie der Fakultät für Biowissenschaften, Pharmazie und Psychologie.
Ihn beschäftigen besonders die kognitiven
Aspekte der Sprachverarbeitung, beginnend bei der Sprachproduktion (Planung
von Wörtern, Phrasen und Sätzen) über das
Sprachverstehen (Aspekte der Satz- und
Textverarbeitung) bis zur Sprachentwicklung (Entwicklung des Zugriffs auf das
lexikale Gedächtnis). Dabei interessiert ihn
auch, was „davor“ liegt, das Zusammenspiel vorsprachlicher Kognition und
sprachlicher Umsetzung.
Naturgemäß ist sein Forschungsgebiet fächerübergreifend: Sein kognitiver psychologischer Ansatz verbindet die Psychologie
mit der Linguistik, den Informationswissenschaften, den Neurowissenschaften und
der Philosophie. Entsprechend interdisziplinär ist sein Team, in dem neben den
Psychologen auch eine Sprachwissenschaftlerin und ein Philosoph beschäftigt
sind. Auch die vielfältigen Möglichkeiten
der wissenschaftlichen Zusammenarbeit in
Leipzig kommen ihm entgegen. Über die
Universität mit ihrer Fächerstruktur hinaus
freut er sich über das Max-Planck-Institut
für Kognitions- und Neurowissenschaften
quasi direkt vor seiner Haustür.
Um herauszufinden, was beim Sprecher
passiert, bevor er redet, entwickelt Jescheniak experimentelle Verfahren, die die Vorgänge objektivieren sollen. Die Methodik
dabei ist noch relativ neu in der Sprachpsychologie: Anstatt wie bisher mittels der
Analyse von Sprechfehlern hinter das verwobene Netzwerk Sprache zu kommen, ist
sein Ansatz, „das gelingende Sprechen“ zu
untersuchen.
Privat bleibt er sozusagen im Kollegenkreis: Auch seine Frau ist Psychologin, im
Moment allerdings voll mit den einjährigen Zwillingen Friederike und Katharina
beschäftigt.
B. A.
Im Mittelpunkt seiner Forschung steht die
organische Synthese. Dabei erforscht er
besonders die Synthese biologisch aktiver
Verbindungen, z. B. zytotoxisch aktiver
Verbindungen, wie sie für die Krebstherapie eingesetzt werden. Hier zeigt sich die
Ambivalenz der Neigung des neuberufenen C4-Professors für Organische Synthese, Prof. Dr. Christoph Schneider, der
am Institut für Organische Chemie der Fakultät für Chemie und Mineralogie angesiedelt ist. Bereits während seines Studiums in Göttingen belegte er neben der
Chemie auch medizinische Fächer und hat
nun in einer perfekten Synthese seine Interessen wieder unter einen Hut gebracht.
In Schneiders Forschungen spielt weiterhin
die enantioselektive Katalyse eine große
Rolle. Darunter versteht man chemische
Reaktionen, bei denen mit kleinen Mengen
eines chiralen Hilfsstoffes große Mengen
enantiomerenreiner Verbindungen hergestellt werden. Enantiomere Verbindungen
sind fast identisch, verhalten sich jedoch
wie Bild und Spiegelbild und lassen sich
ähnlich einem rechten und linken Handschuh nicht zur Deckung bringen. Beachtet
man das z. B. bei der Arzneimittelherstellung nicht, so kann das verheerende Auswirkungen haben: Das Contergan ist wohl
das bekannteste Beispiel dafür, was passieren kann, wenn Medikamente als Mischung
von Bild und Spiegelbild eingesetzt werden. Das Pendant kann ganz andere Eigenschaften als die gewünschten entfalten.
Seine wissenschaftliche Laufbahn begann
Schneider in Göttingen und an der Harvard
University in den USA. In Göttingen war
er dann zunächst als Habilitant und dann
als Oberassistent tätig. Zwischendurch war
er Gastprofessor in Szeged (Ungarn), Toronto (Kanada) und Saarbrücken.
In Leipzig will er zur Reputation der Leipziger Chemie und zur erstklassigen Ausbildung von Studenten beitragen. Kraft
schöpft er aus seinen Hobbys Laufen und
Skifahren, Literatur und Geschichte und
besonders aus seiner Familie.
B. A.
30
Den Ellenberger-Preis
des Jahres 2003 für die
beste Dissertation des
Vorjahres, der vom
Freundeskreis der Veterinärmedizinischen Fakultät Leipzig e. V. vergeben wird und der mit
2000 Euro dotiert ist, erhielt Dr. Christin
Ellenberger, die mit dem Namensgeber
nicht verwandt ist. Der Preis wurde vergeben für die Arbeit zum Thema „Pathologie
des equinen Ovars und daraus resultierende
endometriale Differenzierungsstörungen –
Histomorphologische und immunhistologische Untersuchungen“. Dabei geht es
um funktionell bedingte Funktionsstörungen in der Gebärmutterschleimhaut der
Stute. Die Doktorandin konnte durch ihre
Untersuchungen erstmals eine definierte
Ursache nachweisen.
Zu diesem Zweck wurden Gewebeproben
aus der Gebärmutter von Stuten mit unterschiedlichen hormonell aktiven und -inaktiven Eierstocksveränderungen (Tumoren,
Zysten, Hämatome, Entzündungen) entnommen. Mehrere Wochen nach der Entfernung des veränderten Eierstocks erfolgte eine erneute Gewebeprobenentnahme aus der Gebärmutter. An den vor
und nach der Operation gewonnenen Proben wurden mittels konventioneller lichtmikroskopischer und immunhistologischer
Methoden vergleichende Untersuchungen
vorgenommen. Hierbei konnte festgestellt
werden, dass nach der Entfernung des hormonell aktiven, entarteten Eierstocks eine
Normalisierung der zuvor funktionell gestörten Strukturen in der Gebärmutterschleimhaut zu beobachten ist, während
hormonell nicht aktive Eierstocksveränderungen zu keiner Störung führten.
Insgesamt zeigen die Erkenntnisse, dass
die Gewebeprobe aus der Gebärmutterschleimhaut ein nützliches Mittel zur Dokumentation des Behandlungserfolges
darstellt, da mit ihr die Reversibilität der
Veränderungen aufgezeigt werden konnte
und dem Pferdezüchter ein sinnvoller Zeitpunkt für eine neue Bedeckung der Stute
vorgeschlagen werden kann. Es ist bekannt, dass nahezu alle Pferde aus dieser
Studie nach der Therapie wieder tragend
wurden und erfolgreich abfohlten.
B. A.
journal
Personalia
Kurz gefasst
Prof. Dr. Frank Zöllner, Institut für
Kunstgeschichte, erhielt für die französische Ausgabe seines im April 2003 erschienenen Buches „Leonardo da Vinci.
Sämtliche Gemälde und Zeichnungen“ den
„Prix Paul Marmottan“ der Académie des
Beaux-Arts. Der Preis wurde Zöllner am
am 19. November 2003 im Institut de
France in Paris verliehen. Er erging erstmals an einen deutschen Kunstwissenschaftler.
Prof. Dr. Ulla Fix, Institut für Germanistik, wurde im Rahmen der Vorbereitung des
XI. Internationalen Germanistenkongresses 2005, veranstaltet von der Internationalen Vereinigung für Germanistik (IVG)
in Paris, mit der inhaltlichen Organisation
und der Leitung der Sektion „Deutsche
Sprache und Literatur nach der Wende“ beauftragt.
Dr. Wolfram Herold hat nochmals verlängert und bleibt bis Ende des Wintersemesters Ausländerbeauftragter der Universität
Leipzig. Er steht allerdings nur noch eingeschränkt für diese Funktion, die er seit
1991 ausübt, zur Verfügung. Er ist dienstags von 10 bis 16 Uhr im Raum 430 im
Akademischen Auslandsamt, Goethestraße
6, anzutreffen. Seine Telefonnummer lautet: 9 73 20 33.
Dr. Elizabeth Millan-Zaibert (State University of New York in Buffalo, USA)
kommt ab 1. Juli dieses Jahres für ein Jahr
als Gastwissenschaftlerin an das Institut
für Philosophie und wird dort unter der Betreuung von Professor Pirmin SteckelerWeithofer arbeiten. Die Humboldt-Stiftung
hat der Wissenschaftlerin ein Forschungsstipendium verliehen.
Im November 2003 wurde der Architekt
Burkhard Pahl, Professor für Entwerfen
und Konstruktives Gestalten, bereits zum
zweiten Mal für die Konzeption der Weltcup-Skisprungschanze in Willingen ausgezeichnet. Hatte ihn ein Jahr zuvor der Deutsche Stahlbautag geehrt, so waren es diesmal das International Olympic Committee
(IOC) und die International Association for
Sports and Leisure Facilities (IAKS).
In sechs Kategorien wurden weltweit 27
Architekten für beispielhafte Sportstätten
der letzten fünf Jahre mit dem IOC/IAKSHeft 1/2004
Award ausgezeichnet. Neben den Olympiabauten in Sidney/Australien waren herausragende Konzepte aus den USA, Chile,
Japan, Neuseeland und Deutschland unter
den Preisträgern. Die Verleihung des
Awards erfolgte in einer Feierstunde
durch Dr. Thomas Bach, Vizepräsident des
Internationalen Olympischen Komitees,
Prof. Carlos Vera Guardia PhD, Ehrenpräsident des Instituto Panamericano de
Educatión Fisica und Dr. Stephan J. Holthoff-Pförtner, Präsident der Internationalen Vereinigung Sport- und Freizeiteinrichtungen e.V.
Prof. Dr. Dr. Günther Wartenberg, Dekan der Theologischen Fakultät, wurde
vom Bewilligungsausschuss für die Allgemeine Forschungsförderung der Deutschen
Forschungsgemeinschaft für zwei weitere
Jahre zum Mitglied des Bibliotheksausschusses gewählt.
Die Bangladesh Society for Veterinary
Education and Research hat Prof. Dr. Hermann Müller, Direktor des Instituts für
Virologie, im vergangenen Jahr anlässlich
seines Besuches der Bangladesh Agricultural University in Mymensingh (Bangladesh) mit dem Annual Lecture Award ausgezeichnet.
PD Dr. Attila Tarnok, Klinik für Kinderkardiologie, Herzzentrum Leipzig, wurde
von der amerikanischen Fachzeitschrift
Cytometry, dem Organ der International
Society for Cytology (ISAC, www.isacnet.org), zum Associate Editor berufen.
Mit den meisten Stimmen wurde Prof. Dr.
Anette G. Beck Sickinger, Institut für
Biochemie an der Fakultät für Biowissenschaften, Pharmazie und Psychologie, in
den Vorstand der Gesellschaft Deutscher
Chemiker gewählt.
PD Dr. Martin U. Schuhmann, Klinik
und Poliklinik für Neurochirurgie, erhielt
auf dem 32nd Annual Meeting of the
AANS/CNS, Section on Pediatric Neurological Surgery in Salt Lake City den
Hydrocephalus Association Award 2003.
Der für den Beitrag „Serum and CSF
C-Reactive Proteine in Shunt Infection
Management“ vergebene Preis wird gestiftet von der US-amerikanischen Hydrocephalus Association für den besten Beitrag eines jüngeren Neurochirurgen zum
Themengebiet Hydrocephalus und ist mit
500 $ dotiert.
Nestor der
Kinderchirurgie
verstorben
Kurz vor der Drucklegung erhielt die
Redaktion die traurige Nachricht, dass
Prof. em. Dr. Dr. h.c.
Fritz Meißner am
16. Januar im Alter
von 83 Jahren verstorben ist. Der erste
Direktor der Klinik für Kinderchirurgie
wird der Universität stets als herausragender Mediziner, exzellenter Wissenschaftler und leidenschaftlicher Hochschullehrer in Erinnerung bleiben.
Meißners Schüler und Nachfolger Prof.
em. Dr. Joachim Bennek wird die Lebensleistung des Nestors der Leipziger
Kinderchirurgie in der nächsten JournalAusgabe ausführlich würdigen.
r.
Neuer Kustos am Botanischen Garten ist
PD. Dr. Martin Freiberg, Spezialist für
Gesneriaceae und Kronenforschung. Zu
seinem Aufgaben gehören die wissenschaftliche Betreuung der lebenden Sammlungen, Öffentlichkeitsarbeit, Vorlesungen
und die Betreuung von Praktika im Garten.
Das Lateinamerikazentrum finanziert jetzt
gemeinsam mit dem UFZ eine Drittmittelstelle, die Mag. Marianne Gaese, Spezialistin für internationale Studien, innehat.
Zu ihren Aufgaben gehören Machbarkeitsstudien zu Studiengängen und Interdisziplinären Projekten sowie Fundraising.
OA Dr. Dirk Winkler, Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie, erhielt eines der
zwei Stipendien des Stiftungsrates „Neurochirurgische Forschung“ in Höhe von
10 000 Euro für seine Arbeit „Transplantation humaner neuraler Stammzellen im
6-OHDA-Rattenmodell des Morbus Parkinson“. Das Geld soll der Komplettierung
der Grundausstattung und der Themenbearbeitung innerhalb der Arbeitsgruppe um
Prof. Johannes Schwarz, Klinik und Poliklinik für Neurologie, dienen, um gemeinsame Projekte zu bearbeiten.
31
Personalia
Grenzen überschreiten nach
dem Vorbild der Literatur
Ehrendoktorwürde für den
Lateinamerikanisten Carlos Rincón
Die Philologische Fakultät verlieh am
17. 12. 2003 die Ehrendoktorwürde an den
namhaften Literatur- und Kulturtheoretiker
Prof. Dr. Carlos Rincón, Emeritus des Lateinamerika-Instituts der Freien Universität Berlin. Wie Dekanin Prof. Dr. Zybatow und Rektor Prof. Dr. Häuser zur Feier
der Ehrenpromotion im Alten Senatssaal
eingangs hervorhoben, galt die Ehrung
auch einem Wissenschaftler, der enge Beziehungen zur Leipziger Universität besitzt. Nicht nur, dass er Mitte der 60er Jahre
bei Werner Bahner und Werner Krauss studiert und promoviert hat, er hat auch bei
dem Neuaufbau der Leipziger Lateinamerikanistik, insbesondere des Ibero-Amerikanischen Forschungsseminars, in den
90er Jahren wertvolle Unterstützung gegeben. Gewürdigt wurden auch seine großen
Verdienste als Vermittler zwischen den
Kulturen der Iberischen Halbinsel und Lateinamerika einerseits und Europa und
Deutschland andererseits. In der Tradition
von Werner Krauss den gesellschaftlichen
und geschichtlichen Auftrag der Geisteswissenschaften verfolgend hat Carlos Rincón Wesentliches zu einer Erneuerung der
Literaturwissenschaft und Lateinamerikanistik und deren Umformung zu einer Kulturwissenschaft beigetragen. Und dies zu
einer Zeit, da von Kulturstudien in den
Philologien noch keine Rede war.
Die Laudatio von Prof. Dr. Vittoria Borsò
(Universität Düsseldorf) skizzierte die verschiedenen Seiten von Rincóns Wirken –
als Historiker, Theoretiker, Interpret, Kulturvermittler und akademischer Lehrer –
und wandte sich insbesondere der erkenntnistheoretischen Schärfe seines Denkens
zu. Das schöpfe aus verschiedenen Quellen: der Philosophie und der Kunst, der
Literatur und der „profanen Kultur“. Die
fortwährende Grenzüberschreitung sei
Programm. Auf die globalisierte Welt bezogen, so sein Credo, müsse das Denken
die querlaufenden Bewegungen zwischen
den Disziplinen wie zwischen den Kulturen vollziehen.
Prof. Dr. Alfonso de Toro (r.) gratuliert Prof. Dr. Carlos Rincón.
32
Foto: Kühne
An europäische Denktraditionen anknüpfend wie etwa an den Goetheschen Begriff
der Universalliteratur, deute er das Universelle um als Dialog zwischen dem Partikulären, Regionalen einerseits und dem
Gobalen andererseits. Rincón komme zur
Konzeption eines gemeinsamen Raumes,
in dem die Region den grenzüberschreitenden Teil einer gemeinsamen globalisierten Lebenswelt darstellt. Der subversive Zug dieses Denkens liege in der
Relativierung des Nationalen aus der
Sicht eines globalen Zusammenhangs und
des Gobalen aus der Sicht lokaler Existenzen.
Die Laudatorin verwies abschließend darauf, dass bei der Überschreitung nationaler, regionaler oder disziplinärer Grenzen
für Rincón die Literaturen der Welt das
Vorbild sind. „Sie sind jene Regionen der
Welt, die überall zu Hause sind. Diese Freiheit ist die Signatur des Denkens von Carlos Rincón selbst.“
Ehe der Geehrte in seiner Danksagung für
den zweiten Leipziger Doktortitel Erinnerungen des jungen kolumbianischen Stipendiaten an die Jahre in Leipzig lebendig
werden ließ, verlas der Direktor des IberoAmerikanischen
Forschungsseminars,
Prof. Dr. Alfonso de Toro, einen Text mit
der einen Buchtitel von Rincón aufgreifenden, dennoch geheimnisvoll bleibenden
Überschrift: „Auf der Suche nach einem
Buch; wonach sonst! Oder die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen“. Was die
Zuhörer anfänglich mit Verwunderung, zunehmend mit Vergnügen und schließlich
mit großem Beifall aufnahmen, offenbarte
sich als eine phantastische Geschichte
literarischen Ranges und der Vortrag gewissermaßen als Überreichung des wohl
schönsten und persönlichsten Geschenks
an den verehrten Kollegen und Förderer.
Wenn man so will auch eine Grenzüberschreitung an diesem Nachmittag: von der
akademischen zur poetischen Welt.
Volker Schulte
journal
Personalia
Martina Drucker
zum 100. Geburtstag
Kinderärztin
von großem
Format
Die Ehrendoktor-Urkunde empfing Günther Wartenberg aus den Händen von
Andrei Marga, Rektor der Babes-Bolyai-Universität.
Foto: Universität
Günther Wartenberg
Ehrendoktor in Rumänien
Der Kirchenhistoriker Prof. Dr. Dr. Günther Wartenberg, Dekan der Theologischen
Fakultät der Universität Leipzig, wurde
Ende 2003 von der Babes-Bolyai-Universität in Cluj-Napoca (Klausenburg) in Rumänien mit dem Ehrendoktortitel auf dem
Gebiet Kirchengeschichte und Literaturgeschichte ausgezeichnet. Gewürdigt wurden
damit seine, wie es in der Urkunde heißt,
„hervorragende wissenschaftliche Arbeit
auf dem Gebiet der Kirchengeschichte
sowie die erwiesene Unterstützung bei der
Entwicklung der reformierten theologischen Ausbildung an der Babes-BolyaiUniversität, in der Forschung sowie bei der
Entwicklung von Bildungsinhalten“. Verliehen hat den Dr. h. c. der Senat der Universität auf Antrag der Reformierten Theologischen Fakultät. Die Urkunde empfing
Günther Wartenberg auf einer festlich-akademischen Feier in der Aula magna der
Universität aus den Händen von Rektor
Prof. Andrei Marga. Gleichzeitig mit der
Ehrenpromotion des Leipziger Theologen
wurde auch dem ungarischen Bischof Dr.
Gusztáv Böleskei, Debrecen, die Ehrendoktorwürde verliehen.
Die Universität Leipzig ist seit drei Jahren
durch einen Vertrag mit der Babes-BolyaiUniversität verbunden. Die Zusammenarbeit vollzieht sich v. a. in den Fächern Theologie, Germanistik, Romanistik, Kommunikations- und Medienwissenschaft und
Mathematik. Die aufstrebende Hohe
Schule, die 1872 gegründet wurde und auf
ein Jesuitenkolleg von 1581 zurückgeht,
verfügt jetzt über 44 000 Studierende und
bietet neben den rumänischen auch ungarische und deutsche Studiengänge an.
An der Reformierten Theologischen Fakultät sind etwa 200 Studierende mit dem
Schwerpunkt Lehrerausbildung für den
Religionsunterricht eingeschrieben. Sie
beging jetzt ihr zehnjähriges Bestehen, zu
dessen Feierlichkeiten neben den Ehrenpromotionen auch eine internationale wissenschaftliche Tagung zur Theologie im
21. Jahrhundert gehörte.
r.
Am 29. Dezember 1903 wurde Martina
Drucker als Tochter des bekannten Rechtsanwaltes Dr. Martin Drucker und seiner
Ehefrau Margarethe, geb. Mannsfeld, in
Leipzig geboren. Nach dem Besuch des
Schillerrealgymnasiums studierte sie in
München, Heidelberg und Leipzig Medizin und bestand 1930 das medizinische
Staatexamen mit „gut“. Nach dem praktischen Jahr als Medizinalpraktikantin an
der Universitätskinderklinik war sie als
Volontärassistentin an der medizinischen
Universitäts-Poliklinik bis November 1932
angestellt. Anschließend wollte sie mit der
Fachausbildung an der Kinderklinik beginnen und beschäftigte sich zunächst mit
ihrer Doktorarbeit zu einem Thema aus der
Kinderheilkunde. In einem Zeugnis vom
31. Juli 1931 schreibt der Pädiater Prof.
Georg Bessau: „Ihr bestimmtes Auftreten
sicherte ihr die Autorität gegenüber dem
Pflegepersonal und ihre stete Hilfsbereitschaft die Sympathie ihrer Kollegen“.
Unter dem NS-Regime gelang es ihr nicht,
als „jüdischer Mischling II. Grades“ eine
Anstellung als Ärztin zu bekommen oder
ihre Doktorarbeit zu vollenden, sodass sie
notgedrungen eine Stelle als Sprechstundenhilfe annahm. Als ihr jüdischer Chef,
der Internist Dr. Abraham Adler, Ende
Geburtstage
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
65. Geburtstag
Prof. Dr. Adolf Wagner, Institut für Empirische
Wirtschaftsforschung, Dekan von Okt. 1996 bis
Okt. 1999, am 25. Februar
Medizinische Fakultät
65. Geburtstag
Prof. Dr. med. Friedrich-Hugo Kamprad, Klinik
und Poliklinik für Strahlentherapie und Radioonkologie, am 23. Januar
75. Geburtstag
Prof. Dr. med. Ulrich Fuchs, ehem. Institut für
Pathologie, am 9. Februar
Heft 1/2004
Fakultät für Physik und Geowissenschaften
65. Geburtstag
Prof. Dr. Hans Neumeister, Institut für Geographie, am 16. Januar
Der Rektor der Universität Leipzig und die
Dekane der einzelnen Fakultäten gratulieren
herzlich.
(Die Geburtstage werden der Redaktion direkt
von den Fakultäten gemeldet. Die Redaktion
übernimmt für die Angaben keine Gewähr. Das
gilt auch für deren Vollständigkeit.)
Martina Drucker
Foto: Uni-Archiv
33
Personalia | Habilitationen und Promotionen
1937 emigrieren musste, führte sie während der Krankheit und nach dem Tode
ihrer Mutter den Haushalt für ihren Vater,
ihre zwei Brüder Heinrich und Peter sowie
für ihre jüngere Schwester Renate.
Wiederholte Versuche, eine Anstellung als
Ärztin zu bekommen blieben erfolglos.
Erst 1941 gelang es ihr, eine Vertretungsstelle als Assistenzärztin an der Kinderheilstätte Kolberg (heute: Kołobrzeg) in
Pommern zu erhalten. Schließlich wurde
sie von der pommerschen Ärztekammer an
das Kreiskrankenhaus Schlawe (heute:
Sławno) „notdienstverpflichtet“. Dort arbeitete sie von 1941 bis März 1945 unter
schwierigsten Bedingungen als einzige
Assistentin neben dem Chefarzt. Nach
einem halbjährigen Aufenthalt im sowjetischen Kriegsgefangenenlager Thorn
(heute: Toru ń), kehrte sie über Frankfurt/O.
im Dezember 1945 in das zerstörte Leipzig zurück. Ihre beiden Brüder waren im
Krieg gefallen und ihr Zuhause zerbombt.
Freunde wie die Historiker Herbert Grundmann und Hermann Mau oder Verwandte
wie Ernst Mannsfeld blieben zunächst
nicht erreichbar. Der Neuanfang war für
Martina Drucker besonders schwer. Seit
April 1946 vertrat sie eine Assistentenstelle an der Universitätskinderklinik, die
im Mai 1947 in eine feste Assistenz umgewandelt wurde. Sie versorgte einen großen
Patientenkreis in vorbildlicher Weise. „Die
Sicherheit ihrer Diagnose“, so ihr Chef
Prof. Albrecht Peiper 1953, „und die guten
Behandlungserfolge lassen sie zu einer
sehr wertvollen Mitarbeiterin werden,
sodass sie den Oberarzt der Poliklinik bei
Abwesenheit vertritt.“ Nach über zehn
erfolgreichen Jahren an der Universitätskinderklinik, insbesondere auch in der
Abteilung für Frühgeburten, wagte Martina Drucker im Januar 1957 einen Neuanfang: Sie übernahm die Leitung der Kinderabteilung in der Poliklinik LeipzigLeutzsch und hat ihr Arbeitsfeld noch einmal erweitert. Die kleine, zierliche Person
war hart gegen sich selbst, aber auch streng
und unnachgiebig gegenüber den Eltern,
die nach ihrer Auffassung nicht alles oder
nicht das Richtige für ihre kranken Kinder
taten. Die Kinder aber liebten sie.
Sie lebte seit ihrer Rückkehr nach Leipzig
zusammen mit ihrer Schwester Renate, der
späteren Universitätsarchivarin, und ihrer
Nichte Constanze in einem Haushalt.
Liebe- und respektvoll sprachen alle, die
sie kannten von „Tante Ina“; sie ist am
28. April 1992 in Leipzig gestorben.
Gerald Wiemers
34
Habilitationen
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Dr. Frank Häußler (12/03):
Der Zusammenhang zwischen gemessenen Neutronenstreukurven und der Porosität im Hinblick auf die
Zementsteineigenschaften Permeabilität und Dauerhaftigkeit
Medizinische Fakultät
Dr. med. Stefan Hammerschmidt (12/03):
Oxidativer Stress durch neutrophile Granulozyten als
Pathomechanismus im kardiopulmonalen System
Dr. med. Matthias Orth (12/03):
Molekulare Effekte des Multifunktionsproteins ApoE
Promotionen
Theologische Fakultät
Oliver Schmalz (11/03):
Kirchenpolitik unter dem Vorzeichen des Volksnomos
– Wilhelm Stapel im Dritten Reich
Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie
Dietmar Bastian (11/03):
Institutional Change in Rent-Seeking Environments:
The efforts of Eastern European Governments to
Coordinate Transnational Networks of Economic Assistance
Fakultät für Chemie und Mineralogie
Andrea Schisler (10/03):
Synthese, Charakterisierung und Reaktionen neuartiger Cyclopentaphosphanid-Anionen
Harbi Al-Masri (10/03):
Synthesis, Characterization, and Reactivity of Novel
Intramolecularly Base-stabilized Boron Compounds.
Structures of Novel Organic Ligands, Lithium Alkoxides an Lithium Aylamides
jeweils 11/03:
Andreas Krödel:
Enzymatischer Baeyer-Villinger-Oxidation mit
Cyclohexanon-Monooxygenase aus Acintebacter
NCIMB 9871, Cofaktorregenerierung mit FomiatDehydrogenase aus Pseudomonas sp. 101
Elke Zwanziger:
Untersuchungen zur Spurenanalyse von Antibiotika
in Wasser mittels Kombination von Festphasenextraktion und Flüssigchromatographie-Massenspektrometrie
Tobias Kind:
Kombination von GC-MS und Chemometrie zur Analyse der Inhaltsstoffe komplexer Umweltproben
Hendrik Weidmüller:
Löse- und Stabilitätsuntersuchungen von Mineralbestandteilen präkambrischer Grauwaken im alkalischen Milieu
Fakultät für Mathematik und Informatik
Gert Wollny (11/03):
Analysis of changes in time series of medical images
Sami Beydeda (12/03):
The Self-Testing COTS Components (STECC) Method
Maike Löhndorf (12/03):
Effiziente Behandlung von Integraloperatoren mit
H2-Matrizen variabler Ordnung
Juristenfakultät
jeweils 12/03:
Ines Altenkirch:
Die Bauhandwerkersicherung gemäß § 648a BGB
Jana Glock:
Der Einfluss des Völkerrechts und des Europarechts
auf das deutsche Tierschutzrecht unter besonderer
Berücksichtigung des Staatszieles Tierschutz
Gabriele Grimm:
Besitzlose Sicherungsrechte an beweglichen Sachen
im europäischen, deutschen und spanischen Insolvenzverfahren
Thomas Hartwig:
Beiderseits zu verantwortende Pflichtverletzung beim
gegenseitigen Vertrag
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
jeweils 12/03:
Ingo Kock:
Management Support System Patientenzufriedenheit
als Anwendungsbaustein eines Krankenhausinformationssystems
Luong Ngoc Thanh:
Grundlagen einer arbeitsmarktpolitischen Analyse in
Transformationsländern, dargestellt am Beispiel der
Länder Vietnam und Ostdeutschland
Stefan Utsch:
Kaufmotive und Nutzungsverhalten bezogen auf
‘Overengineered Products’ am Beispiel von Sonderausstattungen in der Automobilindustrie
Philologische Fakultät
Gundhild Winkler (12/03):
Genetivische Ortsnamen in Ostmitteldeutschland und
in angrenzenden Gebieten
Fakultät für Physik und Geowissenschaften
jeweils 1/04:
Harald Heinrich:
Finite barotrope Instabilität unter synoptischem Antrieb
Heidrun Schüring:
Mechanische und optische Untersuchungen freitragender smektischer Filme
Robert Duclair Fomekong:
Zur Interpretation des Cole-Cole Parameters a der
dielektrischen ß-Dispersion biologischer Objekte
Robin Faulwetter:
Zur Anwendbarkeit des Fluktuations-DissipationsTheorems
Gunnar Leibiger:
AIIIBV – Mischkristallbildung mit Stickstoff und Bor
Medizinische Fakultät
jeweils 10/03:
Sven Lehmann:
Mittelfristige Ergebnisse nach gerüstfreien Mitralklappenersatz im Vergleich zu konventionellen Therapiestandards
Matthias Leistner:
Das Metastasierungsverhalten von Karzinomen in
Abhängigkeit von der pT-Kategorie, dem Differenzierungsgrad und dem histologischem Tumortyp
Eszter Leitner:
Expression des C-Typ natriuretischen Peptids (CNP)
in reproduktiven Geweben der Maus
Jana Mladek:
Faktor V Leiden Mutation, Prothrombinmutation
sowie die Gerinnungsfaktoren IX und XI als neue
Risikofaktoren für den Schlaganfall
Nadja Monem:
GvL-Effekt in der Frühphase nach modifizierter allogener Blutstammzelltransplantation
Ulla Müller:
Vergleichende Untersuchungen differenter DosisZeit-Schemata hinsichtlich akuter und später Reaktionen des Larynxkarzinoms
journal
Essay
Karikatur: Oliver Weiss
Konsum ergo sum
Über Konsumkultur und
Identitätskonstruktion
Von Prof. Dr. Joachim Schwend, Institut für Anglistik
Der Wahlspruch weist auf eine europäische
Tradition mit der Abänderung von René
Descartes Diktum. Unsere Konsumkultur
trägt zur Konstruktion unserer Identität bei
und diese Konstruktion ist als ein nie abgeschlossener Prozess zu sehen. Ich bin,
was ich trage, esse, konsumiere. Wir konsumieren alle, mit Genuss oder weil es
nötig ist. Der Schwabe liest am liebsten in
seinem Sparbuch, aber auch er muss ab
und zu einkaufen, also konsumieren. Der
stereotypische Schotte ist als sparsam bekannt, aber auch er konsumiert: Whisky
oder Porridge. Ein amerikanischer Aufkleber verkündet: „born to shop“. Haben
wir uns vom „workaholic“ zum „shopaholic“ entwickelt? Konsum und Konsumkulturen sind ein wichtiges Thema für die
Kulturwissenschaften geworden, die British Cultural Studies greifen das Thema auf
und untersuchen Konsum und Konsumverhalten auf den Britischen Inseln.
Konsum bedeutet bewusste Entscheidungen fällen, die über den rein persönlichen
Bereich hinausgehen und die Gemeinschaft als Ganzes betreffen. Wir entscheiden uns für eine bestimmte Marke, einen
„brand name“, ein bestimmtes Logo und
den damit signalisierten Lebensstil. Mit
unseren bewussten Konsum-Entscheidungen agieren wir als so genannte „citizen
consumer“, wir übernehmen gesellschaftliche Verantwortung und machen diese in
unserem Konsumverhalten deutlich. Der
Heft 1/2004
Begriff Boycott kommt aus der irischen
Kultur und war der Name eines Verwalters
des anglo-irischen Grundbesitzers Lord
Erne im County Mayo, der von der irischen
Bevölkerung „boykottiert“ wurde, d. h. er
wurde aus der Gesellschaft ausgeschlossen
und man hat ihm jede Art von Dienstleistung verweigert. Der Boykott gegen Captain Hugh Boycott in den 1880er Jahren
war sehr effektiv und hat diesen letztendlich gezwungen, Irland zu verlassen. Die
Boston Tea Party im Jahr 1773 war eine
Entscheidung britischer Bürger zugunsten
des Freihandels und gegen englische Zollschranken. Im Juli 1999 publizierte die
New Labour Regierung ein Manifest mit
dem Titel „Modern Markets: Confident
Consumers“ – die Einsicht der britischen
Regierung kam spät, aber sie kam doch.
Das Logo für den Lebensstil
Wir leben in einer Welt, die von Zeichensystemen beherrscht wird, wir kommunizieren mit Zeichen und in unserem Konsumverhalten benutzen wir Zeichen, um
unsere Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu
demonstrieren. Die Universität Leipzig
arbeitet an einer „corporate identity“:
„Marke? Universität!“ (Uni-Journal,
7/2003) Es ist ja beruhigend, dass die UniBasecap die Aufschrift „brain“ trägt und
man kann nur hoffen, dass auch eines unter der Kappe arbeitet. Aber im Grunde ge-
nommen ist es gleichgültig, was auf der
Basecap steht, wenn sie nur als eine der
Universität erkannt wird, so wie wir alle
den „Swoosh“ von Nike erkennen, oder
den Marlboro Mann an seinem Lagerfeuer.
Nicht das Produkt ist wirklich relevant,
sondern das Logo als Bedeutungsträger. Es
steht für einen Lebensstil den wir anstreben und vertreten indem wir das Logo
sichtbar tragen. Oder den wir ablehnen,
wenn wir uns bewusst gegen ein Logo und
den damit verbundenen „brand“ entscheiden: No logo lautet der Titel des Weltbestsellers von Naomi Klein.
Mit dem Bekenntnis zu einem Logo stellen
wir uns in eine Gruppe Gleichgesinnter,
z. B. alle die zur Universität Leipzig gehören und sich ihr zugehörig fühlen, indem
sie die entsprechende Kappe tragen. Jean
Baudrillard spricht vom Mythos der Stammeszugehörigkeit; der Konsum schafft
neue Gruppen und neue Identitäten, die wir
bewusst annehmen oder ablehnen. In einer
immer unsicherer werdenden, postmodernen Gesellschaft suchen wir nach Bindungen, die wir unter anderem durch unser
Konsumverhalten zum Ausdruck bringen.
Wir bekennen uns zu jenen, die einen vergleichbaren Konsum praktizieren oder die
am „buy-nothing-day“ bewusst auf Konsum verzichten, einen „buycott“ praktizieren.
Der Kultursemiotiker Roland Barthes sieht
im Tragen bestimmter Kleidungsstücke
semiotische Strukturen, die gelesen werden müssen. Die Kleidung ist Teil einer
materiellen Kultur und symbolisiert ein
komplexes System der Kommunikation,
die wiederum auf Grund des gemeinsamen
kulturellen Codes funktioniert. Die Rhetorik des Konsums ist dabei zentraler Bestandteil unserer Identitätskonstruktion.
Kommunikation mit Hilfe von Zeichen
bedeutet auch, dass gewisse Normen und
Regeln unseres kulturellen Umfelds berücksichtigt werden müssen. Wir können
sie akzeptieren oder gegen sie verstoßen:
Skandal und Anpassung. Der so genannte
„peer pressure“ ist dabei ein zentrales Faktum. Welches Logo muss auf der Jacke
sein, um dazu zu gehören? In der Konsumgesellschaft können wir entscheiden,
zu welcher Gruppe wir gehören möchten.
Die Blue Jeans begann ihren Siegeszug als
Arbeitshose, wurde mit James Dean zum
Symbol der rebellischen Jugend und ist
heute Alltagshose. Sie wurde „demokratisiert“. Als Objekt des Konsums ist sie ein
35
Essay
distinktives Zeichen und Teil eines kulturellen Codes, ihre Bedeutung ist relativ und
epochenspezifisch.
Die Arbeit als Identifizierungsmöglichkeit
funktioniert in unserer Gesellschaft nicht
mehr, weil die alten Klassenschranken ins
Wanken geraten sind und Arbeit allein
nicht mehr ausreicht für die Identitätskonstruktion. Das Zeitalter der Produktion
wurde durch das Zeitalter der Konsumption ersetzt und die Spaßgesellschaft
brachte neue Präferenzen. Nach der Enthaltsamkeit und dem puritanischen Vertrauen auf ein besseres Leben im Jenseits,
eine Einstellung, die den Materialismus
des Viktorianischen Zeitalters in England
prägte, soll nun das Leben im Hier und
Jetzt genossen werden, denn Konsum hat
mit Freude am Konsumieren zu tun.
Schottland: Whisky,
Dudelsack und Kilt
Der amerikanische Soziologe Thorstein
Veblen sprach bereits Ende des 19. Jahrhunderts von der „leisure class“, die Gesellschaftsschicht, die sich Muße leisten
kann und die auch zeigt, dass sie freie Zeit
zum Genießen hat: „conspicuous leisure“.
„Conspicuous“ ist das Schlüsselwort, denn
es ist wichtig, dass das Freizeitverhalten
gesehen und als solches im Rahmen des
kulturellen Codes verstanden wird. Der
Nachbar soll sehen, dass wir uns einen
Urlaub auf den Malediven leisten können. Sinnstiftende Zeichensysteme und
„brands“ als Symbole von Lebensstilen
sind wichtig in der Konsumgesellschaft.
Identitätskonstruktionen finden jedoch
nicht nur im persönlichen Bereich statt,
sondern auch im regionalen oder nationalen. Die vier Nationen der Britischen In-
seln verkaufen sich unter anderem für den
Tourismus. David McCrone hat ein wichtiges Buch über Scotland the brand (1995)
geschrieben. Schottland wirbt mit schöner
Landschaft, mit Whisky-trinkenden, Dudelsack-spielenden, Kilt-tragenden und
Baumstämme-werfenden Schotten, die zudem sparsam bis geizig sind und die Engländer nicht leiden können. Stereotype
spielen eine wichtige Rolle wenn es darum
geht, eine Nation zu verkaufen oder eine
nationale bzw. regionale Identität zu konstruieren. Im September 2003 hat die
schottische Zeitung „The Scotsman“ das
schottische Tourismusbüro ermahnt, dass
Whisky allein nicht als Werbeträger ausreiche. „Disneyfication“ ist das Gebot der
Stunde. Schottland wird aufgearbeitet zu
einem für den Konsumenten verträglichen
und leicht verdaulichen „brand“, der möglichst bequem konsumiert werden kann.
Die schottische „heritage industry“ mit
ihrer Vermarktung der schottischen Vergangenheit widmet sich diesem Projekt unter anderem mit Shortbread Dosen mit dem
Royal Stuart Schottenkaro. „Selling Scotland“ (auch Wales, Irland oder England)
ist angesagt. Mel Gibson verkauft als
William Wallace im Hollywoodfilm
„Braveheart“ Schottland als geeinte Nation
im Kampf gegen den bösen Nachbarn. Es
geht um enorme Summen die unter anderem der so genannte „ethnic tourism“
verspricht. Vor allem unter Amerikanern ist
die Suche nach den Spuren der Vorfahren
ein sehr beliebtes Unterfangen im „alten
Europa“.
Die irische nationalistische Frauenorganisation „Cumann na mBan“ kämpfte in den
1930er Jahren für Irland mit einer „Buy
Irish“-Kampagne. Die Frauen machten
durch den Konsum irischer Produkte eine
eindeutige politische Aussage. Entspre-
chendes findet sich im 20. Jahrhundert immer wieder, wenn wir nur an den Boykott
von Shell denken aus Anlass der BrentSpar-Affäre.
Der Prozess der zunehmenden Regionalisierung als Gegenbewegung zur voranschreitender Globalisierung lässt es immer
wichtiger werden, ein regionales Bewusstsein zu schaffen, wie es der ehemalige
Ministerpräsident von Sachsen, Professor
Kurt Biedenkopf, einst gefordert hat. Die
Menschen sollen sich mit ihrer Region
identifizieren, und wenn wir unser Fleisch
beim „Metzger unseres Vertrauens“ kaufen, dann unter anderem auch deshalb,
weil das Fleisch und die Wurst aus der
Region kommen. Der Mitteldeutsche
Rundfunk wirbt mit dem Slogan „der Heimatsender“. Der Kauf von Ostprodukten
ist Teil unserer Identität und inzwischen ist
die Herkunft aus den Neuen Ländern ein
wichtiges Verkaufsargument in der Werbung.
Konsum ist eine aktive Form der Kommunikation in unserer Gesellschaft. Der
Mensch als Konsument ist zugleich Objekt
und Subjekt seiner Kultur, denn er trifft bewusste Entscheidungen, er wird aber auch
von seiner Kultur beeinflusst. Der Wohlstand, so Jean Baudrillard, ist im Grunde
genommen nur die Anhäufung von Symbolen unseres Glücklichseins. Was unser
Glück ausmacht, das entscheiden wir letzten Endes selbst.
Im November 2003 fand am Institut für
Anglistik, Bereich Kulturstudien Großbritanniens, eine internationale Tagung zu
Konsum und Konsumkulturen mit Wissenschaftlern aus Großbritannien, Österreich
und Deutschland statt. Der Autor hat die
Tagung zusammen mit Dr. Dietmar Böhnke
organisiert.
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36
journal
Jubiläum 2009
Die Wurzeln der
ökonomischen Forschung und
Lehre an der Uni Leipzig
Von Daniel Gottfried Schreber bis Felix Burkhardt
Von Prof. Dr. Rolf H. Hasse, Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät,
und Dr. Friedrun Quaas, Institut für Wirtschaftspolitik
Im November 2003 feierte die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität
Leipzig das zehnjährige Jubiläum ihrer
Wiedergründung. Aus diesem Anlass hatte
die Fakultät zur Erforschung der Geschichte der ökonomischen Wissenschaften Diplomthemen vergeben, in denen für
verschiedene Epochen des ökonomischen
Denkens der Beitrag der Leipziger Wissenschaftslandschaft zu rekonstruieren
war. Im Ergebnis dieser Forschungsarbeiten lässt sich das bisherige Bild der Geschichte der Leipziger Wirtschaftswissenschaften konkretisieren. Einige der bislang
vorhandenen Informationen verdichten
sich zu einem durch zusätzliche Quellen
abgesicherten Kenntnisstand, bisher nicht
bekannte Details bereichern den Eindruck
des facettenreichen ökonomischen Lehrund Forschungsgebäudes, das über die
Jahrhunderte hinweg entstanden und sowohl von allgemeinen Entwicklungen als
auch durch eine Leipziger Spezifik geprägt
ist.
Von den Anfängen eines systematischen
ökonomischen Denkens lässt sich mit
dogmenhistorischer Berechtigung seit der
Phase des Merkantilismus sprechen, den
Deutschland als Kameralismus erlebte.
Eine auf die Interessen der Landesfürsten
und ihre Kassen ausgerichtete Politik benötigte zwar keinerlei zusätzliche Legitimation, denn diese war durch die absolutistischen Herrschaftsmechanismen mehr
oder weniger vorausgesetzt, sie rechnete
aber sehr wohl mit einer entsprechenden
theoretischen Unterstützung, um die Beschaffung und Verwaltung der erzielten
Einnahmen und Reichtümer bestmöglich
abzusichern. Dies wurde umgesetzt, indem
die dazu notwendigen praktischen Methoden einer theoretischen Darstellung und
ausgeklügelten Verfeinerung unterzogen
wurden. Auf diese Weise entstanden die
Heft 1/2004
Kameralwissenschaften samt ihrer Verkörperung durch die ersten Lehrstühle mit
ökonomischer Ausrichtung. In die erste
Hälfte des 18. Jahrhunderts fällt die Einrichtung von kameralistischen Lehrstühlen
in Deutschland, 1727 in Halle und Frankfurt an der Oder, 1730 in Rinteln, 1752 in
Wien, 1755 in Göttingen und Jena.
Die Anfänge im
18. Jahrhundert
Der Leipziger Lehrstuhl für Kameralwissenschaften wurde per Dekret des Kurfürsten Friedrich August zwar erst am
13. Januar 1764 mit Daniel Gottfried
Schreber besetzt, vorbereitet und aufgebaut wurde das Fach allerdings bereits
durch Georg Heinrich Zincke, der jedoch
zumindest in Leipzig nicht zu professoralen Würden gelangte. Zincke las ab 1742 in
Leipzig „Über die Rechte und Cameralwissenschaft“ und war seitdem Herausgeber der zweiten kameralistischen Zeitschrift überhaupt, nämlich der „Leipziger
Sammlungen von wirthschaftlichen, Polizey-, Cammer- und Finanz-Sachen“, die
bis in die 1760er Jahre hinein erschien. In
das Jahr 1764 fällt auch die Gründung der
Leipziger Oeconomischen Societät, der
neben Landwirten, Kaufleuten, Handwerkern und Manufakturbesitzern auch Gelehrte der Universität als Mitglieder angehörten.
Die Antrittsvorlesung von Schreber, dem
ersten ordentlichen Professor für Ökonomie und Kameralwissenschaften, stand unter dem Thema „Von den Schäden, welche
als Folgen der vernachlässigten ökonomischen Wissenschaften anzusehen sind“ und
scheint in Anbetracht der Anwesenheit von
Ministern und Beamten im Auditorium fast
jene Mahnungen zu antizipieren, die in den
Titelseite von Daniel Gottfried Schrebers
Werk „Historische, physische und öconomische Beschreibung des Waidtes“,
Halle 1752. Mit der Wiederbelebung
des Anbaus der Färberpflanze Waidt in
Deutschland wollte Schreber nach merkantilistischem Vorbild den Import von
teurem Indigo einschränken. Original
heißt das bei Schreber so: „… daß künftig viel Geld in Teutschland bliebe, und
zum allgemeinen Besten darinnen circulirete, welches itzo für den Indigo an
auswärtige Orte geschicket wird.“
nachfolgenden Jahrhunderten durch Vertreter der ökonomischen Zunft an die
Adresse von Politik und Gesellschaft gerichtet worden sind. Exemplarisch für die
älteren Kameralwissenschaften ist dabei
die enge Verbindung der Ökonomie zu den
landwirtschaftlichen Disziplinen. In einer
gut ausgebauten Ackerbau- und Viehwirtschaft und deren angemessener Verwaltung
wird eine besonders gute Grundlage für
den Wohlstand des Landes gesehen. Die ersten Ökonomiestudenten an der Leipziger
Universität hatten daher auch Vorlesungen
zu hören, die auf den Naturwissenschaften
aufbauten: Ökonomische Zoologie und
Ökonomische Botanik, aber auch angewandte Mechanik und Technologie. Hinzu
37
Jubiläum 2009
kamen die historisch-juristischen Fächer
und die im eigentlichen Sinne wirtschaftlichen Disziplinen, wobei die Prioritäten
nicht zwangsläufig auf den letzteren lagen.
Lehrstuhl umbenannt in
„Professur für Landwirtschaft“
Diese Besonderheit spiegelt sich auch in
einer Entwicklung wider, in deren Verlauf
der kameralistische Lehrstuhl im Jahre
1816 in „Professur für Ökonomie und
Technologie“ (Johann Friedrich Pohl) und
1867 in „Professur für Landwirtschaft“
(Friedrich Birnbaum) umbenannt und
besetzt wurde. Parallel dazu wurde die
ökonomische Ausbildung verbreitert. 1842
wurde der letztlich aus der Professur für
Moral und Politik hervorgegangene Lehrstuhl für praktische Staats- und Kameralwissenschaften installiert und zunächst mit
Georg Hanssen besetzt, der Nationalökonomie und Statistik lehrte.
Von 1848 bis 1894 war Wilhelm Roscher
der Inhaber des genannten Lehrstuhls.
Roscher als einer der geistigen Väter und
führender Repräsentant der Jüngeren Historischen Schule der Nationalökonomie
machte Leipzig zum Zentrum der von
einem historischen Standpunkt aus betriebenen Volkswirtschaftslehre. Er zog Gelehrte wie Lujo Brentano, August von
Miaskowski, Karl Bücher und Wilhelm
Stieda an, die sämtlich als Vertreter der
Jüngeren Historischen Schule in der Nachfolge von Roscher standen und zum Teil
noch parallel zu ihm lehrten. Brentano
blieb zwar nur relativ kurz an der Universität Leipzig, nämlich vom Wintersemester
1888/89 bis Wintersemester 1890/91, bevor er nach München ging – doch gilt er als
eine der Hauptgestalten der Jüngeren Historischen Schule und seine Verweildauer in
Leipzig ist daher ebenfalls von dogmenhistorischen Interesse, besonders da er als
liberaler Historiker galt, für den der Interventionismus lediglich als ergänzendes
Hilfsmittel der Politik erachtet wurde.
Zusätzlich zur Nachbesetzung der rasch
wieder vakant gewordenen Professur
Brentanos mit seinem unmittelbaren Nachfolger August von Miaskowski wurde noch
ein zweiter Lehrstuhl für Nationalökonomie (und Statistik) eingerichtet, den nach
einigem Für und Wider schließlich Karl
Bücher besetzte, und zwar von 1892 bis
1916/17. Vom zuständigen Dresdener
Ministerium war Bücher wegen „sozialistischer Gesinnung“ verdächtigt und zu38
Feier zur Wiedergründung der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät im Alten
Rathaus am 27. Oktober 1993.
Foto: Armin Kühne
nächst abgelehnt worden, während Gelehrte wie Karl Lamprecht, Friedrich Ratzel und Wilhelm Wundt sich um seine
Berufung bemüht haben; so schätzt dies
Bücher selbst jedenfalls in seinen persönlichen Lebenserinnerungen ein. Karl Bücher war bis zu seinem freiwilligen Ausscheiden aus der Wirtschaftswissenschaft –
er gründete 1916 das Leipziger Institut für
Zeitungswissenschaft – einer ihrer
engagiertesten und produktivsten Hochschullehrer.
In der Zeit nach dem ersten Weltkrieg zeigt
sich, wie die Vorherrschaft der Historischen Schule in Leipzig allmählich zu
bröckeln beginnt. Ludwig Pohle distanzierte sich bereits 1911 mit seiner Bestandsaufnahme „Die gegenwärtige Krisis
der deutschen Volkswirtschaftslehre“ und
der hieran anschließenden Forderung nach
einer Abkehr vom „politisch-moralischen
Kathedersozialismus“ definitiv von der
„wertenden und politisierenden Nationalökonomie“ und nähert sich in der Konsequenz der durch die angelsächsische Literatur determinierten Neoklassik an. Gerichtet war seine Schrift besonders gegen
Gustav Schmoller und seine Positionen, die
im berühmten Methodenstreit zwischen
Jüngerer Historischer Schule und Grenznutzentheorie ihren Niederschlag gefunden hatten.
Alleinherrschaft der
Historischen Schule
gebrochen
In der Folgezeit bedeutete die sich abzeichnende Haltung für die Leipziger Universität konkret, dass die Widerstände aus
den eigenen Reihen gegen die Einrichtung
eines Lehrstuhls für Sozialpolitik immens
waren. In der Konsequenz wurde der dritte
Lehrstuhl für Nationalökonomie zwar geschaffen, aber statt, wie ursprünglich geplant, war er nicht sozialpolitisch, sondern
finanzwissenschaftlich ausgerichtet. Lehrstuhlinhaber war ab 1921 Bruno Moll, der
durch die nationalsozialistische Diktatur
im Jahre 1934 aus diesem Amt entlassen
wurde. Dass die Alleinherrschaft der Historischen Schule in der Lehre nunmehr
gebrochen war, spiegelt sich zu Beginn der
30er Jahre auch in den Empfehlungen zum
Studium der Volkswirtschaftslehre wider,
empfohlen werden u. a. die Schriften von
Schumpeter, Cassel, Marshall und Philippovich, die sämtlich anderen ökonomischen Schulen zuzuordnen sind.
Die Machtübernahme durch die NSDAP
bringt eine gravierende Veränderung der
universitären Strukturen. Die Instrumentalisierung von Lehre und Forschung im
Sinne der neuen deutschen Interessen
führte insgesamt zu Ausleseprozessen, von
denen sowohl der Lehrkörper als auch die
Studentenschaft betroffen waren. Wenig
rühmliche Aktivitäten wie die heroische
Verkündung des Opfers der akademischen
Freiheit oder die fast an allen Universitäten
stattfindenden Bücherverbrennungen führten schließlich dazu, dass Hochschullehrer,
die wegen ihrer mangelnden Nähe zum Regime nicht mehr erwünscht waren, von ihren Wirkungsstätten vertrieben wurden.
Opfer der „Säuberungen“ wurden auch Nationalökonomen. Sowohl der Finanzwissenschaftler und Gegner der Historischen
Schule, Bruno Moll, als auch der Sozialpolitiker und Repräsentant der Jüngeren
Historischen Schule, Gerhard Kessler, verloren bald nach Machtantritt der NSDAP
ihre Ämter und mussten die Universität
verlassen. Bei der Diskussion um die
Nachfolge des Lehrstuhls von Kessler waren u. a. Alfred Müller-Armack, Walter
journal
Jubiläum 2009
Eucken und Adolf Weber im Gespräch.
Müller-Armack, der als theoretischer Begründer des späteren Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft und damit einer der
Väter unserer Wirtschaftsordnung gilt,
wurde u. a. abgelehnt, weil seine Position
zu Marx und zum Marxismus keineswegs
so sei, dass man ihn als einen Vorkämpfer
des Nationalsozialismus sehen könne. Den
umstrittenen Lehrstuhl bekam schließlich
Hans-Jürgen Seraphim, dessen Werk und
Wirken sich vor allem auf die Begründung
einer Theorie der Wirtschaftspolitik ausrichtete. Die betriebswirtschaftliche Lehre
im Nationalsozialismus, stand unter der
Verpflichtung, die Unternehmen so zur
Produktion zu motivieren, wie es volkswirtschaftlich wünschenswert wäre. Hier
ist vor allem Alexander Hoffmann zu erwähnen, der in Leipzig während der gesamten nationalsozialistischen Diktatur
Professor bleiben konnte, und sich dennoch mit geschickter wissenschaftlicher
Argumentation diesem Diktum entzog und
statt dessen im Einklang mit der internationalen Betriebswirtschaftslehre dem
Rentabilitäts- und Ertragsprinzip als Motiv
den Vorzug gab und seine betriebswirtschaftliche Lehre auch danach ausrichtete.m
Die Bedingungen, mit denen die Universität Leipzig unmittelbar nach dem Krieg
zu kämpfen hatte – zu 64 Prozent zerstörte
Hörsäle, Institute und Laboratorien sowie
ein stark dezimierter Bestand an Lehrkräften, der außerdem noch vor dem Prozess
der Entnazifizierung stand – waren alles
andere als günstig für einen normalen Wissenschafts- und Lehrbetrieb. Die Wiedereröffnung der Alma Mater Lipsiensis im
Februar 1946 war von Restriktionen begleitet, die auch die institutionelle Struktur
für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung und Lehre in Leipzig beeinflussten.
Prägend war zunächst die Eingliederung
der Handelshochschule in die Universität.
Die Gründung einer Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät, die die schon bestehende Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät im Juni 1949 integrierte, war bereits im Dezember 1946
vom Obersten Chef der Sowjetischen Militäradministration beschlossen worden.
Gründungsdekan war Fritz Behrens, der bis
zu seinem Weggang an die Humboldt-Universität Berlin im Jahre 1955 in Leipzig Politische Ökonomie und Statistik lehrte und
zugleich zum Nestor der theoriehistorischen Forschung wurde, die dann bis 1990
im Wissenschaftsbereich Wirtschaftsgeschichte/Geschichte der Politischen Ökonomie wahrgenommen wurde. Kurzfristig,
von seiner Berufung 1948 bis zu seinem
Tode im Jahre 1950, lehrte auch Henryk
Grossmann in Leipzig Politische Ökonomie, der zuvor von 1924 bis zu seiner Emigration 1933 Professor an der Universität
Frankfurt war.
Die Emanzipation
der Fakultät
Bereits 1951 erfolgte die Auflösung der
Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät
und eine damit verbundene Emanzipation
der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät
mit dem Institut für politische Ökonomie
sowie Lehrstühlen für Industrie-, Arbeits-,
Verkehrs-, Binnenhandels- und Außenhandelsökonomik. Die starke Ausrichtung auf
den Handel zeigte sich auch in der Gründung der Leipziger Hochschule für
Binnenhandel im Jahre 1953, die nach
zehn Jahren allerdings schon wieder geschlossen wurde. Stattdessen wurde per
Politbürobeschluss die Handelshochschule
neu gegründet und die Weiterführung der
wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung
an der Universität war nur unter einer veränderten Struktur möglich, da die Ausrichtung auf den Handel weggefallen war. Ge-
gründet wurde die Sektion Politische Ökonomie/marxistisch-leninistische Organisationswissenschaft, die ab 1972 dann bis
1989 Sektion Wirtschaftswissenschaften
hieß. Die Kernbereiche Politische Ökonomie und Rechnungsführung und Statistik
blieben ebenfalls bis dahin erhalten, die
Bereiche Organisationswissenschaft und
Betriebswirtschaftslehre wurden später
zum Bereich Arbeitsökonomie zusammengeführt.
Ein herausragender Gelehrter der Universität Leipzig in jener Zeit ist zweifellos der
Statistiker Felix Burkhardt gewesen. Die
Übernahme der Funktion als Direktor der
Instituts für Statistik im Jahre 1952 war für
Leipzig ein Glücksfall, Burkhardt galt
international als ausgezeichneter Mathematiker, Ökonom und Demograph, der
schulenbildend wirkte und dessen statistische Methodenlehre ein bleibender Platz in
der Statistik gebührt. Auch lange nach seiner Emeritierung lehrte er noch und nach
seinem Tode im Jahre 1973 waren aus der
Schar seiner Schüler eine Reihe namhafter
Wissenschaftler hervorgegangen, die sein
Werk fortsetzten.
Überarbeitete Fassungen der zur Erforschung der Geschichte der ökonomischen Wissenschaften vergebenen
Diplomarbeiten der Studierenden Frank
Anders, Marius Grabe, Sylvia Reichardt
und Christine Thalheim erscheinen in
Kürze in der Reihe „Diskussionsbeiträge“ der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig.
Die Fakultät würdigte die beste Arbeit
mit einem Preis (dotiert mit 500 Euro),
den Dekan Hasse während der Feierlichkeiten zur Wiedergründung der Fakultät
an Christine Thalheim übergab. Sie hatte
sich mit der „Zeit des Nationalsozialismus 1933 bis 1945“ beschäftigt.
Links:
Die Nachwende-Dekane der
Wirtschaftswissenschaftlichen
Fakultät: (v. l.) Rolf Hasse, Hans
Günter Rautenberg, Adolf Wagner und Dieter Ehrenberg.
Foto: Fakultät
Rechts:
Die Wirtschaftswissenschaftliche
Fakultät an ihrem heutigen
Standort in der Jahnallee.
Foto: Sylvia Dorn
Heft 1/2004
39
Jubiläum 2009
Der Machsor für die Maus
Leipziger Prachtcodex wurde digitalisiert
Von Christoph Mackert, Universitätsbibliothek
Mittelalter ist „in“. Jede Großausstellung,
ob sie nun den Ottonen oder dem Nibelungenlied gewidmet ist, erweist sich als Publikumsmagnet. Stets besonders umlagert
sind die Vitrinen mit den reich ausgemalten Handschriften in ihrer fragilen Pracht,
die ansonsten in den Tresoren der Bibliotheken verschlossen liegen. Im gedämmten
Licht unter Panzerglas ist für kurze Zeit
eine Doppelseite zu sehen, der Rest des
Buches bleibt den Blicken verborgen. So
entzieht sich das Objekt noch in seiner Präsentation und wird umso mehr zum Faszinosum.
Zu den besonderen Kostbarkeiten des umfangreichen mittelalterlichen Bestandes,
der von der Universitätsbibliothek Leipzig
(UBL) verwahrt wird, gehört eine zweibändige hebräische Pergamenthandschrift
aus dem frühen 14. Jahrhundert, die in der
Vergangenheit mehrfach als ein solches
Ausstellungshighlight fungiert hat. Es handelt sich um einen großformatigen Prachtcodex (Ms. Vollers 1102), der als „Machsor Lipsiae“ („Leipziger Machsor“) international bekannt ist.
Ein Machsor – das hebräische Wort bedeutet Wiederholung, Zyklus – enthält die
Gebete sowie ausgewählte Bibelstellen für
die jüdischen Fest- und Feiertage in der
Ordnung des Jahreskreises. Aus dem deutschen Mittelalter ist eine kleine Gruppe
von Machsor-Handschriften überliefert,
die alle dem ausgehenden 13. oder beginnenden 14. Jahrhundert zugehören, zumeist aufwendig mit Buchmalerei ausgestattet sind und sich Gebieten längs der
Rheinschiene zuweisen lassen. Sie geben
Zeugnis von der kulturellen Blüte der jüdischen Gemeinden im deutschen Reich kurz
vor deren weitgehender Vernichtung nach
dem Ausbruch der Pest 1348/49.
Der „Leipziger Machsor“ gilt als der
schönste dieser mittelalterlichen Machsorim. Die beiden mächtigen Bände in Großfolio (404 Blätter, 49 × 36 cm) sind reich
mit Illuminationen in farbenprächtigen
Deckfarben und Gold versehen. Aber auch
die reinen Textseiten sind künstlerisch gestaltet, indem jede ein individuelles kalli40
Beispiel für die kalligraphische und zugleich bedeutungstragende Gestaltung
der Textseiten.
graphisches Layout besitzt: Einzelne Wörter oder Partien sind in unterschiedlichen
Schriftgrößen geschrieben, eingerückt,
zentriert oder in verschiedene Spalten gesetzt, das komplexe Schriftgeflecht zusätzlich durch den Einsatz roter und schwarzer
Tinte strukturiert. Dieses aufwändige Seitendesign, das die Bedeutung des Textes
augenfällig werden lässt, muss ernorme
Vorausberechnungen erfordert haben und
verdeutlicht ebenso wie die Verwendung
von sehr großen Pergamentbögen und die
kostenintensive Ausmalung den repräsentativen Prunkcharakter des Exemplars.
Entstanden ist der „Leipziger Machsor“
wohl im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts
in Südwestdeutschland. Lokalisierung und
Datierung stützen sich wesentlich auf den
Bildschmuck, der sich der oberrheinischen
Buchmalerei um 1300 zuordnen lässt. Ein
anderes Werk aus diesem Umkreis ist die
berühmte Manessische Liederhandschrift,
eine der Hauptüberlieferungen für den
deutschen Minnesang. Die Besitzgeschichte des Leipziger Codex liegt weitgehend im Dunkeln, auch wann und auf welchem Weg er im 19. Jahrhundert in die UB
Leipzig gelangte, ist derzeit unbekannt.
Der jahrhundertelange Gebrauch zu liturgischen Zwecken ist am „Leipziger Machsor“ nicht spurlos vorübergegangen. Dass
die Handschrift immer wieder vorgezeigt
und ausgestellt wurde, dürfte gerade die
Malereien weiter in Mitleidenschaft gezogen haben. Die Faksimilierung der Bildseiten 1964 hat die Benutzung des Originals zusätzlich intensiviert. Heute ist der
Zustand insbesondere im Bereich des
Buchschmucks ernst: Ein Vergleich mit
dem 40 Jahre alten Faksimile erbrachte
2002, dass die Malschichten teilweise lose
auf dem Pergament aufliegen und vereinzelt sogar Verlust von Farbschollen eingetreten war. Die Handschrift musste für die
weitere Benutzung gesperrt werden.
In dieser Situation erhielt die Universitätsbibliothek vom Deutschen Historischen
Museum zu Berlin das Angebot, in einem
Gemeinschaftsprojekt ein virtuelles Vollfaksimile des Machsor zu realisieren.
Hintergrund dieses Vorstoßes: Das Museum bereitet unter der Regie der Sammlungsleiterin Heidemarie Anderlik für
seine Dauerausstellung die Präsentation
von elf digitalisierten Handschriften aus
dem deutschen Bereich im Rahmen einer
„Virtuellen Bibliothek des Mittelalters“
vor. Die Auswahl versammelt u. a. solche
hochkarätigen Stücke wie den erwähnten
Codex Manesse, den Wolfenbütteler
„Sachsenspiegel“ oder das Wiener Exemplar der „Goldenen Bulle“.
Ziel der Digitalisierung ist nicht einfach
nur ein computergestütztes Vollfaksimile
in höchster Qualität. Die virtuellen Faksimiles sollen auch einen direkten inhaltlichen Zugang ohne besondere Vorkenntnisse ermöglichen. Deshalb werden die
Texte mit zeilengenauen Übersetzungen
versehen, die per Mausklick abrufbar sind.
Ebenfalls einblenden lassen sich Erläuterungen zu den Bildern sowie eine Lupe,
mit der die Einzelheiten der Malereien so
nah betrachtet werden können, wie dies an
den Originalen aus Schutzgründen nicht
(oder nur mit Mundschutz) möglich ist.
Dass beim Blättern in den Codices die Seiten „wirklich“ umschlagen, ist eine effektvolle Spielerei am Rande. Verschiedene
Register ergänzen das Angebot.
Seit Oktober 2003 ist das Ergebnis des
Projektes in der Bibliotheca Albertina am
journal
Jubiläum 2009
Bildschirm zu sehen. Die zeilengetreue
Übersetzung des Textes erwies sich als
besonders aufwändig und schwierig, weil
eine enorme Textmenge zu bewältigen war
und das spezielle Layout nachgeahmt werden sollte. Ein Team am Institutum Judaicum der Universität Tübingen um Prof.
Stefan Schreiner hat diese Aufgabe in
mehrmonatiger Arbeit bewältigt. Großzügige Unterstützung erhielt das Projekt
hierfür von der Ostdeutschen Sparkassenstiftung sowie der Leipziger Sparkasse. Als
einziges Digitalisat der „Virtuellen Bibliothek“ enthält das Machsor-Faksimile
außerdem Tondokumente: Der Landesrabbiner von Sachsen, Dr. Salomon AlmekiasSiegl, hat verschiedene Gebete in Anlehnung an die Leipziger Überlieferung gesungen, so dass ein Eindruck vom Leben
des Textes in der Liturgie möglich ist.
Mit dem virtuellen Faksimile des „Leipziger Machsor“ steht ein Produkt zur Verfügung, das sowohl ideale Voraussetzungen
für die wissenschaftliche Untersuchung
bietet als auch dem breiteren Publikum die
Handschrift erschließt. Was aussteht, ist
eine CD-ROM-Ausgabe, für die noch Verlagspartner gesucht werden. Im Oktober
2004 jedenfalls werden die Besucher der
Ausstellung „Europas Juden im Mittelalter“ nicht mehr eine schwach beleuchtete
Doppelseite hinter Glas bestaunen müssen,
sondern die Handschrift am PC direkt studieren können: ein neues Faszinosum.
Samsons Kampf mit dem Löwen. Miniatur zu Beginn des „Leipziger Machsor“.
Das Heilslicht
der Seligen,
mit Treue Gerüsteten,
ihn will ich preisen, inmitten seiner
Lieblinge, wie sie einst sangen
Zu ihm zieht mich die stärkste Sehnsucht,
meine Speicher füllte er einst mit reichem
Überfluss,
Wir sind vor allen Völkern durch dein Öl
gesegnet worden,
du hast uns mit köstlichem Dufte gesalbt,
Die in deinem Hause weilten als Fürsten,
wo einst die Richter saßen,
das Lied der Lieder.
er erquickt den lechzenden Ermatteten,
möchte er mich wiederum liebkosen.
eingesetzt über die geheimen Schätze
deiner Lehre,
mit deinen duftenden Ölen.
siehe, sie kehren zu dir zurück, zum
herrlichen Palaste,
o bringe uns dir nahe.
Schmuckseite zum ersten Tag des Pessach-Festes mit Darstellung
des Durchzugs durch das Rote Meer. Deutlich sind die Schäden
an den Malschichten zu erkennen.
Daneben: zeilen- und layoutgetreue Übersetzung aus dem
virtuellen Faksimile.
Fotos: Universitätsbibliothek
Heft 1/2004
41
Titel-H_02_2 07.04.2004 11:56 Uhr Seite 1
C
April 2004
M
Y
CM
Heft 2/2004
MY
CY CMY
K
ISSN 0947-1049
Belastungen für junge Sänger:
Meine Stimme und ich
Ostasiatisches Institut:
Ein interkulturelles Trainingslager
Einfacher zur Konferenz:
Software erleichtert Organisation
Medizin-Psychologe Brähler im Interview:
„Der Weg über die Medien ist wichtig“
Das „Gefäß der Bestimmung“
auf der „Böhmischen Tafel“
Neues Logo, neue Homepage:
Der StuRa hat sein Gewand gewechselt
journal
Der Wettbewerb ist abgeschlossen – jetzt geht’s los
Eine „reiche Architektur“ für den neuen Campus
Probedruck
EDITORIAL
Inhalt
Das eigene Gesicht
UniVersum
Der lange Schatten von Bologna
Beirat für „Das Sonntagsgespräch“
„Erklärung zum Europalehrer“
Bilanz des Ausländerbeauftragten
Software für Konferenz-Organisation
2
3
3
4
5
Gremien
Senatssitzungen Februar/März
6/7
Forschung
Geschichte Grimmas bewahren
Virtuelle Realität für den Chirurgen
Belastungen für junge Sänger
Medizin-Psychologe Brähler im Interview
Kleinwüchsigkeit: Erfolg bei Ursachen-Suche
Forschung von und zu Frauen
Borges als Vordenker und Wegweiser
8
8
9
10
12
12
14
UniCentral
Campus-Wettbewerb: Ablauf und Ergebnis
Kurzinterview mit dem Sieger van Egeraat
Die Entscheidung für die „fünfte Fassade“
Erste Diskussion bei Buchmesseakademie
Campus-Neubau beginnt mit der Mensa
Kunstwerke für die neue Mitte
Mit Bildern predigen
16
17
18
19
20
22
24
Fakultäten und Institute
Interkulturelles Trainingslager
Religion und Gewalt / Tutorenschulung
Frühjahrsuniversität / Neuer Alumni-Verein
Niederlandistik an Literatur-Reihe beteiligt
25
26
27
28
Studiosi
„Leipziger Initiative für Bildung“
StuRa: neues Logo und neue Homepage
29
31
Personalia
Neu berufen
Insulaner in Leipzig / Preis für Mediziner
Geburtstage / Verabschiedung Kirchgässners
Kurz gefasst
Nachrichten / Nachrufe
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33
34–36
37
38–41
Jubiläum 2009
Neue Serie: Gesichter der Uni
Die „Böhmische Tafel“
43
44
Habilitationen und Promotionen
Am Rande
Nomen
Impressum
41
29
32
2
Titelfoto: Repro von Armin Kühne
Die Jury hat entschieden, die Universität kann zufrieden sein.
So lautet jedenfalls mein Fazit aus einem langwierigen, auch
von Irritationen und überbordenden Emotionen geprägten,
aber schließlich zum guten Ende geführten Architektenwettbewerb, genauer: Qualifizierungsverfahren, für den Neubau
des Aula/Kirche-Gebäudes am Augustusplatz. Dieses „Paulinum“ wird nun also nach den Plänen des namhaften Rotterdamer Architekturbüros Erick van Egeraat entstehen. In
einem ersten Kommentar nach der entscheidenden JurySitzung, die mit 10 : 3 Stimmen zu einem eindeutigen Votum gekommen ist, habe ich von Erleichterung und Freude gesprochen. Erleichterung, dass der bisweilen quälende, von Querschüssen begleitete, mit einem Jahr Verzögerung
behaftete Prozess der Entscheidungsfindung abgeschlossen ist. Freude, dass die Universität ein
Bauwerk erhält, das ihr ein eigenes Gesicht zurückgibt, mehr noch, das sich nicht lediglich in
das Bauensemble am ersten Platz der Stadt integriert, sondern diesen selbst mit einer Wirkung
in die ganze Innenstadt hinein prägt und dominiert. Die
expressive Architektur stellt zweifellos etwas Besonderes dar,
und um etwas Besonderes ist es uns auch zu tun. Das Projekt
ist in gutem Sinne spektakulär. Schließlich steht die Universität Leipzig für eine große Vergangenheit, wie sie kaum eine
zweite Hohe Schule in Deutschland aufzuweisen hat, und verkörpert ein Stück Zukunft, ohne das eine gedeihliche Entwicklung von Stadt und Region undenkbar ist.
Wichtig war und ist uns, dass der Entwurf den hohen Anforderungen, die wir an die Verbesserung der Bedingungen für
Forschung, Studium und Lehre stellen, entspricht und gleichzeitig eine angemessene Erinnerung an die Universitätskirche
und ihre Sprengung darstellt. Ich stimme van Egeraat zu,
wenn er erklärt, sein Entwurf kopiere die ehemalige Architektur nicht, aber versuche sie in moderner Form zurückzubringen. Kein Nachbau, aber ein Leitmotiv für die gesamte
Planung des Neubaus.
Jetzt geht es darum, sehr schnell ein planungsreifes, weiter
qualifiziertes Projekt auf den Tisch zu bekommen. Unerlässlich wird dabei sein, dass zwischen den Architekten und den
anderen Beteiligten ein offener, kritischer, konstruktiver Dialog geführt wird. Dieser Dialog wird sich zuvörderst mit einem
ins Leben gerufenen Planungsbeirat vollziehen, in dem Universität, Stadt und Freistaat vertreten sind. Eine Aufgabe wird
es beispielsweise sein, wie das auch schon in ersten Empfehlungen der Jury ausgesprochen wurde, den Charakter der
Aula deutlicher nachzuweisen, also der Mehrfunktionalität
des Innenraumes besondere Beachtung zu schenken.
Aber schon jetzt darf man mit den Worten des Jury-Vorsitzenden Prof. Zlonicky sagen: Von diesem Entwurf, indem er
Brücken baut in dem Spannungsfeld unterschiedlicher Erwartungen zwischen Rekonstruktion und Neuinterpretation,
geht eine friedenstiftende Wirkung aus.
Prof. Dr. Franz Häuser, Rektor
1
UniVersum
Der lange
Schatten
von
Bologna
Lehramtsausbildung
im „Leipziger
Modell“
Von Prof. Dr. Charlotte Schubert,
Prorektorin für Lehre und Studium
Der Bologna-Prozess (Schaffung eines einheitlichen europäischen Bildungsraums)
stellt die deutschen Hochschulen vor die
größte Herausforderung seit der Humboldtschen Reform vor fast 200 Jahren: die
Journal
Mitteilungen und Berichte für die Angehörigen
und Freunde der Universität Leipzig
Impressum
Herausgeber: Der Rektor
Redakteur: Carsten Heckmann
Ritterstr. 26, 04109 Leipzig,
Tel. 0341/ 9 73 50 24, Fax 0341/ 9 73 50 29,
E-mail: [email protected]
V. i. S. d. P.: Volker Schulte
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die
Meinung der Autoren wieder.
Satz und Lithographie: DZA Satz und Bild
GmbH, Altenburg
Druck und Binden: Druckerei zu Altenburg
GmbH, Gutenbergstraße 1, 04600 Altenburg
Anzeigen: Druckerei zu Altenburg GmbH,
Tel. 03447/5550
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Augustusplatz 10/11, 04109 Leipzig
Tel./Fax: 0341/9900440
Einzelheft: 1,50 e
Jahresabonnement (sieben Hefte): 13,– e
In Fragen, die den Inhalt betreffen, wenden Sie
sich bitte an die Redaktion, in Fragen, die den
Vertrieb betreffen, an den Verlag.
Nachdruck mit Quellenangabe gestattet. Belegexemplare erbeten.
Redaktionsschluss: 26. 3. 2004
ISSN 0947-1049
2
Einführung der neuen Abschlüsse Bachelor (nach einem dreijährigen Studium) und
Master (i. d. R. ein zweijähriges Studium,
das schon einen berufsqualifizierenden
Abschluss voraussetzt). Diese neue Struktur anstelle der bisher praktizierten, die ein
vier- oder fünfjähriges Studium bis zum
ersten Abschluss vorsieht, wird die gesamte Hochschulausbildung verändern.
Alle Magisterstudiengänge werden auf die
Bachelor-/Masterstruktur umgestellt werden. Den Diplomstudiengängen wird von
der Kultusministerkonferenz derzeit noch
eine Ausnahmestellung eingeräumt, so
dass sie zumindest bis 2010 den Abschluss
„Diplom“ erhalten können. Doch müssen
sie, um zumindest die Kompatibilität mit
den anderen Fächern beibehalten zu können und auch den internationalen Anschluss in Europa nicht zu verlieren, ebenfalls an den wesentlichen inhaltlichen
Schritten dieser Reform teilnehmen. Die
Universität Leipzig stellt sich dieser Herausforderung, indem sie ein Gesamtkonzept entwickelt hat, das eine vollständige
Umstellung der Magisterstudiengänge
zum WS 2006/7 vorbereitet und dabei die
enge Verbindung zwischen den heutigen
Magister- und Diplomstudiengängen in die
neue Struktur integriert.
Welche Auswirkungen wird dies auf die
Lehramtsausbildung haben? Das Lehramt
steht heute sowohl im Schatten des Bologna-Prozesses als auch der seit „Pisa“ neu
aufgeflammten Forderung nach einer Qualitätssteigerung in der Lehrerausbildung.
Das Lehramtsstudium schließt mit dem
ersten Staatsexamen ab, einige Bundesländer haben stattdessen aber jetzt schon
den Masterabschluss eingeführt und alle
Bundesländer haben sich verpflichtet,
diese Masterabschlüsse als gleichwertig zu
ihrem eigenen Staatsexamen anzuerkennen. Gerade die Lehramtsstudiengänge
blicken in Deutschland auf eine alte und
bewährte Tradition zurück. Generell gilt
aber heute für alle Fächer, dass die Lehramtstudiengänge und die jeweiligen Fachdisziplinen das gleiche wissenschaftliche
Fundament haben. Für die Universität
Leipzig ist es daher ein besonderes Anliegen, diese inhaltliche Verflechtung
zwischen den Lehramtstudiengängen und
allen „Mutterdisziplinen“ auch weiterhin
zu bewahren. Daher hat die Einbindung der
Lehramtsstudiengänge in die neue Studienstruktur an der UL einen hohen Stellenwert!
Ausgehend von der bewährten ZweifächerKombination im Lehramt wird an der Uni-
versität Leipzig die in der fachlichen
Hoheit der Universität liegende Gestaltung
der Lehramtsausbildung parallel zu der
neuen Bachelor/Master-Ausbildung eingerichtet: Auf der Bachelor-Ebene wird im
Sinne der Einführung von Kerncurricula in
jeder Fachdisziplin für die Lehrämter eine
breite und solide Grundausbildung gemäß
dem Humboldt’schen Prinzip „Lehre aus
Forschung“ realisiert. Auf der MasterEbene wird dies vertieft. Am Ende wird
dann jedoch kein Masterabschluss stehen,
sondern das bewährte 1. Staatsexamen.
Um die heute höheren Ansprüche an die
Berufspraxis des Lehramts zu erfüllen,
wird der erziehungswissenschaftliche
Anteil der Ausbildung sowohl quantitativ
als auch qualitativ im Vergleich zu bisherigen Lehramtsstudiengängen aufgewertet.
Hierzu soll durch das „Leipziger Modell“
eine weitgehende Koordinierung der bisher
strikt getrennten 1. und 2. Ausbildungsphase (Studium und Referendariat) stattfinden. Eine größere Praxisnähe der Lehramtsausbildung wird durch eine neue und
verpflichtende Struktur schulpraktischer
Studien in drei jeweils vierwöchigen Blöcken gewährleistet werden, die alle Studierenden der Lehramtstudiengänge an den
ihrem Studiengang entsprechenden Schultypen absolvieren. Dies soll in enger
Zusammenarbeit mit dem Studienseminar
organisiert werden.
Eine besondere Rolle wird dabei dem Zentrum für Lehrerbildung und Schulforschung zukommen, dessen Gründung im
Sommersemester 2004 an der Universität
Leipzig bevorsteht. Fachwissenschaftler,
Fachdidaktiker und Erziehungswissenschaftler werden hier, auch in Zusammenarbeit mit dem Studienseminar, die
Kompetenzen bündeln. Damit wird eine
Struktur geschaffen, die einerseits allen
Studierenden der Lehramtsstudiengänge,
andererseits den Lehrenden als Plattform
dient für die notwendige Koordination aller
Aspekte des Lehramtes von Lehre, Studium und Forschung bis zur Fort- und
Weiterbildung .
Mit dieser Einbettung in das Gesamtkonzept ihrer Studienreform wird die Universität Leipzig auch in Zukunft die der hohen
gesellschaftlichen Bedeutung des Lehramts angemessene Qualität der Lehrerausbildung gewährleisten können.
Die neuen Abschlüsse Bachelor und Master und die dafür erdorderlichen neuen
Strukturen werden UniCentral-Thema der
nächsten Journal-Ausgabe sein.
journal
UniVersum
Beirat für
„Sonntagsgespräch“
Unter Federführung der Prorektorin für
Lehre und Studium, Prof. Dr. Charlotte
Schubert, hat sich am 11. März für die neue
Veranstaltungsreihe „Das Sonntagsgespräch mit der Universität Leipzig“ ein
Beirat konstituiert. Die wissenschaftliche
Leitung liegt bei Prof. Dr. Georg Meggle.
Neben den beiden Genannten gehören dem
Beirat von Universitätsseite noch Prof. Dr.
Klaus Bente (Studium universale) sowie
Dr. Ralf Schulze/Volker Schulte (Dezernat
für Öffentlichkeitsarbeit und Forschungsförderung/Pressestelle) an. Externe Vertreter sind Prof. Dr. Gerhardt Wolff/Dr.
Walter Altmann (Vereinigung der Förderer und Freunde der Universität Leipzig),
Dr. Ulrich Brieler (Stadt Leipzig, Referat Grundsatzfragen), Dr. Hans-Werner
Schmidt (Museum der bildenden Künste),
Christian Wolff (Kirchen in Leipzig) und
Bernhard Wiedemann (Mitteldeutscher
Rundfunk).
Bekräftigt wurde der Grundgedanke, mit
dem „Sonntagsgepräch“ dem offenen, meinungsfreiheitlichen und furchtlosen Nachdenken über brisante Fragen der Zeit und
zukunftsrelevante Probleme eine Bühne zu
geben. Getreu der Devise: Universitäten
sind kein Ort für Denkverbote. „Das Sonntagsgepräch“ begreift sich als ein Medium
für Streitgespräche mit Tiefgang.
Die nächsten drei Veranstaltungen stehen
bereits fest: 16. Mai 2004, 14 Uhr im Zoo:
Prof. Dr. Michael Tomasello (Leipzig):
„Menschen = Affen?“; 13. Juni 2004: Prof.
Dr. Monika Krüger und Prof. Dr. Jörg
Gertel (Leipzig): „Weizen als Waffe?“ und
27. Juni 2004, Veranstaltung für Schulkinder: Prof. Dr. Manfred Frank (Tübingen):
„Warum bin ich ich?“
Wenn man so will, findet „Das Sonntagsgespräch“ nicht nur an Sonntagen statt.
Gesprächswillige können über die Adresse
[email protected]
mit
den Verantwortlichen jederzeit in Verbindung treten, sei es mit Anfragen und weiteren Themenvorschlägen, sei es in Form
von Kommentaren oder Kritik.
V. S.
„Das Sonntagsgespräch” im Internet:
www.uni-leipzig.de/~sonntag
Heft 2/2004
„Erklärung zum
Europalehrer“
Leipziger Initiative für
länderübergreifende Ausbildung
Die Universität Leipzig hat sich in Geschichte und Gegenwart für grenzüberschreitende Forschung und Lehre eingesetzt. Der Arbeitsbereich „Schulpädagogik“ der Erziehungswissenschaftlichen
Fakultät betreut seit drei Jahren im Dreiländereck von Deutschland, Polen und Tschechien ein Projekt der Europäischen Union,
das Lehrer, Schüler, Eltern, Schulverwaltungen und die regionalen Hochschulen in
einem Netzwerk zusammenführt. Parallel
dazu führt der Bereich Vergleichende Pädagogik Drittmittelprojekte zur europäischen
Dimension in den Lehrplänen und bei den
Lehrern dieser Länder durch. Damit leisten
die beiden Arbeitsbereiche der Uni Leipzig
einen entscheidenden Beitrag für das
Wachsen einer europäischen Identität über
Ländergrenzen hinweg.
Die „Leipziger Erklärung zum Europalehrer“ wurde zum Abschluss der internationalen Fachtagung „Lehrerbildung
in Europa – Lehrerbildung für Europa“
verabschiedet. Sie bekundet zusammenfassend das Vorhaben, länderübergreifende und gemeinsame Studienabschlüsse für Lehrer gemeinsam mit den
Kollegen anderer europäischer Länder
zu entwickeln und stellt das Leipziger
Modell zum „Europalehrer“ als ModellAngebot dar. An der Universität Leipzig
soll demnächst ein solcher Studiengang
eingerichtet werden.
Die zweitägige Tagung wurde Ende Januar von der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität veranstaltet, gemeinsam mit dem Zentrum zur
Erforschung und Entwicklung pädagogischer Berufspraxis, der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Vereinigung der Förderer und Freunde der Universität und
der Verbundnetz Gas AG. Über 80 Vertreter aus Politik, Forschung und Bildungspraxis aus Deutschland, Spanien,
Polen und Lettland nahmen daran teil.
Die außergewöhnlich große Zustimmung
dieser Zusammenarbeit sowie das Erfordernis der Europäisierung des Bildungswesens auch im Schulbereich ermutigt die
Universität Leipzig, länderübergreifende
Studiengänge und gemeinsame Studienabschlüsse für Lehrer vorzuschlagen, die
prinzipiell in allen Ländern unterrichten
können. Diese „Europalehrer“ sollen helfen, die seit 1993 bestehende Freizügigkeit
für alle Berufsgruppen auch im Schulbereich zu stärken. Eine fundierte Ausbildung in europäischer Kultur und in europäischen Sprachen soll den Europalehrer
befähigen, Kindern und Jugendlichen die
„europäische Idee“ näher zu bringen und
sie für die gemeinsamen Ziele einer europäischen Wertegemeinschaft zu gewinnen.
Die international besetzte Fachtagung
„Lehrerbildung in Europa – Lehrerbildung
für Europa“ am 24./25. Januar 2004 in
Leipzig hat ein praxisnahes Modell zum
„Europalehrer“ mit dem Abschluss eines
„Master of Arts“ entwickelt und vorgestellt. Zugleich wird den Hochschulen in
den Mitgliedstaaten der Europäischen
Union das Angebot unterbreitet, hieran
mitzuwirken. Die Universität Leipzig wird
diesen innovativen Studiengang in absehbarer Zeit einrichten.
Am Vorabend des Beitritts von zehn weiteren Ländern in die EU setzt die Universität
Leipzig ein Zeichen und ergreift die Initiative auf diesem wichtigen Feld des kulturellen und sozialen Zusammenlebens der
Völker im geeinten Europa.
Prof. Dr. Aı̄da Krūze, Direktor des Instituts
für Pädagogik und Psychologie der Universität Lettlands, Riga / Prof. Dr. Miroslaw Szymański, Dekan der Pädagogischen
Fakultät der Universität Warschau / Prof.
Dr. Dr. h.c. Dieter Schulz, Direktor des
Instituts für Allgemeine und Vergleichende
Pädagogik und Psychologie, Schulpädagogik und Pädagogische Psychologie der
Universität Leipzig
3
UniVersum
Dank
für das
Vertrauen
Wolfram Herold
mit einer Bilanz
seiner Betreuung
von Ausländern
Zum 31. März verabschiedete sich der
langjährige Ausländerbeauftragte der
Universität, Dr. Wolfram Herold, aus seinem Amt und übergab seine Aufgaben an
die vom Senat bestätigte Nachfolgerin
(siehe folgende Seite).
Unmittelbar nach der Beendigung seines
Physikstudiums im Jahre 1962 und der
Einstellung als wissenschaftlicher Assistent wurde Herold von seiner Dienststelle, dem Institut für Biophysik der Medizinischen Fakultät, mit der fachlichen
Betreuung der ausländischen Medizinstudenten, die damals einen weit größeren Anteil als heute ausmachten, beauftragt. Aufgrund seiner Einsatzbereitschaft und seiner Akzeptanz betraute
man ihn bald mit der Mitarbeit in der
Kommission für ausländische Studierende der Fakultät, die unter Leitung des
allseits geschätzten Pharmakologieprofessors Reinhard Ludewig stand. Er
wurde sein Stellvertreter und später sein
Nachfolger im Amt. Damit wurde er
gleichzeitig auch Mitglied der „Kommission Ausländerstudium“ für die gesamte Universität. Nach der Wende
wurde er von den ausländischen Studierenden in einer Direktwahl als Ausländerbeauftragter der Universität gewählt
und von Rektor und Senat in diesem Amt
immer wieder neu bestätigt. Mit 42 Jahren Betreuungstätigkeit dürfte er der
wohl am längsten ununterbrochen tätige
Ausländerbetreuer an deutschen Universitäten sein.
In nebenstehendem Beitrag zieht er eine
persönliche Bilanz.
4
Eines von vielen hundert Erinnerungsbildern: Dr. Wolfram Herold 1999 mit zwei
Leipziger Absolventen aus Ghana, zu denen er – wie zu vielen anderen auch –
Kontakt hält: Dr. Asiwome (Jerry) Seneadza (l.), der sich auch als DJ in der
Moritzbastei betätigte, und dessen Bruder Oswald.
Foto: privat
Von Jugend an hatte ich für andere Kulturen und Mentalitäten ein großes Interesse,
das angestrebte Studienfach Ethnologie
wurde mir aber verwehrt. Trotz meiner
Funktionen und meiner wissenschaftlichen
Entwicklung war ich nie Reisekader und
freute mich deshalb sehr, auf dem Wege
der Betreuung wenigstens teilweise durch
Kontakte mit Ausländern meinen Drang
nach direkten Informationen aus einer
anderen Welt und dem Bedürfnis nach
fachlicher und sozialer Unterstützung von
ausländischen Studierenden erfüllen zu
können.
Obwohl es in mancher Hinsicht vor der
Wende wegen der weitgehenden sozialen
Absicherung nicht die gleichen Probleme
für ausländische Studierende gab wie
heute, gab es anders gelagerte Sorgen. Es
gibt auch jetzt noch eine große Zahl von
Verbindungen aus dieser Zeit, die persönlich oder über das Alumni-Programm der
Universität gepflegt werden. Besonders
groß ist die Freude, wenn sich Kinder von
ehemaligen Leipziger Studenten melden
und Grüße von ihren Eltern übermitteln.
Nach der Wende kommt die Hauptklientel
des Ausländerbeauftragten aus Entwicklungsländern und Osteuropa. Trotz aller
staatlichen und universitären Fürsorge haben sie sich wegen ihrer meist finanziell
bedingten Schwierigkeiten mit einer
Menge von Nachfolgeproblemen auseinander zu setzen, die weder von ihnen noch
vom Akademischen Auslandsamt allein
gelöst werden können. Deshalb ist das Amt
eines unabhängigen Ausländerbeauftragten, der Vertrauen genießt und Vertraulichkeit gewährt, außerordentlich wichtig. Die
Positionen und Kompetenzen beider
Stellen ergänzen sich und haben nur ganz
selten zu Kontroversen geführt. Vielen
Dank an dieser Stelle den Mitarbeitern des
Akademischen Auslandsamtes für die gute
Zusammenarbeit!
Die Aufgaben des Ausländerbeauftragten
sind vielfältig und lassen sich nur anhand
einer stichwortartigen Aufzählung von
Einzelbeispielen erläutern, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben kann.
Dazu gehören Unterstützung bei der Suche
nach begrenzten Hilfsmaßnahmen (z. B.
Förderverein, DAAD, Studentengemeinden, Stiftungen, Referat Ausländischer
Studierender), Hilfe bei der Klärung von
Aufenthaltsproblemen bei Dienststellen
wie Ausländerbehörde, Polizei, Versicherungen, Sozialamt, Jugendamt, Gerichten,
Arbeitgebern, Studentenwerk und anderen
Vermietern, Ärzten, deutschen und ausländischen Botschaften, ggf. natürlich auch
bei Uni-Dienststellen bzw. dem Lehrkörper. Das kann u. a. durch Gutachten, Argumentation, Klärung von umstrittenen
Sachverhalten oder Bitte um Ausnutzung
von Ermessensspielräumen und Härtefallregelungen erreicht werden – eine Entscheidungskompetenz besitzt der Ausländerbeauftragte nicht! Letztendlich wird er
auch bei der Regelung privater Probleme
um Rat gebeten.
Abschließend möchte ich mit eigenen Worten noch einige Gesichtspunkte hervorheben, die mir bei meiner Amtsübergabe
am Herzen liegen. Die Universität Leipzig
ist aus meiner, vor allem aber aus der Sicht
ihrer ausländischen Studierenden eine
weltoffene und ausländerfreundliche Universität, die auch unter diesem Aspekt
einen guten Platz innerhalb der großen
deutschen Universitäten einnimmt. Die
Universitätsleitung und alle Mitarbeiter
stehen den Problemen unserer Ausländer
aufgeschlossen gegenüber und helfen, wo
es irgendwie möglich ist. Schwierigkeiten
treten weniger mit dem Studium an der
Universität als bei der Bewältigung der allgemeinen Lebensumstände auf.
Der Ausländerbeauftragte kann dabei helfen, die Probleme zu verringern. In diesem
Sinne wünsche ich meiner Nachfolgerin
erfolgreiches Wirken. Vielleicht gelingt es
journal
UniVersum
ihr auch, die institutionelle Zusammenarbeit mit den Fakultätsverantwortlichen
für Ausländer zu intensivieren, die in den
letzten Jahren leider etwas in den Hintergrund getreten ist. Abschließend möchte
ich mich noch einmal bei allen herzlich bedanken, die mich in- und außerhalb der
Universität bei meiner Tätigkeit unterstützt
haben, besonders natürlich auch bei den
Ausländern selbst, die vertrauensvoll
meine Hilfe in Anspruch genommen und
mir mit ihrer Dankbarkeit ausgedrückt
haben, dass meine Tätigkeit von Nutzen
gewesen ist.
Die Nachfolgerin:
Birgit Jänichen
Auf Dr. Wolfram
Herold folgt eine
Frau: Dr. Birgit Jänichen ist Sachbearbeiterin im Zentralen Prüfungsamt
der
philosophischen Fakultät, zuständig für die Politikwissenschaft.
Diese Tätigkeit übt die 45-Jährige seit August 2001 aus – und wird es auch weiterhin tun, die Aufgabe als Ausländerbeauftragte kommt hinzu. „Ich freue mich natürlich, dass das Rektorat an mich herangetreten ist und übernehme die Aufgabe
gern“, sagt Birgit Jänichen. „Wie ich sie
konkret umsetzen werde, kann ich aber
noch nicht sagen, dazu muss ich mich erst
einmal einarbeiten.“ In jedem Fall möchte
sie rege Kontakte zu Fakultäten und Instituten sowie zum Akademischen Auslandsamt pflegen.
Die Diplom-Slawistin kennt die Probleme,
die ausländische Studierende oft beschäftigen, zu einem guten Teil aus eigener Erfahrung. Sie hat ihr gesamtes Studium in
Sofia absolviert. „Da hätte ich mir oft
einen entsprechenden Ansprechpartner gewünscht“, sagte sie. Generelle Probleme
ausländischer Mitbürger erfahre sie zudem
während ihrer Nebentätigkeit: Sie lehrt
Deutsch als Fremdsprache bei einem freien
Bildungsträger.
Ihre genauen Sprechzeiten will Jänichen in
Kürze festlegen. Der Dienstagvormittag (9
bis 12 Uhr) soll auf jeden Fall dabei sein.
Die Ausländerbeauftragte ist im bekannten
Büro in der Goethestraße 6 (Zimmer 430)
zu finden, auch die Telefonnummer bleibt:
9 73 20 33.
C. H.
Heft 2/2004
Einfacher zur
Konferenz
Wie eine Software die
Organisation erleichtern kann
Wer möchte nicht mal Albert Einstein sein?
Nichts leichter als das: mit „Paperdyne“.
Dabei handelt es sich um ein Computerprogramm, in dessen Demo-Version im
Internet man sich unter anderem als Albert
Einstein einloggen kann. Tut man das, ist
man zwar nicht auf dem Weg zu genialen
Eingebungen à la Relativitätstheorie, aber
immerhin zu einer sehr nützlichen Erkenntnis. Die da lautet: Wissenschaftliche
Konferenzen lassen sich einfacher vorbereiten als mit vielen bekannten Systemen.
Bei „Paperdyne“ handelt es sich um eine
Software, die dem „Programme Committee Chair“ (PCC) – also dem Leiter der
Programmkommission, die eine Konferenz
vorbereitet – als Hilfsmittel vor allem für die Kommunikation
mit Autoren und Gutachtern von Konferenzbeiträgen dient. „In Sachen Kommunikation hat unser Tool
anderen Systemen
einiges voraus“,
sagt Diplom-Informatiker Clemens
Schäfer vom Lehrstuhl für Angewandte
Telematik / e-Business,
an dem das Projekt beheimatet ist.
Vor einer Konferenz ist viel zu tun:
Aufsätze müssen eingefordert werden,
dann können sich die Gutachter entscheiden, welche davon sie unter die Lupe nehmen wollen. Der Koordinator verteilt die
Aufsätze auf die Gutachter und muss dabei
auch Interessenskonflikte berücksichtigen,
die für bestimmte Gutachter bei bestimmten Autoren auftreten könnten. Natürlich
müssen die Gutachter auch oft ermahnt
werden, doch endlich ihr Gutachten zu liefern.
Schon diese wenigen beispielhaften Ausführungen zeigen, was viele Professoren
auch aus eigener Erfahrung wissen: Der
Kommunikationsaufwand ist enorm.
„Viele Programme Committee Chairs
machen das dann mit ihrem handelsüblichen Mail-Programm und haben somit
sehr viel Arbeit“, konstatiert Clemens
Schäfer. „Mit ‚Paperdyne‘ kann man hingegen selbst individuelle und personalisierte Massenmails erzeugen. Vor inhaltlichen Konflikten warnt das Programm,
lässt aber auch die Freiheit, ein Gutachten
trotz eines Konfliktes zu vergeben. Fortschrittsanzeigen gibt es natürlich auch.
Und Erinnerungsmails kosten nur noch
einen Mausklick.“ Ohnehin sei „Paperdyne“ einfach zu bedienen, wirbt Schäfer
weiter. Und trotz aller arbeitserleichternden Automatismen
bleibe der Koordinator
immer Herr des Geschehens.
Erste Erfahrungen
mit dem System
für das Konferenzmanagement sind
im Vorfeld einiger
Konferenzen bereits gemacht worden. Schließlich gibt
es das Grundprogramm auch bereits seit
2001, als es als studentisches
Entwicklungsprojekt an der Universität Dortmund entstand. Prof. Dr. Volker Gruhn, heute Lehrstuhlinhaber in
Leipzig, hatte damals in Dortmund eine
Konferenz zu organisieren – „und unsere
Gruppe bekam dann eben ein entsprechendes Projektthema“, erinnert sich Clemens
Schäfer, der seinem damaligen Lehrer im
Februar 2003 nach Leipzig folgte. „Die
erste Software-Version war vielversprechend. Die wollten wir nicht wegwerfen.“
Daher habe er das Programm gewissermaßen „mitgenommen“. „Jetzt haben wir
noch ein paar Dinge geradegezogen und
5
UniVersum | Gremien
verbessern das Ganze kontinuierlich weiter. Zudem können wir es zu Forschungszwecken einsetzen, zum Beispiel im Bereich Sicherheitstechnik.“ In Leipzig hat
das Kind auch seinen aktuellen (Kunst-)
Namen bekommen, bestehend aus dem
englischen Wort für Aufsatz, „paper“, und
dem Zusatz „dyne“, was für Dynamik stehen soll.
Wenn Schäfer „wir“ sagt, dann meint er
sich und den weiteren Lehrstuhl-Mitarbeiter Dirk Peters sowie zwei studentische
Hilfskräfte. Sie bieten den Angehörigen
der Universität Leipzig nun an, „Paperdyne“ kostenlos für eine Konferenzvorbereitung zu nutzen und dabei ihre Unterstützung zu erfahren. Nicht ganz ohne
Hintergedanken, wie Clemens Schäfer verrät: „Wir wollen das irgendwann kommerziell einsetzen. Dafür brauchen wir gute
Referenzen.“
Carsten Heckmann
Weitere Informationen
Das Konferenzmanagement-System
„Paperdyne“ ist im Internet zu finden
unter:
www.paperdyne.de
Mit Fragen kann man sich wenden an
Clemens Schäfer, Lehrstuhl für Angewandte Telematik / e-Business,
Tel.: 03 41/9 73 23 34,
E-Mail:
[email protected]
Des weiteren hat das Dezernat für Öffentlichkeitsarbeit und Forschungsförderung im Internet eine ganze Reihe von
grundlegenden Informationen für die
Organisatoren von wissenschaftlichen
Veranstaltungen zusammengestellt, zu
finden unter
www.uni-leipzig.de/dezernat5/
veranstalten
Die Informationen umfassen auch das
Rahmenprogramm von solchen Veranstaltungen, Protokollfragen sowie das
Thema Unterkünfte. Eine „Checkliste
Tagungsorganisation“ steht zum Download bereit.
6
Stellenabbau
zwingt zu
Aufhebung
Sitzung des Senats am 3. 2.
1. Der Senat befasste sich mit Berufungsangelegenheiten; das betraf Ausschreibung und Berufungskommission für
„Stahlbau/Holzbau“ (C3/befristet bis 30. 9.
2008), „Stoffwechselbiochemie/Enzymologie“ (C3); Verfahrenseinstellung, Neuausschreibung und Berufungskommission
für „Kinderchirurgie“ (C4) (Nachfolge
Prof. Bennek); Verfahrenseinstellung und
Denominationsänderung sowie Neuausschreibung und Berufungskommission für
„Organische Chemie/Chemische Diversität und Funktion“ (C3).
Der Senat billigte die Berufungsvorschläge
für „Betriebswirtschaftslehre, insbesondere externe Unternehmensrechnung und
Wirtschaftsprüfung“ (C4) und für „Angewandte Mathematik“ (C4).
Der Senat stimmte vier Anträgen der Medizinischen Fakultät auf Verleihung des
Rechts zur Führung der Bezeichnung
„außerplanmäßige Professorin“ bzw.
„außerplanmäßiger Professor“ zu, und
zwar für PD Dr. rer. nat. habil Gabriela
Aust (Institut für Anatomie), PD Dr. med.
habil. Eva Robel-Tillig (Universitätsklinik
und Poliklinik für Kinder und Jugendliche), PD Dr. rer. nat. habil. Kurt Engeland
(Medizinische Klinik und Poliklinik II)
und PD Dr. med. habil. Harald Lenk (Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder
und Jugendliche).
2. Der Rektor informierte über den Stand
der Erarbeitung von Entwicklungsvereinbarungen, die zwischen dem Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst und den
einzelnen Universitäten in Erfüllung des
Hochschulvertrages abgeschlossen werden. Das Rektoratskollegium habe noch
keinen Entwurf einer solchen Entwicklungsvereinbarung ausarbeiten können,
weil von den Integrationskommissionen,
bestehend aus Vertretern der abgebenden
und der aufnehmenden Einrichtungen,
noch kein abschließender Bericht vorliegt.
Das Prorektorat für strukturelle Entwick-
lung und eine Rektoratskommission, der
Vertreter der von der Konzentration von
Studiengängen in Sachsen betroffenen
Fakultäten angehören, haben jedoch ein
Arbeitspapier erstellt, das nunmehr noch
durch Hinweise und Ergänzungen aus dem
Senat und den Fakultäten präzisiert werden
soll.
3. Der Senat beschloss mehrheitlich die
Aufhebung des Studienganges MagisterNebenfach Niederlandistik. Betont wurde,
dass dies nicht aus fachlichen Gründen geschähe, sondern wegen des verordneten
Stellenabbaus in der Philologischen Fakultät (24 Stellen) und im Institut für Germanistik (14,5 Stellen). Der Senat folgte damit auch einem Beschluss der Fakultät, mit
dem sie ihrer Schwerpunktsetzung und
dem vorrangigen Anliegen, die Arbeitsfähigkeit des mit 3000 Studierenden überlasteten Instituts für Germanistik zu erhalten, entsprach.
4. Der Senat stimmte dem Antrag auf
Weiterförderung des Sonderforschungsbereiches 586 „Differenz und Integration“
durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft zu. Für die zweite Bewilligungsperiode (1. 7. 2004 bis 30. 6. 2008) des
gemeinsam mit Halle betriebenen SFB
wurden für die Universität Leipzig rund
2 Millionen EUR an Personal- und Sachmitteln beantragt.
5. Der Senat bestätigte in Vorbereitung der
Wahlen 2004 der studentischen Vertreter
für den Fakultätsrat, den Fachschaftsrat
und das Konzil den Zeitplan und die Sitzverteilung für die Gruppenvertreter der
Studierenden im Konzil (insgesamt 73).
6. Der Senat beschloss eine Reihe von
Studiendokumenten: die Studienordnung
für den Studiengang Medizin sowie Prüfungs- und Studienordnung und die Eignungsprüfung für den Bachelor-Studiengang Kunstpädagogik.
7. Der Senat nahm zustimmend Kenntnis
von Veränderungen in der Zusammensetjournal
Gremien
zung der Forschungskommission (Vorsitz:
Prorektor Prof. Schlegel als Nachfolger
von Prof. Papp, Prof. Sibold statt Prof.
Tetzlaff, Prof. Hörner statt Prof. HoppeGraff und zusätzlich PD Dr. Middell als
ständiger Gast mit beratender Stimme) und
der Graduiertenkommission (Vorsitz: Prof.
Schlegel als Nachfolger von Prof. Papp).
8. Der Rektor als Mitglied der Jury informierte über den Stand im Architektenwett-
bewerb zur „Neu- und Umgestaltung des
innerstädtischen Universitätskomplexes
am Augustusplatz – Qualifizierungsverfahren zum Bereich ehemaliger Standort
Paulinerkirche zur Neubebauung mit einer
Aula/Kirche“. Nachdem die Jury am
13. Januar aus den zehn eingereichten
Arbeiten vier zur weiteren Qualifizierung
ausgewählt hat, fand am 20. Januar ein
Kolloquium mit den im Wettbewerb ver-
bliebenen Architektenbüros statt. In Einzelgesprächen wurden den Architekten
weitere Anregungen vermittelt, die danach
vor der Aufgabe standen, ihre Entwürfe
bis zum Abgabetermin Anfang März zu
überarbeiten. Die abschließende Sitzung
der Jury findet am 24. März statt, anschließend werden alle zehn Entwürfe der
Öffentlichkeit in einer Ausstellung vorgestellt.
Entwicklungsvereinbarung
verabschiedet
Sitzung des Senats am 9. März
1. Der Senat befasste sich mit Berufungsangelegenheiten; im einzelnen: Ausschreibung und Berufungskommission für „Musikpädagogik und Musikdidaktik“ (C4),
die Berufungsvorschläge für „Allgemeine
Sprachwissenschaft“ (C4) (Nachfolge Frau
Prof. Steube), „Soziologie mit Schwerpunkt Vergleich moderner Gegenwartsgesellschaften“ (C3), „Public Health“ (C3),
„Physische Geographie“ (C4) (Nachfolge
Prof. Neumeister), „Anthropogeographie“
(C4) (Nachfolge Frau Prof. Schmidt).
Der Senat stimmte Anträgen der Fakultät
für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften und der Medizinischen Fakultät
zu, PD Dr. theol. Dr. phil. habil. Detlef
Döring, PD Dr. med. habil. Andreas Hagendorff und PD Dr. rer. nat. habil. Jürgen
Kratzsch das Recht zur Führung der Bezeichnung „außerplanmäßiger Professor“
zu verleihen. Ebenfalls stimmte der Senat
dem Antrag der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät zu, Dr. jur. Thomas Pfeiffer,
Präsident des Sächsischen Finanzgerichts
und des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen, zum Honorarprofessor für
Steuerrechtslehre zu bestellen.
2. Der Senat verabschiedete nach ausgiebiger Diskussion die Entwicklungsvereinbarung zwischen der Universität Leipzig
und der Sächsischen Staatsregierung. Ihr
Entwurf war zuvor in den Fakultäten mit
Änderungsvorschlägen und Ergänzungen
versehen worden. Die Diskussion im Senat
zeigte die Bereitschaft, den Diskurs über
die Entwicklungslinien und Forschungsschwerpunkte der Universität Leipzig
weiterzuführen, um zu möglichst noch präziseren Aussagen zu gelangen. Der Senat
Heft 2/2004
war sich aber auch einig darin und beauftragte den Rektor, dies in einem Begleitschreiben zur Entwicklungsvereinbarung
gegenüber dem Staatsministerium zum
Ausdruck zu bringen, dass der Text einen
aktuellen Ausgangspunkt für den Verfolg
solcher Entwicklungslinien darstellt,
gleichzeitig aber im Sinne der Freiheit der
Forschung eine Entwicklungsoffenheit
nicht beeinträchtigen darf. Das gilt beispielsweise für Abreden, die auf dem
„Leipziger Forschungsgipfel“ getroffen
wurden und auf den Ausbau der Zusammenarbeit mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die Bildung regionaler Forschungscluster, die Kompetenzbündelung auf dem Gebiet Ostmitteleuropa und die Internationalisierung der
Studienstruktur zielen. Das Schreiben
sollte auch die Erwartung an das Staatsministerium formulieren, dass die Universität Leipzig bei der Umsetzung der Studienreform mit der breiten Einführung von
Bachelor- und Masterstudiengängen und
neuer internationaler Promotionsstudiengänge wie auch bei der Umsetzung der
Strukturvorgaben der Hochschulvereinbarung unterstützt wird.
3. Der Senat dankte dem langjährigen Ausländerbeauftragten PD Dr. Wolfram Herold, der diese Funktion bis zum 31. 3.
wahrnimmt, und bestellte Dr. Birgit Jänichen vom Zentralen Prüfungsamt für die
Philologische Fakultät, die Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften
und die Fakultät für Sozialwissenschaften
und Philosophie zur neuen Beauftragten für
ausländische Studierende und Mitarbeiter
(Ausländerbeauftragte) der Universität.
4. Der Senat beschloss die Aufhebung
des Aufbaustudienganges Umweltchemie
wegen mangelnder Nachfrage sowie des
Diplomstudienganges Mineralogie und des
Magisterstudienganges Logik und Wissenschaftstheorie zum Wintersemester 2004/
2005 in Umsetzung der in der Hochschulvereinbarung enthaltenen Strukturveränderungen. Die Diskussion hierzu ergab,
dass damit in keinem Falle absolute Kompetenzverluste verbunden sind. Der Umweltaspekt ist integraler Bestandteil des
Chemie-Studiums; Mineralogie-Studenten
können nach drei Jahren bruchlos in den
vorgesehenen Masterstudiengang übernommen werden; die Logik erhält eine
Perspektive in dem neu einzurichtenden
Bachelor-Studiengang „Angewandte Logik“ im Kernfach.
5. Die Gruppe der studentischen Mitglieder des Senats wählte Daniel Röthig von
der Fachschaft Politikwissenschaft zum
studentischen Mitglied des Ordnungsausschusses der Universität Leipzig.
6. Der Senat genehmigte die Fakultätsordnung der Wirtschaftswissenschaftlichen
Fakultät sowie eine Änderung in der Ordnung des Zentrums für Frauen- und
Geschlechterforschung, wonach dem Vorstand nur noch drei Hochschulprofessoren/
innen (zuvor 5) und 1 Mitarbeiter/in (zuvor
2) angehören.
7. Der Senat entschied in einem Widerspruchsverfahren, das gegen die Ablehnung eines Antrags auf ein Promotionsstipendium durch die Graduiertenkommission eingeleitet worden war.
Prof. Dr. F. Häuser
V. Schulte
Rektor
Pressesprecher
7
Forschung
DFG-gefördertes Projekt
zu Verlagen und Presse
Geschichte
Grimmas
bewahren
Die Stadt Grimma spielte in der deutschen
und insbesondere in der sächsischen Verlags- und Pressegeschichte eine ganz besondere Rolle. Eine erste Buchdruckerei
existierte dort bereits von 1522 bis 1524, ab
1795 etablierte sich das Druckgewerbe
dauerhaft. Bedeutende Verlegerpersönlichkeiten wirkten in Grimma, darunter Joachim Georg Göschen, Dr. Carl Ferdinand
Philippi, Ferdinand Stolle und Julius Moritz
Gebhardt. Unter ihrer Ägide entwickelte
sich ein breit gefächertes Pressewesen.
„Für das 19. Jahrhundert darf Grimma
neben Leipzig und Dresden als das sächsische Pressezentrum gelten und sogar als
die Hochburg der sächsischen oppositionellen Presse“, sagt der Historiker Dr. Matthias John, der derzeit die entsprechenden
Quellenbestände Grimmas erschließt. Das
Projekt wird inzwischen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im
Rahmen des Programms zur Förderung des
wissenschaftlichen Bibliothekswesens unterstützt. Den Förderantrag hatten die Leiterin des Grimmaer Stadtarchivs Marita
Schön und der Politikwissenschaftler Prof.
Dr. Wolfgang Fach, Dekan der Fakultät für
Sozialwissenschaften und Philosophie, gestellt. Fach hat die fachlich-inhaltliche Betreuung des Projekts übernommen.
Das Projekt besitzt auf Grund der Hochwasserkatastrophe im August 2002 neben
der wissenschaftlichen auch eine politische
Dimension: Das Grimmaer Stadtarchiv war
so schwer betroffen, dass Wissenschaftlern
quellenmäßig fundierte Forschungsarbeiten zur dortigen Geschichte kaum noch
möglich erschienen. Um so wichtiger ist es,
dass durch DFG-Förderung ein Mitarbeiter
finanziert wird, der in mühevoller Erfassungs- und Rekonstruktionsarbeit Archivalien erschließt, auswertet und der Öffentlichkeit zugänglich macht. Ohne diese Förderung würden wichtige Quellenbestände
für die Nachwelt unwiderruflich verloren
gehen. Die DFG zahlt zudem Sachkosten in
Höhe von 10 700 Euro.
Das Stadtarchiv wird im Herbst dieses Jahres wiedereröffnet. Die Arbeitsergebnisse
des Presse-Projekts sollen 2005 veröffentlicht werden.
C.H.
8
Virtuelle Realität
für den Chirurgen
Mit Haptic-IO auf der CeBIT
Im BMBF-geförderten Projekt Haptic-IO
hat die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe
Bildgestützte Chirurgische Navigation
(IGSN) der Medizinischen Fakultät der
Universität Leipzig als Projektpartner gemeinsam mit dem Institut für Angewandte
Informatik des Forschungszentrums Karlruhe ein virtuelles Simulationssystem für
operative Eingriffe in der Neurochirurgie
und HNO-Chirurgie entwickelt. Dieses
System wurde im März auch auf der Computermesse CeBIT vorgestellt. Eine innovative Besonderheit stellt dabei die Integration haptischer Information in das VRTrainingssystem dar.
Mikrochirurgische bzw. minimalinvasive
innovative Operationsverfahren stellen besondere Anforderungen an den Operateur.
Sowohl der Umgang mit hochmodernem
OP-Instrumentarium als auch die operativen Schritte selbst müssen vor Anwendung am Patienten erlernt werden. Konventionelle assistierende Ausbildungskonzepte sind für das Erlernen solcher Operationsmethoden häufig nicht optimal. Eine
Lösung dieses Problems besteht in der Anwendung Virtueller Trainings- und Ausbildungssysteme. Die Mehrzahl der bisherigen OP-Systeme im Bereich der Virtuellen
Realität (VR) ermöglichen eine visuelle
Kontrolle, verzichten jedoch auf die für die
Entwicklung operativer Fertigkeit notwendige taktile Information.
Ein Schwerpunkt des BMBF-Projektes für
HNO-Eingriffe war die Simulation mikrochirurgischer Fräsverfahren an der lateralen Schädelbasis. Aufgrund der komplexen
Anatomie des Felsenbeins sind Eingriffe in
diesem Bereich mit einem hohen Risiko
von Verletzungen von Gefäß- bzw. Nervenstrukturen verbunden. In einem weiteren
Schwerpunkt wurde für die Neurochirurgie
ein Simulationsszenario einer minimalinvasiven Neuroendoskopie im Bereich des
Hirnventrikelsystems entwickelt. Dies ermöglicht das Training eines innovativen
endoskopischen Operationsverfahrens für
ausgewählte Formen des Hydrocephalus.
Bei diesem Monitor-kontrollierten OP-
Verfahren ist eine konventionelle „assisitierende“ Ausbildung besonders problematisch, Trainingsmethoden anhand von Modellen oder Präparationen an Leichen sind
aufgrund der völlig differenten Gewebeeigenschaften wenig geeignet.
Die entwickelten virtuellen Trainingssysteme erlauben dagegen eine realitätsnahe
Ausbildung einschließlich taktiler Information und ein Training der operativen
Prozedur unabhängig vom Patienten und
können daher zu einer Verringerung des
Operationsrisikos für den Patienten führen.
Damit sind zwei wesentliche Forderungen
an virtuelle Trainingssysteme realisiert.
1. die Möglichkeit der Simulation der operativen Prozedur im Rahmen der operativen Ausbildung
2. die Möglichkeit der individuellen Planung des Eingriffes durch den erfahrenen Operateur unmittelbar vor der eigentlichen Operation
Über diese Funktionen erlauben derartige
VR-Systeme, Lerneffekte qualitativ zu erfassen und darüber hinaus zu quantifizieren. Dies eröffnet perspektivisch die Möglichkeit, überprüfbare und messbare Standards für die operative Ausbildung zu entwickeln.
Aufgabe des Forschungsteams der IGSN
an der Universität Leipzig im Rahmen des
Projektes „Haptic IO“ war es, im engen
Dialog mit dem Kooperationspartner die
Anforderungen an ein solches VR-System
aus der Sicht des Operateurs sowie die
spezifischen medizinischen anatomischen,
funktionellen und strukturellen Details
umzusetzen. Der unmittelbare Ideenaustausch zwischen Medizinern, Computergraphikern, Technikern und Ingenieuren
war eine Voraussetzung für das Gelingen
des Projektes. Ziel weiterer Forschungen
sind die Entwicklung weiterer Operationsszenarien, etwa im Bereich der frontalen
Schädelbasis, sowie die weitere Individualisierung des VR-Modells, so dass OPTraining und OP-Planung optimal patientenindividuell möglich werden.
Christos Trantakis
journal
Meine
Stimme
und ich
Belastungen für
junge Sänger
Von Dr. Michael Fuchs, Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie der Klinik und
Poliklinik für HNO-Heilkunde/Plastische
Operationen
Für die Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie ist die klinische Betreuung
und die Erforschung der Kinder- und Jugendstimme seit vielen Jahrzehnten (ausgehend von den Aktivitäten ihres früheren
Leiters, Prof. Dr. Wolfram Behrendt) ein
zentrales Thema der wissenschaftlichen
Arbeit. Derzeit beschäftigen sich mehrere
parallele Studien mit biopsychosozialen
Aspekten der Entwicklung der kindlichen
und jugendlichen Stimme. Bei insgesamt
230 Jungen und Mädchen im Alter zwischen 9 und 16 Jahren, von denen die
Hälfte Mitglieder des Leipziger Thomanerchores, des Gewandhaus-Kinderchores
und der Schola cantorum waren, wurden
HNO-ärztliche und phoniatrische Untersuchungen durchgeführt (s. Foto), der
Stimmumfang und andere Stimmleistungsund -qualitätsparameter bestimmt und digitale Aufnahmen ihrer Stimmen vorgeIm Februar leitete Dr. Michael Fuchs das
2. Symposium zur Kinder- und Jugendstimme. Es stand unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Rau. Knapp
200 Teilnehmer aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden und der Schweiz
diskutierten über den Klang der Kinderund Jugendstimme. Veranstalter war die
Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie der Klinik und Poliklinik für HNOHeilkunde/Plastische Operationen in Zusammenarbeit mit der Hochschule für
Musik und Theater und dem Arbeitskreis
Musik in der Jugend. Beim Symposium
2005 wird es um die sängerische Haltung
bei Kindern und Jugendlichen gehen.
Heft 2/2004
Dr. Michael Fuchs bestimmt bei der 11-jährigen Luisa Stimmleistungsparameter
und führt computergestützte Stimmklang-Analysen durch.
Foto: Grubitzsch
nommen, die nun computergestützt analysiert werden. Außerdem beantworteten die
Teilnehmer dieser Pilotstudie knapp 200
Fragen eines in Zusammenarbeit mit
Psychologen eigens dafür entwickelten
Fragebogens zur Eigenwahrnehmung der
Stimme und zum Umgang mit ihr sowie
beispielsweise zur sozialen Kompetenz
und anderen psychologischen Parametern.
Die Ergebnisse werden hinsichtlich der
Unterschiede zwischen sängerisch aktiven
und nicht aktiven Kindern ausgewertet und
zeigen beispielsweise signifikant größere
Stimmumfänge und bessere Stimmleistungsparameter bei den Chormitgliedern.
Erste Stimmklanganalysen haben gezeigt,
dass der so genannte Sängerformant – ein
Qualitätsmerkmal der geschulten Stimme
– nur bei den Knaben nach dem Stimmwechsel eine Rolle spielt, während Jungen
vor dem Stimmwechsel und Mädchen
offensichtlich andere Resonanzstrategien
nutzen, um ihre Stimme klangschön und
tragfähig zu machen.
In einer Folgestudie mit ca. 1000 jungen
Chorsängern in ganz Deutschland wird der
neu entwickelte Fragebogen zurzeit weiter
evaluiert und soll später Chorleitern und
Gesangspädagogen Hinweise geben, inwieweit ein Kind aus psychosozialer Sicht
für die Mitgliedschaft in den zum Teil professionellen Kinder- und Jugendchören mit
hohen musikalischen, schulischen und sozialen Ansprüchen geeignet ist. In der dritten Phase des Projektes soll der Fragebogen mit Hilfe des Arbeitskreises Musik in
der Jugend an ca. 8000 Kindern und Jugendlichen eingesetzt werden.
Die Leipziger Arbeitsgruppe hat in Zusammenarbeit mit dem Koordinierungszentrum für Klinische Studien der Universität eine Klassifikation der sängerischen
Aktivität bei Kindern und Jugendlichen
entwickelt, die die Intensität der stimmlichen Belastung, die Qualität der gesangspädagogischen Betreuung und eine mög-
liche Doppelbelastung bei gleichzeitigem
Spiel eines Hochdruck-Blasinstrumentes
berücksichtigt. Im ersten Abschnitt der
Studie wird zurzeit die Reproduzierbarkeit
der Klassifikation untersucht. Dazu untersuchten Phoniater und Logopäden aus
Leipzig, Berlin, Wien und Freiburg knapp
200 Kinder aus ganz Baden-Württemberg.
Deren Teilnahme war in einer beispiellosen
Aktion vom Kultusministerium in Stuttgart
und dem Bündnis Singen mit Kindern vorbereitet und organisiert worden. Das Spektrum reichte vom gar nicht singenden Kind,
das nur mit Schwierigkeiten einen vorgegebenen Ton nachsingen konnte, bis zu
Mitgliedern hervorragender Kinder- und
Jugendchöre und kleinen Gesangssolisten.
Die Ergebnisse werden in die Verbesserung
der phoniatrischen und gesangspädagogischen Betreuung der Kinder- und Jugendstimme einfließen.
Ein drittes größeres Projekt beschäftigt
sich – sozusagen als phoniatrische Grundlagenforschung – mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der stimmlichen
Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen in Europa im Vergleich zu Asien und
Afrika. Dafür konnten bereits Studenten
der Sinologie unter der Leitung des Institutsleiters, Prof. Dr. R. Moritz, gewonnen
werden, die, ausgerüstet mit digitalen Aufzeichnungsgeräten, während ihres Studienaufenthaltes Aufnahmen von Kinderstimmen in China sammelten. Die Universität
Peking kooperiert auf medizinischem Sektor. Außerdem werden Untersuchungen in
Äthiopien vorbereitet.
Ein Ziel in näherer Zukunft ist die Etablierung eines Kompetenzzentrums für die
Kinder- und Jugendstimme in Leipzig, das
Spezialisten aus verschiedenen medizinischen und gesangspädagogischen Bereichen vereint und die hervorragende Zusammenarbeit mit den Leipziger Kinderund Jugendchören sowie mit der Hochschule für Musik und Theater nutzen soll.
9
Forschung
„Der Weg über die Medien
ist wichtig“
Medizin-Psychologe Elmar Brähler über
seine Themen und ihre Präsentation
Die Zahl der unfruchtbaren Menschen in
Deutschland ist überraschend niedrig. Die
Deutschen überschätzen zudem die Zahl
der ungewollt Kinderlosen genauso wie die
Erfolgsraten einer reproduktionsmedizinischen Behandlung und die Einsatzmöglichkeiten der Präimplantationsdiagnostik
(PID). Dies sind einige ausgewählte Ergebnisse der jüngsten Studie von Prof. Dr.
Elmar Brähler, Leiter der Abteilung für
Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie an der Medizinischen Fakultät. Im Januar und Februar berichteten
darüber viele Medien, darunter „Die Zeit“,
die „Süddeutsche Zeitung“, aber auch die
„Bild“-Zeitung. Mit seinen zahlreichen
Studien sorgt Brähler immer wieder
bundesweit für Schlagzeilen. Die Bandbreite der Befragungen ist groß: Ur-medizinische Themen wie jüngst Reproduktionsmedizin und PID stehen Themen wie
Terrorängste, Rechtsextremismus und
Menschenrechte gegenüber (s. Beitrag auf
der folgenden Seite). Grund genug, Professor Brähler einmal zu Themenfindung
und -verbreitung zu befragen.
Herr Professor Brähler, Sie tauchen immer wieder in der Medienlandschaft
auf, mit ganz unterschiedlichen Themen
– wie kommen Sie zu diesen Themen?
Mein Haupttätigkeitsfeld ist eigentlich die
Psychodiagnostik. Ich bin Testautor und
auch Herausgeber des 2000 Seiten starken
Standardwerkes „Brickenkamp Handbuch
psychologischer und pädagogischer Tests“.
Solche Tests werden ja in vielen Bereichen
verwandt. Ich habe sehr viele Testverfahren
publiziert und einige Verfahren standardisiert. Diese Tätigkeit wirft viele Fragestellungen mit ab. Ob es um Geschlechterunterschiede geht, die für Testautoren sehr
interessant sind, oder regionale Unterschiede, zum Beispiel bei Ost-West-Untersuchungen.
Es geht dabei manchmal auch in Bereiche
hinein wie den Rechtsextremismus …
10
ziert, in irgendeinem Journal, das niemand
liest. Sondern dass man die Ergebnisse seiner Forschung möglichst schnell öffentlich
macht. Denn was nützt am Ende alle wissenschaftliche Erkenntnis, wenn sie nicht
umgesetzt wird? Und ich glaube, der Weg
über die Medien ist dabei ein ganz wichtiger Punkt. Wissenschaft spielt sich nicht im
luftleeren Raum ab. Sie wird, gerade was
Geldflüsse angeht, auch durch Medieninteresse gesteuert. Deshalb finde ich es
wichtig, diese Art von Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben.
Prof. Dr. Elmar Brähler
… woraufhin sich dann manch einer
fragt: Was hat das mit Medizin zu tun?
Da gibt es mehr Berührungspunkte als man
denkt. Rechtsextremismus ist ein wichtiges
Konstrukt zum Beispiel bei Einstellungen
zur Reproduktionsmedizin. Sozialdarwinismus ist ein Teilaspekt des Rechtsextremismus. Es geht zudem um den Bereich
der Stigmatisierung von psychisch Kranken. Menschenrechte wiederum haben viel
zu tun mit Lebenszufriedenheit und den
Werten, die die Menschen haben – da geht
es dann um psychische Bedingungen. Man
muss zudem sehen: Eine Erkrankung ist oft
nicht nur biochemisch und individualpsychologisch zu erklären, sondern es kommt
immer wieder auch auf sozialpsychologische Bezüge an, Bezüge zum Umfeld. Daher ist der Gießen-Test, der diese Bezüge
einschließt, in der medizinischen Psychologie schon so oft angewandt worden.
Die Themenwahl ist das eine. Hinzu
kommt die Präsentation eines Themas.
Es fällt auf, dass Sie eine sehr offensive
Medienpolitik betreiben.
Ich finde es wichtig, dass man, wenn man
eine Befragung zur Reproduktionsmedizin
macht, sie nicht erst in drei Jahren publi-
Ihnen fällt Öffentlichkeitsarbeit offenbar leichter als anderen.
Ich habe ein bisschen Vorbildung. Ich war
sieben, acht Jahre Pressesprecher des deutschen Kollegiums für psychosomatische
Medizin. Da habe ich Erfahrungen gewonnen: Was interessiert die Presse? Mit welchen Informationen kommt man an? Wann
macht man eine Pressekonferenz? Das sind
handwerkliche Sachen, die ich kenne. Aber
man kann auch nicht alles planen. Manche
Dinge laufen auch überhaupt nicht. Ich
hatte eine Studie gemacht zu den Folgen
von Ausbombung und Vertreibung in der
älteren Generation. Dazu ist auch eine
Meldung der Deutschen Presse Agentur
rausgegangen – nur leider hat sie überhaupt
keine Resonanz gefunden. Oft ist so was
eben situationsabhängig.
Bei so vielen medienwirksamen Aktivitäten fragt sich natürlich auch: Wie werden die Studien eigentlich finanziert?
Die letzte Befragung zur Reproduktionsmedizin wurde vom Bundesforschungsministerium gefördert. Für eine neue
Befragung in diesem Jahr habe ich Geld
bei der Volkswagen-Stiftung beantragt.
Manchmal gibt es Geld von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft oder von der
Bertelsmannstiftung. Wichtig sind auch
Partner, also Kollegen, mit denen man zusammenarbeiten kann. Ein Kooperationsjournal
Forschung
netzwerk ist unabdingbar – und auch Organisationstalent.
Außerdem ist es ja nicht so, dass ich nur
Pressearbeit mache. Ich schreibe auch viel
für wissenschaftliche Publikationen, ich
mache auch Studien, die eher für den
medizinischen Betrieb als für eine breite
Öffentlichkeit interessant sind. Es gibt also
den normalen Wissenschaftsbetrieb mit
Mitteln aus dem ganz normalen Rahmen.m
Natürlich muss man auch sehen: Die Kosten für meine Studien sind nicht so eminent
hoch wie in anderen Bereichen.
Zum Schluss ein Blick voraus: Welchen
Themen sind Ihre nächsten Pressekonferenzen gewidmet?
Ich habe schon noch Befragungen in der
Schublade. Aber für dieses Jahr habe ich
persönlich noch keine Presseaktivitäten geplant. Mir liegt jedoch auch die Fakultät am
Herzen. Da gibt es ja eine PR-Kommission, die ich leite. Das heißt, wir müssen
insgesamt Themen aus der Fakultät noch
mehr nach außen tragen.
Das Interview führte Carsten Heckmann.
Bildungslücke bei
Menschenrechten
Ergebnisse zweier Studien
Von Prof. Dr. Gert Sommer und Jost Stellmacher, Klinische Psychologie,
Universität Marburg, und Prof. Dr. Elmar Brähler, Medizinische Psychologie,
Universität Leipzig
Die wichtigsten Dokumente der Vereinten
Nationen, die Menschenrechte weltweit für
alle Menschen festlegen, sind die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von
1948 mit ihren 30 Artikeln, die Zwillingspakte von 1966 („Pakt über bürgerliche
und politische Rechte“ sowie „Pakt über
wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Rechte“) und die Konvention über die
Rechte des Kindes von 1989. Zu den Menschenrechten gehören danach u. a. Recht
auf Leben, Schutz vor Folter, Meinungsund Informationsfreiheit, Schutz vor Arbeitslosigkeit, Recht auf Nahrung, Recht
auf Bildung.
Menschenrechtsbildung ist ein bedeutendes Ziel der Vereinten Nationen, zu dem sie
anlässlich der UN-Dekade der Menschenrechtserziehung (1995–2004) erklärten:
„… jede Frau, jeder Mann und jedes Kind
(müssen) in Kenntnis aller ihrer Menschenrechte – bürgerlicher, kultureller, wirtschaftlicher, politischer und sozialer Art –
gesetzt werden …, um ihr volles menschliches Potenzial entwickeln zu können.“
Prof. Dr. Gert Sommer und Dr. Jost Stellmacher von der Universität Marburg sowie
Prof. Dr. Elmar Brähler von der Universität
Leipzig haben in zwei repräsentativen Studien in Deutschland das Wissen und die
Einstellung bzgl. Menschenrechten in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut
Heft 2/2004
für Menschenrechte untersucht. Die Studien wurden durch das Meinungsforschungsinstitut USUMA im April 2002
und Oktober 2003 durchgeführt.
Die Ergebnisse der beiden Studien zeigen
erhebliche Defizite in der Menschenrechtsbildung in Deutschland. Das Wissen
über Menschenrechte und Menschenrechtsdokumente ist äußerst gering. Insgesamt konnten die Befragten im Durchschnitt weniger als drei Menschenrechte
spontan benennen; dies waren in erster
Linie bürgerliche und politische Rechte,
nämlich Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und Recht auf Leben. Nur jeder zweite
Deutsche konnte überhaupt ein wirtschaftliches, soziales oder kulturelles Recht benennen. Ebenso große Defizite waren auch
beim Wissen über Menschenrechtsdokumente der Vereinten Nationen zu erkennen.
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurde so gut wie gar nicht genannt;
nur 4,1% der Deutschen nannten „UNOMenschenrechtscharta“ bzw. „-konvention“.
Ein positives Ergebnis der Studien war
aber, dass die „Verwirklichung von Menschenrechten“ pauschal von der großen
Mehrheit der Befragten (76%) als äußerst
wichtig bewertet wurde. Diese positive Bewertung von Menschenrechten korrespondiert allerdings nicht mit der Bereitschaft,
sich aktiv für Menschenrechte einzusetzen.
Zwar äußerte ein durchaus substanzieller
Anteil der deutschen Bevölkerung seine
grundsätzliche Bereitschaft, sich in einer
Menschenrechtsorganisation zu engagieren (41%) oder für eine Menschenrechtsorganisation Geld zu spenden (42%). Die
zeigt sich aber nicht im tatsächlichen Verhalten: Lediglich 4,3% gaben an, sich in
den letzten fünf Jahren tatsächlich in einer
Menschenrechtsorganisation engagiert zu
haben. Aber auch dieser Prozentsatz stellt
– als subjektive Aussage – wahrscheinlich
noch eine Überschätzung dar.
Es gab einige bemerkenswerte Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen:
• Ostdeutsche konnten spontan mehr wirtschaftliche Rechte benennen; dies waren
Recht auf soziale Sicherheit; Recht auf
Nahrung, Kleidung, Wohnung und ärztliche Versorgung; Schutz vor Arbeitslosigkeit; gleicher Lohn für gleiche Arbeit; Recht auf Bildung.
• Ostdeutsche bewerteten wirtschaftliche
Rechte etwas wichtiger und bürgerliche
Rechte etwas weniger wichtig.
• Ostdeutsche äußerten eine geringere Bereitschaft zum Einsatz für Menschenrechte.
Als Fazit kann somit festgehalten werden,
dass die Ziele der UN-Dekade für Menschenrechte in Deutschland kaum erreicht
wurden. Gravierend ist das Wissensdefizit
über Menschenrechtsdokumente und über
konkrete Menschenrechte, hier besonders
über die wirtschaftlichen, sozialen und
kulturellen Rechte. Dadurch wird das zunächst positiv erscheinende Ergebnis, die
Verwirklichung von Menschenrechten als
äußerst wichtig zu bewerten, relativiert: Es
stellt sich die Frage, was dann als äußerst
wichtig bewertet wird. Darüber hinaus
wäre auch ein größerer Einsatz für Menschenrechte wünschenswert.
Vor dem Hintergrund der vorliegenden
Ergebnisse sei nochmals auf die große
Bedeutung der Menschenrechtsbildung –
im Rahmen demokratischer Bildung – hingewiesen. Dazu gehören:
• ein breites Wissen und eine positive Bewertung bezüglich der Menschenrechte
möglichst früh zu vermitteln, und Menschenrechte als wichtigen Maßstab zur
Beurteilung gesellschaftlicher Verhältnisse zu nutzen;
• die Bereitschaft zum Einsatz für (einzelne) Menschenrechte zu fördern; und
• die Bereitschaft zu fördern, Verletzungen
von Menschenrechten offen zu legen und
sich diesen Verletzungen zu widersetzen.
11
Forschung
Ein wichtiger
Schlüssel ist
entdeckt
Forschung
von und
zu Frauen
Erfolg bei der Suche nach den
Ursachen für Kleinwüchsigkeit
Förderung für
Stellen und
Projekte erreicht
Wissenschaftler der Universian den Rezeptoren liegen, die
tätskinderklinik Leipzig wiegewissermaßen das Schloss
sen jetzt erstmals eine Mutafür die Schlüsselhormone biltion des IGF-I-Rezeptors als
den. Wenn man also nachweieine Ursache für Kleinwüchsen könnte, dass einer der Resigkeit nach. Die im „New
zeptoren so verändert ist, dass
England Journal of Medicine“
das Schloss-Schlüssel-Prinzip
veröffentlichte Entdeckung
nicht funktioniert, kann natürkönnte der Schlüssel für die
lich auch die entsprechende
weitere Erforschung von noch
Botschaft nicht weitergetranicht bekannten Ursachen der
gen werden. Genau diesen
Kleinwüchsigkeit sein.
Nachweis haben die Leipziger
Klinikchef Professor
Etwa zehn Prozent der Kinder, Wieland Kiess
Forscher erbracht.
die bereits im Mutterleib
Sie untersuchten zwei GrupWachstumsstörungen haben, bleiben auch pen von 42 bzw. 50 + 9 Kindern mit Wachsspäter zu klein. In vielen Fällen ist die Ur- tumsstörungen unklarer Herkunft gezielt
sache des Kleinwuchses unklar, so dass die auf Abnormalitäten im IGF-IR Gen. Als
Therapie häufig erfolglos bleibt. Wenn Kontrollgruppe unterzog man 43 Kinder
man weiß, dass diesen Kindern daraus mit normalem Geburtsgewicht den gleigesundheitliche und soziale Probleme er- chen Untersuchungen. In dieser Kontrollwachsen können, scheint Handlung gebo- gruppe konnten keine Veränderungen des
ten.
IGF-I-Rezeptors festgestellt werden, woAn der Medizinischen Fakultät beschäftigt hingegen in der ersten Gruppe ein Mädman sich unter den verschiedensten As- chen mit IGF-I-Rezeptor-Mutation auffiel
pekten mit dem Problem der Kleinwüch- und in der zweiten ein Junge. Damit war
sigkeit. Das von Prof. Eberhard Keller an erstmals der Nachweis für eine Wachsder Klinik und Poliklinik für Kinder und tumsstörung erbracht, die zurückzuführen
Jugendliche entwickelte Crescnet bietet ist auf eine Rezeptoranomalität.
auf Grund der anonymen Erfassung eines Wie wichtig diese Entdeckung für die wisumfangreichen Datenmaterials von Kin- senschaftliche Welt und letztendlich für die
dern beste Voraussetzungen für gezielte betroffenen Kinder ist, zeigen die VeröfUntersuchungen auch im Hinblick auf fentlichung in einem der renommiertesten
Kleinwüchsigkeit. Das Team um Klinik- Wissenschaftsjournale auf dem Gebiet der
chef Prof. Wieland Kiess konnte so erfolg- Medizin, dem „New England Journal of
reich der Hypothese nachgehen, dass Mu- Medicine“, und die Anfragen aus aller
tationen im Gen für den Insulin-ähnlichen Welt. Die Wissenschaftler wollen jetzt aber
Wachstumsfaktor I-Rezeptor (IGF-IR), noch einen Schritt weitergehen. Sie wollen
eine Ursache für vor- und nachgeburtliche die Eiweißstrukturen untersuchen, die mit
Wachstumsstörungen sein könnten.m
dem Rezeptor verbunden sind, denn, so
Ausgangspunkt für die Hypothese ist das Prof. Kiess, „es könnte ja der Rezeptor in
Wissen um Hormone als Botenstoffe, die Ordnung sein, nicht aber die daran gekopdas Signal für das Wachstum geben. Ob das pelten Verbindungswege“.
funktioniert oder nicht, könnte wiederum
Dr. Bärbel Adams
12
Die Bund-Länder-Vereinbarung zur Fortsetzung des Hochschul- und Wissenschaftsprogramms (HWP) in den Jahren
2003–2006 wurde am 17. Dezember 2003
von Bundeskanzler Gerhard Schröder
unterzeichnet. Um einen unverzüglichen
Förderbeginn im Rahmen des Artikels 1,
Förderung der Chancengleichheit von
Frauen in Forschung und Lehre, gewährleisten zu können, hatte das Sächsische
Staatsministerium für Wissenschaft und
Kunst die sächsischen Hochschulen bereits
vorab Anfang November auf die geplanten
Fördermöglichkeiten aufmerksam gemacht, die innerhalb der Universität Leipzig unverzüglich ausgeschrieben wurden.
Durch engagierten Einsatz aller Beteiligten
(darunter die Gleichstellungsbeauftragten
der Fakultäten und der Universität, die Graduiertenkommission sowie die einschlägigen Fakultätsvertreter in der Forschungskommission) war es möglich, ab 1. Januar
2004 acht Stellen für die Qualifikation von
Wissenschaftlerinnen auf eine Professur
einzurichten, zehn Promotionsstipendien
zu vergeben und für insgesamt vier Maßnahmen der Frauen-/Genderforschung
bzw. zur Steigerung des Anteils von Frauen
in
naturwissenschaftlichen/technischen
Studiengängen eine Förderung zu erhalten. Mitte Februar empfing Prof. Dr. Martin Schlegel, Prorektor für Forschung und
wissenschaftlichen Nachwuchs, die Wissenschaftlerinnen, die sich in den nächsten
Jahren im Rahmen des HWP für eine Professur qualifizieren, zu einem ersten Treffen, dem weitere folgen sollen. Mit dabei
war auch Dr. Constanze Farda, deren
Habilitationsvorhaben im vorigen HWP
(2001–2003) gefördert werden konnte.
Angesichts der Neufassung des Hochjournal
Forschung
schulrahmengesetzes stand insbesondere
auch der Stellenwert von Habilitationsvorhaben zur Diskussion. In diesem Zusammenhang wurde großes Interesse an
einer Kooperation mit der Gruppe der inzwischen 19 künftigen Juniorprofessoren
an der Universität Leipzig geäußert, in die
nach Möglichkeit auch die bereits von
2001 bis 2003 im Rahmen des HWP geförderten Habilitandinnen eingebunden
werden könnten.
Bei den Maßnahmen der Frauen-/Genderforschung kamen übrigens von 13 aus ganz
Sachsen eingereichten Anträgen allein
zehn von der Universität Leipzig. Fünf Vorhaben werden in ganz Sachsen gefördert,
drei davon an der Universität Leipzig:
• Die Verwaltung der Prostitution: Sachsen-Polen-Tschechien (Prof. Dr. Monika
Wohlrab-Sahr, Theologische Fakultät,
Prof. Dr. Wolfgang Fach, Dr. Rebecca
Pates, Daniel Schmidt, Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie)
• Vergleichende Forschung zu Geschlechterverhältnissen in Frankreich, Deutschland und England im 20. Jahrhundert und
die Implementierung der Arbeitsergebnisse in interkulturell angelegten Studiengängen der Universität Leipzig (Dr.
Matthias Middell, Zentrum für Höhere
Studien)
• Diversität-GeschlechterordnungenMachtbeziehungen (Prof. Dr. Barbara
Lange, Fakultät für Geschichte-, Kunstund Orientwissenschaften)
Ein weiteres der zehn von der Universität
Leipzig vorgeschlagenen Projekte wurde
auf Anregung des SMWK zu einem universitätsübergreifenden Gemeinschaftsvorhaben zur Förderung des Frauenanteils
in naturwissenschaftlich-technischen Studiengängen zum Thema „Förderung und
Vernetzung weiblicher Eliten aus naturund ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen an sächsischen Universitäten und
Hochschulen“ weiterentwickelt. An ihm
sind neben der Universität Leipzig (Prof.
Dr. Dorothée Alfermann, Zentrum für
Frauen- und Geschlechterforschung) die
TU Dresden, die HTW Dresden, die
HTWK Leipzig, die TU Chemnitz und die
FH Zittau Görlitz beteiligt.
Ein erfreuliches Ergebnis dieser Aktion ist,
dass die Universität Leipzig zum Zentrum
für Frauen- und Geschlechterforschung für
den gesamten Freistaat Sachsen entwickelt
werden soll.
Dr. Sylvia Richter
Heft 2/2004
Oben:
Dr. Martina Steul, Dr. Annegret Kujat, Dr. Constanze Farda, Dr. Julia Katharina
Koch, Dr. Susanne Uhlmann und Dr. Helke Rausch (v. l.).
Foto: Randy Kühn
Unten:
Dr. Jeanette Kohl, Dr. Cornelia Kopp-Scheinpflug, Dr. Andrea Schisler (v. l.).
Die Habilitationsvorhaben
Dr. Julia Katharina Koch (Fakultät für
Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften): Mobilität der Geschlechter.
Dr. Jeanette Kohl (Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften): Kultobjekt, role model, objet d’amour. Weibliche Büstenbildnisse des 14.
und 15. Jahrhunderts.
Dr. Cornelia Kopp-Scheinpflug (Fakultät
für Biowissenschaften, Pharmazie und
Psychologie): Einfluss spezifischer Membraneigenschaften und modulatorischer
Synapsen auf die Präzision des neuronalen Codes: Untersuchungen an einem
transgenen Tiermodell.
Dr. Annegret Kujat (Medizinische Fakultät): Untersuchung zur Identifizierung
kryptischer Chromosomenaberrationen in
der prä- und postnatalen Zytogenetik
mittels zytogenetischer und molekularzytogenetischer Methoden.
Dr. Helke Rausch (Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie): Amerika
im Europadiskurs der Bundesrepublik
Deutschland, Frankreichs und Großbritanniens, 1945 bis Mitte der 1970er Jahre.
Dr. Andrea Schisler (Fakultät für Chemie
und Mineralogie): Synthese, Charakterisierung und katalytische Eigenschaften
ein- und mehrkerniger Lanthanoid-Komplexe.
Dr. Martina Steul (Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät): Vertragliche Vertriebssysteme und Dienstleistungsorientierung.
Dr. Susanne Uhlmann (Medizinische Fakultät): Bedeutung des α2-Makroblobulin/LPR-Systems für die Physiopathogenese, Prophylace und Behandlung der
experimentellen Proliferativen Vitreoretinopathie und von Ischämie/Reperfusionsschäden.
13
Forschung
Vordenker und Wegweiser
J. L. Borges als Ausgangspunkt für neue Konzepte
Von Prof. Dr. Alfonso de Toro, Direktor des Ibero-Amerikanischen Forschungsseminars (IAFSL)
Das Denken und wissenschaftliche Vorgehen, die Theorie und Methodologie des
IAFSL gingen von der Position aus, dass
Wissenschaft transdisziplinär betrieben
werden muss und sich nach Fragestellungen und nicht nach regional bedingten Fragen organisieren muss. So hat das IAFSL
von Beginn an Fragestellungen in einem
transdisziplinären und internationalen
Kontext formuliert, was mit dem Konzept
einer „transversal-hybriden Wissenschaft“
umschrieben worden ist. Erst dann wurden
Fragestellungen, je nach erworbener Kompetenz, verortet und somit neue Felder erschlossen und alte neu gedacht. Die Leipziger lateinamerikaorientierte Kultur- und
Theaterwissenschaft sowie die Borges-Forschung stellen die wichtigsten Schwerpunkte des IAFSL dar, und es war daher
kein Zufall, dass das Universalwerk des
Argentiniers Jorge Luis Borges, der wie
kaum ein zweiter die Literatur und das Denken im 20. Jahrhundert revolutioniert hat,
zum privilegierten Ausgangspunkt für Erneuerung wurde. Von seinem Werk aus
wurden die Bereiche der ‚Postmodernität‘
und ‚Postkolonialität‘, Kultursemiotik,
Sprach- und Geschichtsphilosophie und
allgemeine Fragen der Kulturtheorie aufgenommen und weitergeführt, die dann in die
aktuelle Diskussion über Hybridität, Transdisziplinarität, Transkulturalität, Transversalität und Transmedialität, Körper und
Gender einmündeten. Die Aufgabe bestand
darin, einerseits die Wanderungen von Borges durch unterschiedliche Problemfelder,
verortet in verschiedenen Disziplinbereichen und Kulturen, und deren Überkreuzung zu zeigen, und andererseits die Notwendigkeit der Vernetzung von Disziplinen
und das Überwinden der eigenen Disziplin,
um Borges’Werk zu interpretieren.
So konnte aufgezeigt werden, wie Borges
die Aufgaben der Literaturwissenschaft,
Kategorien wie Literatur, Fiktionalität und
Wissenschaft, Konzepte wie Realität, Literatur in Frage stellte und einen breiten
Paradigmenwechsel einleitetete, der sich
dann weltweit ausbreitete und der sich in
den Werken des nouveau roman und der
nouvelle critic, in der nordamerikanischen
Literatur der 60er Jahre, in Calvino und
Eco, im Bereich der Semiotik, der Rezeptionsforschung, des Poststrukturalismus
und der postmodernen Philosophie, in den
Werken von Foucault, Derrida, Baudrillard, Deleuze und Vattimo, in der neueren
Geschichtsphilosophie
eines
Whites
niederschlug. So wurde schnell klar, dass
Borges lange vor White die Faktizität des
historischen Wissens als Spezifik der Geschichtsschreibung in Frage stellte und auf
den Konstruktcharakter, auf die Subjektivität und die pragmatisch-historische Abhängigkeit jeglicher Äußerung hinwies.
Man musste die Literaturwissenschaft in
Richtung Philosophie, Geschichtswissenschaft und -philosophie hin öffnen. Damit
leitete das IAFSL den Übergang von einer
literaturwissenschaftlich ausgerichteten
Philologie zu einer transtextuellen und
transdisziplinären Kulturwissenschaft ein.
Das war ein erster Schritt.
Borges war der erste, lange vor Said und
Ashcroft et alii, der in den 20er Jahren
schon, v. a. in „Der argentinische Schriftsteller und die Tradition“, einen nicht nur
postkolonialen Diskurs zur Überwindung
Zehn Jahre Ibero-Amerikanisches Forschungsseminar
Das Ibero-Amerikanische Forschungsseminar der Universität Leipzig (IAFSL)
wurde am 18. Januar 1994 als transdisziplinäre Forschungseinrichtung für die Vertretung der spanisch- und portugiesischsprachigen Literatur, Sprache und Kultur
gegründet, kann also in diesem Jahr sein
zehnjähriges Bestehen feiern. Das IAFSL
wirkt als integrierende und vernetzende
Einrichtung, die sich für eine intensive
Kooperation und den Austausch mit zahlreichen Universitäten und Institutionen in
Deutschland, europaweit und weltweit einsetzt. Dazu gehört die enge Zusammenarbeit mit Botschaften sowie Regierungsstellen und anderen Institutionen auf Landes- und Bundesebene. Eine der Hauptaufgaben besteht darin, die vorhandene breite
Kompetenz und Erfahrung in den Dienst
der bilateralen Beziehungen zwischen
den lateinamerikanischen Staaten und
Deutschland, speziell Sachsen, zu stellen.
14
Neben einem beachtlichen Forschungsertrag, der sich in fünf wissenschaftlichen
Reihen mit über 50 sorgfältig ausgewählten Publikationen, 13 internationalen
Kolloquia und Kongressen, zahlreichen
Dissertationen und Habilitationen sowie
Forschungsprojekten niederschlägt, wurden Initiativen und Aktivitäten zur Förderung und Verbreitung der spanischen, lateinamerikanischen, portugiesischen und
brasilianischen Kultur umgesetzt, so dass
sich die Hispanistik, Lusitanistik und Lateinamerikanistik in Leipzig und in Sachsen gut entwickelt. Von den 2060 Studierenden im Institut für Romanistik studieren
über 900 Hispanistik und über 140 Lusitanistik (Brasilien bildet neben SpanischAmerika einen Schwerpunkt) – Tendenz
steigend.
Besonders erwähnenswert ist das von Professor Alfonso de Toro geleitete Forschungsprojekt „Interkulturelle und inter-
disziplinäre Kommunikation. Lateinamerika und die Vielfalt der Diskurse. Erzählliteratur, Kulturtheorie und Theater“,
das von 1997 bis 1999 von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft und von 2001
bis 2004 mit Sponsorenmitteln gefördert
wurde und wird. Insgesamt wurden mehr
als 400000 Euro eingeworben. Die Ergebnisse werden in elf Bänden publiziert,
fünf sind bereits erschienen, vier befinden
sich in Druckvorbereitung, die verbleibenden drei werden im Laufe dieses Jahres erscheinen. Einen bedeutenden internationalen Beitrag stellen darüber hinaus
die Projekte der Professoren Eberhard
Gärtner und Gerd Wotjak dar.
IAFSL-Direktor Prof. Dr. Alfonso de Toro
zeigt in seinem Beitrag am Beispiel der
Borges-Forschung auf, was das Wirken
des Forschungsseminars kennzeichnet
und wie es sich seinen guten Ruf in der
Fachwelt erarbeitet hat.
r.
journal
Forschung
der Dichotomien von Peripherie und Zentrum einleitet, sondern diese Kategorien
durch hybrides Denken und hybride Strategien ersetzt und die Konstrukthaftigkeit
von Kultur und die Unsinnigkeit und Unergiebigkeit von nationalen, kolonialen
(Identitäts-) Kategorien zeigt und wertende
Hierarchien bloßstellt, wie jene, die das
Zentrum als „Originalproduzenten“ und
die Peripherien als „Nachahmer“ postulieren. Die Verortung der Kultur wird von
Borges seit dem Beginn seiner Tätigkeit als
Schriftsteller offen gedacht und erlebt. In
„Das Ausmaß meiner Hoffnung“ bekundet
er: „Kreolismus ja, aber ein Kreolismus,
der mit der Welt spricht und mit dem Ich
spricht“.
Von Borges aus wurde im IAFSL der
zweite Schritt dann im Jahre 1996 eingeleitet, die Entwicklung einer transkulturellen (nicht regionalen) Kulturwissenschaft
auf der Basis eines Konzeptes, nicht von
Postkolonialismus, sondern von ‚Postkolonialität‘ als „Teil des postmodernen Denkens, verstanden als eine diskursiv-kulturelle Strategie, die Vergangenheit und
Gegenwart rekodifiziert und zu einer Zukunft verwindet, charakterisiert durch ein
differentes, heterogenes, hybrides und subjektives Denken, das von Besonderheit,
und Andersheit geprägt ist; Postkolonialität
als diskursive Strategie der Repräsentationen, der Widersprüche, Pluralität, Brüche
und Diskontinuitäten der Geschichte und
Kultur“. Dieses Konzept wird dann die
Basis des DFG-Projekts „Diskursvielfalt“
bilden. Borges Analyse der literarischen
Tradition Argentiniens eingeteilt in Dichotomien ist zugleich die Behandlung der
Beziehung zwischen Peripherie und Zentrum, ein postkoloniales Problem im Sinne
Bhabhas bzw. Spivaks, das bis dahin in der
internationalen Lateinamerikaforschung
die gebührende Aufmerksamkeit weitestgehend nicht genoss.
Für Borges ist die dualistisch ausgrenzende
Diskussion des Eigenen bzw. einer essentialistischen Identität deshalb falsch, weil
sie anstelle von Diskontinuität und Altarität „das ewige Problem des Determinismus“ und die Frage nach dem Ursprung,
nach einem einigenden Entwurf, nach der
Kontinuität in der Zeit reflektiere. Borges
tritt für eine dezentrierte Form von Identität ein, die der postmodernen, postkolonialen Diskussion, insbesondere jener der
poststrukturalen Prägung, und stellt fest:
„[…] unser Erbteil [ist] das Universum; wir
müssen uns an allen Themen versuchen
[…].“ Das Zitat ist eine beispielhafte DefiHeft 2/2004
nition dessen, was im IAFSL zunächst mit
Postkolonialität, dann mit Hybridität bezeichnet wurde, das Verhältnis des eigenen
Kontextes mit anderen außerhalb des eigenen örtlichen Umfeldes, die Aneignung
und die Förderung von Diskursen und kulturellen Phänomenen in einem Spannungsverhältnis der Potenzierung der Differaenz
in der Annerkennung, Kultur als Eigentum
aller und nicht nur einer kulturellen Region, wo diese verortet ist.
Borges zeigte den Weg aus Anachronismen
und Aporien, indem er sich auf die Produktivität und Potenzialität der Kultur
und Wissenschaft konzentrierte, was das
IAFSL, in einem zweiten Schritt, als zentralen Teil seiner Theoriebildung aufnahm.
Die Bereiche der Simulation, Virtualität,
Dekonstruktion werden allesamt im Borges’ Werk vorgedacht und vollentwickelt,
so in „Die analytische Sprache von John
Wilkins“, in „Der Garten der Pfade, die
sich verzweigen“, in „Das Aleph“ oder in
„Das Sandbuch“. Borges gelangt an die
Grenze des Undenkbaren (so Foucault) und
produziert eine Literatur der Abwesenheit
oder eine rhizomatische Literatur, wo die
Vorstellungen von Unendlichkeit, Zeitund Raumlosigkeit bzw. der Gleichzeitigkeit und die Erschaffung von virtuellen
Welten, die das moderne Web gründen
(v. a. im „Sandbuch“), im Zentrum stehen.
Borges entwickelt ein Konzept von Literatur, Kultur und Wissenschaft als Zirkulation, ohne festen Ort und Eigentümer, ohne
präfigurierten Sinn, ohne Ursprung; Literatur und Kultur als Verweise von Zeichen
auf eine unendliche Zahl von anderen
Zeichen.
Um zu diesen Analysen und Schlussfolgerungen zu kommen, mussten die engen
Grenzen der Literaturwissenschaft und der
Borges-Forschung wesentlich überschritten werden, um Phänomene zu entdecken,
die Grundfragen des Denkens im 20. Jahrhundert ausmachen und die die IAFSLBorges-Forschung aufgrund einer erworbenen transdisziplinären und transkulturellen Kompetenz beschreiben konnte, die
sich außerhalb der traditionellen Disziplin
Literaturwissenschaft oder Komparatistik
befindet: u. a. in der postmodernen und
poststrukturalen Philosophie Frankreichs
und der angelsächsischen postkolonialen
Debatte. Diese Untersuchungen haben im
IAFSL, in einem dritten Schritt, zu der Entwicklung eines transdisziplinären/ transversalen Wissenschaftsbegriffs zur Interpretation kultureller Objekte in einem globalen Kontext geführt. Theorie wird nun
nach ihrer Produktivität und nicht nach
ihrer Herkunft ausgewählt, da kulturelle
Objekte in der Regel translokale Elemente
aufweisen. Dabei handelt es sich um zwei
simultane Prozesse, die Potentialität (Erklärungspotential) und ihre Rekodifizierungsfähigkeit, (Verortungs- und Anwendungsfähigkeit, Offenheit). Eine transversale Disziplin wird demnach als ein
interrelationales Geflecht oder Abhängigkeitsverhältnis zwischen Disziplinen oder
Teilen von diesen aufgefasst, derart, dass
die Grenzen der eigenen Disziplin überschritten werden.
Projekt mit Medienkünstler
„Borges
virtuell“
Auf der Leipziger Buchmesse Ende März
wurde das Projekt „Borges virtuell“ der
Öffentlichkeit vorgestellt. Es handelt sich
um den Versuch des Romanisten Prof. Dr.
Alfonso de Toro und des Medienkünstlers
Jürgen Meier, die Gedankenwelt, den
literarischen Kosmos des argentinischen
Schriftstellers
Jorge
Luis
Borges
(1899–1986) visuell zu erfassen. Sprache
und Schrift werden in eine Bildwelt verwandelt. Der Betrachter wird zum Besucher einer Welt, die sich als virtuelle Bühne
darstellt. Prof. de Toro erklärt: „Es geht um
das Denken und um die Darstellung von
Zeit- und Raumlosigkeit sowie von Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Systeme auf
einem Fleck, um den ewigen Augenblick,
um die simultane und damit zeitlose Verdichtung des Universums in einem punktuellen, eben virtuellen Raum. Alles geschieht und verschwindet, es gibt kein Zentrum und damit keine Richtungen.“m
Damit wird etwas thematisiert, was für
Borges die „Verzweiflung als Schriftsteller“ ausmacht: „Wie soll ich anderen das
unendliche Aleph mitteilen, das mein
furchtsames Gedächtnis kaum erfasst? …
Überdies ist das Kernproblem unlösbar:
die Aufzählung, wenn auch nur die teilweise, eines unendlichen Ganzen. In diesem gigantischen Augenblick habe ich
Millionen köstlicher oder grässlicher Vorgänge gesehen; … alle fanden in demselben Punkt statt, ohne Überlagerung und
ohne Transparenz. Was mein Auge sah, war
simultan: was ich beschreiben werde, ist
sukzessiv, weil die Sprache es ist. Etwas
davon will ich gleichwohl festhalten.“ r
15
UniCentral
Der Sieger heißt Erick van Egeraat. Der
Entwurf des Niederländers für das Areal
des neuen Uni-Campus, das direkt am Augustusplatz liegt (kurz: das „Paulinum“),
wurde von der Jury am 24. März mit zehn
zu drei Stimmen favorisiert. Der restliche
Campus-Bereich wird bekanntlich nach
den Plänen des Münsteraner Büros Behet,
Bondzio und Lin realisiert. Deren Entwurf
für den Bau am Augustusplatz kam in der
Endrunde auf Platz drei, nach dem Vorschlag von Peter Kulka, aber vor dem von
Hans-Günther Merz.
Auf dieser und den folgenden Seiten (sowie auf S. 1) informiert Sie das Journal
über das Ergebnis des Wettbewerbs, aber
auch über die ersten Baumaßnahmen und
die Zukunft der Kunstschätze aus der zerstörten Universitätskirche.
Modell des Siegerentwurfs.
Repro: Armin Kühne
Ein Vertrauensbruch – und
eine anspruchsvolle Vision
Prof. Dipl.-Ing. Architekt Burkhard Pahl über den
Ablauf und das Ergebnis des Campus-Wettbewerbs
Die Würfel sind gefallen. Am 24. März hat
die Jury im zweiphasigen Vergabeverfahren zur „Neu- und Umgestaltung des
innerstädtischen Universitätskomplexes
am Augustusplatz“ ihre Entscheidung getroffen. Die Universität Leipzig ist damit
ihrer Herzensangelegenheit der Realisierung einer Aula/Kirche am ehemaligen
Standort der Paulinerkirche einen großen
Schritt vorangekommen.
Verpflichtend für die Teilnehmer war:
– Die funktionalen Anforderungen der
Universität Leipzig und die städtebauliche Einbindung in das Gesamtareal
(innerstädtischer Campus).
– Eine architektonisch hochwertige Lösung, welche in würdiger und angemessener Weise an die kulturhistorische Bedeutung des Standortes, der qualitätvollen historischen Bauten aber auch an
deren Sprengung erinnert.
– Die Prozesshaftigkeit von baugeschichtlicher Entwicklung, welche die Ablesbarkeit von historischen Brüchen, Veränderungen und Kontinuitäten (auch zukünftigen Generationen) aufzeigt.
16
– Die Ansprüche der heutigen universitären Welt und Gesellschaft an einen
innerstädtischen Campus, dessen äußere
Erkennbarkeit (einschl. Bedürfnis nach
Selbstdarstellung) und Öffentlichkeit
des Ortes.
– Die Lösungsmöglichkeiten umfassen
damit das Spektrum von der Neuinterpretation in einer zeitgemäßen Gestaltung unter Berücksichtigung einer angemessenen Erinnerungshaltung an die
ehemalige Paulinerkirche bis hin zur
Orientierung am historischen Erscheinungsbild der Paulinerkirche.
Nachdem bereits vor zwei Jahren der
städtebauliche Rahmen, das funktionale
und gestalterische Grundkonzept für das
Gesamtareal entschieden sowie der historische Standort der Paulinerkirche für die
neu zu erstellende Aula/Kirche gesichert
werden konnte, ging es im jetzt entschiedenen Verfahren um das kontrovers diskutierte Erscheinungsbild zum Augustusplatz, die architektonische Ausformung
des Erinnerns und um innere Qualitäten.
Hierzu erhielten die teilnehmenden Archi-
tekten ausführliche Dokumentationen der
Vorgeschichte bis hin zu Darstellungen der
geretteten Kunstschätze.
Darüber hinaus wurden mehrere Qualifizierungsschritte durchgeführt: Nach öffentlicher Ausschreibung der Planungsaufgabe wurden die Teilnehmer nach
fachlichen Kriterien ausgewählt und alle
Preisträger des vorangegangenen Wettbewerbes zusätzlich eingeladen, am Verfahren teilzunehmen.
Aus einer breiten Palette von Lösungsansätzen wurden am 13. Januar vier Erfolg
versprechende Entwürfe, welche die
Kriterien und Erwartungen der Auslobung
erfüllten, zur weiteren Bearbeitung ausgewählt. Diese sollten die Chance erhalten,
wesentliche Hinweise und Anregungen der
Jury, unbeeinflusst von den anderen
Zwischenergebnissen, aufzunehmen und
planerisch bis März umzusetzen.
Auf Basis dieser ausgearbeiteten Entwürfe
traf die Jury am 24. März mit großer Mehrheit die Entscheidung zugunsten des Entwurfs von Erick van Egeraat Architekten,
Rotterdam. Der Entwurf versöhnt die
journal
UniCentral
unterschiedlichen Ansprüche an die Erinnerung der gesprengten Universitätskirche
miteinander und vermittelt der Universität
einen eigenständigen und selbstbewussten
Auftritt am Augustusplatz. Das international renommierte Architekturbüro van
Egeraat hat in Bauten für die TU Delft, in
Kopenhagen und Budapest gezeigt, dass es
in der Lage ist, komplexe Aufgaben im
Sinne des Auslobers zu lösen. Alle vier
Architekturbüros der Endrunde des Qualifizierungsverfahrens haben herausragende
Architekturbeispiele realisiert.
Aus gegebenem Anlass einige Worte zum
Verfahren:
Alle Beteiligten, d. h. die Universität Leipzig, der Freistaat Sachsen, die Stadt Leipzig und der Paulinerverein hatten sich im
Vorfeld auf das oben beschriebene Regelverfahren und die daran teilnehmenden
Akteure und Jury-Mitglieder verständigt.
Dazu gehörte auch die Vereinbarung, alle
eingereichten Beiträge nach Abschluss des
Wettbewerbsverfahrens Ende März vollständig und im Original der Öffentlichkeit
zugänglich zu machen (seit 25. März im
Gewandhausfoyer).
Bei dem Verfahren handelt es sich um ein
in vielen Jahren erprobtes Vergabeverfahren mit klaren Mehrheitsentscheidungen
und Regeln. Sie sind Kennzeichen einer
funktionierenden Demokratie und Baukultur. Für die Öffentliche Hand sind solche
Vergabeinstrumente ohnehin verbindlich
anzuwenden. Nach gleichem Prinzip
wurde zum Beispiel beim Neubau des
BMW-Werkes in Leipzig oder der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am
Main und bei zahlreichen anderen bedeutenden Bauaufgaben entschieden.
Die Universität als der künftige Nutzer
hatte begreiflicherweise ein großes Interesse daran, dass in dem zweiphasigen Vergabeverfahren auch der letzte Qualifizierungsschritt, in dem die architektonischen
Entwürfe auf der Grundlage von Hinweisen der Jury zur endgültigen Ausformung
gelangen, in aller Sorgfalt vollzogen
wurde. Es war dabei wichtig, dass offene
Fragen zum städtebaulichen Erscheinungsbild, zu Funktionsabläufen, zum Erinnerungswert und zur räumlichen Qualität im
Verfahren und konkurrierend geklärt werden.
Durch einen gravierenden Vertrauensbruch
der Vertreterin des Paulinervereins in der
Jury hatte es in einigen Medien bereits Veröffentlichungen von Wettbewerbsbeiträgen
vor Abschluss des Verfahrens gegeben. Damit waren Vorverurteilungen von WettbeHeft 2/2004
werbsbeiträgen, Diffamierungen von Personen und des Verfahrens verbunden,
welche in der Sache nicht weitergeholfen
haben. Dieser Vorgang ist in der mehr als
100-jährigen Geschichte des Wettbewerbsund Vergabewesens einzigartig und zeugt
von mangelndem Verständnis demokratischer Spielregeln und Instrumente.
Der teilnehmende Architekt Kulka sprach
in diesem Zusammenhang von einem Eingriff in ein anonymes Verfahren, welcher
nicht nur eine Unzumutbarkeit für die Architekten darstellt. Die Jury hat in der abschließenden Sitzung eine klare Rüge an
die Vertreterin des Paulinervereins ausgesprochen und im Sinne der vereinbarten
Regeln das Verfahren zu einem glücklichen
Abschluss gebracht.
Das hier dokumentierte Ergebnis ist ein
wichtiger und unverzichtbarer Baustein
der universitären Wiederbelebung am
Augustusplatz und einer zielgerichteten
Diskussion über seine mögliche Ausgestaltung. Der erstrangig prämierte Entwurf ist
eine anspruchsvolle Vision, eine Arbeitsgrundlage. Wir sollten diese Chance nutzen.
Die Ausstellung im Gewandhausfoyer
dauert bis Ende April.
Die Öffnungszeiten: werktags 9–18 Uhr,
am Wochenende 9–15 Uhr.
Erick van Egeraat im Kurzinterview
„Wir wollen eine
reiche Architektur“
Erick van Egeraat, geboren 1956 in Amsterdam, hat an der Technischen Universität in Delft Architektur studiert und steht
seit nunmehr 23 Jahren im Beruf. Er gilt
inzwischen als der Top-Architekt der
Niederlande. Sein Büro mit 120 Mitarbeiten zeichnet unter anderem für das Hauptquartier der ING & NNH Bank in Budapest verantwortlich. Zum Qualifizierungswettbewerb für den Campus war er
von der Universität eingeladen worden.
Dem Journal beantwortete der von Journalisten verständlicherweise umlagerte
Egeraat drei kurze Fragen.
Herr van Egeraat, glauben Sie, dass Ihr
Modell so verwirklicht wird, wie es jetzt
zu sehen ist?
Natürlich kann ich nicht in die Zukunft
sehen. Ich kann nur sagen: Wir sind dieses Projekt mit großen Ambitionen angegangen. Wir wollen eine reiche Architektur für Leipzig und seine Universität. Und
die wird nun kommen. Unsere Mittel, also
Glas, Stahl, edler Stein, künden davon.
Ein stolzer Sieger: Erick van Egeraat
zeigt sein Modell. Foto: Armin Kühne
Ist dieser Reichtum zu bezahlen?
Land, Stadt, Universität wollen sich das
leisten. Es ist auch angemessen für einen
Campus im Herzen der Stadt. Und so
komplex sind unsere Elemente nun auch
wieder nicht.
Sie haben großen Wert auf die Erinnerung an die Paulinerkirche gelegt …
… aber nicht als Rekonstruktion. Wir
brauchen nicht nachzubauen, um den gleichen Reichtum realisieren zu können.
C. H.
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UniCentral
Die Entscheidung
für die „fünfte Fassade“
1. Platz: Erick van Egeraat
www.eea-architects.com
„Mit Respekt vor dem Vorhandenen und
Bezugnahme auf geschichtliche Ereignisse
wird mit dem vorgeschlagenen Konzept
eine Neudefinition des Ortes geschaffen“,
heißt es in der Eigenbeschreibung des
Sieger-Konzepts, in der außerdem die „expressive Formensprache“ betont wird, die
„zukunftsweisende Zeichen“ setze. „Die
ausdrucksvolle Dachfläche wird am Platz
zur fünften Fassade und prägt den Stadtraum.“
Die Jury freute sich über die „gestalterische Kraft einer neuen Architektur“. Von
einem Bau, der identitätsstiftend wirken
könne, war die Rede. Zugleich wurden Bedenken u. a. hinsichtlich des Kostenaufwandes und der Brandschutzvorschriften
geäußert, die jedoch vom Gesamteindruck
überstrahlt würden.
Für die weitere Qualifizierung des Entwurfs sprach die Jury Empfehlungen aus.
Eine Aufgabe für den Architekten wird
es beispielsweise sein, den Charakter der
Aula stärker nachzuweisen. Was bedeuten
dürfte, der Funktionalität des Innenraums,
der den Eindruck einer dreischiffigen Hallenkirche vermittelt (s. Abb. rechts), größere Beachtung zu schenken. Des weiteren
sollen Form und Material der Fassaden und
des Daches in Alternativen dargestellt werden. Zudem soll das Raum- und Flächenangebot reduziert werden – van Egeraat
war im Bauvolumen über die Ausschreibung hinausgegangen. Die für das Dach-
geschoss vorgesehen Nutzungen sollen
überprüft werden, um „qualitätsvolle, nutzbare Lösungen zu finden“. Außerdem ist
der Aufwand für die Bewirtschaftung zu
reduzieren und das technische Konzept im
Hinblick auf die Realisierbarkeit weiterzuentwickeln.
Der Dialog mit dem Architekten über die
weitere Entwicklung wird sich wahrscheinlich in einem Planungsbeirat vollziehen, in dem Universität, Stadt und Freistaat vertreten sein werden.
Höhen- und Breitenmaße sollten „in einem
harmonischen Verhältnis“ zueinander stehen, heißt es darin. „Der Verzicht auf formalistische Detail-Applikationen steigert
den Ausdruck und die Würde der Architektur.“
In der Tat attestierte auch die Jury dem
Kulka-Entwurf eine ruhige Front zum
Augustusplatz hin. Auch die Proportionen
gefielen den Juroren – im Gegensatz zur
„Materialität der geschlossenen Fassadenelemente“.
2. Platz: Peter Kulka
www.peterkulka.de
„Unser Ziel bei der Ausarbeitung des Konzeptsentwurfs war es, die Silhouette der
historischen Universität mit Kirche
wiederzubeleben, ohne sie historisierend
zu kopieren“, schrieben Peter Kulka und
seine Mitarbeiter in ihren Erläuterungstext.
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UniCentral
Die Münsteraner Architekten Behet, Bondzio und Lin entwickelten ihren Entwurf aus
der ersten Wettbewerbsphase vor allem
hinsichtlich der Aula/Kirche weiter. „Die
Idee der transluzenten Marmorhaut wird
zugunsten einer transparenten Glasskulptur aufgegeben“, erklärten sie dazu. Ein
Konzept, das bei der Jury einen zwiespältigen Eindruck hinterließ. Sie bemängelte
zudem, dass die klare Gliederung der Fassade verlorengegangen sei und vermisste
ein schlüssiges städtebauliches Bild.
3. Platz: Behet, Bondzio, Lin
www.2bxl.com
Hans-Günther Merz wollte dort, wo einst
die Paulinerkirche stand, „diese schmerzhafte Lücke durch einen prägnanten Neubau würdig schließen, ohne die Vergangenheit ungeschehen aussehen zu lassen“.
Diesem neuen Gebäude sollte eine „Leitfunktion als Repräsentant der Universität“
zukommen, „ohne als Solitär zu erscheinen“ – ein „primus inter pares“.
Eine „moderne und gleichzeitig irritierende Geste“, befand die Jury und attestierte dem neuen Aula-/Kirchgebäude
„eine gewisse Zufälligkeit“. Gewürdigt
wurde die Glasfassade und die technische
Aufarbeitung. Den Ansprüchen an eine
moderne Universität im Dialog mit der Erinnerung an die zerstörte Kirche habe der
Beitrag aber nicht genügen können.
4. Platz: Hans-Günther Merz
www.hgmerz.com
Die Buchmesseakademie bot die erste Gelegenheit zur Diskussion
„Eine Antwort auf die Fassade finden“
Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee
fand nach der Jury-Sitzung die größten
Worte: „Es ist ein historischer Tag für die
Universität und die Stadt. Es ist der große
Wurf.“ Wenn auch andere Teilnehmer der
Sitzung leisere Töne anschlugen: Zufriedenheit zeigten sie alle, geradezu demonstrativ. Am nächsten Tag wurden sie in dieser Haltung bestärkt, und zwar von der
Mehrheit jener Leipziger Bürger, die sich
als erste die Ausstellung der Entwürfe im
Gewandhaus (noch bis 30. April) angesehen hatten. Tim Tepper, Sprecher des StudentInnenRates, sah das Ergebnis hingegen kritisch: „Der aus dem Wettbewerb
hervorgegangene Siegerentwurf zum AulaNeubau am Leipziger Augustusplatz ist
kein großer Wurf, sondern bestenfalls das
kleinste, gemeinsame Übel.“
Gleich am Tag nach der Entscheidung
stand bei der Buchmesseakademie die Diskussion zur Frage „Brauchen Universitäten
ein Zentralgebäude?“ auf dem Programm –
Heft 2/2004
die erste Gelegenheit also zur öffentlichen
Debatte über den Sieger-Entwurf. Während sich Prof. Dr. Charlotte Schubert, Prorektorin für Studium und Lehre, vor den
gut gefüllten Rängen des Auditoriums
hocherfreut zeigte, kam mehr oder minder
großer Widerspruch von einem MännerTrio: „Das Problem ist, dass alle zufrieden
sind“, sagte Philosophie-Professor Pirmin
Stekeler-Weithofer. „Das ist keine demokratische Architektur“, meinte der Leipziger Architekt Steffen Kühn. „Dieses
Sakralgebäude übertrumpft sein Vorbild.
Der Augustusplatz wird aus dem Gleichgewicht kippen“, erklärte Dieter Bartetzko,
Architekturkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
Schnell einig waren sich die Diskutanten,
zu denen auch Wolfgang Matschke, ehemaliger Kanzler der Martin-Luther-Universität Halle, zählte, dagegen in ihrer Antwort auf die Frage nach der Notwendigkeit
eines Zentralgebäudes. Moderator Dr.
Matthias Middell, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Zentrums für Höhere
Studien an der Universität Leipzig, und die
Zuhörer durften mehrfach ein eindeutiges
„ja“ vernehmen.
Doch das eigentlich Spannende war, dass
unter direkter Bezugnahme auf den Siegerentwurf für das neue „Paulinum“ eine
ganz neue Frage aufgeworfen wurde: „Die
Debatte darüber, was in dieses Gebäude
wirklich hineinkommt, kann meiner Meinung nach jetzt erst richtig losgehen“,
sagte Pirmin Stekeler-Weithofer. „Die Universität ist jetzt gefordert, eine Antwort auf
die Fassade zu finden. Auch wenn das eine
andere Reihenfolge ist, als man sie sich
normalerweise wünscht.“ Charlotte Schubert nahm den Gedanken auf und erklärte:
„Vielleicht könnte sogar das Rektorat dort
einziehen? Bedenkenswert wäre das.“
Texte: Carsten Heckmann
Entwürfe: Architekturbüros
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UniCentral
Campus-Neubau
beginnt mit
der Mensa
Leibniz zieht um
Das Leibniz-Denkmal, das zurzeit noch
an der Moritzbastei steht. Vielleicht findet es ein Interim-Domizil an der Universitätsbibliothek.
Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 –1716)
studierte nach dem Besuch der Nicolaischule in Leipzig an den Universitäten
Leipzig und Jena Philosophie und Jurisprudenz. Die Universität Leipzig ließ
den 18-jährigen wegen seiner Jugend
nicht zur Promotion zu. Deshalb schloss
er das Jurastudium 1667 mit der Promotion in Altdorf (bei Nürnberg) ab.
Foto: Sylvia Dorn
Von Carsten Heckmann
Manch einer mag zuletzt bereits gedacht
haben: Wollen die noch bis 2009 diskutieren? Der Eindruck, dass viel geredet
und nichts getan wird, konnte ob der medialen Begeleiterscheinungen in der Tat
entstehen. Aber so ist es ganz und gar
nicht. Während die interessierte Öffentlichkeit sich in den letzten Monaten ausschließlich mit den künftigen Gebäuden
am Augustusplatz beschäftigte, waren die
Fachleute fleißig dabei, den Baubeginn
für das Areal an der Moritzbastei, wo die
neue Mensa stehen wird, vorzubereiten. In
diesen Tagen wird es immer mehr sichtbare Zeichen geben, die zeigen: Es geht
los. „Zunächst schafft der Bauherr, also der
Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und
Baumanagement (SIB), Baufreiheit an der
Rückseite des Hörsaalgebäudes“, erklärt
Wolfgang Engel, Leiter des Uni-Dezernats
Planung und Technik. Bäume werden gerodet bzw. umgesetzt, erste Bauzäune
werden im Frühsommer folgen. Im Mai
werden die Leipziger fürs erste Abschied
von Leibniz nehmen müssen und auch
vom Schinkeltor. Die Denkmäler werden
eingelagert und saniert, ehe sie einen
neuen, bestimmt repräsentativen Platz auf
dem neuen Campus bekommen werden.
Die ersten Bagger sollen dann im Spätsommer anrücken. Ihnen folgen zunächst
die Archäologen.
Die Bau-Abfolge sieht nicht umsonst die
Mensa an erster Stelle vor. Schließlich
kann erst nach Fertigstellung der neuen
Mensa der Abriss der alten erfolgen, die
derzeit nur noch mit einer Sondergenehmigung genutzt werden kann. Dann erst
können die weiteren Vorhaben umgesetzt
werden: der Neubau des Institutsgebäudes
für die Wirtschaftswissenschaften an der
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Grimmaischen Straße, des Großen Hörsaals und des „Paulinums“ am Augustusplatz (inklusive des Umbaus des bisherigen
Hauptgebäudes) sowie die Grundsanierung und Modernisierung des Hörsaal- und
des Seminargebäudes an der Universitätsstraße.
„Spätestens zum 600. Jahrestag der Gründung der Universität am 2. Dezember 2009
muss alles fertig sein, da beißt die Maus
keinen Faden ab“, weiß Wolfgang Engel.
Und gebaut wird bei laufendem Betrieb.
„Da drohen Probleme, aber das ist kein
Problem“, erklärt Engel. Was paradox
klingt, soll einfach heißen: Es ist zu
schaffen. „Okay, es wird Baulärm geben, wir werden keine optimalen Bedingungen haben, im Hörsaalgebäude steht
nur die halbe Kapazität zur Verfügung.
Das heißt, wir müssen kompensieren, wir
müssen auslagern.“ Wohl auch eines der
Themen für die Baukommission, die in
Kürze beim Rektorat eingerichtet
wird. Ihre Hauptaufgabe wird sein, die
nutzerspezifischen Anforderungen
der Fakultäten so sachkundig und
präzise wie möglich zu formulieren
und als verbindliche Vorgaben an den
Staatsbetrieb Sächsisches Immobilienund Baumanagement (Niederlassung Leipzig II) weiterzureichen. In der Kommission
werden daher auch alle Nutzer vertreten
sein: die Mathematik, die Informatik, die
Wirtschaftswissenschaften, der Kustos, der
Universitätsmusikdirektor, der Universitätsprediger. Hinzu kommen der Kanzler
und Vertreter des Bau-Dezernats.
Denn das Hauptziel, das in der
Diskussion um die Paulinerkirche zuletzt
kaum angesprochen wurde, lautet: Der
neue Campus muss funktional sein, er
muss optimale Bedingungen bieten. Daher
der große Hörsaal mit 800 Plätzen, den die
Juristen und die Wirtschaftswissenschaftler benötigen. Letztere leiden derzeit unter
einem erheblichen Flächendefizit (4340
Quadratmeter fehlen), ebenso wie die Mathematik/Informatik (1130 Quadratmeter).
Kaum noch tragbar sind derzeit auch die
Studienbedingungen für die Erziehungswissenschaften in der Karl-Heine-Straße.
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Sie werden nach dem Auszug der Wirtschaftswissenschaften an die Jahnallee umziehen.
Es ist viel zu tun, soviel ist klar. Daher
wurde und wird auch schon viel gewerkelt
– wenn auch noch nicht in Baugruben, sondern an Schreibtischen. Die Architekten
Behet, Bondzio und Lin entwickeln ihren
Gesamtentwurf weiter, mit dem sie den
Architekturwettbewerb gewonnen hatten
(das Uni-Journal berichtete). Sie wirkten
auch mit an der Infrastrukturplanung, die
das SIB gemacht hat. „Dabei geht es um
die Ver- und Entsorgung des ganzen Komplexes während der Bauphase und später.
Also Fernwärme, Strom, Wasser, Müll.
Auch für die einzelnen Bauabschnitte liegt
diese Planung nun vor“, erläutert Dr. Horst
Schlemmbach, Leiter der Abteilung Planung und Bau im zuständigen Dezernat der
Universität. Noch zu klären ist die Frage,
ob beide Einfahrten in die Tiefgarage auch
künftig gebraucht werden oder nur eine
davon – was dann mehr Möglichkeiten für
die Mensa-Ausgestaltung ließe.
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Die Bauabschnitte:
1. Mensa
2. Institutsgebäude Grimmaische Straße
3. Hauptgebäude mit Aula/Kirche
4. Hörsaalgebäude (Obwohl hier als 4. Abschnitt gekennzeichnet, wird das Hörsaalgebäude bereits parallel zu vorherigen Abschnitten saniert.)
5. Seminargebäude Universitätsstraße und Innenhof
Grafik: SIB
Die neue Mensa
Das liebe Geld …
104,2 Millionen Euro betragen die geschätzten Gesamtkosten für das Campus-Vorhaben. Den größten Einzelposten stellt mit 30 Millionen Euro der
Komplex mit dem großen Hörsaal und
der Aula sowie dem Neubau des Institutsgebäudes für die Wirtschaftswissenschaften dar. Baubeginn dafür wird 2006
sein, nach Inbetriebnahme der neuen
Mensa. Die Grundsanierung und Modernisierung des Hörsaalgebäudes (ab
2005) schlägt mit 26,2 Millionen Euro zu
Buche, das Seminargebäude, das im
Zuge der Sanierung erweitert wird (letzter Bauabschnitt im Campus), mit
20 Millionen Euro. 17,6 Millionen Euro
kostet die neue Mensa. Umbau und
Sanierung des Hauptgebäudes machen
10,4 Millionen Euro aus und sind baulich
natürlich nicht von Hörsaal und Aula zu
trennen.
(Die Zahlen basieren auf der ersten Anmeldung des Freistaates Sachsen zum
34. Rahmenplan für den Hochschulbau
beim Bundesministerium für Bildung
und Forschung und werden noch durch
den Wissenschaftsrat geprüft.)
Heft 2/2004
So könnte die neue Mensa aussehen. (Blick vom Leuschnerplatz kommend.
Entwicklungsstand: Ende März)
Entwurf: Behet, Bondzio und Lin
„Das wird Erlebnisgastronomie“, sagt Dezernent Wolfgang Engel augenzwinkernd,
wenn er nach der neuen Mensa gefragt
wird. Wie die Mensa genau aussehen wird,
vor allem innen, steht indes noch gar nicht
fest. Klar ist aber, dass sie zwischen Hörsaalgebäude und Moritzbastei stehen und
auf 3800 Quadratmetern und drei Etagen
rund 890 Plätze haben wird. Am Tag sollen
3800 Essensportionen ausgegeben werden,
so viele sind es ungefähr auch momentan.
Die Mensa wird sich direkt an das Hörsaalgebäude anschließen, von dort wird es
auch einen entsprechenden Zugang geben.
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Kunstwerke
für die neue Mitte
Das „Paulinum“ als Heimat für Epitaphien und Co
Im Interview mit dem Journal erläutert der
Kustos der Kunstsammlungen der Universität, Dr. Rudolf Hiller von Gaertringen,
seine Ideen für die Integration geretteter
Schätze aus der Paulinerkirche in das neue
„Paulinum“.
Welche Vorstellungen, Hoffnungen, Erwartungen verbindet der Hüter der
Kunstschätze der Universität mit der
Campus-Neugestaltung?
Meine Hoffnungen beziehen sich auf die
Überwindung eines Verlustes. Ich glaube,
die Universität hat mit der Zerstörung ihrer
Kirche durch die DDR-Machthaber ihre
geistig-geistliche Mitte verloren. Ihre Identität erscheint irgendwie fragmentiert. Die
Neugestaltung eröffnet nun die Möglichkeit, der Alma mater eine neue Mitte zu geben. Dabei kommt den aus der Paulinerkirche geretteten historischen Kunstwerken eine zentrale Rolle zu. Einfach deshalb, weil sie die geschichtliche Dimension
dieser Universität anschaulich machen
können.
Aus meiner Sicht sollte die neu zu bauende
Aula in ihrer baulichen Form an die zerstörte Kirche sehr konkret erinnern. Ich
denke an einen Raum, der unmittelbar
kirchliche Assoziationen weckt und der
damit die besten Voraussetzungen liefert,
um über die Wiederaufstellung der Kunstwerke den eingangs genannten Zweck zu
erfüllen. Die Epitaphien aus der Paulinerkirche, vor allem die konservatorisch unbedenklichen Steinmonumente sollten im
Mittelpunkt stehen; ihnen sollte auch in
Bezug auf die Wiederanbringung „historische Gerechtigkeit“ widerfahren. Ich
glaube, dass sie keinen Ort finden werden,
wenn sie nicht in der künftigen Aula/Kirche hängen werden. Das ergibt sich schon
formal aus ihrer Größe. Bei einer Eigenhöhe von fünf Metern und einer Anbringungshöhe von drei Metern über dem Boden ergibt das schon eine Raumhöhe von
zehn Metern. Solche Räume werden Sie
sonst nirgends im neuen Campus finden.
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Bei diesen beiden Engeln/Putten handelt es sich um Figuren vom Epitaph des
Wilhelm von Ryssel (1634 –1703), vermutlich erst um 1715 entstanden, Caspar
Friedrich Löbelt zugeschrieben, ehemals an der Südwand des Hauptchores der
Kirche St. Pauli.
Fotos der Kunstwerke: Tschawdar Michalkow und Mirko Vieser, Kustodie
Bei weiteren Kunstwerken, etwa aus dem
Augusteum, kann man die Frage nach dem
künftigen Ort flexibler beantworten, hier
kann man sich das Foyer oder den Großen
Hörsaal vorstellen.
Anders gesagt: Ich bin gegen eine „bunte
Mischung“. Wir haben doch an der Universität die betrübliche Situation, über
keine alten Gebäude mehr zu verfügen. Mit
der Konsequenz, dass die meisten historischen Kunstwerke, speziell des Mittelalters
und der Renaissance, aber auch des Barock, im Grunde ihren Ort verloren haben
und so „herrenlos“ herumdriften. Uns ist
die Aufgabe gestellt, wieder Sinn zu stiften
und alte Zusammenhänge wieder neu herzustellen. Meiner Ansicht nach sollte daher
in der Aula eine barocke, also relativ dichte
Hängung unter Ausnützung der Raumhöhe
erfolgen. Das Ganze sollte also aus einer
gewissen Fülle leben.
Neben diesem Gestaltungsprinzip stehen
konservatorische Erwägungen. Werke aus
Holz und aus Leinwand verlangen eine
relativ konstante Luftfeuchtigkeit und
Temperatur, und da ist dann schon grundsätzlich zu fragen, inwieweit solche Anforderungen mit einer Nutzung als Aula zu
vereinbaren sind, die sich vielleicht binnen
einer halben Stunde mit 500 Personen füllt
oder leert. Also wird man auch über Vitrinenlösungen nachdenken müssen oder
über die Anbringung solcher Kunstwerke
in einem separaten Raum.
In welchem Zustand befinden sich die
zumeist in letzter Not geretteten Kunstwerke, wie viele bedürfen der Restaurierung?
Bei den Steinmonumenten ist die Restaurierungsarbeit in sehr weitgehendem Maße
erst noch zu leisten. Man kann sagen, dass
drei Viertel der geborgenen Kunstwerke
noch restauriert werden müssen. Es gibt
Epitaphien, deren Schädigung darin liegt,
dass sie einfach nur fragmentarisch geborjournal
UniCentral
gen wurden. Während man offenbar am
Anfang der Bergungsarbeiten ziemlich
gründlich zu Werke gegangen ist und versucht hat, auch die Aufhängung zu retten,
die ganze Epitapharchitektur zu erhalten,
wurden dann später nur noch die Figuren
mitgenommen. In solchen Fällen müsste
dann an Hand alter Fotos eine neue Auflage
für das Kunstwerk gebaut werden. Dann
gibt es auch Situationen, wo Teile abgebrochen oder Figuren in der Mitte zersprungen sind. Sie lassen sich mit heutigen
Restaurierungsmethoden ganz gut bewältigen. Hier könnte man bereits im Vorfeld
des Neubaus tätig werden. Aber die Restaurierung des gesamten Epitaphs macht
erst dann Sinn, wenn man weiß, wo es seinen Platz finden wird. Das betrifft ja zum
Beispiel auch Fragen der Oberflächenreinigung. Ansonsten besteht die Gefahr,
dass die Dinge „auseinanderrestauriert“
werden. Wenn etwa Restaurator x scharf
reinigt, Restaurator y aber die Patina belässt. Ich meine, die Werke sollten ihr historisches Erscheinungsbild behalten. Man
sollte auch genau überlegen, wo man einen
fragmentarischen Zustand ergänzt, fehlende Teile wieder anbringt - und wo nicht.
Der heutige Zustand ist eben Teil der Geschichtlichkeit dieser Objekte, ist Folge der
Bergungsumstände oder eben auch der
jahrzehntelangen Lagerung. Meiner Meinung nach kann man auch auf diesem Gebiet nicht so tun, als wäre im Jahre 1968
nichts geschehen.
Seit Sommer 2002 arbeiten wir sehr eng
mit der Hochschule für bildende Künste
Dresden, speziell mit der Fachklasse Restaurierung unter Leitung von Prof. Ulrich
Schießl, zusammen. Daraus ist eine Seminararbeit von Herrn Johannes Schäfer aus
Altenburg hervorgegangen, in der in mühevoller Kleinarbeit die Kunstwerke neu
gesichtet und in ihrem Erhaltungszustand
erfasst werden. Das ermöglichte dann auch
Entscheidungen darüber, ob im Einzelfall
eine partielle Notfestigung, insbesondere
bei den Holzskulpturen, für den anstehenden Transport erforderlich war. Transport
meint hier den Umzug aus dem Kirchendepot in ein eigenes Depot, das die Universität in der Innenstadt angemietet hat.
Damit ist nun ein schneller Zugang zu den
Hunderten von Objekten möglich, sodass
deren Restaurierung zielgerichtet vorbereitet werden kann. Aus der Zusammenarbeit
mit der Dresdner Hochschule und Herrn
Schäfer ist dann auch dessen Diplomarbeit
erwachsen, die sich mit der Restaurierung
des kunst- und universitätsgeschichtlich
bedeutenden Epitaphs für Heinrich Heideck (1570–1603) befasst.
Das ist ein Beispiel. Wenn man die
Menge der Objekte sieht, dann müssten
noch viele Diplomarbeiten in Angriff genommen werden …
Das Hauptproblem sehe ich darin, dass
qualifizierte Restauratoren nicht in unbegrenzter Zahl zur Verfügung stehen und
dass wir selbst nicht in der Lage sind, unbegrenzt viele Restaurierungen zeitgleich
zu begleiten. Schließlich handelt es sich
hier um einen Prozess mit mehreren auf-
Das Epitaph des Hieronymus Cronmeier und seiner Ehefrau Anna Justina geb.
Schwendendörfer, möglicherweise ein Werk Johann Jakob Löbelts, ehem. an der
Südwand des Hauptchores.
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Dr. Hiller mit dem Fragment eines
Epitaphs.
Foto: Mirko Vieser, Kustodie
einander abzustimmenden Teilschritten.
Der Restaurator untersucht das Objekt, das
führt zu einer Anamnese, einer Krankengeschichte wie beim Arzt, dann wird die
Heilungsstrategie entwickelt, die mit dem
Auftraggeber abgestimmt werden muss, es
folgen viele Diskussionen, ehe die Arbeiten ausgeführt werden, die wiederum genau dokumentiert werden müssen. Ein
gigantisches Projekt, schließlich soll etwas
entstehen, was für die späteren Nutzer des
Gebäudes einen wichtigen Teil des Selbstbildes der Universität vermittelt.
Und es muss auch noch über die Finanzierung gesprochen werden. Genaue Kalkulationen stehen noch aus. Aus den Baugeldern müssen meines Erachtens auch Summen für diese Restaurierungsarbeiten bereitgestellt werden. Man sollte auch
darüber nachdenken, ob nicht Mittel aus
dem Fonds „Kunst am Bau“ kommen können. Was ja nicht ausschließt, dass auch ein
Auftragswerk an einen zeitgenössischen
Künstler vergeben wird.
Ein anderer Punkt ist: Auch wenn der Neubau kein Museumsneubau wird, natürlich
nicht, so sollte doch an prominenter Stelle
auch Raum für eine kleine Dauerausstellung sein, in der die Zerstörung der Kirche
und der Widerstand dagegen dokumentiert
wird.
Alles in allem: Es besteht noch beträchtlicher Planungsbedarf. Aus meiner Sicht ist
es enorm wichtig, dass die Architekten für
diese Integration der Kunstwerke als Sinnträger des Gesamtbaus selbst einen Sinn
entwickeln und gesprächsbereit sind. Insofern freue ich mich auf viele gute Gespräche.
Mit Dr. Hiller von Gaertringen
sprach Volker Schulte.
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UniCentral
Mit Bildern
predigen
Kunstschätze der Uni-Kirche
im Gottesdienst
Im Streit um den Neubau am Augustusplatz ist immer wieder einmal von den
Kunstschätzen zu hören, die in der früheren Universitätskirche ihren Ort hatten und
gerettet werden konnten. Doch wer weiß
schon, um welche es sich dabei handelt?
Im Predigerkonvent entstand die Idee, sich
im Sommersemester 2004 in einer Predigtreihe von vier Sonntagen (Beginn jeweils
11:15 Uhr, St. Nikolai) jeweils einem Gemälde bzw. einer Plastik zuzuwenden, die
in der Dauerausstellung der Kustodie in der
Ritterstraße ihr derzeitiges Domizil gefunden haben. Der Kustos und seine Mitarbeiter werden durch Reproduktionen der Bilder und kunstgeschichtliche Informationen
die Gottesdienste mit vorbereiten helfen.
Dozenten bzw. Dozentinnen der Theologischen Fakultät werden in ihrer Predigt
einen Brückenschlag vom alten Bild in die
heutige Zeit bzw. vom heutigen Erleben
und Verstehen in die Bildersymbolik damals versuchen.
Am 18. April wird mit „Jesus und die Kinder“ ein Bild aus der Schule von Lucas
Cranach im Mittelpunkt stehen (Predigerin: Prof. Dr. Gunda Schneider), am 2. Mai
ein Epitaph mit der Darstellung der Auf-
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erweckung des „Jünglings zu Nain“
(Predigerin: Dr. Irene Mildenberger). Am
16. Mai geht es um das Epitaph von J. Camerarius, dessen Bildmotiv umstritten ist
(Predigerin: Dr. Doris Hiller). Am Pfingstsonntag, 30. Mai, wird im Rahmen dieses
Gottesdienstes an die Zerstörung der Universitätskirche im Jahr 1968 erinnert. Dabei wird die aus ihr geborgene Paulus-Plastik im Mittelpunkt stehen (Prediger: Prof.
Dr. Wolfgang Ratzmann).
Die Verantwortlichen hoffen, dass sie damit nicht nur ein Beitrag leisten, die universitären Kunstschätze in ihrem künstlerischen und religiösen Wert in der Öffentlichkeit besser bewusst zu machen. Sie erwarten zugleich, dass die alten Kunstwerke
auf ihre Weise helfen werden, eine Predigtsprache zu finden, die Menschen von
heute mit ihren Erfahrungen in das dargestellte biblische und religiöse Geschehen
aufregend oder anregend verstrickt. In
einer medialen Gesellschaft mit einer
neuen Liebe zum Bild sollte es vielleicht
öfters einmal heißen: „Mit Bildern predigen“.
Prof. Dr. Wolfgang Ratzmann,
Institut für Praktische Theologie
Statue des Hl. Paulus von der Universitätskirche St. Paul in Leipzig. Werk
eines unbekannten mitteldeutschen
Steinmetzes des frühen 15. Jh.
Kunstbesitz der Universität Leipzig.
Epitaph der Familie Lewe („Jüngling zu
Nain“). Mitteldeutscher (Leipziger?)
Maler aus dem Umkreis der CranachSchule, 1546. Kunstbesitz der Universität Leipzig.
Fotos: Kustodie
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Fakultäten und Institute
Interkulturelles
Trainingslager
Arbeitskreis entwickelt Konzepte
für Kommunikation
Von Thomas Tabery, Ostasiatisches Institut
Begegnung, Kommunikation und Kooperation zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen schaffen Grenzsituationen, in
denen die handelnden Personen besonderen Anforderungen ausgesetzt sind. Durch
die Globalisierung des Wirtschaftslebens
und die ständig wachsende Zahl von internationalen Kooperationen und Partnerschaften in Kultur und Wissenschaft nimmt
nicht nur die Anzahl interkultureller Begegnungen ständig zu, auch die Ansprüche
an die Qualität, mit der solche Situationen
bewältigt werden, steigen. Angesichts dieser Entwicklung kommt interkultureller
Kompetenz mehr und mehr die Rolle einer
Schlüsselqualifikation zu.
In Bezug auf Ostasien sind vor allem
Sinologen und Japanologen als diejenigen
gefragt, die Auskunft über kulturspezifische Verhaltensweisen, Denk- und Kommunikationsmuster geben können. Als Vermittler interkultureller Kompetenz finden
sie ein zunehmend wichtiges Betätigungsfeld. Aus diesem Grund hat das Ostasiatische Institut am Lehrstuhl für klassische Sinologie bereits im SS 2001 die Seminarreihe „Interkulturelles Training“ in sein
Lehrprogramm aufgenommen, die den Studenten zu einem tieferen Verständnis für
kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten verhelfen, ihre Handlungskompetenz in interkulturellen Kontexten verbessern und sie somit auf eine berufliche Tätigkeit in Institutionen und Unternehmen mit
Chinakontakten vorbereiten möchte.
Seit kurzem wird vom Ostasiatischen Institut aus eine weitere Brücke in die Praxis
geschlagen: Auf Initiative der Sinologin
Thekla Wiebusch, die als Übersetzerin,
Projektleiterin, interkulturelle Trainerin
und wissenschaftliche Mitarbeiterin auf
vielfältige Weise mit interkulturellen Fragen konfrontiert war, hat sich zu Beginn
dieses Jahres am Ostasiatischen Institut der
„Arbeitskreis Interkulturelle Kommunikation Ostasien“ gegründet.
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Zu den Mitgliedern des Arbeitskreises zählen neben Mitarbeitern und Studenten der
Sinologie und Japanologie auch Psychologen, Pädagogen, Wirtschaftswissenschaftler sowie freie Trainer für die interkulturelle Vorbereitung auf Ostasien. „Die Zusammensetzung des Arbeitskreises spiegelt
den interdisziplinären Charakter interkultureller Studien wider“, so Thekla Wiebusch. „Bei aller Unterschiedlichkeit des
fachlichen Hintergrunds ist den Mitgliedern jedoch ein wissenschaftlicher oder
praktischer Bezug zu Ostasien gemein.“
Ziel ist es, aktuelle Forschungsergebnisse
aus dem Bereich der interkulturellen Kommunikation mit den vielfältigen Erfahrungen der Mitglieder des Arbeitskreises zusammenzuführen und für die praktische
Vermittlung aufzubereiten. Konkret bedeutet das die Entwicklung von Konzepten und
Schulungsunterlagen für interkulturelle
Trainings. Dabei konzentrieren sich die Anstrengungen im Moment auf China, da die
erarbeiteten Konzepte die Grundlage für
Trainings darstellen, die der Arbeitskreis in
regelmäßigen Abständen in Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Chinesischen Zentrum Leipzig e.V. durchführen wird.
Im Fokus der Schulungen und Trainings
stehen Fach- und Führungskräfte aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung. Durch Vorträge, Erfahrungsberichte,
Fallbeispiele, Kommunikationsübungen
und Rollenspiele sollen sie auf eine Zusammenarbeit mit Angehörigen des chinesischen Kulturkreises vorbereitet werden.
Jedes Training beinhaltet einen allgemeinen Überblick über Geschichte, Philosophie und Landeskunde Chinas, sowie über
Grundregeln der Höflichkeit und besondere Kommunikations- und Verhaltensmuster. Ob darüber hinaus spezielle Themen wie Verhandlungsführung, Qualitätsmanagement oder interkulturelle Didaktik
Behandlung finden, richtet sich nach dem
konkreten Bedarf der Teilnehmer. Je nach
Zielgruppe ergeben sich somit unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte.
Im Rahmen des „Projekts zur Förderung
der Marktchancen und Kompetenzen der
mitteldeutschen Wirtschaft in China“ erfährt der Arbeitskreis finanzielle Unterstützung von der „Leipziger Stiftung für
Innovation und Technologietransfer“, die
damit die Relevanz interkultureller Kompetenz für ein erfolgreiches Chinaengagement unterstreicht.
Für die nähere Zukunft sind ein eigener
Internetauftritt und eine Vortragsreihe zu
ostasiatischer Geschäftskultur und Wirtschaftsentwicklung geplant.
Kontakt: [email protected]
Nicht nur auf internationalen Messen – hier eine Szene von der Handelsmesse in
Xiamen in der chinesischen Provinz Fujian – ist interkulturelle Kompetenz gefordert.
Foto: Thomas Rötting
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Fakultäten und Institute
Religion und
Gewalt
Fazit einer Ringvorlesung der
Theologischen Fakultät
Spätestens seit dem 11. September 2001
und der Kriegserklärung des amerikanischen Präsidenten an den Terrorismus
dürfte allen Menschen klar geworden sein,
dass mit dem neuen Jahrtausend eine Welle
der Eskalation von Gewalt Einzug gehalten
hat. Wir erschrecken wohl alle immer wieder über Bilder von brutalen Selbstmordattentaten oder von militärischen Strafaktionen, die stets nur die Gewaltbereitschaft verstärken. Ich erlebe dabei oft ein
doppeltes Erschrecken: Es ist nicht nur die
Brutalität der Gewalt als solche, die mich
entsetzt, sondern zugleich auch die Tatsache, dass oft religiöser Glaube mit solcher Gewalt verbunden ist. Muss man nicht
von den christlichen Kirchen und von den
Religionen überhaupt statt dessen Initiativen zur Überwindung der Gewalt erwarten?
Um solchen Fragen nachzugehen, veranstaltete die Theologische Fakultät im Wintersemester 03/04 eine Ringvorlesung, bei
der Leipziger Theologen ebenso mitwirkten wie Kollegen aus Halle, Jena und
Erfurt, unterstützt von Religionswissenschaftlern der genannten Universitäten.
Intensiv wurden elementare Texte des
christlichen Glaubens (zum Beispiel alttestamentliche Gottesvorstellungen, Deutungen des Kreuzestodes Jesu) und Ereignisse in der Geschichte des Christentums
(Judenprogrome, Hexenverfolgungen, Inquisition, Stellung zum Krieg) ebenso
untersucht wie die Positionen des Islam
oder fernöstlicher Religionen zum Thema
Gewalt. Fragen einer sachgerechten Erziehung im Kontext von Gewalt oder der
Sinn des Gebets um den Frieden spielten
ebenso ein Rolle wie verantwortliche
Möglichkeiten der Transformation des
Gebots der Feindesliebe in politische
Konzepte der Minimierung von Gewalt,
Untersuchungen zur Gewaltthematik in
christlich-fundamentalistischen Bewegungen usw.
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Am Ende der Vorlesungsreihe gab es keine
offizielle Bilanz, wohl aber werden viele
Teilnehmende aus den Vorträgen ihre eigenen subjektiven Schlüsse gezogen haben.
Mich haben viele Beiträge im Blick auf
eine mögliche Nähe von Religion und Frieden eher ernüchtert: Die Bereitschaft zur
Gewalt liegt offenbar so tief im Menschen,
dass auch der religiöse Glaube häufig zum
Medium gewaltsamer Überzeugungen und
Handlungen werden konnte und auch heute
immer wieder werden kann. Aber um so
mehr kommt es darauf an, die Potenzen des
Friedens zu erschließen, die ebenfalls in
vielen religiösen Überlieferungen zu
Hause sind. Darin liegt eine wichtige Aufgabe verantwortlicher Theologie, die zu
einer Hermeneutik des Friedens gegen
mögliche „religiöse“ Rechtfertigungen
von Gewalt beizutragen hat. Dass gerade
im zuweilen als aggressiv gedeuteten
Kreuzessymbol der tiefste Grund der
christlichen Hoffnung auf Frieden und
Barmherzigkeit liegt, stellte Frau Prof.
Gunda Schneider, Leipzig, im letzten Vortrag der Vorlesungsreihe heraus – eine
These, die vielleicht nicht jeden Zuhörer
überzeugte, wohl aber jedem zu denken
gab.
Es wäre gut, wenn auch bei künftigen
Ringvorlesungen in der Universität das
Gewaltproblem eine angemessene Beachtung fände. Ich würde es begrüßen, wenn
dabei die Perspektiven anderer Wissenschaften, zum Beispiel die der Pädagogik,
Psychologie, Philosophie und der Politikwissenschaft zur Sprache kämen und
wenn sie mit einigen theologischen bzw.
religionswissenschaftlichen Überlegungen
konfrontiert würden, die in der abgeschlossenen Vorlesungsreihe zur Sprache
gekommen sind.
Wolfgang Ratzmann,
Institut für Praktische Theologie
Mediziner lernen jetzt
problemorientiert
Tutoren werden
geschult
Mit der neuen Approbationsordnung, die
seit Oktober 2002 in Kraft ist, werden an
der Medizinischen Fakultät jetzt innovative
Wege in der Ausbildung der Medizinstudenten gegangen. Die Zauberworte sind
problemorientiertes Lernen (POL) und
interdisziplinäre, patientenbezogene Tutorials zum Abschluss jedes klinischen Studienjahrs.
In dem POL-Kurs erarbeiten sich die Studierenden selbständig einen strukturierten
medizinischen „Fall“ von der Befunderhebung, Diagnostik, Therapie, bis hin zur
Pathogenese und Beurteilung des Krankheitsverlaufs. Die Studenten lernen dabei
auch, wie im Team zusammengearbeitet
wird, wie man mit Konflikten umgeht und
natürlich welche Schritte für eine erfolgreiche Behandlung notwendig sind. Die
POL-Arbeitsgruppe der Medizinischen
Fakultät orientiert sich bei der Neueinführung des POL-Unterrichts an den erfolgreichen Vorarbeiten des „Münchner Modells“, das in Zusammenarbeit mit der
Harvard Medical School Boston/USA aufgebaut worden ist. Das hierzu notwendige
Training der Hochschullehrer und Tutoren
findet in einer engen Kooperation der
Leipziger und der Münchner Medizinischen Fakultät statt.
Die Leipziger POL-Kurse sind im Unterschied zu ähnlichen Unterrichtsformen anderer Universitäten so aufgebaut und strukturiert, dass sie thematisch ein klinisches
Studienjahr abschließen, d. h. die Studenten können erstmals ihr erworbenes Wissen
an einem tatsächlichen klinischen Problem,
an einem Patientenfall anwenden.
Der im Juni/Juli 2004 stattfindende erste
Leipziger POL-Kurs beschäftigt sich mit
dem klinisch wichtigen Thema „Entzündung und Abwehr“. Die Studenten des
3. Studienjahrs sind dafür bereits durch
systematische Kurse und Vorlesungen gut
vorbeitet. Dies betrifft die Infektologie
(Mikrobiologie, Virologie) und Immunologie, die Pathologie und Pathophysiologie
der Krankheitsentstehung, die Klinische
Chemie, die bildgebende Diagnostik,
klinische Untersuchungsmethoden sowie
Pharmakologie und Toxikologie. Die Kurse
erfolgen in kleinen, nach dem Zufallsprinzip zusammengestellten Gruppen von je
journal
Fakultäten und Institute
sieben Studenten und werden von einem
speziell ausgebildeten Tutor geleitet. D. h.
man braucht eine große Zahl qualifizierter
Tutoren, um ein Studienjahr, das mehr als
300 Studenten umfasst, entsprechend auszubilden. Die erste Schulung von 50 Tutoren fand vom 1. bis 4. März statt und wurde
von den Hochschullehrern mit Begeisterung angenommen. Der nächste Ausbildungskurs und zwei weitere POL-Kurse
sind bereits in Vorbereitung.
B. A.
Westslavisten
mit Frühjahrsund Sommeruniversität
Ende März/Anfang April fand in der Fachrichtung Westslavistik im Institut für Slavistik die nunmehr vierte Westslavistische
Frühjahrsuniversität statt. Schwerpunkt
war Polnisch.
Die Veranstaltung ist Teil der von den Leipziger Professoren Danuta Rytel-Kuc und
Wolfgang F. Schwarz begründeten Reihe
„Westslavistische Frühjahrs- und Sommeruniversität“. Die Kurse für mäßig Fortgeschrittene und Fortgeschrittene werden
von Gastlektoren im Sokrates/ErasmusProgramm unterstützt. Sie geben Studierenden und Wissenschaftlern der Universität die Möglichkeit, ihre Sprachkenntnisse in Polnisch und Tschechisch außerhalb des Semesterstresses zu vertiefen und
zu aktivieren.
Die fünfte Westslavistische Sommeruniversität mit Schwerpunkt Tschechisch ist
für September geplant. Da Polnisch und
Tschechisch bis jetzt noch nicht als Schulsprachen zum Studium mitgebracht werden, ist das regelmäßige Zusatzangebot in
der vorlesungsfreien Zeit eine Hilfe für das
Studium und die spätere Berufspraxis, ein
Beitrag, um einen ausgewählten Kreis von
Interessierten für die Situation nach dem
EU-Beitritt der Nachbarländer Sachsens
fitter zu machen.
Zu diesem Zweck haben die Leipziger
Westslavisten mit Unterstützung des Sächsischen Schulministeriums im Oktober
2003 auch ein Weiterbildungsprogramm
für Lehrer aufgelegt, das bis zum Ende des
Sommersemesters 2006 läuft.
r.
Weitere Informationen im Internet
unter: www.uni-leipzig.de/%7Eslav
(unter „Aktuelles“)
Heft 2/2004
Mediziner
gründen
Alumni-Verein
Die Medizinische Fakultät der Universität
Leipzig gründete jetzt einen Alumni-Verein. Damit können Assistenten, Hochschullehrer, Studenten und Absolventen
der Medizinischen Fakultät, aber auch Einrichtungen, die den Alumni-Verein unterstützen wollen, ihre Mitgliedschaft anmelden.
Der bekannte Leipziger Chirurg Prof. Dr.
med. Manfred Schönfelder hat sich für das
Projekt „Alumni der Leipziger Medizinischen Fakultät e. V.“, kurz ALM genannt,
engagiert und den Verein auf den Weg
gebracht: „Wir kommen damit einem
vielfach geäußerten Wunsch nach, die
Verbundenheit zu einer Einrichtung zu
dokumentieren, die für einen wichtigen
Lebensabschnitt unsere Heimstatt war und
ist.“
Aus dieser Absicht ergeben sich die Ziele
des Alumni-Vereins, der gegenwärtige,
ehemalige und zukünftige Studierende,
Mitarbeiter der Fakultät und interessierte
Einrichtungen zusammenführen will. Er
will den Kontakt der Mitglieder untereinander und mit ihrer Hochschule aufbauen
und fördern, zum Wohle der Lehre, der
Weiter- und Fortbildung arbeiten und die
Traditionen einer ehrwürdigen Universität
fortführen. Das soll erreicht werden über
einen engen persönlichen Kontakt zwischen Studierenden, Assistenten, Hochschullehrern und Absolventen, indem man
Podien für eine verstärkte Kommunikation
schafft und das berufliche Fortkommen
unterstützt.
„ALM ist aber nicht nur eine Bereicherung
für die Mitglieder, sondern er ist auch
wichtig für das Selbstverständnis unserer
Medizinischen Fakultät.“, so Schönfelder.
Schließlich könne eine Fakultät, die wisse,
was aus ihren Absolventen geworden sei,
Rückschlüsse auf die Qualität ihrer Ausbildung ziehen. Und nicht zuletzt ist die
enge Verbundenheit der „Ehemaligen“ zu
ihrer Einrichtung förderlich für das Image
der Fakultät als einer Institution, die so gut
ist, dass man gern an sie zurückdenkt. Dass
das umgekehrt auch gut ist für das Image
des Absolventen liegt auf der Hand.
Die Mitgliedsbeiträge sind niedrig und damit für alle erschwinglich. So bezahlen
Studenten 5 e, Assistenten 10 e und Hochschullehrer 20 e im Jahr.
Der Dekan der Medizinischen Fakultät,
Prof. Dr. Wieland Kiess, als Vorsitzender
von ALM lädt alle mit Leipzig verbundenen Mediziner herzlich ein, Mitglied im
Verein zu werden.
B. A.
Das Logo des neuen Alumni-Vereins.
Als Ansprechpartner steht zur Verfügung
der Verwaltungsleiter der Medizinischen
Fakultät, Prof. Dr. Wulfdieter Schöpp,
Tel.: 0341/9715910, Fax: 0341/9715919,
E-Mail: [email protected].
Anmeldungsformulare können auch aus
dem Internet heruntergeladen werden:
www.uni-leipzig.de/~ukl/
fakultaetklinikum/download/
antrag_alumni.pdf
Weitere Informationen:
www.uni-leipzig.de/~ukl/
fakultaetklinikum/fak_alumni.html
27
Fakultäten und Institute
„Prendeloor –
nimm das Gold“
Niederlandistik mit zwei Projekten
an der BIMILI-Reihe beteiligt
Von Dr. Rita Schlusemann, Niederlandistik
Die BIMILI-Reihe (Bibliothek mittelniederländischer Literatur) ist eine auf zwölf
Bände angelegte Reihe, bei der sich insgesamt 20 belgische, deutsche und niederländische Germanisten und Niederlandisten
zusammenfinden, um die bekanntesten
mittelalterlichen Texte aus dem niederländischen Sprachraum zu edieren, zu kommentieren und ins Deutsche zu übersetzen.
Beteiligt sind u. a. Prof. Claassens aus Leuven, Prof. Winkelman aus Amsterdam und
Prof. Wolf aus Bayreuth. Angeregt wurde
die BIMILI-Arbeit von Dr. Bart Besamusca (Utrecht) und Dr. Carla Dauven-Van
Knippenberg (Amsterdam), die auch die
Koordination der Arbeiten auf sich genommen haben. Zu den 12 Texten gehören so
berühmte Werke wie das Karlsepos Karel
ende Elegast, der Artusroman Walewein
oder die Legende Beatrijs. Die Leipziger
Niederlandistik, die mit der Servatiuslegende des Heinrich von Veldeke und mit
Reynaerts historie betraut ist, betrachtet es
als eine große Ehre, an dieser Reihe mit
zwei Projekten beteiligt sein zu dürfen. Die
BIMILI-Reihe, die der agenda Verlag in
Münster herausgibt, wendet sich an interkulturell Interessierte ebenso wie an Studierende und Wissenschaftler.
Zu jedem Band gehören ein Stellenkommentar und ein Nachwort zum literar- und
kulturhistorischen Kontext der Texte sowie
ihrer Rezeption im deutschen Sprachgebiet. An der Universität Leipzig betreue ich
die beiden für 18 Monate von der Niederländischen Sprachenunion geförderten
Projekte zur Servatiuslegende und zu Reynaerts historie. Die beiden Bände entstehen in enger Zusammenarbeit mit Dr. Ludo
Jongen und Dr. Norbert Voorwinden aus
Leiden und Prof. Dr. Paul Wackers aus
Utrecht. Seit Oktober 2003 sind Ulrike
Wuttke und Prisca Tütermann unterstützend im Leipziger Projekt tätig. In zwei
mehrtägigen Workshops diskutierten die
28
BIMILI-Kollegen zunächst in Amsterdam
(Juni 2002) und ein Jahr später in der Villa
Tillmanns (Juni 2003) ausführlich über die
Richtlinien der Reihe.
Forschungen zum Werk von Hendrik van
Veldeke (Geburtsort war das Dorf Veldeke
unweit von Hasselt im heutigen Belgien)
haben in Leipzig eine lange Tradition.
Theodor Frings und Gabriele Schieb legten
zum Teil bahnbrechende Studien vor, deren
Wert erst in neuerer Zeit wieder mehr anerkannt wird. Für die heutige Betreuerin
des Projekts ist es daher eine besondere
Freude, an die Tradition anknüpfen zu
dürfen. Die Servatiuslegende aus dem
12. Jahrhundert erzählt in lebhafter Weise
vom Leben, Wirken und Sterben des Heiligen Servatius, einem der drei Eisheiligen,
an dessen Sterbetag man sich auch noch
heute erinnert (13. Mai). Dieser erste Bischof von Maastricht wurde bis weit ins
deutsche Sprachgebiet verehrt (zur Servatiuskirche in Maastricht auch auf englisch
www.sintservaas.nl).
Nach den Arbeiten von Studenten in Groningen und Oldenburg beugten sich im
vergangenen Wintersemester Leipziger
Studenten der Germanistik und Niederlandistik über die restlichen der 6500
Verse. Auch wurde zusammen mit den Projektkollegen aus Leiden angeregt über den
Stellenkommentar der Servatiusausgabe
diskutiert. Mancher Seminarteilnehmer
stellte fest, dass er oder sie durch diese
direkte Form der Mitarbeit auch für andere
Fächer ganz neue Einblicke in die wissenschaftliche Forschung gewonnen habe.
Eine Exkursion zum St. Servatiusstift nach
Quedlinburg schloss das fruchtbare Lehrveranstaltung ab, die auf diese Weise auch
beabsichtigte, den oftmals vernachlässigten engen Zusammenhang zwischen literarischen Texten der Vergangenheit und
gegenwärtigen literarischen und kulturellen Denkmälern zu verdeutlichen.
Im SS 2004 obliegt Leipziger Studenten
die Überprüfung der bisherigen Übersetzung und die Kommentierung der Geschichte über die wohl berühmteste europäische Tierfigur, den Fuchs Reinart. Der
niederländische Text Reynaerts historie
(14. Jh.) erzählt über den Prozess gegen
den Fuchs am Hof des Löwen. Indem er in
kluger Rede und Gegenrede und dann auch
tatkräftig die Schwächen der jeweiligen
Gegner auszunutzen weiß, gelingt es dem
Fuchs durch einen Sieg gegen seinen
Widersacher, den Wolf Isegrim, am Ende
die zweite Position im Staat zu erlangen.
Als Repräsentanten der zukünftigen Leser
der BIMILI-Reihe sollen die Leipziger
Studenten mithelfen, folgende Fragen zu
beantworten: Wie sollen sprechende Namen wie Prendeloor (wörtlich: nimm das
Gold) für einen Bischof oder Julocke (euch
locke ich) für die Frau des Pastors übersetzt
werden? Auf welche Weise und wie ausführlich sollen religiöse oder juristische
Symbole erklärt werden? Wie bearbeitet
der niederdeutsche Dichter des Reynke de
vos (1498) die Quelle und wie Goethe in
seinem Reineke Fuchs? Was ist für einen
deutschen Leser im Hinblick auf die europäische und im besonderen deutsche Tradition des Reynaert-Stoffes notwendig
bzw. interessant? Ende Juni dieses Jahres
wird als ausgewiesener Kenner der Reynaert-Tradition Prof. Wackers nach Leipzig kommen, der Ende der 80er Jahre die
Dissertation der Leipziger Projektleiterin
zu den spätmittelalterlichen Prosadrucken
der niederländischen und englischen Reinartromane mit betreute. Im Jahre 2002
gab er eine Edition der mittelniederländischen Reynaerts historie heraus, die mit als
Basis für die jetzigen Arbeiten dient.
Die Edition beider Bände ist für das kommende Jahr geplant, in dem auch ein großer Kongress der International Reynard
Society stattfinden wird.
journal
„Initiative
für Bildung“
Streikkomitee auch in der
Semesterpause aktiv
Seit dem 7. Januar wird die Universität
Leipzig bestreikt, nachdem schon Ende des
letzten Jahres auf einer Vollversammlung
der „konstruktive Streik“ beschlossen und
auf einer Demonstration aller mitteldeutschen Studierenden am 13. Dezember 2003
die Missstände in der Bildungspolitik angeprangert wurden (das Journal berichtete).
Nicht nur die schon längst vergessenen
Weihnachtsferien haben die Studentenproteste überstanden, auch über die Semesterferien war der Streik an der Universität
Leipzig nur ausgesetzt. Zur nächsten Vollversammlung am 14. April im Innenhof
der Universität wird über die Art des Fortganges des Streiks entschieden. Der Fachschaftsrat der Politikwissenschaften will
dabei einen Vollstreik beantragen.
Von Resignation und Passivität war über
der Semesterferien im Streikkomitee
nichts zu spüren, während sich die Politiker des Bundes und des Landes gegenseitig den schwarzen Peter für die Missere in
der Bildungspolitik zuschoben und für die
studentischen Forderungen bisher kein
offenes Ohr zeigten. Somit bleibt den Mitgliedern des Streikkomitees nicht nur der
Protest als Möglichkeit des demokratischen Einwirkens auf die Politik des sächsischen Landtages, sondern auch die der
inhaltlichen Arbeit.
Auf Initiative des Streikkomitees der Universität gründete sich deshalb die „Leipziger Initiative für Bildung“, deren Arbeit
sich gegen die derzeitige sächsische
Bildungs- und Sozialpolitik richtet. Neben
dem Streikkomitee arbeiten in der Initiative unter anderem die sächsischen Oppositionsparteien, Vertreter der Gewerkschaften DGB, verdi, und GEW sowie weiterer
Verbände, die sich für eine bessere Bildungspolitik einsetzen
In Form einer Massenpetition werden nun
die Defizite in der sächsischen Bildungsund Sozialpolitik an die Öffentlichkeit geHeft 2/2004
tragen, dazu wurde ein Forderungskatalog
an die sächsische Staatsregierung verfasst,
der nicht nur die klassischen Institutionen
der Bildung, also Schule und Hochschule
einbezieht, sondern darüber hinaus die
Missstände in Kindertagesstätten, in der
Jugendhilfe und der betrieblichen Ausbildung, bei der Erwachsenenbildung, dem
kulturellen Lernen sowie der Bildung von
Erwerbslosen und Migranten anprangert.m
Hohe Wellen schlug außerdem während
der Semesterferien die Klage des Präsidenten des sächsischen Landtages, Erich
Iltgen, gegen 14 Studierende der Universität – weil diese dem sächsischen Minister für Wissenschaft und Kunst, Matthias
Rößler, während seiner Rede langanhaltend applaudierten. Im Rahmen einer Demonstration von sächsischen Studierenden
vor dem Landtag in Dresden im Januar
durften diese Studierenden die heiligen
Hallen von Innen bewundern und einer
Debatte der Delegierten zur Bildungspolitik beiwohnen. Als Rößler zu einer Lobrede auf seine Politik anhob, die in der Bemerkung gipfelte, das die Verdoppelung
der Anstrengungen der sächsischen Landesregierung beim BAföG dazu geführt
habe, dass die Studierenden mehr Geld in
der Tasche haben, klatschten die Angeklagten zynisch Beifall.
Bisher wurde konstruktiv gestreikt, alle
Lehrveranstaltungen liefen im vollen Umfang weiter, untermalt durch kreative Proteste. Diesen Protesten konnten sich weder
die Mitarbeiter des Rektorates, die Zuständigen im Sächsischen Ministerium für
Bildung und Kunst noch Bundesbildungsministerin Bulmahn entziehen. Auch das
Echo in der Leipziger Bevölkerung war ein
durch und durch positives: „Es ist an der
Zeit, Demokratie zu leben“ war zu hören,
„die Studenten tun das, was längst in ganz
Deutschland geschehen müsste“.
Diana Schmidt, Streikkomitee
Am
Rande
Sie gehen nicht länger nur baden wie
die Bildung. Oder tragen die Bildung
zu Grabe. Nein, sie geben ihr letztes
Hemd. Sie ziehen sich aus. Aus Protest
natürlich. Wenn Studenten heutzutage
zeigen wollen, dass die Bildung „im
Arsch“ ist, dann zeigen sie selbigen.
Sie rennen, wie in Berlin geschehen,
im Adamskostüm über Weihnachtsmärkte. Manche Medien freut’s. „Warum zieht ihr euch aus, statt zu lernen?“, fragte mit einem unüberlesbaren Anschein von Scheinheiligkeit die
„Bild“-Zeitung Anfang des Jahres. Bremer Sportstudenten erregten Aufsehen, als sie mit einem Aktkalender gegen die Studienbedingungen an ihrer
Hochschule protestierten. Mit dem Erlös wollen sie Fachliteratur kaufen. Protest-Portraits für 19,90 Euro. Sex sells.
Der Trend zur nackten Haut, das hat
auch „Das Magazin“ in seiner aktuellen Ausgabe erkannt, hat endgültig
die Bildungsstandorte erreicht. Das
muss nicht immer etwas mit Protest zu
tun haben. So ist inzwischen möglich,
dass die Kollegen vom „Dresdner Universitätsjournal“ (halb-)nackte Tatsachen (um genau zu sein: String-TangaAnsichten) präsentieren, wenn sie über
Übergewicht schreiben. So zeigen
acht Studentinnen aus der ganzen Republik ihre Körper im „Playboy“, der
das dann verkauft als „Uni-Elite: Auditorium Eroticum“. Im Internet lief dazu
passend das Erfolg versprechende
Ratespiel „Welcher Po gehört zu welcher Studentin?“.
Kein Wunder, dass – um zum Protest
zurückzukommen – Leipziger Studenten in Sachen Nacktheit nicht nachstehen wollten. Sie drehten gleich einen
„Softporno“, direkt unter dem MarxRelief am Uni-Hauptgebäude (das
Journal berichtete). Das Medieninteresse war erwünscht, die Begeisterung
der Kommilitonen ebenso einkalkuliert. Der Titel: „Bildung ist nicht die
Hure der Wirtschaft“. Inzwischen fragt
sich im Angesicht der Akte, wann die
Gegenbewegung einsetzt. Möglicher
Arbeitstitel: Bildung ist nicht die Hure
der Niveaulosigkeit.
Carsten Heckmann
Anzeige
30
Studiosi
Neues Logo,
neue Homepage
Der StuRa hat sein Gewand gewechselt
„In der Interpretation der Kreisbögen als
Plenum ist das Stimmengewicht stark
linkslastig. Passend koloriert in rot. Besser
hätte man es dem StuRa nicht anpassen
können.“ Okay, dieses Lob im InternetForum war hinterhältig, um nicht zu sagen
sarkastisch. Aber ein gewisser „Martin“
hatte eben diesen ersten Eindruck vom
neuen Logo des StudentInnenRates
(StuRa) der Universität Leipzig bekommen. „Da hab ich schon geschmunzelt“,
sagt Sebastian Enkelmann, StuRa-KulturReferent und als solcher verantwortlich für
den Logo-Wettbewerb. Das sei dann doch
eine, wenn auch gelungene, Überinterpretation des neuen Logo-Looks. Obwohl man
natürlich nicht bestreiten könne, dass viele
StuRa-Mitglieder mit ihren politischen
Ansichten eher im linken Spektrum anzusiedeln seien.
Wie auch immer. Kilian Krug, der das neue
StuRa-Logo kreiert hat, hat dabei nach
eigener Aussage weniger an solche politischen Implikationen gedacht. Der PlenumGedanke hingegen ist schon richtig: „Die
unterbrochenen Kreise sollen das StuRaPlenum repräsentieren. Aber eben als Sinnbild einer flexiblen Struktur, nicht so statisch. Schließlich ist der StuRa ja eine
lockere Organisation“, erläutert Krug.
Die Verwendung der Farben Schwarz, Weiß
und Rot war eine Vorbedingung in der
Logo-Ausschreibung, unter anderem um
eine Wirkung auch als Schwarz-WeißKopie zu gewährleisten. „Das Logo soll
auffallen, aber zugleich Seriosität ausstrahlen – und das ist beim Siegerentwurf
beides der Fall“, meint Sebastian Enkelmann. Und praktikabel müsse es sein,
beim alten Logo habe schließlich „immer
irgendwas schief gestanden“. Spätestens
mit dem Auszug der Uni aus dem im alten
Logo stilisiert vorhandenen Hochhaus am
Augustusplatz sei dann die Diskussion um
ein neues Logo entbrannt, aber eben erst
jetzt zu einem Ergebnis geführt worden.
200 Logo-Entwürfe aus der Feder von 67
Einsendern begutachtete die fünfköpfige
Jury, die das StuRa-Plenum gewählt hatte.
Heft 2/2004
Die besten fünf Entwürfe standen im Plenum zur Abstimmung, Krugs Idee fand
dort eine breite Mehrheit. Somit durfte sich
der 25-jährige Student der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst über die
Siegprämie von 600 Euro freuen. Insgesamt hatte der StuRa für die ersten Fünf
1000 Euro ausgelobt.
Im StuRa-Internet-Forum warfen gleich
zwei Schreiber Kilian Krug indirekt vor,
abgekupfert zu haben. „Gewisse Bezüge“
seien festzustellen zum Logo der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur
(HTWK) Leipzig und zum Logo des Studentenwerks Jena. Dazu sagte Krug, er
habe diesmal entgegen seiner sonstigen
Gewohnheiten „gar nicht groß geschaut,
was andere machen. Echte Ähnlichkeiten
sehe ich auch höchstens beim Jenaer Logo
– aber auch das musste ich jetzt erst mal
noch im Internet raussuchen“. Sebastian
Enkelmann glaubt auch nicht an IdeenKlau: „Natürlich treten bei den Unmengen
von Logos mal Ähnlichkeiten auf. Aber
man kann das Rad eben auch nicht jedes
Mal ganz neu erfinden.“
Das neue Logo steht natürlich auch auf der
neuen StuRa-Homepage, die inzwischen
online sein sollte (zu Redaktionsschluss
war sie es noch nicht). Für Programmierung und Gestaltung verantwortlich waren
Informatik-Student Steffen Eckardt, Student der Informatik, und Matthias Schulz,
Student der Verlagsherstellung an der
HTWK. Ihr Anspruch: Die neue Webseite
soll bedienfreundlich und verständlich
sein, sodass der Nutzer alle Informationen
schnell findet. „Das Design ist übersichtlich und funktional und dient vorrangig
dem Nutzen“, erläutert Matthias Schulz.
Die Seite solle dabei „gut und ein wenig
seriös“ aussehen. „Das Ziel war, unter den
StuRa-Seiten eine außergewöhnlich gute
Webseite zu bauen.“ Ob das Ziel erreicht
wurde? Sehen Sie selbst!
Carsten Heckmann
Die neue StuRa-Homepage
findet sich unter der altbekannten Adresse:
www.stura.uni-leipzig.de
Auch Designer Kilian Krug
hat eine Homepage:
www.hgb-leipzig.de/~kilian
Das Portfolio von Matthias
Schulz steht unter:
www.jash.de
Oben: Das neue Logo des
Leipziger StudentInnenRates.
Kritische Geister wiesen
gleich auf Ähnlichkeiten zu
den Logos der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft
und Kultur (Mitte) sowie des
Studentenwerks Jena-Weimar
hin.
31
Personalia
Neu
berufen:
Neu
berufen:
Ludger Tillmann Michael Stumvoll
„Jede Wahrheit ist nur so lange gültig bis
ein Phänomen auftritt, dass mit dieser
Wahrheit nicht vereinbar ist.“ Das ist die
Devise des aus Hannover kommenden
C3-Professors für Innere Medizin mit
Schwerpunkt Gastroenterologie/Hepatologie, Hans Ludger Tillmann, in der Medizinischen Klinik und Poliklinik II, der schon
vielfach mit anerkannten Regeln brach und
der dennoch oder gerade deswegen schon
bedeutende Preise bekam: 2002 Dr. Ernst
Wiethoff-Preis und Aids-Forschungspreis
der Dt. Gesellschaft für Infektiologie, 2003
Forschungspreis für Klinische Infektiologie der gleichen Gesellschaft.
Seine Thesen muten oft geradezu paradox
an oder wie ist es zu bewerten, wenn er
davon spricht, dass Virus-Infektionen vorteilhaft sein können? Oder dass eine antivirale Therapie die Virusreplikation stimulieren kann? Oder dass Hepatitis C-Infektionen weniger zu Erkrankungen der Leber
als zu neurokognitiven Erkrankungen führen sollen? Die Richtigkeit der ersten zwei
Thesen hat er inzwischen nachgewiesen
und dafür die besagten Preise bekommen.
Der dritten These geht er jetzt nach und
freut sich über das ideale wissenschaftliche
Umfeld in Leipzig. Tillmann geht davon
aus, dass bis heute wissenschaftlich nicht
belegt ist, dass Menschen mit Hepatitis C
früher sterben als andere. Die Ansicht, sie
sei besonders gefährlich, sieht er darin begründet, dass man das Virus bislang fast
nur von der Seite der lebererkrankten Patienten kenne. Es gebe aber viele Hepatitis
C-Infizierte, die keine signifikante Lebererkrankung aufweisen, wohl aber in etwa
50 Prozent der Fälle Einschränkungen im
Wohlbefinden angeben. Dies scheint nach
ersten Daten auch durch eine Viruselimination nicht modifiziert zu werden, so dass
ein der Prionenerkrankung ähnlicher Mechanismus zu diskutieren wäre.
Bei so viel Neuland hält die Forschung den
neuberufenen Professor so gefangen, dass
kaum Zeit für seine Hobbies bleibt: Kochen, Reisen und klassische Musik. B. A.
32
C4-Professor Michael Stumvoll hat das
Direktorat der Medizinischen Klinik und
Poliklinik III übernommen und will in
Leipzig inhaltlich verwandte Strukturen
bündeln, um auf dem Gebiet der Diabetesund Adipositasforschung „eine schlagkräftige, international konkurrenzfähige
Mannschaft auf- und auszubauen.“ Der zuletzt in Tübingen tätige Mediziner ist auf
der Suche nach Methoden, mit denen Erkenntnisse der Grundlagenforschung in
vitro sichtbar gemacht werden können. Da
kommen ihm die personellen, institutionellen und technischen Möglichkeiten in
Leipzig gerade recht. Auf seiner Spurensuche nach den biochemischen Strukturen
und Beziehungen des menschlichen Organismus machte er eine Entdeckung: Nicht
nur die Leber produziert Glukose, also
Zucker, sondern auch die Niere! Damit
konnte geklärt werden, warum Dialysepatienten immer unterzuckert sind.
Mit dem Thema Übergewicht oder Adipositas will Prof. Stumvoll ganz neue Wege
beschreiten. „Warum tun sich manche
Leute so schwer, Gewicht abzunehmen?“,
fragt er und er sucht die Antwort in den
Hormonen, genauer gesagt in der Achse
Darm-Hormon-Gehirn. Offensichtlich gibt
es im Gehirn Abläufe, die die Appetitkontrolle unterbinden. „Hier spielen uns die
Gene unserer Vorfahren aus der Steinzeit
einen üblen Streich.“, erklärt Prof. Stumvoll. „Damals war es überlebensnotwendig, nach Erlegen eines Tieres z. B. möglichst viel essen zu können und die überschüssige Energie als Fett zu speichern, um
dann wieder längere Phasen ohne Nahrung
zu überstehen.“ Jetzt, wo wir immer Nahrung im Überschuss haben, erweist sich
diese Veranlagung als Crux. Vielleicht
kann man eines Tages, hofft Stumvoll, die
Wirkung der Darmhormone verstärken,
damit das Gehirn registriert: Ich bin satt.m
Privat betreibt Stumvoll Wissenschaftsgeschichte, Skifahren und Bergsteigen,
und er reist gern, am liebsten mit seiner
Frau und seinen beiden Kindern.
B. A.
NOMEN
Namenforscher Prof. Jürgen Udolph zur
Herkunft des Namens „Stumvoll“
Unter 40 Millionen Telefonteilnehmern
(Stand: 1998) ist der Familienname Stumvoll 97mal belegt. Es gibt nur diese Variante, eine Form Stummvoll ist nicht bezeugt.
Der Name ist fast ausschließlich in Süddeutschland bezeugt, so etwa bei Stuttgart,
München und Passau.
Die heutige sprachliche Interpretation aus
dt. stumm + voll ergibt keine sinnvolle Erklärung. Es ist ein Notbehelf, einem durch
sprachliche Veränderungen umgestalteten
Namen in der Sprache neu zu verankern
(Volksetymologie, sekundäre semantische
Motivierung).
Die Lösung für den Namen steht bei J. K.
Brechenmacher, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Familiennamen, Bd. 2,
Limburg 1963, S. 698: Er sieht in dem
Namen Stum(m)voll eine „Kümmerform“
aus Stubenvoll, gemeint ist eine verkürzte,
gestutzte Form. Bestätigt wird diese Annahme durch folgende Namenbelege: auf
dem Hof Stummvoll in Oberösterreich siedelt 1434 ein Wernhard Subenfol; 1695 ist
in Salzburg bezeugt Joh. Stumbvoll; Innsbruck hat 1944 Stubenvoll neben Stumfohl.
Daraus ergibt sich: neben Stum(m)voll
steht Stubenvoll, -fol. Die Deutung hat von
diesen Formen auszugehen, da im Deutschen etwa Verbindungen wie Stubenfliege,
Stubenfenster mit Ausstoß des -b- gesprochen werden: Stuumfliege, Stuumfenster.
Brechenmacher erklärt den Ausgangsnamen Stubenvoll wie folgt (S. 695): Es ist
ein sogenannter Übername für einen Wirt.
Noch zu Anfang des 19. Jh. gab es in München eine Künstlerkneipe „Zum Stubenvoll“. Der Name ist von einer offenbar gut
gehenden Gastwirtschaft auf den Betreiber
oder Wirt übertragen worden.
journal
Personalia
Engagement für spanisch-deutsche Zusammenarbeit
Insulaner mit Herz für Leipzig
Wo trifft man schon einen klassischen
Philologen, einen voll ausgebildeten Juristen und einen in der hispanistischen Linguistik bewanderten Wissenschaftler in
einer Person? Man trifft ihn in Prof. Dr.
José Juan Batista Rodríguez, und man trifft
ihn semesterweise an der Universität Leipzig. „Ein Glücksfall für uns“, konstatiert
Prof. Gerd Wotjak, Direktor des Instituts
für Angewandte Linguistik und Translatologie, lapidar.
Der erste Kontakt ergab sich 1984, als Gerd
Wotjak auch wissenschaftliche Vorträge an
der Universidad de La Laguna auf Teneriffa
hielt. Hier hatte der junge Dr. Batista
Rodríguez gerade eine Dissertation über
Homer, Platon und Sophokles abgeschlossen, für einen Insulaner, der nach eigenen
Aussagen immer das Gefühl hat, einen
Mangel, einen Verlust kompensieren zu
müssen, etwa durch ein besonderes Streben
nach Bildung und Horizonterweiterung,
natürlich viel zu wenig. Also erwarb er
noch die Zusatzqualifikation als Jurist und
beschäftigte sich intensiv mit der Hispanistik. Und sein Interesse galt dem deutschen Kulturkreis mit dem konkreten
Wunsch, dass seine beiden Kinder neben
der spanischen auch die deutsche Sprache,
Literatur und Lebensweise kennen lernen.
1996 war es soweit, dass ihn seine Wege
auch nach Leipzig führten. Von da an war
er ständiger Gast an der Alma mater Lipsiensis. Von Kollegen und Studierenden
hoch geschätzt, hat er zur Neuprofilierung
der Ausbildung von Spanisch-Übersetzern
und Dolmetschern Wesentliches beigetragen. In fast jedem Wintersemester hat er,
inzwischen selbst Professor an seiner Heimatuniversität La Laguna in der Klassischen Philologie, seither am Institut für
Angewandte Linguistik und Translatologie
(IALT) Lehrveranstaltungen zum Übersetzen juristischer Texte aus dem Deutschen
ins Spanische sowie Vorlesungen und Seminare zum Vergleich der Rechtssysteme
Spaniens und Deutschlands gehalten. Die
fanden einen Riesenzulauf, nicht nur von
Studierenden der Translatologie, sondern
auch der Rechtswissenschaft und Romanistik. In gewisser Weise wurde mit ihm
auch eine Barriere übersprungen, und zwar
die, einen Juristen für die Ausbildung von
Übersetzern zu gewinnen. Weiter übernahm er die Betreuung von Diplomarbeiten und wirkte er mit großer Geduld und
Akribie als kompetenter Konsultant auf
linguistischem Gebiet und bei der stilistischen Endredaktion für spanische Fachtexte aus der Feder Leipziger Mitarbeiter.m
Damit nicht genug. Prof. Batista Rodríguez
ist auch ein unermüdlicher „Propagandist“
von Stadt und Universität Leipzig. Ihm ist
es zu danken, dass sich ein Sokrates-Austausch zwischen La Laguna und Leipzig
entwickelt hat oder dass seit 2003 eine ausgebildete Volljuristin, überdies promoviert
in hispanistischer Linguistik, ihre Tätigkeit
als wissenschaftliche Mitarbeiterin am
IALT aufgenommen hat. Die Beschäftigung mit juristischen Fachtexten als eine
Spezialisierungsrichtung, wie sie an anderen universitären Ausbildungszentren in
Deutschland so nicht vorhanden ist, wird
damit in der Leipziger Übersetzer- und
Dolmetscherausbildung weiter garantiert.
Und ihm es zu danken, dass am Anfang
dieses Jahres erstmalig ein gemeinsames
interdisziplinäres Kolloquium von IALT
und Juristenfakultät zur juristischen Übersetzung und zum Vergleich der Rechtssysteme stattfinden konnte. Ab 2005 soll auch
erstmals eine Weiterbildung auf diesem
Gebiet angeboten werden.
Bei diesem Engagement für die Universität
Leipzig schien es nur recht und billig, dass
ihn Rektor Prof. Dr. Franz Häuser zum
Ende des Wintersemesters empfangen und
ihm herzlich gedankt hat. Muss man sich
wundern, dass der Wunsch eingeschlossen
war, Prof. Batista Rodríguez möge auch in
künftigen Jahren mit seinem großen Wissen, seiner menschlichen Wärme und Integrationskraft und seinem uneigennützigen
Einsatz für Lehre und Forschung an der
Universität Leipzig präsent sein?
V. S.
Rektor Franz Häuser (r.) dankte Batista
Rodríguez am Ende des Wintersemesters für sein Engagement. Foto: Kühne
Arbeit zu Mundgesundheit
und Lebensqualität
Lilly-Preis für
Zahnmediziner
Der Lilly Quality of Life
Preis 2003 wurde jetzt an
den Leipziger Zahnmediziner PD Dr. med.
dent. Mike John MPH
PhD verliehen. Der mit
insgesamt 10 000 Euro
dotierte Preis zur Lebensqualitätsforschung wird von Lilly
Deutschland gestiftet. John, von der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und
Werkstoffkunde, wurde für seine Arbeit
zur Entwicklung von Grundlagen mundgesundheitsbezogener Lebensqualität (MLQ)
in Deutschland ausgezeichnet. Er entwickelte ein Instrument zur Messung dieses
Bereichs der Lebensqualität, die ein integraler Bestandteil der Zahnmedizin und
Ziel zahnärztlicher Interventionen ist.
Des Weiteren untersuchte er bundesweit bei
2 050 Patientinnen und Patienten im Alter
von 16 bis 79 Jahren das Auftreten (Prävalenz) einer eingeschränkten mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität (MLQ) und
erarbeitete Daten zur Normierung eingeschränkter MLQ. Dabei berücksichtigte er
auch den Zusammenhang zwischen soziodemografischen Merkmalen (Alter, Geschlecht, Schulbildung, Wohnort), der Art
der Versorgung mit Zahnersatz und der
Einschränkung der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität. Zusammenfassend
wies er darauf hin, dass der Einfluss der
Zahnmedizin auf die Lebensqualität in
Deutschland bereits erkannt wurde. Durch
das Fehlen eines Instrumentes konnte sie
jedoch bislang nicht in ihrer vollen Ausprägung erfasst und in die klinische Praxis
und Forschung integriert werden.
Mit dem jährlich ausgeschriebenen Preis
unterstützt das pharmazeutische Unternehmen Lilly Deutschland die Lebensqualitätsforschung mit dem Ziel, den Aspekt der
Lebensqualität verstärkt in die Therapieentscheidung zu integrieren. Dabei sollen
sowohl die Entwicklung neuer Messinstrumente zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität als auch die innovative Anwendung von bereits vorhandenen
Messinstrumenten gefördert werden. Der
Preisträger wurde von einer fünfköpfigen
Jury bestimmt, darunter Professor Elmar
Brähler aus Leipzig.
B. A.
33
Personalia
Friedrich Kamprad zum 65. Geburtstag
Große Verdienste um Strahlentherapie
Am 23. Januar beging Prof. Dr. med.
habil.
Friedrich
Kamprad
seinen
65. Geburtstag. In
Leipzig geboren und aufgewachsen, studierte er hier Humanmedizin. Seine Facharztausbildung im Fach Radiologie absolvierte er bei seinem akademischen Lehrer,
Professor Wilhelm Oelßner, der fortan
seinen beruflichen und wissenschaftlichen
Weg nicht unwesentlich mit geprägt hat.
Seit 1995 leitet er als C4-Professor die
Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie
und Radioonkologie der Leipziger Universität. Während dieser Zeit hat er an der
jahrelangen baulichen Neugestaltung,
Renovierung und Umstrukturierung der
Einrichtung zu einer modernen und
technisch exzellent ausgestatteten Klinik
für Radioonkologie entscheidend mitgewirkt.
Der berufliche Werdegang von Professor
Friedrich Kamprad ist eng mit der Entwicklung der Strahlentherapie an der Leipziger Medizinischen Fakultät über nahezu
vier Jahrzehnte verbunden. Neben seinem
großen Engagement für die interdisziplinäre onkologische Betreuung von Tumorpatienten hat er sich insbesondere große
Verdienste bei der Entwicklung moderner
Bestrahlungsplanungs- und Simulations-
methoden, der Ganzkörperbestrahlung und
der Bearbeitung experimenteller strahlenbiologischer Fragestellungen erworben,
die in zahlreichen Publikationen und wissenschaftlichen Vorträgen ihren Ausdruck
fanden. Über Jahrzehnte hinweg war er der
kompetente Ansprechpartner bei vielen
onkologischen Fragestellungen für zahlreiche Kollegen aus den benachbarten
Fachdisziplinen. Die Ehrenmitgliedschaften in der Ungarischen Gesellschaft für
Radioonkologie und der Ungarischen
Krebsgesellschaft, die Verleihung des
Krompecher Preises der Ungarischen
Krebsgesellschaft, die Kongresspräsidentschaft des 3. Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie in
Leipzig und die Aufnahme als Mitglied der
Gesellschaft der Naturwissenschaftler und
Ärzte, Leopoldina, sind weitere Meilensteine im wissenschaftlichen Leben von
Professor Kamprad.
Durch seine aktive Mitarbeit in der Deutschen Krebsgesellschaft als Leiter des Arbeitskreises „Klinische Krebsforschung“
der Arbeitsgemeinschaft Radioonkologie
(ARO), Vorstandsmitgliedschaften in der
ARO, der Arbeitsgemeinschaft Deutscher
Tumorzentren (ADT) und der Sächsischen
Radiologischen Gesellschaft (SRG), Redaktionsmitgliedschaften in onkologischen
Fachzeitschriften, als Mitglied der Zerti-
fizierungskommission Hochdosistherapie
(Knochenmarktransplantation) sowie als
Leitungsmitglied der German-JapaneseRadiological-Affiliation war er stets um
das klinische, wissenschaftliche und berufspolitische Vorankommen seines Fachgebietes bemüht.
Als Mitglied der Arbeitsgruppe „Neufassung der Richtlinie Strahlenschutz in der
Medizin“ im Bundesministerium für Umwelt und Reaktorsicherheit hat er an der
Novellierung der Strahlenschutzverordnung bis zu deren Inkrafttreten aktiv mitgewirkt und dabei unermüdlich und beharrlich die Interessen der Radioonkologie
fachkundig und angemessen zu vertreten
gesucht. Seit Anfang des Jahres 2004 übernahm Professor Kamprad in diesem Zusammenhang die Leitung der neu einzurichtenden Ärztlichen Stelle nach Strahlenschutzverordnung (§ 83) für den Freistaat Sachsen und wird diese Funktion
auch in Zukunft wahrnehmen.
Dank seiner pädagogischen Fähigkeiten
konnte er das Fachgebiet Radioonkologie
einer großen Zahl von Medizinstudenten
nahe bringen und vielen jungen Kollegen
während der Facharztweiterbildung entscheidende Impulse für ihre weitere berufliche Entwicklung vermitteln.
Guido Hildebrandt,
Ulrich Wolf
Joachim Pfeiffer zum 80. Geburtstag
Immer geschätzt, nachträglich gewürdigt
Am
24.
März
feierte Prof. Dr. Joachim Pfeiffer seinen 80. Geburtstag.
In Chemnitz geboren verlebte er die Jahre bis zum Abitur in
dieser Stadt und wurde 1942 unmittelbar
danach zur Wehrmacht eingezogen. Sein
Studium der Medizin nahm er in einer Studentenkompanie auf, immer wieder unterbrochen durch Einsätze an der Front. Nach
Stationen in Berlin, Innsbruck und Mainz
beendete er 1949 sein Studium mit Approbation und Promotion. Bis 1954 folgten
internistische und radiologische Ausbildung sowie die Anerkennung als Facharzt.
Prof. Pfeiffer wechselte in diesem Jahr an
die Radiologische Klinik der Universität
34
Leipzig, in der er bis zu seinem krankheitsbedingten Ausscheiden im Jahre 1987
tätig war. Die Ernennung zum 1. Oberarzt
der Klinik sowie die Habilitation 1963 sind
weitere Stationen seines Werdegangs.
Wegen der damaligen politischen Verhältnisse konnte er ehrenvollen Berufungen
auf Lehrstühle im Ausland wie auch Ehrenmitgliedschaften ausländischer Fachgesellschaften nicht folgen, auch blieb ihm
eine weitere berufliche Entwicklung in der
DDR versagt. Trotz dieser repressiven
Maßnahmen belegen drei Monographien
und Lehrbuchbeiträge sowie 164 Veröffentlichungen und Vorträge seine stetige
wissenschaftliche Aktivität. Besonders
hervorzuheben ist seine hohe onkologische
Kompetenz als Strahlentherapeut, die ihn
bereits 1968 zur Gründung interdisziplinärer Sprechstunden führte und eine neue
Qualität der onkologischen Behandlung ermöglichte. In den Jahren seiner Tätigkeit
als Leiter der Strahlentherapieabteilung
war er vielen jungen Kollegen, die in dieser Abteilung arbeiteten und lernten, Vorbild in seiner hohen fachlichen Kompetenz
und in seiner Zuwendung zum Patienten.m
Erst nach Ende der DDR wurde seine verdienstvolle, jahrzehntelange Tätigkeit an
der Universität mit Verleihung einer apl.
Professur gewürdigt. Sein 80. Geburtstag,
den Herr Prof. Pfeiffer in beneidenswerter
körperlicher und geistiger Frische begehen
konnte, ist Anlass, ihm im Namen seiner
vielen Schüler für sein Wirken Dank zu
sagen.
Prof. Friedrich-H. Kamprad
journal
Personalia
Klaus Weise wurde 75
Die Psychiatrie
geprägt
Am 1. März wurde
Klaus Weise 75
Jahre alt, der wie
kein anderer in der
zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts bis
heute die Leipziger
Psychiatrielandschaft geprägt hat.
In Freiburg-Breisgau geboren wuchs er seit
seiner frühen Kindheit in Leipzig auf.
Nach seinem Medizinstudium arbeitete er
ab 1953 in Leipzig, Rodewisch/ Vogtland
und dann nach seinem Facharztabschluss
für Psychiatrie und Neurologie wieder in
Leipzig, wo er 1973 Direktor der erst 1971
gegründeten Universitätsklinik für Psychiatrie wurde. 1995 wurde er emeritiert.
Mit den Entwicklungen seit 1975 hat die
Leipziger Klinik von Weise als universitäre
Einrichtung für den deutschsprachigen
Raum Schrittmacherdienste für eine kommunal orientierte psychiatrische Betreuungsorganisation und eine weitere Integration der Psychiatrie im Konzert der medizinischen Fächer geleistet. Noch heute ist
bewundernswert, wie es ihm, getragen von
sozialen Visionen, in einer eher staatssozialistischen Herrschaftsbürokratie der
DDR gelang, emanzipatorische Entwicklungen in der Patient-Arzt-Begegnung und
damit eine Humanisierung in der psychiatrischen Betreuungspraxis zu befördern.
Weise erkannte auch frühzeitig die therapeutisch bewegende Kraft von Kommunikation und entwickelte die Leipziger Psychiatrie seit Mitte der 70er Jahre zu einem
Zentrum der gesprächspsychotherapeutischen Weiterbildung.
So wie er in seiner Praxis stets bemüht war,
alle neuen biologischen Erkenntnisse einfließen zu lassen, so stand er einer einseitigen reparaturorientierten Medizin stets
distanziert gegenüber und verstummt bis
heute nicht darin, eine Medizin der mitmenschlichen Beziehungen zu befördern.
Bis heute ist er ein aktiver Verfechter eines
Trialogs zwischen Patient, dessen Angehörigen und seinen professionellen Helfern.
Nach Versetzung in seinen Ruhestand ist er
bis heute vor allem in Betroffenen- und
Selbsthilfevereinen tätig und belebt deren
Arbeit mit seinen langen Lebens- und professionellen Erfahrungen. Matthias Uhle
Heft 2/2004
Sportlich in den Ruhestand
Foto: Armin Kühne
Mit einer im doppelten Sinne zu Herzen
gehenden, also Gemüt und Kreislauf ansprechenden Sportshow verabschiedeten
Studierende und wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts für Bewegungs- und
Trainingswissenschaft der Sportarten ihren
Direktor und darüber hinaus die Sportwissenschaftliche Fakultät ihren langjährigen
Dekan Prof. Dr. Helmut Kirchgässner am
28. Januar in den Ruhestand. Unter der Regie von Dr. Hobusch wurde ein mitreißendes Pogramm als Querschnitt der Ausbildung in den Sportarten Turnen, Tanz, Bo-
xen, Tennis, Hand- und Fußball, Judo und
Taekwondo geboten. Und mittenmang der
künftige Emeritus (im Bild als Handballer), der es sich als „Box-Professor“ und
Hobby-Tennisspieler nicht nehmen ließ, zu
einem Sparringkampf in den Ring zu steigen und mit Magnifizenz Häuser am Tennis-Netz die Schläger zu kreuzen. Mit dem
Dank von Dekan Krug und besten Wünschen von allen Seiten kam ein bisschen
Wehmut auf – aber bitte, Sportfreunde: als
Olympiabeauftragter der Universität bleibt
er uns doch erhalten.
V. S.
Harry Pfeifer zum 75. Geburtstag
Weiterhin aktiv für die Physik
Prof. Dr. Dr. h.c.
Harry
Pfeifer
feierte am 25. Februar seinen 75.
Geburtstag.
Seit
seinem Physikstudium in Leipzig ist
er seiner Universität aufs engste
verbunden geblieben. Sein unermüdliches
Wirken als Hochschullehrer und Forscher
hat Generationen von Physikern, verwandten Naturwissenschaftlern und Lehrern geprägt und hat ganz wesentlich zu den Profillinien der Fakultät beigetragen. Sein wissenschaftliches Werk ist eng mit der Entwicklung der kernmagnetischen Resonanz
(NMR) verbunden. Ihm gelang in einer von
Artur Lösche ausgegebenen Diplomarbeit,
erstmalig in Deutschland und möglicherweise sogar erstmalig in Europa, der Nachweis dieses Phänomens, das kurz zuvor in
den USA entdeckt worden war. Harry Pfeifer hat die NMR stets in ihrer gesamten
Breite im Auge gehabt, selbst zu wesentlichen Entwicklungen beigetragen und insbesondere auf seinem eigenen Forschungsgebiet, der Molekül- und Grenzflächen-
physik, ein breites Anwendungspotential
erschlossen. So ist es bezeichnend, dass bereits kurz nach ihrer Einführung durch
Lauterbur und Mansfield Harry Pfeifer in
seiner Gruppe wohl erstmalig die Möglichkeiten der Magnetresonanz-Tomographie in der Verfahrenstechnik einsetzte.
Dass Harry Pfeifer bis zum heutigen Tag
voller Aktivität seiner Fakultät verbunden
geblieben ist, beweist insbesondere auch
sein Engagement für den „Kompaktkurs
Physik“ als Erweiterung und Überarbeitung des Lehrbuchs „Grundwissen Experimentalphysik“ aus dem Jahr 1997, mit
dessen Erscheinen noch in diesem Jahr zu
rechnen ist. Es ist aus seinen sehr beliebten,
nun schon fast legendären Vorlesungen zur
Experimentalphysik hervorgegangen.m
Für Harry Pfeifer war der internationale
Kontakt wesentliche Quelle und entscheidender Gradmesser für die Erfolge in der
wissenschaftlichen Arbeit seiner Gruppe.
Das betraf insbesondere den Kontakt mit
führenden Wissenschaftlern der Sowjetunion, aber auch mit der gesamten internationalen Wissenschaftlergemeinschaft.
Douglas M. Ruthven, Dieter Michel,
Dieter Freude, Jörg Kärger
35
Personalia
Geburtstage
Philologische Fakultät
60. Geburtstag
Dr. Lothar Schmiedel, Institut für Angewandte
Linguistik und Translatologie, am 28. April
Sportwissenschaftliche Fakultät
60. Geburtstag
Dr. Frank Kutschke, Institut für Sportpsychologie und Sportpädagogik, am 6. März
Medizinische Fakultät
65. Geburtstag
Doz. Dr. med. Reinhard Keitel, Chirurgische
Klinik und Poliklinik I, am 22. März
Doz. Dr. rer. Heinz Schaffernicht, Institut für
Arbeitsmedizin und Sozialmedizin, am 4. April
Prof. Dr. med. Christoph Vogtmann, Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche, 17. April
Prof. Dr. med. Joachim Schauer, Medizinische
Klinik und Poliklinik I, am 25. April
75. Geburtstag
Prof. Dr. med. Klaus Weise, ehem. Klinik und
Poliklinik für Psychiatrie, am 1. März
80. Geburtstag
Prof. Dr. med. Wolfgang Dürwald, ehem. Institut für Rechtsmedizin, am 13. Januar
Prof. Dr. med. Joachim Pfeiffer, ehem. Klinik
und Poliklinik für Strahlentherapie und Radioonkologie, am 24. März
Fakultät für Physik und Geowissenschaften
60. Geburtstag
Prof. Dr. Walter Gläßer, Institut für Geophysik
und Geologie, am 7. März
65. Geburtstag
Prof. Dr. Dieter Geschke, Institut für Experimentelle Physik I, am 9. März
Prof. Dr. Helga Schmidt, Institut für Geographie, am 7. April
Fakultät für Chemie und Mineralogie
65. Geburtstag
Prof. Dr. Gerhard Wendt, Institut für Technische
Chemie, am 21. Februar
70. Geburtstag
Prof. Dr. Klaus Schulze, Institut für Organische
Chemie, am 10. April
75. Geburtstag
Prof. Dr. Manfred Mühlstädt, Institut für Organische Chemie, am 28. Februar
Ehem. Institut für Tropische Landwirtschaft
75. Geburtstag
Prof. Dr. Gerd Fröhlich am 28. März
Der Rektor der Universität Leipzig und die
Dekane der einzelnen Fakultäten gratulieren
herzlich.
(Die Geburtstage werden der Redaktion direkt von
den Fakultäten gemeldet. Die Redaktion übernimmt
für die Angaben keine Gewähr. Das gilt auch für deren Vollständigkeit.)
36
Zum 90. Geburtstag
von Hans Bayer
alias Thaddäus Troll
100. Geburtstag
des Institutsgründers
Hans Schulze
„Postum
zufrieden“
Kunsterziehung
vorangebracht
Sein Großvater war
Seifensiedemeister in
Cannstatt bei Stuttgart
und sein Vater übte das
gleiche Gewerbe aus.
Eigentlich sollte der
Berufsweg des Jungen,
der auf den schlichten
Namen Hans Bayer hörte, vorgezeichnet
sein. Aber es kam anders. 1932 bestand er
die Reifeprüfung am Realgymnasium in
Stuttgart-Bad Cannstatt und studierte in
Tübingen, München, Halle/S. und Leipzig
Zeitungswissenschaften, Kunstgeschichte,
Geschichte, Germanistik, und ein wenig
neuere Sprachen, Volkswirtschaftslehre
und Rechtswissenschaft.
In Leipzig beschäftigte er sich besonders
mit vergleichender Literaturwissenschaft
und kam so in nähere Beziehungen zu
André Jolles. Nach zehn Studiensemestern
legte Bayer seine Dissertation vor: „Presseund Nachrichtenwesen der im Weltkrieg
kriegsgefangenen Deutschen“ und promoviert zum Dr. phil. Hans Bayer, inzwischen
zum Kriegsdienst eingezogen, erhält die
Urkunde, datiert am 22. Dezember 1939,
zugeschickt. Die Gutachter sind voll des
Lobes, die Note lautet „sehr gut“.
Hans Bayer hat sich als Schriftsteller in
seiner schwäbischen Heimat und weit darüber hinaus einen Namen gemacht. Er
schrieb Theaterkritiken, Essays, Satiren,
Feuilletons oder bearbeitete Theaterstücke,
freilich unter dem Pseudonym Thaddäus
Troll. Es gab aber auch den sozialkritischen Schriftsteller und engagierten Demokraten, der sich für die Belange seiner
Kollegen einsetzte. Als Hans Bayer 1980
seinem Leben in einer depressiven Phase
ein Ende setzte, schrieb Günther Grass: „Er
war immer so bescheiden, dass mir jetzt
erst richtig bewusst geworden ist, wie
wichtig Thaddäus Troll für uns alle war.“m
Vor 90 Jahren, am 18. März, ist Hans Bayer
in Cannstatt geboren. Als Thaddäus Troll
schrieb er einen Nachruf zu Lebzeiten: „Er
hat niemandem Furcht eingeflößt. Könnte
man diese üble Nachrede auch auf Thaddäus Troll anwenden, wahrlich, er wäre
postum mit seinem Leben zufrieden.“
Gerald Wiemers
Am 3. März wäre Hans
Schulze 100 Jahre geworden. Für sein künstlerisches Werk über
viele Jahre mehrmals
ausgezeichnet, konnte
vor anderthalb Jahren
auch seine herausragende Rolle bei der Gründung des Institutes für Kunstpädagogik der Universität
Leipzig im Kontext dessen 50-jährigen Jubiläums 2002 gefeiert werden.
Hans Schulze, geboren in Dittersbach
(Schlesien), studierte 1923–1929 in Breslau an der Staatlichen Akademie für Kunst
und Kunstgewerbe im neueingerichteten
Studiengang für das künstlerische Lehramt
an höheren Schulen. Namhafte Dozenten
wie Eduard Kaempfer, Otto Mueller, Oskar
Moll, Konrad v. Karsdorff, Hans Schlemmer und Alexander Kanoldt unterrichteten
ihn und bestimmten vor allem seinen
künstlerischen Weg. Ab 1929 war er als
Lehrer und Ausbilder für Neulehrer tätig.
1948 folgte er dem Ruf nach Dresden, wo
er an der Technischen Hochschule die Errichtung eines Institutes für Kunsterziehung übernahm. Diesen einschneidenden
neuen Weg einer wissenschaftlich universitären Richtung setzte er 1950 an der Universität Leipzig fort. Dort gelang ihm 1952
die Gründung des Institutes für Kunsterziehung. Innerhalb weniger Jahre konnte er
als Direktor und Lehrer dieses Institutes
den Auf- und Ausbau vorantreiben. Gerade
die schwierigen Anfangsjahre des Institutes für Kunsterziehung, wo es galt, materiellen und personellen Engpässen sowie
strukturellen Vorgaben zu begegnen,
prägte Hans Schulze durch seine Vielseitigkeit als Künstler, Wissenschaftler und
Pädagoge. Seine Mitarbeit an der Konzeption wichtiger Bereiche der Kunsterziehung wie der Methodik und Kunstgeschichte waren maßgebend für die ersten
zwei Jahrzehnte des Institutes für Kunsterziehung der Universität Leipzig. Nach der
Aufgabe seines Amtes als Institutsdirektor
blieb er dennoch dem Institut für Kunsterziehung bis zu seinem Tode am 7. September 1982 in Leipzig verbunden.
Katja Weber, Institut für Kunstpädagogik
journal
Personalia
Kurz gefasst
Auf der diesjährigen Jahrestagung der
Deutschen Arbeitsgemeinschaft zum Studium der Leber (GASL) am 16. und 17. Januar in Freiburg wurde Prof. Dr. rer. nat.
Rolf Gebhardt, Institut für Biochemie,
zum Präsidenten für die Periode 2005/2006
gewählt. Damit verbunden ist die Ausrichtung der 22. Jahrestagung der GASL im
Januar 2006 in Leipzig.
Über ein Semester kostenloses Studium in
Queensland, Australien, kann sich die Studentin der Medienwissenschaft Angela
Höppner freuen. Die 25-Jährige hat das
Stipendium des „Queensland Scholarship
Program“ bekommen und wird in den
kommenden Monaten an der Queensland
University of Technology studieren. Weitere Informationen zum Stipendium und
zum Studium in Australien generell gibt es
auf der Internetseite des International Education Centre:
www.ieconline.net
Prof. Dr. Stefan Troebst, Institut für Slavistik und GWZO (Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur
Ostmitteleuropas), ist in den Fachbeirat
Wissenschaft der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Berlin berufen
worden.
Zudem hat das EU-geförderte europaweite
Historikernetzwerk CLIOHnet Professor
Troebst zum Koordinator für die Universität Leipzig ernannt. CLIOHnet, das für
„Creative Links and Innovative Overviews
to Enhance Historical Perspectives in
European Culture“ steht, organisiert
Workshops und finanziert Buchpublikationen zur europäischen Geschichte.
Und da aller guten Dinge drei sind: Professor Troebst ist auch zum Mitglied des
Wissenschaftlichen Beirats der in Großbritannien erscheinenden internationalen
Zeitschrift „European Review of History/
Revue europeenne d’histoire“ berufen
worden. Thematische Schwerpunkte dieser
1993 von französischen, ungarischen und
britischen Historikern gegründeten Zeitschrift sind die transnationale Historiographiegeschichte sowie die Reflexion über
Strukturmerkmale und Grenzen Europas.
Prof. Dr. Bernhard Meier, Institut für
Germanistik, ist zum Präsidenten der Erich-Kästner-Gesellschaft gewählt worden.
Heft 2/2004
Prof. Dr. Monika Wohlrab-Sahr, Institut
für Praktische Theologie, ist beteiligt an
einem neuen Promotionsschwerpunkt des
Evangelischen Studienwerks Villigst zum
Thema „Macht – Religion – Moral“. Das
Studienwerk fördert generell Promotionsvorhaben besonders begabter Wissenschaftler. Ein Teil dieser Promotionen wird
stets in Promotionsschwerpunkten unter
einem übergreifenden Forschungsthema
gebündelt. In einem solchen Schwerpunkt
kooperieren Hochschullehrer für die Dauer
von fünf Jahren mit dem Evangelischen
Studienwerk.
Informationen über den Promotionsschwerpunkt gibt es im Internet unter:
www.evstudienwerk.de/profil/
machtreligionmoral.pdf
Dr. Tim Rose, Facharzt an der Klinik und
Poliklinik für Unfall-, Wiederherstellungsund Plastische Chirurgie des Universitätsklinikums Leipzig, erhielt den Innovationspreis der Deutschen Gesellschaft für
Unfallchirurgie. Er und seine Koautoren
aus Pittsburgh in den Vereinigten Staaten
erfüllten mit ihrer Arbeit „Die Verbesserung der Knochenleitung im osteoporotischen Rattenmodell durch die zellvermittelte Expression von Bone Morphogenetic
Protein 4 (BMP-4) nach ex-vivo Gentherapie“ am besten die Kriterien, nach denen
der Preis vergeben wird. Wichtigstes Vergabekriterium ist der klinische Nutzen der
Forschung.
Prof. Dr. Gottfried Alber, Direktor des
Instituts für Immunologie der Veterinärmedizinischen Fakultät wurde auf Antrag der
Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Zürich zum Titularprofessor ernannt.
PD Mike John MPH PhD, Poliklinik für
Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde, wurde als Affiliate Assistant Professor an die University of Washington,
Department of Oral Medicine, berufen.
Die Abteilung ist eine der weltweit führenden Einrichtungen auf dem Gebiet der Erforschung von Kiefergelenk- und Kaumuskelschmerzen. Dr. John arbeitet dort an
mehreren gemeinsamen Forschungsprojekten und Publikationen mit und gelegentlich auch in der Lehre.
Fach Religionswissenschaft: Prof. Dr. Hubert Seiwert, Religionswissenschaftliches
Institut;
Fachkollegium „Medizin“, Fach Klinische
Chemie Pathobiochemie/Klinische Chemie Prof. Dr. Joachim Thiery, Medizinische Fakultät;
Fachkollegium „Medizin“, Fach Innere
Medizin – Gastro-Enterologie/Stoffwechsel: Prof. Dr. Joachim Mössner, Medizinische Fakultät;
Fachkollegium „Grundlagen der Biologie
und Medizin“, Fach Biochemie: Prof. Dr.
Annette G. Beck-Sickinger, Fakultät für
Biowissenschaften,
Pharmazie
und
Psychologie;
Fachkollegium „Psychologie“, Fach Allgemeine und physiologische Psychologie,
Biopsychologie, Methodenlehre: Prof. Erich Schröger, Fakultät für Biowissenschaften, Pharmazie und Psychologie;
Fachkollegium „Psychologie“, Fach Klinische, differentielle und diagnostische
Psychologie: Prof. Dr. Elmar Brähler,
Medizinische Fakultät;
Fachkollegium „Pflanzenwissenschaften“,
Fach Allelobotanik: Prof. Dr. Francois
Buscot, Fakultät für Biowissenschaften,
Pharmazie und Psychologie;
Fachkollegium „Agrar-, Forstwissenschaften, Gartenbau und Tiermedizin“, Fach
Diagnostik und Therapie am lebenden Tier:
Prof. Dr. Maria-Elisabeth KrautwaldJunghanns, Veterinärmedizinische Fakultät;
Fachkollegium „Analytik, Methodenentwicklung“, Fach Analytik, Methodenentwicklung: Prof. Dr. Stefan Berger, Fakultät für Chemie und Mineralogie.
Die Wahl in die Fachkollegien erfolgte
erstmals. Die Fachkollegien sollen in allen
Förderverfahren der DFG dafür Sorge tragen, dass die Begutachtung allein nach
wissenschaftlichen Kriterien erfolgt und in
allen Verfahren gleiche Qualitätsmaßstäbe
angelegt werden.
Dr. med. Daniel Teupser, Institut für Laboratoriumsmedizin, Klinische Chemie
und Molekulare Diagnostik, wurde zum
assoziierten Mitglied (Member of the
Adjunct Faculty) der Rockefeller University, New York, ernannt.
In Fachkollegien der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurden gewählt:
Fachkollegium „Ethnologie, Außereuropäische Kulturen, Religionswissenschaft“,
37
Personalia
Förderpreis für
Andrea Sinz
Die BBZ-Nachwuchsgruppenleiterin Dr.
Andrea Sinz wurde von der Dt. Gesellschaft für Massenspektrometrie mit dem
Mattauch-Herzog-Preis ausgezeichnet. Die
Preisverleihung fand anlässlich der Jahrestagung der Gesellschaft am Umweltforschungszentrum in Leipzig statt. Dr. Andrea Sinz erhielt den mit 12 500 Euro dotierten Förderpreis für hervorragende wissenschaftliche Leistungen auf dem Gebiet
von Strukturuntersuchungen an Proteinen
und Proteinkomplexen mithilfe der FTICR
(Fourier Transformation Ionen-CyclotronResonanz)-Massenspektrometrie.
Die Nachwuchsgruppe „Protein-LigandWechselwirkung mittels Ionen-CyclotronResonanz-Massenspektrometrie“, die von
Dr. Sinz geleitet wird, arbeitet daran, Methoden zur Untersuchung dreidimensionaler Proteinstrukturen zu entwickeln, die auf
chemischem Cross-Linking und hochauflösender Massenspektrometrie basieren.
Massenspektrometrie ist eine leistungsfähige analytische Technik, die zur Identifizierung von unbekannten chemischen
Verbindungen dient, und die die Struktur
und die chemischen Eigenschaften von
Molekülen nachweisen kann. Die Ergebnisse der Massenspektrometrie finden Anwendung z. B. in der Medizin, Forensik,
Biologie, Physik und Astronomie.
B.A.
Beliebt,
bestechend,
beharrlich
Nachruf für Fritz Meißner,
Nestor der Leipziger
Kinderchirurgie
Von Prof. Dr. med. Joachim Bennek, em. Ordinarius für Kinderchirurgie
Organist geht
nach Lübeck
Professor Arvid Gast, ein Jahrzehnt lang
Leipziger Universitätsorganist, ist einem
Ruf nach Lübeck gefolgt. Er hat eine Professur an der dortigen Musikhochschule
angenommen. Im Universitätsgottesdienst
am 1. Februar wurde er verabschiedet. Der
zweite Universitätsprediger Prof. Dr. Rüdiger Lux sprach Gast ein großes Lob für
seine künstlerischen Qualitäten aus. Er
habe den Gottesdiensten Glanz verliehen,
sagte Lux und fügte hinzu: „Nach einer
alten jüdischen Legende ist die unterste
Halle des Himmels die Halle der Musik. Sie
haben uns diese Halle zuweilen auf die Erde
geholt.“ Auch sonst, außerhalb der Gottesdienste, sei Gast ein großer Gewinn für die
Universität gewesen, habe „schlicht geräuschlos, unprätentiös und in großer Bescheidenheit das getan, was in diesem Amt
des Universitätsorganisten zu tun war.“ r.
38
In der Weihnachtszeit führten wir ein letztes persönliches Gespräch. Fritz Meißners
Worte „Jeder Tag ist in meinem Alter ein
Geschenk“ bleiben für mich unvergessen.
Auch die herzlich geschriebenen Weihnachts- und Neujahrsgrüße deuten das an.
„Wir hoffen auf eine noch kleine gemeinsame Wegstrecke. Die Kongressbesuche in
München und Bonn mussten ausfallen, das
Herz hält mich an kurzer Leine“. Der traditionelle Stammtisch der ältesten Schüler
mit Fritz Meißner und seiner lieben Frau
Elfriede am Silvestervortag sollte der letzte
sein. Fritz Meißner starb am 16. Januar.
In Naunhof bei Leipzig aufgewachsen, studierte Fritz Meißner Medizin in Leipzig.
Seine Ausbildung erhielt er bei den Chirurgen Ernst Heller und Herbert Uebermuth sowie dem Internisten Max Bürger.
1945 promovierte er – übrigens unter dem
Rektorat des berühmten Philosophen
Hans-Georg Gadamer. 1956 habilitierte er,
1958 wurde er zum Oberarzt ernannt, 1959
begründete Fritz Meißner die Klinik und
Poliklinik für Kinderchirurgie der Universität Leipzig. 1961 schließlich erfolgte die
Ernennung zum Professor mit Lehrauftrag
für das Fachgebiet Kinderchirurgie.
Meißners Einstellung war es, den wachsenden und reifenden Organismus des Kindes in seiner Komplexität zu betrachten
und spezielle Methoden der Diagnostik,
Operationstechnik sowie der Vor- und
Nachbehandlung dem Alter anzupassen.
Mit Nachdruck setzte er dieses Prinzip immer wieder durch, und dafür sind alle seine
Schüler ihm besonders dankbar. Seine Beharrlichkeit und Durchsetzungskraft beim
Umsetzen neuer Ideen waren unübertroffen. Hier denken seine Schüler insbesondere an die Einführung des Prinzips der
Dringlichkeit mit aufgeschobener Operation, das heute zum Standard kinderchirurgischen Handelns gehört. Sein souveränes
operatives Können hat alle, die ihn erlebt
haben, begeistert.
Fritz Meißner war ein beliebter Hochschullehrer. Sprichwörtlich berühmt waren
seine Vorlesungen, die sich durch hohe
Originalität und didaktisches Geschick
auszeichneten. Auch er liebte die Studenten.m
Wissenschaftliche Kongresse lebten mit
ihm. Sein Auftreten war bestechend durch
unerreichbare Rhetorik, scharfe und treffende Formulierungen, humorvolle Verknüpfungen und klare zukunftsweisende
Gedanken. Seine herausragenden wissenschaftlichen Leistungen sind vielfältig gewürdigt worden. Die junge Kinderchirurjournal
Personalia
gengeneration ahnt kaum, an wie viel
Themen Fritz Meißner gearbeitet hat und
welche Fundamente ihm zu verdanken
sind. Seine Bücher, Buchbeiträge und über
300 Originalarbeiten zählen zu den Standardwerken der Kinderchirurgie. Immer
galt seine Vorliebe der Neugeborenen- und
Säuglingschirurgie sowie der Thoraxchirurgie und Traumatologie. Er beeinflusste maßgebend die Entwicklung der ambulanten Kinderchirurgie und der kinderchirurgischen Intensivtherapie.
Sein Prinzip, Verantwortung setzt Qualifizierung voraus, wirkte sich nicht nur auf
die Weiter- und Fortbildung der Kinderchirurgen, sondern auch auf die Säuglingsund Kinderkrankenschwestern sowie Operationsschwestern aus. Die von ihm vorangetriebene Spezialisierung der Kinderchirurgie sah er nie als Selbstzweck an,
sondern er hatte immer das kranke Kind als
Ganzes im Auge. Beharrlich setzte er sich
deshalb in Leipzig für ein Zentrum für Kindermedizin ein, dessen erster Leiter er war.
Fritz Meißner bemühte sich, die Kinderchirurgen der ehemaligen DDR organisatorisch zunächst in der Gesellschaft für
Chirurgie zu vereinigen. Auf sein Bestreben wurde 1964 die Sektion Kinderchirurgie der Gesellschaft für Chirurgie der DDR
gegründet, die er bis 1972 leitete. Mit der
Gründung der Gesellschaft für Kinder-
chirurgie der DDR 1985 wurde Fritz Meißner zu deren 1. Vorsitzenden gewählt. Seit
1990 ist er Ehrenpräsident der Deutschen
Gesellschaft für Kinderchirurgie. Er hat
wesentlich zur Vereinigung der Kinderchirurgen in Deutschland beigetragen.
Als Klinikchef war Fritz Meißner gefürchtet und geliebt. Seine intellektuelle Ehrlichkeit, Toleranz, Geradlinigkeit, seine
Strenge und Gutmütigkeit hielten die emotionelle Waage und waren Lehrbeispiel für
seine Schüler. Bildung bedeutete für ihn
intellektuelle Bescheidenheit und humane
Existenz, seine größte politische Sorge war
die Erosion der Grundwerte. Musik war
sein Schlüssel für das andere, entspannte
Ich. Aber er pflegte auch den persönlichen
Kontakt und den geselligen Umgang. Fröhliche Runden bleiben in Erinnerung und
mancher Rat an solchen Abenden hat den
eigenen Weg bestimmt.
Der Alma mater Lipsiensis war Prof. Meißner 60 Jahre lang verbunden. Als Ehrensenator nahm er aktiv am Universitätsleben
teil. 1995 verlieh die Leipziger Universität
Fritz Meißner den Titel eines Dr. honoris
causa für besondere Verdienste. Selbst als
83-jähriger, inzwischen leicht nach vorn
geneigter großer Mann, beeindruckte er
durch seine Ausstrahlung und sein Interesse an allen Angelegenheiten seiner Universität.
Die Sepp-Herberger-Frage …
Folgender Brief von Dr. Barbara Herberger
erreichte die Journal-Redaktion nach der
Todesnachricht im vergangenen Heft:
Am frühen Abend des 6. Mai 2003 nach
dem Festakt im Leipziger Alten Rathaus
(Die Juristenfakultät hatte Hans-Dietrich
Genscher die Ehrendoktorwürde verliehen,
d. Red.) überquerte vor mir in einiger Entfernung ein festlich gekleideter Mann
mühsam gehend und immer wieder stehen
bleibend den Platz vor der Uni. Ich beeilte
mich, näher zu kommen, um eventuell helfen zu können. Da erkannte ich Professor
Meißner, dessen Studentin ich früher war.
Ich sprach ihn an, er blieb stehen. Auch er
kam vom Festakt.
Es war bewegend, zu sehen, wie sich sein
anfangs von Schmerzen gezeichnetes Gesicht im Laufe des Gespräches entspannte
und seine Augen manchmal geradezu
spitzbübisch blitzten. Ich hatte nämlich ein
Geheimnis, das ich nun preisgab: Ich
verriet ihm, dass ich ihn als junge StudenHeft 2/2004
tin zur Chirurgieprüfung angeschwindelt
hatte. Er hatte nämlich damals, als er meinen Namen auf dem Prüfungsbogen las,
gefragt, ob ich mit dem berühmten Sepp
Herberger verwandt sei.
Blitzschnell kam mir der Gedanke, dass es
nur von Vorteil sein könne, einem Fußballfan, wie er einer war, diese Frage zu bejahen, wenn auch zu Unrecht und mit
schlechtem Gewissen. Die Prüfung verlief
glanzvoll.
Jetzt, nach fast 40 Jahren, lachte Professor
Meißner herzlich über diese Anekdote und
erteilte mir auf der Stelle Absolution. Wir
schwatzten noch ein paar Minuten, doch
dann sagte er: „So, ich muss weiter, gleich
wird das Champions-League-Spiel Juventus Turin gegen Real Madrid übertragen
das muss ich sehen. Machen Sie’s gut!“
Heute weiß ich, weshalb ich damals
lachend und weinend zur Straßenbahn lief
– ich ahnte, dass es meine letzte Begegnung mit diesem wunderbaren Menschen
sein würde.
Nachruf für
Kinderkardiologen Bock
Gefürchtete
Visiten
Im Alter von 81 Jahren verstarb in Leipzig am 7. Januar Prof. Dr. Karl Bock.
Er wurde in Brandis geboren und studierte in Jena,
Halle und Leipzig Medizin. Nach einer Assistenzzeit am St. Georg ging er 1951 an die Universitätskinderklinik Leipzig unter Prof.
Albrecht Peiper. Karl Bock gehörte zu den
ersten Kinderärzten Deutschlands, die das
gerade entstehendem Gebiet der Kinderkardiologie maßgeblich prägten. Wegzeichen dieser Entwicklung sind seine Habilitationsschrift „Die vektorielle Deutung
des EKG bei angeborenen Vitien“ (1960)
und die Monographie „Missbildungen des
Herzens und der großen Gefäße“(1974) –
das Ergebnis der Arbeit in der Leipziger
kardiologischen Arbeitsgemeinschaft mit
dem Kardiologen H. Trenckmann, dem Pathologen F. Spreer und dem Herzchirurgen
M. Herbst. Nach vorbereitenden Bemühungen unter Leitung von Bock entstand
Anfang der 70er Jahre aus einer Arbeitsgruppe die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Kardiologie in der Gesellschaft für
Pädiatrie der DDR. Trotz aller Schwierigkeiten gelang es Bock, internationale Kontakte zu knüpfen und zu pflegen.
Als 1. Oberarzt und Stellvertretender Klinikdirektor hat Bock über viele Jahre seinen Schwerpunkt nicht nur in der Kinderkardiologie gesehen, sondern sich für die
gesamte Pädiatrie verantwortlich gefühlt
und ein großes Spektrum an klinischen und
organisatorischen Aufgaben bewältigt. Berühmt und von manchen gefürchtet waren
seine Visiten, bei denen er stets den klinischen Befund in den Mittelpunkt stellte,
kritisch hinterfragte und oft genug selbst
erhob. Das Themenspektrum seiner Publikationen reichte weit über die Kinderkardiologie hinaus. Zudem betreute er
zahlreiche Doktoranden.
Karl Bock war nicht der Mensch, der sich
von Widrigkeiten klein kriegen ließ. Sie
forderten ihn heraus. Und er lebte unermüdlich vor, wie man mit Konsequenz,
Einsatz, Bescheidenheit und strenger Disziplin die anstehenden Aufgaben und Probleme bewältigt und prägte so nachhaltig
seine Mitarbeiter. Prof. Dr. Peter Schneider
39
Personalia
Bedeutende Impulse,
bedeutende Ehrungen
Nachruf für den Veterinärmediziner
Professor Herbert Gürtler
Am 10. Februar verstarb nach schwerer
Krankheit Prof. Dr. med. vet. habil. Dr. h.c.
mult. Herbert Gürtler im Alter von 71 Jahren. Die Universität Leipzig und ihre Veterinärmedizinische Fakultät haben einen
herausragenden Wissenschaftler und
Hochschullehrer verloren, der als Gründungsdekan die Weichen dafür stellte, dass
die Fakultät wieder einen hervorragenden
Platz unter den Veterinärmedizinischen
Fakultäten Deutschlands einnimmt.
Herbert Gürtler blieb seiner Fakultät von
Beginn seiner akademischen Laufbahn bis
zu seiner Emeritierung verbunden. Er studierte in Leipzig Veterinärmedizin und
wurde hier wissenschaftlicher Assistent.
Zu seinen verehrten Lehrern gehörten Prof.
Dr. Lucas Felixmüller und Prof. Dr. Dr. h.c.
mult. Wilhelm Schulze. Von 1957 bis zu
seinem Ausscheiden aus dem Berufsleben
1997 durchlief er seine wissenschaftliche
Karriere am Veterinär-Physiologisch-Chemischen Institut, zunächst als Leiter der
Abteilung für Ernährungsphysiologie
(1960–1969), nach Habilitation (1966) als
Dozent für Tierbiochemie (1970) und
außerordentlicher Professor (1980) und
schließlich als Professor für Physiologische Chemie (1992) und Leiter des Instituts.
Er war ein begeisterter und begeisternder
akademischer Lehrer und Wissenschaftler,
Herausgeber und Mitautor grundlegender
veterinärmedizinischer Lehr- und Handbücher, Mitglied von Beiräten und Redaktionen wissenschaftlicher Zeitschriften
und Autor von mehr als 200 Publikationen
in wissenschaftlichen Fachzeitschriften
des In- und Auslandes. Seine profunden
Kenntnisse und akademischen Erfahrungen brachte er als Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gremien ein, z. B. in der
Deutschen Akademie der Naturforscher
(Leopoldina) und in der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt.
Als Dekan gestaltete er entscheidend die
Wiederbegründung einer selbstständigen
40
Veterinärmedizinischen Fakultät. Er bewältigte die schwere Aufgabe der strukturellen und personellen Erneuerung der Fakultät, eine Tätigkeit, die ihn oft an die
Grenzen der Gesundheit brachte. Dies alles
gelang ihm ohne die studentische Ausbildung, die Forschungsarbeit sowie die tierärztliche Dienstleistung für die Bevölkerung der Stadt Leipzig und des Umlandes
zu vernachlässigen.
Unter seiner Leitung wurde die Mehrzahl
der vakanten bzw. neu geschaffenen Professuren mit kompetenten Fachvertretern
besetzt. Die bauliche Erneuerung der großenteils unter Denkmalschutz stehenden Gebäude wurde tatkräftig in Angriff genommen. Mit der Erarbeitung der Zielplanung
wurde das gegenwärtige moderne Gesicht
der Fakultät vorbereitet. Wichtige Impulse
setzte er mit der Wiederbelebung akademischer Traditionen wie der Auszeichnung
mit Ehrenpromotionen, die Verleihung des
Goldenen Doktordiploms, der Verleihung
der „Oskar-Röder-Ehrenplakette“ an verdiente Persönlichkeiten. Auf seine Initiative hin wurde auch der Freundeskreis
Tiermedizin der Veterinärmedizinischen
Fakultät e.V. berufen und die „Fakultätsumschau“ als Publikationsorgan begründet. Seine Verdienste um die Wiederbegründung und demokratische Erneuerung
der Fakultät nach 1990 wurden durch die
Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse (1996) und mit der CasparBorner-Medaille der Universität Leipzig
(1994) besonders gewürdigt.m
Darüber hinaus unterstützte er als Dekan
die sich entwickelnde berufsständische
Selbstverwaltung im Land Sachsen. Dafür
wurde er mit der Verdienstmedaille der
Sächsischen Landestierärztekammer für
besondere Verdienste um den tierärztlichen
Berufsstand ausgezeichnet.
Für seine herausragenden Leistungen als
akademischer Lehrer und für sein gesamtes wissenschaftliches Werk, welches der
Beförderung der veterinärmedizinischen
Wissenschaften diente, wurde Prof. Gürtler 1998 die Würde und der Grad eines
Doctor medicinae veterinariae honoris
causa des Fachbereiches Veterinärmedizin
der Freien Universität Berlin sowie der
Universität für Veterinärmedizin und Pharmazie in Brno verliehen. Die bedeutenden
wissenschaftlichen Leistungen von Prof.
Gürtler für die veterinärmedizinische
Wissenschaft fanden Anerkennung durch
die Verleihung der Oskar-Röder-Ehrenplakette (Leipzig, 1980), der Jozsef-Marek-Gedenkmedaille der Veterinärmedizinischen Universität Budapest (1987), der
Friedrich-Müssemeier-Medaille
(Humboldt-Universität Berlin, 1990) und des
Martin-Lerche-Forschungspreises
der
Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft (1993).
Durch seinen festen Charakter, seine lautere Gesinnung und sein ehrliches Wesen
hat er in seinem langen Berufsleben viele
Freunde im In- und Ausland gefunden, mit
denen er bis zuletzt enge Verbindungen gepflegt hat.
Gotthold Gäbel, Herbert Fuhrmann,
Eberhard Grün
journal
Personalia | Habilitationen und Promotionen
Mitglied der BelterGruppe verstorben
Zum Tode Rolf Grünbergers
In den Jahren 1953 bis 1955
kehrten immer wieder ehemalige Leipziger Studenten
aus der Sowjetunion nach
Deutschland zurück. Es waren keine Kriegsgefangene,
auch hatten sie keine Verbrechen in der Sowjetunion
verübt. Zu diesen unschuldig Inhaftierten und Verschleppten gehörte auch der
1929 geborene Rolf Grünberger, der kürzlich am
12. Februar in Niederkassel-Rheidt gestorben ist.
Mit dem Neuaufbau nach dem Krieg erhoffte er sich, wie so viele andere, Verbesserungen hin zu einer demokratischen
Welt, die er nur aus Berichten Dritter
kannte. Im Juli 1949 bestand er das Abitur
an der Lessingschule in Kamenz und
konnte am 13. 10. 1949 sein Studium an der
Universität Leipzig, an der damaligen
Philosophischen Fakultät II, im Fach Chemie beginnen.
Damit nahm er sein Studium in Leipzig in
einer Zeit voller Umbrüche und Wirren
auf. Wenn sich auch langsam abzeichnet,
welchen Weg die Universität Leipzig in den
nächsten Jahren bis hin zur Karl-MarxUniversität Leipzig gehen würde, so ist
doch noch vieles offen und bürgerliche
Professoren konnten den Studenten ihre
Lebenserfahrungen und ihr Demokratieverständnis mit auf den Weg geben. Hinzu
kamen politische Ungerechtigkeiten und
Repressalien: nach der letzten großen Verhaftungswelle unter den Studenten 1948
war öffentlicher Protest nicht mehr möglich. Die militante Indoktrinierung bewirkte jedoch auch Gegendruck: Eine
Schar Gleichgesinnter um den Studenten
Herbert Belter, tauschte die vom RIAS in
Berlin erhaltenen Informationen aus und
lieferte Berichte über die tatsächlichen
Vorgänge in Leipzig.
Belter will mit einer Flugblattaktion gegen
den geplanten Wahlbetrug bei den ersten
Volkskammerwahlen 1950 auf die neue,
diesmal rote Diktatur aufmerksam machen,
wird dabei jedoch verhaftet. In den nächsHeft 2/2004
ten Tagen konstruiert daraus
der russische Geheimdienst
„antisowjetische Gruppenbildung und Spionage.“ Gemeinsam mit sieben weiteren Kommilitonen und einem Handwerker wird Rolf
Grünberg im Januar 1950
von einem russischen Militärgericht zu 25 Jahren
Zwangsarbeit verurteilt und
nach Workuta verschleppt.
Herbert Belter wird zum
Tode verurteilt und später in
Moskau erschossen. Die
künftigen Zwangsarbeiter werden in den
„Archipel Gulag“ verschleppt. Rolf Grünberg kommt nach Workuta, wo er unter katastrophal harten Bedingung auf Baustellen und im Steinkohlebergbau arbeiten
muss. Erst 1953 kann er mir seinen Angehörigen erstmals Kontakt aufnehmen –
durch eine zensierte Postkarte. Rolf Grünberg gehörte zu den Glücklichen, die bereits 1953 in die Heimat zurückkehren
durften. Aber auch dort findet er keine
Ruhe: „Im Januar 1954 Flucht nach Westberlin, nachdem der Staatssicherheitsdienst versucht hatte mich als IM anzuwerben; er versuchte mich zu erpressen, da
ich ‚nur‘ dreieinviertel Jahre statt 25 Jahre
verbüßt hatte.“ In Westdeutschland
schließt er eine Ausbildung als Chemotechniker ab und arbeitet bis zum Jahr 1986
in der chemischen Industrie. Von 1975 bis
1989 ist er als Mitglied des Stadtrates von
Niederkassel tätig. Rolf Grünberg war verheiratet und hat einen Sohn. Im Jahre 1994
erhielt er endlich, wie alle unschuldig Inhaftierten der Belter-Gruppe, den offiziellen Rehabilitierungsbescheid durch die
russische Justiz.
Die Universität Leipzig widmete ihren
verfolgten, inhaftierten und ermordeten
Angehörigen bereits 1996 eine größere
Ausstellung. In der Universitätsbibliothek
befindet sich im öffentlichen Bereich das
Ehrenbuch der Universität, in dem auch der
Name und das Schicksal von Rolf Grünberg verzeichnet sind.
Jens Blecher und Gerald Wiemers
Habilitationen
Medizinische Fakultät
Dr. Rüdiger Lessig (1/04):
Y-chromosomale DNA-Polymorphismen
Dr. Daniel Huster (3/04):
Festkörper-NMR-Untersuchungen zur Struktur und
Dynamik membrangebundener und fibrillenbildender
Proteine
Philologische Fakultät
Dr. Andreas Herzog (1/04):
Judentum und Modernekritik. Figurationen des ,JudeSeins‘ in Romanen deutschsprachiger jüdischer
Schriftsteller
Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie
Dr. Peter Gärtner (1/04):
Demokratie im Dilemma der Wiederholbarkeit. Ausformung und Überwindung der zentralamerikanischen Regimebifurkation im historischen Langzeitvergleich
Dr. Heidrun Zinecker (1/04):
Kolumbien und El Salvador im longitudinalen Vergleich – ein kritischer Beitrag zur Transitionsforschung aus historisch-struktureller und handlungstheoretischer Perspektive
Fakultät für Geschichte, Kunstund Orientwissenschaften
Dr. Joost Hazenbos (12/03):
„Wir stellen eine Orakelfrage“: Untersuchungen zu
den hethitischen Orakeltexten
Dr. Uwe Schirmer (12/03):
Kursächsische Staatsfinanzen (1456–1656). Strukturen – Verfassung – Funktionseliten
Theologische Fakultät
Dr. Martina Böhm (2/04):
Rezeption und Funktion der Vätererzählungen bei
Philo von Alexandria
Promotionen
Erziehungswissenschaftliche Fakultät
Monika Dietzold (4/03):
Geschlechterverhältnisse in mathematischen und naturwissenschaftlichen Lernfeldern. Eine international
vergleichende Untersuchung.
Solveig Jobst (4/03):
Bestimmungselemente europäischen Bewusstseins
und deren Verankerung im intendierten Curriculum
sächsischer und tschechischer Schulen – theoretische
Diskussion und vergleichende Analyse.
Nicole Lamm-Hanel (7/03):
Mutter-Kind-Interaktion in Überschreitungssituationen: Kritik, empirische Überprüfung und Weiterentwicklung von M. L. Hoffmans Taxonomie mütterlicher Erziehungsmaßnahmen.
Claudia Nounla (12/03):
Selbst und unterstützt. Erwachsenenlernen im Spannungsfeld von Eigenaktivität und institutionellem
Angebot.
Dessu Wirtu Hunde (12/03):
Erwachsenbildung und ethnische Politik: Zu Problemen bildungspolitischer und demokratischer Entwicklung in Äthiopien.
Philologische Fakultät
René Ceballos (1/04):
Der transversalhistorische Roman in Lateinamerika m
Beispiel von Augusto Roa Bastos, Gabriel Garcia
Marquez und Abel Posse
41
Habilitationen und Promotionen
Dorothea Uhle (1/04):
Der Erzählzyklus Boži muka von Karel Čapek zwischen Avantgarde, Zivilisationskritik und amerikanischem Pragmatismus
Alexandra Lembert (2/04):
Alchemy in Contemporary English Literature
Untersuchung über die bulgarische Herrschaft in
Vardar-Makedonien 1915 –1918 und 1941–1944
Britta Schülein (2/04):
Wirtschaft und wirtschaftliches Handeln bei den
Yoruba. Ein Beitrag zur raumtheoretischen Diskussion in Westafrika
Fakultät für Mathematik und Informatik
Ursula Beate Ludwig (1/04):
Morsetheorie auf stratifizierten Räumen
Theologische Fakultät
Thomas Böttrich (1/04):
Schuld bekennen – Versöhnung feiern: Die Beichte im
lutherischen Gottesdienst
Harald Rabe (1/04):
Die Veränderung im Freiheitsverständnis von Franz
Volkmar Reinhard durch die Aufnahme lutherischer
Theologie
Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie
jeweils 1/04:
Ronny Kraus:
Abstraktion und abstrakte Gegenstände. Zur Explikation des Begriffs der Abstraktion
Uwe Wiedemann geb. Haase:
Theorie der epistemischen Rechtfertigung
Achim Arnal:
Die Bedeutung ökonomischer Faktoren bei der Bildung strategischer Allianzen zwischen Nationalstaaten – Eine Untersuchung des Axelrod-Benett-Modells
Elmar Janssen:
Die USA, die EU und das Ziel einer nahöstlichen Friedensordnung: Differierende Transformationsansätze
und gemeinsame Dilemmata unter besonderer Berücksichtigung konfliktimmanenter Regionalstrukturen, 1991–2002
Sportwissenschaftliche Fakultät
jeweils 1/04:
Silke Graf:
Wettkampfanalyse in der Rhythmischen Sportgymnastik – Anteil der leistungskennzeichnenden Merkmale Choreographie und individueller Ausdruck an
der Wettkampfleistung
Jörg Hagenah:
Sportrezeption und Medienwirkung
Heike Streicher:
Effekte einer therapeutischen Rückenschule unter
besonderer Berücksichtigung eines propriozeptivkoordinativen Trainings
Fakultät für Geschichte, Kunstund Orientwissenschaften
Regine Qualmann (10/03):
South Africas Reintegration Into World and Regional
Markets. Trade Liberalisation and Emerging Patterns
of Specialisation in the Post-Apartheid Era
Anja Morgenstern (11/03):
Die Oratorien von Johann Simon Mayr (1763–1845).
Studien zu Biographie, Quellen und Rezeption
Birgit Mitzscherlich (11/03):
Diktatur und Diaspora. Das Bistum Meißen 1932 bis
1951
Sabine Borchert (11/03):
Herzog Otto von Northeim (um 1025–1083). Reichspolitik und personelle Netzwerke
Zhenjing Li (12/03):
Das chinesische Innovationssystem – Eine Analyse
der Informations- und Elektronikindustrie in Qingdao
Katharina Susanne Schleif (12/03):
Mündliche Kompetenz im akademischen Arabischunterricht – Analyse zur Vermittelbarkeit der arabischen Sprachvarietäten
Andreas Wagner (1/04):
„Machtergreifung“ in Sachsen. NSDAP und Landesverwaltung in der Endphase der Weimarer Republik
und im beginnenden NS-Staat (1930–1935)
Björn Opfer (2/04):
Im Schatten des Krieges. Besatzung oder Anschluss –
Befreiung oder Unterdrückung? Eine komparative
42
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Heiko Dietz (01/04):
Marktnahe Arbeitsformen – eine ökonomisch-rechtliche Analyse
Markus Bartscherer (02/04):
Investor Relations in Versicherungsunternehmen
(-konzernen)
Fakultät für Physik und Geowissenschaften
jeweils 2/04:
Norbert Klitzsch:
Ableitung von Gesteinseigenschaften aus Messungen
der spektralen induzierten Polarisation (SIP) an Sedimentgesteinen
Martin Schubert:
3D-Ultraschallmikroskopie – Neue Möglichkeiten in
der konfokalen Akustischen Mikroskopie mit Amplituden- und Phasenkontrast
Igor Drozdov:
Vacuum Energy of Quantum Fields in Classical Background Configurations
Medizinische Fakultät
jeweils 10/03:
Ulrike Müller:
Endoskopische Lokalinstillation von Amphotericin B
zur Behandlung der invasiven pulmonalen Aspergillose
Volker Rathke:
Fast-track intensivtherapie nach herzchirurgischem
Eingriff in Zusammenhang mit präoperativem Scoring
Wibke Reinhard:
Feinanalyse des Cyclin B2 Promoters
Ulrike Roschlau:
Prognoserelevante Faktoren bei Zervixkarzinomen
der FIGO-Stadien III und IV
Helko Sander:
Die Bluttransfusion in der Deutschen Wehrmacht
während des Zweiten Weltkrieges (1939–1945)
Elke Schlenzig:
Entwicklung, Durchführung und Evaluation eines
Ausbildungsprogrammes zur persönlichen Auseinandersetzung mit dem Sterben und Tod für Medizinund Psychologiestudenten
Markus Schreder:
Etablierung einer kombinierten zytologisch-zytogenteischen Methode (PAPP-FISH) am Beispiel der
Erfassung des Chimärismus nach modifizierter peripherer Blutstammzelltransplantation
Mark Sellmann:
Odontogene Entzündungen im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich. Eine Untersuchung unter sozio-demographischen Aspekten
Enrico Semmer:
Experimentelle Untersuchungen zur Bestimmung von
Leistung und Standzeit diamantierter Präparationsinstrumente
Thomas Senft:
Polarisationsoptische, morphometrische und immunhistochemische Untersuchungen an den kollagenen
Strukturen in arteriellen Gefäßen bei Ratten
Claudius Erik G. Soukup:
Muskelfasertypen, Myosin-Isoformen und kontraktile Eigenschaften des M. digastricus der Ratte
Thomas Wiener:
BSP-Antikörper: Optimierung der Anwendung in
vitro und im Schnitt
Thomas Zenker:
Rekanalisation chronisch verschlossener Koronararterien mittels Laserdraht – Akutergebnisse und klinischer Langzeitverlauf
Oliver Sinnreich:
Rolle des Alpha-2-Makroglobulins – ein Proteinaseinhibitor und Zytokinbindungsprotein – in der Pathogenese des Prostatakarzinoms
Dipl.-Psych. Angela Werrmann:
Fatigue und Depressivität bei Depressiven und in der
Allgemeinbevölkerung
Annett Kobler:
Stereotaktischer Hirnatlas der Wachtel (Coturnix
japonica)
Heiko Hänel:
Detektion von Mutationen in den Tumorsuppressorgenen p53, p21, p16 sowie dem Apoptoseagonisten
BAX und Korrelation zu den klinischen Prognosefaktoren bei nichtkleinzelligen Lungentumoren
Matthias Dittmann:
Elektromedizinische Apparate im 19. Jahrhundert
unter Berücksichtigung entsprechender Exponate der
Medizinhistorischen Sammlung des Karl-SudhoffInstituts
Susanne Kichmann:
Untersuchungen zum vorzeitigen Blasensprung bei
Zwillingsgeburten vor 37.0 Schwangerschaftswochen
Kerstin Eggers:
Häufigkeit vancomycinresistenter Enterokokken am
Universitätsklinikum Leipzig
Angela Seidel:
Untersuchungen zu Kinetik und Toxizitätsprofil von
Bendamustin unter den Bedingungen von mittelgradig bis schwerem Tumor-/Metastasenbefall und Funktionseinschränkungen der Leber
Astrid Kruppa:
Untersuchungen zur Avidität spezifischer IgG-Antikörper mit dem Enzyme-Linked-ImmunosorbentAssay (ELISA) bei Syphillis
Kathrin Hodak:
Immunpräzipitation von Thyreotropin-RezeptorAntikörpern mit in vitro synthetisiertem ThyrotropinRezeptor und Nutzung der Methode für Epitopstudien
Antje Gerbeth:
Perinatales Risiko bei Blutungen in der Schwangerschaft
Pia Richter:
Die ersten wissenschaftlichen Assistentinnen und
Habilitandinnen der Leipziger Medizinischen Fakultät
Katrin Schuchardt:
Molekularbiologische Untersuchungen des Natrium/
Jodid-Symporters in kalten Schilddrüsenknoten
Kai Kendziorra:
Evaluierung myokardialer Perfusionsveränderungen
durch Ausdauertraining im Vergleich zu perkutaner
transluminaler koronarer Angioplastie (PTCA) bei
Patienten mit stabiler koronarer Herzerkrankung –
eine randomisierte klinische Studie
journal
Jubiläum 2009
Kommission stellt sich vor
Historie
im Blick
Ein Leipziger Student rühmt 1570 seine
Universität als einen zentralen Umschlagplatz („emporium“) der Wissenschaften
und ihrer Disziplinen. In vielen Phasen
ihrer bald 600-jährigen Geschichte ist die
Alma mater Lipsiensis diesem Ruf gerecht
geworden. Als zweitälteste akademische
Institution ihrer Art in der Bundesrepublik
Deutschland hat sie mit kontinuierlicher
Ausstrahlung wissenschaftliche und kulturelle Ausdifferenzierungsprozesse, aber
auch politische und gesellschaftliche
Wandlungsprozesse nicht nur „erlebt“, sondern mitgestaltet. Dies lässt sich an den hohen Immatrikulationszahlen von Studenten
ebenso ablesen wie am hohen wissenschaftlichen Profil der Hochschullehrer zu
allen Zeiten.
Dieses Erbe rückt mit dem nahenden Jubiläum verstärkt ins Bewusstsein. Um den
interdisziplinären Austausch, dem Wissenschafts- und Universitätsgeschichte heute
gerecht werden müssen, zu fördern, hat die
Universitätsleitung zunächst eine Arbeitsgruppe, seit Anfang 2003 die „Kommission zur Erforschung der Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte“
ins Leben berufen. Ihre Mitglieder sind:
Prof. Dr. Enno Bünz, PD Dr. Dr. Detlef
Döring, Prof. Dr. Ulrich von Hehl, Prof. Dr.
Günther Heydemann, Prof. Dr. BerndRüdiger Kern, Prof. Dr. Dieter Michel,
Prof. Dr. Dr. Ortrun Riha, Prof. Dr. Manfred Rudersdorf (stellv. Vorsitz), Prof. Dr.
Dr. Günther Wartenberg (Vorsitz), Prof.
Dr. Gerald Wiemers, Prof. Dr. Hartmut
Zwahr. Als wissenschaftliches Forum erscheint seit 2002 die Reihe „Beiträge zur
Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte“ (BLUWiG).
In Kooperation mit der Redaktion des
Uni-Journals sollen in zukünftigen Heften
in regelmäßigen Abständen Beiträge mit
kurzen Portraits in der neuen Reihe „Gesichter der Uni“ erscheinen und so die Rubrik Jubiläum 2009 weitere Bereicherung
finden. Dabei sind unter anderem regelmäßige Kurzbiographien von Universitätsangehörigen verschiedenster Jahrhunderte
geplant, darunter auch der Opfer der Diktaturen des 20. Jahrhunderts.
Andreas Gößner, Kommission
Heft 2/2004
Die neue Journal-Serie:
Gesichter
der Uni
Valentin Friderici
(aus der Porträtsammlung der
Universitätsbibliothek)
Die Kommission ist in ihrer gesamten
Arbeit auf Impulse aller Angehörigen
und disziplinären Einrichtungen der Universität angewiesen. Ihre Mitglieder wollen sich deshalb nachdrücklich um Austausch bemühen, die Kontakte zur Kommission erhalten sie über die Mitglieder
oder über die folgenden Mailadressen:
[email protected]
[email protected]
Valentin Friderici begann sein Berufsleben als Messerschmied. Als 15-jähriger
immatrikulierte sich der gebürtige
Schmalkaldener 1645 an der Universität
Leipzig und erwarb dort 1653 den Magistergrad. Daran schloss sich eine fast 50jährige Lehrtätigkeit an der Universität in der
Messestadt an. Die nächste Station seiner
akademischen Laufbahn war 1664 die Ernennung zum Assessor an der Philosophischen Fakultät, später wurde er Kollegiat
am Großen Fürstenkolleg, eine Stellung,
die ihm an der Universität den Unterhalt
sicherte. Seit Mitte der 1660er Jahre sind
unter seinem Vorsitz zahlreiche Disputationen zu philosophisch-moralischen,
philologisch-hebraistischen und theologischen Themen veranstaltet worden und
später auch im Druck erschienen. Zu den
bemerkenswertesten Schriften dieser Art
gehört der Disputationsdruck „Über die
Duldung der Religionen“ von 1669. Die
hierin enthaltene zentrale These ist die der
Toleranz gegenüber allen Religionen seitens der politisch Verantwortlichen, und
zwar ohne den Standpunkt der Religionsgemeinschaften zu verletzen. Bei dieser
Disputation Fridericis war Theophil Lessing, der Großvater des Schriftstellers der
Aufklärung Gotthold Ephraim Lessing, als
sogenannter Respondent maßgeblich beteiligt.
Seine wissenschaftliche Arbeit führte
Friderici auch zum Erwerb akademischer
Grade an der Theologischen Fakultät, an
der er 1666 zum Baccalaureus und 1698
zum Licentiaten promoviert wurde. Seit
1692 hatte er die mit der Theologischen
Fakultät eng verbundene Professur für Hebräische Sprache inne. In leitenden Funktionen finden wir Friderici zwischen 1668
und 1696 fünfmal als Dekan der Philosophischen Fakultät sowie 1700 als Rektor
magnificus. Der unverheiratete Friderici
stiftete testamentarisch sein Vermögen für
drei wohltätige Zwecke: die Stiftung eines
Freitisches im Konvikt, die Stiftung einer
Geldsumme zugunsten der Witwenkasse
der Philosophischen Fakultät und die Stiftung von Büchern für die Ratsschule. Seine
Grabplatte aus Sandstein in Gestalt einer
von zwei Putten und einem Totenkopf bekrönten Tuchdraperie trägt eine lateinische
Inschrift, die seine Ämter und seine Wohltätigkeit würdigt. Sie befindet sich heute
unter den Grabplatten, die am Universitätshauptgebäude in der Grimmaischen
Straße hinter Glas für die Öffentlichkeit
sichtbar ausgestellt sind.
Andreas Gößner
43
Jubiläum 2009
Das „Gefäß
der Bestimmung“
Über die bedeutsame
„Böhmische Tafel“ in der
Kunstsammlung der Universität
Von Prof. Dr. Frank Zöllner, Institut für Kunstgeschichte
Kein anderes Werk aus dem Kunstbesitz
der Universität Leipzig ist mit deren Gründungsmythos so eng verknüpft wie die
sogenannte „Böhmische Tafel“: Im Jahre
1409, mit dem Auszug der „Angehörigen
Deutscher Nation“ aus Prag, sei die Tafel
mit nach Leipzig gelangt und später zu
einem wichtigen Element der „Identifikation der heutigen Universität mit ihrer fast
sechshundertjährigen Geschichte“ geworden. Für diese und andere Legenden fehlen
allerdings konkrete Anhaltspunkte. Außer
Frage steht lediglich die überragende Bedeutung der Tafel: Sie ist ein wichtiges
Zeugnis mittelalterlicher Kunst in Leipzig
und nimmt in der Ikonographie des Mittelalters eine Sonderstellung ein.
Bereits die Herkunft des Gemäldes gibt
Rätsel auf. Im 19. Jahrhundert war die
„Böhmische Tafel“ zwischenzeitlich zum
Mittelbild eines Altarretabels umfunktioniert worden. Aus dieser Zeit stammt auch
die Annahme, das Gemälde sei ursprünglich Teil eines größeren Retabels gewesen.
Eine solche Annahme ist unbegründet, zumal wir kaum etwas darüber wissen, wo
genau sich das Gemälde vor dem 19. Jahrhundert befunden hat. Einige ikonographische Besonderheiten allerdings legen die
Vermutung nahe, dass die „Böhmische
Tafel“ in einem dominikanisch geprägten
Umfeld wie der Leipziger Paulinerkirche
entstanden ist.
Die ohne den neuzeitlichen Rahmen 115,5
auf 126,5 cm messende Holztafel ist beidseitig bemalt. Auf der heute dem Betrachter abgewandten Seite findet sich eine Darstellung der Verkündigung (untere Abb.
S. 45): Der Erzengel Gabriel tritt von links
an die Jungfrau Maria heran, die rechte
Hand zum Gruß erhoben, in der linken das
Schriftband mit den Grußworten „Ave
44
gratia plena dominus tecum“. Gegenüber
dem Erzengel sitzt Maria unter einer baldachinartigen Architektur. Den Blick etwas
versonnen vom eigentlichen Geschehen
abgewandt, empfängt sie die Nachricht ihrer Bestimmung, den Gottsohn zu gebären.
Ihr einziges Requisit ist ein Buch, das ungefähr im Zentrum des Bildes auf einem
steinernen Lesepult ruht. Die reichliche
Verwendung von Gold für den Hintergrund
und die Nimben der Figuren sowie deren
symmetrische Anordnung vermitteln einen
archaischen Eindruck.
Rätselhaft mutet auch das Geschehen auf
der anderen Bildseite an (obere Abb. S. 45):
Links im Bild hat sich eine nimbierte und
rot gewandete junge Frau auf einer steinernen Bank niedergelassen. Mit beiden Händen hält sie ein Gefäß, das sie einem rechts
neben ihr sitzenden Dominikanermönch zu
präsentieren scheint. Der junge Mann registriert das Geschehen mit verhaltenem
Blick, verharrt ansonsten aber hinter seinem Lesepult. Mit der linken Hand drückt
er die noch unbeschriebene Seite eines
Buches nieder, mit einer Feder in seiner
rechten setzt er zum Schreiben an. Die
symmetrische Anordnung der beiden Figuren ähnelt der Gegenüberstellung von
Gabriel und Maria auf der anderen Seite
der Tafel. Allerdings gibt es auch einige
Unterschiede. An die Stelle des Goldgrundes tritt ein grüner Hintergrund, das Kolorit wirkt insgesamt heller, was u. a. damit
zusammenhängt, dass die Verkündigung an
Maria weitgehend in Öl gemalt ist, die
Seite mit dem Dominikanermönch hingegen mit Tempera.
In der Forschung hat sich die Meinung festgesetzt, dass die mit Tempera ausgeführte
Seite den hl. Dominikus zusammen mit
Maria Magdalena darstelle und dass es sich
bei dem „geheimnisvollen“ Gefäß um das
„vas electionis“ als Symbol der Unbefleckten Empfängnis Mariens handele.
Hier sind offenbar Dinge durcheinandergeraten, die nichts miteinander zu tun haben:
Maria Magdalena, „Vas electionis“ und
Unbefleckte Empfängnis. Wahrscheinlich
lag August Schmarsow, Professor für
Kunstgeschichte an der Universität Leipzig, richtig mit seiner 1903 publizierten
Annahme, dass es sich bei der jungen Frau
nicht um Maria Magdalena handele, sondern um Maria, die dem hl. Dominikus das
„vas electionis“ überreiche. Dieses „Gefäß“ der Erwählung, das Schmarsow wahrscheinlich von einer Paulusdarstellung auf
Filaretes Bronzetür in St. Peter zu Rom
kannte, entstammt der paulinischen Ikonographie und hat seinen Ursprung in jenem
Teil der Apostelgeschichte, in dem es um
die Bekehrung des Christenverfolgers
Saulus zum Apostel Paulus geht. In der
entsprechenden Episode der Apostelgeschichte (Apg 9.15) sagt Gott über den
kurz vor seiner Bekehrung zum Christentum stehenden Saulus: „… dieser ist mein
auserwähltes Werkzeug (vas electionis),
dass er meinen Namen trage vor Heiden
und vor Könige und vor das Volk Israel“.m
Die korrekte Bezeichnung der heute in der
Kustodie als Vorderseite der „Böhmischen
Tafel“ ausgestellten Darstellung müsste
also lauten: Maria präsentiert einem Dominikaner das „vas electionis“. Bei dem
Dominikanermönch handelt es sich wahrscheinlich um den hl. Dominikus selbst,
und zwar im sogenannte „milden“ Typ, der
seit dem 14. Jahrhundert die „ernste“
Variante ablöste. Möglich, aber nicht sehr
wahrscheinlich wäre auch eine Identifizierung der Figur mit dem hl. Thomas von
Aquin, dessen bekannte Gelehrsamkeit
dann in dem dargestellten Buch zum Ausdruck käme. Wichtig für die Bildidee ist
jedoch vor allem, dass Maria das aus der
Apostelgeschichte bekannte „Gefäß der
Bestimmung“ einem Dominikaner präsentiert. Der tiefere Sinn dieser Darstellung
wird unmittelbar deutlich, wenn man sich
sowohl den Inhalt der Apostelgeschichte
als auch das Aufgabenspektrum des Dominikanerordens vor Augen hält. Im biblischen Bericht geht es nicht nur um die
Bekehrung des Saulus zum Paulus, sondern auch um den Beginn seiner Missionsund Predigtätigkeit als Heidenapostel. An
diesem Punkt der „Bestimmung“ des Paulus ergibt sich eine deutliche Parallele zu
den Dominikanern, deren Kirche in Leipzig dem Apostel Paulus gewidmet war. Tatjournal
Die „Böhmische Tafel“ eines unbekannten Meisters des späten 14. Jahrhunderts. Oben die Vorderseite: Maria
Magdalena und Heiliger Dominicus/
Vas electionis.
Unten die Rückseite: Verkündigung.
Um 1390, historischer Besitz aus der
Paulinerkirche, bis 1944 Nordwand
Nordchor. Kunstbesitz der Universität
Leipzig.
Fotos: Kustodie
sächlich agierten der hl. Dominikus und
die Brüder seines 1215 gegründeten „Ordo
fratrum praedicatorum“ ebenso wie Paulus
als Prediger und Missionare. Paulus als
Heidenapostel war für die Dominikaner
mithin eine ideale frühchristliche Identifikationsfigur. Es ist daher nur folgerichtig,
dass der hl. Dominikus auf der „Böhmischen Tafel“ von Maria das „paulinische“
Heft 2/2004
Gefäß als Symbol seiner Bestimmung präsentiert bekommt.
Wenn die Präsentation des „Gefäßes der
Bestimmung“ an Dominikus eine geschickte Kombination paulinischer und
dominikanischer Denkformen ist, dann
korrespondiert damit auch das Geschehen
auf der anderen Seite des Bildes mit der
„Verkündigung an Maria“: Ebenso wie
Maria vom Erzengel Gabriel ihre Bestimmung mitgeteilt bekommt, wird dem hl.
Dominikus und damit dem Dominikanerorden von der Jungfrau Maria durch das
„vas electionis“ die missionarische Aufgabe im Sinne des Paulus bedeutet.
Die inhaltlichen Bezüge zwischen Vorderund Rückseite der „Böhmischen Tafel“
hinsichtlich der Bestimmung Mariens
einerseits und den Aufgaben der Dominikaner andererseits lassen ein durchdachtes
inhaltliches Konzept erkennen. Von einem
nicht geringeren gedanklichen Niveau zeugen vielleicht sogar die formalen Unterschiede zwischen den beiden Seiten der
Tafel. So wirkt der Goldgrund in der Verkündigung an Maria aufgrund der Kostbarkeit des verwendeten Materials insgesamt prächtiger als das lichtere Kolorit auf
der Gegenseite. Generell signalisiert ein
Goldgrund einen archaischeren Stilmodus,
und dieses altertümelnde Stilelement entspricht der höheren Würde der Darstellung.
Tatsächlich ist die „Verkündigung an Maria“ hierarchisch betrachtet die vornehmere der beiden Szenen, denn sie markiert
den Beginn der Inkarnation, die Menschwerdung Gottes, während Dominikus als
„neuer“ Heiliger einer viel späteren Zeit
angehört und daher in einem anderen, weniger kostbar wirkenden Stilmodus dargestellt werden konnte. Der archaische Gestaltungsmodus mit Goldgrund war also
der „Verkündigung“ als der höherwertigen
Szene vorbehalten.
Auch wenn Fragen nach der ursprünglichen Funktion und dem ersten Aufstellungsort der „Böhmischen Tafel“ hier noch
nicht beantwortet und die theologischen
Dimensionen etwa des „vas electionis“ nur
gestreift werden konnten, bleibt festzuhalten, dass der Zusammenhang zwischen den
beiden Seiten des Gemäldes von einem
hohen intellektuellen Niveau und einer
ästhetischen Kompetenz der damaligen
Auftraggeber zeugt – sicherlich kein Stoff
für Legenden, aber immerhin Ansporn für
einen intellektuell anspruchsvollen und
ästhetisch kompetenten Umgang mit dem
kulturellen Erbe der Universität.
Die Anregung für den vorliegenden Artikel
ergab sich aus einer gemeinsam mit dem
Kustos der Universität, Dr. Rudolf Hiller
von Gaertringen, veranstalteten Seminarübung.
45
Titel-H_03 18.05.2004 11:04 Uhr Seite 1
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Mai/Juni 2004
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Heft 3/2004
CY CMY
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ISSN 0947-1049
Uni-Orchester vor Gewandhaus-Konzert:
„Mit großem Eifer dabei“
Eine Annäherung an Ernst Bloch:
Spuren in Leipzig
Universitätssammlungen:
Fundstücke von Fach zu Fach
Folge der Gesundheitsreform:
Probleme für das Präparieren
Essay zum Thema Schönheit:
Schnittmuster für die Identität
Sorabistik-Institut im Aufwind:
Eine Orchidee mit Zukunft
journal
Eine Studienreform zwischen Vision und Oktroi
„Bologna“ in Leipzig
Probedruck
EDITORIAL
Inhalt
Bologna-Ballade
UniVersum
Der Campus-Tag
Campus-Neugestaltung: Rektor im Interview
Enger mit Chile kooperieren
2
3
4
Gremien
Sitzung des Senats am 6. April
5
Forschung
Optische Finger
Nachrichten
7
8
Fakultäten und Institute
Probleme für das Präparieren
Pharmazeuten kooperieren mit Bundeswehr
Französisch-sächsische Kulturgeschichte
Sorabistik-Institut im Aufwind
UniCentral
Studienreform zwischen Vision und Oktroi
Konsekutive Studiengänge und Schlüsselqualifikationen
Der Osnabrücker Zwei-Fach-Bachelor
Das Bielefelder Konsekutivmodell
Mit dem „Checkheft“ zum Bachelor of Arts
Ein Clownfisch im Bologna-See
Information und Diskussion
9
10
11
12
14
16
18
19
20
21
22
Studiosi
Laufen für Olympia / Postkarten für Bildung
Sprecher des Uni-Orchesters im Interview
23
24
Personalia
Nachrufe
Geburtstage
Volker Bigl ins Amt eingeführt
Kurz gefasst
Ernst Bloch: Spuren in Leipzig
200. Geburtstag von Otto Linné Erdmann
Neu berufen
Koreaner Kang ist neuer Leibniz-Professor
Geschäftskonzepte prämiert
25–27
27/28
28
29
30
32
34
35
35
Essay
Schönheit – Schnittmuster für die Identität
36
Jubiläum 2009
Fundstücke von Fach zu Fach
Gesichter der Uni: Alfred Doren
75 Jahre Musikinstrumentenmuseum
38
39
40
Habilitationen und Promotionen
Am Rande
Nomen
Impressum
37
6
12
2
Zum deutschen Bildungsschatz gehört Goethes Parabel vom
Zauberlehrling, der die Abwesenheit seines Meisters nützt,
um endlich einmal selbst zu zaubern. Ein Besen dient ihm als
Versuchsobjekt: „Und nun komm Du alter Besen! Nimm die
schlechten Lumpenhüllen; bist schon lange Knecht gewesen:
Nun erfülle meinen Willen!“ Statt Schmutz zu kehren, soll er
Wasser tragen. Es klappt tatsächlich und zwar so gut, dass
eine gewaltige Überschwemmung droht. Voller Schrecken
merkt der Möchtegern-Magier, dass ihm das rechte Wort
fehlt, um den Spuk wieder zu stoppen: „Welch entsetzliches
Gewässer! Herr und Meister, hör mich rufen! – Ach, da
kommt der Meister! Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die
Geister, werd ich nun nicht los!“
Man könnte Goethes Opus auch Bologna-Ballade nennen:
die fatale Geschichte mutwillig freigesetzter Energien, die
außer Kontrolle geraten. Nur das Ende stimmt nicht: „In die
Ecke, Besen! Besen!“ – auf diesen Befehl und den Meister,
der ihn geben könnte, warten wir heute vergeblich. Doch
sollte man darüber verzweifeln? Kann man klaren Sinnes wollen, dass die Universität wieder in der Ecke zu landet? Als
abgenutzter Besen in lumpigen Hüllen, die schon lange nicht
mehr erkennen lassen, was sie einmal waren: ein stattliches
Gewand nach dem Schnittmuster Humboldts.
Sicher, der Bologna-Prozess hat noch etwas von jener nassen Flut, die dem Zauberlehrling fast zum Verhängnis geworden wäre. Doch je schneller die Universität ihre Fassung
wieder findet, desto eher kann aus der überraschenden Not
eine „nachhaltige“ Tugend werden: dadurch, dass etwas
Eigenes entsteht, bevor fremde Zwänge sich sammeln und
verlorenes Terrain zurück erobern.
Allem Anschein nach wird dieser Zeitpunkt auch genutzt,
nicht immer zwar, doch immer öfter. Hochfliegende Ziele, seit
ewigen Zeiten ein beliebtes Futter für großspurige Präambeln
und wortmächtige Reden, spiegeln sich unversehens im
schrittweisen Wandel der Universitätswelt wider: Berührungsängste schwinden, gemeinsame Projekte werden entdeckt, man wagt Risiken und findet Gefallen an Fremdem,
sogar das bürokratische Gehäuse bröckelt. Kurzum: Wo Lumpen waren, zieht Leben ein.
Unerhörtes passiert und wird bald Routine sein. Besen oder
Bologna – das ist keine Frage mehr.
Prof. Dr. Charlotte Schubert,
Prorektorin für Lehre und Studium
Zeichnung auf der Titelseite: oweiss.com
1
UniVersum
campus 2004
Massen auf
dem Markt der
Möglichkeiten
Ganz nah ran: Die Bienen-Exponate der
Veterinärmediziner erfreuten sich großer Beliebtheit.
Eine besondere sportliche Erfahrung:
Basketballspielen im Rollstuhl sitzend.
Journal
Mitteilungen und Berichte für die Angehörigen
und Freunde der Universität Leipzig
Impressum
Herausgeber: Der Rektor
Redakteur: Carsten Heckmann
Ritterstr. 26, 04109 Leipzig,
Tel. 0341/ 9 73 50 24, Fax 0341/ 9 73 50 29,
E-mail: [email protected]
V. i. S. d. P.: Volker Schulte
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die
Meinung der Autoren wieder.
Satz und Lithographie: DZA Satz und Bild
GmbH, Altenburg
Druck und Binden: Druckerei zu Altenburg
GmbH, Gutenbergstraße 1, 04600 Altenburg
Anzeigen: Druckerei zu Altenburg GmbH,
Tel. 03447/5550
Verlag: Leipziger Universitätsverlag GmbH
Augustusplatz 10/11, 04109 Leipzig
Tel./Fax: 0341/9900440
Einzelheft: 1,50 e
Jahresabonnement (sieben Hefte): 13,– e
In Fragen, die den Inhalt betreffen, wenden Sie
sich bitte an die Redaktion, in Fragen, die den
Vertrieb betreffen, an den Verlag.
Nachdruck mit Quellenangabe gestattet. Belegexemplare erbeten.
Redaktionsschluss: 5. 5. 2004
ISSN 0947-1049
2
Am 15. Mai war es wieder soweit: Die Universität stellte sich vor, öffentlich und vielfältig, in Grimmaischer Straße, Uni-Innenhof, Hörsaal- und Seminargebäude. Tausende Leipziger und Auswärtige kamen,
um die „Grenzüberschreitungen“ – so das
Motto von campus 2004 – zu erleben.
Grund genug, um nach Redaktionsschluss
noch diese Seite ins Journal einzufügen
und somit ein paar Impressionen zu vermitteln.
„Es war immer voll“ – dieser Satz war bei
einer ersten Auswertungsrunde gegen Ende
des Campus-Tags mehrfach zu hören. In
der Tat war der Universitätsmarkt den ganzen Tag über gut besucht. Auch die Angebote beim zum zweiten Mal zur gleichen
Zeit stattfindenden Studieninformationstag wurden rege genutzt. „An Klientel
mangelte es nun wirklich nicht, und die
Schüler waren gut vorbereitet und fragten
ganz gezielt“, freute sich Dr. Solvejg
Rhinow, Leiterin der Zentralen Studienberatung.
Selbst der Regen, der gegen 14 Uhr einsetzte, beeinträchtige die Veranstaltung nur
unwesentlich. Natürlich litten fortan die
Redner, Tänzer und Co. auf der Bühne
unter etwas weniger Aufmerksamkeit als
zuvor u. a. die Chemie-Experimentalvorlesung und die Podiumsdiskussion zur
Campus-Neugestaltung für sich verbuchen
durften. Bei letztgenannter erklärte der
holländische Architekt Erick van Egeraat
übrigens selbstbewusst, „das schönste Gebäude Leipzigs“ bauen zu wollen (lesen Sie
zu diesem Thema auch das Interview auf
der folgenden Seite). An der Diskussion
beteiligt waren außerdem der Architekt
Martin Behet und Rektor Franz Häuser;
moderiert wurde das Gespräch von LVZChefredakteur Bernd Hilder.
Was es sonst gab? Ein „Kino intim“ und
Kohlendioxyd-Duschen, Pilze und Pyramiden, Gipsabdrücke und Graffiti-Schauprozesse. Und vieles mehr – zu sehen auch auf
unzähligen Fotos. Davon hat hier nur ein
ganz kleiner Teil Platz gefunden, mehr Bilder stehen im Internet unter
www.uni-leipzig.de/campus2009/2004
C. H.
Lange Schlangen: Viele Schüler wollten
beim Studieninformationstag gleich
Bewerbungsunterlagen mitnehmen.
Schön geschrieben: Chinesische und
arabische Studierende übertrugen
Besuchernamen in ihre Sprachen.
Sportlich: Das Bungee-Trampolin war
eine der Attraktionen bei Uni2 im Innenhof.
Fotos: Kornelia Tröschel
journal
UniVersum
Auf das Dramatische
folgt das Pragmatische
Rektor Häuser zur Campus-Neugestaltung
Seit Ende März steht endgültig fest, wie
der neue Campus der Universität am Augustusplatz aussehen wird (das Uni-Journal berichtete ausführlich). Im Interview
äußert sich der Rektor Prof. Dr. Franz
Häuser rückblickend zum Verfahren und
vorausblickend zum Neubau.
Über der Freude und Erleichterung,
dass der Qualifizierungswettbewerb am
Ende ein überzeugendes Ergebnis erbracht hat, ist die Dramatik, die Zuspitzung im Verfahren in den Hintergrund
getreten. Was waren für Sie die kritischen, aber auch die Wendepunkte?
Das Gesamtprojekt war gefährdet, als der
Freistaat überraschend von dem bislang
gemeinsam beschrittenen Weg abwich und
im Widerspruch zu den Beschlüssen der
Universitätsgremien den Wiederaufbau der
Paulinerkirche favorisierte. Es entstand
eine Blockadesituation, die in dem Rücktritt von Prof. Bigl und den Prorektoren
kulminierte. Die Aufgabe des neuen Rektorats bestand nun darin, eine Lage herbeizuführen, die den Fortgang des Bauprojektes ermöglichte. Als es gelang, sich in
Dresden auf die Kompromissformel einer
„Aula-Kirche“ zu einigen, die in zeitgemäßer Bauweise zu errichten ist, gab es einen
Rückschlag, eine „Eiszeit“, als diese Vereinbarung von den Medien als Rückzug der
Staatsregierung bewertet wurde. Ein neuer
Anlauf musste unternommen werden, um
doch noch einen alle Seiten, vor allem
natürlich den künftigen Nutzer, die Universität, zufriedenstellenden Text für einen
ergänzenden Architektenwettbewerb zu
formulieren. Dieser Abstimmungsprozess
ist über viele Sitzungen und kontroverse
Gespräche hinweg schließlich am 7. Juli
2003 zu einem befriedigenden, im Rückblick sogar glücklichen Ende gekommen.
Eine neue Gefahr ergab sich aus der Haltung des Paulinervereins, der offenbar das
inzwischen eingeleitete Auswahlverfahren
durch Indiskretionen zum Scheitern zu
bringen suchte, nachdem sich eine seinen
Vorstellungen nicht entsprechende EntHeft 3/2004
wicklung abzeichnete. Den mühsam
gefundenen Kompromiss, der doch ein
attraktives architektonisches Angebot
ermöglichte, wieder
aufs Spiel zu setzen,
war für mich unvorstellbar.
Deshalb hat
Franz Häuser
die Universität, aber
auch die Stadt und schließlich auch das
Land bis in die letzte Jury-Sitzung hinein
alles daran gesetzt, den zweiten Wettbewerb zu einem guten Ende zu führen.
Irritierend freilich ist es, wenn jetzt gelegentlich zu vernehmen ist, dass es der
inszenierte Eklat gewesen sei, der zur Qualitätsverbesserung des Wettbewerbsergebnisses beigetragen habe. Das Gegenteil ist
richtig: Es wurde trotz dieses Eklats erreicht! Für die Universität ist es im Übrigen wichtig, bei dem Blick auf das erfreuliche Jury-Ergebnis nicht aus dem Auge zu
verlieren, dass es ihr immer um die Gesamtbebauung am Augustusplatz ging und
geht, denn die Verbesserung der Arbeitsund Studienbedingungen wird in erster
Linie durch den Neu- und Umbau der
Fakultäts-, Hörsaal- und Seminargebäude
sowie der Mensa erreicht.
Als sichtbares Zeichen dafür, dass es mit
dem Bau losgeht, war jetzt der Abbau
des Leibniz-Denkmals, das restauriert
und nach einem noch zu bestimmenden
Interim im Jahr 2009 am neuen Campus
am Augustusplatz wieder aufgestellt
wird. Aber fünf Jahre Zeit hat die Universität bei keiner anderen bauvorbereitenden Maßnahme. Was sind die nächsten Schritte?
Die Genugtuung und Zufriedenheit über
das Ausschreibungsergebnis werden ganz
schnell überholt durch pragmatisch zu entscheidende Fragen wie die Bildung von
Bauabschnitten, die Kooperation mit dem
Investor MIB im Bereich der Grimmaischen Straße, die Abstimmung der betei-
ligten Architekturbüros van Egeraat und
Behet, Bondzio und Lin, die Zusammenarbeit mit dem Staatsbetrieb SIB, der die
Bauherrenfunktion ausübt. Wichtig ist,
dass nicht Entwicklungen eintreten, die an
den Beteiligten vorbeilaufen und zu irreparablen Entscheidungen führen. Deshalb
hat inzwischen eine universitäre Baukommission unter Vorsitz von Prof. Pahl ihre
Arbeit aufgenommen, die vor allem die
Interessen der künftigen Nutzer, also der
Studierenden, der beiden einziehenden
Fakultäten, des Universitätsgottesdienstes
und der Universitätsmusik, vertreten. Es
müssen nunmehr Anforderungen an die
Gebäude in einer Präzision formuliert werden, wie das bisher noch nicht geschehen
ist. Eingeschlossen ist die Beantwortung
der noch offenen Frage, welche zentralen
Einrichtungen der Universität – auch das
Rektorat? – hier untergebracht werden sollten.
Über allem und auf allen lastet der heilsame Druck, dass die Universität im Jahr
2009 ihre Feiern zum 600. Geburtstag an
ihrem alten neuen Standort durchführen
möchte. Auf diesem Weg ist jeder einzelne
Schritt wichtig. So wurde jetzt gemeinsam
von Studentenwerk, Universität und den
Vertretern des Freistaates entschieden,
welche der beiden von Behet, Bondzio und
Lin angebotenen Varianten für die Mensa
gebaut wird. Nach 30 Jahren ungünstiger
Erfahrungen mit einer Küche im Keller
wurde jene Variante ausgewählt, die den
Küchentrakt im Erdgeschoss unterbringt,
was neben den entscheidenden technologischen Vorteilen noch den Vorzug hat, dass
dadurch im künftigen Mensakeller eine
Fahrradtiefgarage mit 750 Stellplätzen eingerichtet werden kann. Man kann davon
ausgehen, dass im Herbst die Baugrube für
die Mensa ausgehoben wird, die dann erst
einmal für zwei, drei Monate den Archäologen gehört, da dort Teile der alten Stadtmauer anzutreffen sind. Danach, also zu
Beginn des nächsten Jahres, wird mit dem
Bau richtig begonnen werden.
Interview: Volker Schulte
3
UniVersum
Enger mit Chile
kooperieren
Botschafter zu Gast
„Eine große Freude“ empfand Rektor
Professor Franz Häuser Ende April, als er
Dr. Mario Adolfo Fernandéz Baeza, Botschafter der Republik Chile, begrüßte. An
diesem Tag ging es nicht nur ihm so: Der
Botschafter traf sich mit Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee, Vertretern der
Leipziger Messe, mit Dekanen und weiteren Fakultätsvertretern sowie mit allen drei
Prorektoren der Universität. Er war einer
Einladung des Direktors des Ibero-Amerikanischen Forschungsseminars der Universität Leipzig (IAFSL), Prof. Dr. Alfonso de
Toro, in Zusammenarbeit mit dem Vorsitzenden des International Relation &
Diplomatic Clubs Leipzig e.V., Norbert
Kühn, gefolgt.
Die Prorektoren machten in ihrem Gespräch mit Baeza deutlich, wie sehr die
Universität an einem Ausbau der Beziehungen nach Chile interessiert ist. Seit
zwei Jahren besteht bereits eine Partnerschaft mit der Universität in Santiago. Ein
Professoren- und Studentenaustausch fin-
det statt. Am DFG-geförderten IAFSLProjekt zur Diskursvielfalt arbeiteten zahlreiche Chilenen mit. Die Ergebnisse dieses
Projekts werden gegen Jahresende veröffentlicht.
Weitere Kooperationen sollen folgen. So
brachte Professor de Toro weitere „Sandwich-Promotionen“ ins Gespräch, bei denen jeweils ein deutscher und ein chilenischer Professor die Betreuung übernehmen
(s. a. weiterer Text auf dieser Seite). Baez
erklärte, er könne sich gemeinsame Studiengänge vorstellen. Der Botschafter und
die Prorektoren waren sich aber einig, dass
für eine Zusammenarbeit bürokratische
Hürden abgebaut und Sponsoren gefunden
werden sollten.
„Ich sehe die Initiierung wissenschaftlicher Kooperationen als wichtigen Teil
meiner Arbeit an“, sagte Baez, der nach
seinem Jura-Studium in Chile von 1975 bis
1979 an der Universität Heidelberg Politikwissenschaft studiert und dort anschließend bis 1981 als wissenschaftlicher Mit-
Erfolgreiche „Sandwich-Promotion“
Mit „summa cum laude“ wurde am 22. 4.
der Chemiker Wilfredo Hernández Gorritti, aus der Schule von Prof. Dr. Jorge
Angulo Cornejo, Universidad Nacional
Mayor de San Marcos Lima (UNMSM) /
Perú, kommend, an der Universidad de
Chile (UC) in Santiago de Chile zum Dr.
rer nat. promoviert. Betreuer waren Prof.
Dr. Evgenia Spodine (UC) und Prof. Dr.
Dr. h.c. Lothar Beyer (Universität Leipzig). Wilfredo Hernández Gorritti promovierte zum Thema „Synthese und Charakterisierung der Platin(II)- und Kupfer(II)Komplexe mit Derivaten von Acylthioharnstoffen als Liganden und deren
Antitumoraktivität gegenüber dem Adenocarcinom TA3 der Brust in Mäusen“
(Titel übersetzt aus dem Spanischen).
Im Rahmen eines DAAD-„Sandwich“Doktorandenprogramms mit Zentrum in
der chilenischen Hauptstadt werden befähigte Absolventen verschiedener latein-
amerikanischer Universitäten und bevorzugt naturwissenschaftlicher Disziplinen
in einem drei- bis vierjährigen Studium zur
Promotion gebracht. Auf eine einjährige
theoretische Intensivausbildung in Chile
folgt die experimentelle Bearbeitung des
Dissertationsthemas an der Universidad de
Chile mit begleitenden Kursen in der Theorie und Forschungsaufenthalten an einer
deutschen Universität. Dr. Wilfredo Hernández Gorritti arbeitete 2002 und 2003 jeweils mehrere Monate im Laboratorium
des Instituts für Anorganische Chemie der
Universität Leipzig.
Diese konkrete und effektive Förderung
wissenschaftlichen Nachwuchses aus
lateinamerikanischen Entwicklungsländern ist nicht zuletzt ein Ergebnis des Abkommens der Universität Leipzig mit der
UNMSM Lima, das 1999 unterzeichnet
und kürzlich für weitere fünf Jahre verlängert wurde, und des Abkommens mit der
Universidad de Chile.
4
Nach seinem Gespräch mit den Prorektoren (stehend v. l.: Martin Schlegel,
Charlotte Schubert und Peter Wiedemann) trug sich Mario Adolfo Fernandéz Baeza in das Gästebuch der Universität ein.
Foto: Armin Kühne
arbeiter gewirkt hat. Später übernahm er
abwechselnd politische und wissenschaftliche Funktionen. So hatte der 57-Jährige
in seiner Heimat Professuren für Politische
Wissenschaft und Öffentliches Recht inne,
bevor er im Jahr 2000 Verteidigungsminister, 2002 Minister im Präsidialamt und
2003 Botschafter seines Landes in
Deutschland wurde.
Für die Universität Leipzig fand Mario
Adolfo Fernandéz Baeza einige lobende
Worte. Während die Lateinamerika-Forschung
andernorts
heruntergefahren
werde, sei Leipzig in dieser Hinsicht „gut
gerüstet“. Nicht umsonst verwies Rektor
Häuser vor einem Vortrag des Botschafters
in der Universitätsbibliothek darauf, dass
„an unserer Universität ein Master für Lateinamerikastudien kommen wird“. C. H.
Dr. Wilfredo Hernández Gorritti gewann
im März 2004 den Wettbewerb um eine
ausgeschriebene Professur für Bioanorganische Chemie an der Universidad
Nacional de Ingeniería Lima (UNI) und
hat dort inzwischen die Lehrtätigkeit aufgenommen. Ein weiterer Schüler von
Prof. Dr. Jorge Angulo Cornejo, zur Zeit
ebenfalls Promotionsstudent an der Universidad de Chile, der Chemiker Aldo
Guzman, forscht seit Januar dieses Jahres
im Laboratorium des Instituts für
Anorganische Chemie der Universität
Leipzig unter der Betreuung von Prof. Dr.
Harald Krautscheid.
Das Lateinamerikazentrum der Uni Leipzig initiiert, unterstützt und koordiniert
gemäß seiner Zielstellung solche und weitere nützliche Ausbildungs- und interdisziplinäre Forschungsvorhaben.
Prof. Dr. Dr. h. c. Lothar Beyer, Institut für
Anorganische Chemie und Lateinamerikazentrum der Universität Leipzig
journal
Gremien
Weitere Studiengänge
aufgehoben
Sitzung des Senats am 6. April
1. Eingangs hieß der Rektor den neugewählten Dekan der Philologischen Fakultät, Prof. Tschirner, als neuen Senator willkommen.
2. Der Senat befasste sich mit Berufungsangelegenheiten; das betraf Ausschreibung
und Berufungskommission für „Körperbehindertenpädagogik“ (C4), „Nuklearmedizin“ (C3), „Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie“ (C3) sowie – nach Denominationsänderung – für „Theoretische
Physik – Gravitationstheorie“ (C3); Berufungsvorschläge für „Alttestamentliche
Wissenschaft: Schwerpunkt Geschichte
und Religionsgeschichte Israels und seine
Umwelt“ (C4), „Stochastische Prozesse“
(C3), „Persönlichkeitspsychologie und
Psychologische Diagnostik“ (C4), „Chemiedidaktik“ (C3), „Ernährungsphysiologie (Veterinärmedizin)“ (C3), „Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Finanzierung und Investition“ (C4), „Betriebswirtschaftslehre,
insbesondere
externe
Unternehmensrechnung und Wirtschaftsprüfung“ (C4).
Der Senat stimmte dem Antrag der Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie zu, PD Dr. Johannes Schneider das
Recht zur Führung der Bezeichnung
„außerplanmäßiger Professor“ zu verleihen, ebenso dem Antrag der Fakultät für
Physik und Geowissenschaften, apl. Prof.
Dr. Bernd Rheinländer die mitgliedschaftsrechtliche Stellung eines Hochschullehrers zu übertragen.
3. Der Senat stimmte der Neugliederung
der Fakultät für Biowissenschaften, Pharmazie und Psychologie zu. Danach wird
die Professur für Mikrobiologie dem Institut für Biochemie, die Professur für Genetik dem Institut für Biologie II (bisher
Institut für Zoologie), die Professur für
Entwicklungspsychologie dem Institut für
Psychologie I (bisher Institut für Allgemeine Psychologie), die Professur für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik und die Professur für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Intervention (zukünftig wegfallend)
Heft 3/2004
dem Institut für Psychologie II (bisher
Institut für Angewandte Psychologie)
zugeordnet. Das Institut für Entwicklungsund
Persönlichkeitspsychologie
und
Psychologische Diagnostik wird aufgelöst,
das Institut für Botanik in Institut für Biologie I umbenannt.
4. Der bisherige Ausländerbeauftragte der
Universität, Dr. Herold, erstattete dem
Senat seinen Abschlussbericht, der in dem
Fazit mündete, dass die Universität Leipzig
nach wie vor bei den ausländischen Studierenden einen sehr guten Ruf genießt.
Der Senat dankte Dr. Herold für sein engagiertes Wirken, 12 Jahre als Ausländerbeauftragter und 42 Jahre in der Betreuung
ausländischer Studierender (s. a. Journal
2/2004, S. 4).
5. Der Senat stimmte den für das Akademische Jahr 2004/2005 von der Prorektorin
für Lehre und Studium vorgeschlagenen
Zulassungsbeschränkungen und Zulassungszahlen für Studierende zu. Grundlage
dafür bilden vorrangig die Kapazitätsberechnungen und die Bewerbernachfrage.
Ein universitätsinterner Numerus clausus
wurde neu beantragt für die Fächer Germanistik, Sportwissenschaft, Deutsch als
Fremdsprache sowie die Lehramtsfächer
Gemeinschaftskunde und Ethik/Philosophie.
6. In Umsetzung des Hochschulvertrages
stimmte der Senat nach ausführlicher Diskussion mehrheitlich für die Aufhebung
der Diplomstudiengänge Geologie/Paläontologie und Geophysik an der Fakultät für
Physik und Geowissenschaften und der
Studiengänge Bauingenieurwesen und
Wirtschaftsingenieurwesen in der Fachrichtung Bauwesen (Diplom sowie B. Sc.
und M. Sc.) an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät zum Wintersemester
2004/2005 zu. Dabei gilt der Vertrauensschutz bei begonnenen konsekutiven Studiengängen auch für die zweite, die Master-Stufe. In der Diskussion spielte auch
Gegen die Aufhebung der Diplomstudiengänge Geologie/Paläontologie und Geophysik protestierten am 5. Mai über 50 Studenten und Dozenten im Rektorat.
Foto: Carsten Heckmann
5
Am
Rande
Ach, was waren das noch für Zeiten,
als „Melissa“ sich an uns ranschlich
oder ein Unbekannter „I love you“
durchs Datennetz hauchte. Aber die
Viren sind auch nicht mehr das, was
sie mal waren. Aggressiv sind sie geworden, heißen auch gleich martialisch „my doom“ (mein Schicksal/Verhängnis/Untergang) oder, wie jüngst,
nahezu technokratisch „Sasser.B“
oder „Sasser.C“. Und nicht mal die
Maxime „Bloß keine verdächtigen Anlagen öffnen“ hilft in jedem Fall.
Der Mai war gekommen, ein ganz
neuer Virus gleich mit. So wollten denn
auch etliche Uni-Mitarbeiter morgens
ihre E-Mails lesen, fuhren ihren Rechner hoch – und mussten mit ansehen,
dass er, oh Schreck, gleich wieder die
Feierabend-Zeremonie begann. Wen
wundert’s, dass das Rechenzentrum
erst viele Anrufe und dann viel Arbeit
bekam. Schuld sind – na klar – die
Viren-Terroristen und die Firma, die mit
„M“ anfängt und ganz weich aufhört.
„Ich kenn mich doch nicht mit Computern aus, woher sollte ich das wissen“,
bekommen die Mitarbeiter des Rechenzentrums dann meist zu hören,
wenn sich wieder etwas ins System
gefressen hat, was nicht hineingehört.
„Ich kann mich ja nicht auch noch mit
dem Innenleben dieses Dings auseinandersetzen.“
Schon recht. Aber fahren nicht die
meisten von uns Auto, ohne zu verstehen, was genau sich unter der Motorhaube abspielt? Und dennoch in
Kenntnis der Verkehrsregeln und möglichst Vollkasko versichert?
Das Rechenzentrum bietet wirksamen
Schutz vor Virenbefall und vor der Korrumpierung des Systems. Werkzeuge
mit Aktualisierungsautomatik. Für alle,
die wollen (siehe www.uni-leipzig.de/
sophos). Aber viele wollen nicht. Sie
wollen die volle Hoheit für sich selbst
über alles. Über das Stück Blech
unterm Schreibtisch ebenso wie das
Stück Blech auf der Straße. Ein deutscher Professor (nicht von der Uni Leipzig) hat sich gar gegen automatische
Datensicherungen gewehrt. Ein weiterer Mitspieler in der Tragödie mit dem
Titel „Die Unbelehrbaren“? Nicht
ganz: Selbiger Professor ist inzwischen ein glühender Verfechter der
Backup-Automatik – seit sein Institut
eines Nachts abgebrannt ist.
Carsten Heckmann
eine den Senatsmitgliedern vorliegende
Erklärung von Hochschullehrern, Mitarbeitern und Studenten der Studiengänge
Geologie/Paläontologie und Geophysik
eine Rolle, wonach aufgrund der in den
letzten Jahren erheblich gestiegenen Immatrikulationszahlen ein konsekutiver Studiengang Geowissenschaften eingerichtet
werden sollte. Der Antrag eines studentischen Senators, der Senat solle eine entsprechende Konzeption aus der Fakultät
unterstützen, fand keine Mehrheit.
7. Der Senat nahm die vom Prorektor für
strukturelle Entwicklung gegebene Information über das Entscheidungsverfahren
und die Vorgehensweise des Rektoratskollegiums beim Personalstellenabbau und
der Einrichtung eines Innovationsstellenpools zur Kenntnis. Die 78 Personalstellen,
die in Jahresscheiben abzubauen sind, sollen nach jetzigem Stand in den Bereichen
Zentralverwaltung (20), Bau- und Wirtschaftsingenieurwesen (9), Geowissenschaften (18) sowie aus den bereits identifizierten Stellen des Innovationspools
gewonnen werden. Die neu zu identifizierenden, befristet eingerichteten Innovationsstellen werden durch die Dekane
benannt und nach eigenen Maßstäben der
Fakultäten bewertet. Je nachdem, wie die
Bewertung nach zwei Jahren ausfällt, können diese Stellen zwischen den Fakultäten
wandern. Die Diskussion offenbarte noch
Klärungsbedarf, etwa inwieweit diese Stellen sich auf Schwerpunkte der Universität
insgesamt oder nur der Fakultäten beziehen
und wie einheitlich die Bewertungskriterien aufgestellt werden sollten.
8. Der Rektor informierte den Senat über
das Ergebnis des Qualifizierungsverfahrens zum Neubau eines Aula/Kirche-Gebäudes im Bereich des ehemaligen Standortes der Paulinerkirche (s. a. Interview mit
Prof. Häuser auf S. 3).
9. Der Senat beschloss eine Reihe von Studienordnungen zu den Fächern Hispanistik, Französistik, Italianistik, Lusitanistik
sowie zu den Lehramtsfächern Spanisch,
Italienisch und Französisch.
10. Der Senat nahm den vom Prorektor für
Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs vorgestellten Antrag auf Einrichtung des Graduiertenkollegs „Interdisziplinäre Ansätze in den zellulären Neurowissenschaften – Interneuro“ bei der DFG zur
Kenntnis. Das geplante Graduiertenkolleg,
an dem drei Fakultäten und das MaxPlanck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften beteiligt sind, bildet eine
der vier Säulen des ebenfalls eingereichten
Antrags auf Einrichtung eines internationalen Promotionsstudienganges „Von der
Signalverarbeitung zum Verhalten“ im
Rahmen des DAAD/DFG-Programms
„Promotion an Hochschulen in Deutschland“ (PHD). Des weiteren informierte der
Prorektor, dass eine weitere Säule dieses
Promotionsstudienganges eine International Max Planck Research School „Human
Origins“ darstellt, deren Einrichtung jetzt
gleichfalls beantragt wurde, und zwar gemeinsam von der Universität Leipzig und
dem Max-Planck-Institut für evolutionäre
Anthropologie. Im Rahmen des genannten
PHD-Programms hat die Universität auch
die Einrichtung des internationalen Promotionsstudienganges „Wissenstransfer
und Fachkommunikation im Zeitalter der
Globalisierung“ an der Philologischen Fakultät beantragt.
11. Der Senat entschied in zwei Widerspruchsverfahren, die gegen die Ablehnung von Anträgen auf ein Promotionsstipendium durch die Graduiertenkommission eingeleitet worden waren.
12. Der Senat stimmte der Auflösung der
Entwicklungsplanungskommission (EPK)
zu. Bis zum Ende des Sommersemesters
soll geklärt werden, in welcher Form und
mit welchem Konzept eine neue EPK zu
installieren ist.
13. Der Senat nahm Informationen der
Prorektorin für Lehre und Studium über
Einschränkungen in den Öffnungszeiten
der Zweigstellen der Universitätsbibliothek, verursacht durch die 25-prozentige
Haushaltssperre, ebenso zur Kenntnis wie
Informationen über geplante Maßnahmen
zur Absicherung des Lehr- und Studienbetriebs im Zusammenhang mit den im
Wintersemester beginnenden Baumaßnahmen im Südflügel des Hörsaalgebäudes.
Sie appellierte an die nicht betroffenen
Fakultäten, zur Lösung der Raumprobleme
durch Bereitstellung von Raumkapazitäten
beizutragen.
14. Der Rektor informierte den Senat über
die Ausschreibung der Stelle des Direktors
der Universitätsbibliothek ab 1. 4. 2005.
Prof. Dr. F. Häuser
Rektor
journal
V. Schulte
Pressesprecher
Forschung
Optische
Finger
Berührungslose
Manipulation
von biologischen
Zellen
Von Prof. Dr. Josef Käs,
Institut für Experimentelle Physik I
Zum Thema „Optische Finger“ hielt der
Autor des nebenstehenden Textes kürzlich einen Vortrag bei einem Kolloquium
der Fakultät für Physik und Geowissenschaften. Das Kolloquium diente auch
dazu, das verdienstvolle Wirken von
Prof. Dr. Dieter Geschke anlässlich seines Übergangs in den Ruhestand zu würdigen. Prof. Dr. Dieter Geschke arbeitete
von Februar 1977 bis zu seiner Emeritierung im März 2004 als Hochschullehrer
für Experimentalphysik an der Universität Leipzig.
Nach seinem Ruf auf
die Professor für Experimentalphysik/
Polymerphysik im
Jahr 1992 bearbeitete
er acht von der Deutschen Forschungsgesellschaft und dem
Bundesministerium
Dieter Geschke
für Bildung und Forschung geförderte Forschungsprojekte.
Durch 90 Publikationen und 50 Vorträge
auf wissenschaftlichen Konferenzen erwarb er internationale Anerkennung.
Prof. Geschke war mehrere Wahlperioden Mitglied des Fakultätsrates und Studiendekan für Physik, Geophysik und
Meteorologie. Dabei arbeitete er aktiv an
der Einführung des englischsprachigen
Studienganges Physik mit. Neben der
Lehre auf den Gebieten Molekül- und
Polymerphysik leitete Prof. Geschke das
Physikalische Anfängerpraktikum und
gab mehrere Auflagen des Lehrbuchs
„Physikalisches Praktikum“ heraus.
Heft 3/2004
In diesem Jahrhundert werden Biotechnologie und Biomedizin eine zentrale Rolle in
der Gesellschaft einnehmen. Die Biologie
hat in den letzten 25 Jahren einen Quantensprung gemacht. Jedoch ist der Technologietransfer, gemessen am wissenschaftlichen Fortschritt, gering. Dies belegen die
relativ hohen Arbeitslosenzahlen bei Biologen. Eine Ursache besteht darin, dass das
oft auf phänomenologischer Beschreibung
beruhende Wissen und die arbeitsintensiven Techniken in der Biologie nicht direkt
in kommerzielle Technologien übersetzt
werden können. Erforderlich sind vielmehr
quantitative Modelle der biologischen Prozesse und neue Verfahren, um biologische
Zellen, Proteine, DNS und RNS zu manipulieren und zu analysieren. Biologische
Physik wird dabei eine zentrale Rolle spielen.
Die Biologische Physik wird nicht nur ein
Zuträger neuer Technologien sein, sondern
auch entscheidend zur Klärung der grundlegenden Phänomene beitragen. Die molekularen Prozesse in einer Zelle sind das
ideale Beispiel wie aktive und passive
Nanoelemente (d. h. Proteine) zu multifunktionalen Komplexen zusammengefasst werden können. Jedoch muten aufgrund der hohen Komplexität der intrazellulären Prozesse Versuche, diese durch
komplizierte Bionetzwerke zu beschreiben
oft ähnlich an, wie der Versuch, Vielteilchensysteme durch Newtonsche Bewegungsgleichungen zu beschreiben. Die
statistische Physik, oder – um genauer zu
sein – die Physik der weichen Materie, hat
uns am Beispiel der Polymerwissenschaften gezeigt, wie die Physik zur quantitativen Beschreibung dieser Systeme beitragen kann. Natürlich ist dabei die bereits
existierende Physik der weichen Materie
nicht ausreichend, um zelluläre Prozesse zu
beschreiben. Dazu braucht es eine neue
Physik, die biologische Physik, Polymer-
physik, Nanowissenschaften und Nichtgleichgewichtsphysik vereint. Jedoch genau diese Anforderung, eine neue Physik
zu erschaffen, macht dieses Arbeitsgebiet
so interessant. Ein gutes Beispiel dafür ist
die Aufklärung der Zellbewegung. Der Abteilung für die Physik der weichen Materie
ist es kürzlich erstmals gelungen, die durch
Polymerisation getriebenen Kräfte, die
eine bewegliche Zelle vorantreiben, genau
zu vermessen.
Bei der Entwicklung neuer Biotechnologien ist es ein wichtiges Element, wie biologische Zellen und deren intrazelluläre
Bausteine manipuliert werden können.
Eine einzelne Zelle ist 100-mal kleiner als
ein Stecknadelkopf. Dies macht die mechanische Mikro- und Nanomanipulation
aufwendig und kompliziert. Die Abteilung
für die Physik der weichen Materie konzentriert sich deshalb auf die Manipulation
mit Licht, da Laserlicht zerstörungs- frei
Kraft auf Zellen und intrazelluläre Komponenten, wie z. B. das Zytoskelett, ausüben kann und somit berührungslose Finger für Zellen gestalten kann. Dabei gelang
es, eine neue optische Falle, den Optical
Stretcher, zu entwickeln, der einzelne Zellen deformieren kann. Die Verformbarkeit
der Zellen kann als nicht invasiver Zellmarker verwendet werden, der zum Beispiel zur Diagnose des Fortschreitens von
Krebs oder bei der Isolierung von adulten
Stammzellen zum Einsatz kommen kann.
Des Weiteren ist es der Abteilung erstmals
gelungen, mit einer optischen Pinzette das
Wachstum einzelner Nerven zu kontrollieren. Dabei werden optische Gradientenkräfte verwendet, um die grundlegenden
molekularen Prozesse der Zellbewegung
zu beeinflussen.
Nerven an der Laserleine. Die Wachstumsspitze eines Nervs wird mittels
einer optischen Laserpinzette geführt.
7
Forschung | Fakultäten und Institute
VW-Stiftung
unterstützt
„Formen des
Lebens“
Die Volkswagen-Stiftung hat 913 200 Euro
für das Vorhaben „Formen des Lebens.
Philosophische Dimensionen der aktuellen
biomedizinischen Forschung“ von Prof.
Dr. Barry Smith vom Institut für formale
Ontologie und medizinische Informationswissenschaften (IFOMIS) der Universität
Leipzig bewilligt. Smith führt das Projekt
zusammen mit Prof. Dr. Heinz Sass vom
Lehrstuhl für Genetik der Universität Leipzig und Prof. Dr. Pirmin Stekeler-Weithofer vom Institut für Philosophie durch.
Grundlegendes Ziel von Smith und seinem
interdisziplinär zusammengesetzten Team
– bestehend aus Biologen, Philosophen,
Bio- und Medizininformatikern – ist eine
Klärung jener Grundbegriffe des Lebens,
mit denen sich der Mensch die Prozesse
des Lebendigen verständlich macht. Denn
die elektronische Informationsverarbeitung erobert immer neue Anwendungsgebiete und dringt in bestehende tiefer ein.
Gerade in der biomedizinischen Forschung
unterstützt sie einige Bahn brechende Ergebnisse – wie beispielsweise die Entschlüsselung des menschlichen Genoms.
An einem Projekt dieser Art sind dabei
meist mehrere Disziplinen beteiligt, die
mit verschiedenen Informations- und Begriffssystemen arbeiten. Ein Faktum, das
die Kommunikation zwischen den Wissenschaftlern erheblich erschwert.
Am Ende des nun geförderten Vorhabens
soll daher eine neue Gesamttheorie der
wichtigsten biomedizinischen Grundbegriffe stehen: Art, Spezies, Teil, Ganzes,
Funktion etc. – Begriffe, die zum Basisverständnis jedes Lebenswissenschaftlers
gehören. Die Ergebnisse dienen dann später als Grundlage für neue Strategien zur
Organisation und Integration von Informationen im Bereich der biomedizinischen
Informatik, sodass nicht zuletzt auch die
Kommunikation zwischen wissenschaftlichen Disziplinen erleichtert wird.
Eine Vermittlerrolle zwischen Biologie
und Informatik kommt der angewandten
Ontologie zu, einer letztlich auf Aristoteles
gründenden philosophischen Disziplin, die
in den vergangenen Jahren in der Bioinformatik an Bedeutung gewonnen hat.
B. A.
8
EU fördert neues Projekt
Solarzellenforschung
mit Osteuropa
Die Europäische Union hat auf der Basis
einer seit sechs Jahren laufenden Zusammenarbeit des Instituts für Mineralogie, Kristallographie und Materialwissenschaften der Universität Leipzig (Direktor:
Prof. Dr. Klaus Bente) mit Partnern aus
Minsk und bei Federführung des Antrags
durch die Weißrussen 400 000 US-Dollar
für ein neues Projekt genehmigt. In diesem
über 30 Monate laufenden Projekt, das auf
einem bereits bisher erfolgreichen EUProjekt und ergänzenden Förderungen des
Wissenschaftleraustausches mit Osteuropa
durch das Sächsische Ministerium für Wissenschaft und Kunst aufbaut, sind zudem
die Firma Solarion (Leipzig) sowie Prof.
Möller (Freiberg) eingebunden. Das Projekt beschäftigt sich mit Solarzellen auf
flexiblen Substraten, wobei die Absorber
aus Material bestehen, die auf Mineraltypen wie Zinkblende (ZnS) und insbesondere Roquesit (CuInS2) zurückgehen. Die
Arbeiten werden im Verbund von Mineralogie, Chemie und Physik durchgeführt,
wobei die eigens hierfür entwickelte Herstellung solcher Zellen ohne gesundheits-
gefährdende Gase mittlerweile in Russland
und Weißrussland patentiert wurde.
Während die Produktion entsprechender
Solarzellensysteme vorwiegend in Minsk
mit Unterstützung von Solarion stattfindet,
wird die auf Halbleiter ausgerichtete analytische Kompetenz von Leipziger Forschern insbesondere des Instituts für
Mineralogie, Kristallographie und Materialwissenschaften eingebracht. Diese sind
überwiegend in der fächerübergreifenden
Arbeitsgemeinschaft Halbleiterforschung
Leipzig zusammengeschlossen. Im Wechselspiel von charakteristischen Messdaten
und Herstellungsparametern werden in
dem Projekt Solarzellen mit hohem Wirkungsgrad und für die Anwendung angepassten Formen durch Verwendung flexibler Substrate produziert. Analoge Zellen
mit Absorbern einer Kupfer-Indium-Gallium-Selen-Verbindung auf Glassubstraten
haben bereits zu Wirkungsgraden von 11%
geführt und sind Grundlage der Entwicklungen flexibler Zellen. Das Projekt macht
deutlich, welche Potenziale Forschungskooperationen mit Osteuropa bieten.
r.
Physik als Anziehungspunkt
für junge Wissenschaftler
Letzten Sommer leitete Prof. Jörg Kärger,
Leiter der Abteilung Grenzflächenphysik
an der Fakultät für Physik und Geowissenschaften gemeinsam mit dem Hannoveraner Physiker Prof. Paul Heitjans die Arbeitsgruppe „Diffusion – ein Zufallsprozess mit bemerkenswerten Gesetzmäßigkeiten“ im Rahmen der Sommeruniversität
der Studienstiftung des Deutschen Volkes
in Alpbach. Diese Sommeruniversität ist
eine Form der Eliteförderung, die ausgewiesene Wissenschaftler mit motivierten
Studierenden auf unkonventionelle Weise
ins Gespräch kommen lässt.
Die Studienstiftung bietet darüber hinaus
interessierten Gruppen der Sommerakademie die Möglichkeit eines Nachtreffens,
das von dem Alpbacher Diffusionskurs
wahrgenommen wurde, der sich in Leipzig
zum verlängerten Wochenende vom 2. zum
5. April wieder zusammengefunden hat.
Prof. Kärger wertet dies als Zeichen des
Renommees der Leipziger Physik und der
Anziehungskraft der Stadt. So nutzten die
jungen Leute die Reise nach Leipzig nicht
nur für die Diskussion ihrer eigenen Arbeiten seit der Sommeruniversität und für
die Begutachtung der Leipziger physikalischen Forschung, sondern auch
für eine von Prof. Kärger persönlich geführte Besichtigung der
Stadt.
r.
Jörg Kärger mit Studenten am
Kernspinresonanz-Spektrometer.
Foto: Fakultät
journal
Fakultäten und Institute
Probleme für das
Präparieren
Ein unerwarteter Aspekt
der Gesundheitsreform
Von Prof. Dr. Katharina Spanel-Borowski, Direktorin des Instituts für Anatomie
Die öffentlichen Kassen, die das Gesundheitssystem tragen und die Renten sichern,
sind leer und zwingen zu neuen Wegen der
Einsparung. Sie werden gegangen, ohne
alle Aspekte durchdacht zu haben. Zur Einsparung öffentlicher Gelder soll die Streichung von Bestattungsgeldern beitragen,
das sind ca. 1000 Euro für jeden Verstorbenen. Am Institut für Anatomie spürt man
die Folgen der Reform im Bereich des Präparierkurses. Bisher werden von den Krankenkassen die Gelder eingefordert, mit
denen die Bestattung der Körperspender
finanziert werden. Die Streichung der Gelder kann die Qualität des Präparierkurses
gefährden.
Seit dem revolutionären Werk von Andreas
Vesal „De humani corporis fabrica – über
den Körperbau des Menschen“, erarbeitet
in den Jahren 1539/40, wird die mensch-
liche Anatomie durch praxisnahe Präparation vermittelt. Bis in die Gegenwart sind
verurteilte Verbrecher ungefragt für die
Körpersektion unter der Vorgabe genommen worden, dass diese Menschen Böses
der Gesellschaft angetan haben und durch
das Überlassen des Körpers ihre schlechten Taten posthum sühnen. Mit der Tötung
unschuldiger Menschen in Kriegslagern ist
die Sensibilität gegenüber anonymen Verstorbenen gewachsen und die Öffentlichkeit verlangt mit Recht höchste Korrektheit
im Umgang mit Toten. Heute kann jedes
Institut für Anatomie die Herkunft seiner
Körperspender durch testamentarische
Verfügungen belegen. Den Körperspendern wird zu Lebzeiten eine würdige Behandlung auch im Tod zugesichert. Sie findet in Leipzig ihren Ausdruck in der feierlichen Gedenkfeier zu Ende jedes Präpa-
rierkurses und in der Gedenkstätte auf dem
Südfriedhof. Körperspender erhalten zu
Lebzeiten kein Geld für ihr Vermächtnis,
doch die Übernahme aller Bestattungskosten ist ihnen bisher zugesichert.
Die Gesundheitsreform macht diese Zusicherung ungültig. Ab 2005 werden an der
Leipziger Anatomie etwa 60 000 Euro für
die Bestattung der Körperspender und den
Unterhalt der Gedenkstätte auf dem Südfriedhof fehlen. Mit der Autonomie der
Universitäten geht in Deutschland jedes
Institut für Anatomie seinen eigenen Weg
der Unkostensicherung.
1) Von jedem Studierenden wird eine kostendeckende Gebühr für die Teilnahme am
Präparierkurs verlangt.
2) Die Medizinische Fakultät übernimmt
die gesamten Bestattungskosten und bezahlt den Betrag aus Landesmitteln. Diese
Körperspender sorgen dafür, dass die menschliche Anatomie durch praxisnahe Präparation vermittelt werden kann. Hier ein
Beispiel aus dem interaktiven Lernprogramm zum Leipziger Präparierkurs: eine Achselhöhle unpräpariert und präpariert.
Fotos: Institut für Anatomie
Heft 3/2004
9
Fakultäten und Institute
Variante ist bei Fakultäten mit 200 Studierenden pro Jahr denkbar, jedoch nicht an
einer Massenuniversität mit über 500 Zulassungen jährlich.
3) Potentielle Körperspender werden per
Vertrag verpflichtet, die Sterbegelder in
Höhe von etwa 1200 Euro zu garantieren
und eine Versicherung zu Lebzeiten abzuschließen. Wir haben 255 Körperspender
schriftlich gefragt, ob die eigenen Bestattungskosten übernommen werden. Etwa 50
Prozent lehnten dies brüsk ab. Das Institut
für Anatomie in Leipzig schließt sich dieser Meinung an.
Nach unserem Empfinden ist es ethisch
unvertretbar, dass ein Mensch seinen Körper für die ärztliche Aus- und Weiterbildung der Gesellschaft schenkt und, damit
das Geschenk angenommen wird, die eigenen Bestattungskosten zu Lebzeiten absichert. In Friedenszeiten kümmern sich
die Hinterbliebenen um die Verstorbenen.
In gewissen Sinn zählen die Studierenden
zu Hinterbliebenen und haben für die Verstorbenen Sorge zu tragen. Denn das testamentarische Vermächtnis der Körperspender ermöglicht das praxisnahe Studium der
menschlichen Anatomie, das für zukünftige Ärzte unerlässlich ist. Auch im Zeitalter der virtuellen Anatomie mit didaktisch
exzellenten PC-Programmen steht und fällt
die Qualität der ärztlichen Aus-und Weiterbildung im Fach Anatomie mit dem Zugang
zum „Original“. Die Darstellung von
Organbeziehungen vermittelt manuelle
Fertigkeiten, die bei der Bedienung eines
Power Point Programms ausbleiben. Der
menschliche Körperbau ist im Detail
variantenreich. Seine vielfältigen Abweichungen von der Norm gehen weit über den
Inhalt eines Lehrbuches hinaus und lassen
sich nur durch die eigene Beobachtung begreifen. Der ideelle Wert des Präparierkurses darf nicht unterschätzt werden, denn die
Begegnung mit dem toten menschlichen
Körper kann neue Bewusstseinsebenen des
eigenen Erlebens eröffnen.
Aus diesem Grund scheint eine Gebühr seitens der Studierenden zur Entlastung von
Fakultät und lebender Körperspender angebracht. Es geht nicht um Humanität im
hochtrabenden Sinn, sondern um die
schlichte Fähigkeit, sich als junger Mensch
für ein großes Geschenk in der rechten
inneren Haltung zu bedanken. Im weiteren
Sinn geht es nicht um Geld, sondern um die
ausgewogene Balance zwischen Nehmen
und Geben. Doch hier ist der Konflikt mit
dem Gesetz gebahnt, das zwischen Lehrmittel (wie dem Aktmodell bei der Ausbildung zum akademischen Maler) und Lernmittel (wie der Beschaffung von Pinsel,
Farbe und Leinwand) streng unterscheidet.
Im juristischen Sinn zählt der Präparierkurs zu den Lehrmitteln und ist damit gebührenfrei von der Medizinischen Fakultät
anzubieten.
Die knapp bemessenen Landesmittel zwingen die Medizinische Fakultät Leipzig zum
Sparen. Um auch in Zukunft den kostenintensiven Präparierkurs in verantwortlicher Haltung auf hohem Niveau anbieten
zu können, versucht das Institut für Anatomie diesem Dilemma zwischen fallendem
Zuschuss bei steigenden Kosten konstruktiv zu begegnen. Im Informationsblatt für
zukünftige Körperspender ist folgender
Passus aufgenommen: „Wenn Sie in der
Lage sind, uns zu unterstützen, bitten wir
Sie, uns freiwillig den Betrag, den Sie beitragen können, zu Lebzeiten zu überweisen“. Der Dekan der Medizinischen Fakultät, Professor Wieland Kiess, versicherte:
„Bei uns übernimmt die Fakultät die Bestattungsgelder, aber es belastet den ohnehin knappen Haushalt sehr.“ Mit dieser
Zusicherung ist die Medizinische Fakultät
einen ethisch vertretbaren Kompromiss
eingegangen. Doch nur der Zuschuss wird
benötigt, der über die Spenden nicht gedeckt ist. Bei der in naher Zukunft verstärkten Konkurrenz der Hochschulen
untereinander wird dieser Kompromiss
positiv gewertet werden.
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Pharmazeuten
kooperieren mit
Bundeswehr
Erstmals in Deutschland wurde jetzt ein
Kooperationsvertrag zwischen einem
Pharmazeutischen Institut und der Bundeswehr unterzeichnet. Auf Initiative des
Direktors des Instituts für Pharmazie, Prof.
Dr. Kurt Eger, und des Leiters der Bundeswehrkrankenhausapotheke, Flottillenapotheker Michael Boehm, wurde vor zwei
Jahren eine solche Kooperation zwischen
beiden Einrichtungen vereinbart. Ziel war
es, das Bundeswehrkrankenhaus Leipzig,
welches bereits die Anerkennung eines
Lehrkrankenhauses für Medizin hat, auch
als Lehrkrankenhaus für Pharmazie zu
etablieren. Eine derartige Vereinbarung
zwischen einem Pharmazeutischen Institut
und der Bundeswehr ist bisher die einzige
in Deutschland.
Auf universitärer Seite wurde das Zustandekommen vom Dekan der Fakultät für
Biowissenschaften, Pharmazie und Psychologie, Prof. Dr. Kurt Eger, und dem
Rektor der Universität, Prof. Dr. Franz
Häuser, unterstützt. Von Seiten der Bundeswehr erhielt die Initiative die tatkräftige
Hilfe vom Inspekteur des Sanitätsdienstes
der Bundeswehr, Admiraloberstabsarzt Dr.
Karsten Ocker, und dem Chefarzt des
Bundeswehrkrankenhauses Leipzig, Flottenarzt Dr. Hans-Thomas Schmidt.
Welchen Nutzen ziehen beide Institutionen
aus der Vereinbarung? Im Rahmen der
Ausbildung in Pharmazeutischer Technologie (Krankenhauspharmazie) erhalten
die Studenten bereits seit 2002 einen umfangreichen Einblick in die Arbeiten in
einem Sterillabor zur Herstellung von
Parenteralia und Augentropfen sowie der
Arzneimittelfertigung im Großmaßstab.
Im Bereich der Klinischen Pharmazie
werden ab 2004 Stationsbegehungen im
Bundeswehrkrankenhaus sowie die Teilnahme an Visiten mit dem Ziel der Erarbeitung von Therapievorschlägen angeboten, wodurch die Ausbildung praxisnäher und patientenorientierter gestaltet
wird. Die Bundeswehr benötigt im Rahmen ihres neuen Auftrags, des Einsatzes in
aller Welt, hauptsächlich qualifizierten
Nachwuchs in den heilberuflichen Fächern. Hier bietet die Kooperation die
Chance, diese Aufgaben wertfrei und neutral zu vermitteln.
B. A.
journal
Fakultäten und Institute
Walter Hammer: „Café français“. Die Zeichnung zeigt die Mobilmachung am
Augutsusplatz/Ecke Grimmaische Straße 1914.
Rendezvous der
Kulturen
Französisch-sächsische
Kulturgeschichte
Von Alke Hollwedel, Koordinatorin im Frankreich-Zentrum
für die Ausstellung „Passage Frankreich–Sachsen“
Das „Café français“ am Augustusplatz
neben der Paulinerkirche und der Alma
mater Lipsiensis war über hundert Jahre
einer der gesellschaftlichen Treffpunkte in
Leipzig. Die wechselvolle Geschichte des
Kaffeehauses, das bereits mit seinem Namen einen Ort französischer Lebensqualität verhieß, stand auch in Momenten der
Abgrenzung von Frankreich im Fokus der
Bevölkerung. Am Vorabend des ersten
Weltkrieges formierten sich die Leipziger
zum Sturm auf das Café und zwangen
einen Kellner dazu, den Schriftzug von der
Fassade abzuschlagen, wie eine Zeichnung
des Künstlers Walter Hammer dokumentiert (s. oben). Darauf wurde es nach dem
Namen seines Besitzers in „Café Felsche“
umbenannt. In naher Zukunft wird auf dem
erneuerten Uni-Campus das Kaffeehaus an
seiner historischen Stätte wieder eröffnet,
vielleicht sogar unter seinem traditionsreichen Namen „Café français“.
Das Beispiel des Cafés ist nur eines von
weiteren, das die vielfältigen kulturellen
Beziehungen zwischen Frankreich und
Sachsen verdeutlicht. Heute gilt es, diese
teils vergessenen Spuren und KulturgeHeft 3/2004
schichten in Leipzig und Sachsen neu zu
entdecken. Wie fruchtbar es sein kann, den
Blick über lokale und regionale Kontexte
hinaus auf eine europäische Geschichtsschreibung zu weiten, das zeigen die Ergebnisse der Kulturtransferforschung.
In zehnjähriger Forschung und durch den
Austausch zwischen dem Zentrum für Höhere Studien der Universität Leipzig mit
der Pariser École Normale Supérieur entstand eine ganze Reihe von Publikationen.
An der anschaulichen Vermittlung von
Theorien des Kulturtransfers arbeitete das
Zentrum in zwei studentischen Projektseminaren seit 2002. Dabei wurde ein interdisziplinärer Ansatz verfolgt, der auch die
praktische Arbeit mit Objekten und Quellen aus musealen Sammlungen integriert.
Aus der Kooperation mit dem Stadtgeschichtlichen Museum erwuchs der Plan
eines gemeinsamen Ausstellungsprojektes.
Mit dem Hauptstaatsarchiv Dresden und
den Sächsischen Schlössern und Gärten
konnten weitere kompetente Partner gewonnen werden. Nach zweijähriger Vorbereitung wurde Anfang März der Neubau
des Stadtgeschichtlichen Museums mit der
Ausstellung „Passage Frankreich-Sachsen.
Kulturgeschichte einer Beziehung 1700 bis
2000“ eröffnet. Noch bis Mitte Juni wird
die Schau dort zu sehen sein, im Anschluss
daran gastiert sie in Schloss Moritzburg bei
Dresden.
Mehr als 280 Exponate veranschaulichen
die Themen Migration, Politik, Handel,
Wissenschaft und Literatur, Kunst und
Kultur sowie das Bild des Anderen. Von
kulturellen Vor- bis hin zu Feindbildern
verdeutlichen sie die vielfältige Rezeption
französischer Kultur in den letzten 300
Jahren. Die Ausstellung macht bewusst,
dass nicht alles, was heute als sächsisches
Kulturerbe gilt, ursprünglich auch sächsischer Herkunft ist.
In Hinblick auf die wachsende Bedeutung
der europäischen Realität wird die historische Präsentation durch ein Veranstaltungsprogramm ergänzt, das dank der
Unterstützung des Institut Français de
Leipzig und der Französischen Botschaft
in Berlin organisiert werden konnte. Dazu
gehört auch die öffentliche Ringvorlesung
des Kulturwissenschaftlers Dr. Matthias
Middell mit Gästen aus Universität und
Museum.
Wie die Bilanz dieses Versuchs ausfällt,
eine europäisch ausgerichtete Stadt- und
Regionalgeschichte darzustellen, wird von
Partnern und mit dem Publikum auf der
abschließenden Tagung im Juli diskutiert
werden. Die positiven Erfahrungen aus der
Zusammenarbeit von Universität, Museum
und Archiv sprechen jetzt schon für die
Möglichkeit, künftig über ein neues überregionales und interdisziplinäres Profil gemeinsam nachzudenken.
Die Ausstellung „Passage FrankreichSachsen. Kulturgeschichte einer Beziehung 1700 bis 2000“ ist bis zum 13. Juni
im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig (Neubau) zu sehen (dienstags bis
sonntags von 10 bis 18 Uhr), vom
25. Juni bis zum 13. August in Schloss
Moritzburg. Der Ausstellungskatalog
(ISBN 3-89812-217-4) ist für 15 € in der
Ausstellung erhältlich, im Buchhandel
kostet er 25 €.
Die dazugehörige Ringvorlesung findet
donnerstags von 17 bis 18:30 Uhr im
Museum statt.
Weitere Informationen im Internet:
www.passage-frankreich-sachsen.de
Lesen Sie hierzu auch Nomen auf der folgenden Seite.
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Fakultäten und Institute
NOMEN
Namenforscher Prof. Jürgen Udolph zur
Herkunft des Namens „Hollwedel“
Eine Telefon-CD Deutschlands, die ca. 35
Millionen Eintragungen enthält, verzeichnet für den Familiennamen Hollwedel 186
Einträge. Eine Verbreitungskarte gibt zu
erkennen, dass der Name bei Bremen ein
deutliches Zentrum aufweist. Daneben
sind Einträge in Ostfriesland auffällig. Es
gibt auch Familiennamen, die ähnlich lauten: Hollwede ist fünfzehnmal zwischen
Osnabrück und Minden bezeugt, Holwede
findet sich zehnmal, vor allem im östlichen
Niedersachsen. Konzentrationen wie die
bei Hollwedel gehen entweder auf ein dialektal gebräuchliches Wort oder auf einen
Ortsnamen zurück.
Im vorliegenden Fall ist ein Ortsname die
Basis des Familiennamens, es liegt ein sogenannter Herkunftsname vor: Es ist die
Doppelsiedlung Groß Hollwedel und Klein
Hollwedel bei Bassum (Kr. Diepholz),
deren Namen nach G. Lutosch (Die Siedlungsnamen des Landkreises Diepholz,
Syke 1983, S. 121f.) wie folgt belegt sind:
um 1300 Holwedele, 1302 (Gr.) Holwedele, ca. 1370 Lutteken Holwedelle.
In Hol(l)wedel liegt ein Kompositum vor,
dessen erster Teil (Bestimmungswort) zu
niederdeutsch holl „Loch, Öffnung“,
„Hohlraum, Vertiefung, Höhlung“ (U.
Scheuermann, Flurnamenforschung, Melle
1995, S. 126) gehört. Der zweite Teil, das
Grundwort, enthält ein altertümliches,
heute nur noch in Ortsnamen bewahrtes
germanisches Wort „Furt, seichte Stelle
zum Hinüberwaten“, vgl. mittelniederdeutsch wedel, altsächsisch widil, altnordisch vadhell, vadhall, vadhill, norweg.
val, vaul, das verwandt ist mit Watt und
waten.
Es liegt in zahlreichen Ortsnamen wie
Bruchwedel, Langwedel, Nordwedel,
Osterwedel, Salzwedel, Weddel und Wedel
vor (ausführlich behandelt bei J. Udolph,
Namenkundliche Studien zum Germanenproblem, Berlin–New York 1994,
S. 892–906).
Die Orte Klein Hollwedel und Groß Hollwedel liegen am Dünsener Bach, knapp
zwei Kilometer voneinander entfernt, und
dürften ihren Namen der Lage der Senke
verdanken, durch die der Bach fließt.
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Eine Orchidee
mit Zukunft
Einziges Sorabistik-Institut
Deutschlands im Aufwind
Von Tobias D. Höhn
Es gibt Fächer, die lassen sich an nahezu
jeder Hochschule in Ost wie West studieren. Andere Studiengänge hingegen sind
rar gesät, es gibt nicht einmal ein Dutzend
Angebote im Bundesgebiet. Und manche
dieser „Orchideenfächer“ sind einzigartig
– so wie Sorabistik. Das einzige, an einer
deutschen Hochschule angesiedelte Institut für das Sorbische sitzt in Leipzig und
verbucht zunehmendes Interesse aus dem
In- und Ausland.
„Das Nischendasein ist für uns eine
Chance“, sagt Institutsleiter Prof. Dr.
Eduard Werner. „So können wir gezielt auf
die Anforderungen der Studenten eingehen
und sie intensiv betreuen.“ Außerdem gehe
es in den Seminaren auch familiärer zu als
in den Riesenhörsälen typischer Massenstudiengänge. Insgesamt gibt es derzeit
25 Studierende aus allen Semestern. Die
Lehramtsstudenten stammen aus der Lausitz, wobei nicht alle sorbischer Abstimmung sind.
Dass eine sorbische Familienherkunft für
die Begeisterung an Leipzigs kleinstem
Studiengang nicht nötig ist, macht Werner
vor. Der 37-Jährige folgte vor gut einem
Jahr dem Ruf an die Alma mater Lipsiensis. Bereits 1991 zog es den gebürtigen
Rheinland-Pfälzer in den Osten. Zwei
Jahre später wurde er wissenschaftlicher
Mitarbeiter der Abteilung Sprachwissenschaft des Sorbischen Institutes in Bautzen
und legte 1994 seine Dissertation mit „Studien zum sorbischen Verbum“ vor.
„Das Sorbische muss auch im Alltag
lebendig bleiben“, heißt Werners Credo.
Von seinen häufigen Besuchen in den kleinen Dörfern zwischen Oder und Neiße, wo
die Sorben seit 1400 Jahren leben, weiß er,
dass sich viele Menschen ihrer Abstammung schämen und ihre Sprache verleugnen. „Über Jahrzehnte hinweg wurden den
Menschen von Deutschen immer wieder
gesagt, ihre Sprache sei nichts wert und sie
wurden ständig wegen sprachlicher Unzu-
Die Sorben
Mit der großen Völkerwanderung siedelten etwa im sechsten Jahrhundert verschiedene slawische Stämme zwischen
Oder und Neiße und Saale und Elbe,
zwischen Erzgebirge und Ostsee an. Zu
diesen westslawischen Stämmen zählten
die Milzener und Lusizer in der heutigen
Ober- und Niederlausitz, als deren Nachfahren sich die Sorben verstehen. Trotz
des Verlustes der politischen Selbständigkeit und der Verringerung des Siedlungsgebietes durch Assimilation und Germanisierung, konnte die sorbische Sprache
und Kultur bis zum heutigen Tag bewahrt
bleiben.
In der Oberlausitz nennen sich die Sorben
„Serbja“ und in der Niederlausitz
„Serby“. Neben der Universität Leipzig
kümmern sich in Sachsen verschiedene
Einrichtungen auf wissenschaftlicher und
praktischer Ebene um die Pflege der
sorbischen Kultur. So besteht in Bautzen/Budyšin das zweisprachige Theater,
das Sorbische Nationalensemble, das
Sorbische Museum und das Sorbische
Institut e. V. – ein Forschungsinstitut für
Sorabistik, wo alle zwei Jahre Sommerkurse stattfinden, mit einer Außenstelle in
Cottbus. Zum Erhalt und zur Revitalisierung der sorbischen Sprache wurde 1998
das Witaj-Sprachzentrum ins Leben gerufen. Hier erlernen Kinder in Kindertagesstätten spielerisch die Sprache ihrer
Ahnen. Dachverband der sorbischen Vereine ist die Domowina.
Tdh
journal
Fakultäten und Institute
Wissenschaftler und Studenten in der Region zwischen
Erzgebirge und Ostsee zuhauf.
Und das Bermerkenswerte an
dem Leipziger Studiengang:
Die Ausbildung findet komplett in Ober- und Niedersorbisch statt. Nur bei Sprachkursen für Anfänger wird Deutsch
gesprochen.
Neben der reinen Sprachwissenschaft, Praxis und Fachdidaktik konzentrieren sich die
Forscher auch auf Literaturwissenschaft und -geschichte.
Schließlich beschäftigten die
Sorben schon Autoren und Gelehrte vergangener Jahrhunderte. Während der Wittenberger Reformator Martin Luther
sich in seinen Tischreden abfällig über „die schlechteste aller Nationen“ äußerte, schuf
Gotthold Ephraim Lessing in
seinem „Jungen Gelehrten“
erstmals eine sorbische BühProf. Dr. Eduard Werner leitet das Institut für Soranenfigur.
bistik und bewahrt im kleinsten Studiengang der
Die
deutsche
Politik
Universität Leipzig Sprache und Kultur der Sorben.
Foto: Tobias D. Höhn schwankte indes zwischen
Unterdrückung, Duldung und
länglichkeiten kritisiert“, so Werner. Dabei vorsichtiger Förderung. Im Kaiserreich
birgt das an der Universität Leipzig ge- widerstanden sie der Verfolgung als
lehrte Ober- und Niedersorbische einen Reichsfeinde, in dem sie sorbische Kulturungeahnten Facettenreichtum.
vereine bildeten. Diese gründeten am 13.
Die Sorbischausbildung an der Universität Oktober 1912 die Domowina, was poetisch
Leipzig hat Tradition und reicht bis ins gesprochen so viel wie „Heimat“ bedeutet.
18. Jahrhundert zurück. Der Grundstein Nach Jahrzehnten der Unterdrückung
wurde bereits im Jahr 1716 mit der Grün- sollte sie demokratisch nationale Interesdung des Wendischen Predigerkollegiums sen vertreten sowie Kultur und Sprache
(Serbske prědarske towarstwo) gelegt. pflegen helfen. Doch die sorbische VolksNach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierte bewegung wurde 1932 widerrechtlich von
sich das Institut von 1951 an zunächst auf der Weimarer Republik überwacht und
die Ausbildung von Sorbischlehrern und 1937 durch die Nationalsozialisten verbovon Fachpersonal für sorbische Institutio- ten. Damals dürfte es vermutlich mehr als
nen. Angesichts der wachsenden Bedeu- 100 000 Sorben gegeben haben.
tung und Anerkennung von Minderheiten „Die Sorben wehrten sich vehement. Und
und kleinen Völkern wurde die Palette der die Nazis antworteten auf den Widerstand
möglichen Berufsprofile rasch erweitert. mit Repressionen zur Vernichtung des
„Die Sorabistik an der Universität Leipzig Volkes“, weiß Werner. Die Domowina kam
versteht sich traditionell als Ausbildungs- in die Illegalität, viele Persönlichkeiten
fach einer muttersprachlichen Slavine, ist kamen in Konzentrationslager, sorbische
aber gleichzeitig in die deutsche und inter- Ortsnamen wurden eingedeutscht. Wenn
nationale Slavistik und europäische auch Kriegswirren die von den Nazis geMinderheitenforschung eingebunden“, so plante Deportation von Sorben verhinderWerner.
ten, blieben Spuren der regressiven Politik:
Die Kontakte zu slavischen Einrichtungen Der Gebrauch des Sorbischen als Alltagsund Organisationen in Mittel- und Ost- sprache ging zurück. „Viele Sorben
europa, aber auch zum Bund der Sorben, scheuen sich, ihre Sprache öffentlich zu
sind für das Institut der Philologischen Fa- sprechen und sind misstrauisch gegenüber
kultät wichtig. Praxisnahe Beispiele finden öffentlichen Institutionen“, sagt Werner.
Heft 3/2004
Für die Rechte der – je nach Schätzung –
20 000 in der Niederlausitz und 40 000
in der Oberlausitz lebenden Sorben tritt
seit mehr als 90 Jahren die Domowina
ein.
Die am 10. Mai 1945 als erste demokratischen Organisation in Deutschland nach
Ende des Zweiten Weltkrieges gegründete
Interessenvereinigung hält Traditionen und
Bräuche der Sorben und ihrer slavischen
Kultur hoch – über alle Regime hinweg. In
der DDR folgte dann die Vereinnahmung
durch SED, die die Domowina zur „sozialistischen nationalen Organisation“ deklarierte und ihre kulturelle Arbeit zugunsten
politischer Aktivitäten zurückdrängte.
Nach der friedlichen Revolution und dem
Zusammenbruch des SED-Regimes erklärte sich die Domowina zur unabhängigen nationalen Organisation des sorbischen Volkes und vertritt seither 7 300 Mitglieder in 154 Ortsgruppen und Vereinen.
Auch die sorbischen Institutionen in der
Lausitz sind in die Ausbildung eingebunden. Schließlich haben Wissenschaftler
wie Vereine das gleiche Ziel: Den Erhalt
der Sprache.
Das in der sächsischen und brandenburgischen Landesverfassung verankerte Recht
auf Schutz und Förderung der eigenen
Identität hilft Deutschlands kleinster
Minderheit wenig. Darin heißt es, dass
jedes Kind mit zwei Sprachen aufwachsen
kann. Alles graue Theorie, meinen Experten. Denn in den zweisprachigen Schulen
der Lausitz, in Bautzen und Cottbus fehlen in allen Bereichen sprachsichere
Lehrer. Selbst für das Fach Sorbisch fehlt
es an Muttersprachlern. Die Grund- und
Mittelschule, aber auch das bilinguale
Gymnasium in Bautzen brauchen dringend sorbische Fachlehrer. Müssen Studenten bei anderen Orchideenfächern
fürchten, nach dem Examen Taxifahren
oder Kellnern zu gehen, kommt ein Examen in Sorabistik einem Arbeitsvertrag
gleich.
Und das die slavische Sprache künftig ein
ähnliches Dasein fristen könnte wie das
von vielen Kritikern als „tot“ bezeichnete
Latein, ist ein Vorurteil, wie Professor
Werner eindrucksvoll widerlegt: Er übersetzte nicht nur den Kinderbuchklassiker
„Winnie-the-Pooh“ aus dem Englischen
ins Obersorbische, sondern kümmert sich
jetzt auch um die Sprachanpassung von
Computer-Benutzeroberflächen. Mit den
Machern der weltweit führenden Suchmaschine google.de hat er bereits Kontakt
aufgenommen.
13
UniCentral
Eine Studienreform
zwischen Vision und Oktroi
„Bologna“ in Leipzig
Von Prof. Dr. Charlotte Schubert, Prorektorin für Lehre und Studium
Warum trägt die derzeitige Studienreform
das Etikett „Bologna“? Steht nicht der
Name dieser Stadt mit einer der ältesten
europäischen Universitäten für den Aufstieg des wissenschaftlichen Studiums und
der europäischen Universitäten seit dem
Mittelalter? Ist aber nicht „Bologna“ heute,
nach der 1999 von den europäischen Bildungsministern unterzeichneten Erklärung
zur Vereinheitlichung des Universitätsstudiums in Europa in den Augen Vieler zum
Markenzeichen des universitären Verfalls
geworden? Oder noch schlimmer: Geht es
wieder einmal um eine der verpönten „Reformen von oben“? Immerhin handelt es
sich um Beschlüsse, die die nationalen
Kultus- oder Bildungsminister auf europäischer Ebene gefasst haben – also weit weg
von den länder- und lokalspezifisch geprägten Interessenlagen der jeweiligen
deutschen Universitäten. So entstehen
dann leicht Situationen, in denen sich der
Eindruck verfestigt, dass man dem Neuen
kaum mehr entrinnen, es höchstens ertragen könne.
Ein genauer Blick auf Ziele, Chancen und
Risiken kann die Zweifel derjenigen, die
heute den Untergang der alten europäischen Universität befürchten, sicher nicht
entkräften, aber er kann zumindest deutlich
machen, dass eine neue europäische Universitätslandschaft im Werden ist, die die
Chance bietet, das Studium attraktiver und
besser zu gestalten.
Was ist das Ziel?
Die europäischen Bildungsminister haben
im September 2003 in Berlin noch einmal
folgende Punkte der Reform als Ziele hervorgehoben:
• Einführung eines Systems leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse, auch durch die Einführung des
Diplomzusatzes (Diploma Supplement)
• Einführung eines Studiensystems, das
sich im Wesentlichen auf zwei Hauptzyklen stützt
• Leistungspunktsystem und Modularisierung
• Förderung der Mobilität durch Überwindung der Hindernisse, die der Freizügigkeit in der Praxis im Wege stehen
• Förderung der europäischen Zusammenarbeit bei der Qualitätssicherung
• Förderung der erforderlichen europäischen Dimensionen im Hochschulbereich
Der politische Impetus der Bologna-Deklaration liegt vor allem in der Harmonisierung der Studienstrukturen in Europa
und in einer verbesserten Diplomanerkennung auf dem internationalen Arbeitsmarkt
sowie in einer erhöhten Mobilität von Studierenden und Dozenten. Die Globalisierung und die Schaffung eines einheitlichen
europäischen Arbeitsmarktes verlangen
vergleichbare Abschlüsse. Die Harmoni-
Systembewertung durch die
Akkreditierungsagentur
Die Zeitschiene
Eckwerte/Rahmenempfehlungen im Senat für
1) Einführung der konsekutiven Studiengänge
2) die Modularisierung
und Einführung des
ECTS
SS 2004
14
sierung und Internationalisierung der Abschlussstruktur ist ein auch für Deutschland einleuchtendes Ziel: Die bisherige
Situation war, dass deutsche Studierende,
die mit einem herkömmlichen MagisterAbschluss nach vier- bis fünfjährigem Studium in einem System nach dem konsekutiven Modell von Bachelor/Master wie die
Absolventen des dreijährigen BachelorStudienganges eingestuft wurden, weil beides eben der „erste“ berufsqualifizierende
Abschluss ist. Das Studium bis zum Bachelor-Abschluss wird aber auch ganz neue
Möglichkeiten zum „Ausstieg“ in den Arbeitsmarkt bzw. zum Umstieg in das Studium einer spezialisierteren und/oder verwandten Fachrichtung bieten – es kann
dann sofort oder nach einigen Berufsjahren
ein Studium bis zum Master folgen.
Ein ebenso unmittelbar einleuchtendes
Ziel ist die Erhöhung der Mobilität, wenngleich gerade dies in dem neuen System
einen erhöhten Organisationsaufwand für
die Universitäten mit sich bringen wird. Es
wird sich auch kaum jemand der Einsicht
verschließen, dass die heutigen Studierenden von ihren Hochschulen ein übersichtlich strukturiertes, vom Zeitaufwand her
genau kalkuliertes und berufsfeldbezogenes Studienangebot erwarten sowie klar
umrissene Studienziele und Studierbarkeit.
Dass dies schließlich im europäischen
Rahmen zu schaffen ist, kann ebenfalls nur
begrüßt werden.
Beginn des Gremienweges (Genehmigung
der Studiengänge und
Studiendokumente) für:
– Bachelor-Studiengänge
– Master-Studiengänge I
WS 2004/5
Vorprüfung des
Konzeptes durch
die Akkreditierungsagentur
SS 2005
Master-Studiengänge II: Gremienweg
Antrag auf Aufhebung der Magisterstudiengänge zum WS 06/07 und
Antrag auf Einrichtung der Bachelor- und
Masterstudiengänge ab WS 2006/7
Anzeige der Studiendokumente im SMWK
WS 2005/6
journal
UniCentral
Was ist das Neue?
Es werden nun also nicht nur neue Namen
für die akademischen Abschlüsse eingeführt (Bachelor und Master), sondern damit auch neue Strukturen: Verstand man
sich bisher auf ein grundständiges Studium
von vier oder fünf Jahren, so ist dies in
Zukunft der i. d. R. dreijährige BachelorStudiengang, der berufsqualifizierend sein
soll. An ihn kann, muss jedoch nicht, ein
i. d. R. zweijähriger Master-Studiengang
anschließen. Master-Studiengänge können
die gleiche Fachausrichtung haben wie die
entsprechenden Bachelor-Studiengänge
(konsekutiver Master), sie können allerdings auch ein eigenständiges (nicht-konsekutives) bzw. interdisziplinär konstruiertes Studienangebot darstellen, und schließlich auch weiterbildend für diejenigen sein,
die aus der Berufswelt an die Universität
zurückkehren wollen. Alle drei Formen
sind an eine Gesamtstudiendauer von fünf
Jahren gebunden, womit ein Bachelor/
Master-Studium insgesamt in etwa der
Regelstudienzeit herkömmlicher Studiengänge entspricht.
Der eigentliche Paradigmenwechsel verbirgt sich jedoch in den eher technokratisch
anmutenden Kürzeln „Modularisierung“
und „ECTS“ (das European Credit Transfer System, auf das sich die deutschen Kultusminister festgelegt haben). Ließe sich
die Modularisierung noch eher unverbindlich als thematische und zeitliche Bündelung von Lehrveranstaltungen beschreiben, so legt das ECTS der neuen Studienstruktur einen fest geregelten Rahmen auf:
Nicht mehr wie bisher in Deputatsstunden
der Hochschullehrer (in SWS) wird gerechnet, sondern ausschließlich in Stunden
studentischer Arbeitszeit (workload). Der
studentische Lernprozess steht nun im
Mittelpunkt und ist die Grundlage der
Planung: Für jede studentische Lehr- und
Lernaktivität (Vorbereitung der Lehrveranstaltungen, Arbeitsaufwand für Hausarbei-
Akkreditierungsbericht
Frühjahr 2006
Heft 3/2004
ten, Prüfungsvorbereitungen etc.) ist das
entsprechende Zeitkontingent zu beschreiben – und da das ECTS gleichzeitig eine
maximale studentische Arbeitszeit zwischen 1600 und 1800 Stunden im Jahr annimmt, bedeutet dies, dass ca. 900 Stunden
im Semester (1800 im Jahr, umgerechnet
in credits: 1 credit = 30 Stunden, also
60 Punkte im Jahr) zugrunde gelegt werden. Modularisierung und ECTS sind also
die eigentlichen „Motoren“ der Veränderung!
Ziel muss immer die Wettbewerbsfähigkeit
der Universität und die Förderung der Mobilität der Studierenden und ihres Denkens
bleiben. Die Chance dazu liegt darin, aus
dem neuen Studienmodell ein höheres Maß
an Flexibilität, bessere Studierbarkeit im
Ablauf und in den Ergebnissen, mehr
Transparenz in Wissensvermittlung, Qualifikationen und Kompetenzen zu gewinnen
und in einer intelligenten und phantasievollen Modularisierung die Studienangebote neu zuzuschneiden.
Chancen und Risiken?
Wie geht es weiter an der
Universität Leipzig?
Ein unübersehbares Risiko der Reform
liegt in der Möglichkeit, die BachelorStufe vom Zusammenhang eines wissenschaftlichen Studiums wegen deren Ausrichtung auf die Berufstätigkeit abzukoppeln. Damit würde nicht nur das
wissenschaftliche Profil der Universität
gegenüber der Fachhochschule verwischt,
sondern auch die Qualität der universitären
Ausbildung gefährdet werden. Das wäre in
der Tat dann der berüchtigte „Schmalspurakademiker“, den viele Skeptiker vor
Augen haben, wenn sie an die neuen dreijährigen Studiengänge denken.
In der Möglichkeit, nach dem Prinzip
„Lehre aus Forschung“ Studieninhalte in
neue Formen zu bringen und mit veränderten Inhalten zu praktizieren, liegt demgegenüber die Chance der Reform. Es ist
dabei aber vor allem zu berücksichtigen,
dass die Studienreform für verschiedene
Fachgebiete Unterschiedliches bedeuten
kann. In bisher sehr verschulten Fächern
geht der Zug in Richtung einer höheren
Selbständigkeit der Studierenden, während
in den bisher weniger strukturierten Geistes-, Kultur und Sozialwissenschaften eine
straffere Organisation der Studien zu erwarten ist. Wichtig ist hier vor allem, die
Einführung neuer Strukturen nicht als
Zweck, sondern nur als Mittel zu betrachten.
Beginn der
Evaluation und
Akkreditierung
SS 2006
Studienbeginn der
neuen BA/MA
Nachdem im Dezember 2003 allen Fakultäten vom Prorektorat für Lehre und Studium ein Eckwerte-Papier mit Überlegungen zur neuen Studien- und Modulstruktur
als Grundlage der weiteren Gespräche über
die Studienreform übergeben wurde, sind
von April bis Anfang Mai mit allen Fakultäten, die an dem Bologna-Prozess beteiligt
sind, öffentliche Diskussionsveranstaltungen durchgeführt worden (s. a. S. 22). Parallel dazu sind mit dem SMWK sowie
dem SMK Verhandlungen aufgenommen
worden, um die Ausbildung in den Lehramtstudiengängen in diese neue Struktur
zu integrieren. Nachdem hierzu bereits ein
grundsätzlicher Konsens im Hinblick auf
den Rahmen der Umstellung erzielt werden
konnte (Beibehaltung der ZweifächerStruktur und des 1. Staatsexamens, Integration der LAPO in die Etablierung der
Bachelor/Master-Studiengänge), werden
die weiteren Schritte parallel zu der an der
Universität Leipzig geplanten Gesamtumstellung der Magisterstudiengänge im WS
2006/7 sowie einer einheitlichen Modularisierung aller Studiengänge geplant und
abgestimmt werden. Auf diesen Grundlagen wird das Prorektorat entsprechende
Rahmenempfehlungen für eine formal
einheitliche Umsetzung der neuen Studiengänge vorbereiten, die im SS 2004
dem Senat der Universität zur Verabschiedung vorgelegt werden (siehe auch Zeitschiene).
Chancen können genutzt oder vertan werden: Für die Universität Leipzig bietet der
Bologna-Prozess jetzt die Chance, den
neuen Rahmen in weitestgehend eigener
Handlungsfreiheit im Sinne des Mottos
„Aus Tradition Grenzen überschreiten“
auszufüllen.
WS 2006/7
15
UniCentral
Theologie für
Naturwissenschaftler
Konsekutive Studiengänge
und Schlüsselqualifikationen
Von Prof. Dr. Pirmin Stekeler-Weithofer, geschäftsführender Direktor des Instituts für Philosophie
und Sprecher des Direktoriums des Zentrums für Höhere Studien
I. Prognostische und
normative Thesen
1. Obgleich es angesichts einer Dauerreform im Bildungswesen und der neuen
Zumutungen verständlich ist, dass die Studierenden, Lehrenden, Institute und Fakultäten am liebsten den status quo auf die
eine oder andere Weise verteidigen oder
sich bestenfalls passiv ins Unvermeintliche
fügen, sollte die anstehende Studienreform
ganz und gar ernst genommen werden. Es
ist einfach eine Illusion, man könne sich
am Ende auch im neuen Rahmen den
gewohnten Stiefel schnüren. Denn wie
die Universitäten und Hochschulen in
Deutschland insgesamt aussehen werden
und wie sich unsere Universität dabei platziert, hängt wesentlich davon ab, wie jetzt
geplant und entschieden wird.
2. Schon nach dem Wintersemester 2005
werden sich keine Studierenden an unserer
Universität in einen Magisterstudiengang
einschreiben können. Die Zahl der Diplomstudiengänge wird sich drastisch reduzieren, sofern sich diese überhaupt in der
alten Form sinnvoll erhalten lassen, auch
und gerade in den Naturwissenschaften.
Bis dahin zu leisten ist insbesondere die
Einbettung der entsprechenden BA-Studiengänge in ein konsekutives Konzept der
höheren Bildung überhaupt, der gestuften
Lehrerausbildung nach dem „Y-Modell“
im Besonderen. Das heißt, es sollte nicht
schon gleich nach dem Abitur entschieden
werden, ob die Schülerin Lehrerin wird.
Vielmehr setzen nach der BA-Ebene die
Geeignetsten die weitere Ausbildung bis
zum Staatsexamen fort. Von den 180 bzw.
120 Leistungspunkten („credit points“
oder „LPs“) – das sind 18 bzw. 12 Module
– entfallen dann in den BA- bzw. MA-Studiengängen je 60 bzw. 40 LPs (also 6 bzw.
16
4 Module) auf zwei Fachdisziplinen und je
60 bzw. 40 LPs auf den bildungswissenschaftlichen Anteil, inklusive Praktika,
Fachdidaktik und Schlüsselqualifikationen
wie z. B. Sprecherziehung und Rhetorik.
Ein wesentlicher Schritt nach vorn bestünde zusätzlich darin, dass auch die
Grundschullehrer erst nach einem dreijährigen BA ihre Spezialausbildung in einem
zweijährigen Masterstudiengang erhalten
und mit einem Staatsexamensabschluss
analog zu einem „Master of Education“ beenden könnten – mit der Option, sich ggf.
später weiterzubilden. Die entsprechenden
Entwicklungschancen bedeuten eine wesentliche Verbesserung der Lage der Lehrer und erhöhen die Attraktivität des Lehrerberufs zusammen mit dem Projekt, an
die Universität zur Betreuung von Praktika
abgeordneten Lehrern die Promotion zu ermöglichen.
3. Der Stand eines Faches bzw. Instituts,
einer Fakultät oder Universität wird sich an
der Attraktion der MA- und PhD-Studiengänge bemessen. Entscheidend ist daher
die Qualitätssicherung auf höchstem Niveau besonders in den methodenorientierten Disziplinen wir den naturwissenschaftlichen Fächern, den Gesellschaftswissenschaften, Geschichts- und Kulturwissenschaften unter Einschluss der Philologien
und nicht zuletzt der miteinander verwandten und doch so unterschiedlichen Strukturwissenschaften wie der Mathematik und
Logik bzw. Wissenschaftsmethodik und
Philosophie. Daher dürfen in einer klassischen Universität wie der Leipziger die
Ressourcen auf diesen Ebene nicht zu
knapp werden, wenn man vermeiden will,
zum bloßen Zulieferer für Anbieter der
ersten Liga zu werden. Andererseits brauchen wir einen selbsttragenden Unterbau in
den BA-Studiengängen. Nur beide Phasen
zusammen sind Ersatz für die noch vorhandenen einphasigen Magister- und Diplomstudiengänge. Deren Nachteil war die
illusionäre Unterstellung, es bedürfe keiner
weiteren Vorprüfung nach dem Abitur, ob
ein Studierender auch tauglich ist für ein
akademisch ausgerichtetes Studium. Diese
Illusion hat im noch bestehenden System
die erwartbare Folge eines enormen
Schwundes an Studierenden, da diese auf
die eine oder andere Art „herausgeprüft“
werden.
4. Es ist nicht schwer zu prognostizieren,
dass eine der wesentlichen Evaluationskriterien der Zukunft die Proportion zwischen
der Anzahl der Studienanfänger und der
Anzahl der bestandenen Abschlussexamina auf der BA-Ebene und die absolute
Anzahl der Absolventen auf der MA- und
PhD-Ebene sein wird. Wir alle tun daher
gut daran, uns schon jetzt darauf einzustellen. Das Festhalten an den bisherigen einphasigen Diplomstudiengängen ist dabei
nicht hilfreich, auch wenn man, falls man
unbedingt will, die „höchste“ Stufe der
Vertiefung auf der Graduiertenebene, also
im MA-Studium mit disziplinärem
Schwerpunkt, sagen wir im Fach Mathematik, Soziologie oder Biologie, „Diplom“
nennen kann.
II. Verbünde
1. Für die BA-Studiengänge ergibt sich
nicht zuletzt aus dem Zwang zur Nutzung
von Synergieeffekten die Notwendigkeit
von Ausbildungsverbünden. So favorisiert
die Fakultät für Sozialwissenschaften und
Philosophie neben einem eher berufsorientierten BA/MA-Modell Journalistik und
Medienwissenschaften einen gemeinsamen Bachelor-Studiengang mit dem Titel
„Gesellschaftswissenschaft und Philosojournal
UniCentral
phie“. Sein Thema sind die Strukturen und
Probleme individuellen und institutionellen Handelns. Unter seinem Dach lassen
sich die Schwerpunktfächer Politik, Philosophie, Kultur oder Soziologie studieren,
wobei mindestens 60 (optional natürlich
auch mehr) LPs als Voraussetzung fixiert
werden können für ein postgraduales Studium im Lehramt Gemeinschaftskunde
oder Ethik/Philosophie bzw. in einem disziplinären Masterstudiengang Kulturwissenschaften, Philosophie, Politikwissenschaften oder Soziologie.
2. Entsprechende Verbünde wird es in der
Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften geben. Sie lassen sich
durchaus auch für die Naturwissenschaften
vorstellen, zumal ein partiell gemeinsames
naturwissenschaftliches Grundstudium den
Interessen von Studierenden der Fächer
Chemie, Biologie und durchaus auch der
Physik und Medizin entgegenkommen
würde. Denn die größere Durchlässigkeit
der Fächer in den ersten Semestern hat Vorteile und sollte nicht nach der gegebenen
Situation mit Blick auf die Probleme des
Numerus Clausus beurteilt, werden: Die
Entscheidung, wer auf der MA-Ebene weiter in diesem oder jenem Fach studiert,
wird erst nach Abschluss des BA getroffen.
III. Schlüsselqualifikationen
1. Einen zentralen Bestandteil der gestuften Studiengänge stellen die Schlüsselqualifikationen dar. Die Universität Leipzig
sollte dabei gerade nicht auf soft skills wie
die Beherrschung der Maus in PowerPointPräsentationen setzen. Das bringen sich
Studierende selbst schneller bei als ein
Computerkurs für mäßig Fortgeschrittene.
Stattdessen ist die Departementalisierung
der Universität – das Wort ist übrigens so
hässlich wie die Sache – partiell aufzuheben. Denn die wesentlichen Schlüsselqualifikationen gerade für eine natur- und
technikwissenschaftliche Karriere liegen
im Komplementärbereich einer passiven
und aktiven Sprachbeherrschung auf hohem Niveau und einem vertieften Verständnis sozialer und kommunikativer Prozesse unter Einschluss des rechtlichen und
ethischen Urteilens. Umgekehrt verlangt
die Ausbildung in einer Geistes-, Sozialoder Strukturwissenschaft die Ergänzung
durch ein Verständnis der Methode, Denkweise und Leistung der Technik- und Naturwissenschaften. Der Wahlpflichtanteil
der Schlüsselqualifikationen in der BAHeft 3/2004
Informationen im Netz
Das Dezernat 2 (Akademische Verwaltung) hat im Intranet eine neue Seite eingerichtet: Unter
www.uni-leipzig.de/studref
sind grundlegende Informationen zu den
konsekutiven Studiengängen ebenso zu
finden wie Dokumente zur Umsetzung
der Studienreform an der Universität
Leipzig (u. a. Zeitschiene, Arbeitsschritte, Arbeitsunterlagen). Zudem gibt
es einen Link zur Arbeitsgruppe „Studiendokumente Bachelor/Master“ (AG
Studo BaMa), die Muster-Studien- und
-Prüfungsordnungen vorbereitet.
Phase beträgt mindestens 30 LPs (3 Module). Dabei sind es wesentlich zwei
Aspektbereiche, welche die Schlüsselqualifikationen charakterisieren, die interdisziplinäre bzw. transakademische Kommunikation und Kooperation und die transnationale bzw. interkulturelle Kommunikation und Kooperation.
2. Da je nach Fach andersartige Ergänzungen und Vertiefungen nötig werden, sollten
die Angebote zu diesem Ausbildungsbereich aus den verschiedenen Fakultäten
durch eine zentrale Organisation koordiniert werden. Zu denken wäre an „eingefärbte“ Fachgruppen und Angebote, so
dass von Studierenden der Natur- und
Technikwissenschaften nur Angebote der
Sprach-, Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften bzw. aus dem Bereich der
Lehrerbildung
(„Bildungswissenschaften“) gewählt werden dürfen, und in gewissem Maß auch umgekehrt. Dazu wären
freilich Angebote des Typs „Mathematik/
Ökonomie für Nichtmathematiker/Nichtökonomen“ ebenso nötig wie zum Beispiel
„Ethik für Mediziner“, „Wissenschaftslogik und methodisches Denken für Naturwissenschaftler“ oder auch, und warum
nicht, „Theologie für Naturwissenschaftler
(und Atheisten)“. Weitere wichtige Bereiche für Schlüsselqualifikationen sind:
„Rhetorik und rationales Argumentieren“
oder „Wissenschafts- und Kulturgeschichte“. Auch durch „Sprecherziehung
und Drama“ ließe sich eine zentrale, in
Großbritannien und den USA schon ab
dem Kindergarten intensiv geförderte
Schlüsselkompetenz besser entwickeln.
3. Insgesamt hat dabei die Universität
Leipzig einen Standortvorteil aufgrund
ihres außerordentlich breiten Fächerangebotes. Für fachübergreifend ausgerichtete
Lehrangebote gibt es ideale Voraussetzungen. Gerade auch aufgrund der zahlreichen
Disziplinen, die sich mit außereuropäischen Kulturen beschäftigen, gibt es ein
in dieser Art deutschlandweit einmaliges
Konzept der Ergänzung der Ausbildung im
Bereich interkultureller Praxis und Kommunikation. Dazu sollte es nach Möglichkeit in den neuen BA/MA Studienordnungen verankerte Auslandsaufenthalte (auch
Praktika) geben, etwa organisiert durch ein
internationales Hochschulkolleg. Hinzu
kommt eine vollintegrierte Sprachausbildung, organisiert durch ein Sprachenzentrum, das angebunden ist an die Philologische Fakultät.
4. Die zentrale Schlüsselqualifikation echter Bildung ist die Kompetenz des lebenslangen Lernens. Aus ihr erst ergibt sich das
Auftreten als Person mit der Fähigkeit zum
strukturellen Denken und zur Personalführung – weswegen sich das amerikanische
BA-MA-Modell (trotz aller eigenen Probleme etwa mit dem Standard der Highschool) zu Recht immer noch am Ideal der
Humboldtschen Universität orientiert und
(anders als etwa das britische) die bloß
„professionelle“ Fachkompetenz (zum
Beispiel eines Informatikers oder forschungsorientierten Physikers) entsprechend ergänzt. Denn diese ist nicht bloß für
die Lehrerausbildung zu wenig: Sie reicht
auch nach einer entsprechenden Anlernzeit
bestenfalls für die ersten zehn Jahre Beschäftigung als Sachbearbeiter, nicht für
ein ganzes Berufsleben, jedenfalls nicht in
unserer Zeit. Dieser Diagnose widerspricht
nicht, dass wir auf einen gewissen Exporterfolg höchst kompetent ausgebildeter
Akademiker etwa nach Großbritannien, in
die USA und in viele andere Länder verweisen können. Das Problem ist nicht (nur)
die Ausbildung derer, die das Studium mit
einem sehr guten Diplom oder gar Promotion abschließen, sondern (auch) die Bildung derer, die nicht auf der akademischen
Leiter gewissermaßen in professorale Höhen steigen und für welche die universitäre
Ausbildung eigentlich und in ihrer Mehrheit da ist. Die Mehrzahl dieser Studierenden verlässt die deutsche Universität bis
heute sogar ohne jeden formellen Abschluss, und zwar sowohl in den Diplomals auch in den Magisterstudiengängen.
Das ist der eigentliche Skandal des bisherigen Systems der höheren Bildung in
diesem Land.
17
UniCentral
Der Osnabrücker
Zwei-Fach-Bachelor
Integration und Profilierungschancen
Ein Gastbeitrag von
Dr. Yoshiro Nakamura,
Universität Osnabrück
Wiewohl der Bologna-Prozess weniger einen qualitativen Studienreformprozess als
vielmehr die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Hochschulraums zum
Ziel hat, ist es der hochschulpolitischen
Diskussion gelungen, die Struktur-Debatte
hinsichtlich der Abschlüsse mit Studienreformdebatten substantiell zu verknüpfen
und diese Verknüpfung mit der Einführung
des Instrumentes der Akkreditierung institutionell abzusichern. Es handelt sich zwar
zu großen Teilen um Reformmaßnahmen,
die unabhängig von der Stufung der Abschlüsse wirken könnten, jedoch durch die
Diskussion um Bachelor- und Masterabschlüsse beschleunigt, verstärkt und durchsetzbar wurden. Im Kern handelt es um
einen Wechsel des Organisationsprinzips
von Studiengängen:
Modularisierung: Über die Organisation
von Studienprogrammen in modulare Einheiten verständigen sich Fächer über den
Kern ihres Faches; Studienprogramme
werden nicht entlang fachsystematisch gebotenen Wissensbeständen strukturiert,
sondern an der Organisation des Erwerbs
von Kompetenzen, welche das Expertenwissen mit der Fähigkeit ihrer Anwendung
Der Zwei-Fach-Bachelor ist ein Modell,
das wahrscheinlich auch in Leipzig Einzug halten wird. Alles über den Osnabrücker Zwei-Fach-Bachelor ist ausführlich in einer Broschüre nachzulesen, die
im Internet zur Verfügung steht:
www.blk.uni-osnabrueck.de/
OSBeitraege_2.pdf
Weitere Informationen zur Studienreform in Osnabrück unter:
www.blk.uni-osnabrueck.de
18
in theoretischen wie praktischen Zusammenhängen verknüpfen.
ECTS: Die Einführung eines Leistungspunktsystems bewirkt, dass Studienprogramme nicht mehr nach dem Lehraufwand (SWS), sondern nach dem notwendigen Studienaufwand organisiert werden
und trägt damit erheblich zur Studierbarkeit der Studienprogramme bei.
Mit diesen und weiteren Maßnahmen wie
Studien begleitenden Prüfungssystemen
reagiert die Reform auf die beiden wesentlichen Querschnittsprobleme im Bereich
Studium und Lehre: Langzeitstudierende
und Studienabbrecher. Weitere Vorteile
zeigen sich u. a. in kürzeren Ausbildungszyklen mit größerer Flexibilität und in
besserer Planbarkeit interdisziplinärer Studienprogramme.
Will man allerdings eine solche Reform
nicht nur in spezialisierten Nischen-Studiengängen, sondern für die überwiegend
nachgefragten Diplom-, Magister- und
Lehramtsstudiengänge erreichen, stellen
sich erhebliche Anforderungen an die zu
planende Studiengang-Struktur. Insbesondere die kapazitären Rahmenbedingungen
machen ein hoch flexibles StudiengangSystem erforderlich, das in der Lage ist, die
unterschiedlichen Fachkulturen aufzufangen, sie strukturell zu integrieren und verschiedene Bildungs- und Ausbildungsprofile auf einer gemeinsamen Grundlage zu
entwickeln.
Am Beispiel Lehramt wird die Spannung
besonders deutlich: Hier stehen Anforderungen an frühe, praxisorientierte Prägung
auf den Lehrerberuf in einem Gegensatz
zur Forderung nach hohem theoretischen
Niveau und den Vorteilen einer konzentrierten, zusammenhängenden und forschungsbasiert-professionalisierenden Ausbildungsphase auf Master-Niveau. Wie
aber kann eine wissenschaftspropädeutische Grundausbildung so strukturiert werden, dass sie sowohl auf eine Lehramtsprofessionalisierung als auch auf eine fachwissenschaftliche Vertiefung vorbereitet
und dabei zugleich einen eigenständigen
berufsqualifizierenden Abschluss bildet?
Wenn Lehramtsprofessionalisierung und
fachwissenschaftliche Vertiefung echte
Alternativen bieten sollen, muss eine Integration von Fachkulturen erreicht werden,
die ihre Anforderungen an Ein-Fach-Studienprogrammen (Diplom) bzw. an ZweiFächer-Studienprogrammen (Magister und
Lehramt) orientieren. Zugleich sind diese
Fachkulturen jeweils mittels der Definition
von Kompetenzprofilen neu auszurichten.m
Mit diesen Überlegungen rückt der Begriff
der Polyvalenz in den Mittelpunkt der
strukturellen Überlegungen. Hierzu hat die
Universität Osnabrück in Abstimmung mit
den niedersächsischen Verbunduniversitäten ein Modell entwickelt, das im kommenden Wintersemester vollständig die
gymnasialen Lehramtsstudiengänge und
die Magisterstudiengänge, mittelfristig
wahrscheinlich auch die Diplomstudiengänge ablösen wird.
Schon die Grundanlage zeigt die Ausrichtung auf Flexibilität: Es können zwei
Varianten im Bachelor studiert werden, die
zum gleichen Abschluss führen: Entweder
ein Hauptfach/ Nebenfach-Modell oder ein
Modell mit zwei Fächern gleichen Umfangs (Kernfächer). Beide Varianten sind
wiederum anschlussfähig an diverse Masterprogramme. Die Fächer bieten im Bachelor in der Regel fakultativ Didaktik und
Schulpraktika an, so dass für Lehramtsinteressenten eine frühe Ausrichtung möglich ist. Der Bachelor bietet erhebliche
Wahlmöglichkeiten, die der Studierende an
den Zugangsbedingungen der angestrebten
Masterstudiengänge ausrichtet.
Ein Baustein der Polyvalenz zwischen
Lehramt, Fachwissenschaft und Berufsbefähigung ist ein dritter Studienbereich:
der sogenannte „Professionalisierungsbereich“. Für diejenigen, die einen Lehramtsabschluss anstreben, steht hier ein
interdisziplinäres, integriertes Lehramtscurriculum bereit, das unter Beteiligung
von Pädagogik, Psychologie, Soziologie,
Politikwissenschaft, Philosophie sowie
diversen Fachdidaktiken entstanden ist und
im Lehrer-Master fortgeführt wird. Bei
anderer Orientierung und Ausrichtung
werden in diesem Bereich allgemeine
Schlüsselqualifikationen oder fachlichwissenschaftliche Vertiefungen angeboten.
Dr. Yoshiro Nakamura arbeitete bis vor
kurzem als Referent für Studium und Lehre
im Planungsdezernat der Universität
Osnabrück und ist nun am dortigen Zentrum für Lehrerbildung tätig.
journal
UniCentral
Das Bielefelder
Konsekutivmodell
Gute Erfahrungen seit 2002
Ein Gastbeitrag von
Dr. Andrea Frank,
Universität Bielefeld
Die Universität Bielefeld hat im Rahmen
des Modellversuchs „Konsekutive Lehrerausbildung“ des Landes Nordrhein-Westfalen zum WS 2002/03 alle Lehramts- und
Magisterstudiengänge sowie erste Diplomstudiengänge in die Bachelor/MasterStruktur überführt. Hierfür wurden mit
dem „Bielefelder Konsekutivmodell“ eine
einheitliche Studienstrukturmodell entwickelt und eine allgemeine Prüfungs- und
Studienordnung für das Bachelorstudium
an der Universität Bielefeld erarbeitet. Das
Konzept sieht vor, dass im Bachelorstudium ein wissenschaftliches Kernfach (120
LP) und ein Nebenfach (60 LP) studiert
werden. Dieses Modell ermöglicht auch
sogenannte Ein-Fach-Bachelor und damit
die Umstellung von (weiteren) Diplomstudiengängen, indem das Kernfach im Rahmen des Nebenfachs durch fachspezifische
Vertiefungen ergänzt wird. Jedes Bachelor-
Fach ist gegliedert in fachliche Basis,
alternative berufsfeldspezifische (u. a.
lehramtsbezogene bzw. lehramtsrelevante)
Profile und umfasst im Kernfach individuelle Vertiefungs- und Ergänzungsstudien. Die Kernfächer sind für die integrierte Vermittlung von Schlüsselqualifikationen verantwortlich und sehen orientierende und profilbezogene Praxisstudien
vor.
Die Lehramtsausbildung
Das Kernfach hat gemäß den Vorgaben der
Kultusministerkonferenz für ein Gymnasial-Lehramt erforderlichen Mindestumfang von 60 SWS, das Nebenfach einen
Umfang von mindestens 40 SWS für ein
GHR-Lehramt (Grund-, Haupt- und Realschule). Studierende, die mit ihrer Ausbildung als zusätzlichen Abschluss das Zeugnis der Ersten Staatsprüfung für ein Lehramt anstreben, wählen entweder zwei für
schulische Unterrichtsfächer relevante
Disziplinen oder (im Kernfach) eine relevante Disziplin und als Nebenfach Erziehungswissenschaft (40 SWS). Die Festlegung auf das Berufsziel Lehrer sollte bis
zum vierten Semester des Bachelorstu-
Grundstruktur des Bachelor-Studiums im Bielefelder Konsekutivmodell
Lehrerbildender
Master
A
Fachwissenschaftlicher
Master
B
Berufstätigkeit
Bachelor
dreijährig
180 LP
diums erfolgen, um eine Verlängerung der
Studienzeit zu vermeiden.
Nach Abschluss des Bachelorstudiums haben die Absolventinnen und Absolventen
neben der Option, in eine Berufstätigkeit
zu wechseln, die Möglichkeit, ihr Studium
in einem fachwissenschaftlichen Masterstudiengang oder mit dem Master of Education fortzusetzen; mit dem letztgenannten Abschluss ist bei Erfüllen der Voraussetzungen auch die Vergabe eines Zeugnisses einer Ersten Staatsprüfung für das
gewählte Lehramt verbunden. Zugangsvoraussetzung zum Master of Education ist
eine obligatorische Beratung, in der verbindlich festgelegt wird, welche Studienleistungen im Masterstudium erforderlich
sind, damit die Äquivalenz mit den Anforderungen einer Ersten Staatsprüfung für
ein Lehramt an Schulen sichergestellt ist.
Die Beratung wird gemeinsam von dem
zuständigen Prüfungsamt der Universität
Bielefeld und dem Staatlichen Prüfungsamt sowie unter Beteiligung der jeweils zuständigen Fakultäten durchgeführt. Der
Modellversuch ist mit weiteren Reformelementen verbunden (insbesondere der Einführung einer Assistant Teachership zwischen Bachelor-Abschluss und Aufnahme
des Lehramts-Masterstudiums), die derzeit
mit den zuständigen Institutionen (Ministerium, Staatliches Prüfungsamt, Studienseminar) abgestimmt werden.
Die Erfahrungen
Die neue Studienstruktur wird von Studierenden sehr gut angenommen, inzwischen
beginnen mehr als die Hälfte der Studienanfänger in einem Bachelorstudiengang.
Die Studienorganisation erfordert allerdings eine intensive Koordination zwischen den Fakultäten. Die Einführung
eines elektronischen Veranstaltungsverzeichnisses hilft dabei, Überschneidungen
von Pflichtveranstaltungen zumindest in
häufigst gewählten Fächerkombinationen
zu vermeiden.
Die Einführung eines einheitlichen Studienstrukturmodells hat sich bewährt, dennoch stellt sie erst den Anfang eines umfassenden Studienreformprozesses dar.
Weitere Informationen im Internet:
www.uni-bielefeld.de/
bielefelder-modell/index.html
A: Kernfach und
Nebenfach in
verschiedenen Fächern
Heft 3/2004
B: Nebenfach als
Vertiefung des Kernfachs
(„Ein-Fach-Bachelor”)
Dr. Andrea Frank ist Referentin für Studium
und Lehre in der entsprechenden Kommission der Universität Bielefeld.
19
UniCentral
Mit dem „Checkheft“
zum Bachelor of Arts
Das Institut für Kunstpädagogik führte im
Wintersemester einen neuen Studiengang ein
Von Carsten Heckmann
Im Malsaal im zweiten Stock des Instituts
für Kunstpädagogik hängen vier farbenfrohe Collagen an der Wand. Wenige
Schritte davon entfernt haben die Dozenten
Renate Herfurth und Markus Laube auf
einem großen Tisch blassgraue Zeichnungen ausgebreitet. Die geschwungenen
Bleistift-Linien finden Gefallen: „Sehr
schön, und das im ersten Semester“, sagt
Renate Herfurth.
Die Szene an sich ist alles andere als ungewöhnlich. Künstlerische Arbeiten werden hier schließlich regelmäßig gesichtet
und bewertet. Und doch haftet sowohl den
Collagen an der Wand als auch den Zeichnungen auf dem Tisch etwas Besonderes
an: Es sind die ersten sichtbaren Ergebnisse des ersten Bachelor-Studiengangs der
Universität Leipzig, des „Pioniers der Universität“, wie Prorektorin Prof. Dr. Charlotte Schubert konstatiert.
„Kunstpädagogik für außerschulische Arbeit“ lautet dessen vollständiger Titel. Im
vergangenen Wintersemester haben 27
junge Menschen dieses Bachelor-Studium
aufgenommen, 11 von ihnen wechselten in
diesen Studiengang, 16 sind Studienanfänger. „Inzwischen hat es sich herumgesprochen und für das kommende Wintersemester haben wir schon Dutzende Bewerbungsmappen bekommen“, berichtet Renate Herfurth. „Wir haben auch Anfragen
von Kollegen aus Bayern und NordrheinWestfalen, die sich erkundigen, wie wir
den Studiengang organisieren“, ergänzt
Prof. Dr. Frank Schulz, Direktor des Instituts für Kunstpädagogik.
Die Idee, einen Studiengang ins Leben zu
rufen, der auf den außerschulischen Bereich abzielt, kam im Institut vor drei Jahren auf. „Kunstpädagogik findet ja lange
nicht nur in Schulen statt“, erläutert Professor Schulz. „Da gibt es noch den Freizeitbereich, die Arbeit mit Senioren, therapeutische Arbeit, Verlage und einiges
20
Renate Herfurth begutachtet Werke der ersten Studierenden des Bachelor-Studiengangs Kunstpädagogik.
Was aus Werbung werden kann: Collage von Conny Schreiber.
Fotos: Carsten Heckmann
mehr.“ Im neuen Bachelor-Studium könnten die Studenten alles ausprobieren und
sich dann spezialisieren, wirbt Schulz.
Der Kunstpädagogik-Bachelor ist ein voller Bachelor mit 180 ECTS-Punkten. Der
Studiengang wurde komplett neu entwickelt und weist laut Professor Schulz
„ein in Deutschland einmaliges Profil“ auf.
An der Universität Leipzig ist er mit den
Leistungspunkten nach ECTS, der Berechnung des studentischen „Workloads“ und
der Modularisierung derzeit singulär.
Inhaltlich dreht sich alles um die Entwicklung einer fachlichen Kompetenz im künstlerischen Arbeiten, um Methodenwissen,
vor allem eine Vermittlungskompetenz, sowie um die Ausbildung der Persönlichkeit
des Einzelnen. „Die Schwerpunktmodule
im späteren Studienverlauf können dann
fach- oder berufsfeldspezifisch gewählt
journal
UniCentral
werden, man kann sich also zum Beispiel
für das Fachgebiet Neue Medien entscheiden oder für das Praxisgebiet Ausstellungsgestaltung“, erklärt Frank Schulz.
„Die Skeptiker befürchten ja immer, dass
ein Bachelor zu Verschulung führt. Ich
denke, bei uns ist das nicht so.“ Studierende und Lehrende bekämen die Freiheit,
die sie brauchen, aber zugleich eine organisatorische Sicherheit. „Natürlich gibt es
eine größere Verbindlichkeit, aber das ist
auch positiv zu sehen. Es gibt einen Stundenplan ohne Überschneidungen, und es
gibt ein Prüfungssystem, das keine formalen Hürden aufbaut und nicht von der inhaltlichen Arbeit ablenkt.“ Letzteres habe
man mit großem Aufwand durchgespielt.
Eine völlige Neuheit ist ein mit dem Prüfungsamt abgesprochenes Sammelscheinsystem und ein „Checkheft“ mit Beteiligungsnachweisen, das jeder Studierende
erhält. Auch neu: ein Gemeinschaftsmodul
„bildende Kunst und Musik“ mit dem Institut für Musikpädagogik. In Planung: der
weiterführende Master-Studiengang.
Institutsleiter Schulz ist überzeugt, dass
„sich das Ganze vom Ansatz her aufs Lehramt übertragen lässt, auch dort mit einem
inhaltlichen Gewinn“. Zu diesem Gewinn
zählt Schulz auch die Kooperation mit
Partnern aus der Praxis. „Wir arbeiten bereits zusammen mit dem BIP Kreativitätsschulzentrum Leipzig, mit dem Klett Verlag Leipzig, mit weiteren Verlagen und mit
therapeutischen Einrichtungen. Viele dieser Partner werden die Absolventen mit
dem Bachelor of Arts gerne nehmen.“
Einen Motivations- und einen Innovationsschub hat Schulz an seinem Institut ausgemacht. Und Renate Herfurth hat zum
Abschluss des Wintersemesters die Studierenden ihre ersten Eindrücke aufschreiben
lassen. „Die Resonanz ist durchweg positiv“, berichtet sie. Und mit einem Blick auf
die frischen Werke ihrer frischen Studierenden fügt sie hinzu: „Ich habe ein gutes
Gefühl“.
Das Institut für Kunstpädagogik im
Internet:
www.uni-leipzig.de/studienart
Im Internet zur Verfügung steht auch die
Studienordnung Bachelor Kunstpädagogik
mit Studienablaufplan und Modulbeschreibungen:
www.uni-leipzig.de/artdoc/
jahresplanung/
BA-Studienord-Fakul.pdf
Heft 3/2004
Ein Clownfisch
im Bologna-See
Tauchgang der
Politikwissenschaft
Repräsentation u.
Partizipation
Theoriengeschichte
Handlungstheorie
Verfassung und politische Systeme
Mehrebenensystem
Ordnungstheorie
Theorie der Politik
In der aktuellen Diskussion um die Einführung von BA/MA-Studiengängen wird
häufig der Vorwurf einer „Verschulung“
des Studiums geäußert. Gemeint ist, dass
die Studienabläufe strikt reglementiert
werden. Die Studierenden hätten weniger
Wahlfreiheit.
Taucht man jedoch tiefer in das noch etwas
trübe Bologna-Gewässer, wird man finden,
dass das Bildungsmenü sich keineswegs
weniger abwechslungsreich gestalten wird
– es wird nur anders serviert werden. Bisher muss der durch das Meer des Wissens
schwimmende Studierende seinen Bildungshunger an allen angebotenen Algen
(oder Anemonen) – respektive in allen
Lehrbereichen eines Fachs – stillen. Dabei
steht es ihm frei zu entscheiden, welches
Blatt er verspeist, also welche Lehrveranstaltung er auswählt.
In Zukunft werden die Algen, nunmehr
„Module“ genannt, quasi gekreuzt. Das
heißt, jede Pflanze besteht aus zusammengepfropften Blättern zuvor verschiedener
Governance I:
„Deutschland in Europa“
Pflanzen. Unser studentischer Fisch kann
sich aus dem Angebot der Algen die für ihn
schmackhafteste auswählen, ist dann aber
angehalten, sie von oben bis unten zu verspeisen. Also: Alle in einem Modul angebotenen Lehrveranstaltungen müssen absolviert werden.
In der Essenz bedeutet das BA/MA-System, dass die Studierenden sich RundumPakete mit zusammengeschnürten Veranstaltungen wählen, anstatt sich mühsam
unsystematische Studienpläne zusammenstellen zu müssen. Nemo, Marlin und Co.
werden auch im Bologna-See genauso satt
werden oder hungrig bleiben wie zuvor.
Text: Dr. Daniel Schmidt,
Institut für Politikwissenschaft
Abbildung: Esther Donat
(Der Clownfisch ist Marlin aus dem Trickfilm „Findet Nemo“ – © 2002 Disney/Pixar. Die DVD ist soeben mit großem Erfolg
auf dem deutschen Markt erschienen.)
21
UniCentral
„Der Zug
rollt“
Information und
Diskussion über
Bachelor/Master
Von Carsten Heckmann
Der Journal-Redaktion sind natürlich jegliche Meinungsäußerungen zum Thema
Umstellung auf konsekutive Studiengänge
willkommen. Bitte haben Sie aber dafür
Verständnis, dass nicht jeder Leserbrief
abgedruckt werden kann bzw. mitunter nur
gekürzt im Uni-Journal Platz findet.
22
Vom Sonnenlicht durchflutet war der Vortragsraum der Universitätsbibliothek bei
jeder der drei Veranstaltungen, die das Prorektorat für Lehre und Studium im April
und im Mai zum Thema Bachelor/Master
anbot. Und die anwesenden Fakultätsvertreter versprachen sich auch erhellende Informationen. Sie bekamen sie von Prorektorin Prof. Dr. Charlotte Schubert, unter anderem in Form von Rahmenempfehlungen,
aufgezeigten Struktur-Möglichkeiten, zeitlichen Vorgaben und Angaben zur geplanten Cluster-Akkreditierung. Dekane und
Studiendekane stellten zudem selbst den
Stand der Diskussion in ihren Einrichtungen dar und nutzten wie auch die z. T. zahlreich erschienenen interessierten Universitätsangehörigen im Publikum die Gelegenheit zur Diskussion mit Prof. Schubert.
Klare Bekenntnisse zur Umstellung auf die
neuen Studiengänge kamen aus fast allen
Fakultäten – wenn sie auch nicht überall
aus persönlicher Überzeugung erwachsen
waren. „Ich besteige diesen Zug ungern.
Aber es ist der einzige Zug, der fährt“,
erklärte Prof. Dr. Klaus Schildberger, Studiendekan der Fakultät für Biowissenschaften, Pharmazie und Psychologie.
„Und der Zug rollt bereits“, sagte Prof. Dr.
Charlotte Schubert nach den Gesprächsrunden, im Bild bleibend und sichtlich
zufrieden. „Dass die Naturwissenschaften
dabei sind, freut mich. So haben wir eine
echte Chance, die Reform als Projekt der
ganzen Universität zu entwickeln!“ Die
Prorektorin verwies immer wieder darauf,
dass sich die Universität ohnehin „keine
Insellösungen leisten können wird“.
Dennoch: Mindestens einzelne Punkte
werden von vielen Beteiligten noch skeptisch gesehen. Der Dekan der Fakultät für
Physik und Geowissenschaften, Prof. Dr.
Gerd Tetzlaff, warnte z. B. vor zuviel Bürokratisierung. Dem Studiendekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, Prof.
Dr. Wolfgang Pelzl, macht bei den Bachelor-Studiengängen die mögliche Konkurrenzsituation zu den Fachhochschulen zu
schaffen: „Das ist an unserer Fakultät ein
großes Thema. Der Unterschied zu den
Fachhochschulen muss klar sein.“ Prorektorin Schubert sorgt sich in dieser Hinsicht
nicht so sehr: „Wenn wir bei unserem Prinzip ‚Lehre aus Forschung‘ bleiben, müssen
wir nicht viel befürchten.“ Auch zu der
mehrfach geäußerten Befürchtung, in vielen Fällen werde einem alten Studiengang
nur ein neues „Bachelor“-Schild aufgeklebt, also alter Wein in neuen Schläuchen
verkauft (andernorts eine durchaus prakti-
zierte Maßnahme), äußerte sich Prof.
Schubert: „Ich denke, das liegt an uns. Wir
sollten sicherstellen, dass wir uns selbst im
Spiegel anschauen können.“
Ein großes Thema in den Gesprächsrunden
waren die Schlüsselqualifikationen, die
den Studierenden zukünftig als integraler
Bestandteil des Studiums vermittelt werden sollen. Prof. Dr. Thomas Topfstedt vom
Institut für Kunstgeschichte sagte: „Es ist
dringend nötig, diese Dinge auch inhaltlich
zu qualifizieren.“ Erste klare Wünsche
wurden in dieser Hinsicht formuliert, vor
allem Sprachkompetenzen sind demnach
erwünscht. Auch äußerten Vertreter u. a.
der Bereiche Psychologie, Erziehungswissenschaften und Wirtschaftswissenschaften erste Ideen für fachübergreifende Studienangebote. Das Thema werde eine ganz
entscheidende Rolle für den Erfolg der Studienreform spielen, konstatierte Charlotte
Schubert – ebenso wie die Frage, welche
Zulassungsvoraussetzungen für ein Master-Studium gelten sollen.
Auch Studierende meldeten sich zu Wort.
Sie kritisierten vor allem, dass an der Universität Leipzig mit 1800 Stunden pro Jahr
und Student das Höchstmaß an studentischem „Workload“ angesetzt werden soll.
Germanistik-Studentin Katrin Henzel und
Anja Pohl, Promovendin in Geschichte,
waren sich einig: „Das ist nicht machbar.
Ein Großteil der Studierenden muss nebenbei arbeiten gehen, manche haben Kinder,
viele engagieren sich außeruniversitär –
was auch wichtig ist, wenn man schon über
Schlüsselqualifikationen redet.“
Natürlich wurde auch über Master-Studiengänge geredet. Der Dekan der Sportwissenschaftlichen Fakultät, Prof. Dr.
Jürgen Krug, sagte dazu: „Das MasterStudium sollten wir von Anfang an so
konzipieren, dass wir interdisziplinäre
Komplexe bilden können, bei uns zum
Beispiel Sportjournalismus und Sportmanagement.“ Dazu werde es nötig sein,
die Fakultäten noch mehr als bisher zusammenzuführen.
Klar ist: Vor den Fakultäten liegt viel
Arbeit. Vor allem, wenn sie sich die visionären Worte des Dekans der Fakultät für
Sozialwissenschaften und Philosophie,
Prof. Dr. Wolfgang Fach, zu eigen machen
wollen. Fach stellte seinen Ausführungen
die 400 Jahre alte Utopie des „Sonnenstaats“ von Campanella voran. „Ich zeige
jetzt sozusagen die ‚Sonnenfakultät‘, also
die ideale Fakultät“, sagte er. „Es gibt aber
einen gravierenden Unterschied: Der Sonnenstaat musste nicht akkreditiert werden.“
journal
Laufen für
Olympia
Sie liefen volle 36 Tage und Nächte lang –
864 Stunden – vom 12. April, dem Jahrestag der deutschen Olympiaentscheidung,
bis zum 18. Mai, als Leipzig leider in
der internationalen Vorauswahl scheiterte:
Über 10000 Läufer nahmen an der NonStop-Staffel teil, die Leipziger Sportstudenten unter dem Motto „Laufe für Olympia 2012“ initiiert hatten. Stündlich begaben sich neue Läufer auf die sieben Kilometer lange Strecke, die wesentliche Teile
der Runde aus dem Bewerbungsvideo
Leipzigs umfasste. Unterstützt wurde die
studentische Aktion von der Olympia
GmbH, dem Verein „Leipzig für Olympia“
Foto: Holger Strubberg
und natürlich von der Sportwissenschaftlichen Fakultät, die Umkleideräume und
Duschen zur Verfügung stellte.
Immer wieder machten sich auch Prominente auf den Weg, u. a. am 28. April: Unser Bild zeigt unter anderem den Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees,
Dr. Klaus Steinbach (links, mit Staffel-
stab), Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee (rechts daneben), den Geschäftsführer
der Olympia GmbH, Mike de Vries (weiter
hinten mit Kappe), Doppel-Olympiasiegerin Rosi Mittermaier (leicht verdeckt),
IOC-Mitglied Roland Baar (mit Sonnenbrille auf dem Kopf) und Joachim Horn
vom Olympia-Bürgerverein (rechts). C. H.
Postkarten für Bildung
Bei der studentischen Vollversammlung
Mitte April entschied sich eine knappe
Mehrheit der Anwesenden gegen einen
Vollstreik an der Universität Leipzig. Aber
das Streikkomitee, das sich während des
sogenannten „konstruktiven Streiks“ gebildet hatte, ist weiter aktiv: Die von diesem
Komitee angeregte „Leipziger Initiative für
Bildung“ hat jetzt eine Postkartenaktion
gestartet, die in eine Massenpetition gegen
die derzeitige sächsische Bildungs- und
Sozialpolitik münden soll. Die Karten wurden von Studierenden der Hochschule für
Heft 3/2004
Grafik und Buchkunst gestaltet. Auf den
Rückseiten ist jeweils ein Punkt aus dem
Forderungskatalog der „Initiative für Bildung“ angeführt, der sich um Bildung als
öffentliches Gut und soziale Gerechtigkeit
dreht. Diesen Forderungspunkt kann ein
jeder unterstützen, indem er seine Unterschrift darunter setzt und die Karte auf
den Weg zum vorgedruckten Empfänger
bringt: Landtagspräsident Erich Iltgen. Die
Kampagne soll bis zur Landtagswahl im
September laufen und von Veranstaltungen
begleitet werden.
Der „Leipziger Initiative für Bildung“ haben sich die sächsischen Oppositionsparteien SPD, PDS und Bündnis 90/Die
Grünen ebenso angeschlossen wie die Gewerkschaften DGB, ver.di und GEW sowie
weitere Verbände (das Uni-Journal berichtete darüber bereits in der vergangenen
Ausgabe auf S. 29).
C. H.
Weitere Informationen im Internet:
www.bildungsbündnis.de
Drei der Postkarten-Motive, die die
„Leipziger Initiative für Bildung“ in
Umlauf gebracht hat.
23
Studiosi
„Großer Eifer“
Der Vorstandssprecher
des Uni-Orchesters im Interview
Im Wintersemester hatte es sich gegründet,
sein erstes Konzert war ein riesiger Erfolg
(das Uni-Journal berichtete), es ist weiter
gewachsen und trägt seit Februar einen
neuen Namen: Das studentische Orchester
ist nach einem entsprechenden Rektoratsbeschluss jetzt das Leipziger Universitätsorchester. Die inzwischen 72 Musiker
stecken derzeit mitten in der Probenphase
für ihr Festkonzert zur Namensgebung. Im
Interview mit dem Journal berichtet der
Vorstandssprecher des Orchesters, der Medizinstudent und Cellist Julian Bindewald,
über Erfolg, Probleme und Zukunftsaussichten der Musiker-Gemeinschaft.
Leipziger Universitätsorchester ist ein
großer Name. Wie empfinden Sie das?
Das ist eine ganz tolle Sache. Ich muss aber
zugeben, dass uns der Erfolg wirklich ein
bisschen überrollt hat. Okay, wir haben
gleich zu Anfang gemerkt, dass der Bedarf
für so ein studentisches Orchester wirklich
da ist. Im Dezember hatten wir Professor
Unger gefragt, ob nicht die Möglichkeit
einer Anbindung an die Uni besteht, auch
vor dem Hintergrund, dass es seit der
Wende kein Uni-Orchester mehr gab. Herr
Unger signalisierte Interesse. Wir haben
uns ins Zeug gelegt und nach dem Konzert
im Januar kam es dann zur positiven Entscheidung.
Der Vorstand des Leipziger Universitätsorchesters. Untere Reihe v. l.: Susanne
Brakmann, Britta Glaser, Julian Bindewald, Muriel Baum. Obere Reihe v. l.:
Christiane Quendt, Björn Mäurer, Malte
Hinzpeter, Alexandra Haubner.
Foto: Ephraim Beck
Zunächst waren es 43 Musiker, jetzt sind
es 72, dazu der Titel Universitätsorchester – was bedeutet das für die Organisation?
Es hat schon auch einige Schwierigkeiten
mit sich gebracht. Zunächst einmal mussten wir die Aufgaben im Vorstand viel
klarer verteilen. Andererseits wollen wir
auch in Zukunft wichtige Dinge nur gemeinsam entscheiden, basisdemokratisch.
Dann brauchen wir natürlich mehr Platz
zum Proben. Wir haben zunächst im
Krochhaus geprobt, dann in der PhysikAula. Momentan proben wir im Evangelischen Schulzentrum, aber für Stimmproben mussten wir uns auch schon wieder
andere Räume suchen. Wahrscheinlich
werden wir nun in den Mensa-Komplex in
der Jahnallee umziehen und auch Räume in
der benachbarten Sport-Fakultät nutzen
können, das ist noch nicht endgültig geklärt.
Wie steht es um Ihre Finanzen?
Nun, wir brauchen natürlich Geld, vor
allem für Werbung und Verwaltung. Und
Probenräume außerhalb der Universität
kosten Miete. Dann machen wir unsere
Stimmproben mit sieben Dozenten aus
dem MDR-Sinfonieorchester, da ist auch
ein Honorar fällig, wenn auch ein niedriges.
Glücklicherweise haben wir von der Universität ein Startkapital von 3000 Euro bekommen. Für Instrumente haben wir zudem eine Spende erhalten vom AlumniVerein der Medizinischen Fakultät. Davon
werden wir demnächst eine Piccolo-Flöte
kaufen. Laienflötisten besitzen
so ein Instrument normalerweise
nicht.
Und wenn das kommende Konzert gut läuft, dann können wir
vielleicht auch unserem Dirigenten ein kleines Honorar zahlen.
Den Dirigenten wollen Sie regelmäßig wechseln, dem Nachwuchs am Pult immer wieder
Das Festkonzert zur Namensgebung findet am 27. Juni um 20 Uhr im Großen
Saal des Gewandhauses statt. Der Kartenvorverkauf an der Gewandhauskasse
und den angeschlossenen Vorverkaufsstellen läuft. Die Karten kosten 7 bis
14 Euro (zzgl. Vorverkaufsgebühr), Ermäßigungsberechtigte zahlen die Hälfte.
eine Chance geben. Wer dirigiert denn
das Festkonzert?
Wir haben Probedirigate gemacht und
Anna Shefelbine ausgewählt. Sie kommt
aus den USA, ist aber seit neun Jahren in
Deutschland, hat an der Hans-EichlerMusikhochschule in Berlin studiert und ist
Stipendiatin des Deutschen Musikrates.
Sie holt unheimlich viel aus den Stücken
raus, eine ganz tolle Dirigentin.
Was erwartet die bis zu 1900 Besucher
des Festkonzerts?
Eine Menge Spaß, denke ich. Denn wir alle
werden mit großem Eifer dabei sein. Für
uns ist das ja äußerst spannend.
Spielen werden wir Claude Debussys stimmungsvolle Petite Suite, das relativ frühe
1. Klavierkonzert von Sergej Prokofjew
mit unserem Solisten Christian Girbhardt
und Antonin Dvořáks 8. Sinfonie – ein
romantisches Stück par excellence, da
kann man richtig schwärmen.
Und was darf man in Zukunft noch
erwarten vom Leipziger Universitätsorchester?
Wir haben jetzt ein sinfonisches Orchester,
das einmal in der Woche probt. Der Aufwand ist also für Studenten zu schaffen,
einen gewissen Anspruch können wir dennoch erheben. So haben wir uns das vorgestellt. Ich hoffe, wir können das in dieser Form weiterführen. Es wird dabei bleiben, dass wir pro Semester ein Programm
einstudieren und damit ein oder mehrere
Konzerte geben. Auf lange Sicht denken
wir natürlich auch an Konzertreisen, das
wäre schön. Mitte Juni machen wir immerhin ein Probenwochenende in der Jugendherberge Windischleuba. Ansonsten wird
es auch Kammermusik geben von zwei
Streichquartetten, die sich aus Orchestermitgliedern gebildet haben. Im Oktober
umrahmen wir die Immatrikulationsfeier
der Universität.
Interview: Carsten Heckmann
Weitere Informationen im Internet:
www.uni-leipzig.de/orchester
journal
Personalia
Ein Leben
für die
Musik
Zum Tode des
Universitätsmusikdirektors
Wolfgang Unger
Von Detlef Schneider, Vorsitzender des
Förderkreises Leipziger Universitätschor
e. V., Chordirektor ADC
Die Universität trauert um ihren am
19. April verstorbenen Universitätsmusikdirektor Professor Wolfgang Unger. Sie
verliert mit ihm einen begnadeten Künstler, einen hoch geachteten und erfolgreichen Hochschullehrer und einen liebenswerten Menschen. Durch sein Wirken erhöhte er das Ansehen unserer Alma mater
im In- und Ausland.
Wolfgang Unger wurde am 31. 12. 1948 in
Eibenstock geboren. Seine erste musikalische Prägung verdankte er Rudolf Mauersberger im Dresdner Kreuzchor. Nach dem
Abitur ging er zum Chorleitungs- und
Kapellmeisterstudium nach Weimar. 1969
gründete er den Thüringischen Akademischen Singkreis, den er bis 1996 mit großem Erfolg leitete. 1973 wurde er Kapellmeister und Chordirektor der Halleschen
Philharmonie und Direktor der RobertFranz-Singakademie. 1985 erhielt er den
Händelpreis der Stadt Halle. 1987 kam er
nach Leipzig, um die künstlerische Leitung
des Leipziger Universitätschores zu übernehmen. An gewachsene Traditionen des
Chores anknüpfend, setzte er neue Akzente. Erinnert sei u. a. an die Inszenierung
von Mozarts „Zauberflöte“ in der Peterskirche und die szenischen Aufführungen
von Bachs Passionen. Das Repertoire des
Universitätschores unter seiner Leitung
war bemerkenswert vielseitig und beinhaltete Chormusik aller Epochen und
Stile. Für die Einspielung von Distlers
„Liturgischen Sätzen“ erhielt der Chor
Heft 3/2004
Wolfgang Unger in Aktion. Dieses Bild ist in der Festschrift „75 Jahre Leipziger
Universitätschor“ erschienen.
Foto: Universitätschor/Gert Mothes
2001 den Klassik-Echo-Preis. Zahlreiche
Gastspiele führten den Chor in viele Länder Europas und die USA.
1991 wurde Wolfgang Unger folgerichtig
zum Universitätsmusikdirektor ernannt,
denn seit Beginn seines Wirkens in Leipzig
fühlte er sich für das gesamte Musikleben
an der Universität verantwortlich. So führte
er mit der Wende die musikalische Ausgestaltung der Universitäts-Gottesdienste
durch den Chor wieder ein, gründete 1992
das Pauliner Kammerorchester und 1994
das Pauliner Barockorchester und konzipierte 1993 die „Universitäts-Christvesper“. Die unter seiner Leitung seit 1994 im
zweijährigen Turnus stattfindenden Leipziger Universitätsmusiktage wurden Podium
für studentisches Musizieren. 1995 initiierte er den „Orgel-Punkt-Zwölf“ in der
Peterskirche, und auch die Universitätsvespern am Paulineraltar in der Thomaskirche
verdanken wir ihm.
Erwähnt werden soll auch seine Arbeit als
Thomaskantor ad interim 1991/1992. Als
gesuchter Lehrer im Fach Chorleitung/Dirigieren unterrichtete er an der Universität
und der Hochschule für Musik und Theater, wie auch an anderen Ausbildungsstätten im In- und Ausland. 2003 erschien sein
Lehrbuch „Wege zum Dirigieren“. Im gleichen Jahr wurde ihm der Titel „Außerplanmäßiger Professor“ verliehen.
Sich nie in den Mittelpunkt stellend und im
tiefen Bekenntnis zu den geistlichen und
geistig-kulturellen Wurzeln unseres Volkes
suchte und fand er stets neue Wege, sie der
jungen Generation in zeitgerechter Form
zu erschließen. Bewunderung verdient vor
allem seine Fähigkeit, junge Menschen zur
ernsthaften, aber auch lustvollen Erarbeitung von Chormusik zu motivieren und sie
zu künstlerischen Höchstleistungen zu
befähigen. Bei aller Beharrlichkeit, ja Unnachgiebigkeit in der Durchsetzung seiner
Konzeption war seine Methodik von Humor, Güte und Verständnis für seine Schüler und Sänger geprägt. Unter seiner
Leitung hat der Leipziger Universitätschor
seinen Ruf als Spitzenchor gefestigt.
Er hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass
der Wiederaufbau der Paulinerkirche für
ihn Herzenssache war. So brachte er für
den Neubau der Universität am Augustusplatz sehr detaillierte Vorstellungen zu
funktionalen Anforderungen für die Universitätsmusik und zur architektonischen
Form ein. Als besonderes Geschenk für das
Universitätsjubiläum 2009 hatte er die Einspielung aller 20 von Bach für die Universität komponierten Festmusiken vorbereitet. Acht verloren Gegangene sollten von
zeitgenössischen Komponisten in neuer
Form nachgeschaffen werden. Leider war
es ihm nur vergönnt, eine erste CD zu produzieren.
Durch den Tod von Wolfgang Unger ist die
Universität ärmer geworden. Ihre Leitung
hat es in der Hand, diesen Verlust in Grenzen zu halten, denn der Universitätsmusikdirektor hat ein reiches Erbe hinterlassen.
25
Personalia
Große Verdienste um
die Leipziger Analysis
Zum Tode des Mathematikers Herbert Beckert
Von Prof. Dr. Klaus Beyer und Prof. Dr. Matthias Günther, Mathematisches Institut
Am 24. März dieses Jahres verstarb Professor Dr. phil. habil. Dr. h.c. Herbert Beckert. Die Universität Leipzig verliert mit
Herbert Beckert einen herausragenden Mathematiker und Hochschullehrer, der seit
1945 die Entwicklung und wissenschaftliche Ausstrahlung des Mathematischen
Instituts, dessen Direktor er von 1959 bis
1969 war, entscheidend geprägt hat.
1920 geboren, gehörte er zu einer Generation, deren berufliche Entwicklung durch
Krieg und Militärdienst nachhaltig beeinflusst wurde. Nach Kriegsende führte er
sein Mathematikstudium in Leipzig in kürzester Zeit zu Ende, promovierte 1947 und
habilitierte sich 1949 bei Ernst Hölder.
1951 wurde er zum Professor an der Universität Leipzig berufen und hat bis zu
seiner Emeritierung im Jahre 1986 in über
75 Dozentensemestern ohne Unterbrechungen Vorlesungen und Seminare gehalten. Seit 1969 ist Herbert Beckert Mitglied
der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle gewesen, seit
1975 auch der Sächsischen Akademie der
Wissenschaften zu Leipzig und gehörte
einen großen Teil dieser Zeit sogar zu ihren
beständigen Sekretaren. Für seine großen
Verdienste um die Angewandte Mathematik hat ihm die Technische Universität
Chemnitz den Titel eines Ehrendoktors
verliehen.
In seinen Dissertations- und Habilitationsschriften hatte sich Herbert Beckert mit
Differenzenverfahren zur Lösung hyperbolischer Differentialgleichungen beschäftigt. Solche Gleichungen beschreiben zeitabhängige Prozesse in vielen Gebieten der
Physik und Technik und sind meistens
nicht explizit lösbar. Ihre numerische Lösung ist daher von besonderem Interesse.
Die einzelnen Rechenschritte eines derartigen Differenzenverfahrens erfordern
die Einhaltung bestimmter Verhältnisse
zwischen Raum- und Zeitschritten. Die
Beiträge von Herbert Beckert zur Analyse
dieser Verhältnisse erhalten heute im
26
Herbert Beckert
Lichte der modernen rechentechnischen
Entwicklungen eine erneute Aktualität. In
den fünfziger Jahren wandte er sich elliptischen Differentialgleichungen zu und bereicherte deren Theorie mit fundamentalen
Beiträgen.
In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte Leon Lichtenstein am Leipziger Mathematischen Institut seine berühmten hydrodynamischen Untersuchungen über Gleichgewichtsfiguren rotierender Flüssigkeiten veröffentlicht. Daran
knüpfen Herbert Beckerts Arbeiten über
Oberflächenwellen auf Flüssigkeiten unter
dem Einfluss der Erdanziehung und der
Kapillarität an. Derartige Probleme haben
die charakteristische Schwierigkeit, dass
neben der Lösung einer Differentialgleichung im Flüssigkeitsgebiet der von vornherein unbekannte, sogenannte freie Rand
der Flüssigkeit mitbestimmt werden muss.
1962 entwickelte Herbert Beckert einen
eleganten Zugang zur Existenztheorie für
derartige Strömungen.
Die Beschreibung seiner wissenschaftlichen Arbeiten muss notwendigerweise
lückenhaft bleiben. Im Ganzen gesehen
beeindruckt Herbert Beckerts mathematisches Werk nicht nur durch die benutzte
moderne mathematische Technik, sondern
vielmehr durch seine vielseitigen und erfindungsreichen Strategien, die immer
wieder imponieren und zu verblüffenden
Lösungen führen. Die Würdigung wäre
aber einseitig ohne die Erinnerung an den
akademischen Lehrer Herbert Beckert. Er
gehörte zu denjenigen Hochschullehrern,
denen neben der Fähigkeit zu herausragender Forschung auch die Gabe zur lebendigen Vermittlung ihres Fachs an Studenten
und Nachwuchswissenschaftler gegeben
war. Seine Vorlesungen waren nicht immer
einfach, aber stets anregend; er verstand es
hervorragend, seine Zuhörer zum aktiven
Mitdenken zu inspirieren und ihnen den
Weg zu schwierigen Zusammenhängen zu
ebnen. Generationen von Mathematik- und
Physikstudenten haben bei Herbert Beckert das mathematische Handwerkszeug
gelernt, zahlreiche davon hat er bis zu
Promotion und Habilitation geführt. Sein
weiter Interessenkreis erlaubte es ihm,
eine Fülle von erfolgversprechenden Forschungsthemen uneigennützig an seine
Schüler weiterzugeben. Bei ihren Studien
begleitete er sie behutsam. Für talentierte
Studenten hat er sich nachdrücklich eingesetzt, oftmals auch gegen äußere Widerstände. Seinem wissenschaftlichen Weitblick und seiner auch in schwierigen Zeiten letztlich optimistischen Grundhaltung
ist es zu verdanken, dass die mathematische Lehr- und Forschungstätigkeit in
Leipzig nach dem Zweiten Weltkrieg trotz
diverser Hochschulreformen und staatlicher Zwangseingriffe auf einem hohen
Niveau und ohne Abkopplung von der
internationalen Entwicklung fortgeführt
werden konnte. Immer die Wissenschaft
voranstellend, hat er zusammen mit einigen
Kollegen das Institut auch durch schwieriges Fahrwasser gesteuert. Noch 1992,
längst emeritiert, beförderte er als Mitglied
der außerordentlichen Berufungskommission Mathematik und Naturwissenschaften
an der Universität Leipzig mit seinen Erfahrungen die Neustrukturierung der Universität Leipzig. In seiner menschlichen
Haltung war er ein Vorbild für Kollegen
und Studenten.
journal
Personalia
Zum Tode des Psychologen Jürgen Guthke
Horst Wilde im Ruhestand
Mit Sachlichkeit und Augenmaß
Verdienstvoller
Chemiker
Jürgen Guthke
Am 11. April verstarb nach schwerer
Krankheit Prof. Dr. phil. habil. Jürgen
Guthke im Alter von 65 Jahren. Damit verliert die Universität Leipzig eine hoch
renommierte Forscherpersönlichkeit und
einen leidenschaftlichen Hochschullehrer,
die wissenschaftliche Psychologie in
Deutschland einen prominenten und hoch
geachteten Vertreter ihrer Profession.
Jürgen Guthkes Schaffen war fast 50 Jahre
mit der Leipziger Universität verbunden.
Nach Studium und Promotion in Leipzig
habilitierte er sich 1971 mit einer Schrift
zur Erfassung der intellektuellen Lernfähigkeit, welche 1972 in der damaligen
DDR beim Deutschen Verlag der Wissenschaften und darüber hinaus 1977 auch in
der damaligen BRD verlegt wurde. Ab
1975 Hochschuldozent wurde Guthke
1978 zum ordentlicher Professor für Klinische Psychologie berufen. Als erster aus
dem Kreis der „DDR-Professoren“ im
Bereich Psychologie an der Universität
Leipzig erhielt Jürgen Guthke nach der
deutschen Wiedervereinigung den Ruf als
Professor Neuen Rechts auf die C4-Professur für Differentielle Psychologie und
Psychodiagnostik, den er bis zu seiner
Emeritierung inne hatte. Er leistete in zahlreichen Berufungskommissionen auch
über Leipzig hinaus wertvolle administrative Arbeit. In der ihm eigenen Integrität im
Umgang mit Kollegen und mit Sachlichkeit und Augenmaß bewältigte Jürgen
Guthke auch als Leiter des Fachbereichs
Psychologie die verantwortungsvolle Aufgabe der Neustrukturierung der Leipziger
Psychologischen Institute. Während seiner
langen Leipziger Dienstzeit war Prof.
Guthke Mitglied verschiedener Fakultätsräte, an der Fakultät für Biowissenschaften, Pharmazie und Psychologie auch Prodekan.
Heft 3/2004
Jürgen Guthke war mit Leib und Seele
Wissenschaftler und engagierter Hochschullehrer – prägendes Vorbild für seine
zahlreichen Schülerinnen und Schüler. Er
wurde bereits im Sommer 1991 Fachgutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft. 2001 wurde er mit dem Alfred Binet
Preis durch die Deutsche Gesellschaft für
Psychologie ausgezeichnet. Im gleichen
Jahr wurde ihm auch die Hugo-Münsterberg-Medaille durch den Berufsverband
deutscher Psychologen verliehen. Seine
Forschungsarbeiten sind thematisch weit
gefächert. Vor allem seine innovativen Forschungen auf dem Gebiet der Intelligenzund Lernfähigkeitsdiagnostik genießen sowohl national, als auch international als
„Leipziger Schule“ höchstes Renommee.m
Jürgen Guthke hatte Gastprofessuren an
den Universitäten in Bern, Mexiko City
und Osnabrück inne, war Mitherausgeber
der Psychologischen Rundschau und war
bis zu seinem viel zu frühen Tode Mitglied
des Wissenschaftlichen Beirates zahlreicher Fachzeitschriften. Seine umfangreiche Bibliographie umfasst 17 Bücher,
6 psychologische Testverfahren, über 120
Zeitschriftenartikel und Beiträge in Sammelwerken. Von ihm wurden ungezählte
Diplomarbeiten, mehr als 35 Promotionen
und 6 Habilitationen wissenschaftlich betreut. Für seine Qualität als hervorragender
Hochschullehrer spricht unter vielen anderen, dass ihm – noch bevor Lehrevaluation
zum universitären Standard zählte – das
„Goldene Ohr“, als Auszeichnung für gute
Lehre, durch die Studentenschaft verliehen
wurde. Als eine weitere Wertschätzung in
diesem Sinne wurde er 2003 von der
Bundesvereinigung der Psychologiestudenten zum Schirmherrn des 8. Bundestreffens der Psychologiestudierenden gewählt, welches an der Leipziger Universität
– und somit erstmals an einer Universität
in den neuen Bundesländern – stattfand.m
Mitarbeiter und Kollegen schätzten vor
allem seine von wissenschaftlicher Neugier getragene Offenheit für fachlichen
Meinungsaustausch, auch über den Rahmen eigener Forschungsschwerpunkte
hinaus. Seinen Schülern war und bleibt Jürgen Guthke nicht nur ein hervorragender
wissenschaftlicher Lehrer, sondern auch
ein Vorbild an menschlicher Integrität.
Jens F. Beckmann, Yale University, USA
Am 21. 12. 2003 wurde
Prof. Dr. rer. nat. habil.
Horst Wilde 65 Jahre alt.
Seit seinem Lehramtsstudium der Chemie und
Physik 1956–1961 in Leipzig ist er der Universität sehr verbunden. So hat er seit 1965
dank seiner pädagogischen Fähigkeiten als
wissenschaftlicher Assistent, Oberassistent, Dozent und ab 1992 als Professor die
Studenten des Lehrerstudiums, der Chemie
und Biologie in der Grund- und Spezialausbildung in organischer Chemie sowie während der Diplom- und Doktorarbeit erfolgreich betreut. Post-doc-Aufenthalte 1970 in
Kiew bei Prof. Babitschew (UdSSR),
1974/75 bei Prof. Katritzky in Norwich
(Großbritannien) und eine Gastdozentur in
Blida (Algerien) 1987–1990 waren sehr
prägend für seine Entwicklung. In der Forschung hat er sich mit der Synthese von
Heterocyclen, speziell mit Farbstoffen und
bioaktiven Verbindungen, beschäftigt. Besonders hervorzuheben sind seine Leistungen für die Universität in der akademischen
Selbstverwaltung. So hat er als Direktor der
Sektion Chemie ab 1991 und dann als Leiter
des Fachbereiches Chemie und Mineralogie, bedingt durch die politische Wende
1989, die großen Veränderungen der Neubesetzung aller wissenschaftlichen und
nichtwissenschaftlichen Stellen, der ersten
Berufungsverfahren und die Neuordnung
der Lehre mit Sachverstand gemeistert.
Seine hervorragende Arbeit als Studiendekan 1993–1999 hat nachhaltige Wirkung,
sodass seine Mitarbeit u. a. in der Kommission für Internationale Angelegenheiten der Hochschulrektorenkonferenz und
als Mitglied der Studienreformkonferenz
der Gesellschaft Deutscher Chemiker aufgrund seiner klaren und sachlichen Urteile
sehr geschätzt war. Durch seine Mitarbeit
für die Modernisierung und Internationalisierung des Chemie-Studiums zählt Leipzig seit Jahren zu den deutschen Universitäten mit den kürzesten Studienzeiten.
Seine verdienstvolle, jahrzehntelange
Lehr- und Forschungstätigkeit für die
Weiterentwicklung der Fakultät Chemieund Mineralogie sowie das Ansehen der
Universität Leipzig wurde 2001 mit der
Verleihung der Caspar-Borner-Medaille
gewürdigt. Bärbel Schulze, Peter Welzel
27
Personalia
Joachim Schauer zum 65.
Frühjahrssitzung der Akademie der Wissenschaften
Pneumologie
etabliert
Volker Bigl ins Amt eingeführt
Prof. Dr. med. Joachim
Schauer wurde am 25. 4.
1939 in Magdeburg geboren. Er studierte Humanmedizin in Leipzig, legte
1963 das Staatsexamen ab und promovierte
zum Dr. med. 1965–1970 absolvierte er
seine Facharztausbildung für Innere Medizin, 1976 habilitierte er sich. Als Oberarzt
der Klinik für Innere Medizin wurde er 1983
Leiter der Abteilung Pneumologie, 1988
außerordentlicher Professor, 1990 ordentlicher Professor und Direktor der Klinik für
Innere Medizin. In dieser Zeit war er als
Prodekan wesentlich an der akademischen
Neugestaltung der Medizinischen Fakultät
beteiligt. 1993 wurde er zum Geschäftsführenden Direktor des Zentrums für Innere
Medizin und zum Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik I ernannt.
1995–2000 war er Leitender Ärztlicher
Direktor, 2000 bis 2001 Medizinischer
Vorstand des Universitätsklinikums.
Als Mitglied des Vorstandes der Sächsischen Gesellschaft für Innere Medizin
wurde er später deren Vorsitzender. Die von
ihm mit begründete Mitteldeutsche Gesellschaft für Pneumologie wählte ihn für die
Jahre 1999 bis 2002 zu ihrem Präsidenten.
Schauer ist es gelungen, das Fach Pneumologie an der Universität Leipzig in
Lehre, Forschung und klinischer Betreuung zu etablieren. Sein besonderer Schwerpunkt war das Gebiet der kardiopulmonalen Interaktionen, insbesondere die pulmonale Hypertonie. Unter seiner Leitung
wurde Leipzig eines der führenden Zentren
für dieses komplexe Krankheitsbild in
Deutschland. Zahlreiche Publikationen,
ungezählte Vorträge und die Integration in
anerkannte Forschergruppen bezeugen die
erfolgreiche Arbeit einer eng am Patienten
orientierten Forschung. Als Mitbegründer
und Vorsitzender des Vereins zur Förderung der Pneumologie an der Universität
Leipzig hat Professor Schauer die Etablierung eines hochwertigen pneumologischen
Forschungslabors wesentlich unterstützt.
Begeisterte Studenten, eine große Zahl anspruchsvoller Dissertationen und erfolgreiche Habilitationen seiner Mitarbeiter
zeugen von seinem erfolgreichem Wirken
als Hochschullehrer.
G. Hoheisel, J. Winkler, H. Wirtz
28
Nachdem Prof. Dr. Volker Bigl im Oktober
vorigen Jahres zum Präsidenten der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu
Leipzig gewählt worden war, wurde er auf
der Frühjahrssitzung der Akademie am
23. April durch den Sächsischen Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, Dr. Matthias Rößler, mit der Überreichung der Berufungsurkunde in das Amt eingeführt.
Die Sitzung im vollbesetzten Großen Senatssaal des Bundesverwaltungsgerichts
bot Gelegenheit zur Preisverleihung und
zur Vorstellung der neuen Akademiemitglieder. Den gemeinsam von Akademie und
Universität Leipzig vergebenen TheodorFrings-Preis 2004 für besondere Leistungen auf dem Gebiet der Germanistik überreichten Volker Bigl und Rektor Franz Häuser an Dr. phil. Dagmar Helm. Die Schülerin und langjährige Mitarbeiterin von
Frings erhielt die Auszeichnung für ihre
herausragende Arbeit in der Dialektforschung und ihren persönlichen Einsatz für
die Fertigstellung des vierbändigen „Wörterbuchs der obersächsischen Mundarten“,
das nach jahrzehntelanger Forschungsarbeit Ende 2003 abgeschlossen wurde. Für
die moderne Regionalitätsforschung besitzt die Erschließung der Quellen der
Volkssprache einen besonderen Wert. Die
Wilhelm-Ostwald-Medaille verlieh die
Akademie an Prof. Dr. Janis Stradins.
Von der Universität Leipzig waren Prof.
Dr. med. Uwe Frithjof Haustein zum
Sekretar der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse und Prof. Dr. Manfred
Rudersdorf zum Stellv. Sekretar der Philologisch-historischen Klasse gewählt worden. Zu den neu zugewählten Akademiemitgliedern gehören Prof. Dr. Bernhard
Streck, Professor für Ethnologie an der
Universität Leipzig, Prof. Dr. Svante
Pääbo, Direktor am Leipziger MaxPlanck-Institut für evolutionäre Anthropologie, und Prof. Dr. Sebastian Lentz, Direktor des Leibniz-Instituts für Länderkunde in Leipzig.
Neben der Mundarten-Publikation konnte
Prof. Bigl in seinem Referat noch den Abschluss eines weiteren großen WörterbuchProjektes verkünden, des „Poggendorff“,
in dem über 145 Jahre hinweg „biographisch-literarisch“ 28 000 Gelehrte der
„exakten Naturwissenschaften“ erfasst
wurden. Wer außer der Akademie kann
solche zeitaufwendige, akribische, für die
weitere Forschung unerlässliche Grundlagenarbeit noch leisten? Mit der Bearbeitung von 20 Projekten durch 100 Mitarbeiter erweise sich die Gelehrtengesellschaft
als eine echte Arbeitsakademie, so der Präsident, der aber keinen Zweifel daran ließ,
dass die Akademie einer weiteren Öffnung
zur Gesellschaft heute und ihren Ansprüchen bedürfe. Eine verstärkte Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftseinrichtungen, nicht zuletzt den Universitäten,
werde dies befördern.
Volker Schulte
Geburtstage
Philologische Fakultät
60. Geburtstag
Prof. Dr. Bernhard Meier, Institut für Germanistik, 27. Mai
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
65. Geburtstag
Prof. Dr. Gerd Goldammer, Institut für Software- und Systementwicklung, am 18. Mai
Sportwissenschaftliche Fakultät
60. Geburtstag
Dr. Rüdiger Kuntoff, Institut für Bewegungsund Trainingswissenschaft der Sportarten, am
15. Juni
Medizinische Fakultät
60. Geburtstag
Prof. Dr. med. Lothar Engelmann, Medizinische Klinik und Poliklinik I, am 18. Mai
65. Geburtstag
Prof. Dr. med. Peter Stiehl, Institut für Pathologie, am 9. Mai
70. Geburtstag
Prof. Dr. med. Wilhelm Haake, ehem. Universitätsfrauenklinik, am 6. Mai
Prof. Dr. med. Frank Wohlrab, ehem. Institut für
Pathologie, am 17. Juni
Fakultät f. Physik u. Geowissenschaften
65. Geburtstag
Prof. Dr. Peter Bräuer, Institut für Experimentelle Physik I, am 21. Mai
Der Rektor der Universität und die Dekane der
einzelnen Fakultäten gratulieren herzlich.
(Die Geburtstage werden der Redaktion direkt
von den Fakultäten gemeldet. Die Redaktion
übernimmt für die Angaben keine Gewähr. Das
gilt auch für deren Vollständigkeit.)
journal
Personalia
Kurz gefasst
Der Direktor des Instituts für Germanistik
der Universität Leipzig, Prof. Dr. Bernhard Meier, ist neuer Präsident der Deutschen Erich Kästner Gesellschaft. In seiner
vier Jahre dauernden Amtsperiode möchte
der Wissenschaftler den Fokus der Öffentlichkeit vor allem auf das belletristische
und journalistische Wirken Kästners
(1899–1974) legen. Insbesondere die
Jahre des Autors in Leipzig 1919–1927,
wo er sich mit bissigen Zeitungskommentaren nicht immer zur Freude der Stadtoberen in die Ratsgeschichte eingemischt
habe, seien noch weitgehend unerforscht.
In den erlauchten Kreis der amerikanischen National Academy of Sciences ist
jetzt der geschäftsführende Direktor des
Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie und Honorarprofessor am Institut für Zoologie, Prof. Dr.
Svante Pääbo, berufen worden.
Prof. Dr. Klaus Bochmann, Leiter des
Instituts für Romansitik, wurde am 5. Mai
von der rumänischen Universität Alba Iulia die Ehrendoktorwürde verliehen.
Prof. Dr. Siegfried Gottwald, Institut für
Logik und Wissenschaftstheorie, ist jetzt
Mitglied der Herausgebergremien der internationalen Zeitschriften „Studia Logica“
und „Information Sciences“. Außerdem ist
er für drei weitere Jahre Herausgeber für das
Themengebiet „Non-classical logics and
fuzzy set theory“ der internationalen Zeitschrift „Fuzzy Sets and Systems“.
Das Präsidium der Deutschen Forschungsgemeinschaft hat Prof. Dr. Werner Ehrmann, Institut für Geophysik und Geologie, in den Landesausschuss für das Scientific Committee on Antarctic Research und
für das International Arctic Science Committee (SCAR/IASC) berufen.
Prof. Dr. Reinhard Wießner, Institut für
Geographie, wurde von der Ungarischen
Geographischen Gesellschaft in Anerkennung seiner stadtgeographischen Forschungen und seiner Tätigkeit für eine bessere Zusammenarbeit deutscher und ungarischer Universitäten zum Ehrenmitglied
gewählt.
Prof. Dr. Zoltán Kovác, Ungarische Akademie der Wissenschaften und Eötvös
Loránd Universität Budapest, hat für das
Heft 3/2004
SS 2004 eine vom DAAD geförderte Gastdozentur am Institut für Geographie übernommen. Kovács hält Lehrveranstaltungen
zur Politischen Geographie und zur Transformation in Ostmitteleuropa. Im Bereich
der Forschung wird die langjährige Kooperation Budapester und Leipziger Geographen auf dem Gebiet der Stadt- und Wohnungsmarktforschung vertieft.
Am 5. April verstarb 97-jährig der am
15. April 1906 geborene Prof. Dr. HansJürgen Troll. Er war lange Jahre als Professor für Pflanzenzüchtung an der Universität Leipzig tätig und arbeitete einst
beim führenden Vererbungs- und Züchtungsforscher Erwin Baur in Müncheberg.
Trolls Züchtungsarbeit war besonders herausragend bei der Futterpflanze Gelbe
Lupine (Lupinus lutens).
PD Dr. Annette Zeyner, Oberassistentin
am Institut für Tierernährung, Ernährungsschäden und Diätetik der Veterinärmedizinischen Fakultät, erhielt den Förderpreis
der Henneberg-Lehmann-Stiftung der
Agrarwissenschaftlichen Fakultät der
Georg-August-Universität Göttingen. Der
Preis wurde 2004 an drei Wissenschaftler
vergeben. Dr. Zeyner erhielt den Preis in
Anerkennung ihrer systematischen und
grundlegenden Arbeiten zur Pferdeernährung sowie herausragender Leistungen in
der Lehrtätigkeit.
Prof. Dr. med. Joachim Thiery, Direktor
des Institutes für Laboratoriumsmedizin,
Klinische Chemie und Molekulare Diagnostik, wurde von der Mitgliederversammlung der Gesellschaft für Arterioskleroseforschung Münster für eine Amtszeit von vier Jahren in den Wissenschaftlichen Beirat des Leibniz-Institutes für
Arterioskleroseforschung der Universität
Münster berufen. Der Wissenschaftliche
Beirat spielt eine herausragende Rolle bei
der Initiierung und der Evaluation der Forschungsleistungen des Institutes.
Prof. Dr. med. Ursula Froster, Direktorin
des Institutes für Humangenetik, wurde in
den Vorstand der Hochschulverbandsgruppe Leipzig gewählt. Die Verbandsgruppen werden auf Beschluss des Erweiterten Präsidiums des Deutschen Hochschulverbandes an den wissenschaftlichen
Hochschulen in Deutschland gebildet.
Prof. Dr. med. Henry Alexander wurde
mit Wirkung vom 1. April 2004 zum Mit-
glied der Sachverständigenkommissionen
des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen ernannt.
Die Medizinische Fakultät hat der Verlängerung der Gastprofessur für Prof. Frieder
Berr, Salzburg, zugestimmt. Berr arbeitet
auf dem Gebiet der photodynamischen Lasertherapie des Gallengangskarzinoms und
der Hepatologie mit der Medizinischen
Klinik und Poliklinik II zusammen.
Die von Prof. Hans-Jürgen Glander geleitete Abteilung für Andrologie an der
Klinik und Poliklinik für Dermatologie,
Veneralogie und Allergologie ist von der
Deutschen Gesellschaft für Andrologie
zum Ausbildungszentrum für Sachsen ernannt worden. Die führungsfähige Zusatzweiterbildung „Andrologie“ wurde erst
kürzlich von der Bundesärztekammer beschlossen. Die Andrologie umfasst Prävention, Diagnostik, konservative Behandlung
und Rehabilitation von Fertilitäts-, Ejakulations- und Erektionsstörungen, den sekundären Hypogonadismus, die Pubertas
tarda sowie die Seneszenz des Mannes und
partnerschaftliche Störungen.
Prof. Dr. Peter Illes, Direktor des RudolfBoehm-Institutes für Pharmakologie und
Toxikologie, wurde zum Ehrenmitglied der
Ungarischen Pharmakologischen Gesellschaft berufen.
In diesem Semester nahm das Internationale Graduiertenkolleg „Diffusion in Porous Materials“, in dem Arbeitsgruppen
der Universitäten Amsterdam, Delft und
Eindhoven mit Studenten und Wissenschaftlern der Leipziger Fakultäten für
Physik und Geowissenschaften sowie Chemie und Mineralogie zusammenarbeiten,
seine Arbeit auf. Den Auftakt gab Prof. Dr.
Freek Kapteijn, Delft University of Technology, holländischer Sprecher des Graduiertenkollegs, mit einem Sonderkolloquium zum Thema „Zeolite Membranes:
What are they good for?“. Im Anschluss an
den Vortrag präsentierten sich die ersten
Bewerber für die Doktoranden- bzw. Postdoktorandenplätze des Kollegs.
Prof. Dr. Klaus Lange vom Institut für Empirische Wirtschaftsforschung hat vom Präsidenten der Universität Lyon die „Médaille
de l’Université Lyon 2“ für seine Verdienste
beim Aufbau des deutsch-französischen
Doppeldiplomstudienganges Wirtschaftswissenschaften verliehen bekommen.
29
Ernst Bloch schreibend in Leipzig im
Garten der Wilhelm-Wild-Straße 8.
Foto: Ernst-Bloch-Zentrum Ludwigshafen
Spuren in Leipzig
Eine Annäherung an das Wirken Ernst Blochs
Von Dr. Wilfried Korngiebel (Bochum), Lehrbeauftragter am Institut für Philosophie
Im April 1949 verlässt das polnische Schiff
„Batory“ den Hafen von New York, sein
Zielhafen ist Gdynia. Unter den Passagieren: der Verleger und Schriftsteller Wieland Herzfelde mit seiner Familie und –
zunächst noch ohne seine Angehörigen –
der Philosoph und politische Publizist
Ernst Bloch. Ihre Rückkehr aus dem Exil
wird sie über Berlin nach Leipzig führen.
Beide folgen ihrem Ruf an die Universität
Leipzig, Herzfelde tritt eine Professur für
Soziologie der neueren Literatur an, Bloch
wird Ordinarius für Philosophie und Direktor des Philosophischen Instituts.
Ausstellung zu den Leipziger Jahren
Ernst Bloch lehrte zwischen 1948 und
1957 an der Universität Leipzig. Anknüpfend an die Ehrung Blochs durch
die Stadt Leipzig im Jahr 2002 würdigt
nun auch die Universität sein Werk. Bis
zum 17. Juli zeigt die Kustodie unter
dem Titel „Denken ist Überschreiten.
Ernst Bloch in Leipzig“ eine Ausstellung, die Blochs Leipziger Jahre anhand
seiner Publikationen sowie durch Tonund Bildmaterial (Zeitzeugen-Interviews, Fotos) und Akten, z. B. die StasiUnterlagen, dokumentiert. Die Ausstellung in der Galerie im Hörsaalbau soll zu
einer sachlichen Auseinandersetzung mit
der DDR-Vergangenheit und der jüngeren Geschichte der Leipziger Universität
anregen. Sie ist montags 12–17 Uhr,
dienstags bis freitags 9–17 Uhr und
samstags 9–12 Uhr geöffnet.
30
Im April 1944 hatten Herzfelde und Bloch
gemeinsam mit neun anderen Schriftstellern in New York den Autoren-Verlag
„Aurora“ für deutschsprachige Literatur
gegründet. Der Verlag verstand sich als
eine Tribüne der antifaschistischen Exilliteratur und wollte „nach dem Zusammenbruch des Hitlerregimes“, wie es in der
Gründungserklärung hieß, „am kulturellen
Wiederaufbau“ in Deutschland und Österreich teilnehmen. Der Neubeginn von 1945
stellte die Hitlergegner in ihren Exilländern vor eine schwere Wahl. Während
Schriftsteller wie H. Mann oder der Philosoph Marcuse in den USA blieben, gingen
andere Intellektuelle wie Horkheimer,
Adorno und Sonnemann in die Bundesrepublik, um sich konsequent dem Programm einer „Erziehung nach Auschwitz“
zu widmen. Wie Brecht, Herzfelde, Eisler,
Heym, Kofler u. a. entschied sich auch
Bloch in einer noch offenen Situation für
die DDR, die den Antifaschismus auf ihre
Fahnen geschrieben hatte.
An der Universität begann Bloch mit seinen Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie. Zugleich bearbeitete er die Tausenden von Manuskriptseiten, die er im Exil
geschrieben hatte, zur Veröffentlichung.
Seit „Erbschaft dieser Zeit“ (Zürich, Okt.
1934) hatte Bloch lediglich Aufsätze veröffentlichen können, mit Ausnahme der
knapp 200 Seiten starken Studie „Freiheit
und Ordnung. Abriss der Sozialutopien“,
die 1946 in New York bei „Aurora“ erschienen war und später als 36. Kapitel in
„Das Prinzip Hoffnung“ eingegliedert
wurde. Die Leipziger Jahre wurden zu
einer Zeit fruchtbaren Schaffens. Nun erschienen Blochs Schriften Schlag auf
Schlag. Die große Hegel-Studie „SubjektObjekt“ wurde 1951 veröffentlicht, 1952
erschien die kleine Schrift „Avicenna und
die Aristotelische Linke“. Mit einer weiteren kleinen, gesellschaftlich hochaktuellen
Studie „Christian Thomasius, ein deutscher
Gelehrter ohne Misere“, 1953 publiziert,
erinnerte Bloch an den Leipziger Frühaufklärer. 1955 folgte die Broschüre „Differenzierungen im Begriff Fortschritt“. 1954,
1955 und 1959 erschienen die drei Bände
des Blochschen Hauptwerks „Das Prinzip
Hoffnung“. Zudem wurde 1960 „Thomas
Münzer als Theologe der Revolution“
(1921) neu aufgelegt. Doch noch bevor der
dritte Band des Hauptwerks in der DDR
veröffentlicht werden konnte, sollte sich
bereits die gesellschaftliche Misere des
deutschen Gelehrten Bloch zeigen.
Auch im „Prinzip Hoffnung“ fällt der Blick
nicht nur immer wieder auf Abseitiges,
scheinbar Marginales, sondern auch auf zu
Unrecht oder mit Absicht Vergessenes. In
dieser enzyklopädisch angelegten Phänomenologie des „Noch-Nicht“ will Bloch
im Rekurs auf den jungen Marx zeigen,
„dass die Welt längst den Traum von einer
Sache besitzt, von dem sie nur das Bewusstsein besitzen muss, um sie wirklich
zu besitzen“. Bloch entfaltet sein grundlegendes Theorem des „antizipierenden
Bewusstseins“, der imaginären und gedanklichen Vorwegnahme des noch Ungewordenen, in Auseinandersetzung mit der
journal
Personalia
Psychoanalyse. Geradezu ins Auge springt
dabei seine äußerst vehemente Kritik am
archaisch-phylogenetischen Paradigma der
Archetypen-Lehre des abtrünnigen FreudSchülers C. G. Jung, dem Bloch seine
eigene, historisch gesellschaftlich ausgerichtete Theorie kollektiver „Grundbilder
der Phantasie“ entgegenstellt. Freilich geht
es um mehr. Ebenso wenig wie Adorno
oder Marcuse wollte Bloch vergessen, dass
der Schweizer Jung mit dem deutschen
Faschismus kollaboriert hatte. Die Schärfe
der Polemik Blochs erklärt sich vor diesem
Hintergrund und gilt allgemeiner einem
Intellektuellentypus, der sich durch Kollaboration wie durch spätere Distanzierung
eine Kontinuität seines Einflusses sicherte.
Allerdings gab es im Weltbild des Antifaschisten Bloch einen politisch blinden
Fleck. Zwar hatte sich Bloch auf dem
philosophischen Gebiet des Marxismus
stets als ein Streiter gegen Dogmatismus
und „dummen Materialismus“ erwiesen.
Doch anders als bei seinen Freunden Walter Benjamin, Brecht und Eisler sind von
ihm auch im Privaten keine grundsätzlich
kritischen Äußerungen über das Stalinsche
System, dessen Politik und Justizpraxis
bekannt geworden. Erst in der DDR-Zeit
vollzog sich bei ihm eine Wende, eine
Neubestimmung seiner linksintellektuellen Position. Die halben Enthüllungen des
XX. Parteitags der KPdSU vom Februar
1956 haben ihn wie ein Schock getroffen.
Nach der Verarbeitung dieser Erkenntnis
wagte er sich weit vor, seine Kritik an bürokratischen Zuständen in der DDR wurde
deutlicher, er erhoffte Reformen, ein „Tauwetter“, das nicht kam, und geriet in die
Schusslinie der Obrigkeit. Bloch wurde unbequem, man entdeckte in seinem Denken
der „konkreten Utopie“ Ausrichtungen, die
mit dem Staatsmarxismus nicht vereinbar
waren. Der Leipziger Philosoph Rugard
Otto Gropp hatte 1949/50 bereits zum
Sturz Leo Koflers an der Universität Halle
beigetragen. Nun tat er sich unter denen
hervor, die Bloch einer „Revision des Marxismus“, d. h. eines „humanistischen Sozialismus“ und „Utopismus“ bezichtigten.
Bloch musste in dieser Auseinandersetzung mit der SED-Hierarchie unterliegen:
1957 erfolgte seine Zwangsemeritierung.
Im August 1961 auf einer Westreise vom
Bau der Mauer überrascht, kehrte er nicht
mehr zurück. Als außerplanmäßiger Professor in Tübingen wurde er dann zum
Mentor der antiautoritären Protestbewegung, trat angesichts des Vietnamkrieges,
der Niederschlagung des Prager Frühlings
und der bundesdeutschen Notstandsgesetzgebung als Warner und Mahner in Erscheinung – und als Autor bahnbrechender
philosophischer Spätwerke. Bloch blieb
ein nonkonformistischer Intellektueller,
der die Unabhängigkeit wissenschaftlicher
Erkenntnis keiner Doktrin beugen wollte.
Dr. Wilfried Korngiebel, geb. 1956, Literaturwissenschaftler und Philosoph, ist Mitglied der Ernst Bloch Gesellschaft. Im
laufenden Semester leitet der Bochumer am
Institut für Philosophie der Universität
Leipzig ein Seminar zu „Geschichte und
Hoffnung – Ernst Blochs Philosophie des
Utopischen“. Der Leipziger Olaf Miemiec
bietet ein weiteres Seminar an: „Ernst
Blochs Haltung zur Philosophie“.
Eine Rezension zur neuesten Bloch-Biographie von Arno Münster
In kräftigen Farben
Arno Münster, deutscher Philosophieprofessor im französischen Amiens, legt eine
Biografie vor zu Ernst Bloch (1885–1977),
die sich politisch nennt; der französische
Originaltitel von 2001 bleibt da bescheidener und letztlich auch überzeugender am
Leben und Werk des deutsch-jüdischen
Philosophen: „L’utopie concréte d’Ernst
Bloch – une biografie“. Münster setzt
durchaus Maßstäbe. In 38 Kapiteln portraitiert er, gewiss nicht immer mit hinreichender Distanz, Blochs Werdegang vom
antifaschistischen Emigranten zum Nationalpreisträger, vom aufbrausenden, auch
selbstgefälligen Jüngling zum Weltweisen,
vom Beobachter eines funkelnden Alltags
bis zum Schöpfer einer monumentalen Enzyklopädie. Eine politische Biografie ist
Münsters Text wohl kaum zu nennen. Zu
dicht bleibt sie an der faszinierenden Persönlichkeit, zu sehr werden zeitgeschichtliche Kontexte nur en passant ausgeleuchtet. Der Forschungsbedarf ist erheblich –
die bei Suhrkamp verlegte Gesamtausgabe
bedarf dringend einer Aufarbeitung.
In kräftigen Farben beschreibt Münster, wie
Bloch die Früchte seines philosophischen
Schaffens „seinem Leben geradezu abgetrotzt hat“. Besonders anschaulich gelingt
Heft 3/2004
es ihm am Beispiel der vielen Exilstationen.
Mit 64 Jahren wird Ernst Bloch aus seinem
US-Exil auf den Lehrstuhl für Philosophie
der Universität Leipzig berufen; in einem
Alter, wo sich andere auf die Emeritierung
vorbereiten, kommt er endlich in Kontakt
mit Studenten, mit denen er sich „schnell
auf das Beste verband, weil er sie allesamt
an Jugendlichkeit übertraf“, wie sein Schüler Jürgen Teller berichtet. „Lese im großen
Hörsaal: Philosophische Grundfragen. Seminar über den Stoff der Vorlesung. All das
fällt mir recht leicht, kostet mich nicht viel
Zeit. Habe ein schönes, altmodisch-klösterliches Institut, mit 5 Zimmern, großem Seminarraum. Der Professorentitel bricht bei
den servilen Deutschen das Eis, indem ich
mich wohlfühlte“. 1957 in Ungnade gefallen und zur Emeritierung veranlasst, kam
er 1961, überrascht vom Mauerbau, von
einem Besuch der Bayreuther Festspiele
nicht zurück. In seinem letzten Exil in Tübingen blieb der inzwischen hochbetagte
und hochverehrte zornige Prophet der Hoffnung unbequem und wurde zu einem Mentor der 68er-Bewegung.
In Leipzig lebte Ernst Bloch von 1949 bis
1961 und bewohnte mit seiner Familie eine
kleine Villa in der Wilhelm-Wild-Straße in
Schleußig. „Was aber hat schließlich die
Messestadt Leipzig wegen jener acht Jahre
öffentlicher Wirksamkeit Blochs mit dieser
Philosophie zu tun? Oder was hat sie von
ihr gehabt? Zu tun hatte sie damit durch die
Leute, die Bloch kannten, ihm wohl wollten oder an den Kragen. Von ihm gehabt
hatten Leipzig und seine Studenten einen
bedeutenden Lehrer und Gelehrten und
eine Leitfigur für denkerische Konsequenz
sowie für Unbotmäßigkeit in einer Zeit geistiger Mäßigkeit und widerwärtiger politischer Willkür. Und für alle, wenn sie nur
wollen, die docta spes, die begreifbare,
lernbare Hoffnung in eine Welt, die sie
braucht wie nie zuvor.“ Jürgen Teller, sein
leidgeprüfter Assistent aus den 50er Jahren, sah in ihm einen großen Leipziger.
Münster hat mit seiner Biografie einen
wichtigen, systematisierenden Beitrag geleistet; für Blochs Werk und Wirken, auch
für und in Leipzig. Sie ist gewiss nicht der
letztgültige Wurf. Gelungen und lesenswert ist sie allemal. Dr. Siegfried Haller,
Initiator des „Leipziger Bloch
Freundeskreises“, Jugendamtsleiter
Arno Münster: Ernst Bloch. Eine politische
Biographie. Philo & Philo Fine Arts 2004.
442 S., 29,90 €, ISBN 3-8257-0357-6
31
Personalia
Ein Mann, der „aufs
Vollkommenste“ wirkte
Zum 200. Geburtstag des Chemikers
und viermaligen Uni-Rektors Otto Linné Erdmann
Von Prof. Dr. Dr. h.c. Lothar Beyer, Fakultät für Chemie und Mineralogie, und Prof. Dr. Horst Remane,
Lehrstuhl für Geschichte der Naturwissenschaften und Technik, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
„Genie ohne Fleiss hat in den
Wissenschaften noch nie Grosses geleistet
und andererseits, wenn irgend Etwas das
Genie in den Wissenschaften ersetzen
kann, so ist es der Fleiss.“
O. L. Erdmann, 1861
Am 11. April jährte sich zum 200. Male der
Geburtstag von Otto Linné Erdmann, der
von 1830 bis 1869 das Ordinariat für
(Technische) Chemie an der Universität
Leipzig bekleidete (Er starb am 9. Oktober
1869). Erdmann zählt zu den bedeutenden
Wegbereitern der Chemie und engagierte
sich mit nachhaltigem Erfolg für die Universität und darüber hinaus für die Stadt
Leipzig und die Region.
Sein Wirken fiel in eine Zeit, die durch
tiefgreifende Umbrüche gekennzeichnet
ist. Die Chemie, traditionell als Hilfswissenschaft in der Medizinischen Fakultät
der Universitäten angesiedelt, gewann mit
ihrem Transfer in die sich etablierende
Philosophische Fakultät zunehmend ihre
disziplinäre Eigenständigkeit. Erst Mitte
der 1820er Jahre hatte der Ordinarius für
Chemie an der Universität Gießen Justus
Liebig mit der Einführung des modernen
Laboratoriumsunterrichts eine neuartige
und spezifische Chemikerausbildung eingeführt. Er hat damit das Berufsbild des
Chemikers begründet.
Erdmann setzte das Prinzip von Liebig mit
Erfolg in Leipzig um. Im Jahre 1861 veröffentlichte er in der von seinem Fachkollegen Hermann Kolbe so bezeichneten
„lichtvollen kleinen Schrift“ „Ueber das
Studium der Chemie“ eigene Erfahrungen
und grundlegende Gedanken über Ziele
und Wege der Chemikerausbildung, von
denen viele bis heute nichts an ihrer Aktualität verloren haben: „Wer die Methoden
der Wissenschaft nicht kennt, der muss ihre
Lehren nur auf die Autorität grosser Na32
Fakultät ein zweites Ordinariat für Technische Chemie neben der im gleichen Jahr
erfolgten Umwandlung des Extraordinariats für Chemie in das Ordinariat für Allgemeine (Theoretische) Chemie mit der Besetzung von Otto Bernhard Kühn als Nachfolger von Christian Gotthold Eschenbach.
Erdmanns Ordinariat ging 1835 endgültig
in die Philosophische Fakultät über. Somit
hatte die Leipziger Universität frühzeitig
zwei exponierte Vertreter der Chemie und
etablierte sich im Vorderfeld der deutschen
Universitäten bei der Entwicklung dieses
Wissenszweiges.
Nachhaltiger Einfluss auf die
Entwicklung der Chemie
Otto Linné Erdmann
men hin annehmen, Beweise hat er nicht,
denn die Beweiskraft des Experiments
existiert nur für den, der genaue Kenntnisse
von der Art seiner Anwendung hat, wie sie
allein durch die Erfahrung gewonnen
wird.“
Diese Aussage gewinnt zusätzlich an Bedeutung wenn man berücksichtigt, dass die
Chemie eine noch junge Wissenschaft war.
Die klassische Chemie etablierte sich mit
zunehmendem Erfolg. Erdmann war in
diesem Prozess Zeitzeuge und engagierter
Mitgestalter, welcher in engem Kontakt
mit führenden Chemikern seiner Zeit, so
mit Friedrich Wöhler, stand. Tiefgreifende
Veränderungen vollzogen sich auch an der
Universität, die aus der Universitätsreform
von 1830 resultierten. Mit der Berufung
von Erdmann im Jahre 1830 bekam die
Universität Leipzig in der Medizinischen
Als Forscher leistete Erdmann Bedeutendes. Am Anfang seiner Tätigkeit stand eine
Schrift über das Nickel. Auf der Grundlage
seiner Erfahrungen, die er als Leiter der
Nickelhütte Hasserode gesammelt hat, gibt
er detaillierte Anleitungen zur Gewinnung
von Nickel und dessen Verarbeitung zu
Legierungen, darunter zu Weißkupfer. Dabei spielen neben der Chemie und der Analytik Aspekte der Verfahrensoptimierung
eine dominierende Rolle. Von nachhaltigem Einfluss auf die Entwicklung der Chemie waren die exakten Atommassebestimmungen, die Erdmann gemeinsam mit
Richard Felix Marchand ausführte. Bestimmungen von relativen Atommassen
chemischer Elemente waren seit der Begründung der chemischen Atomtheorie
durch den Engländer John Dalton im Jahre
1808 ein Kernstück der sich etablierenden
quantitativen Chemie. Im Jahre 1814 hatte
der Schwede Jöns Jacob Berzelius eine
Tabelle mit Atommassen von erstaunlicher
Genauigkeit veröffentlicht, die er später
noch weiter präzisieren konnte.
journal
Personalia
Als im Jahre 1841 der Franzose Jean-Baptiste André Dumas zusammen mit dem
Belgier Jean Servais Stas die Atommasse
des Kohlenstoffs berichtigten, kam es zum
Streit mit Berzelius, denn der neue Wert für
Kohlenstoff zog eine Korrektur aller anderen bekannten relativen Atommassen nach
sich. Erdmann und Marchand konnten die
Ergebnisse von Dumas und Stas als exakt
bestätigen. Darüber hinaus haben sie weitere Atommassen-Bestimmungen vorgenommen, u. a. von Wasserstoff, Calcium,
Quecksilber, Schwefel, Eisen und Kupfer,
die 1861 von Erdmann in klärende Diskussionen auf dem I. Internationalen Chemikerkongress in Karlsruhe eingebracht
wurden. Diese Arbeiten gingen konform
mit Erdmanns zahlreich vorgenommenen
Analysen von Erzen, Mineralien und
Schlacken.
So ist es nur folgerichtig, dass sich der Hüttenchemiker aus dem Blaufarbenwerk
Niederpfannenstiel bei Aue, der später berühmte Entdecker des chemischen Elementes Germanium, Clemens Winkler, an
dessen 100. Todestag erinnert sei, durch
Vermittlung von Erdmann zwei Abhandlungen bei der Fakultät einreichte und damit in Leipzig am 7. 2. 1864 mit einem sehr
positiv gehaltenen Hauptgutachten unseres
Jubilars promoviert wurde. Mit der Synthese der Verbindung Ammonium-diammintetra-nitrocobalt(III), die später Erdmannsches Salz genannt wurde, gelang
ihm ein früher Einstieg in die an der Universität Leipzig traditionell gewachsene
Komplexchemie.
Besondere Verdienste von Erdmann betreffen das Gebiet der Organischen Chemie.
Unabhängig von dem Franzosen Augustin
Laurent entdeckte er bei seinen Untersuchungen über Indigo den Farbstoff Isatin
und die Isatinsäure. Im Jahre 1846 konnte
Erdmann durch Einwirkung von Salpetersäure auf verschiedene Harze Styphninsäure gewinnen.
Der Name Erdmann ist verbunden mit
zahlreichen
wissenschaftsorganisatorischen Tätigkeiten. Hervorhebenswert ist
die Begründung der Fachzeitschrift „Journal für praktische Chemie“ im Jahre 1834.
Immerhin hat er dieses bedeutende Leipziger Chemie-Journal bis zu seinem Ableben
geführt, und es hat bis zum Jahre 2000
existiert. Durch sein Engagement entstand
ein für die damalige Zeit modernes chemisches Laboratorium im Friedericianum,
das im Jahre 1843 bezogen werden konnte.
Die Entwürfe für das Friedericianum –
ehemals gegenüber der heutigen MoritzHeft 3/2004
Das Friedericianum, ehemals gegenüber der heutigen Moritzbastei gelegen.
Durch Erdmanns Engagement entstand hier ein für die damalige Zeit modernes
chemisches Laboratorium, das im Jahre 1843 bezogen werden konnte.
Unten: Faksimile des Deckblatts des ersten Bandes des „Journals für praktische
Chemie“.
Quelle: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
bastei gelegen – stammen vom Universitäts- und Stadtbaumeister Albert
Geutebrück, während Erdmann an der Planung, Durchsetzung der Finanzierung und
Umsetzung der Pläne maßgeblich beteiligt
war. Insgesamt viermal, in den Jahren
1848, 1854, 1855 und 1862, stand er als
Rektor der Universität vor. Dazu schrieb
Kolbe im Nekrolog: „Wie er seine Stellung
als Lehrer aufs Vollkommenste ausfüllte,
so auch die Ehrenstellen, welche die Universität wiederholt ihm übertrug. Unter
den schwierigen Bedingungen der Jahre
1848 und 1849 gelang es ihm, als Rector
magnificus sich im Ansehen zu erhalten
und Vertrauen zu erwerben […].“
Neben seiner Tätigkeit an der Universität
war Erdmann Lehrer der Naturwissenschaften an der öffentlichen Handels-Lehranstalt und engagierte sich mit Sonntagsvorlesungen über Gewerbetechnik und
Chemie für die Weiterbildung Leipziger
Bürger. Im Direktorium der Leipzig-Dresdener-Eisenbahn-Gesellschaft und durch
angewandte Forschung zum Ersatz von
teurem englischen Steinkohlenkoks durch
preiswerten sächsischen mittels Zuschlag
von Kalkhydrat zur Entschwefelung und
besseren Asche-Verschlackung half er, die
enorm wichtige und 1837 realisierte erste
deutsche Fernbahnverbindung vorzubereiten und funktionsfähig zu machen. Als Vorsitzender der Polytechnischen Gesellschaft
zu Leipzig gehörte er zu den 20 Mitgliedern des Gründungsvereins der am 1. Juli
1846 gebildeten Königlich Sächsischen
Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig. Schließlich sei noch aus der Vielzahl
wahrgenommener Funktionen die des Vorsitzes des Leipziger Kunstvereins hervorgehoben, nicht nur durch die „Behandlung geschäftlicher Gegenstände“, sondern auch durch eigene wissenschaftliche
Aufsätze und Vorträge über Kunst und
künstlerische Fragen.
So erhellt sich das Bild eines hervorragenden Gelehrten der Alma mater Lipsiensis,
dessen Andenken in Ehren gehalten und
dessen Vermächtnis durch die Fakultät für
Chemie und Mineralogie mit Leben erfüllt
wird.
33
Personalia
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berufen:
Andreas Dietz
Wolfgang Kühn
Frank Kalter
Er bekennt sich als leidenschaftlicher
„Networker“, der aus der Zusammenarbeit
immer neue Ideen schöpft und in sein Fachgebiet einbringt. Leipzig mit seinen vielen
Vernetzungen kommt ihm da gerade recht,
so dass er sich gern um den Lehrstuhl
bewarb. Die Rede ist von Andreas Dietz,
Professor für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde/Plastische Operationen und neuer
Direktor der gleichnamigen Uni-Klinik.
Der gebürtige Darmstädter studierte in
Budapest und Gießen Medizin und legte
das 3. Staatsexamen an der Universität
Heidelberg ab. Hier promovierte und habilitierte er sich und spezialisierte sich bald
auf die Onkologie. Dabei hat er sich besonders dem Organerhalt bei Krebs verschrieben, wenn es das Krankheitsbild
irgend zulässt. Insbesondere beim Kehlkopfkrebs kann er auf gute Ergebnisse verweisen: Eine multizentrische Studie ergab,
dass 70% der Patienten, die organerhaltend
behandelt wurden, bisher eine Drei-JahresÜberlebensrate bei guter Lebensqualität
haben. Das wichtigste für die Patienten: Ihnen blieb sowohl ihre Stimme erhalten als
auch die Fähigkeit des Schluckens. Jetzt
gehe man daran, die erfolgreichen Methoden im internationalen Kontext zu testen.
Sein wissenschaftliches Interesse schließt
grundsätzliche onkologische Fragestellungen wie die Epidemiologie von Kopf-HalsTumoren, insbesondere die Risikofaktorenanalyse, Tumoroxygenierung und die
Tumor-Stroma-Interaktion ebenso mit ein
wie Fragen des Qualitätsmanagements, der
Prozessstrukturierung und der Effektivitätsanalyse. Entsprechend seiner Neigung zur interdisziplinären Zusammenarbeit will er sich wissenschaftlich einbringen in bestehende Zentren am Universitätsklinikum.
Zur Seite steht ihm seine Familie: seine
Frau und seine vier Kinder, die demnächst
nach Leipzig nachkommen. Ihre Heimstatt
haben die sechs schon gefunden. Da hat er
trotz aller Arbeit sicher auch Gelegenheit,
sein Schlagzeug zu spielen.
B. A.
leitet seit 1. März den Lehrstuhl „Verkehrsbau und Verkehrssystemtechnik“ an
der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Diesen Lehrstuhl „mit ganzheitlicher
Lehre und Forschung“ aufzubauen, darin
liegt für ihn der Reiz seiner Aufgabe. Er
will ein „Kompetenzzentrum Verkehrsbau“
etablieren, das bei der Entwicklung des
Verkehrswesens in Sachsen wissenschaftlich mitwirken soll.
Prof. Dr.-Ing. habil. Kühn hat sich spezialisiert auf die Planung und den Entwurf von
Straßenverkehrsanlagen und Verkehrsbauten. 1990 gründete er das Architektur- und
Ingenieurbüro Delta-Plan, das inzwischen
über Niederlassungen in Plauen, Chemnitz, Jena und Leipzig verfügt. Dort ist er
weiterhin tätig und kann somit Lehre und
Forschung gut mit der Praxis vernetzen.
Verschiedenste Bauprojekte v. a. in Sachsen und Thüringen, aber auch in anderen
Bundesländern, tragen Kühns Handschrift.
1994 wurde ihm für die Gestaltungskonzeption des Pflegeheims Jößnitz ein Architekturpreis verliehen. Für hervorragende
städtebauliche Leistungen beim Stadtumbau Ost wurde er 2003 mit dem Innovationspreis des Landes Thüringen geehrt.
Wissenschaftlich war Kühn bereits in Weimar, Magdeburg und Glauchau tätig – und
vor allem in Dresden. 2002 bekam er den
„Friedrich-List-Preis“ der TU Dresden für
hervorragende wissenschaftliche Leistungen im Verkehrsbau. An der TU habilitierte
er sich zuvor im gleichen Jahr mit einer Arbeit zum Thema „Neuartige mathematische
Modelle und Verfahren – ein Beitrag zur
Weiterentwicklung der Entwurfsmethodik
von Straßen“. In Dresden hat Kühn auch
studiert: Von 1973 bis 1977 absolvierte er
sein Studium an der Fakultät für Architektur
und Bauingenieurwesen der Hochschule
für Verkehrswesen „Friedrich List“.
Geboren wurde der inzwischen 49-Jährige
aber im thüringischen Mühlhausen. Kühn
ist verheiratet und hat zwei Töchter. Seine
Hobbys: Lesen, Radfahren und Tennisspielen.
C. H.
Bereits im Wintersemester hatte er die
Professur für Soziologie vertretungsweise
übernommen, nun hat er sie inne: Frank
Kalter, der in diesen Tagen seinen 40. Geburtstag feiert, ist in Leipzig hängen geblieben. „Zum einen hat mir die Stadt auf
Anhieb gefallen, zum anderen bietet das
Institut für Soziologie ein ideales Umfeld
für mich, vor allem weil es im Bereich der
quantitativen Sozialforschung stark profiliert ist und eine umfassende Methodenausbildung betreibt“, sagt Prof. Kalter.
„Wie schon mein Vorgänger möchte ich
das wichtige Programm einer ‚erklärenden‘ Soziologie und einer theoriegeleiteten
empirischen Sozialforschung hier weiterverfolgen“, fügt der gebürtige Koblenzer
hinzu. „Inhaltlich will ich dabei vor allem
auf dem Gebiet der Migration und der
Integration von ethnischen Minderheiten
beitragen.“ In diesem Bereich hat sich Kalter in seiner bisherigen wissenschaftlichen
Arbeit bereits stark profiliert. Sein besonderes Augenmerk gilt dabei Mechanismen,
die in Bereichen wie dem Arbeitsmarkt
oder dem Bildungssystem zu einer Verfestigung von ethnischen Ungleichheiten führen. In seiner Habilitation unternahm er
einen interessanten Ausflug in die Welt des
deutschen Ligenfußballs, um auch hier
Prozesse der strukturellen Assimilation
von Migranten zu untersuchen. Die Arbeit
wurde 2003 im Westdeutschen Verlag unter dem Titel „Chancen, Fouls und Abseitsfallen“ veröffentlicht.
In Mannheim hat Kalter in den 1990er Jahren und zuletzt 2003 am universitären Zentrum für Europäische Sozialforschung gearbeitet. 1997–2002 war er wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Soziologie und Wissenschaftslehre der Universität
Mannheim. Studiert hat er allerdings in
Köln, Mathematik und Sozialwissenschaften auf Lehramt. Lehraufträge führten ihn
später nach Bern und Heidelberg.
In seiner Freizeit treibt er gern Sport (früher Fußball, heute Tennis und Radfahren)
und kümmert sich um seinen Beagle. C. H.
34
journal
Personalia
„Soziales Sprachrohr auf
wissenschaftlicher Ebene“
Der Koreaner Kang ist neuer Leibniz-Professor
Sang Jung Kang ist ein Zugpferd. Das wissen japanische Fernsehsender, die ihn immer wieder in politische Talkshows einladen. Und das zeigte sich auch, als er Ende
April seine Antrittsvorlesung als LeibnizProfessor hielt: Der Vortragssaal der Universitätsbibliothek war bis auf den letzten
Platz gefüllt, auch viele Japanologie-Studenten hatten sich eingefunden.
Professor Kang sparte in dieser Vorlesung
nicht mit Kritik an Japan, wo er sich als
Vertreter der koreanischen Minderheit regelmäßig für deren Belange einsetzt. Vor
allem die USA-zentrierte Politik Japans
findet Kang bedenklich. Europa hingegen,
so sehr es auch selbst vor Problemen stehe,
stelle für die Supermacht USA eine Herausforderung dar. Kang sprach über „America’s Japan, Japan’s Japan and Asia’s
Japan“ – letzteres müsse sich erst noch
entwickeln. „Die Beziehungen Japans zu
seinen Nachbarn sind noch viel zu instabil“, so Professor Kang.
Der 53-Jährige zählt in Japan zum linksliberalen Lager und findet mit seiner kritischen Haltung seit langem im Ausland Beachtung. Er ist der erste in Japan lebende
Koreaner, der Professor an der Universität
von Tokio wurde. Zuvor hatte er nach sei-
Sang Jung Kang
Foto: Armin Kühne
ner Promotion in politischer Philosophie
und der intensiven Auseinandersetzung mit
Max Weber an mehreren japanischen Universitäten als Lektor und Assistenzprofessor gearbeitet. Jetzt beschäftigt er sich am
„Institut für Sozialinformation und Kommunikationswissenschaft“ u. a. mit der
Rezeption Asiens und des „Westens“ in der
japanischen Öffentlichkeit sowie dem Me-
diensystem des Nachkriegsjapans im Zusammenhang mit Nationalismus, nationaler Identität und der Aufarbeitung der
Kriegesvergangenheit.
Im Gespräch mit dem Journal bezeichnete
sich Kang selbst als „soziales Sprachrohr
auf wissenschaftlicher Ebene“. Er sehe
sich „irgendwo zwischen akademischer
Welt und Journalismus“. Ein streitbarer
Mann, der mit seinen Themen, so erklärte
Prof. Dr. Steffi Richter, Direktorin des Ostasiatischen Instituts, „unsere Studierenden
nicht kalt lassen dürfte“. Auf die Diskussion mit den Studierenden freut sich Kang,
der vor 20 Jahren für ein Jahr als Postgraduiertenstudent in Nürnberg lebte, denn
auch besonders. „Mit ihnen möchte ich
über die zukünftige Weltordnung reden –
wie sie sein könnte, wie sie sein sollte“,
kündigte Professor Kang an. „Die Gelegenheit dazu gibt mir diese so wichtige
Berufung, die ich als eine große Ehre empfinde.“
Carsten Heckmann
Die Leibniz-Professur ist eine Einrichtung
am Zentrum für Höhere Studien. Weitere
Informationen gibt es im Internet:
www.uni-leipzig.de/zhs/zhs/leibniz
Bekannte Enzyme werden exklusive Produkte
Zu den zehn besten Geschäfts- und Marketing-Konzepten, die in der Phase zwei
des Business-Wettbewerbs „futureSAX –
Gründen und Wachsen in Sachsen“ prämiert und mit je 1500 Euro belohnt wurden, gehört das der c-LEcta GmbH, in
deren Team jetzige und ehemalige Angehörige der Universität Leipzig arbeiten.
Wissenschaftlicher Leiter der c-LEctaGmbH ist Dr. Thomas Greiner Stöffele,
Leiter der Nachwuchsgruppe Protein Engineering am Biotechnologisch-Biomedizinischen Zentrum (BBZ) der Universität
Leipzig, Geschäftsführer ist Dr. Marc Struhalla, ehemals Universität Leipzig, der im
Zuge der genannten Initiative die Ausgründung leitet.
Heft 3/2004
Die c-LEcta-GmbH verändert bekannte
Enzyme zu exklusiven Produkten mit
breiter Anwendung für den Enzymmarkt.
Diese reicht von der Nutzung von Enzymen als Werkzeuge der Gentechnik bis zu
deren Einsatz in Waschmitteln im Haushalt
oder als Biokatalysatoren in der chemischen Industrie. Da natürlich entwickelte
Enzyme nur selten genau die Eigenschaften aufweisen, die für eine wirtschaftliche
Anwendung von Vorteil sind, müssen sie
verändert und somit angepasst werden. Die
neue Technologie der c-LEcta GmbH erlaubt die Durchführung dieser Anpassung
mit einem Bruchteil des Kosten- und Zeitaufwandes verglichen zu am Markt etablierten Methoden.
Zu den Preisträgern zählt außerdem die
NeuroProgen GmbH, zu der u. a. Universitätsprofessor Johannes Schwarz gehört.
Die NeuroProgen GmbH arbeitet an einer
restaurativen Zellersatztherapie mit humanen neuronalen Vorläuferzellen für die
Parkinsonsche Erkrankung. Nach erfolgreichen „proof of preclinical concept“ plant
das junge Unternehmen jetzt die GMP-gerechte Herstellung und die klinischen Studien für die Zulassung des Zell Therapeutikums zu realisieren. Die Firma wurde 2001
gegründet und beschäftigt fünf Mitarbeiter.
Im Rahmen des „StartUp“-Wettbewerbs
erhielt sie die Auszeichnung zum Landessieger Sachsen 2002 und wurde für den
Gründerpreis Deutschland nominiert. B. A.
35
Essay
Schnittmuster
für die Identität
Eine Annäherung
an das Konzept Schönheit
Von Enrico Wolf, Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung
Schönheit, Schön-Sein sind Konzepte, die
heute mehr denn je Determinanten unserer
Identität darstellen. Teils bewusst, teils
unbewusst unterziehen wir uns tagtäglich
mannigfaltiger Rituale der Selbstverschönerung. Diäten, modische Kleidung,
Problemzonen-Gymnastik, Entfernen von
Körperbehaarung, ein Piercing, ein Tattoo
und wenn alles nichts hilft vielleicht sogar
der Gang zum Chirurgen. Das Spektrum
reicht von der Ernährungskultur bis zur
sogenannten Schönheitschirurgie: Gerade
die sich momentan als Leitwissenschaft
etablierende Molekulargenetik nährt Fantasien, wie mit Hilfe gentechnischer Verfahren „schöne“ Menschen hergestellt und
„hässliche“ Menschen vermieden werden
können.
Doch wie lässt sich Schönheit wissenschaftlich konzeptionalisieren. Es gibt eine
ganze Reihe von wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit dem Phänomen Schönheit beschäftigen. Allen voran und mit po-
Im Dezember 2003 veranstaltete das
Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung (FraGes) der Universität Leipzig eine Tagung zum Thema „Schön oder
hässlich? Normierung, Abweichung und
Überschreitung geschlechtlicher Identitäten“, auf der kulturwissenschaftliche,
sozialwissenschaftliche und medizinisch-naturwissenschaftliche Aspekte
dieses Themas zur Sprache gebracht
wurden. Das Zentrum arbeitet seit 2001
an der Vernetzung und Entwicklung von
Projekten auf dem Gebiet der Frauenund Geschlechterforschung. Dabei werden insbesondere Nachwuchswissenschaftler und Studierende im Bereich
Geschlechterforschung. wissenschaftlich unterstützt.
36
pulärer Breitenwirkung die Psychobiologie, die sich zum Beispiel damit beschäftigt, auf welche Gesichter Frauen oder
Männer reagieren. Die Ergebnisse ähneln
sich: „Männer suchen schöne Frauen,
Frauen suchen reiche Männer“. Männer
bevorzugen demnach Frauen mit vollen
Lippen, dezentem Kinn und hohen Wangenknochen – Geschlechtsmerkmale, deren Konditionierung auf der Ausschüttung
des weiblichen Sexualhormons Östrogen
beruht, die also Fruchtbarkeit versprechen.
Frauen dagegen reagieren differenzierter:
Maskuline Typen sind während des Menstruationszyklus besonders gefragt, in den
Phasen dazwischen finden aber die „Softies“ Absatz, versprechen sie doch einen
Grad an Verlässlichkeit und Versorgungsqualitäten. Ungeachtet der Relevanz solcher Ergebnisse, verraten sie relativ wenig
über die kulturelle Konditionierung der
Reaktionen, die hier als Ergebnis präsentiert werden. Interessante Antworten dazu
kommen aus dem Bereich der Gender- und
Cultural Studies, die mittlerweile in vielen
Genderforschungszentren an deutschen
Universitäten institutionalisiert sind. Auch
am Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung der Universität Leipzig wird
auf diesem Gebiet geforscht.
Worauf beruhen unsere Vorstellungen von
Schönheit, was legitimiert unser Schönheitshandeln und in welcher Beziehung
stehen diese Komponenten zum Medium
solcher Inszenierungen: zu unserem Körper? Identität vermittelt sich immer stärker
durch das selbst entworfene Bild, das von
anderen wahrgenommen wird. Das korreliert auf einer anderen Ebene mit dem zunehmenden Zwang zur Selbstdarstellung
und Selbstinszenierung. Schönheit wird
zum Erfolgsmuster für sozialen Status und
persönliches Glück. Körperliche Fitness
versinnbildlicht Flexibilität und Dynamik,
Schönheit verspricht sozialen Erfolg. In
unseren Vorstellungen über Schönheit, und
der in ihr implizit mitgedachten Hässlichkeit ist ein Subjektverständnis eingeschrieben, das sowohl Geschlechterhierarchien
als auch nationale und ethnische Hierarchisierungen transportiert. Dabei zeigt der
ästhetische Begriff des Schönen definitorische Problematik. Hört man bei Definitionsversuchen oft den Satz „Ich erkenne
sie, wenn ich sie sehe“, so scheint für den
Begriff der Schönheit das Element des
nicht Beschreibbaren konstitutiv. Schönheit ist diskursiv, sie ist historisch veränderlich. Hier kommen kulturelle Konzepte
wie Vorstellungsvermögen, kulturell verankerte Erklärungs- und Deutungsmuster
usw. zum Tragen. Körper werden anhand
gängiger Dichotomien als gesunde und
kranke, richtige und falsche, alte und
junge, schöne und hässliche, oder männliche und weibliche präsentiert. Auffällig
ist der Konnex zwischen den Konzepten
Schönheit und Geschlecht. Schönheit
meint zuerst immer weibliche Schönheit.
Wie der Begriff des „schönen Geschlechts“
belegt, verweisen die traditionellen Assoziationen auf die im Vordergrund stehende
ästhetische Bewertung der physischen
Attribute der Frau. Die Idealisierung der
weiblichen Schönheit hält die Frau im Bereich der geist- und sprachlosen Natur, der
Bild- und Dingwelt fest. Maskuline Schönheit erscheint hingegen eher als Modus der
Kraft- und Machtrepräsentation, definiert
durch seine ökonomische und politische
Stellung.
Gerade die in diesem Zusammenhang so
oft thematisierte Schönheitschirurgie
scheint dabei mit Widersprüchen behaftet,
wie z. B. die Leipziger Medizinsoziologin
Ada Borkenhagen untersuchte. Einerseits
gilt sie als Unterdrückungsinstrument, andererseits erleben Patientinnen sich als
aktiv Handelnde und diese Betonung der
selbstbestimmten Agentenschaft gewinnt
im Legitimationsdiskurs der Frauen an entscheidender Bedeutung. Einerseits haftet
ihren Erfolgen etwas Künstliches an, andererseits geht es den Patientinnen um die
Herstellung von Normalität. Einerseits vermittelt die Schönheitschirurgie ein Gefühl
von Selbstkontrolle und Selbstbemächtigung, andererseits verweist sie auf das Verhältnis von Weiblichkeit, Körperlichkeit
und Narzissmus und die diesem Verhältnis
entspringende Verschränkung von Identität
und Verkörperung, die in viel radikalerer
Weise für Frauen als für Männer gilt. Einerseits ist der eigene Körper ein Ort der
journal
Essay | Habilitationen und Promotionen
Habilitationen
Medizinische Fakultät
Dr. Dirk Uhlmann (4/04):
Bedeutung und therapeutische Beeinflussung des
Endothelin/Stickstoffmonoxid-Systems im Ischämie/
Reperfusionsschaden von Leber und Pankreas
Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie
Dr. Thomas Schuster (4/04):
Märkte und Medien. Die Finanzmärkte im Zeitalter
globaler Nachrichtennetze
Promotionen
Karikatur: oweiss.com
Gefangenschaft und der Entfremdung, andererseits das vorrangige Ausdrucks- und
Kontrollmittel des eigenen Selbst.
Die in unserer Kultur oszillierenden Vorstellungen von Schönheit werden durch
Werbung und Medien perpetuiert und zugleich unterlaufen. Ein diesbezüglich
interessantes Phänomen ist die moderne
Hardcore-Pornografie. Sie stellt heute
ohne jeden Zweifel ein massenkulturelles
Phänomen dar. Generell setzt sich die für
das Alltägliche geltende Kontextualisierung des nackten Körpers im Film fort. So
empfinden wir sexuelle Geschlechtlichkeit
als schön, wenn sie vieldeutbar gestaltet als
Erotik dem Charakter des Anspruchsvollen
entspricht. Pornografie hingegen muss den
Vorwurf ungestalteter Primitivität ertragen. Doch wie generiert sich dieser Kult
des Profanen im pornografischen Film?
Der pornografische Film steht im direkten
Zusammenhang mit dem MainstreamFilm. So markiert Pornografie einen Bereich der Subversion, insbesondere der
Subversion der im klassischen Kino perpetuierten gesellschaftlichen Klischees und
Stereotype. Er verschreibt sich dabei einer
„Ästhetik des Hässlichen“; zum einen thematisch, zum anderen strukturell. Zentral
ist hier die Werthaftigkeit der Darstellung
des Sexuellen. Die Verletzung der Scham,
die Brechung des Schönen scheinen für
den pornografischen Film konstitutiv. Auf
der anderen Seite findet sich im pornografischen Film aber auch die Subversion des
eigenen Genres. War der pornografische
Film lange Zeit ein Genre, an dem sämtliche filmtechnische Neuerungen vorbeizuziehen schienen, so zeigt er seit den
Heft 3/2004
siebziger Jahren Tendenzen sich dem
Spielfilm ästhetisch anzunähern. Insbesondere Faktoren des production value, die
Kategorien attraktiver Filme zu fassen suchen (z. B. Darsteller, Kostüme, Kulissen,
Dramaturgie, Maske, Lichtgestaltung, Kameraführung, etc.), erfahren in den pornografischen Filmen eine Aufwertung. Es
werden „schöne“ pornografische Filme
produziert. In gleicher Weise wie jedoch
der pornografische Film sich dem Mainstream-Film annähert, bringt das Genre
Filme hervor, die diesen Annäherungsversuchen zuwiderlaufen und die Ästhetik der
Hässlichkeit zur gestalterischen Maxime
ausgeben.
Was sich in dieser Diskussion zeigt, ist die
Verbindung von Ästhetik und Moral und
die Auffassung, dass das Schöne gut und
das Hässliche schlecht ist. Ästhetische und
moralische Kategorien sind miteinander
verbunden und beziehen sich aufeinander.
Diese symbolische Auseinandersetzung
begründet die Randposition der Pornografie und betreibt gleichzeitig ihre interne
Differenzierung, etwa in schöne und hässliche Pornografie und schafft somit ein
Abbild der sozialen Hierarchie.
Enrico Wolf M.A. ist Mitglied im Vorstand
des Zentrums für Frauen- und Geschlechterforschung. Er studierte in Leipzig Kommunikations- und Medienwissenschaft,
Kulturwissenschaften und Niederländische
Philologie und arbeitet zurzeit an seiner
Dissertation über die Ästhetik des pornografischen Films an der Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie.
Juristenfakultät
Dr. Matthias Korff (1/04):
Beschlussmängelstreitigkeiten der Kapitalgesellschaft im Schiedsverfahren
jeweils 2/04:
Dana Bautzmann:
Der Begriff des Vorteils im sächsischen Anschlussbeitragsrecht und die daraus resultierenden Anforderungen an eine ordnungsgemäße Globalberechung
nach dem SächsKAG
Dr. Kilian Friemel:
Die Betriebsvereinbarung über Arbeitnehmererfindungen und technische Verbesserungsvorschläge
Dr. Gunther Joachim Rieger:
Umweltstandards im integrierten Umweltschutz
Fakultät für Mathematik und Informatik
Olaf Müller (4/04):
Natural Geometric Quantization of First-Order Field
Theories
Sikiru Adigun Sanni (4/04):
A coupled system of the Reynolds’, κ–ε and scalar
concentration equations
Fakultät für Chemie und Mineralogie
Paolo Barzaghi (1/04):
Kinetics and Mechanisms of the Reactions of OH and
NO3 with Phenol and substituted Phenols in Aqueous
Solution
Stefan Schmidt (2/04):
Synthese und Reaktionen von nichtnatürlichen Zucker-a-aminosäuren ausgehend von fermentativ gewonnener 2-Oxo-D-gluconsäure
A. Iwan Hastiawan (2/04):
Determination of Rare Earth Elements (REE) in minerals by ICP-atomic emission spectrometry using
CCD-detection subsequent to microwave-assisted
sample dissolution
jeweils 3/04:
Markus Jeschke:
Neue Synthesestrategien und Untersuchungen zur
Morphologie mesoporöser Materialien des Typs
MCM-41
Stefan Gerber:
Synthese, Kristallstrukturen und Untersuchungen von
thiocyanato- und selenocyanatoverbrückten Übergangsmetallkomplexen
Gábor Radics:
Synthesis of New Types of a-Amino, (-Hydroxy and
(-Mercapto Acid Derivatives and their Application for
Peptide Modification
Shaoying Wen:
Kinetic and Spectroscopic Study of Probe Reactions
in Solutions of Vesicle-forming Amphiphiles
37
Jubiläum 2009
Fundstücke von Fach zu Fach
Erfolgreiche Zusammenarbeit
zwischen zwei Universitätssammlungen
Von Susanne Grunwald, Historisches Seminar (Ur- und Frühgeschichte), und Frank Bach, Institut für Geophysik und Geologie
Durch eine glückliche Kooperation innerhalb der
Leipziger Universität erfuhr die ur- und frühgeschichtliche Sammlung
der Alma mater 2002 und
2003 eine nicht hoch genug zu bewertende Ergänzung ihrer Bestände durch
eine Übergabe aus der
universitätseigenen Geologisch-Paläontologischen
Sammlung. Es handelt
Johannes Felix
sich dabei um mehr als
titut begonnen, und bis
2500 vornehmlich jungzu seiner Pensionierung
paläolithische und neoli1933 leitete Felix auch
thische Steingeräte des
das Paläontologische Mu30. bis 3. Jahrtausends v.
seum. Auf seinen zahlChr. sowie um verschiereichen Forschungsreisen
denste Objekte aus sogesammelte er eigenhännannten Pfahlbausiedlundig eine außerordentlich
gen der Schweiz und Südgroße Zahl geologischer,
deutschlands (4. Jahrtaupaläontologischer und präsend bis 850 v. Chr.).
historischer Objekte, die
Nicht zuletzt die hervorer in guter alter Kustoragende Zusammenarbeit Gruppenbild mit Stein- und Knochengeräten.
dentradition „seinem“ Painnerhalb der Arbeits- Nach der Überführung alter Bestände aus der geologisch-paläontololäontologischen Institut
gruppe „Museen und gischen in die ur- und frühgeschichtliche Lehrsammlung ist die „Sammübereignete. Erwähnt sei
Sammlungen“ unter Lei- lung Osborne“ wieder vereint. Aufgrund der gleichartigen Etiketten
die Sammlung des sächsischen Rentiers und passionierten
hier besonders eine eintung des Dezernats 5 für konnte
Hobbyarchäologen Wilhelm Osborne aus dem 19. Jahrhundert identizigartige Sammlung mit
Öffentlichkeitsarbeit und fiziert werden.
Foto: M. Weicker
24 000 fossilen Korallen,
Forschungsförderung hat
einen zügigen und unbürokratischen Trans- universitäres Lehrfach dazu geführt, dass die nach kürzlich erfolgter wissenschaftfer der wertvollen Stücke ermöglicht. Er bis zur Einrichtung einer Professur für Ur- licher Neubearbeitung und Aufnahme in
wird wohl nicht der letzte seiner Art gewe- und Frühgeschichte (1934) archäologische ein modernes Datenbanksystem wieder der
sen sein, denn bei Revisionsarbeiten in den Themenbereiche unter anderem von der internationalen Fachwelt zur Verfügung
Magazinen der Geologisch-Paläontologi- Professur für Geologie vertreten wurden. stehen. Auch einige spektakuläre Großschen Sammlung ist durchaus noch mit Eine außerordentliche Professur für Geo- fossilien wurden von Felix gesponsert.
weiteren, für die Archäologie interessanten logie und Paläontologie hatte Johannes Ende 1936 genehmigte das Sächsische
Felix (1859–1941) seit 1891 inne. In der Ministerium für Volksbildung der jungen
„Funden“ zu rechnen.
Diese Zusammenarbeit der beiden Fächer Leipziger Öffentlichkeit wurde Felix durch Professur für Ur- und Frühgeschichte
Geologie und Ur- und frühgeschichtliche die Bergung, Präparation und Aufstellung 1 300 RM, u. a. „zum Ankauf der Samm(prähistorische) Archäologie hat Tradition. eines bei Borna gefundenen Mammuts lung heimischer Altertümer des Prof. FeSie reicht zurück bis in die Frühphase der bekannt, das eine der Hauptattraktionen lix“, die so zum Grundstock der zukünftibeiden Disziplinen und ist bis heute uner- des Grassi-Museums darstellte. Die wis- gen Lehr- und Studiensammlung beitrug.
lässlich im Bereich der Quartärarchäolo- senschaftliche Laufbahn von Felix hatte zu Derart finanziert, gingen Ende der 1930er
gie. In Leipzig hatte die relativ späte Eta- Beginn des I. Weltkrieges als Oberassis- Jahre 750 Tongefäße, eine kleine Anzahl
blierung der Ur- und Frühgeschichte als tent am Geologisch-Paläontologischen Ins- von Scherben, „einige Dutzend Steingeräte
38
journal
Jubiläum 2009
und an die 100 Bronzegegenstände“ an das
urgeschichtliche Seminar über. Die zahlreichen Stein- und Knochengeräte der
Sammlung Felix verblieben vorläufig im
Geologisch-Paläontologischen Institut.
Die prähistorische Sammlung erlitt im
Zweiten Weltkrieg schwere Verluste, die
einen Neubeginn erforderlich machten. Im
Sommer 1948 stieß der neue Lehrstuhlinhaber Prof. Friedrich Behn in den Magazinen des Lehrstuhls für Geologie auf die
zahlreichen prähistorischen Steinwerkzeuge, die zur Sammlung Felix gehörten.
Da dieser Lehrstuhl zum damaligen Zeitpunkt unbesetzt war, wandte Behn sich mit
der Bitte um eine Dauerleihgabe an den
Rektor der Universität. Der Bitte wurde
stattgegeben. Behn wählte zahlreiche
„Hämmer, Messer, Schaber, Keile usw.“
aus Feuerstein und Felsgestein aus, die
unter anderem ursprünglich aus dem Besitz des sächsischen Rentiers und passionierten Hobbyarchäologen Wilhelm Osborne stammten und wahrscheinlich um
die Jahrhundertwende von Felix angekauft
worden waren. Mit diesen insgesamt 214
Stücken trug die Sammlung Felix zum
zweiten Mal zum Aufbau der ur- und frühgeschichtlichen Lehrsammlung bei.
Die in den beiden letzten Jahren übergebenen Fundstücke aus süddeutschen und
schweizerischen Feuchtbodensiedlungen
stellen eine Kollektion dar, die durch ihre
unterschiedliche Provenienz, ihre vielfältigen Materialien (Stein, Keramik, Knochen,
Geweih, botanische Reste) sowie das breite
zeitliche Spektrum vom Neolithikum bis
zur Bronzezeit typisch für die Sammlertätigkeit um die Jahrhundertwende ist.
Der seit 2002 schrittweise erfolgte geschlossene Übergang der Sammlung Felix
an die prähistorische Lehrsammlung bedeutet nicht nur eine Entlastung für die mit
ca. 400 000 Objekten (das sind immerhin
deutlich über 300 m Schrankstellfläche)
überaus reiche Sammlung für Geologie
und Paläontologie, sondern bietet auch die
Möglichkeit der wissenschaftlichen Aufarbeitung einer forschungsgeschichtlich
bedeutsamen archäologischen Sammlung.
Nach einer Schnellinventarisierung ist damit bereits begonnen worden. Derzeit werden die Funde einer neolithischen Feuchtbodensiedlung aus Überlingen am nordwestlichen Bodenseeufer bearbeitet. Dieser wichtige Fundplatz ist in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts vollständig,
allerdings methodisch nur unzureichend
ergraben worden und steht heute für Nachuntersuchungen nicht mehr zur Verfügung.
Heft 3/2004
Gesichter
der Uni
Alfred Doren (1869–1934)
Korrektur
Manch einer wird es bemerkt haben: In
Heft 2/2004 wurden auf S. 45 versehentlich die alten, fehlerhaften Beschreibungen
zu den Abbildungen der „Böhmischen
Tafel“ gedruckt. Laut Prof. Dr. Frank Zöllner vom Institut für Kunstgeschichte zeigt
die Vorderseite der Tafel wahrscheinlich
Maria, die dem hl. Dominikus das „vas
electionis“ überreicht. Auf der Rückseite
sind der Erzengel Gabriel und die Jungfrau
Maria zu sehen (s. a. Text von Professor
Zöllner, S. 44/45). Die Redaktion bittet,
den Fehler zu entschuldigen.
Das Historische Seminar gedenkt in diesem Jahr des 70. Todestages des renommierten Leipziger Wirtschafts- und Sozialhistorikers Alfred Doren. Am 15. Mai 1869
als Sohn des jüdischen Kaufmanns Adolph
Doctor in Frankfurt am Main geboren, studierte Doren, der seinen Namen nach der
Promotion aus ersichtlichen Gründen
änderte, in Bonn und Berlin Geschichte
und Nationalökonomie. Zu seinen akademischen Lehrern gehörten Karl Lamprecht, Heinrich von Treitschke und vor
allem der bedeutende Nationalökonom der
Historischen Schule Gustav von Schmoller, bei dem er 1892 mit einer wirtschaftshistorischen Arbeit promoviert wurde.
Schmoller war es auch, der Doren für einen
mehrjährigen Forschungsaufenthalt in Italien empfahl.
Die Jahre in Italien und die gründliche Erforschung seiner Archive und Bibliotheken
begründeten Dorens lebenslanges Interesse an der italienischen Wirtschaftsgeschichte. Schon hier begann er an seinem
Hauptwerk zu arbeiten, den zweibändigen
„Studien aus der Florentiner Wirtschaftsgeschichte“.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland
habilitierte er sich in Leipzig und wurde
1908 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt. Als 1914 der
Erste Weltkrieg ausbrach, meldete sich Doren, immerhin schon 45-jährig, freiwillig
zum Militärdienst. Nach dem plötzlichen
Tod seines akademischen Lehrers Karl
Lamprecht wurde ihm aber die kommissarische Leitung des Instituts für Kultur- und
Universalgeschichte übertragen.
Ende 1915 wurde Doren in die Politische
Abteilung des Generalgouvernements Belgien berufen, wo er an der Auswertung
erbeuteter Akten aus belgischen Archiven
beteiligt war. Die herausgegebenen und
von Doren mitbearbeiteten Studien zur belgischen Wirtschafts- und Kolonialpolitik
trugen aber deutlich propagandistische und
agitatorische Züge.
Nach dem Ende des Krieges war Doren
zeitweise in Berlin tätig, bevor er 1923
auf das neu gegründete Extraordinariat
für Wirtschaftsgeschichte der Universität
Leipzig berufen wurde. Nach zehn Jahren
Lehr- und Forschungstätigkeit gehörte
Alfred Doren zu den ersten Leipziger
Hochschullehrern, die aufgrund ihrer jüdischen Abstammung von den Nationalsozialisten im Herbst 1933 entlassen wurden.
Er starb kurze Zeit später am 28. Juli 1934.
Ronald Lambrecht,
Historisches Seminar
39
Jubiläum 2009
Reich an Klanggeräten
dank 800 000 Goldmark
75 Jahre Musikinstrumentenmuseum
Von Birgit Heise, Musikinstrumentenmuseum
Deutschlands größte Sammlung für historische Musikinstrumente befindet sich an
der Leipziger Universität. Vor genau 75
Jahren gelang der Ankauf des berühmten
Musikhistorischen Museums von Wilhelm
Heyer aus Köln, konnte eine umfangreiche
Kollektion von Klanggeräten des 16. bis
20. Jahrhunderts in die Messestadt überführt werden. Große internationale Beachtung wurde der feierlichen Eröffnung im
Nordflügel des Grassimuseums am 29. Mai
1929 entgegen gebracht.
Dank des Verhandlungsgeschicks und der
Beharrlichkeit des Ordinarius für Musikwissenschaft Prof. Dr. Theodor Kroyer
(1873–1945) erfuhr das hiesige Institut
eine derart einmalige Bereicherung. Hinzu
kam das Glück, dass ein großzügiger
Spender ein Viertel der 800 000 Goldmark
umfassenden Kaufsumme sofort zur Verfügung stellte.
Der Verlagsinhaber von „Edition Peters“,
Henri Hinrichsen (1868–1942), hatte sich
bereits als Förderer zahlreicher Institutionen sowie als Gönner von Komponisten
wie Edvard Grieg und Max Reger hervorgetan. Ihm wurde für seine Verdienste um
das Museum die Ehrendoktorwürde der
Universität verliehen; ein Saal erhielt seinen Namen. Das Leben dieses jüdischen
Bürgers endete auf gewaltsame Weise in
Auschwitz. Ungezählt waren die Schikanen der Nazis gegenüber der Familie Hinrichsen, aber die Universität leistete insofern Widerstand, als man sich weigerte,
dem Ehrendoktor dessen Titel abzuerkennen.
Von 1929 an bestand also an der Leipziger
Universität die Möglichkeit, anhand originaler alter Klanggeräte das musische Ideal
vergangener Epochen zu studieren. Kroyer,
Musikwissenschaftler und Spezialist für
die Renaissance, nutzte diese Möglichkeit
ebenso wie seine Nachfolger ausgiebig.
Seit nunmehr 75 Jahren findet Unterricht
in der Sammlung statt, sei es in Instrumentenkunde, Aufführungspraxis oder
40
Henri-Hinrichsen-Saal im Grassimuseum, 1929
Professor Theodor Kroyer mit Studenten, ebenfalls 1929
journal
Akustik, sei es für Studenten der Universität, der Musikhochschule oder Institutionen anderer Städte.
Zu Kriegs- und Nachkriegszeiten musste
der Unterrichtsbetrieb jedoch für mehrere
Jahre reduziert werden. Der Bombenhagel
im Dezember 1943 verursachte katastrophale Schäden; das Gebäude brannte vollständig aus. Glücklicherweise waren die
meisten Instrumente zuvor in verschiedene
Schlösser der Leipziger Umgebung ausgelagert worden, so dass etwa die Hälfte des
Sammlungsgutes den Krieg überdauerte.
Zur Zeit wird das Grassimuseum einer
grundlegenden Rekonstruktion unterzogen. Die inzwischen über 5000 Exponate
umfassende Kollektion ist ausgelagert. Ein
kleiner Teil des Bestandes findet im Interim am Thomaskirchhof 20 vorübergehende Bleibe. Anlässlich des 75-jährigen
Jubiläums präsentiert das Museum hier 75
Musikinstrumente aus aller Welt, die bisher noch nicht oder vor langer Zeit
zu sehen waren. Verschieden
gestaltete Exponate von
der Apachen-Geige und
Jugendstil-Balalaika bis
zum Schweizer Alphorn erscheinen nach
aufwändiger Restaurierung im
neuen Licht.
Entsprechend
ihrer Klangerzeugung sind sie als
Blas-, Schlag-, Streichund Zupfinstrumente nebeneinander gestellt. Sie lassen erahnen, wie vielfältig und doch auch
wiederum ähnlich man in den verschiedenen Erdteilen Instrumente baute und darauf musizierte.
Es ist geplant, im Verlaufe des Jahres 2005
wieder den Nordflügel sowie weitere Bereiche des Grassimuseums zu beziehen.
Hier finden sich beste Bedingungen für die
Verwaltung, die Restaurierungs-Werkstatt,
das Depot und natürlich die großzügig erHeft 3/2004
weiterte Ausstellung: Ein Rundgang durch
das Erdgeschoss zeigt Musikinstrumente
aus fünf Jahrhunderten in historischer Anordnung. Neu ist das Vorhandensein eines
Konzertsaales mit
zwei Orgeln und
wenigen, den Zimelien vorbehaltenen Vitrinen. Im Obergeschoss trifft der Besucher auf
ein Klanglabor, in dem viele Instrumente selbst ausprobiert werden
können, sowie auf einen Seminarraum
und die Studiensammlung mit Instrumenten aus aller Welt, geordnet nach der Art
der Klangerzeugung.
Doch bis dahin sind noch viele Aufgaben
zu erledigen, laufen die Vorbereitungen
„hinter den Kulissen“ auf Hochtouren. Studenten erhalten nach wie vor Unterricht,
und einige dürfen Erfahrungen als Führungspersonal sammeln bzw. sich direkt an
der instrumentenkundlichen Arbeit beteiligen. So laufen momentan mehrere interessante Projekte wie das Übersetzen von
asiatischen Schriftzeichen auf alten
Instrumenten und das Recherchieren weiterer archivarischer Unterlagen zur Museumsgeschichte. Im Mittelpunkt aller
Tätigkeiten aber steht bis auf weiteres das
Konzipieren und Vorbereiten der künftigen
Dauerausstellung im Grassimuseum; eine
großartige Chance, die sich wohl nur alle
75 Jahre ergibt.
Oben:
Koto (Sō), Japan, 19. Jahrhundert
Mitte:
Apachen-Geige, Arizona, 19. Jahrhundert
Unten:
Pūngı̄ (Doppelklarinette der Schlangenbeschwörer) Indien, 19. Jahrhundert
Fotos: Musikinstrumentenmuseum
der Universität Leipzig
Bis Ende 2005 läuft im Musikinstrumentenmuseum am Thomaskirchhof 20
(Interim) die Ausstellung „Von der Apachen-Geige bis zum Zink: Alte Schätze
neu entdeckt“. Ausstellung und Klanglabor sind von Dienstag bis Sonntag von
11 bis 17 Uhr geöffnet. Führungen finden in der Regel sonntags um 11 Uhr
statt.
Am 28. Mai wird am gleichen Ort um
17 Uhr die Kabinettausstellung „… mehr
als bloßer Zeitvertreib…: 75 Jahre Musikinstrumenten-Museum der Universität Leipzig“ eröffnet. Es gelten die gleichen Öffnungszeiten.
Eintrittspreise:
Erwachsene 3 €, ermäßigt 1,50 €
41
Titel2 06.07.2004 11:35 Uhr Seite 1
C
Juli 2004
M
Heft 4/2004
Y
CM
MY
CY CMY
K
ISSN 0947-1049
Ein Philosoph im Gespräch:
Denker im (ins) Abseits?
Bibliothek und Gemälde als Geschenk:
„Die Rückkehr“ von Levin L. Schücking
Mephisto-Chefin im Interview:
Per Anhalter ins neue Europa
Wirtschaftspädagogik:
Uni-Know-how für BMW
Mit Hermiona in Bradavice:
Harry Potters Namenwelt in der Übersetzung
Ein „Pillendreher“
auf dem Südfriedhof
journal
Das „Jahr der Technik“
An den Schaltstellen der Universität
Probedruck
EDITORIAL
Universität und Technik
Inhalt
UniVersum
Denker im (ins) Abseits?
Zahlen und Fakten aus der Uni-Bibliothek
Schinkel-Tor abgebaut
2
4
5
Gremien
Sitzungen des Senats am 11. 5. und am 15. 6.
5/6
Forschung
Umweltforschung: Vertrag mit Uni Peking
Zentrum f. Kognitions-/Neurowissenschaften
6
7
Fakultäten und Institute
Nahrungsmittelsicherheit/-sicherung
Uni-Know-how für BMW
Neues Management für schrumpfende Städte
Nachrichten
Ostmitteldeutsch in historischer Tiefe
Harry Potters Namenwelt in der Übersetzung
8
9
10
11
12
13
UniCentral
Eine Sprache für die Computer-Chirurgie
Uni Leipzig koordiniert Exzellenz-Netzwerk
Ultraschallaufnahmen von trächtigen Tieren
Über Proteine zur Diagnose
Im Schussfeld der Ionen
Organismen im Bioreaktor
Untersuchungen zu ultrahochfestem Beton
Computerelektronik bei Ausgrabungen
Technik in Gewächshäusern
Die Betriebstechniker der Universität
Hinter den Kulissen des Rechenzentrums
14
15
16
16
17
18
19
20
21
22
24
Studiosi
Per Anhalter ins neue Europa
Deutschsprachige Zeitungen in Russland
Journalistik-Studierende in St. Petersburg
Online-Magazin von Studierenden
25
26
27
28
Personalia
70. Todestag von Erich Everth
Geburtstage / 100. Todestag von P. Neruda
Neu berufen / Kurz gefasst
Klaus Bochmann wurde 65
28
29
30/31
32
Jubiläum 2009
Uni-Geschichte in Bildern
„Die Rückkehr“ von Levin L. Schücking
Gesichter der Uni: Dietrich von Bocksdorf
Wach – ein Grenzgänger der Wissenschaften
90 Jahre Ostasiatisches Seminar
Das Grab Felsches und sein besonderer Stein
35
36
37
38
39
40
Habilitationen und Promotionen
Am Rande
Nomen
Impressum
33
6
40
5
Titelbild (aufgenommen im Botanischen Garten): Kornelia Tröschel
Verstand man im klassischen Sinne Technik als Kunst oder Fertigkeit, wird sie heute im engeren Sinne als konstruktives
Schaffen von Erzeugnissen, Vorrichtungen und Verfahren unter Benutzung der Kräfte und Stoffe der Natur verstanden.
Vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF),
der Initiative „Wissenschaft im Dialog“ und dem Deutschen
Verband Technisch-Wissenschaftlicher Vereine (DVT) wurde
das Jahr 2004 zum „Jahr der Technik“ erklärt. Gefördert
werden soll der Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit sowie das Verständnis für den Einsatz von Technik. In
Leipzig machte im März die Veranstaltungsreihe „Bewegungssignale – Maschinen und Welten“ Station. Vor wenigen
Tagen wurde im Neuen Rathaus die Wanderausstellung „In
die Tiefe gehen“ eröffnet, die sich, mit Unterstützung durch
die Universität Leipzig, dem Schutz des unterirdischen Raumes widmet.
Mit ihrer in den letzten Jahren erfolgten Schwerpunktbildung im biomedizinisch-biotechnologischen Bereich hat die Universität eine Entwicklung
verfolgt, die nach Meinung des Bundesverbandes
der Deutschen Industrie prägend für das künftige
Wirtschaftswachstum sein wird. Moderne Techniken haben über ihre traditionellen Anwendungsbereiche hinaus längst Einzug in die Geisteswissenschaften gehalten. Vielleicht setzt unsere Alma
mater mit ihrer traditionellen Fächerstruktur und
dem hohen geistes- und sozialwissenschaftlichen
Anteil hier ganz besondere Akzente. So nutzt das Ägyptische
Museum den Computertomographen zur Untersuchung von
Mumien. Naturwissenschaftliche Techniken verhelfen zu
neuen Erkenntnissen auf dem Gebiet der Klassischen Archäologie, auch wenn sich im Ergebnis herausstellt, dass das vermeintlich vergoldete Bronzegefäß doch nicht vergoldet war.
Neue Untersuchungsmethoden mithilfe von Lasertechniken
geben Aufschluss über früher angewandte Techniken, z. B.
bei der Lackierung von Musikinstrumenten.
Dieses Uni-Journal berichtet u. a. über Technik in der Ur- und
Frühgeschichte und in der Biotechnologie, Bereiche, die auch
in unseren Forschungsschwerpunkten enthalten sind. Ende Februar hatte das Rektoratskollegium angesichts des avisierten
BMBF-Wettbewerbs um Spitzenuniversitäten und Exzellenzzentren die Leipziger Forschungseinrichtungen zu einem
„Leipziger Forschungsgipfel“ eingeladen, um ausgehend von
unserem durch eine Vielzahl außeruniversitärer Forschungseinrichtungen gegebenen Standortvorteil herausragende Forschungscluster zu identifizieren und die Konzeption für eine
mögliche Bewerbung im Wettbewerb zu entwerfen. Die im
Ergebnis unter Mitwirkung der Forschungskommission gebildeten Arbeitsgruppen machen im Augenblick ihre abschließenden Hausaufgaben. Deutlich wird bereits, dass in jedem
dieser Fakultäts- und Universitätsgrenzen überschreitenden
Cluster der Bereich der Technik, mehr oder weniger ausgeprägt, unverzichtbar ist. Universitas litterarum und Technik
bedingen einander.
Prof. Dr. Martin Schlegel
Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs
1
UniVersum
Denker
im (ins)
Abseits?
Interview mit
Pirmin StekelerWeithofer
Im praktischen Umweltschutz weiß man
genau, wie man mit Altlasten umzugehen
hat. Sie sind zu entsorgen. In den Geisteswissenschaften fragt man sich eher sorgenvoll, wer oder was Altlasten sind. Die
Frage ist, ob sich an den Universitäten
überhaupt eine Entsorgungsfrage stellt –
Volker Schulte hat Philosophie-Professor
Pirmin Stekeler-Weithofer gefragt.
Ist der ehemalige, allerdings zwangsverordnete Namensstifter der Universität
Leipzig, Karl Marx, eine zu entsorgende
Altlast?
Es gibt seit der Antike eine interessante
Tradition, große und einflussreiche Denker
entweder für alles Üble in der Welt verantwortlich zu machen – nach dem Motto:
post hoc ergo propter hoc: weil etwas nach
ihnen passiert ist, ist es wegen ihrer Aussagen und Theorien passiert –, oder sie
kleinzureden, totzuschweigen und gar
nicht mehr zur Kenntnis zu nehmen. Das
Kleinreden kennen wir, seit Diogenes
Laertius Platon als Plagiator darstellt. Wir
sehen es auch in den zum Teil verharmlosenden Leben-Jesu-Geschichten aus dem
19. Jahrhundert. Die Verwandlung von Vordenkern in Sündenböcke ist Methode in Sir
Karl Poppers populärer Streitschrift „Die
offene Gesellschaft und ihre Feinde“. In
dieser einfach gestrickten Freund-FeindPhilosophie wird Platon zum Antidemokraten und nicht als antiker Begründer
jeder späteren Politikwissenschaft begriffen. Hegel wird als Apologet preußischer
Reaktion dargestellt und nicht als Verteidiger des Primats des Rechtsstaats, vor aller
demokratischen Mitbestimmung und insbesondere vor jedem Mehrheitsentscheid.
Marx schließlich erscheint als Ideologe des
Sozialismus und wird nicht als methoden2
Zu einem Höhepunkt bei der Vorbereitung des Republikgeburtstages an der KarlMarx-Universität und in der Stadt Leipzig gestaltete sich die feierliche Enthüllung
des Reliefs am Hauptgebäude der Universität am vergangenen Sonnabend sowie
das Treffen von Universitätsangehörigen mit Leipziger Bürgern.
Foto und Text aus: Universitätszeitung Nr. 36/1974, 10. Oktober 1974
kritischer Wirtschaftswissenschaftler erkannt, dessen „philosophische“ Basiseinsicht gerade darin besteht, dass die Ökonomie, ob sie es wahrhaben will oder nicht,
keine rein deskriptive und explanative,
sondern immer auch normative und handlungsorientierende Wissenschaft ist und
bleiben wird. Wenn sie dies nicht wahrhaben will, ist sie schon ideologisch. Popper
macht alle drei Genannten mitverantwortlich für die politischen Katastrophen des
20. Jahrhunderts, für Nationalsozialismus
und Stalinismus – und übersieht, dass diese
vielmehr Nebenfolgen der Unterschätzung
von möglichen Problemen im Demokratisierungsprozesses waren, vor welcher gerade Platon und Hegel gewarnt hatten.
Auf die Frage nach der Notwendigkeit der
Entsorgung von Marx kann ich dann nur
eine Antwort geben: Nicht die Texte und
Überlegungen der großen und größten
Denker der Antike oder Neuzeit – im
19. Jahrhundert also von Hegel, Marx und
Nietzsche – sind zu entsorgen, sondern die
Ursachen dafür sind aufzuheben, die dazu
geführt haben, dass ihre Gedanken nicht
nur nicht angemessen begriffen wurden,
sondern in ihr Gegenteil verkehrt werden
konnten. Diese Ursachen liegen nicht zuletzt darin, dass diejenigen, welche sich auf
diese Autoren später berufen haben, kaum
genügend gebildet waren, um die Texte mit
Verstand und Urteilskraft zu lesen, geschweige denn den Sinn der Überlegungen
voll zu begreifen. Denn dazu gehört, erstens, die Zeitbedingtheit der Textent-
stehung angemessen zu berücksichtigen,
zweitens, die Gesamtintention nicht aus
den Augen zu verlieren – nicht aber, auf
lokale Probleme oder Irrtümer zu fokussieren, wie sie bei allen Autoren vorkommen, gerade wenn es um die Einrichtung
und das Verständnis einer guten und allgemein anerkennungswürdigen Gesellschaftsformation geht.
Wer einer Auseinandersetzung mit vermeintlichen Altlasten unserer Kulturtradition aus dem Weg geht, wird sogar mit
einiger Sicherheit sowohl Fehler des gleichen Typs begehen wie diejenigen, welche
die Autoren vermeiden wollten, als auch
Fehler des Typs, welche diejenigen begangen haben, welche diese Autoren für ihre
Projekte apologetisch und damit ideologisch gebraucht und missbraucht haben.
Am Ende wird die beobachtbare Tendenz
zur (Selbst-)Abschaffung einer kritischen
Geistes- oder besser Strukturwissenschaft
und einer entsprechenden Bildung (samt
der nötigen Breite der Bildung im höheren
Lesen und Schreiben) zu einer unbemerkten Zerstörung freiheitlicher Kultur und
damit der Grundlagen unserer eigenen
Lebensform führen. Die ist freilich nur in
einer „langen Sicht“ zu erwarten, wie sie
einer rein empirischen, kurzfristigen Sozial- und Kulturwissenschaft unzugänglich
bleibt. Strukturwissenschaftliche Einsichten wie die von Hegel oder Marx können
dagegen ihrerseits nicht unmittelbar in
kurzfristig wirksame Handlungsanweisungen verwandelt werden.
journal
UniVersum
Aber muss man nicht auch Unterschiede
sehen, inwieweit sich das auf die Gesellschaft bezogene Denken für Zwangssysteme instrumentalisieren lässt? Inwieweit es überhaupt den Anspruch erhebt,
verwirklicht zu werden, vielleicht gar
deshalb, weil ihm naturgesetzliche Allmacht zukomme?
Hegel hat immer gegen die Allmachtphantasien argumentiert, welche eine Revolution der Verhältnisse durch Kader
einer Partei nach Art von Robespierres
„Berg“ in der französischen Nationalversammlung zwangsweise herstellt. Sozialpolitische und ökonomisch-kulturelle Entwicklungen sind zunächst als Phänomene
des gemeinsamen Handelns und Anerkennens zu verstehen bzw. zu „interpretieren“.
Als Einzelne können wir wenig direkt zielgerichtet tun, bestenfalls durch Kritik und
Ideen ein wenig steuernd Einfluss nehmen.
Die Abkehr von dieser Einsicht dokumentiert die elfte Feuerbachthese. Marx meint
da, es komme darauf an, die Welt handelnd
zu verändern. Das Marxrelief an der Universität Leipzig ist daher viel weniger problematisch als der denkmalgeschützte
Spruch im Foyer der Humboldt-Universität.
Allerdings ist Marx nicht so töricht wie die
meisten seiner Leser. Diese glauben, Marx
widerspreche sich schon darin, dass er den
Zusammenbruch des Kapitalismus zwar
als unausweichlich erwarte, aber zugleich
zur tätigen Revolution aufrufe. Marx prognostiziert am Ende nur, dass ohne staatliche Intervention, etwa auch im Rahmen
sozialdemokratischer Politik nach dem
Vorbild F. D. Roosevelts, die Kämpfe zwischen Kapital und Arbeit und die Konkurrenzkämpfe zwischen den Unternehmen
sich tendenziell verschärfen – zum Nachteil von allen.
Angesichts der Tatsache, dass die Universität Leipzig mit der Namensverleihung „Karl Marx“ auf eine kommunistische Programmatik eingeschworen
wurde, was mit der systematischen Ausschaltung allen nichtmarxistischen Denkens einherging, war m. E. die Trennung
von dem Namen „Karl Marx“ 1991 und
die Rückkehr zum alten Namen ein notwendiger, ein richtiger Schritt. Das heißt
ja nicht, dass Karl Marx kein Gegenstand der wissenschaftlichen Beschäftigung mehr sein darf. Wie steht es damit
in den Leipziger Geistes- und Sozialwissenschaften, in Sonderheit am Institut
für Philosophie?
Heft 4/2004
Eine Universität wie die der Stadt Leipzig
braucht keinen weiteren Namen. In meinem Ohr klang daher die „Karl-Marx-Universität“ gerade so wie die Benennung des
Studentenheims „Jenny Marx“ verdächtig
nach „Don-Bosco-Haus“ und damit nach
unbedarfter Kopie katholischer Heiligenverehrung. Dies passt weder auf die Institution und Tradition dieser Universität,
noch auf die Person Karl Marx. Auch die
systematische Ausschaltung allen nichtorthodoxen Denkens war wie die Mythisierung des Arbeiters in einem Land von
Arbeitnehmern am Ende nur ein Zeichen
kleinbürgerlicher Provinzialität.
Der Kommunismus, von dem Marx
träumte, war freilich eine durchaus problematische Utopie, und zwar, paradoxerweise, aufgrund des absoluten Gegensatzes
zu dem, was im Namen „kommunistischer“ Parteien als Sozialismus bzw.
Staatsdirigismus verwirklicht wurde. Denn
diese Utopie war im Grunde anarchistisch.
Es ist dann übrigens kein Wunder, dass Karl
Marx als Gegenstand der wissenschaftlichen Beschäftigung von
all denen fallengelassen wurde,
die sich vorher in
Ost oder West auf
ihn berufen hatProfessor Pirmin
ten. Bestenfalls
Stekeler-Weithofer
sang man noch
einige Requien, ansonsten verlegte man
sich auf andere Autoren, auf Kant oder
Schelling, Carnap oder Wittgenstein.
In den neugegründeten Leipziger Geistesund Sozialwissenschaften, in Sonderheit
am Institut für Philosophie, wurde Marx
als Thema dagegen neu aufgegriffen. Seit
1992 hat es in jedem Semester ein entsprechendes Seminar gegeben. Ein Grund dafür ist, dass es hier ein Phänomen aufzuklären gilt, das Phänomen nämlich, wie ein
in jedem Betracht, nämlich methodisch,
philosophisch und ideologisch kritischer,
ja oft sogar bis zur Schmerzgrenze polemischer Autor durch Hagiographie zur
leeren Ikone eines pseudoreligiösen Volksglaubens werden konnte.
Ein weiterer Grund liegt in der zunehmend
spürbaren gedanklichen Sterilität im neueren ökonomischen und sozialspieltheoretischen Denken – in dem, wie sich schon
Aristoteles in etwas anderem Kontext be-
klagt hatte, die Wissenschaft zur bloßen
Mathematik, besser: zum bloßen Glauben
an die Zahl (Statistik, Messungen aller
Art), und damit zu einer exakten Form der
rhetorischen Überredung zu werden droht.
Begriffs- und theoriekritischere Beiträge
von philosophischen Denkern haben es in
solchen Zeiten schwer. Gleiches gilt für
Versuche, die Einsichten von Autoren wie
Marx, Tönnies oder Keynes gegen herrschende Meinungen zu retten – bei aller
Kritik etwa an der Arbeitswertlehre oder an
der These von einem unabwendbaren Fall
der Profitrate bzw. an einem missbräuchlichen „Keynesianismus“. Aber gerade
weil diese Themen und Probleme nicht totzuschweigen sind, werden sie bei uns behandelt, etwa im Kontext von Dissertationen wie „Marx und der Begriff der freien
Kooperation“ oder, schon allgemeiner,
„Paradoxien des geistigen Eigentums“
bzw. in Dissertationen in der Politikwissenschaft zur Rolle der Verrentungsinteressen in einer globalisierten Welt.
Auch an der Bloch-Ausstellung der Kustodie hat sich gezeigt, dass Personen historisch problematischer, insbesondere
diktatorischer Zeiten Anlass zu vielen
kritischen Nachfragen geben, aber an
einer Universität nicht zu Fragen nach
der Entsorgung, des lautlosen Verschwindens. Oder doch?
Was wir aus den Urteilen und Ideen, dem
Verhalten und Handeln von Personen aus
anderen Zeiten lernen können, ist, wie
unsere eigenen Urteile durch die Zeit, den
Common Sense einer gerade herrschenden
politischen Korrektheit und durch Kompromisse mit den faktischen Verhältnissen
bedingt sind. Jede Zeit hat ihre eigenen billigen Selbstgerechtigkeiten und Feigheiten. So korrespondiert die Gewissheit von
Ernst Bloch in den 50er Jahren, auf der
richtigen Seite im Kampf gegen den Faschismus und für einen demokratischen
Sozialismus zu stehen, durchaus mit der
heutigen Meinung schöner Seelen, es bedürfe nur der Demokratisierung der Welt
und alles werde gut. Dabei gibt es Feigheiten auf Seiten der Kritiker des Kapitalismus ebenso wie auf Seiten der Verteidiger, in welcher Wissenschaft auch immer:
Die heiligen Kühe der eigenen Pfründe und
Privilegien werden ja weder von denen
geschlachtet, welche die Gewerkschaften
verteidigen, noch von denen, welche eine
an der Kapitalverrentung orientierte
Marktwirtschaft für alternativlos richtig
halten.
3
UniVersum
5 023 537 Bücher
Zahlen und Fakten aus der Universitätsbibliothek
Der kürzlich fertiggestellte Jahresbericht
der Universitätsbibliothek Leipzig (UBL)
enthält wieder interessante Zahlen und
Fakten. Das Uni-Journal präsentiert an
dieser Stelle einige davon. Den gesamten
Bericht gibt es im Internet unter
www.ub.uni-leipzig.de
Der Zugang an neuerer gekaufter Literatur
war in der Universitätsbibliothek im vergangenen Jahr weiter rückläufig. Der Zuwachs von 69 284 Bänden in 2003 (2002:
62 273 Bände) ist auf die Einarbeitung von
übernommenen Beständen von Instituten
zurückzuführen. Insgesamt stieg die Zahl
der Bände im Bibliothekssystem auf
5 023 537 und überschritt damit erstmals
die Fünf-Millionen-Grenze.
*
Für die Erwerbung von Literatur und Informationen standen in 2003 insgesamt
3 373 296 Euro zur Verfügung, davon waren rund 30% eingeworbene Sonder- bzw.
Drittmittel (z. B. von der DFG). Dies waren rund 220 000 Euro weniger als im Jahre
2002.
*
Nicht schlecht steht es um das Angebot
von elektronischen Medien, das von den
Benutzern in der Regel gut angenommen
wurde. In 2003 wurde das Angebot von
geisteswissenschaftlichen Datenbanken
bewusst ausgebaut. Außerordentlich wichtig und intensiv genutzt wurden die Datenbanken des Web of Science und die unter
4
der SciFinder-Oberfläche nutzbaren naturwissenschaftlichen und medizinischen
Datenbanken. Die Universität Leipzig liegt
bei der Nutzung des Web of Science mit
11608 Recherchen (Steigerung gegenüber
2002 um 58%) in der Nutzungsstatistik der
53 deutschen Hochschulen immerhin auf
dem vierten Platz.
*
Neben den Online-Datenbanken und den
mittels Server ins universitäre Netz gespeisten 128 CD-ROM-Datenbanken konnte
die UBL ihren Nutzern 7 679 elektronische Zeitschriften im Volltext zur Verfügung stellen. Diese Zeitschriften sind für
die Universität auf der Basis von Verträgen
mit Verlagen bzw. in Verbindung mit dem
Bezug der Printversion freigeschaltet. Die
Zahl der Volltextzugriffe über die Elektronische Zeitschriftenbibliothek EZB sprang
in 2003 auf 131 257 (2002: 74 976).
*
Die Benutzung aller Teile der Universitätsbibliothek Leipzig erfolgt immer stärker
durch Lesen in den Freihandbereichen und
weniger durch das Ausleihen von Werken
in den geschlossenen Magazinen. Waren
es in 1997 noch 972 780 ausgeliehene
Bände, so betrug deren Zahl im Jahr 2003
nur noch 742 840 Bände.
*
Für die Benutzer aller Teile der UBL standen Ende 2003 insgesamt 2 606 Arbeitsplätze (davon allein 789 in der Albertina,
521 in der Zweigstelle am Augustusplatz
und 440 in der Zweigstelle Rechtswissenschaft) zur Verfügung. Davon waren 279
Computer-Arbeitsplätze.
*
Die Nutzungsstatistik der Sondersammlungen ist weiter beeindruckend: So wurden in 2003 im Sonderlesesaal 2 136 Benutzer (2002: 1 820) mit insgesamt 5 066
Bänden, darunter 1 999 Handschriften,
Inkunabeln, Nachlässe und Autographen,
gezählt.
*
In der Münzsammlung konnten 516 Stücke neu erschlossen und 3 550 Stücke in
der Münzdatenbank erfasst werden. Bei
den Handschriften begann die Erschließung der eigenen medizinischen, mittelalterlichen Handschriften im Rahmen
eines DFG-Projektes, das sich einfügte in
die Aktivitäten des Leipziger Handschriftenzentrums zugunsten der Hallenser,
Bautzener und Gothaer Handschriftenprojekte. Innerhalb der Papyrus-Sammlung
liefen – in Kooperation mit den Partnern in
Halle und Jena – die Restaurierungs-, Erschließungs-, Digitalisierungs- und Verfilmungsarbeiten, gefördert von der DFG,
voll an. Dabei konnten sich die Partner auf
die Datenbankprogrammierung des Leipziger Universitätsrechenzentrums stützen.
*
Zum Zwecke der Schimmelbekämpfung
wurden 3 529 Regalmeter durchgesehen
und nach ihrer Behandlung 5 411 geschädigte Bände unter der reinen Werkband
gereinigt. In der eigenen Restaurierungswerkstatt wurden 50 Einzelstücke restauriert und die Vorbereitungsarbeiten für die
Vergabe von zahlreichen Einzelstücken
und Einbänden durch externe Restauratoren getätigt.
*
Die Mikroverfilmung von historischen
Zeitungen und Dissertationen wurde fortgesetzt. Im Interesse des Universitätsjubiläums konnte die Digitalisierung der
Vorlesungsverzeichnisse der Universität
Leipzig aus den Jahren 1641 bis 1975 abgeschlossen werden; die Aufbereitung für
das Internet und die Indexierung sollen in
diesem Jahr erfolgen.
Zusammenstellung:
Dr. Ekkehard Henschke,
Direktor der Universitätsbibliothek
journal
UniVersum | Gremien
Campus-Neugestaltung
Senatssitzung am 11. Mai
Schinkel-Tor
abgebaut
„Gobal Studies“
kommen
Das Schinkel-Tor, eines der wenigen geretteten Zeugnisse des 1968 gesprengten
Leipziger
Universitäts-Hauptgebäudes,
des Augusteums, wurde jetzt im Zuge der
Baumaßnahmen zur Neu- und Umgestaltung des Campus durch die Bildhauerfirma
Markus Gläser abgebaut. Nach der Einrüstung erfolgte unter Einsatz eines Kranes
die Demontage der großen Einzelstücke.
Noch offen ist, wie und wo das Bauwerk,
das seit 1981 zwischen Seminar- und
Hauptgebäude in der Universitätsstraße
stand, in den bis 2009 fertigzustellenden
neuen Campus integriert wird. Bis dahin
wird es nach einer konservatorischen Vorbehandlung durch Markus Gläser an
sicherem Ort gut verwahrt.
r.
1. Der Senat befasste sich mit Berufungsangelegenheiten: Ausschreibung und Berufungskommission für „Wirtschaftsinformatik, insbesondere Anwendungssysteme
in Wirtschaft und Verwaltung“ (C4), „Experimentalphysik – Festkörperphysik“
(C4), „Experimentalphysik – Physik kondensierter Materie“ (C3) – bisher Polymerphysik, „Bestandsbetreuung und Reproduktionsbiologie (C3) – bisher Reproduktionsbiologie, Andrologie und künstliche
Besamung, Juniorprofessur „Computational Algebra und Anwendungen“; Berufungsvorschläge für „Kirchengeschichte
mit Schwerpunkt Neuere und Neueste
Kirchengeschichte“ (C4), „Mittelalterliche
Geschichte“ (C4 – Nachfolge Prof. Erkens), „Systematische Musikwissenschaft“ (C3 – Nachfolge Prof. Mehner).
Der Senat stimmte Anträgen mehrerer Fakultäten auf Verleihung des Rechts zur
Führung der Bezeichnung „außerplanmäßiger Professor“ zu: für Dozenten Dr. paed.
habil. Jürgen Dietze (Sportwissenschaft),
PD Dr. med. habil. Anno Diegeler, PD Dr.
med. habil. Karel Caca, PD Dr. med. habil.
Josef Fangmann (alle Medizin) und PD Dr.
iur. habil. Edin Sarcevic (Juristenfakultät).
Ebenso stimmte der Senat Anträgen der Fakultät für Mathematik und Informatik und
der Veterinärmedizinischen Fakultät zu,
Dr. rer. oec. (PL) Manfred Schlottke zum
Honorarprofessor für Management für Informations- und Kommunikationssysteme
und Prof. Dr. Dr. med. vet. Andreas Hensel
zum Honorarprofessor für Gesundheitlichen Verbraucherschutz und Risikobewertung zu bestellen.
2. Eine Anregung aus der Senatssitzung
vom März 2004 aufgreifend, gab der Prorektor für strukturelle Entwicklung einen
Überblick über die bislang erfolgten Verleihungen des Rechts zur Führung der Bezeichnung „außerplanmäßiger Professor“.
So fanden zwischen Wintersemester 1999/
2000 und Wintersemester 2003/04 57 Verleihungen statt, davon 29 durch die Medizinische Fakultät.
3. Der Senat fasste nach 1. Lesung den
grundsätzlichen Beschluss zur Einrichtung
der Betriebseinheit „Zentrum für Lehrerbildung und Schulforschung an der Universität Leipzig“. Gleichzeitig wurde die
Einsetzung einer Redaktionskommission
Mehr Informationen zum Schinkel-Tor
können Sie dem Beitrag „Die Genien
der Wissenschaft“ entnehmen, der im
Uni-Journal 3/2002, S. 35 – 37,
erschienen ist (im Internet unter
www.uni-leipzig.de/journal/
0203.html).
Journal
Mitteilungen und Berichte für die Angehörigen
und Freunde der Universität Leipzig
Impressum
Herausgeber: Der Rektor
Redakteur: Carsten Heckmann
Ritterstr. 26, 04109 Leipzig,
Tel. 0341/ 9 73 50 24, Fax 0341/ 9 73 50 29,
E-mail: [email protected]
V. i. S. d. P.: Volker Schulte
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die
Meinung der Autoren wieder.
Satz und Lithographie: DZA Satz und Bild
GmbH, Altenburg
Druck und Binden: Druckerei zu Altenburg
GmbH, Gutenbergstraße 1, 04600 Altenburg
Anzeigen: Druckerei zu Altenburg GmbH,
Tel. 03447/5550
Verlag: Leipziger Universitätsverlag GmbH
Augustusplatz 10/11, 04109 Leipzig
Tel./Fax: 0341/9900440
Einzelheft: 1,50 e
Jahresabonnement (sieben Hefte): 13,– e
In Fragen, die den Inhalt betreffen, wenden Sie
sich bitte an die Redaktion, in Fragen, die den
Vertrieb betreffen, an den Verlag.
Nachdruck mit Quellenangabe gestattet. Belegexemplare erbeten.
Redaktionsschluss: 23. 6. 2004
ISSN 0947-1049
Heft 4/2004
beschlossen, die Anregungen aus der Diskussion im Senat in die Ordnung dieses
Zentrums einarbeiten soll. Mit der Gründung ist die Zusage des Kultus-Ministeriums verbunden, zur Unterstützung der
Arbeit des Zentrums – Wahrnehmung beratender und organisatorischer Aufgaben
in der Lehrerausbildung, insbesondere bei
den schulpraktischen Studien, sowie der
Lehrerweiterbildung – zwölf Lehrer zum
1. 8. 2004 für zwei Jahre an die Universität
abzuordnen. Als Lehrkräfte mit besonderen Aufgaben eingesetzt, soll ihnen die
Möglichkeit der Promotion eingeräumt
werden. An ihrer Auswahl sollte die Universität maßgeblich beteiligt werden. Die
Fachaufsicht sollte bei den jeweiligen
Fakultäten/Dekanen liegen. Auch sollten
Festlegungen über Evaluation und Rechenschaftspflicht aufgenommen werden.
4. Der Senat stimmte den von der Prorektorin für Lehre und Studium vorgelegten
Zulassungsbeschränkungen und -zahlen
für das Akademische Jahr 2004/05 in den
Studiengängen Medizin und Zahnmedizin
sowie in den Studiengängen des Historischen Seminars zu. Entsprechend der errechneten Aufnahmekapazität stehen in der
Humanmedizin 300 Voll- und 99 Teilstudienplätze und in der Zahnmedizin 51 Vollund 19 Teilstudienplätze zur Verfügung.
Ein universitätsinterner Numerus clausus
wurde für die Studiengänge Ur- und Frühgeschichte, Alte Geschichte, Mittlere und
Neuere Geschichte, Ost- und Südosteuropäische Geschichte, Historische Hilfswissenschaften/Archivwissenschaft und Geschichte (Lehramt) neu beantragt.
5. Der Senat stimmte dem Vorschlag des
StudentInnenRates zu, Volker Rust von der
Fakultät für Physik und Geowissenschaften
als ständigen Gast der Kommission Lehre/
Studium/Prüfungen zu bestellen.
6. Der Senat stimmte dem Antrag der Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie zu, einen internationalen nichtkonsekutiven Master-Studiengang „Global
Studies“ zum Wintersemester 2004/05 einzurichten. Nichtkonsekutiv bedeutet hier,
dass der Master-Studiengang nicht auf
einem namensgleichen Bachelor-Studiengang aufbaut. Interdisziplinär ausgerichtet,
vereint er Beiträge aus 15 Instituten in drei
Fakultäten sowie aus dem Lateinamerikaund Frankreichzentrum der Universität
Leipzig und dem Umweltforschungszentrum Halle-Leipzig. Er vermittelt Kompetenz bei der Beschreibung und analytischen Durchdringung des Globalisierungsprozesses.
5
Am
Rande
Leipziger Psychologen sind sich sicher: Der Mensch verschenkt seine
Aufmerksamkeit zielgerichtet. Da
scheint er dann auch nicht anders gestrickt als so mancher Bewohner der
Tierwelt. Dort beeindrucken Mandarinenente, Clownfisch oder aber der
einheimische Hahn mit prächtigen Farben. Der Schwanz des letzteren ist
wiederum der Namensgeber eines
ganz besonderen modernen Blickfangs: jener aufsehenerregenden, farbenreichen Mischgetränke, in denen
leise bunte Strohhalme baden – der
Cocktails.
Fürwahr, der Cocktail hat seinen Namen dem Hahnenschwanz bzw.
-kampf zu verdanken. Nach beendetem Kampf hatte der Besitzer des Siegerhahnes das Recht, dem getöteten
Hahn die bunten Schwanzfedern auszureißen. Beim anschließenden Umtrunk wurde diese Trophäe, mit einem
Drink „on the Cock’s tail“ begossen.
So brachial muss man sein Privatglück
heute nicht mehr feiern. Man setzt sich
in eine hübsche Bar und wartet die
Happy Hour ab. Dazu kann man hinlänglich die Zutaten und versprochenen Wirkungen studieren.
Für Menschen, die sich nach erfolgreicher Arbeit im Tagebau der Wahrheit glücklich fühlen oder die noch
immer berauscht sind von der reichen
Architektur Erick van Egeraats, empfehlen wir direkt aus der Sektflöte den
Peach Tree Smoother oder den Kiss
Me Quick. Sollten Sie aber ängstlich
sein, weil in Ihrer Phantasie gerade ein
Kobold unter dem Bett hervor kriecht
und versucht, Ihre Theorieschule mit
einem spitzen Bleistift anzubohren
oder weil Bachelor und Master vor der
Uni-Tür stehen, dann helfen vielleicht
stärkere Drinks wie der Brain Hemmorage oder eine Bloody Mary, ausgeschenkt im Shooterglas. Empfinden Sie
Ihren Gemütszustand hingegen eher
als wütend, weil die Öffentlichkeit nie
zu schätzen weiß, was Sie alles für die
Wissenschaft leisten oder weil man
Ihnen einen Assistenten weggekürzt
hat, dann ist es Zeit für einen Pangalaktischen Donnergurgler oder einen
Golden Torpedo.
Mit welchem Cocktail auch immer Sie
Ihre diesjährigen Sommerferien begießen, das Uni-Journal wünscht eine
herrliche Zeit.
Karsten Steinmetz
Senatssitzung am 15. Juni
Weg für Reform
vorgezeichnet
1. Der Senat befasste sich mit Berufungsangelegenheiten; das betraf die Ausschreibung für „Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftspolitik“ (C4) (Nachfolge
Prof. Hasse), Ausschreibung und Berufungskommission für „Medizinische
Statistik und Bioinformatik“ (C3) und
für „Allgemeine Pädiatrie/Neonatologie“
(C3); Berufungsvorschläge für „Wirtschaftsinformatik, insbesondere Softwareentwicklung für Wirtschaft und Verwaltung“ (C4), „Lernbehindertenpädagogik“
(C4), „Grundschulpädagogik“ (C4); Besetzungsvorschlag für die Juniorprofessur
„Entwicklungsökonomie – unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung von
Klein- und Mittelunternehmen“; Einstellung des Berufungsverfahrens für „Gynäkologie und Geburtshilfe (C3).
2. Der Senat stimmte nach ausführlicher
Diskussion und unter Maßgabe einer redaktionellen Überarbeitung den von der
Prorektorin für Lehre und Studium vorgelegten Rahmenempfehlungen zur Einführung von gestuften Studiengängen (Bachelor und Master) zu. Damit wird der Weg
vorgezeichnet für die Umsetzung der
Studienreform an der Universität, die zum
Wintersemester 2006/07 abgeschlossen
werden soll. Dazu gehört die vorherige
Akkreditierung der Studiengänge ebenso
wie die Einführung eines Leistungspunktesystems. Entscheidend ist in erster Linie,
so wurde unterstrichen, die Modularisierung der Studienangebote, nicht der Name
des Abschlusses (Bachelor, Master, Staatsexamen, Diplom). Einer weiteren inhaltlichen Klärung bedarf der mit der Studienreform verbundene Begriff der Schlüsselqualifikation in Bachelor-Studiengängen,
was innerhalb eines Jahres in enger
Abstimmung mit den Fakultäten erfolgen
soll.
3. Nachdem der Senat im Mai der Einrichtung der Betriebseinheit „Zentrum für
Lehrerbildung und Schulforschung“ zugestimmt, aber gleichzeitig die Berücksichtigung einer Reihe von Änderungen in deren
Ordnung verlangt hatte, nahm er diese nach
der erfolgten redaktionellen Überarbeitung
zustimmend zur Kenntnis.
4. Der Senat genehmigte die Ordnung der
Fakultät für Sozialwissenschaften und
Philosophie.
5. Der Senat nahm eine neue, modifizierte
Fassung der „Satzung der Universität Leipzig über die Zulassung zu Studiengängen
nach Auswahlgesprächen“ an. Die alte, die
bisher nur für die Studiengänge Medizin
und Zahnmedizin galt, war zu verändern,
da die Veterinärmedizinische Fakultät beschlossen hat, analog der Praxis an der Medizinischen Fakultät zum Wintersemester
2004/05 die im Rahmen der sog. Hochschulquote des ZVS-Zulassungsverfahrens
zu vergebenden Studienplätze im Ergebnis
von Auswahlgesprächen zu besetzen.
6. Der Senat bestätigte eine Änderungssatzung zur Prüfungsordnung für den Diplomstudiengang Evangelische Theologie.
7. Der Senat stimmte dem Vorschlag der
Veterinärmedizinischen Fakultät zu, dass
Prof. Dr. Schoon die Nachfolge von Prof.
Dr. Seeger als ständigen Gast der Kommission Lehre/Studium/Prüfungen antritt.
8. Der Rektor informierte, dass das Sächsische Ministerium für Wissenschaft und
Kunst endlich die vom Konzil am 5. November 2003 mit Zwei-Drittel-Mehrheit
beschlossene Grundordnung der Universität Leipzig genehmigt hat. Empfohlen
wurde, auf einer späteren Konzilssitzung
den Passus zum Gruppenveto zu ändern.
9. Auf Antrag studentischer Senatoren
informierte der Rektor über die Vorfälle im
Hof des Rektoratsgebäudes am 5. Mai
2004 im Anschluss an einen Protest von
Studierenden und Lehrenden gegen den
Stellenabbau in geowissenschaftlichen Fächern gemäß der Hochschulvereinbarung.
Prof. Dr. F. Häuser
Rektor
V. Schulte
Pressesprecher
Umweltforschung
Vertrag mit
Uni Peking
Zwischen der Universität Peking, College
für Umweltwissenschaften, und der Universität Leipzig, Fakultät für Physik und
Geowissenschaften, wurde ein Rahmenvertrag über die Zusammenarbeit in Wissenschaft und Ausbildung abgeschlossen.
Auf dem Gebiet der Umweltforschung sollen gemeinsame Projekte bearbeitet sowie
der Austausch von Wissenschaftlern und
Studenten ermöglicht werden.
Für die Nutzung gemeinsam erstellter Projekte bedarf es des Einverständnisses beider Partner. Jede Einrichtung bestimmt
einen Projektverantwortlichen für jeweils
fünf Jahre.
B. A.
journal
Forschung
„Institute bündeln
Kapazitäten“
Leipzig wird Zentrum
für Kognitions- und Neurowissenschaften
Die Max-Planck-Gesellschaft wertet den
Standort Leipzig weiter auf. Die Stadt wird
zum Zentrum für Kognitions- und Neurowissenschaften in Deutschland. Wie und
wann der Ausbau der Aktivitäten vonstatten geht, erläutert Prof. Dr. D. Yves von
Cramon, Direktor des Max-Planck-Institutes (MPI) für Kognitions- und Neurowissenschaften, im Interview.
geistigen Potentials, aus der sich erfahrungsgemäß zusätzliche Synergieeffekte
ergeben.
Die Wahl für den Standort Leipzig beruht
auf dem Konsens der beteiligten Direktoren, die am Ende übereinstimmend für
Leipzig plädierten. Die Forschungslandschaft in Sachsen wird damit erheblich gestärkt.
Aus dem Leipziger Max-Planck-Institut für neuropsychologische Forschung
wurde das Max-Planck-Institut für
Kognitions- und Neurowissenschaften.
Worauf ist die Namensänderung zurückzuführen?
Das Institut änderte
nicht einfach nur
seinen Namen, sondern es erweitert
sein Profil. Zwei
vom Forschungsgegenstand her verwandte
Institute,
das MPI für neuropsychologische
Forschung Leipzig
Prof. Dr. D. Yves
von Cramon
und das MPI für
psychologische Forschung München, rücken räumlich zusammen und bündeln ihre
Forschungskapazitäten. Hinzu kommen
zwei weitere wissenschaftliche Abteilungen und der Ausbau unserer Gebäude und
technischen Anlagen.
In Leipzig sind zwei Arbeitsbereiche angesiedelt, der von Ihnen geleitete Bereich
für kognitive Neurologie und der von
Prof. Angela Friederici geleitete Bereich
für Neuropsychologie. In München leitet
Prof. Wolfgang Prinz den Bereich
Psychologie. Sie sprachen von zwei weiteren wissenschaftlichen Abteilungen.
Wie heißen diese?
Ein weiterer Arbeitsbereich wird von
einem Wissenschaftler aus dem Bereich
Magnetresonanztomografie besetzt werden. So soll unser Ziel, inhaltliche Forschung innovativer mit technologischer
Entwicklung zu verbinden, auch personell
untermauert werden. Die technischen
Voraussetzungen werden durch die Anschaffung eines 7-Tesla Magnetresonanztomografen (MRT) verbessert, der die
bereits vorhandenen zwei 3-Tesla MRT
ergänzt und mit dem noch feinere Auflösungen von Teilen des Gehirns möglich
sind.
Der zweite neue Arbeitsbereich wird sich
auf die Handlungs- und die soziale Funktion des Gehirns beziehen. Die Namen der
Abteilungen werden in Abstimmung mit
den Direktoren und einer Auswahlkommission der Max-Planck-Gesellschaft festgelegt. Im Moment sind wir auf der Suche
nach den geeigneten Wissenschaftlern für
die Besetzung dieser Stellen.
Warum kommt das Münchner Institut
nach Leipzig?
Wir folgen damit einem weltweiten Trend:
Die psychologische und neurowissenschaftliche Forschung wird immer stärker
in einigen wenigen Standorten konzentriert. Dadurch werden vorhandene Ressourcen besser genutzt. Das hat keineswegs
nur etwas mit der besseren Ausnutzung immer teurer werdender Technik zu tun, sondern auch mit der Zusammenführung des
Heft 4/2004
Der Bereich kognitive Neurologie ist eng
verbunden mit der Tagesklinik für kognitive Neurologie, die Sie in Personal-
union leiten. Wo findet sich die Tagesklinik in der neuen Struktur wieder?
Wir werden international um diese seltene
Symbiose zwischen Grundlagen- und klinischer Forschung beneidet. Während wir
am Institut erforschen, wie unser Gehirn
die kognitiven Prozesse steuert, behandeln
wir an der Tagesklinik Menschen, bei denen durch Unfall oder Krankheit diese
Steuerung nicht mehr funktioniert. Das
lässt Rückschlüsse auf die Steuerungsmechanismen zu. So lassen sich neue wissenschaftliche Erkenntnisse praktisch zum
Nutzen der Patienten umsetzen. Dieses erfolgreiche Zusammenspiel von Wissenschaft und Patientenbetreuung als konstituierendes Element der Hirnforschung in
Leipzig wird auch künftig durch gemeinsame Berufungsverfahren mit der Universität beibehalten.
In welchem Zeitrahmen sollen die Veränderungen umgesetzt werden, die für
ein voll arbeitsfähiges Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften notwendig sind?
2006 wird Prof. Prinz mit seiner Abteilung
nach Leipzig umziehen. Etwa zeitgleich
sollen die Berufungen für die zwei neuen
Abteilungen erfolgt sein. Natürlich erfordern die personelle und technische Erweiterung des Institutes auch mehr Raum. Wir
haben uns über einen Erbbauvertrag mit
der Stadt Leipzig an unser Institut grenzende Flächen gesichert. Auf diesem Areal
werden bis 2008 die Arbeitsräume unserer
zukünftigen Kollegen und das Gebäude für
den 7-Tesla MRT entstehen.
Im Verein mit den universitären Einrichtungen, die sich mit Hirnforschung beschäftigen, entsteht damit in Leipzig ein
Zentrum für Kognitions- und Neurowissenschaften in Deutschland, das mit den
großen Zentren in Großbritannien und den
USA konkurrieren kann.
Das Gespräch führte Dr. Bärbel Adams.
7
Fakultäten und Institute
Pilze als
globales
Problem
Über Nahrungsmittelsicherheit
und -sicherung
Von Prof. Dr. Monika Krüger,
Direktorin des Instituts für Bakteriologie
und Mykologie
„Weizen als Waffe“ ist das Thema der
fünften Ausgabe der universitären Reihe
„Das Sonntagsgespräch“. Die Veranstaltung beginnt am 18. Juli um 11 Uhr im
Hörsaalgebäude, Saal 19. Als Experten
sind dabei: Prof. Dr. Jörg Gertel vom
Orientalischen Institut und Prof. Dr.
Monika Krüger, Direktorin des Instituts
für Bakteriologie und Mykologie. Die
Moderation übernimmt Prof. Dr. Georg
Meggle (Institut für Philosophie), der
wissenschaftliche Leiter der Reihe.
„Das Sonntagsgespräch“ im Internet:
www.uni-leipzig.de/sonntag
8
Weltweit unterscheiden sich die einzelnen
Bevölkerungsgruppen hinsichtlich ihres
Zugangs zu den Nahrungsmitteln. Diese
Differenzierung trifft sowohl zwischen den
verschiedenen Ländern aus Gründen der
nicht ausreichenden Zurverfügungstellung
als auch innerhalb eines beliebigen Landes
trotz ausreichender Produktion zu. Dort,
wo der Hunger auf der Tagesordnung steht,
geht es um die Grundsicherung der Versorgung mit essentiellen Nährstoffen wie
Wasser, Protein, Fett, Kohlenhydrate, Mineralstoffe, Vitamine. Ist dieses Problem
gelöst, stehen Qualität und Nahrungsmittelsicherheit im Vordergrund der Betrachtung. Legt man das Jahrbuch der FAO
(Food and Agriculture Organization) von
2003 zugrunde, wird es Ende 2025 ca. acht
Milliarden Menschen auf dieser Erde
geben. 0,18 Hektar landwirtschaftliche
Nutzfläche wird pro Person zur Verfügung
stehen, 5,6 Menschen müssen von einem
Hektar ernährt werden.
Aus physiologischer Sicht sind 0,75 bis 1 g
Protein pro kg Körpergewicht und Tag
nötig, davon sollten ein Drittel (ca. 30 g)
für einen adulten Menschen tierischen Ursprungs sein. Nimmt man diese Zahl zur
Basis, ist unter den gegenwärtigen Bedingungen der Tierproduktion bis zu einer
Weltpopulation von acht Milliarden Menschen der Eiweißbedarf tierischer Herkunft
gedeckt.
Innerhalb der Nahrungskette sind Wasser,
Boden, bestimmte Nährstoffe wie zum
Beispiel Phosphor sowie fossile Brennstoffe limitiert. Deren effektive Nutzung ist
eines der Hauptanliegen der Landwirtschaftswissenschaften.
Leider ist die Bundesrepublik Deutschland
gerade dabei, diese alte Wissenschaftsdisziplin aus Finanzmangel an etlichen Universitäten zu eliminieren bzw. bis zur Unkenntlichkeit zu reduzieren (Halle, Jena,
Berlin; Leipzig ist schon seit der Wende abgewickelt).
Die weltweit agierende Nahrungsmittelindustrie steht jetzt und in Zukunft vor der
Frage, ob sie zur Versorgung der Verbraucher die Futtermittel für die Tierproduktion
oder gleich die Nahrungsmittel globalisiert. Beides hat zur Folge, dass das evolutionäre Prinzip der Anpassung von Körper
und Geist an den Standort, an seine Mikroflora, an bodenständige Nahrung aufgehoben wird. Dieses hat Konsequenzen für die
Homöostase der Magen-Darm-Flora, des
Immunsystems, des Nervensystems, des
endokrinen Systems und des Stoffwechselsystems. Problematisch wird diese Störung
im Gleichgewicht auch dadurch, dass mit
den global produzierten Futter- und Nahrungsmitteln am eigenen Standort unbekannte Mikroorganismen zum Beispiel aus
Getreiden oder Soja aufgenommen werden, auf die der Mensch oder das Tier noch
keine Immunantwort wissen. Diese bildet
sich erst in der Auseinandersetzung mit
diesen Keimen heraus und benötigt Zeit.
Treffen diese Keime auf einen immunologisch inkompetenten Verbraucher (Alte,
Kinder, Stoffwechselgeschädigte, Immunsupprimierte) können sich daraus Erkrankungen entwickeln.
Zu einem globalen Problem in der Nahrungskette weitet sich die Mykotoxinbelastung von pflanzlichen Nahrungs- und Futtermitteln aus. Heute geht man davon aus,
dass 25 Prozent der Weltzerealienproduktion mit Mykotoxinen kontaminiert ist.
Gebildet werden diese durch Pilze der
Gattungen Fusarium, Penicillium und Aspergillus. Es gibt keinen Ort der Welt, wo
diese Pilze und ihre Produkte nicht vorkommen. In bestimmten geographischen
Regionen der Welt sind einige Mykotoxine
häufiger nachzuweisen als in anderen. Ihre
Bildung hängt sehr stark von der Temperatur und der Luftfeuchtigkeit ab. So hat in
warmen Klimaten (Afrika, Asien, Südamerika, Australien) vor allem das Aflatoxin
(vom Schimmelpilz Aspergillus spp. gebildet) Bedeutung, da es bereits in geringen
Konzentrationen schwere Schädigungen
der Leber, der Nieren und des Immunsystems hervorruft.
Aflatoxin wird unter den Klimabedingungen Deutschlands kaum gebildet. Trotzdem können in Weizen und Gerste zur
Verarbeitung in Futtermitteln Aflatoxinkonzentrationen, die im Mittelwert aller
untersuchten Proben doppelt oder dreifach
so hoch sind wie der Grenzwert von 5 ppb
(parts per billion). Demzufolge handelt es
sich hier um Getreide, das durch den globalisierten Handel in die Nahrungskette
gekommen ist bzw. kommen soll. Die von
der Europäischen Union vorgeschriebenen
Stichprobenkontrollen können hier nur
Symbolcharakter besitzen, da Pilze in Nestern wachsen und nicht gleichmäßig über
die gesamte Ladung verteilt sind. Aus
immunologischer Sicht ist der globale
Nahrungsmittelhandel wenig sinnvoll, da
er zur Destabilisierung der Körpersysteme
führt.
Andererseits sind einige Staaten schon
nicht mehr in der Lage, sich aus dem eigenen Aufkommen zu ernähren. In diesem
Dilemma befindet sich die Welt.
journal
Fakultäten und Institute
Uni-Know-how
für BMW
Wirtschaftspädagogen helfen,
Wissen zu managen
Von Volker Born, Lehrstuhl für Berufs- und Wirtschaftspädagogik
Der effiziente Umgang mit der Ressource
Wissen ist eine zentrale Herausforderung
für die Automobilindustrie, so das Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und
Organisation in seiner jüngsten Studie. Zunehmende Komplexität der Produkte und
Prozesse erschweren die effektive Aufbereitung und permanente Verfügbarkeit
dieser Ressource. Auch im BMW Werk
Leipzig ist die Notwendigkeit eines strategischen Wissensmanagements erkannt
worden. Die Werksleitung hat die Gestaltung betriebsweiter Wissensmanagementprozesse als eine Kernaufgabe definiert.
Im Leipziger Werk, in dem mittelfristig bis
zu 5500 Mitarbeiter tätig sein sollen, werden bis Mitte 2004 alle Fertigungsbereiche
ihren Erprobungsbetrieb aufnehmen. Im
Frühjahr 2005 soll die Serienproduktion
mit einem täglichen Produktionsziel von
650 Fahrzeugeinheiten starten.
Mit dem Projekt „Werksaufbau“ sollen das
Wissen und die Erfahrungen der Projektmitarbeiter gesichert und nachfragerorientiert aufbereitet werden. Zudem sind langfristig effiziente Prozesse des Informations- und Wissensaustausch im Werk zu
implementieren. An dieser Aufgabenstellung arbeiten der Lehrstuhl für Berufsund Wirtschaftspädagogik der Universität
Leipzig (Prof. Dr. Fritz Klauser) und der
Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik der TU
Dresden (Prof. Dr. Bärbel Fürstenau) mit
dem BMW Werk Leipzig seit dem Sommersemester 2003 im Rahmen eines Projektes zum betrieblichen Wissensmanagement (s. Journal 4/2003, S. 22).
Studenten der Wirtschaftspädagogik beider
Hochschulen haben dafür zunächst die
wissenschaftlichen Grundlagen sowie konkrete Vorschläge für Wissensmanagementprojekte erarbeitetet und im BMW Werk
Regensburg präsentiert. Als Ergebnis dieser Veranstaltung wurden im WS 2003/4
durch Mitarbeiter der Lehrstühle aus Leipzig und Dresden empirische Daten zu den
Heft 4/2004
Problemfeldern des Wissensmanagements
im BMW Werk erhoben und konkrete Vorschläge zur effizienten Konstruktion und
Umsetzung einer werksweiten Strategie
zum Wissensmanagement erarbeitet. Im
Zentrum steht dabei die Nutzung bestehender Wissensbestände und Erfahrungen
durch die wechselseitige Verknüpfung der
Dokumentation mit sozialen Netzwerkstrukturen. Aktuelle Schwerpunkte der
Forschungs- und Projektarbeit sind
• die Erarbeitung von Kriterien und Verfahren zur strukturellen und inhaltlichen
Gestaltung von Dokumenten,
• die Optimierung betrieblicher Abläufe
durch den effizienten Einsatz prozesssteuernder Dokumentation,
• die Sicherung des Erfahrungswissens
zum Werksaufbau durch die effiziente
Gestaltung von Lessons Learned-Dokumenten
• die Förderung der Motivation zur Dokumentation von Erfahrungswissen sowie
Kooperationsvertrag geschlossen
Am 7. Mai wurde im BMW Werk Leipzig
eine Kooperationsvereinbarung der Universität Leipzig und der TU Dresden mit
der BMW AG Werk Leipzig unterzeichnet. Die Universität Leipzig wurde vertreten durch den Rektor, Prof. Dr. Franz
Häuser, die TU Dresden durch Prof. Dr.
Hans-Georg Marquardt, Prorektor für
Universitätsplanung, und das BMW Werk
Leipzig durch den Werksleiter Peter
Claussen.
Ziel der Vereinbarung ist es, Unternehmenspraxis und Wissenschaft noch enger
miteinander zu verknüpfen. Güte und Praxisbezug von Forschung und Lehre sollen
ebenso gesteigert werden wie die Effektivität der Unternehmensprozesse. Es
wurde vereinbart auf den folgenden Gebieten zusammenzuarbeiten:
• die Erarbeitung von Verfahren zur Nutzung und Gestaltung von werksinternen
Wissensnetzwerken.
Im Juni wurden die Projektergebnisse auf
einem eigens dafür eingerichteten Wissensmanagementtag im Werk Leipzig vorgestellt und deren Übertragbarkeit auf
weitere Handlungsfelder diskutiert.
Die gemeinsame Projektarbeit von Hochschule und Unternehmen stiftet für beide
Seiten einen Nutzen. Das BMW Werk
Leipzig kann vom Know-how des Lehrstuhls für Berufs- und Wirtschaftspädagogik zur Analyse und Ausgestaltung wissensintensiver Prozesse in der Unternehmung profitieren. Für die Universität ist
die Praxis ein anspruchsvolles Bewährungsfeld und stellt eine große Herausforderung für junge Akademiker dar. Der intensive Kontakt mit der Praxis ermöglicht
es, betriebliche Prozesse und Probleme bereits in den Konzeptionen der Forschungsund Qualifikationsarbeiten zu berücksichtigen. Die Kooperation bietet zudem eine
hervorragende Möglichkeit, Studierende
zeitig an die Praxis heranzuführen. Sie
werden mit Themen aus ihren späteren beruflichen Arbeitsfeldern konfrontiert und
können Erfahrungen sammeln.
Der Kooperationsvertrag, unterzeichnet am
7. Mai (siehe Kasten), bildet eine solide
Grundlage für weitere gemeinsame Projekte.
Weitere Informationen zur
Kooperation im Internet:
www.uni-leipzig.de/~wipaed
• Planung und Ausführung von gemeinsamen Entwicklungs- und Forschungsprojekten im Bereich Wissensmanagement,
• Organisation und Durchführung von
gemeinsamen Veranstaltungen im Rahmen der universitären Ausbildung sowie der Aus-, Fort- und Weiterbildung
im Unternehmen,
• Durchführung von Praktika für Studierende und Mitarbeiter sowie
• Qualifikation des wissenschaftlichen
Nachwuchses.
Prof. Dr. Fritz Klauser, Inhaber des Lehrstuhls für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, koordiniert die Zusammenarbeit an
der Universität Leipzig.
9
Fakultäten und Institute
Stadtentwicklung Ost: leerstehende
Plattenbauten bei Vahldorf in SachsenAnhalt im April dieses Jahres.
Foto: Silke Weidner
Schrumpfende Städte
erfordern
neues Management
Institut entwickelt Instrumentarien
Von Silke Weidner, Institut für Baubetriebswesen, Bauwirtschaft und Stadtentwicklung
Immer gab es in der Entwicklungsgeschichte von Stadt und in der Praxis des
Städtebaus im Zusammenhang mit ökonomischen und demografischen Verschiebungen Umbrüche planerischer Entwicklungslinien. Nun scheint sich zu Beginn
des 21. Jahrhunderts ein besonders gravierender Bruch zu vollziehen, der gewohnte
Entwicklungsmuster ebenso in Frage stellt
wie Instrumentarien, die seit Jahrzehnten
in der Stadtentwicklungsplanung erfolgreich eingesetzt wurden: Ein Paradigmenwechsel ist eingetreten – eine Vielzahl von
Städten verzeichnet kein Wachstum mehr,
sondern schrumpft mittel- und langfristig.
Dabei finden Transformationsprozesse mit
komplexen Bezügen und weit reichenden
Zusammenhängen statt.
Die aus dem Transformationsprozess zur
postindustriellen Gesellschaft entstehenden Veränderungen lassen sich stichwortartig an den derzeitigen Rahmenbedingungen
und Prognosen aufzeigen: Demografische
Schrumpfung, wirtschaftliche Stagnation
und soziokulturelle Krisen führen zu veränderten stadtstrukturellen Gegebenheiten.
Nicht mehr die Lösung von Allokationsund Verteilungsproblemen, wie dies unter
Wachstumsbedingungen der Fall ist, sondern die Bewältigung von Stagnation und
Schrumpfung unter gleichzeitig enger werdenden (finanziellen) Handlungsspielräumen stehen v. a. für die öffentlichen Hände
im Vordergrund. Es kommt in vielen Städten und Regionen zu einer Überlagerung
von Unterentwicklung (von jeher strukturschwache Gebiete) und Rückentwicklung
(Schrumpfung), wodurch sich Planung
zunehmend mit einem Überangebot von
Flächen und baulichen bzw. technischen
10
Hüllen auseinandersetzen muss. Für die
Stadtentwicklungsplanung entsteht die
Herausforderung, Rückentwicklung zu
planen und qualitativ zu steuern, um Lebensqualität und städtische Funktionsweise
nachhaltig zu gewährleisten.
Da Stadt in der Vergangenheit immer
gleichbedeutend war mit Wachstum, fehlen
nun Instrumente, kognitive Orientierungen und Problemlösungsmuster, wie mit
Schrumpfung umzugehen ist. Instrumentarien, die helfen, von der bloßen Symptombekämpfung bzw. Anpassung zu einer
Ursachenbeseitigung und positiven Steuerung zu gelangen, müssen entwickelt und
angewendet werden.
Unter diesen Rahmenbedingungen gewinnt
auch die Forschung in der Stadtentwicklung an Bedeutung. Am Institut für Baubetriebswesen, Bauwirtschaft und Stadtentwicklung (IBBS) der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät gibt es deshalb
verschiedenartig gelagerte Aktivitäten, die
sich mit dem Oberthema der „schrumpfenden Städte“ auseinandersetzen. Im Rahmen
von Drittmittelprojekten, Tagungen und
dem Aufbaustudiengang Master of Science
in „urban management“ werden Strategien
zur Annäherung an die komplexe Thematik
und ihre Lösung belegt. Beispielhaft für
Teilthemen aus der Institutstätigkeit seien
die folgenden Beiden genannt: In einem
vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung geförderten Verbundprojekt, das
insgesamt mit knapp 1 Mio. € datiert ist,
befasst sich das Institut intensiv mit der
Entwicklung eines EDV-gestützten Tools
zur kommunalseitigen Beobachtung und
Bewertung städtischer Prozesse. Dieses
Frühwarn- und Kontrollsystem (FKS) kann
allen am Stadtumbau Beteiligten helfen,
aus den aktuellen Entwicklungen Chancen
für die Zukunft von Städten und Regionen
datenseitig abzuleiten. Basis dieses Systems ist das Herausfiltern von quantitativen
und qualitativen Indikatoren, sie mit entsprechendem Datenmaterial zu belegen
und Grenz- sowie Schwellenwerte ihrer
Inhalte zu identifizieren.
In der Beschäftigung mit schrumpfenden
Städten gibt es darüber hinaus einen Themenkomplex, der aus unserem Verständnis
heraus nach wie vor zu wenig Beachtung
findet. Dies ist die Auseinandersetzung mit
der raumstrukturellen Entwicklung der
Städte unter dem Vorzeichen rückläufiger
Bedarfe und Intensitäten. In Zusammenarbeit mit der Stadt Halle (Saale) haben wir
uns diesem Thema sowohl auf theoretischer als auch auf anwendungsbezogener
Ebene angenähert. Um sich mit diesen Entwicklungsmodellen in konkretem Stadtbezug auseinandersetzen zu können, ist es
nötig, die Physiognomie des jeweiligen
Stadtkörpers genau zu betrachten. Zur Ableitung eines Leitbildes gilt es, die Baustrukturtypen als Siedlungsflächen und das
Pendant, die Art und Form von Landschaft
und Freiflächen zu beleuchten. Für Halle
können zunächst abstrakt fünf Bänder
über die jeweiligen Hauptfunktionen und
Strukturelemente definiert werden. Entsprechende Leitziele und Handlungsschwerpunkte zur Weiterentwicklung der
Nutzung, zur zukünftigen Gestaltung und
zur Anwendung des Rückbauprinzips leiten sich daraus ab. Darüber hinaus ist das
raumstrukturelle Leitbild ein sehr wichtiges Hilfsmittel in der öffentlichen Diskussion wie auch der stadtpolitischen Arbeit.
Das Institut für Baubetriebswesen, Bauwirtschaft und Stadtentwicklung veranstaltete im März das 14. Leipziger Bauseminar. Die interdisziplinär ausgerichtete Tagung „Urban management –
Steuerung von Transformationsprozessen in der Stadt“ befasste sich mit den
unterschiedlichen Sicht- und Herangehensweisen der zahlreichen Akteure im
Stadtumbauprozess in Ost- und Westdeutschland. Die Resonanz der Teilnehmer und Referenten war sehr positiv, so
dass eine thematische Fortsetzung im
Jahr 2005 geplant ist.
journal
Fakultäten und Institute
Antikenmuseum bekommt Architektur-Modell geschenkt
Ein Haus aus Pompeji
zum Anfassen
24. August im Jahre 79 v. Chr.: La Casa del
Poeta Tragico – das Haus des tragischen
Dichters – und andere pompejische Bauwerke versinken unter der Asche des ausbrechenden Vesuvs. Fast 2000 Jahre später
werden die Gebäude Stück für Stück frei
gelegt.
So konnte sich auch der Architekt Nicolas
Wood eine Vorstellung von der römischen
Bauweise machen und die Casa del Poeta
Tragico in einem dreidimensionalen Modell kunstvoll rekonstruieren. Sein Werk
gehört seit Herbst 2001 zur Sammlung des
Antikenmuseums. Im Juni überbrachte er
dem Museum nun ein zweites, für die museumspädagogische Arbeit entworfenes,
kleineres Modell (s. Foto).
Es besteht aus einer robusten Holzkonstruktion und kann in seine Einzelteile zerlegt werden. An Detailreichtum steht es
seinem großen Bruder kaum nach: Mit sehr
viel Liebe zum Detail versuchte Wood, die
bei der Ausgrabung des Wohnhauses in
Pompeji entdeckten Mosaike und Gemälde
im Modell umzusetzen. Staunende Gesichter werden also die kleinen Besucher machen, wenn sie nicht nur die Reproduktion
des pompejanischen Wohnhauses in einer
Vitrine betrachten, sondern spielerisch entdecken, was es mit der römischen Bauweise auf sich hat. Zukünftig können sie so
bei Führungen und anderen Veranstaltungen die antike Wohnkultur hautnah erleben.
Text und Foto: Kornelia Tröschel
Erste Zeugnisse im Masterstudiengang
„Deutschlandstudien“ übergeben
Der Festsaal der Universität Riga hatte sich
in ein Blumenmeer verwandelt; der deutsche Botschafter, der Kulturattaché, Vertreter des Rektorats der Universität Riga,
der Leiter des Goethe-Instituts, der Dekan
des Fachbereichs für Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität in Hagen, DAAD-Lektoren, betreuende Professoren des Masterstudiengangs aus Hagen
und Leipzig sowie Freunde und Verwandte
der Studierenden aus Estland, Lettland und
Litauen feierten am 19. Juni gemeinsam
mit den ersten Absolventen des Masterstudiengangs „Deutschlandstudien“.
Der im September 2003 akkreditierte Studiengang wurde als eine Maßnahme der
deutschen auswärtigen Kulturpolitik von
der FernUniversität in Hagen gemeinsam
mit dem Seminar für Sprachlehrforschung
der Ruhr-Universität Bochum und dem
Herder-Institut der Universität Leipzig speziell für Studierende aus den baltischen
Staaten, St. Petersburg und Kaliningrad
entwickelt. Fachwissenschaftliche Qualifizierung wird im Rahmen dieses Studiengangs mit einem breit angelegten deutschlandkundlichen Studienangebot in EinHeft 4/2004
klang gebracht. Diese Verbindung wird
über die Gliederung des Studiengangs in
Basismodule und modularisierte Studienschwerpunkte hergestellt. In den für alle
Studierenden verbindlichen Basismodulen
wird ein breites deutschlandkundliches
Wissen vermittelt. Die Studierenden sollen
in die Lage versetzt werden, in Deutschland
auftretende gesellschaftspolitische Entwicklungen, Strukturen und Organisationsformen erfolgreich zu interpretieren.m
Die Universität Leipzig ist über Prof. Dr.
Karin Kleppin aus dem Herder-Institut an
dem Studienschwerpunkt „Deutsche Sprache und ihre Vermittlung“ beteiligt. Weitere Schwerpunkte sind Germanistik und
Gesellschaft, Politik und Kultur. In dem
Sprach-Schwerpunkt werden die Studierenden mit den neuesten Methoden, Tendenzen und Diskussionen vertraut gemacht
und erhöhen damit ihre Chancen, im schulischen Bereich bzw. an den Hochschulen
eine langfristige berufliche Perspektive zu
finden.
Prof. Dr. Karin Kleppin,
Herder-Institut
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Fakultäten und Institute
Ostmitteldeutsch
in historischer
Tiefe
Im Gespräch mit H. U. Schmid
Von Volker Schulte
Auch das, nein, gerade das ist Universität.
Ein Zettel an der Tür („Die Prüfung in Altnordisch haben bestanden …“) verweist
auf ein geistiges Reich hinter dieser Tür,
das fernab von hochschulpolitischen Aktivitäten um Forschungscluster und Exzellenzzentren zu liegen scheint. Dieses
Reich, legt man die Denomination der Professur zu Grunde, heißt „Historische deutsche Sprachwissenschaft“ und erstreckt
sich vom Altnordischen, Gotischen und
Altenglischen über das Alt- und Mittelhochdeutsche bis zum Ostmitteldeutschen
des Mittelalters und dann weiter zum Neuhochdeutschen. So jedenfalls zieht Prof.
Dr. Hans Ulrich Schmid, der kürzlich seine
Antrittsvorlesung hielt, gegenwärtig die
Reichsgrenzen, geht man von seinen Lehrveranstaltungen und Forschungsvorhaben
aus. Ein Stück der Wand des Arbeitsraumes
gibt Aufschluss, wer bislang dieses historische Sprachreich in Leipzig regiert hat:
Fotoporträts bekannter Germanisten wie
Sievers, Frings, Behaghel, Baesecke und
Elisabeth Karg-Gasterstädt zeigen an, in
welcher bedeutenden Traditionslinie der
neuberufene Professor steht.
Auf das „Eingangs-Phänomen“ Altnordisch angesprochen, sagt er: „Ich war
selbst überrascht, dass der Hörsaal zur
ersten Vorlesung voll besetzt war. Bis zum
Ende haben dann 25–30 Leute durchgehalten.“ Woher dieses Interesse? „Kenntnisse auf diesem Gebiet ermöglichen es,
über die Aufklärung sprachetymologischer
Zusammenhänge (Beispiel: deutsch Zaun,
engl town) Sprachveränderungen nachzuvollziehen und zugleich eine Brücke zu
den nordischen Sprachen in Skandinavien
zu schlagen.“ Im Gespräch mit Schmid
wird deutlich: Die erwähnte Ahnenreihe ist
mehr als bloßer Zimmerschmuck, sie ist
Programm. Vor allem insofern, als sich
Frings und seine Nachfolger Große und
Lerchner, die gleichzeitig Schmids Vor12
gänger sind, um die Erforschung des Ostmitteldeutschen außerordentlich verdient
gemacht haben. Das Interesse des Bayern
Schmid am Ostmitteldeutschen hat aber
nicht nur mit dem Ortswechsel von München nach Leipzig und der Eingliederung
in die hiesige Forschungstradition zu tun,
sondern ganz einfach mit der zentralen
Stellung des Ostmitteldeutschen unter den
deutschen Dialekten, schöpfte doch Martin
Luther aus dem Fundus der sächsischen,
thüringischen und angrenzenden niederdeutschen Dialekte, und das Hochdeutsche
wiederum steht auf den Schultern Luthers.
Und über das historische Ostmitteldeutsche kann man zudem den Anschluss zu
den heute in Sachsen und Thüringen gesprochenen Dialekten gewinnen. Trotz der
Vielzahl sprachhistorischer Arbeiten in den
30er bis 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts gibt es, so Schmid, noch große Lücken. So ist es sein langfristiges Ziel, eine
Reihe von Einzelarbeiten zu einem Wörterbuch des Ostmitteldeutschen, das in die
historische Tiefe geht, zusammenzuführen.
Ob das dann am Ende als Buch erscheint
oder „nur“ ins Internet gestellt wird, sei
ihm zweitrangig. Der erste Schritt wird
sein, Magisterarbeiten zu diesem Thema
auszuschreiben. Dabei könnten bisher unerschlossene Quellen wie umfangreiche
Privatbriefe aus dem 16. Jh. für das Projekt
ausgewertet werden. Diese sprachhistorische Arbeit wird nicht um ihrer selbst
willen, sondern mit Blick auf die sprachliche Gegenwart geleistet. Denn für Prof.
Schmid ist unser Hochdeutsch „ein Esperanto auf der Basis alter deutscher Dialekte“. Heutige Sprachgegebenheiten und
-entwicklungen allein auf der Grundlage
einer allgemeinen Sprachtheorie zu erklären, ist für Schmid ein Graus, vielmehr hält
er dafür ein reiches empirisches, grammatikgesättigtes Material für unerlässlich.
Provokante Frage an den Sprachhistoriker:
Kann es sein, dass der Abschluss dieses
Wörterbuchs des Ostmitteldeutschen mit
dem Verschwinden der deutschen Sprache
im sich vereinigenden Europa zusammenfällt? Angesichts der großen Zahl von
Deutsch sprechenden Menschen sei das
nicht zu erwarten, ist sich unser Gesprächspartner sicher. „Aber falls Sie auf
die zwanghaft scheinende Anglisierung anspielen, die macht mir schon gelegentlich
Sorgen. Wenn Germanisten in deutschsprachigen Zeitschriften Beiträge über die
deutsche Sprache in Englisch verfassen,
dann kann ich darüber nur den Kopf schütteln. Ist es Imponiergehabe, ist es mangelndes Selbstbewusstsein? Ein englisches
Summary täte es doch auch.“ Ansonsten ist
Gelassenheit angesagt. Auch in Bezug auf
die EU-Erweiterung. Wenn tatsächlich die
Gefahr bestünde, dass historisch und kulturell gewachsene Regionen eingeebnet
würden, so Schmid, so entstünden auch
Gegenbewegungen, für die dann auch die
historische Sprachwissenschaft Argumente
liefern könnte. Kultur und Sprache gehörten eben zusammen, das Was und Wohin
sei nun einmal ohne das Woher nicht erklärbar.
Dass die historische deutsche Sprachwissenschaft sich auch auf anderem Felde
nützlich machen kann, demonstrierte Hans
Ulrich Schmid in seiner Antrittsvorlesung
mit dem Titel „Verspelt aver ein man sin
gut …“, in der er sich älteren Rechtsbüchern wie dem Sachsenspiegel und dem
Schwabenspiegel unter der Intention zuwandte, das unüberschaubare Gestrüpp von
Schachtelsätzen zu durchdringen, und zwar
durch ein Scharfstellen der grammatikalischen Optik, was eine ganz erstaunliche
Fülle verschiedenartigster Konditionalgefüge zu Tage fördert. Natürlich kann jeder
Jurist von heute daraus lernen, denn auch
bei den modernen Gesetzbüchern handelt
es sich überwiegend um Ansammlungen
von konditionalen Gefügen nach dem
Grundschema wenn – dann. Der Vortragende machte in seiner Vorlesung deutlich,
dass mit ihr keineswegs alles zum Thema
gesagt sei. Im Gegenteil: Zu einer Erforschung der historischen Rechtssprache, die
neben der Lexik auch die Syntax einschließe, seien noch viele materialbezogene Vorarbeiten zu leisten. Hier schlummere noch Stoff für so manche Examens-,
Magister- oder Doktorarbeit. Wie wäre es
etwa mit dem Thema „Multikonditionale
Hypotaxen in älterer deutscher Rechtsprosa“? Wie eingangs gesagt: Auch das,
nein, gerade das ist universitas litterarum.
journal
Fakultäten und Institute
Wenn Harrius in Bradavice
gegen Tom Elvis kämpft
Harry Potters Namenwelt in der Übersetzung
Von Dr. Dietlind Krüger, Institut für Slavistik
Der 1991 an der Universität Leipzig eingerichtete Magisterstudiengang Nebenfach
Namenkunde erfreut sich im dreizehnten
Jahr seines Bestehens großer Beliebtheit.
Zum Sommersemester 2004 haben sich
mehr als 170 Studenten ganz unterschiedlicher Fächerkombinationen eingeschrieben. Um diese Studenten umfassend mit
Fragen des Eigennamengebrauchs vertraut
zu machen, stehen auch Lehrveranstaltungen zu neueren Themenbereichen der Namenforschung auf dem Lehrplan. Dazu gehören Seminare, die „Namen in Texten“
ganz unterschiedlicher Art analysieren, die
somit textlinguistische Methoden in der
Namenforschung anwenden.
Einen gut etablierten Bereich bildet die
„Literarische Onomastik“, die sich seit den
siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts
als eine ernst zu nehmende Disziplin entwickelt hat. Literarische Eigennamen sind
künstlerische Gestaltungsmittel besonderer Art. Häufig erbringen sie Leistungen,
die über die bloße Benennung von Figuren
und Schauplätzen hinausgehen. Werden
literarische Texte in andere Sprachen übersetzt, so muss der Übersetzer die vielfältigen Funktionen der literarischen Namen
erkennen und versuchen, diese auch im
übersetzten Text ankommen zu lassen.
Diesem Problemkreis ist im laufenden
Sommersemester das Seminar „Eigennamen in der Übersetzung“ gewidmet.
Anhand des mittlerweile in mehr als 47
Sprachen übersetzten Welterfolgs „Harry
Potter“ von J. K. Rowling werden Probleme
der Wiedergabe von Eigennamen bei der
Übersetzung diskutiert. Mit Hilfe der
Dichotomie Beibehaltung (der Eigennamen) versus Veränderung (unterschiedlichster Art) können die vorgefundenen
Übersetzungen namenkundlich ausgewertet werden. Verglichen wurden die deutschen, russischen, niederländischen, polnischen und tschechischen Texte.
Die meisten Veränderungen nimmt die
niederländische Übersetzerin vor, nur 13%
Heft 4/2004
Band 5 der
Harry-PotterReihe
der Namen des englischen Textes wurden
beibehalten, der Rest verändert. So heißt
die Zauberschule, in die Harry Potter (in
der lateinischen Ausgabe Harrius) mit Ron
und Hermione (tschechisch Hermiona)
nach seinem elften Geburtstag aufgenommen wird, nicht mehr Hogwarts, sondern
Zweinstein. Der englische Name, der
„Schweinewarzen“ bedeutet und zur
Gruppe der „redenden Namen“ gehört,
wird durch einen völlig anderen Namen
ersetzt. Der tschechische Übersetzer wählt
dagegen die Teilübersetzung Bradavice
(„Warze“). Klaus Fritz, der die deutsche
Übersetzung besorgte, behielt den englischen Namen bei, womit sicherlich bei
vielen Lesern die charakterisierende Funktion dieses Namens nicht aktiviert wird. Bei
der russischen Übersetzung werden 62%
der Namen beibehalten, wobei dazu auch
die umschrifteten Namen wie огс
und Г
о gezählt wurden
Für die Wiedergabe von Eigennamen in
übersetzten literarischen Texten konnten
acht Verfahren erarbeitet werden: Beibehaltung, Umschriftung, Exonyme (bei geographischen Namen, z. B. Scotland: Schottland), einzelsprachlich parallele Namenformen (bei Personennamen), Namenübersetzung (bei redenden Namen), Ersetzung
durch andere Namen, Ersetzung durch eine
Umschreibung und die Weglassung. Der
Konflikt, der beim Übersetzen entsteht, ist,
dass bei Veränderungen der Namen oftmals
das Lokalkolorit des Ausgangstextes verloren geht (wie es in den niederländischen
Harry-Potter-Büchern der Fall ist). Sicherlich ist in manchen Fällen die Veränderung
unumgänglich, so zum Beispiel beim Namen Tom Marvolo Riddle, der in der Umstellung den für die Textaussage wichtigen
Satz „I am Lord Voldemort“ ergibt und folgerichtig in den Übersetzungen verändert
wurde, so deutsch zu Tom Vorlost Riddle (ist
Lord Voldemort), niederländisch Marten
Asmodom Vilijn. (Mijn naam ist Voldemort)
und französisch Tom Elvis Jedusor (Je suis
Voldemort). In anderen Fällen ist die Veränderung schwer nachvollziehbar, zumal
wenn es um Hauptfiguren geht (aus dem
englischen Albus Dumbledor, wird niederländisch Albus Perkamentus) oder dann,
wenn dadurch eine heterogene Namenlandschaft entsteht, die halb englisch und halb
deutsch ist. Der Übersetzer erweist sich hier
nicht nur als Mittler, sondern als eine Art
Sekundärautor, der große Macht über die
Namen hat. Er interpretiert die Namen für
sich und entscheidet über deren Beibehaltung bzw. Veränderung.
Vor allem für Studierende, die in ihren
Fächern Anglistik, Amerikanistik, Romanistik, Hispanistik oder ähnliches studieren, stellt das Seminar „Namen in der
Übersetzung“ eine willkommene Ergänzung dar, werden die Eigennamen doch
dort meist nur am Rande behandelt. Außerdem kommen Probleme der modernen
Namentheorie zur Sprache, deren neuester
Stand kürzlich in dem von zwei Absolventen unseres Studiengangs herausgegebenen, mehr als 1000 Seiten umfassenden
Werk „Namenarten und ihre Erforschung.
Ein Lehrbuch für das Studium der Onomastik“ (hrsg. von A. und S. Brendler,
Hamburg 2004) dargestellt wurde.
Eine ausführliche Abhandlung zu den Namen bei den Harry-Potter-Übersetzungen
erscheint in den Namenkundlichen Informationen 85/86 (2004) im Leipziger Universitätsverlag.
13
UniCentral
Vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, der
Initiative „Wissenschaft im Dialog“ und dem Deutschen
Verband Technisch-Wissenschaftlicher Vereine wurde das
Jahr 2004 zum „Jahr der Technik“ erklärt.
Das Uni-Journal wirft daher einige Schlaglichter auf
Technik-Anwendungen an der Universität Leipzig.
Eine Sprache für
die Computer-Chirurgie
Innovationszentrum nach Leipzig geholt
Von Dr. Bärbel Adams
Im Rahmen der BMBF-Innovationsinitiative für die neuen Länder erhielt Leipzig
den Zuschlag für den Aufbau eines Zentrums für computer- und robotergestützte
Chirurgie, das spezielle Problemstellungen
zur Verarbeitung von Biosignalen und
Bilddaten, zur Informationsintegration, zur
Mechatronik und zur Systemsicherheit bearbeitet. Die Einzigartigkeit des Zentrums
liegt in der Verbindung von chirurgischen
und informationstechnischen Disziplinen.
Mit der Initiative „Zentren für Innovationskompetenz. Exzellenz schaffen – Talente sichern“ will das BMBF universitäre
Spitzenzentren in den Neuen Länder för-
dern. Das Leipziger Zentrum heißt ICCAS
(Innovation Center of Computer Assisted
Surgery) und soll ein strategisches Konzept
für die zukünftige Gestaltung der computerassistierten Chirurgie entwickeln. Dafür
stellt das BMBF vier Millionen Euro über
fünf Jahre zur Verfügung. Arbeitsbeginn ist
der 1. Januar 2005.
Von der Universität Leipzig sind beteiligt:
die Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-,
Ohrenheilkunde/Plastische Operationen
(Dr. Gero Strauß), die Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie (Dr. Christos Trantakis), die Klinik für Herzchirurgie (PD Dr.
Volkmar Falk) sowie das Institut für Ana-
Dr. Volkmar Falk am OP-Roboter im Herzzentrum.
14
tomie (Prof. Wolfgang Schmidt). Beteiligt
sind außerdem Prof. Heinz Lemke, Fachgebiet Computer Graphics der Technischen
Universität Berlin und Prof. Dr. Tim C.
Lueth, Fachgebiet Navigation und Robotik,
Universitätsklinikum Charité, Campus
Virchow-Klinikum Berlin. Sprecher des
ICCAS ist Prof. Jürgen Meixensberger,
Direktor der Klinik und Poliklinik für
Neurochirurgie.
Die computer- und robotergestützte Chirurgie ist angewiesen auf digitale Daten, die
durch sehr unterschiedliche Systeme mit
ihrer jeweils eigenen „Sprache“ erhoben
und verarbeitet werden. Der Operations-
3-D-Simulation eines OP-Saals der Zukunft.
journal
UniCentral
Übung am Computer: „Haptic IO“ heißt der OP-Simulator für
endoskopische Operationen.
saal stellt eine Schnittstelle all dieser Daten
dar, ohne dass die Kommunikation zwischen ihnen gewährleistet ist. Ein Datensatz stellt für den anderen quasi eine
Fremdsprache dar, für deren Verständnis
die gemeinsame Basis fehlt. Diese gemeinsame Basis ausgehend von den Anforderungen des Chirurgen zu erarbeiten,
ist eine Aufgabe des ICCAS. Dazu müssen
die Transparenz der Abläufe hergestellt,
Ähnlichkeiten abgesteckt und eine einheitliche Sprache gefunden werden. Die Zusammenarbeit von Chirurgen, Radiologen,
Informatikern und Ingenieuren ist erforderlich.
Neben der Klärung dieser Grundsatzprobleme wollen die Wissenschaftler die
Medizintechnik für die computer- und
robotergestützte Chirurgie so verbessern,
dass Produkte entwickelt werden, die vielseitig einsetzbar sind und über Module
ganz spezifische Verwendungszwecke erfüllen können. Dazu bedarf es zunächst
einer Harmonisierung der eingesetzten
Technik und einer allgemeinen Verfügbarkeit aller relevanten Bilddaten sowie
übergreifender Lösungen. Die Einzeldaten
müssten so aufbereitet sein, dass sie als
Zusatzinformationen genutzt und durch ein
einziges Gerät gelesen werden können.
Eingeschlossen ist die Zusammenführung
verschiedener Datenquellen, z. B. von
Magnetresonanztomografie und Computertomografie. Diese Systeme müssen
untereinander kommunizieren können, damit sie im OP zeitgleich präsentierbar sind.
Die Leipziger gehen dabei von einem ganz
neuartigen Ansatz aus: Im Gegensatz zu
früheren Prototypen von NavigationssysHeft 4/2004
Computerbilder ermöglichen navigiertes Operieren an der
Schädelbasis.
Abbildungen: ICCAS
tem, mechatronischen Komponenten oder
Bildverarbeitungssoftware steht am Anfang die kritische Durchleuchtung des OPAblaufes und die Suche nach Gemeinsamkeiten bei verwandten Eingriffen anderer
chirurgischer Fächer. Durch eine systematische Analyse des OP-Ablaufes kann dieser mit Hilfe moderner IT-Werkzeuge analysiert, visualisiert und virtuell simuliert
werden.
„Die Chirurgie steht vor einer neuen Herausforderung“, erklärt Professor Meixensberger das Vorhaben. „Eine zunehmende
Fülle digitaler Informationen steht uns zur
Verfügung, die wir optimal nutzen müssen.
Das Interdisziplinäre Zentrum für computer- und robotergestützt Chirurgie kann
uns dabei voranbringen.“ Die Forscher
laden schon einmal alle interessierten Wissenschaftler zur Mitarbeit ein. Große
Firmen hätten ihr Interesse bereits signalisiert. Auch für die Ausbildung von
Medizininformatikern könnte sich ein
ganz neuer Ausbildungsschwerpunkt entwickeln.
Weitere Informationen im Internet:
www.iccas.de
Leipziger Physiker koordinieren
europäisches Exzellenz-Netzwerk
Am 17. Juni hat der Kanzler der Universität Leipzig, Peter Gutjahr-Löser, in Anwesenheit von Prorektor Prof. Martin
Schlegel und Koordinator Prof. Marius
Grundmann einen Vertrag mit der EUKommission in Brüssel unterzeichnet, der
über einen strikten dreistufigen Antragsund
Evaluationsprozess
verhandelt
wurde. Darin ist festgeschrieben, dass die
Universität Leipzig das europäische Exzellenz-Netzwerk SANDiE (Self-Assembled Semiconductor Nanostructures for
new Devices in Photonics and Electronics) auf dem Gebiet der selbstorganisierten Halbleiter-Nanostrukturen koordinieren wird. Koordinator wird der Halbleiterphysiker Prof. Marius Grundmann,
Direktor des Institut für Experimentelle
Physik II der Universität Leipzig. Das
Netzwerk startet offiziell am 1. Juli. In
den nächsten vier Jahren wird es mit über
9 Millionen Euro gefördert.
Am Netzwerk nehmen neben der Universität Leipzig 27 weitere Partner aus elf
Nationen, von Portugal bis Russland teil.
Neben 16 Universitäten sind acht Forschungsinstitute beteiligt. Zudem sind
vier führende europäische Industriefirmen auf dem Photoniksektor Partner, um
eine möglichst effiziente wirtschaftliche
Umsetzung neuer wissenschaftlicher Ergebnisse in Europa zu realisieren.
K. S.
Mehr über das Exzellenz-Netzwerk erfahren Sie im nächsten Uni-Journal.
15
UniCentral
Ultraschallaufnahmen von trächtigen Tieren
Gebärmutterwand
Eihautflüssigkeit
Nabelstrang
Fötus
(unten wahrscheinlich
der Kopf des Fötus)
Was beim Menschen schon lange möglich ist, gibt es
seit einiger Zeit auch für Tiere: Ultraschallaufnahmen,
mit denen die Trächtigkeit von Tieren kontrolliert werden kann. Die Aufnahme zeigt einen Pferde-Fötus am
50. Tag der Trächtigkeit. Letztere kann dank der Ultraschalldiagnostik erstmalig zehn Tage nach der Befruchtung festgestellt werden.
Darüber hinaus werden an der Ambulatorischen und
Geburtshilflichen Tierklinik bei Prof. Dr. Axel Sobiraj
erste Schritte getätigt, um den Embryotransfer bei Stuten zu etablieren: Eine wertvolle, bspw. im Training
befindliche Stute wird besamt, der Embryo nach acht
Tagen aus ihrer Gebärmutter herausgespült, die Stute
kann im Training bleiben. Anschließend wird der Embryo auf eine Empfängerstute übertragen, die als „Leihmutter“ das Fohlen austrägt, zur Welt bringt und aufzieht, oder der Embryo wird in flüssigem Stickstoff
„auf Eis gelegt“ und später übertragen.
B. A.
Über Proteine zur Diagnose
Das Institut für Laboratoriumsmedizin,
Klinische Chemie und Molekulare Diagnostik der Uni Leipzig erhält im Rahmen
des GenoSNIP-Projektes 332 340 Euro
Fördermittel von der Sächsischen Aufbaubank, um in Zusammenarbeit mit der Bruker Daltonik GmbH Leipzig ein diagnostisches Verfahren zum sicheren Nachweis
bestimmter Erkrankungen zu entwickeln,
das auf dem so genannten „funktionalen
Protein-Fingerabdruck“ beruht.
Der „genetische Fingerabdruck“ hat inzwischen nicht nur in der Forensik Furore
gemacht. Jetzt gehen die Wissenschaftler
noch ein Stück weiter: Sie untersuchen die
Eiweiße oder Proteine, die aus dem Genom
als der Gesamtheit der Gene entstehen und
unsere Körperfunktionen steuern. „Sie
sind die eigentlichen Player“, erklärt Prof.
Dr. Joachim Thiery, Direktor des Institutes
für Laboratoriumsmedizin, Klinische Chemie und Molekulare Diagnostik. Das Genom ist sozusagen das Programm oder die
Software, deren individueller Inhalt die
Proteine sind und analog zum Genom als
Proteom bezeichnet werden. „Raupe und
Schmetterling haben z. B. das gleiche Genom, zeichnen sich aber durch ein unterschiedliches Proteom-Profil und damit anderes Erscheinungsbild aus“, so Thiery.
Proteine oder Eiweiße steuern die verschiedensten Körperfunktionen und sind
somit maßgeblich verantwortlich für Gesundheit oder Krankheit. Wenn es gelänge,
diese funktionale Proteinmuster im Blut
präzise zu erfassen und wiederkehrende
16
Merkmale mit bestimmten Krankheitsbildern in Zusammenhang zu bringen, ließen
sich vielleicht zuverlässige Marker für
diese Krankheiten finden, vor allem dann,
wenn sie sich beim Patienten noch nicht
mit den üblichen Symptomen bemerkbar
machen. Dies würde einer Revolution auf
dem Gebiet der Diagnose schwerer Erkrankungen gleichkommen, von deren
frühzeitiger Behandlung ihre Heilung abhängen könnte wie z. B. bei Krebs oder
Herzerkrankungen. Das waren die Ausgangsüberlegungen der Wissenschaftler.
Durch die schnell voranschreitende Entwicklung im Bereich der Proteinanalytik
und der Bioinformatik ist heute eine sehr
präzise Analyse von komplexen Proteinmustern in Patientenblut mittels MaldiTof-Massenspektrometrie möglich geworden. Vorraussetzung für die Durchführung
der Proteinanalyse ist eine Abtrennung der
Proteine von der Blutmatrix. Diese erfolgt
mittels neu entwickelter magnetischer
Mikropartikel mit charakteristischen Oberflächeneigenschaften. Nach der Aufarbeitung der Blutprobe werden die Proteine mit
einer chemischen Matrix vermischt und
getrocknet auf einer Metallplatte im Massenspektrometer analysiert. Dazu werden
durch einen Laser-Impuls die Eiweiße
ionisiert und im elektrischen Feld beschleunigt. Von der Fluggeschwindigkeit
kann man auf die Masse der einzelnen
Eiweißmoleküle schließen und sie somit
identifizieren. Dadurch erhält man einen
individuellen „Proteinfingerabdruck“, der
sich zwischen Gesunden und Kranken
unterscheidet. Bei ersten Untersuchungen
einer amerikanischen Arbeitsgruppe an Patientinnen mit Eierstock-Krebs gelang es,
bereits frühzeitig durch Untersuchung des
„funktionalen Proteinfingerprints“ im Blut
den Tumor nachzuweisen.
Mit den eingeworbenen Mitteln wollen
die Wissenschaftler jetzt charakteristische
Proteinprofile für bestimmte Krankheiten
herausfinden: Das sind 1. Dickdarmkrebs
und Bauschspeicheldrüsenkrebs; 2. kardiovaskuläre Erkrankungen und 3. Herz-Insuffizienz. Alle drei Krankheiten werden
aufgrund bisher unzureichender labormedizinischer Analysenmethoden in der Regel zu spät erkannt und sind dadurch einer
erfolgreichen Behandlung nur sehr schwer
zugänglich. Gelänge eine zuverlässige Erstellung des Proteinmusters, könnten die
genannten Erkrankungen mit Hilfe einer
einfachen Blutuntersuchung frühzeitig
diagnostiziert und damit erfolgversprechend behandelt werden.
Die Leipziger Wissenschaftler können auf
die modernen massenspektrometrischen
Analysengeräte von Bruker Daltonik Leipzig zurückgreifen und auf die Unterstützung der internationalen Firma bauen, die
mit einer eigenen Fertigungsstrecke in
Leipzig vertreten ist. Prof. Thiery hofft,
dass die seit Ende 2003 arbeitende interdisziplinäre Forschergruppe, an der Wissenschaftler verschiedener universitärer
Einrichtungen beteiligt sind, 2005 valide
Ergebnisse vorlegen kann. Dr. B. Adams
journal
UniCentral
Im Schussfeld
der Ionen
Hightech-Sonde
in der experimentellen Physik
Von Karsten Steinmetz
Die phänomenalen Möglichkeiten, die
durch die Hochenergie-Ionennanosonde
„Lipsion“ erschlossen werden, sind nicht
auf den ersten Blick zu erkennen. Denn
was mit dieser Technik sichtbar gemacht
werden kann, versteckt sich im Nanometerbzw. Milliardstelmeterbereich und hinter
einer einzigartigen Apparatur, die sich auf
27 Metern entfaltet.
Die Einblicke in Kleinststrukturen, die
diese Anordnung erlaubt, sind intensiver
und durchdringender, insbesondere bei
dickeren Proben als die der Elektronenmikroskopie. So gelang es den Leipziger
Forschern um Prof. Tilman Butz, Leiter der
Abteilung Nukleare Festkörperphysik des
Instituts für Experimentelle Physik II, das
Geheimnis der inneren Struktur von Zygosporen, die einigen Pilzarten zur Fortpflanzung dienen, zu enträtseln und dadurch so
manchen Biologen zum Umdenken zu bewegen.
Damit „Lipsion“ für solche Überraschungen sorgen kann, mussten ungewöhnliche
Maßnahmen getroffen werden. So steht die
Anlage auf zwei Spezialfundamenten, bestehend aus zehn Meter hohen Betonsäulen, um Schwingungen vorbeifahrender
Straßenbahnen abzufangen. Sie ist außerdem in ein ausgeklügeltes technisches System eingebetet, das eine hohe Spannungs-,
Luftfeuchtigkeits-, Temperatur- und Energiestabilität bereitstellt. Das alles kostete
viel Geld. Allein in die Rekonstruktion des
Laborgebäudes, einschließlich Laborinstallationen, wurden rund 10 Mio. DM investiert.
Am Anfang der „Lipsion“-Apparatur befindet sich der Teilchenbeschleuniger
„Singletron “, der geladene Materie, in diesem Fall Helium- oder Wasserstoffatome,
denen Elektronen entrissen wurden, durch
elektrische Felder mit drei Mio. Volt auf ein
Paar Prozent der Lichtgeschwindigkeit beHeft 4/2004
schleunigt. Im Schussfeld der Ionen befindet sich weiterhin ein Magnet zur Reinigung des Ionenstrahls und am Ende ist die
tatsächliche Sonde installiert. Sie verfügt
über eine Objektblende, eine Aperturbox
und Linsen, die den Durchmesser des
Ionenstrahls noch einmal um das 130-fache, auf ein Tausendstel eines Haardurchmessers, verkleinern. In der dahinter liegenden Messkammer werden die maximal
2 mal 2 mal 0,5 Zentimeter großen Proben
durch den Ionenstrahl strukturell sichtbar
gemacht. Vier Detektoren observieren dabei die Wechselwirkungen zwischen den
eingeschossenen Ionen und den Atomkernen und Atomhüllen der Proben. Ein Detektor überwacht die
Röntgenstrahlung, ein anderer rückgestreute Teilchen, der dritte weist
transmittierte
Teilchen
des Ionenstrahls nach,
und ein vierter misst die
Sekundärelektronen, die
erzeugt wurden.
Mit Hilfe von „Lipsion“
kann man aber nicht nur
Kleinstformationen, wie
Dünnschichtsolarzellen,
mikro- und nanodimensionale Strukturelemente
oder Knorpelzellen analysieren, sondern auch Wirkungszusammenhänge erforschen, wie z. B. beim
Einzelionen-Beschuss lebender Zellen. Hierbei
können die Effekte der
Strahlenwirkung,
aber
auch der Informationsfluss zwischen den Zellen, gezielt auf ihre Anwendbarkeit in der Krebsbehandlung untersucht
werden. Die Forscher schaffen durch den
Ionenbeschuss aber auch Strukturen, wie
z. B. beim maskenlosen Schreiben von
Submikrometerstrukturen. Sie erzeugen
zudem ferromagnetische Eigenschaften
bei Kohlenstoff, was die Fabrikation von
Biomagneten und neuen Halbleitern möglich macht. Letztlich kann die Sonde aber
auch beim Nachweis der schädlichen Hautpenetration von Nanopartikeln oder aber
bei der Analyse von Spurenelementen in
Hirnschnitten, also für die Erforschung der
Alzheimererkrankung, äußerst hilfreich
sein.
Bei so vielen Anwendungsmöglichkeiten
und der häufigen Nutzung der Anlage
durch private und öffentliche Gastwissenschaftler bedauert es Prof. Butz natürlich,
dass die Anlage nicht rund um die Uhr
für die Forschung nutzbar gemacht werden kann. Aber es gebe im universitären
Betrieb zu wenig Personal, insbesondere Strahlenschutzbeauftragte. Insgesamt
führe „Lipsion“ aber hervorragend die
große, schon zu DDR-Zeiten begonnene
Leipziger Tradition der Teilchenbeschleunigung fort.
Die „Lipsion“-Apparatur im Labor des
Instituts für Experimentelle Physik II. Im
Vordergrund ist die Messkammer mit
der Sonde zu sehen.
Foto: Institut
17
UniCentral
Organismen im
Bioreaktor
Das Institut für Angewandte
Biotechnologie
Von Marlis Heinz
Zarte Pflänzchen gedeihen in gläsernen
Kolben, manche in langen Reihen auf
Labortischen, andere im lichtüberfluteten
Klimaschrank. In anderen Räumen stehen
zahllose Behältnisse, in denen Mikroorganismen aufbewahrt oder vermehrt werden.
All diese sorgsam gezüchteten Lebewesen
treten irgendwann in den Dienst der Wissenschaft, müssen sich auf ihre Gefährlichkeit oder ihren Nutzen für den Menschen untersuchen lassen.
Auf dem Gelände des Wissenschaftsparks
Permoserstraße in Leipzig hat das Sächsische Institut für Angewandte Biotechnologie (SIAB) seinen Sitz. Es wurde 1997 von
Wissenschaftlern der Universität Leipzig
mit der Zielstellung gegründet, Ergebnisse
aus der biotechnologischen Grundlagenforschung nutzbar zu machen. Das SIAB
ist ein eingetragener Verein und ein AnInstitut der Universität Leipzig. Sein Direktor ist Prof. Dr. Kurt Eger, Dekan der
Fakultät für Biowissenschaften, Pharmazie
und Psychologie.
Wie bei jeder funktionierenden Symbiose
profitieren beide Partner, Universität und
An-Institut, von der Gemeinsamkeit. „Für
unsere Einrichtung ist es von Vorteil, auf die
Infrastruktur der Universität zurückgreifen
zu können, also beispielsweise auf das
Rechenzentrum, die Datenbanken und die
Bibliotheken“, erläutert Dr. Gerhard Kerns,
Vorstandsmitglied des Vereins. „Auch das
Engagement von Diplomanden und Doktoranden, die in unseren Forschungsprojekten
eingebunden sind, wissen wir zu schätzen.
Der Universität wiederum helfen wir, indem wir für größere Studentengruppen Labor-Praktika organisieren. So können künftige Pharmazeuten oder Biochemiker hier
die Kultivierung von Mikroorganismen
untersuchen und deren Stoffwechsel analysieren. Wir haben hier die räumlichen Möglichkeiten und auch die technischen; solche
Bioreaktoren im kleintechnischen Maßstab
wie bei uns gibt es an der Universität nicht.“
Außerdem halten einige Wissenschaftler
des SIAB Vorlesungen an den Fakultäten
der Universität. Dr. Jelka Ondruschka, Vorstandsmitglied des Vereins, beispielsweise
spricht über die Wechselwirkung von
Mikroorganismen und Metallen, was unter
anderem beim Versauern von Bergbauseen
von Bedeutung ist. Dr. Kerns referiert zu
Wirkmechanismen der Bildung von Enzymen und Sekundärmetaboliten in Pflanzen
und Pilzen.
Eines der neuesten Projekte, die das SIAB
gemeinsam mit dem Institut für Nichtklassische Chemie – ebenfalls ein An-Institut
der Universität Leipzig – und Industriepartnern in Angriff genommen hat, ist ein
Verfahren zur Inaktivierung mikrobieller
Kontaminanten (vor allem Bakterien) in
Lebensmitteln und Pharmazeutika mittels
Druckwechsel. Aufgabe des Instituts für
Pharmazie der Universität in diesem Vorhaben ist es, die eventuell veränderte
Wirksamkeit der Medikamente nach dieser
Druck-Behandlung zu analysieren. Die
SIAB-Experten richten ihr Augenmerk auf
Mikroorganismen, auf deren Anzahl und
Aktivität vor und nach der Behandlung.
Dipl.-Ing. Berit Döscher bei Arbeiten am
40-Liter-Bioreaktor.
Foto: Dr. S. König
In einer losen Reihe stellt das Uni-Journal die An-Institute der Universität vor.
Gegenwärtig sind es derer sieben. Sie
erweitern in enger Kooperation mit der
Universität das Forschungsprofil der
Stadt Leipzig. Diesmal geht es – passend zum UniCentral-Thema Technik –
um das Sächsische Institut für Angewandte Biotechnologie.
Zu den wissenschaftlichen Einrichtungen,
die neben der Universität Leipzig mit dem
SIAB kooperieren, zählen die Technische
Universität Dresden, das Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle und verschiedene andere in- und ausländische Forschungseinrichtungen und Unternehmen.
Gemeinsam mit der TU Dresden entwickelte das Institut ein Verfahren, bei dem
Lignocellulose-Faserstoffe derart mit Enzymen modifiziert werden, dass bei der
Herstellung von Faserplatten der Zusatz
von Kunstharzen entfallen kann. Durch
diesen neuen Weg können in absehbarer
Zeit beispielsweise die gesundheitsgefährdenden Formaldehydharze aus dem WohnUmfeld des Menschen verbannt werden.
Zu den Industrieunternehmen, welche die
Dienstleistung des SIAB in Anspruch genommen haben, zählt ein Faserhersteller,
der seine Brauchwässer im Kreislauf einsetzt. „Wir haben ermittelt“, erläutert Dr.
Ondruschka, „in wie vielen Zyklen das
Wasser genutzt werden kann, ohne dass die
Spinndüsen durch mikrobielle Keime verstopfen. Dadurch konnte der Frischwasserund Energieeinsatz minimiert werden.“
„Solche Partner aus der Industrie, also
schlichtweg Kunden, müssen wir noch
mehr gewinnen“, so Dr. Kerns. „Allein auf
diesem Weg können wir auch wirtschaftlich überleben. Angestrebt ist, dass wir
zukünftig unsere Betriebskosten aus Aufträgen für die Wirtschaft finanzieren. Momentan tragen wir uns noch zu etwa einem
Drittel aus öffentlichen Mitteln.“ Um den
Kundenkreis zu erweitern und in ferner
Zukunft einmal eine Existenz als mittelständisches Unternehmen in Angriff nehmen zu können, muss das Sächsische Institut für Angewandte Biotechnologie sein
Forschungsprofil schärfen und die Potenzen immer wieder in der Öffentlichkeit
vorstellen. Plattform dafür sind unter
anderem Messen wie beispielsweise die
„Biotechnica“ in Hannover, die wieder im
Oktober 2005 ansteht.
journal
UniCentral
Neue Perspektiven
für das Bauen
Untersuchungen zu
ultrahochfestem Beton
Von Frank Dehn, Juniorprofessur Werkstoffe im Bauwesen
und Prof. Dr. Nguyen Viet Tue, Institut für Massivbau und Baustofftechnologie
Die Entwicklung zementgebundener
Werkstoffe hat in den letzten Jahren einen
stetigen Aufwärtstrend erfahren. Die letzte
Steigerungsstufe in dieser Entwicklungsreihe stellt der ultrahochfeste Beton dar,
ein aus den Ausgangstoffen Zement, Wasser, Gesteinskörnungen sowie organischen
und anorganischen Zusatzstoffen und -mitteln hergestelltes Konglomerat mit Festigkeiten zwischen 150 und 400 N/mm2.
Ultrahochfester Beton, kurz UHFB, kann
somit in Teilbereichen neue Anwendungsfelder erschließen, die momentan noch anderen Werkstoffen vorbehalten sind, beispielsweise dem Stahl.
Vergegenwärtigt man sich, dass Beton
üblicherweise mit Druckfestigkeiten im
Bereich von 20 bis 50 N/mm2 auf Baustellen und in Fertigteilwerken eingesetzt wird,
so ist leicht einsehbar, dass es für ultrahochfesten Beton sowohl hinsichtlich dessen Verwendung aber auch Untersuchung
neue Konzepte bedarf. Es ist das Ziel, bereits während der Entwicklungsphase, also
vor dem Praxiseinsatz, festzustellen, welche spezifischen Eigenschaften der Beton
aufweist, damit man ihn bedarfsgerecht für
die Herstellung von z. B. Brücken oder
Hochhäusern einsetzen kann. Letztlich
müssen die Leistungsmerkmale der ultrahochfesten Betone charakterisiert werden,
um Bauteile dimensionieren zu können.
Dies geschieht anhand von geeigneten
Materialprüfungsmethoden.
Gängig sind Prüfverfahren, bei denen in
erster Linie die mechanischen Eigenschaften im erhärteten Zustand ermittelt werden.
Hier ist insbesondere die Festigkeit im
Druckversuch zu erwähnen. Bild 1 zeigt
exemplarisch einen ultrahochfesten Beton
im zentrischen Druckversuch, bei dem die
Probe, meist Würfel, aber auch Zylinder,
zwischen eine Presse gespannt werden und
die erforderliche Kraft bis zum Versagen
Heft 4/2004
Bild 1:
Ultrahochfester Beton nach Überschreiten der Festigkeit (Bruchzustand)
Bild 2:
Großmaßstäbliche Versuche einer sog.
Verbundstütze aus Stahl, mit ultrahochfestem Beton gefüllt.
Fotos: Institut für Massivbau und
Baustofftechnologie
des Körpers aufgezeichnet wird. Mittels
der Querschnittswerte des Probekörpers
kann dann die Festigkeit des UHFB bestimmt werden.
Neben den mechanischen Eigenschaften
spielt die Dauerhaftigkeit der Betone eine
wichtige Rolle. So müssen Betonbauteile
oft aggressiveren Umweltbedingungen
widerstehen, die zunächst eine Schädigung
des Betons und daran anschließend den
Kollaps von Bauwerken zur Folge haben
können. Auch hierzu ist eine Vielzahl von
Kurzzeit- und Langzeitprüfmethoden für
UHFB verfügbar, die letztlich dazu dienen,
den Beton widerstandsfähiger gegen Sulfat- und Säureangriffe, gegen Verschleiß
und auch gegenüber anderen Korrosionserscheinungen zu machen. Dies Untersuchungen sind zumeist kleinmaßstäblich,
weil zeit- und kostenintensiv.
Im Rahmen der Entwicklung sind auch
komplexere Großversuche erforderlich, bei
denen das Bauteilverhalten anhand einer
speziell konzipierten Messtechnik und Beanspruchungsart simuliert werden soll. Bei
diesen sog. Bauteilversuchen wird zwar das
eigentliche Tragverhalten idealisiert, aber
durch die Online-Erfassung von Verformungen und Kräften im und am Bauteil
können Rückschlüsse gezogen werden, wie
z. B. der ultrahochfeste Beton in Zusammenwirken mit einem Stahlrohr für hochbeanspruchte Druckglieder in seiner Zusammensetzung verbessert werden muss. Bauteilversuche sind somit eine unabdingbare
Notwendigkeit im Rahmen eines Optimierungsprozesses, aber auch, um bei neuen
Technologien deren Verhalten unter quasipraktischen Bedingungen genauer zu studieren. Bild 2 zeigt einen Prüfstand, in dem
die Versagensbeanspruchung von mit UHFB
gefüllten Stahlstützen getestet wird.
Nur durch die stetige Weiterentwicklung
der Hochleistungsbetone hin zu einem
Werkstoff mit für den spezifischen Anwendungsfall optimierten Eigenschaften
kann seine optimale Effektivität demonstriert werden. Daraus ergeben sich völlig
neue Perspektiven. Die konsequente Umsetzung der zementgebundenen Hochleistungswerkstoffe von der Forschung in die
Anwendung ermöglicht langfristig ein kostenoptimiertes und ressourcenschonendes
Bauen. Hierfür sind aber experimentelle
Untersuchungen mittels Mess- und Prüfgeräten unverzichtbar notwendig, deren Nutzung der Universität Leipzig durch die
enge Kooperation mit der MFPA Leipzig
GmbH uneingeschränkt zu Forschungszwecken zur Verfügung stehen.
19
UniCentral
Alte
Mauern –
moderne
Technik
Computerelektronik bei
Ausgrabungen
in Frankreich
Von Felix Fleischer und Marco Schrickel,
Professur für Ur- und Frühgeschichte
Ur- und frühgeschichtliche Archäologie
beschäftigt sich mit den menschlichen
Hinterlassenschaften schriftloser Zeiten.
Dies sind Befunde wie Abfallgruben oder
Wälle und Fundobjekte wie Scherben. Um
die archäologischen Zeugnisse zum Sprechen zu bringen, ist die Dokumentation
ihrer Auffindung und Bergung von entscheidender Bedeutung. Immer stärker
rücken auch hier moderne Computer- und
Messtechnik in den Vordergrund.
Bereits seit 1995 führt die Professur für Urund Frühgeschichte der Universität Leipzig Ausgrabungen im französischen Burgund durch. Ziel dieser Ausgrabungen ist
die Erforschung keltischer Siedlungsstrukturen des 2.–1. Jh. v. Chr. im Oppidum
Bibracte. Dies ist eine der wichtigsten
frühstädtischen Siedlungsanlagen des antiken Gallien auf dem Mont Beuvray ca.
125 km südlich von Dijon. Die Ausgrabungen sind eingebunden in ein internationales Forschungsprojekt und werden koordiniert vom Centre archéologique européen du Mont Beuvray (CAE), das ideale
Arbeits- und Forschungsbedingungen bietet.
1999 begannen die Ausgrabungen in der
so genannten „îlot des Grandes Forges“,
einem Steingebäudekomplex im Zentrum
des Oppidums. Entdeckt wurden umfangreiche Innenbaustrukturen des Steingebäudes, Spuren hölzener Vorgängerbauten und
20
die bisher größte und fundreichste Ausdehnung einer vorcaesarischen Siedlungsphase.
Auf den Grabungen der Leipziger Professur wird seit 1998 ein elektronisches Tachymeter zur Erfassung von Messpunkten
verwendet. Dabei werden die im Verlauf
der Tagesarbeiten aufgenommenen codierten Messpunkte am Abend auf den Hauptrechner übertragen und ausgewertet. Diese
Vermessungstechnik hat sich in der archäologischen Denkmalpflege bereits weitgehend durchgesetzt.
In einer internen Arbeitsgruppe haben wir
darüber hinaus versucht, mittels eines Laptops über eine Schnittstelle die Messdatensätze des Tachymeters auf der Grabung
direkt mit Sachdaten zu verbinden und
diese gemeinsamen Datensätze mittels
einer Datenbank zu verwalten und vor Ort
durch grafische Darstellung zu kontrollieren. Die erste Version dieser Datenbank
wurde bereits 2001 getestet. Seither wird
das System jährlich auf Funktionalität
überprüft und mit neuen Komponenten
versehen. Der Messvorgang lässt sich folgendermaßen beschreiben:
Bei der Vermessung eines Fundobjektes
werden zunächst dessen visuell sichtbare
Informationen wie beispielsweise Material, Größe etc. als Textdaten in die Datenbank eingegeben. Dann werden die Punktkoordinaten mit dem Tachymeter gemessen und automatisch in die Datenbank des
angekoppelten Laptops übertragen. Dabei
handelt es sich um einen speziellen wasserresistenten und stoßfesten Feldrechner.
Die Daten werden sofort auf einen Fundzettel gedruckt, der zusammen mit dem
Fund verpackt wird. In kürzester Zeit
können so große Mengen an Einzelfunden dreidimensional vermessen werden.
Schreibfehler entfallen vollständig. Einzelfundeinmessungen dienen vor allem dazu,
Informationen über Verteilung und Nutzung einzelner Fundkategorien zu gewinnen. So können beispielsweise Form und
Verteilung von eisernen Nägeln bestimmte
Konstruktionen anzeigen.
Nach dem gleichen System werden auch
Baustrukturen vermessen, die mit einer
Messserie erfasst werden. Alle Punktkoordinaten werden sofort in ein CAD-Programm (ein Vektorprogramm, CAD steht
für Computer Aided Design) übertragen
und grafisch dargestellt. Jetzt kann direkt
nach der Vermessung kontrolliert werden,
ob alle relevanten Punkte vermessen worden sind. Liegt eine besondere Befundsituation vor, kann nun die Grabungsmethodik den neuen Bedingungen angepasst
werden.
Neben den messtechnischen Daten werden
in der Datenbank auch alle anderen für
eine Ausgrabung relevanten Daten wie laufende Beobachtungen, Befundnummern,
Zeichnungen, Digitalfotos und so weiter
erfasst. Damit ist eine lückenlose Erfassung aller Daten direkt auf der Grabung
möglich.
Auch in diesem Jahr werden die Leipziger
Archäologen im französischen Burgund
nach keltischen Spuren suchen – mit moderner Technik.
Student Dominik Lukas bei einer Vermessung während einer Ausgrabung.
Foto: Professur für Ur- und Frühgeschichte
journal
Technik im Dienste der Natur
Die Gewächshäuser im Botanischen Garten
Pünktlich zur offiziellen Eröffnung waren
sie wieder geschlüpft: die Papilio demoleus, Hypolimnas bolina und Morpho peleides, die exotischen Schmetterlinge, die
im Laufe ihrer Existenz eine Metamorphose durchlaufen, die aus eher unansehnlichen Raupen die flatterhaften Geschöpfe
der Luft zaubert. Sie finden jetzt beste
Bedingungen vor, denn die Gewächshäuser
sind ausgestattet mit hochcomputerisierten
Benebelungsanlagen, UV-durchlässigen
Scheiben sowie automatischer Belüftung
und Verdunkelung. Kurz: Die neue Technik
hat Einzug gehalten im Botanischen Garten der Universität Leipzig.
Der Botanische Garten ist der älteste in
Deutschland und gehört neben Pisa, Padua,
Florenz und Bologna zu den ältesten der
Welt. Im II. Weltkrieg wurde der Garten
erheblich zerstört. Erhalten blieb lediglich
der Nordbereich mit den Schaugewächshäusern, aber auch mit großen Schäden.
Die zwischen 1949 und 1954 wieder hergestellten Anlagen waren aber in den 90er
Jahren in einem Zustand, der ihre Überholung dringend erforderlich machte. Am
12. Mai konnte nach rund zehnjähriger Planungs- und Bauzeit der neue Gewächshauskomplex übergeben werden. Der Rektor der Universität Leipzig, Prof. Franz
Häuser, kommentierte dieses Ereignis mit
dem ihm eigenen Humor: „Wenn auch 10
Jahre lang erscheinen mögen, so darf sich
Prof. Morawetz (Direktor des Botanischen
Gartens, d. Red.) in jeder Hinsicht glücklich schätzen: Ist er doch einer der wenigen
Professoren, die bauliche Berufungszusagen noch vor ihrer Emeritierung vollendet
sehen können, ein eher seltenes Ereignis
im europäischen Universitätsleben.“
Heft 4/2004
Die neuen Gewächshäuser greifen den
klassizistisch geprägten Historismus der
alten Anlage auf und ergänzen zur Optimierung der inneren Funktionen und Zusammenhänge das alte Gebäude durch
Anbauten. Farblich dezent in Grau- und
Weißabstufungen ist die gesamte Anlage
gehalten, um die Wirkung der umgebenden
Natur nicht zu beeinträchtigen. Die Schaugewächshäuser wurden in einer modernen
Stahlkonstruktion nach historischem Vorbild errichtet. Mit dem Mangrovenhaus
übernahm man ihre klassische Hausform,
nur etwas niedriger. Parallel zum Mangrovenhaus gruppieren sich die Experimentalgewächshäuser. Die Baukosten für das
stattliche Ensemble mit rund 2 500 m2
Nutzfläche betrugen gut 8,2 Mio. Euro.
„Wir nutzen die Gewächshäuser wie den
gesamten Botanischen Garten in erster
Linie für Forschung und Lehre“, erklärt
Direktor Prof. Dr. Wilfried Morawetz.
„Profitieren wird von unseren Möglichkeiten aber auch die Wirtschaft, mit der wir
enge Kontakte pflegen. Die gesamte Anlage ist zudem ein Anziehungspunkt für die
Leipziger und ihre Nachbarn. Besonders
zu den Sonderausstellungen wie der Orchideen- oder Kakteenschau strömen die
Besucher in Scharen herbei und sind immer wieder entzückt über die Pflanzenvielfalt, die sich ihnen hier bietet.“
Dr. Bärbel Adams
In den Gewächshäusern des Botanischen Gartens
(großes Bild oben)
steckt jede Menge
Technik: Zum
Beispiel können
einzelne Fenster
automatisch ausgestellt (Bild Mitte)
und Markisen zur
Beschattung ausgefahren werden
(Bild links).
Fotos:
Armin Kühne
und Kornelia
Tröschel (2)
21
UniCentral
Vom Trabi bis zum Mercedes
Warten, reparieren, improvisieren –
die Betriebstechniker der Universität
Von Carsten Heckmann
Aus dem sechsten Stock des Uni-Hauptgebäudes hat man einen schönen Blick auf
die Dachlandschaft der Leipziger Innenstadt. Wenn man aus dem Fenster schaut.
Wieland Flick blickt hier lieber auf
Computermonitore – und hat einen Blick
auf die gesamte Universität. Bestehend aus
Grundrissen, bunten Querverbindungen
und Zahlen, Zahlen, Zahlen. Flick ist einer
von vier Schichtleitern, die zusammen mit
ihren Mitarbeitern rund um die Uhr die
Dispatcher-Zentrale der Betriebstechnik
besetzen. Man könnte auch sagen: Hier befindet sich das technische Gehirn der Alma
mater Lipsiensis. 25 000 Messpunkte sind
über die Universität verteilt, jeder von
ihnen meldet seine Werte an die Zentrale.m
Ob Heizung, Klimaanlage oder Aufzug –
fällt etwas aus, dann fällt es Flick und
seinen Kollegen sogleich auf. Sie können
dann reagieren oder reagieren lassen.
Schließlich sind im Bereich Betriebstechnik allein 136 Menschen beschäftigt, die
sich um den reibungslosen technischen
Ablauf in 289 universitären Gebäuden und
deren Umgebung kümmern, darunter Elektriker, Aufzugsmonteure, Klempner, Maurer und sogar ein Dachdecker, der zugleich
Fußbodenleger ist. „Vor Ort schätzen unsere Mitarbeiter dann ein: Können wir das
selbst? Oder brauchen wir eine Firma?“,
erläutert Klaus Joseph, Leiter der Abteilung Betriebstechnik/Betriebsführung im
Dezernat für Planung und Technik. „Die
kleinen Reparaturen machen wir selbst. Da
können wir froh sein, unsere Handwerker
zu haben. Würden wir damit jedes Mal eine
Firma beauftragen, würde das ein Vielfaches kosten“, so Joseph. „Zudem kennen
unsere Leute jeden Wasserhahn und jede
Schraube.“
Und sie kennen die typischen Zipperlein
der Anlagen. Nicht nur der alten, an denen
der Zahn der Zeit zum Teil kräftig genagt
hat. Auch nagelneue sind nicht gegen Ausfälle gefeit. „Vor allem ist die Anfälligkeit
eher größer geworden. Es steckt ja viel
mehr Technik drin“, erläutert Klaus Joseph. „Früher bestand ein Abzug bei den
Chemikern aus einem Labortisch mit
einem Abfluss und einem Holzgestell. Es
waren Scheiben drumherum, drinnen gab’s
einen Gas- und einen Wasserhahn. Heute
ist so was ein High-Tech-Gerät mit zig
Messungen: Unterdruck, Überdruck, Luftqualität und und und. Die Fakultät für Chemie hat fast 400 solcher Digestorien!“
Joseph führt für den mitunter schwierigen
Umgang mit der Top-Technik gern folgendes Beispiel an: „Einen Trabi konnte mit
ein bisschen technischem Verständnis jeder
reparieren. Bei einem Mercedes stehen Sie
heute erst mal fast ahnungslos davor. So
geht’s uns im Grunde mit den modernen
Anlagen.“
Damit die Betriebstechniker aber nicht jedes Mal gleich die Herstellerfirma heranholen müssen, wenn es ein Problem gibt,
ist Joseph daran gelegen, dass ganz be-
Bücher unterwegs
Wird in der Albertina ein Buch bestellt,
muss es einen weiten Weg zurück legen.
An einer von 27 Stationen wird das Buch
zusammen mit anderen, die das gleiche
Ziel haben, in einen Behälter gepackt und
mittels eines Code-Systems entsprechend
adressiert. Dazu wird der Bestimmungsort
mit Hilfe von Reglern außen am Behälter
eingestellt (Bild links). Der Behälter wird
22
auf das Transportband gestellt und muss
warten, bis das System elektronisch ein
Fahrwerk ruft. Lädt das Fahrwerk (Bild
Mitte) den Behälter auf, erkennt es die Position der Regler, liest also den Code. Dadurch kann es die Bücher auf den Schienen,
die sich durch alle acht Etagen des Gebäudes ziehen (Bild rechts), zum Zielort transportieren. Ungefähr 500 Behälter stehen
zur Verfügung, die unabhängig von den 25
Fahrwerken befüllt werden können. Somit
können die Behälter an beliebiger Stelle
eingesetzt werden und die Mitarbeiter
müssen die Bücher nicht umladen.
Die Buchbeförderungsanlage wird von
den Betriebstechnikern der Universität
betreut.
Text und Fotos: Kornelia Tröschel
journal
UniCentral
stimmte Anlagen in die Uni-Gebäude kommen. Anlagen, auf die seine Leute geschult
sind. „Es gibt zum Beispiel zig Hersteller
für Leittechnik. Jeder hat seine eigene
Schrift, um es mal so auszudrücken. Da
wollen wir gern bei einer Schrift bleiben.“
Bei der Gebäudeleittechnik ist das Uni-weit
gelungen, für die Campus-Neugestaltung
ist der Wunschzettel en détail geschrieben.
Das Ziel: keine unbekannten Anlagen, dadurch eine leichtere, weil trainierte Handhabung und auch keine Signalverluste,
weil vielleicht eine Messanlage die Signale
der anderen nicht versteht.
„Bei den meisten Anlagen wird im Vergabeverfahren der günstigste Anbieter ge-
Impressionen von den Lüftungsanlagen
im Keller des Hörsaalgebäudes am
Augustusplatz – nur einer von vielen
Arbeitsplätzen der Betriebstechniker.
Hier stehen sich Neu und Alt teilweise
direkt gegenüber, wie im linken Bild zu
sehen.
Fotos: Kornelia Tröschel
nommen“, berichtet Joseph. „Bei Wasserrohren gibt es Dutzende Presssysteme, mit
denen die Rohre verbunden werden. Wir
können uns aber nicht 24 verschiedene
Presswerkzeuge kaufen. Also müssen wir
bei Havarien improvisieren. Da arbeiten
wir dann eben mit Schellen und Schraubverbindungen oder es wird gelötet. Bloß,
damit es erst mal weitergehen kann.“
Improvisationstalent ist auch gefragt, wenn
es keine Ersatzteile mehr gibt für Gerätschaften, die einige Jahrzehnte alt sind.
Bestes Beispiel: die Technik unter dem
Haupt- und dem Hörsaalgebäude. „Die
Schaltzellen in unserer 10-kV-Anlage sind
unverwüstlich – aber sie werden nicht mehr
hergestellt. Jetzt gehen uns die Ersatzteile
aus, die letzten haben wir aus Polen geholt“, erzählt Eckhard Weigt. Der Elektromeister, zuständig für die Betriebstechnik
in der Stadtmitte, ist seit 1977 an der Universität tätig.
Heft 4/2004
Im gleichen Jahr gingen
die Lüftungsanlagen im
Hörsaalgebäude in Betrieb. Es gibt auch neue,
aber 80 Prozent der Anlagen sind noch die alten. Im
Keller unter den Hörsälen
verbreiten sie im flauen Licht der Leuchtstoffröhren einen morbiden Charme. Rost
frisst sich durch die Metallhäute, die Farbe
blättert allenthalben, manchmal tropft
Wasser aus einem Rohr. Aber die Lüftung
läuft. Ohne regelmäßige Wartung undenkbar.
Apropos Wartung: Die Betriebstechnik ist
auch dafür zuständig, die 1 675 Brandschutztüren der Universität einmal im Jahr
zu warten. Und die 21 000 elektrischen Geräte (dazu zählt sogar jede Tischlampe)
nachzusehen, im Turnus von ein oder zwei
Jahren, je nach Vorschrift. Dass die 63 Aufzüge immer fahren sollen, ist auch klar.
Die Liste könnte noch über einige Zeilen
fortgesetzt werden. Aber machen wir’s
kurz: Die Mitarbeiter der Betriebstechnik
kümmern sich. Sie halten instand, sie reparieren – wenn sie denn von einem Problem
erfahren. Bei einem Stromausfall oder
einer kaputten Heizung ist das keine Frage.
„Aber wenn auf einem WC, das niemandem persönlich zugeordnet ist, der Wasserhahn tropft oder die Toilette verstopft ist,
dann meldet sich kaum jemand bei uns.
Immer weniger Mitarbeiter denken mit,
fühlen sich verantwortlich“, konstatiert
Eckhard Weigt. „Dabei sind wir auf ihre
Informationen wirklich angewiesen.“
23
UniCentral
Die Feuerwehr
vom Augustusplatz
Hinter den Kulissen des Uni-Rechenzentrums
Von Kornelia Tröschel
„Jeder Computer, der in der Universität im Netz ist, hat uns irgendwann
einmal Arbeit gemacht und beschert
sie uns eventuell mal wieder“, bemerkt Dr. Günter Tomaselli, der
stellvertretende Leiter des Universitätsrechenzentrums (URZ). Sein
Kollege Wolfram Herwig ergänzt:
„Jeder Rechner hat irgendwann ein
Problem.“
Über 8 000 Netzobjekte – Computer, Netzwerkdrucker, Server u. a. –
betreuen die 41 Mitarbeiter des
URZ. Darunter befinden sich allein
5 000 Computer und eine Anzahl
zentraler Server (Daten-, Web- und
Mailserver). Auf dem Web-Server
sind 900 Accounts vergeben, der
Mailserver verwaltet ca. 5 000 Accounts. Jeden Tag kommen im
Durchschnitt 65000 Mails an den
fünf Eingangsservern an. Durch Der 10-Gigabit-Netzknoten
Virenscanner werden davon ca. 50 im Rechenzentrum.
Foto: Kornelia Tröschel
Prozent ausgesondert, der Rest
durchläuft eine Spam-Kontrolle, die
davon nochmals etwa 40 bis 50 Prozent als Auch wenn das URZ über verschiedene
wahrscheinlich wertlose Nachricht kenn- Werkzeuge zur Überwachung des Netzes
zeichnet. Die Mitarbeiter des URZ sind verfügt, befindet es sich in einem Ausnahsowohl für die Konzeption, den Aufbau mezustand, erklärt Herwig: „Seit der Pround Betrieb des Netzes und die Funktion blematik mit den Blaster-Würmern vor
seiner Dienste als auch für die zentrale und einem Jahr haben wir im Netzwerk im
dezentrale Server-Technik und die Nutzer- Grunde einen Kriegszustand. Diese Verbetreuung zuständig. Herwig räumt aller- suche, Rechner und Server auszupusten
dings ein: „Das Gewicht hat sich seit und Dienste unverfügbar zu machen, erungefähr einem Jahr fatalerweise zu den schweren uns das Leben.“ Die VirenüberFeuerwehreinsätzen hin verschoben. Wir fälle sind demnach ein Grund für das
müssten aber viel mehr Zeit und Kraft manchmal schwerfällig funktionierende
haben, um IT-Strukturen aufzubauen, zu Netzwerk. Mitunter wirken sich auch Dawarten, pflegen und weiterzuentwickeln.“ tensicherungen, bei denen in kurzer Zeit
Viel Zeit müssen die Mitarbeiter der vier große Datenmengen bewegt werden, lähAbteilungen – Netzwerkbetreuung, Rech- mend aus. Täglich werden Dateien auf der
nerbetrieb, Fachberatung/Anwendersoft- Festplatte eines besonderen Servers geware und Arbeitsplatzrechner/Ausbildung spiegelt und zusätzlich in regelmäßigen
(vor allem Rechnerpools) – am Telefon Abständen auf ein Magnetband abgezogen,
verbringen. Vor allem bei Netzausfällen, so dass bei Problemen die Daten rekonVirenbefall oder anderen Problemen im struiert werden können.
Besonders durch Viren kann viel Schaden
Netzwerk laufen die Telefone heiß.
24
am Betriebssystem angerichtet werden. Die Systeme nach dem „Stand
der Kunst“ zu sichern, d. h. für die
Aktualität der Antiviren-Software
und die Nachführung von sogenannten Patches für die Sicherheitslücken im Betriebssystem zu sorgen, ist deshalb wichtig, hebt Herwig hervor. Hingearbeitet werde
auch auf eine gute Zusammenarbeit
mit Hilfskräften oder Mitarbeitern,
„die als IT-Gurus vor Ort fungieren“
und so das URZ entlasten können.
Ein weiteres Problem, das URZ-Leiter Dr. Thomas Friedrich und seinen
Mitarbeitern Kopfzerbrechen bereitet, ist der Campus-Neubau. Die
Räume des Rechenzentrums – Rechnerraum, Netzwerklabore, Lagerräume, Pools, Mitarbeiterbüros – befinden sich im Hauptgebäude, im
Seminargebäude und im Keller des
Hörsaalgebäudes. Wie sie jedoch in
den zukünftigen Neubau integriert
werden, ist nicht geklärt. Problematisch wird es in jedem Fall während der
Bauphase, da die laufende Funktion des im
Keller befindlichen Netzknotens rund um
die Uhr garantiert werden muss. Es handelt
sich um einen Knoten des 10-Gigabit-Forschungsnetzes, von dem nicht nur die Universität Leipzig, sondern fast alle Leipziger
Forschungseinrichtungen sowie die Hochschulen Sachsens, Thüringens und z. T.
Sachsen-Anhalts versorgt werden. Er muss
höchstwahrscheinlich umgesetzt werden –
laut Wolfram Herwig ein komplexes, arbeitsaufwändiges Unterfangen.
Positives gibt es in Sachen technische Aufrüstung zu berichten: Die URZ-Mitarbeiter
hoffen auf die Genehmigung ihres Antrags
für einen neuen Hochleistungsrechner.
Auch von der Einrichtung eines FunkLAN (Local Area Network) ist die Uni
nicht mehr weit entfernt: Die ersten Tests
sollen noch dieses Jahr in der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät erfolgen.
journal
Studiosi
Per Anhalter ins
neue Europa
Interview mit Anna Driftmeier
von Radio mephisto 97,6
Mephisto 97.6, das Lokalradio der Universität Leipzig, organisierte einen unkonventionellen Zugang zu den neuen EU-Ländern. Zehn junge Journalisten des UniRadios trampten in den Pfingstferien von
Leipzig aus los, um eine Woche lang per
Anhalter die neuen EU-Beitrittsländer zu
bereisen. In fünf Teams mit jeweils unterschiedlichen Zielländern waren sie auf der
Suche nach interessanten Alltagsgeschichten. Mephisto-Chefredakteurin Anna Driftmeier berichtet im Interview mit dem UniJournal über ihre Erfahrungen und Impressionen aus Tschechien und der Slowakei.
Der Dichter Johann Wolfgang von
Goethe hat einmal behauptet, eine Reise
gleiche einem Spiel. Es ist immer etwas
Gewinn und Verlust dabei – meist von
der unerwarteten Seite. Was hat Sie
überrascht?
Mich hat beeindruckt, wie freundlich die
Leute waren und wie problemlos wir vorwärts gekommen sind. Die Leute waren
extrem freundlich. Wir sind z. B. mit einem
gefahren, der hat sich vor das nächste Auto
geschmissen, hat dem Typen auf Tschechisch erklärt, wo wir hin wollten und hat
unsere Sachen ins Auto reingeräumt. So
etwas habe ich
Deutschland noch
nie erlebt. Landschaftlich hat mich
die Hohe Tatra am
meisten beeindruckt, die Slowakei an sich
sah ganz anders aus als Tschechien.
Wer hat Konzept und Route gestaltet?
Unser Programmdirektor Sven Jánszky,
der uns mit Rat und Tat zur Seite steht, hat
ein Konzept geschrieben, und wir als Chefredaktion fanden das ganz gut. Planungstechnisch gab es noch ein Orga-Team, das
zu Hause die Sendezeit koordiniert und die
Route nachgezeichnet hat. Wohin wir fahren, haben wir aber immer selbst entschieden. Wir wollten z. B. am ersten Tag nach
Pilsen, saßen dann aber in einem Auto, das
nach Prag fuhr. Die Slowakei ist leider im
Endeffekt zu kurz gekommen, weil es einfach zu wenig Zeit war. Wir haben unterschätzt, dass Trampen so lange dauert.
Warum seit ihr getrampt?
So war es eben schon zwangsläufig, dass
man mit den Leuten in Kontakt, ins Gespräch kommen musste. Wenn man Glück
hatte, konnte man noch was unternehmen
oder sogar bei ihnen übernachten. Obwohl
es auch teilweise unangenehm war. Wir haben mal einen Pfarrer gefragt, ob wir im
Eingangsbereich der Kirche oder im Pfarrhaus schlafen könnten. Der hat uns dann
eine Moralpredigt gehalten. Oft dachte
ich aber: Was sollen die Leute denken, wir kommen aus Deutschland,
haben Digitalkameras dabei, aber
kein Geld, um irgendwo zu übernachten. Es wäre aber auch anders
gegangen. Wir hatten ja Taschengeld, hätten also auch in Hotels schlafen können.
Ist es möglich, ein Land in zehn Tagen
kennen zu lernen?
Nein. Aber das war auch nicht der Anspruch. Das war ja wirklich nur ein Tagebuch, was wir geschrieben haben. Wir
konnten nur Ausschnitte bieten aus den
Ländern. Die Leute, die da leben, sind aber
auch nicht so viel anders als wir.
Es heißt, das Reisen führt uns zu uns zurück. Haben Sie davon etwas bemerkt?
Na klar, in Form von Sichtweisen. Einfach
auf andere Leute zugehen, mehr aus sich
rausgehen, als man das sonst tut. Alles
geht, man kommt überall weg, man kann
alles machen, man kann jeden ansprechen.
Man blamiert sich nicht wirklich.
Gab es für Sie auch einen handwerklichen Lerneffekt bei dieser Aktion?
Auf jeden Fall. Wir sind ja sonst immer in
Leipzig. Aber bei der Aktion konnten wir
Auslandskorrespondenten sein. Wir hatten
jeden Tag, zwischen zehn und zwölf Uhr,
Live-Gespräche mit mephisto und beim
Deutschlandfunk. Wir haben cross-medial
gearbeitet, d. h. noch parallel ein Internettagebuch geführt. Es war auch neu, mit
dem Druck zu experimentieren, jeden
Abend ein Produkt abzuliefern.
Was macht ihr nun mit den Erfahrungen?
Jeder von uns hat vier oder fünf Kassetten
mit nach Hause gebracht. Daraus haben
wir ein Feature gemacht. Dann machen wir
noch für die Deutsche Welle ein paar Beiträge. Außerdem hatte die Bundeszentrale
für politische Bildung uns Fragebögen zur
EU-Osterweiterung mitgegeben. Die Antworten müssen wir transkribieren und aufarbeiten.
Wie sahen die Reaktionen im Nachhinein aus?
Ja, im Nachhinein war alles super. Es gab
vorher einige Skeptiker, aber niemand hat
sich verletzt und kein Gerät ist kaputtgegangen. An der Uni habe ich es erlebt, dass
irgendwelche Leute im Seminar gesagt haben: Mensch, was ihr da gemacht habt!
Also ich glaube, das kam ganz gut an.
Das Interview führte Karsten Steinmetz.
Anna Driftmeier telefonierend an einer
Landstraße in Tschechien.
Foto: mephisto 97,6
25
Studiosi
Neue Leser dringend gesucht
Deutschsprachige Zeitungen in Russland
Von Hendrik Sittig, Journalistik-Absolvent
Geschichte
Deutschsprachige Zeitungen haben in
Russland eine lange Tradition. Im Jahr
1727 wurde auf Initiative von Zar Peter
dem Großen die St. Petersburgische Zeitung gegründet. Die eigentliche Grundlage
für ein deutschsprachiges Pressewesen
wurde jedoch erst einige Jahrzehnte später
gelegt. Zarin Katharina II., eine deutsche
Prinzessin auf dem russischen Thron, ließ
in Deutschland Bauern
und Handwerker anwerben. Tausende kamen,
angelockt mit Steuervorteilen und Befreiung
von der Wehrpflicht.
Nachdem sich in St. Petersburg und Moskau
bereits ein deutschsprachiges Pressewesen herausgebildet hatte, erschienen ab Mitte des
19. Jahrhunderts die
ersten Zeitungen der
deutschen Siedler. In
den beiden großen Siedlungsgebieten der Deutschen, an der Wolga und
im Schwarzmeergebiet,
entstanden zahlreiche
Zeitungen. Bis in die
zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts waren
die Blätter der Deutschen eher russische
Zeitungen in deutscher Sprache. Nationale
Bekenntnisse waren ihnen fremd. Mit dem
I. Weltkrieg wurden jedoch alle Blätter in
deutscher Sprache verboten.
Nach der Oktoberrevolution erhielten die
Zeitungen neue Aufgaben als kollektiver
Propagandist, Agitator und Organisator.
Das betraf ebenso die deutschen Zeitungen, die durch die bolschewistische Nationalitätenpolitik wieder erscheinen durften.
Entsprechend dem sowjetischen Zentralisierungsbestreben wurde auch das Pressewesen strukturiert. Überwacht von einer
Moskauer Deutschen Zentral-Zeitung für
alle Sowjetdeutschen und einer Zeitung der
26
deutschen Sowjetrepublik an der Wolga,
den Nachrichten, erschienen in den Landkreisen als auch in einzelnen Orten eigene
Blätter. Ihren russischen Pendants gleichgeschaltet, verkündeten sie die Erfolge der
kommunistischen Idee, propagierten die
Kollektivierung der Landwirtschaft und
unterstützten die Erfüllung der Fünf-Jahres-Pläne.
Mit dem Überfall Hitlerdeutschlands auf
die Sowjetunion 1941 begann der Abstieg
der russlanddeutschen Kultur in die staatlich befohlene Bedeutungslosigkeit. Über
eine Million Russlanddeutsche wurden zu
Landesverrätern gestempelt und nach
Sibirien und Zentralasien deportiert. Tausende Menschen kamen dabei ums Leben.
Erst zehn Jahre nach Ende des Krieges
wurden die Zwangsmaßnahmen aufgehoben.
In der Sowjetunion nach dem II. Weltkrieg
erschienen drei deutsche Zeitungen: Ein
zentrales Blatt (Neues
Leben) aus Moskau mit
mehreren Hunderttausend Exemplaren sowie
zwei regionale Zeitungen – die Rote Fahne in
der Altai Region und
die Freundschaft in der
Kasachischen Sowjetrepublik. Die Grundlage für diese Blätter
wurde 1955 mit der Zeitung Arbeit gelegt, die
im westsibirischen Barnaul ihre Redaktion
hatte. Sie erschien jedoch nur eineinhalb
Jahre. Auch wenn diese
Blätter sehr systemangepasst waren, erschienen doch viele
deutsche Inhalte. Insbesondere ist ihnen
der Erhalt der russlanddeutschen Literatur
zu verdanken.
Gegenwart
Köpfe deutschsprchiger Zeitungen in
Russland aus verschiedenen Jahrhunderten.
Heute erscheinen in Russland 17 Zeitungen, die mehr oder weniger als deutschsprachig bezeichnet werden können. Zumindest besitzen sie alle deutsche Titel.
Herausgegeben werden die meisten Zeitungen von Zentren der deutschen Kultur,
die in den von Russlanddeutschen bewohnten Gebieten eingerichtet wurden.
Hinzu kommen Zeitungen russlanddeutscher Organisationen sowie von Privatpersonen oder Administrationen.
journal
Unter den Zeitungen sind nur noch vier, die
vollständig auf Deutsch herauskommen.
Alle anderen veröffentlichen Beiträge sowohl in deutscher als auch in russischer
Sprache. Dies ist darauf zurückzuführen,
dass der Assimilierungsprozess der Russlanddeutschen immer weiter fortgeschritten ist. Hinzu kommt, dass seit Anfang der
1990er Jahre fast zwei Millionen Russlanddeutsche nach Deutschland ausgewandert sind. So ist den Zeitungen ihre wichtigste Zielgruppe abhanden gekommen.
Neue Leser sind nötig. Deutsch-Lehrer und
-Studenten scheinen eine Alternative zu
sein. Viele Chefredakteure sehen in dieser
Gruppe Hoffnungen für ihre Zeitungen.
Weitere Zielgruppen sind deutsche Touristen sowie Deutsche, die in Russland
leben.
Das schwierigste Problem ist die Finanzierung. Die Zeitungen besitzen meist nur wenige Abonnenten; und Werbung zu akquirieren, ist für sie wegen ihrer niedrigen
Auflage und eines engen Leserkreises
nahezu unmöglich. Sie sind angewiesen
auf finanzielle Zuschüsse aus staatlichen
Fördertöpfen. Doch einzig die Moskauer
Deutsche Zeitung – mit einer Auflage von
über 30 000 Exemplaren die größte unter
den Zeitungen – erhält einen finanziellen Grundstock an deutschen Fördergeldern.
Die Inhalte der Zeitungen sind nicht einheitlich. Die meisten Zeitungen veröffentlichen vor allem Beiträge, die sich mit dem
aktuellen Leben sowie der Geschichte der
russlanddeutschen Volksgruppe beschäftigen. Hinzu kommen aktuelle Berichte aus
Russland und Deutschland sowie Materialien, die im Deutschunterricht verwendet
werden können. Die Zeitungen erfüllen
heute drei Aufgaben: Erhalt der russlanddeutschen Volksgruppe, Bildung einer
Brücke zwischen Russland und Deutschland sowie eine Orientierungsmöglichkeit
für Deutsche in Russland. Die Redakteure
wollen verstärkt auf die sehr guten deutschrussischen Beziehungen aufbauen. Durch
die kulturellen und wirtschaftlichen Verbindungen werde sich auch die Popularität
der deutschen Sprache erhöhen, hoffen sie.
Der Autor hat an der Universität Leipzig
Journalistik studiert und seine Diplomarbeit über die Geschichte und Gegenwart
der deutschsprachigen Zeitungen in Russland geschrieben. Dafür recherchierte er
auf einer mehrmonatigen Forschungsreise
von Sibirien bis nach Königsberg (Kaliningrad).
Heft 4/2004
Leipziger und russische Studierende besuchten gemeinsam die Redaktion der
englischsprachigen Sankt Petersburg Times.
Foto: Tobias D. Höhn
Journalistik-Studierende in St. Petersburg
Pressefreiheit? Ein Fremdwort!
Fast zwei Jahrzehnte nach dem von Michail
Gorbatschow postulierten Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) ist
es um die Unabhängigkeit von Rundfunk
und Zeitungen in Russland schlecht bestellt. Die in der Verfassung verankerte
Medienfreiheit ist eine bloße Worthülse.
Dies mussten vier Leipziger JournalistikStudierende bei einem Workshop mit russischen Kommilitonen feststellen. „Die zumeist unkritische Presse finde ich erschreckend, verstehe jedoch ihre Entstehung.
Deshalb würde ich den russischen Journalismus nicht als minderwertig bezeichnen,
sondern ich akzeptiere vielmehr die sich
dahinter verbergenden Ursachen“, sagt die
Leipziger Studentin Andrea Röder.
Zwar gibt es im Russland des 21. Jahrhunderts eine große Zahl an Medien, doch der
größte Teil wird vom Staat gelenkt und
vom Fiskus finanziert. Der Kreml kontrolliert, was an die Öffentlichkeit gerät – dessen sind sich auch viele Journalisten bewusst. Eine Studentin der Journalistischen
Fakultät der St. Petersburger Staatlichen
Universität und Redakteurin einer dortigen
Lokalzeitung berichtet, dass sie bei ihrer
Arbeit PR-Informationen der Stadtverwaltung als Fakt wahrnehmen müsse. Widerspruch zwecklos.
Um den angehenden Journalisten zu zeigen, dass es auch anders geht, lehrt seit
einem Jahr die Leipziger Absolventin
Cornelia Riedel als Lektorin der RobertBosch-Stiftung in St. Petersburg Journalistik. Sie hatte den deutsch-russischen Gedankenaustausch organisiert. „Ausgehend
von meiner eigenen Ausbildung in Leipzig
wollte ich den russischen Studenten zeigen, was kritischer Journalismus bedeutet“, sagt die Diplom-Journalistin.
In deutsch-russischen Gruppen gingen die
Journalistikstudenten in der Fünf-Millionen-Metropole gemeinsam auf Recherche.
Sie besuchten ein Kinderheim, interviewten einen Autohändler, der deutsche Wagen
vertreibt, und wagten einen Blick hinter die
Kulissen der Schatzkammer Russlands, der
Eremitage. „Beim Recherchieren ist mir
aufgefallen, dass die russischen Studenten
wahnsinnig autoritätshörig sind“, bilanziert Student Stephan Radomsky.
Am Ende habe ein beiderseitiges Lernen
gestanden. Die Russen schauten sich Interviewtechniken und Grundzüge des investigativen Journalismus ab, und die Gäste aus
Westeuropa erlebten hautnah, was sie sonst
nur aus überregionalen Zeitungen und
Fachbüchern wussten: Schikane und Korruption gehören zum Alltag russischer
Journalisten, die Zahl der oppositionellen
Medien ist verschwindend gering. Wer
politisch oder wirtschaftlich brisanten Themen auf den Grund gehen will, muss dies
manchmal mit seinem Leben bezahlen.
Die Leipziger Absolventin Riedel sagt
nach einem Jahr Russland: „Eine Kultur
des kritischen Journalismus, in der Medien
als vierte Gewalt wie in Deutschland gelten, gibt es nicht.“ Im Gegenteil. Ihr Gehalt
von etwa 50 Euro pro Monat bessern sich
viele Journalisten in Lokalzeitungen durch
bezahlte PR-Artikel auf.
Trotz dieser Erfahrungen „aus einer anderen Welt“ könnte sich Journalistikstudent
Radomsky eine Arbeit als Auslandskorrespondent vorstellen. „Ich finde es spannend,
sich mit der persönlichen Lage von Menschen in anderen Ländern und Kulturen
auseinanderzusetzen.“ Neben der Sprachbarriere gelte es aber auch die kulturellen
Grenzen zu überwinden, um im Alltag den
richtigen Ton anzuschlagen. „Ein Problem,
das mir auch in St. Petersburg begegnet ist.
Aber mit offenen Augen und ein bisschen
Übung glaube ich, dass man die Fettnäpfchen bald kennt und sie umschiffen kann.“
Tobias D. Höhn
27
Studiosi | Personalia
Online-Magazin von Journalistik-Studierenden
Einheit oder „Scheinheit“?
14 Journalistik-Studierende der Universität
Leipzig haben das Online-Magazin
www.scheinheit.de gestartet. Es geht der
Frage nach, welche Probleme es fast anderthalb Jahrzehnte nach der deutschen
Wiedervereinigung im Zusammenwachsen
von Ost- und Westdeutschland noch gibt.
Im Rahmen eines Seminars zum OnlineJournalismus am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft unter der
Leitung von Prof. Dr. Marcel Machill und
Diplom-Medienwissenschaftler Markus
Beiler blickten die Studierenden aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema.
In verschiedenen Beiträgen wird analysiert, wie gespalten Deutschland noch ist.
Es wird gezeigt, inwieweit die neuen Länder wirtschaftlich aufgeholt haben und
warum viele Ostdeutsche in den Westen
abgewandert sind. Die studentischen Chefredakteure Timo Gramer und Florian Treiß
fühlten sich durch einen Leitartikel der
Leipziger Volkszeitung angespornt: „Die
LVZ behauptete im Dezember, dass die
Deutschen keine einheitliche Familie
seien. Dabei warb Leipzig für Olympia
doch gerade mit dem Slogan: one family.“
Das Online-Magazin gibt zudem Rück-
blicke auf den Wendeherbst 1989 und
Unvergessliches aus 40 Jahren getrennter
Geschichte wie Jürgen Sparwassers Jahrhunderttor. Die Studierenden diskutieren
auch, inwieweit heute in der Öffentlichkeit
sachlich mit Stasi-Kontakten umgegangen
wird. Ganz persönliche Einblicke gewähren
Interviews mit Spitzen-Sportlern über ihren
„Seitenwechsel“ von Ost nach West und
umgekehrt. Außerdem hat die Redaktion
Studierende besucht: „Ossis“ im Westen
und „Wessis“ in Leipzig. Daneben gibt es
humoristische Anekdoten zu Sprach- und
Verständigungsschwierigkeiten zwischen
Ost- und Westdeutschen – Stichwort: „viertel sieben“. Mit einem nicht ganz ernst gemeinten Quiz können Besucher testen, ob
sie eher „Ossi“ oder eher „Wessi“ sind.
„Das Online-Magazin verbindet den Anspruch der Universität Leipzig, Journalisten von morgen nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch auszubilden“, erläutert
Prof. Dr. Marcel Machill, „die Studenten
haben äußerst engagiert ein hervorragendes Web-Special konzipiert und umgesetzt.“ Finanziell gefördert wurde das Online-Magazin durch die Medienstiftung der
Sparkasse Leipzig.
r.
Screenshot der „Scheinheit“-Homepage.
28
Zum 70. Todestag
von Erich Everth
Journalismus
als soziale Form
gedacht
Erich Everth
Am 22. 6. 1934 starb Erich Everth, der an
der Universität Leipzig die erste ordentliche Professur für Zeitungskunde in
Deutschland innehatte.
Everth, am 3. 7. 1878 in der Reichshauptstadt Berlin geboren, begann nach dem
Abitur, an den Universitäten Berlin und
Leipzig Rechtswissenschaft, Philosophie,
Kunstwissenschaft und Psychologie zu studieren. Gelehrte wie Ernst Cassirer, Max
Dessoir und Georg Simmel gehörten zu seinen Lehrern. Angeregt von Dessoir, arbeitete er an ästhetisch-kunstphilosophischen
Fragen und reichte eine Promotionsschrift
zu dieser Thematik bei den Kunstwissenschaftlern August Schmarsow und Johannes Volkelt ein. An der Philosophischen
Fakultät der Universität Leipzig erwarb er
im Mai 1909 seine Doktorwürde.
Anschließend arbeitete er als Journalist
fast zwei Jahrzehnte für große Zeitungen:
Erst war er bei der alldeutschen RheinischWestfälischen Zeitung sowie der liberalen
Magdeburgischen Zeitung beschäftigt.
Gleich mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 ging er an die Ostfront, danach
zur Presseabteilung des Oberbefehlshabers
Ost. Gegen Ende des Krieges und in der
Weimarer Republik war er beim Berliner
Tageblatt, dem Leipziger Tageblatt sowie
bei der Vossischen Zeitung wieder journalistisch tätig. Die Artikel für diese Zeitungen verfasste Everth als liberaler Demokrat, der die Weimarer Staats- und Rechtsordnung konsequent vermittelte.
Als Everth 1926 die Berufung an das Leipziger Institut für Zeitungskunde bekam und
journal
Personalia
das eben eingerichtete Ordinariat für
Zeitungskunde übernahm, hat er sich entschlossen der Definition der genuinen Erkenntnisgegenstände sowie der Methodik,
Theorie und Systematik der Zeitungswissenschaft gewidmet. Bereits in der Antrittsvorlesung wies er deutlich die Richtung seines weiteren Programms: Basierend auf einer funktionalen Perspektive
dachte er Journalismus und Zeitung als soziale Formen, die mit allen anderen gesellschaftlichen Institutionen und Systemen in
Wechselwirkung stehen, und wies ihnen
eine zentrale Funktion in Gesellschaft und
Öffentlichkeit zu: innerhalb dieser zu vermitteln. 1933 hat er als einziger Zeitungswissenschaftler mutig die Eingriffe der
Nationalsozialisten in die Meinungs- und
Pressefreiheit kritisiert.
Im April 1933 zwangsweise beurlaubt, bat
Everth bald um seine Emeritierung und
starb im Juni 1934 in Leipzig.
Erik Koenen, Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft
Geburtstage
Philologische Fakultät
65. Geburtstag
Prof. Dr. Anita Steube, Institut für Linguistik, am 20. 6.
75. Geburtstag
Prof. Dr. em. Brunhilde Schrumpf, Institut
für Germanistik, am 31. 8.
80. Geburtstag
Prof. Dr. em. Rudolf Große, Institut für
Germanistik, am 28. 7.
Fakultät für Sozialwissenschaften und
Philosophie
60. Geburtstag
Prof. Dr. Georg Meggle, Institut für Philosophie, am 21. 5.
Sportwissenschaftliche Fakultät
60. Geburtstag
Dr. Sieghart Hofmann, Institut für Sportpsychologie und Sportpädagogik, am 8. 7.
Prof. Dr. Jürgen Krug, Dekan der Sportwissenschaftlichen Fakultät, am 17. 8.
Fakultät für Chemie und Mineralogie
65. Geburtstag
Prof. Dr. Joachim Sieler, Institut für Anorganische Chemie, am 29. 7.
Der Rektor der Universität und die Dekane der
einzelnen Fakultäten gratulieren herzlich.
(Die Geburtstage werden der Redaktion direkt
von den Fakultäten gemeldet. Die Redaktion
übernimmt für die Angaben keine Gewähr. Das
gilt auch für deren Vollständigkeit.)
Heft 4/2004
Zum 100. Todestag des
Ehrendoktors
Nerudas
neue
Lyrik
Am 12. 7. wäre er 100 Jahre alt geworden:
Pablo Neruda, der große chilenische Dichter, Nobelpreisträger des Jahres 1971 und
bereits seit 1967 Ehrendoktor der Universität Leipzig. Prof. Dr. Alfonso de Toro,
Direktor des Ibero-Amerikanischen Forschungsseminars der Universität (IAFSL)
vergleicht Nerudas von Originalität und Erfindungskraft geprägte Rolle im Bereich
der Dichtung mit der Picassos in der Malerei. „Pablo Neruda gründete nicht nur eine
‚neue Lyrik‘ in Chile und Lateinamerika,
sondern leitete einen Paradigmenwechsel
ein“, so de Toro. Er habe sich an die Spitze
einer neuen literarischen Bewegung gestellt,
die Jaime Alazraki als „Postavantgarde“ im
Sinne einer existenziellen, symbolistischen
und intimen Lyrik bezeichnete.
Folgerichtig trug das zweitägige Kolloquium zu Ehren Nerudas am IAFSL im
Juni den Titel „Renovatio und Inventio:
Pablo Nerudas Lyrik und ein Paradigmenwechsel“. Prof. de Toro: „Neruda war sich
sehr bewusst über die Erneuerung, die
seine Lyrik bedeutete, sowohl, was die
sprachlichen Mittel als auch den Umgang
mit Themen und Gattungen betraf.“
Am Kolloquium nahm auch Prof. Dr. Kurt
Schnelle, Emeritus der Universität Leipzig,
teil. Er hatte die Ehrenpromotion Nerudas
eingefädelt – und lässt die Journal-Leser an
seinen Erinnerungen teilhaben: „Die Leipziger Romanistik fand sich durch Nerudas
poetische Ausstrahlungskraft und seine
menschliche Größe im Ringen um eine bessere Welt aufgerufen, dem wortmächtigen
Dichter die Ehrendoktorwürde anzutragen.“ Es begann eine erfolgreiche Reise
durch die Welt der Bürokratie, es folgte
„eine Reise zu seinem Herzen“, so Prof.
Schnelle. In Nerudas Haus in Isla Negra,
„einem verlorenen Ort an den Küsten des
Pazifik“, trug Schnelle das Anliegen der
Alma mater Lipsiensis vor. „Neruda wollte
einem anderen Kollegen den Vorrang geben“, berichtet Schnelle, der den Dichter
aber überzeugen konnte. „Seine Reise nach
Leipzig war für 1967 geplant, konnte je-
Pablo Neruda
© Archivo Fundación Pablo Neruda.
Alle Rechte vorbehalten.
doch nicht realisiert werden. Also wurde
beschlossen, den Dichter während einer
langen Reise durch den Kontinent in
Bogotá mit Hilfe der intellektuellen Welt
einzufangen und ihm im ‚Athen Amerikas‘
die Urkunde in einem feierlichen Akt
zu überreichen.“ Akademiker, Rektoren
und ehemalige Außenminister waren am
14. 10. 1968 anwesend. „Neruda hörte aufmerksam der Laudatio zu und dem lateinischen Text der Ehrenurkunde, mit dem sich
die Universität Leipzig als würdige Vertreterin humanistischer Traditionen auswies“, erinnert sich Schnelle.
Nerudas Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei Chiles und seine langen
Aufenthalte in der Sowjetunion und in
China dürften bei der Verleihung der Ehrenpromotion natürlich auch eine Rolle gespielt haben. Später, 1969, nominierte ihn
die Partei gar zu ihrem Präsidentschaftskandidaten. Er trat dann zugunsten des von der
Unidad Popular aufgestellten Kandidaten
Salvador Allende zurück, wurde nach dessen Sieg Botschafter Chiles in Frankreich.
1972 kehrte er nach Chile zurück. Kurz
nach dem Sturz und der Ermordung Allendes durch die Pinochet-Junta erlag Neruda
am 23. 9. 1973 einem Krebsleiden.
Prof. de Toro konstatiert: „Nerudas Werk
wird viel zu oft und bis zuletzt vorwiegend
mit seiner politischen Tätigkeit in Verbindung gebracht, und er als ein ‚Heimatlyriker‘ und Dichter der Massen gepriesen,
so dass sein literarisches Werk und seine
Bedeutung als Universaldichter in den
Hintergrund gerät.“ Daher wurde beim
Kolloquium die „Literarizität“ ins Zentrum
gestellt, z. B. mit den Themen Neruda und
der Surrealismus, Nerudas Lyrik in der
lateinamerikanischen Lyriktradition sowie
die Natur in der Lyrik Nerudas.
C. H.
29
Personalia
Neu
berufen:
Neu
berufen:
Neu
berufen:
Eli Franco
U. Heilemann
A. T. Wild
ist seit 1. April Direktor des Instituts für
Indologie und Zentralasienwissenschaften.
Der in Tel Aviv geborene Indologie-Professor will die Abteilung für Südasienwissenschaften aufbauen.
Franco hat in seiner Heimatstadt Philosophie und jüdische Philosophie studiert. Er
bekam 1977 ein Promotionsstipendium
der französischen Regierung und ging an
die Ecole des Hautes Etudes en Sciences
Sociales in Paris. In seiner Doktorarbeit
beschäftigte er sich mit der „Lokayata“, der
materialistischen Philosophie des klassischen Indien. Als nächstes erhielt Franco
ein Stipendium der österreichischen Regierung für einen Aufenthalt am Institut für
Indologie der Universität Wien und Studien am dortigen Institut für Tibetologie
und Buddhismuskunde. 1982 führte ihn ein
Stipendium der Alexander-von-HumboldtStiftung für anderthalb Jahre ans Seminar
für Kultur und Geschichte Indiens der Universität Hamburg. Anschließend kehrte er
an die Universität von Tel Aviv zurück,
wurde dort wissenschaftlicher Mitarbeiter.
1987 ging es zurück nach Deutschland:
Franco bekam einen Lehrauftrag am Institut für indische Philologie und Kunstgeschichte der FU Berlin und war erneut als
Humboldt-Stipendiat in Hamburg. Es verschlug Franco noch nach Melbourne, Kyoto und Tokyo, bevor er ab 1995 wieder als
Gastwissenschaftler in Hamburg tätig
wurde – und dort zunächst auch blieb, von
kurzen Forschungsaufenthalten anderswo
abgesehen. 1997 habilitierte Franco sich
im Fachgebiet Indologie an der Universität
Hamburg über den indischen Logiker
Dharmakirti. 2000 folgte eine weitere Habilitation in Wien, wo er zuletzt – nach
neuen Gastspielen in Oslo und Hamburg –
Lehraufträge am Institut für Südasien-, Tibet-, und Buddhismuskunde innehatte.
Der verheiratete Professor, der im Juni seinen 51. Geburtstag feierte, interessiert sich
auch für Paläographie. In seiner Freizeit
beschäftigt er sich mit Segeln, Tauchen,
Krimis und Filmen.
C. H.
ist seit 1. April Direktor des Instituts für Empirische Wirtschaftsforschung. In den Jahren 1994 bis 1996 hatte der gebürtige Leipziger mehrfach als Gastprofessor in Leipzig
gewirkt und die „attraktive Fakultät“ ebenso
schätzen gelernt wie „hoch motivierte Studenten“. Ihnen will er nun ein attraktives,
forderndes Lehrangebot bieten. Zudem will
er ein Forschungsprogramm initiieren, das
auch handlungsorientiert ist, sich insbesondere der Entwicklung umsetzungsfähiger
wirtschaftspolitischer Empfehlungen verpflichtet fühlt. Die Umstände dafür seien in
Leipzig günstig, so Ullrich Heilemann. Er
treffe hier auf eine „große Aufgeschlossenheit für Neues – bei fester Verankerung in
einer großen Tradition und bei viel Selbstbewusstsein der Universität“.
Der Professor für Empirische Wirtschaftsforschung/Ökonometrie ist spezialisiert
auf Konjunktur-, Regional und Strukturforschung, makroökonometrische Modelle
und wirtschaftspolitische Beratung. Er hat
nach einer kaufmännischen Lehre von 1969
bis 1973 in Mannheim Volkswirtschaftslehre studiert. Er promovierte 1979 in Münster zur Prognoseleistung makroökonometrischer Konjunkturmodelle für die BRD.
Zehn Jahre später habilitierte er sich dort
mit einer Arbeit über die Determinanten der
westdeutschen Tariflohndynamik 1950 bis
1986. Seine bisherigen beruflichen Stationen sprechen für sich: Ullrich Heilemann
war wissenschaftlicher Mitarbeiter, Abteilungsleiter, Vorstandsmitglied und Vizepräsident im Rheinisch-Westfälischen Institut
für Wirtschaftsforschung in Essen, Privatdozent und apl. Professor in Münster, ord.
Professor an der Universität DuisburgEssen, Visiting Scholar an der Harvard
University, am Massachusetts Institute of
Technology, an der John-Hopkins University in Washington und an der University of
Toronto – sowie eben Gastprofessor an der
Uni Leipzig.
Der 59-Jährige ist verheiratet und beschäftigt sich in seiner Freizeit mit Architektur,
und schönen Büchern.
C. H.
Der aus Baden-Würtemberg stammende
Orthopäde Alexander Thomas Wild ist neu
berufener C3-Professor für Orthopädie mit
den operativen Schwerpunkten Wirbelsäulenchirurgie und Kinderorthopädie an der
Klinik und Poliklinik für Orthopädie. Zu
seinen Spezialgebieten zählt aber auch die
Fußchirurgie.
Studiert hat der zuletzt in Düsseldorf tätige
Mediziner in Würzburg und Nottingham/
Großbritannien, promoviert in Würzburg
zu Nervenverletzungen am Handgelenk
und sich habilitiert in Düsseldorf zu klinischen, biomechanischen und zellbiologischen Fragestellungen. Biomechanische
und zellbiologische Untersuchungen von
Wirbelsäulendeformitäten bei Kindern
sind nach wie vor sein wissenschaftlicher
Schwerpunkt. Dabei interessieren ihn vor
allem die sogenannten mesenchymalen
Stammzellen. Das sind Vorläuferzellen, die
auf Grund ihrer vielseitigen Entwicklungsmöglichkeiten zur Rekonstruktion von Geweben eingesetzt werden können. Hier
bahnt sich schon die erste wissenschaftliche Kooperation mit seinem Leipziger
Kollegen Prof. Augustinus Bader an, der
auf die Gewebeherstellung spezialisiert ist.
Auch in der Unfallchirurgie, Neurochirurgie und Pädiatrie macht der Kinderorthopäde potentielle Partner für gemeinsame
Projekte aus. Sein Spezialgebiet, deformierte Wirbelsäulen, sieht der 39-Jährige
als Ergänzung zu dem, was an der Leipziger Unfallchirurgie und Neurochirurgie an
Behandlungsmethoden angeboten wird.
Wild hat neben seiner ärztlichen und wissenschaftlichen Tätigkeit auch verantwortungsvolle leitende Positionen übernommen. So steht er der kinderorthopädischen
Abteilung vor und ist stellvertretender Klinikdirektor. Seine Freizeit ist karg bemessen und wird von seinen vier Kindern im
Moment fast vollständig in Anspruch genommen. Für seine Jagdleidenschaft bleibt
da wenig Zeit. „Aber man muss Prioritäten
setzen“, kommentiert er. „Und das sind nun
mal meine Kinder.“
B. A.
30
journal
Personalia
Kurz gefasst
Die Beauftragte der Bundesregierung für
Kultur und Medien, Staatsministerin
Christina Weiss, hat Prof. Dr. Stefan
Troebst, Institut für Slavistik und Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte
und Kultur Ostmitteleuropas, in ein internationales Expertengremium berufen, welches ein „Europäisches Netzwerk Zwangsmigration und Vertreibung“ konzipieren
soll. Beteiligt sind neben der Bundesrepublik die Kulturministerien Polens, der
Tschechischen Republik, der Slowakei,
Ungarns und Österreichs.
Zudem hat das Komitee für Migration,
Flüchtlinge und Bevölkerung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg Professor Troebst zum
Berater eines geplanten „Europäischen
Zentrums für nationales Gedenken“ bestellt.
Prof. Dr. Hannes Siegrist, Sozial- und
Kulturhistoriker am Institut für Kulturwissenschaften, arbeitet bis 31. März 2005 auf
Einladung des Präsidenten als Gastprofessor am Wissenschaftszentrum Berlin für
Sozialforschung (WZB). Er ist für diesen
Zeitraum vom Sächsischen Ministerium
für Wissenschaft und Kunst beurlaubt worden. Die Vertretung der Professur übernimmt PD Dr. Matthias Middell.
Prof. Dr. Dr. Gert König, Ehrenbürger der
Universität Leipzig und bis September
2002 Leiter des Instituts für Massivbau und
Baustofftechnologie, wurde am 30. Juni
von der Technischen Universität Darmstadt
die Ehrendoktorwürde verliehen.
Rüdiger Thiele, Wissenschaftshistoriker
am Sudhoff-Institut und Privatdozent an
der Fakultät für Mathematik und Informatik, ist Vizepräsident der Euler-Gesellschaft in den USA. Auf der Jahresversammlung der Gesellschaft im August wird
er den Hauptvortrag über die Entwicklung
des Funktionenbegriffs bei Euler halten.
Anschließend wird ihm am 13. August auf
dem MathFest der Mathematical Association of America in Providence der Lester H.
Ford Award für seine Arbeit über Hilberts
24. Problem überreicht. Thiele hat im
Nachlass von David Hilbert den Entwurf
für ein Problem gefunden, das der Mathematiker seinem berühmten Pariser Vortrag
von 1900 anfügen wollte und das die Einfachheit von mathematischen Beweisen
Heft 4/2004
betrifft. Die Jury hebt die klare und umfassende Behandlung in der entsprechenden
Arbeit im „Monthly“ (110 (2003) 1–20)
hervor, die mathematische, logische, historische und philosophische Gesichtspunkte
einschließt.
HD Dr. Ulf Engel, Institut für Afrikanistik,
wurde für die Amtszeit 2004-07 in den
Vorstand der Africa-Europe Group for
Interdisciplinary Studies (AEGIS) gewählt. AEGIS (http://www.aegis-eu.org)
ist das europäische Netzwerk universitärer
und außeruniversitärer Lehr- und Forschungszentren. Die Organisation ist unter
anderem mit der Harmonisierung von Masterstudiengängen befasst und wird 2005 in
London die erste European Conference on
African Studies veranstalten.
Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) hat die Gastdozentur von
Prof. Dr. Ian Lerche von der University of
South Carolina (USA) am Institut für Geophysik und Geologie um ein Jahr verlängert. Die Lehrveranstaltungen von Prof.
Dr. Lerche zu aktuellen Themen der Angewandten Geologie sprechen Studenten der
Geowissenschaften im Universitätsverbund Leipzig-Halle-Jena und an der
TU Bergakademie Freiberg an. Die Forschungsthemen Lerches sind in den Gebieten der Umweltgeologie, Erdgasproduktion und Risikoabschätzung angesiedelt.
Dr. med. Henryk Barthel, Oberarzt an der
Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin,
wurde auf der Jahrestagung der Deutschen
Gesellschaft für Nuklearmedizin in Rostock mit dem Georg-von-Hevesy-Preis
ausgezeichnet, der erstmalig vergeben
wurde und mit 5 000 Euro dotiert ist. Barthel erhielt die Auszeichnung für die Testung einer neuen Methode zum Wirkungsnachweis einer Chemotherapie bei Krebs
durch bildgebende Verfahren.
Die Stadt Wien verlieh Dr. Ina Nitschke
und Prof. Dr. Thomas Reiber aus der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und
Werkstoffkunde den Ignatius-NascherFörderpreis für Geriatrie. Der mit 3 635
Euro dotierte Preis wurde verliehen auf
dem 7. Wiener Internationalen Geriatriekongresses für die Entwicklung des computergestützten Trainingsprogramms „Gesund im Alter – auch im Mund“. Die Leipziger Zahnmediziner wollen das Preisgeld
für ein Projekt mit Leipziger Seniorenheimen verwenden. Leipzig ist eine der sechs
deutschen Universitäten, die ein Lehrangebot für Seniorenzahnmedizin bereithalten.
Das prämierte Trainingsprogramm wird
angeboten auf einer CD und ist individuell
einsetzbar. Computerkenntnisse werden
nicht vorausgesetzt. Den Zugang erhält
man über eine einfache Einführung. Informationen über das Trainingsprogramm
sind bei [email protected] abzufragen.
Prof. Dr. Josef Käs, Institut für Experimentelle Physik I, und Prof. Ramin Golestanian von der Universität Zanjan/Iran,
haben gemeinsam einen dreiwöchigen
Sommerkurs mit dem Titel „Weiche und
Biomaterie“ organisiert. Die Seminarreihe
fand vom 5. 6. bis zum 25. 6. am Insitute
for Advanced Studies in Basic Sciences in
Zanjan/Iran statt. Zentrale Inhalte der
Kurse waren aktuelle experimentelle und
theoretische Erkentnisse aus dem Teilbereich der Physik der Weichen Materie,
wobei das Hauptaugenmerk auf deren Anwendung in biologischen System lag. Die
Sommerschule wurde von der UNESCO
finanziell unterstützt.
Prof. Dr. Jörg Kärger, Fakultät für Physik
und Geowissenschaften, wurde European
Editor von Microporous and Mesoporous
Materials (Elsevier), der führenden Fachzeitschrift auf dem Gebiet der Nanotechnologie mit porösen Medien und für die
Erforschung der in ihnen ablaufenden Prozesse.
Die Monitoring Group zur Antidopingkonvention des Europarates (die Vollversammlung der Vertreter von 43 Mitgliedstaaten
in- und außerhalb Europas) hat Prof. R.
Klaus Müller für zwei Jahre zu ihrem Präsidenten gewählt. Prof. Müller, ehemals
Institut für Rechtsmedizin, ist Bundesbeauftragter für Dopinganalytik und Direktor
des Instituts für Dopinganalytik in Kreischa bei Dresden.
Dr. Jens-Uwe Stolzenburg, Stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für
Urologie, erhielt auf dem XIX. Kongress
der Europäischen Gesellschaft für Urologie in Wien, der 9000 Teilnehmer hatte,
den „Educational Surgery Video Prize“.
Der Preis ist mit 1500 Euro dotiert. Das
prämierte Video zeigt die von Dr. Stolzenburg entwickelte neue minimalinvasive
Technik zur operativen Therapie des Prostatakarzinoms.
31
Personalia | Habilitationen und Promotionen
Ehrungen für einen
großen Romanisten
Klaus Bochmann wurde 65
Prof. Dr. Klaus Bochmann zu Ehren, „dem
führenden Rumänisten in Deutschland“,
„einem der wenigen Romanisten, die noch
das ganze Feld der Romania überschauen“,
wie es zu hören war, fand am 18. Juni aus
Anlass seines 65. Geburtstages in der
„Albertina“ ein Kolloquium zum Thema
„Romanistik morgen?“ statt. Das Credo
des Jubilars, gegen allen Selbstzweifel der
Romanisten gerichtet, ob sich das übergreifende Fach gegen die Nationalphilologien künftig behaupten kann (selbst der
„Vollromanist“ beherrscht ja allenfalls ein
Zehntel der ungefähr 30 Sprachen innerhalb der Romania): Die Romanistik, vor
allem von deutschen Wissenschaftlern begründet und betrieben, stellt einen Standortvorteil dar, den man nicht leichtfertig
aufgeben darf. Allerdings sollte man ihr
neue Aufgabenfelder zuweisen, die Spezialisierung ausbauen und den Einzelphilologien ein größeres Gewicht beimessen.
Seine Abschiedsvorlesung „Sprachwissenschaft als geschichtlicher Auftrag“ am
Abend im bis auf den letzten Platz besetzten Großen Hörsaal des Neubaus für die
Geisteswissenschaften gewährte dann auch
vertiefte Einblicke in seine 42-jährige
Lehr- und Forschungsarbeit in der romanischen Sprachwissenschaft. Als Schüler der
bedeutenden Romanisten Krauss und Bahner galt sein besonderes Interesse der Verankerung von Sprache im Soziokulturellen. Die frühe Lektüre von Klemperers LTI
und Krauss’Aufsätzen zur Sprache des Nazismus hätten ihm verdeutlicht, dass auch
der Sprachwissenschaftler einen genuinen
geschichtlichen Auftrag hat. Und später
habe ihn die Beschäftigung mit Sprachkonflikten im Umkreis der Minderheitensprachen in der Romania, sei es auf Korsika, in Galicien, Kanada, Moldova oder
der Ukraine, und der Kontakt mit Intellektuellen dieser Regionen vor Augen geführt,
wie dringend geboten das gesellschaftliche
Engagement des Linguisten ist.
Bereits im Mai war Prof. Bochmann von
der rumänischen Universität „1. Dezember
1918“ in Alba Iulia (Karlsburg) die Ehrendoktorwürde auf dem Gebiet der Philolo32
Habilitationen
Medizinische Fakultät
Dr. Hartmuth B. Bittner (5/04):
Auswirkungen von Gehirntod und Spenderherzkonservierung auf die kardiopulmonale Hämodynamik
und myokardiale Funktion vor und nach orthotoper
Herztransplantation
Dr. Ricarda Schubotz (6/04):
Human Premotor Cortex: Beyound Motor Performance
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Dr. Helge Petersohn (6/04):
Data Mining – Verfahren • Prozess • Anwendungsarchitektur
Promotionen
Klaus Bochmann bei seinem
Abschiedskolloquium. Foto: A. Kühne
gie verliehen worden, laut Senatsbeschluss
„insbesondere für die Forschungen zur rumänischen Sprache und Kultur und ihrer
Integration in das europäische Erbe“. An
dem akademischen Festakt in der Aula
Magna der Universität nahmen Mitglieder
des Rektorats und Senats sowie zahlreiche
Professoren und Studenten teil, außerdem
der Erzbischof der Orthodoxen Kirche von
Siebenbürgen. Die seit zehn Jahren bestehende staatliche Universität hat sich in kurzer Zeit zu einem bedeutenden Zentrum
der Forschung und Lehre in Geschichte,
Archäologie, Philologie und Soziologie
sowie in den Wirtschaftswissenschaften
entwickelt und ist, wie Prof. Bochmann berichtet, an einer Zusammenarbeit auf diesen Gebieten mit der Universität Leipzig
sehr interessiert.
Volker Schulte
Fakultät für Physik und Geowissenschaften
Bruno Schelhaas (3/04):
Institutionelle Geographie auf dem Weg in die wissenschaftspolitische Systemspaltung: Die Geographische Gesellschaft der DDR bis zur III. Hochschulund Akademiereform 1968/69
Ulrich Uhrner (3/04):
New Particle Formation and Growth in the Lower
Troposphere: A Comparison of Model Results with
Observations at a Continental Background Site
Roberto Ocaña Pérez (4/04):
Thermal Conductivity Tensor in Yba2Cu3O7-x
Steffen Jost (4/04):
Untersuchung struktureller und dynamischer Eigenschaften von Wasser in Zeolithen am Beispiel von
Chabasit mit Hilfe von MD-Simulationen
Maike Hoppmann (5/04):
Einzelhandel zwischen Eigendynamik und Steuerung
– dargestellt am Beispiel der Stadtentwicklung von
Leipzig
Marc Redepenning (5/04):
Systemtheorie und raumbezogene Semantik. Schritte
(zu) einer anderen Lesart am Beispiel der critical geopolitics
Thomas John (6/04):
Experimentelle und theoretische Untersuchungen zur
stochastisch getriebenen Elektrokonvektion in nematischen Flüssigkristallen
Monika Micheel (6/04):
Regionale Kulturpolitik in Sachsen – Zur Etablierung
staatlicher Regionalisierungen auf der regionalen
Handlungsebene
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Alexander Schumann (4/04):
Das Verhältnis Portugals zu Europa zwischen Abkehr
und Affirmation: ein Beispiel für den Einfluss informeller Institutionen auf den Systemwandel
Andreas Laubach (4/04):
Anpassungsfähige Hochhaustragwerke – Machbarkeit und Optimierung
Meinolf Pohle (5/04):
Staatliche Wirtschaftskriminalität im realen Sozialismus der DDR (1966 –1990). Wirtschaftsspionage,
Embargoverstöße und Vermögensverschiebungen des
Bereichs Kommerzielle Koordinierung (KoKo) und
des MfS – eine volkswirtschaftliche Untersuchung –
Markus Wiedenmann (5/04):
Risikomanagement bei der Projektentwicklung von
Immobilien und Entwicklung eines Rating unter
besonderer Berücksichtigung der Risikoanalyse und
journal
Habilitationen und Promotionen
Risikoquantifizierung im Vorfeld einer Investitionsentscheidung
jeweils 6/04:
Abid Ali Shah:
Experimental Investigation of High Performance/
High Strength Concrete Columns with Intervening
Normal Strength Concrete Slabs
Stephan Schneider:
Integration von Produktions- / Steuerungsprozessen
und Anwendungssystemarchitektur im Kreditgeschäft von Banken
Bettina Türk:
E-Consulting: Der Einsatz webbasierter Technologien
in der Unternehmensberatung – eine empirische
Untersuchung aus Sicht von Klienten- und Beratungsunternehmen
Philologische Fakultät
Katrin Löffler (4/04):
Anthropologische Konzeptionen in der Literatur der
Aufklärung – Leipzig um 1740
Stefanie Neuner-Anfindsen (4/04):
Fremdsprachenlernen und Lernerautonomie –
Sprachlernbewusstsein, Lernprozessorganisation und
Lernstrategien zum Wortschatzlernen in Deutsch als
Fremdsprache
Astrid Kästner (5/04):
Ein integrativer Ansatz zur Fachtextbestimmung von
Unternehmenswebseiten unter Berücksichtigung
medienspezifischer Besonderheiten (dargestellt an
russischen Internetauftritten)
Ute Tischer (5/04):
Die zeitgenössische Anspielung in der antiken Literaturerklärung
Theologische Fakultät
Olaf Richter (4/04):
Anamnesis – Mimesis – Epiklesis: Religiöse Bildung
am Gottesdienst. Liturgietheoretische Grundlagen in
praktisch-theologischer Perspektive.
David Wagner (6/04):
Geist und Tora. Studien zur göttlichen Legitimation
und Delegitimation von Herrschaft im Alten Testament anhand der Erzählungen über König Saul.
Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie
jeweils 4/04:
Claus-Dieter Röck:
Invasion durch Äther. Die Rundfunkpropaganda der
DDR gegen die politische Reformbewegung in der
CSSR von 1968 („Prager Frühling“). Struktur, Funktion und Resonanz des Geheimsenders Radio Vltava
Daniel Schmidt:
Staat und Statistik
Altaf Ullah Khan:
Profile of Journalists in Peshawar
jeweils 5/04:
Eva Göbel:
Bayern in der modernen Konsumgesellschaft. Regionalisierung der Konsumkultur im 20. Jahrhundert
André Klein:
Simmel und Lazarus – Kulturwissenschaft und Völkerpsychologie in ihren Beziehungen
Gesine Märtens:
Der Philosoph wirkt. Die Rezeption der deutschen
Übersetzung der Werke José Ortega y Gassets bis
1945
Petra Klein:
Die Entgrenzung einer Wissenschaft. Henk Prakke
und die Ausweitung der Publizistik – zur Kommunikationswissenschaft in den 1960er Jahren der
BRD
Heft 4/2004
Fakultät für Biowissenschaften, Pharmazie und
Psychologie
jeweils 5/04:
Barbara Bibiana Seiwald:
Differentialpsychologische Analysen zum Verhältnis
von schlussfolgerndem Denken und figuralem Arbeitsgedächtnis
Ilka Herbinger:
Inter-group aggression in wild West African chimpanzees (Pan troglodytes verus): Mechanismus and
functions
Carsten Voigt:
Regulation of TSH receptor expression and function
by ß-arrestins and G-protein-coupled receptor kinases
and identification of new TSH receptor signaling
pathways
Khalifa El tayeb Khalafalla:
Selection of Gliadin-binding Peptides from Random
Peptide Libraries and their Use in Gluten Analyses
Richard Cordaux:
Molecular genetic variation in tribal populations of
India
Fakultät für Mathematik und Informatik
Matthias Kurzke (5/04):
Analysis of boundary vortices in thin magnetic films
László Székelyhidi (5/04):
Elliptic Regularity versus Rank-One Convexity
Medizinische Fakultät
jeweils 11/03:
Katja Ellmann:
Eine klinisch-pathologische Studie am Untersuchungsgut der Jahre 1996 bis 2000 am Städtischen
Klinikum „St. Georg“ Leipzig
Dirk Klaus Nigg:
Hereditäre Fructoseintolerenz oder Fructosemalabsorption – Eine retrospektive Studie der im Zeitraum
1993 – 2002 im Institut für Biochemie durchgeführten
molekulargenetischen Untersuchungen an Patienten
mit der Verdachtsdiagnose „Fructoseintoleranz“
Konstanze Ander:
TH1 und TH2 Zellen bei ungestörter und gestörter
Schwangerschaft
Gunder Bochmann:
Die Beeinflussung von visuell evozierten Bewegungspotentialen und Geschwindigkeitsperzeption
durch Adaptationsreize mit unterschiedlicher Geschwindigkeit
Ines Fritzsche:
Ketonkörper bei stoffwechselgesunden Kindern und
Kindern mit hypoglycämischen Stoffwechselstörungen
Sonja Grunewald:
Untersuchung apoptoseassoziierter Signaltransduktion in humanen Germinalepithel und ejakulierten
Spermatozoen
Christoph Wolfgang Jaschke:
Untersuchung zur Aufklärungsproblematik bei ambulanten Operationen im Kindesalter
Judith Pannier:
Effekt der anti-CD4-Therapie mit dem anti-CD4mAK RIB5/2 auf die Transplantatakzeptanz im
„High-responder“-Lebertransplantationsmodell der
Ratte
Peggy Mehlhorn:
Myosinisoformen und Muskelfasertypen in den äußeren Augenmuskeln des Schweins
Andreas Naupert:
Ermittlung der altersabhängigen Veränderungen von
Muskelfasereigenschaften verschiedener Rattenmuskeln
Friederike Preuße:
Das Institut für Gerichtliche Medizin und Kriminalistik der Universität Leipzig in den Jahren 1945 bis
1961 – Mitarbeiter, Struktur und Tätigkeit
Dipl.-Med. Heide Wetzig:
Einfluß der Stilldauer auf ausgewählte atopische
Krankheitsbilder bis zum 3. Lebensjahr – eine deskriptive Analyse im Rahmen der Leipziger Allergierisikokinder – Studie (LARS)
Matthias Jacob:
Typisierung von Bilophila wadsworthia-Isolaten aus
unterschiedlichen klinischen Materialien mit der
PCR-Fingerprint-Methode
Kristin Schneider:
Mycoplasma pneumoniae-Infektionen des Respirationstraktes im Kinder- und Jugendalter – eine retrospektive Studie von Patienten an der Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche in Leipzig im Zeitraum 1991–1996 unter besonderer Berücksichtigung der Röntgenmorphologie
Tessa Finkensieper:
Untersuchungen zur Spender-gegen-Empfängerreaktion nach allogener Transplantation
Ute Irene Haase:
Kohlenhydratstoffwechsel bei kleinwüchsigen ehemals hypotrophen Kindern
Tino Elouahidi:
Wertigkeit von Traumascores bei mehrfachverletzten
und polytraumatisierten Kindern und Jugendlichen
Jörn Ackermann:
Todesursachen bei Verstorbenen nach intensivmedizinischer Behandlung (Grundleiden, direkte Todesursache, iatrogene Befunde)
Elena Liwschitz:
Einfluss von Noradrenalin, Epidermal growth factor
und Interleukin-6 auf die Signaltransduktion in
Fibroblasten von Rattenherzen
jeweils 12/03:
Marcus Meichsner:
Untersuchungen zur Herzfrequenzvariabilität bei Gesunden – Normwerterstellung mit dem Analysegerät
Vagus 2000
Matthias Deutloff:
Messung der maximalen Kieferschließkraft direkt vor
und nach Eingliederung eines modifizierten Interzeptors nach Schulte
Christine Steger-Arand:
Immunogenität und Reaktogenität des Tetanus-Fluidimpfstoffes Tetamun SSW bei Patienten mit lokal
fortgeschrittenem oder metastasiertem Karzinom des
Gastrointestinaltrakts unter laufender antineoplastischer Chemotherapie
Matthias Berger:
Die Qualität in der Versorgung von Gallenstein-Patienten – Eine Analyse der Chirurgischen Klinik der
Jahre 1995 –1999
Dipl.-Med. Gert Brandt:
Chemoimmuntherapie bei metastasiertem Nierenzellkarzinom am Onkologischen Fachkrankenhaus Marienstift Schwarzenberg 1993 –1997
Heike Bühnert:
Gesundheitsgefahren durch Biostoffe – Ergebnisse einer Untersuchung bei Beschäftigten in einem Unternehmen der Abfallwirtschaft
Oliver Burg:
Analyse des Schädelaufbaus bei Patienten mit schlafbezogenen Atmungsstörungen
Bernhard Fehling:
Zusammenhänge zwischen dem Prä- und postoperativen Krankheitsverlauf und der Krankheitsverarbeitung chirurgisch behandelter Morbus-Crohn-Patienten
33
Habilitationen und Promotionen
Dominik Fritzsch:
Wertigkeit MRT-gesteuerter Knochenbiopsien an
einem offenen Kernspintomographen
Benjamin Funke:
Photodynamische Therapie einer fibroblasteninduzierten Arthritis der SCID-Maus
Susanne Heine:
Zur Beurteilung der Mundöffnungsbewegung in
Abhängigkeit der verwendeten Hilfsmittel und dem
Erfahrungsstand der Untersucher
Andreas Knopke:
Wertigkeit des zellulären Antigenstimulationstests
(CAST) in der Diagnostik nicht-allergischer (pseudoallergischer) Hypersensitivitätsreaktionen auf Medikamente und Farbstoffe
Susanne König:
Entwicklung und Validierung reformulierter kategorialer Strukturen der Methode des Zentralen Beziehungs-Konflikt-Themas
Sophie-Susann Merbecks:
Beiträge zum Vorkommen, zur Epidemiologie und zur
Herdbekämpfung von Norwalk-like Virus-Infektionen im Freistaat Sachsen
Ilka Merte:
Komplexe Bewertung einer als Amalgamersatz konzipierten Liner-Komposit-Produktkette – in vitro, in
vivo und klinisch.
Elisabeth Mottweiler:
Einflüsse von Betarezeptorenblockern auf Gedächtnisfunktionen
Matthias Müller:
Analyse der Behandlung des kolorektalen Karzinoms
im Krankenhaus Limbach-Oberfrohna
Heike Rössler:
Funktionsanalyse von neutrophilen Granulozyten und
Monozyten herzchirurgisch operierter Kinder
Steffi Helen Stock:
Untersuchungen zu postchirurgischen Veränderungen
am Gesichtsschädel bzw. am Gesichtsprofil nach
Dysgnathieoperationen
Thomas Schwäblein:
Röntgenbild-gestützte präoperative Planung bei der
Implantation von Hüftendoprothesen
Klaus-Peter Thiele:
Analyse der stationären Verweildauer bei Patientinnen
mit operativ behandeltem primären Mammakarzinom
im Rahmen der Multicenterstudie „Qualitätssicherung
Mammakarzinom“ der Ostdeutschen Arbeitsgemeinschaft „Leistungserfassung und Qualitätssicherung“ in der CAQ der Dt. Gesellschaft für Chirurgie
Narzis Vafai:
Subjektive Körperbeschwerden von Altenheimbewohnern, im Vergleich zu nichtinstitutinell lebenden
Senioren – Eine Ost-West-Erhebung
Florian Wegner:
Perineuronale Netze der extrazellulären Matrix im
parietalen Kortex der Ratte: Beziehung zu zytochemischen und morphologischen Eigenschaften der
Neurone
Torsten Menzel:
Der Einfluss einer niedrigen Creatinsupplementation
auf die intermittierende Sprintleistung von Ausdauersportlern
Uwe Eppler:
Mittelfristige Ergebnisse nach Ellenbogenluxation
und Ellenbogenluxationsfrakturen in Abhängigkeit
von operativer Therapie sowie von Immobilisation
und frühfunktioneller Behandlung
Uta Reich:
Beitrag zur dreidimensionalen Analyse der Oberkiefermorphologie gesunder Kinder zwischen dem 1.
und 36. Lebensmonat
34
Dr. med. Georg O. H. Müller:
Beeinflussung der Nasenatmung durch die Radiofrequenzablation der Conchae nasales inferiores
jeweils 1/04:
Dipl.-Med. Ingrid Börnert:
Begegnung mit Sterben und Tod bei Medizinstudenten im Praktischen Jahr und während des Beginns der
ärztlichen Tätigkeit
Jürgen Feisthammel:
Häufigkeiten und Ursachen der Inaktivierung des
Tumorsuppressors p16Ink4A in Zelllinien und Primärtumoren von extrahepatischen Gallengangskarzinomen
Alexandra Lämmer:
Untersuchung vitalen neuronalen Gewebes mittels
konfukaler Laser Scanning Mikroskopie und die Darstellung der Müllerzellen in ihrer Eigenschaft als
Lichtleiter
Magdalena Gotzoll:
Apoptose und die Expression von Apoptose-regulierenden Proteinen in Herzmuskelbiopsien nach Herztransplantationen
Frank Kolbus:
Die dorsale Sonometrie in der Diagnostik der vorderen Kniegelenkinstabilität (Prospektive Studie zur
Bewertung der Aussagekraft bei Rupturen des vorderen Kreuzbandes und nach Rekonstruktion mit autologer Patellarsehne)
Axel Christian Kühn:
Bestimmung der Lateralisierung von Sprachprozessen unter besonderer Betrachtung des temporalen
Cortex, gemessen mit funktioneller Kernspinntomografie
Melanie Sonya Maresch:
Untersuchungen zur Rolle des MDM2-Onkoproteins
in gliogenen Hirntumoren und ihren Rezidiven
Markus Mundel:
Homocystein und Arteriosklerose – Die Rolle nutritiver Faktoren und der C665T-Mutation der Methylentetrahydrofolatreduktase
Florian Rohm:
Die Rolle von Adhäsionsmolekülen bei der Rekrutierung von Leukozyten im Ovar
Lutz Siegl:
Zytomorphometrie der Schilddrüse bei Autonomie
und im Alternsgang
Albrecht Staemmler:
Die Rekurrensparese nach Schilddrüsenoperationen –
eine Analyse unter besonderer Beachtung des intraoperativen Neuromonitorings des Nervus laryngeus
recurrens
Bastian Stichert:
CT-volumetrische und funktionelle Quantifizierung
der alveolären Rekrutierung unter Open-Lung-Concept beim posttraumatischen Lungenversagen
Oliver Marc Weidlich:
Morphometrisch-zytologische Befunde an unifokalen
Schilddrüsenautonomien bei klinisch definierten Euthyreosen und Hyperthyreosen
Kerstin Zückmantel:
In vitro-Untersuchungen zum Tissue engineering von
Gefäßäquivalenten unter dem Aspekt morphologischer Reifungsparameter
Nadja Ott:
Steigerung der Zellproliferation bei Schilddrüsenautonomie
Monika-Marie Gille:
Langzeitcompliance bei CPAP/BiPAP Therapie des
Schlafapnoesyndroms
Gregor Hans Fitzel:
Vergleich der Lebensqualität von Patienten mit Rektum-Karzinom am Beispiel kontinenzerhaltender ver-
sus nicht kontinenzerhaltender Operationstechniken
Martina Heckel:
Die E3-Ligase HectH7 – Subzelluläre Lokalisation
und Interaktion mit dem potentiellen Tumorsupressor
CDX2
Christian Schubert:
Modifikation des oxidativen und antioxidativen Potentials bei akutem Myokardinfarkt durch Fibrinolyse
und Reperfusion
jeweils 2/04:
Karen Marlene Klee:
Promotorhypermethylierung der Tumorsuppressorgene E-Cadherin und p14ARF bei extrahepatischen
Gallenwegskarzinomen
Boris Beil:
Charakterisierung des humanen oberen Olivenkomplexes mittels verschiedener immunhistochemischer
Marker
Berivan Baur:
Tissue Engineering von Knorpelgewebe – Proliferation und Differenzierung humaner Chondrozyten in
serumfreien Kulturmedien
Astrid Böhme:
Untersuchungen zum Einfluss der Hypercholesterolämie und kombinierte Hyperlipidämie sowie der extrakorperalen LDL-Apherese-Therapie auf das Fettsäurespektrum der Plasmalipide
Falk Brunner:
Zum Einfluß langzeitiger, intravenöser L-CarnitinApplikation auf renale Anämie, Eisenstoffwechsel
und Erythropoietin-Bedarf von Patienten mit chronischer, hämodialysepflichtiger Niereninsuffizienz
Nora Greipel:
Einfluss von Katecholaminen auf die Signaltransduktion am Rattenherzen
Alexander Jank:
Untersuchungen der proliferativen Aktivität bei Karzinomen der Cervix uteri anhand von DNA-zytometrischen und histopathologischen Parametern und des
MIB1-Proliferationsindex
Andreas Kießling:
Untersuchung von Acylcarnitinmustern im Urin von
ausgewählten Patientengruppen durch electrosprayionization-(ESI)-Massenspektrometrie
Birte Lund:
Erwartungshaltungen und innere Modellbildung von
Patienten mit intracraniellen Tumoren in der Neurochirurgischen Klinik
Thomas Mattausch:
Entwicklung, Optimierung und Anwendung von
molekulargenetischen Methoden zur Diagnostik der
Glycogenose Typ III
Falk Moritz:
Einfluß von TNF-Gen-Polymorphismen auf klinische
Manifestation, Zytokinexpression und auf die Wirkung der TNFalpha-blockierenden Therapie bei der
Rheumatoiden Arthritis
Christian Mutz:
NMR-spektroskopische Untersuchungen der Wirkungen reaktiver Sauerstoffverbindungen auf Knorpel
und Knorpelbestandteile
Alexander Petzold:
Der Einfluß radioaktiver Strahlung auf das Proliferationsverhalten und die Zellbiologie humaner retinaler
Pigmentepithelzellen
Andreas Schepper:
Einfluß akuter respiratorischer Hypoxie auf myokardiale Mikrogefäße diabetischer Ratten mit und ohne
antioxidative Protektion
Stephan-Sebastian Scherer:
Lymphozytenpopulationen, Interleukine und Serumjournal
Habilitationen und Promotionen | Jubiläum 2009
proteine als Screeningparameter zur lang- und kurzfristigen Diagnose Akuter Rejektionsepisoden nach
allogener Nierentransplantation
Miriam Schiller:
Effekte des kombinierten Einsatzes von Progressiver
Muskelrelaxation nach Jacobsen und eines Konzentrationstrainingsprogramms in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
Rick Schneider:
Morphologische und immunhistochemische Untersuchungen am Herzen diabetischer BB/OK-Ratten
Constanze Susanne Steingrüber:
Einfluss von Umweltbedingungen auf morphologische Alterationen im somatosensorischen Kortex drei
Jahre alter Ratten
Dipl.-Psych. Astrid Sonntag:
Psychopharmakagebrauch in Alten- und Altenpflegeheimen – Individuelle und Institutionelle Determinanten
Mattheos Christoforidis:
Polymorphismen des low density lipoprotein-receptor
related protein (LRP) und die zerebrale Amyloid Angiopathie: genetisch-morphologische Assoziationsstudie
Anja Busse:
Mild cognitive impairment: prevalence, incidence and
outcome according to different diagnostic criteria
jeweils 3/04:
Gert Grellmann:
Stellenwert von akuten exogenen Intoxikationen im
Patientengut der Internistischen Intensivstation der
II. Medizinischen Klinik des Städtischen Krankenhauses Dresden-Friedrichstadt 1998 – 2001
Frank Breywisch:
Fibrosarkome und vaskuläre Sarkome im Kindesalter:
Retrospektive Analyse von 23 Patienten und
Literaturrecherche
Peter Döhler:
Das Magenfrühkarzinom im Einsendungsgut des
Instituts für Pathologie der Klinikum Chemnitz
gGmbH in den Jahren 1991–2000
Claudia Hanke:
Die Entwicklung der enossalen Implantologie an der
Leipziger Universität in den Jahren 1975 –1992
Mario Hopf:
Human-Biomonitoring-Untersuchungen zur Bleibelastung von deutschen und polnischen Schulkindern
in Görlitz und Zgorzelec
André Hoy:
FACS-gesteuerte T-Zell-Charakterisierung im Rahmen der Allotransplantation
Denise Richter:
Einfluss von Umweltbedingungen auf qualitative und
quantitative Änderungen neuronaler sowie glialer
Strukturen im Rückenmark alter Ratten
Ingo Langer:
Spiral-CT-gestüzte Volumetrie der Leber vor und nach
Leberteilresektion
Sabine Meister:
Morphologische und immunhistochemische Untersuchungen zu Veränderungen der Leber durch experimentellen Diabetes und zusätzlicher Hypoxie mit und
ohne Protektion durch Ginkgo biloba-Extrakt
Beate Sauer:
Dysregulation der CD8+ Zellen bei Patienten mit
Rheumatoidarthritis
Thilo Schallawitz:
Peritonealzytologie der Fossa iliaca dextra bei Kindern mit akuter Appendizitis
Katrin Scheer:
Untersuchungen des Knochenstoffwechsels bei Kindern und Jugendlichen mit chronisch entzündlichen
Heft 4/2004
Darmerkrankungen anhand biochemischer Marker,
Dual Energy X-Ray Absorptiometry (DEXA) und
Auswertung klinischer Daten
Brit Gabler:
Die Entwicklung der Feuerbestattung unter besonderer Berücksichtigung der Stadt Leipzig und des Standpunktes der Rechtsmedizin
Bastian Manfred Seidel:
Sekretorisches Immunglobulin A im Speichel von
Neugeborenen – Neue methodische Ansätze zum
Nachweis und Evaluation verschiedener Einflussfaktoren
Katrin Boeckler:
Charakterisierung des Cochleariskerns des Rhesusaffen mittels verschiedener Marker
Wolfram Heinritz:
Molekulargenetische Mutationsanalyse des APCGens mittels DHPLC bei Patienten mit Familiärer
Adenomatöser Polyposis (FAP)
Franca Noack-Wiemers:
Leben und wissenschaftliches Werk von Robert Hermann Tillmanns (1844 –1927).
Dirk Heinicke:
Armenarztwesen und Ziehkinderpflege in Leipzig
von Beginn des 18. Jahrhunderts bis Anfang des
20. Jahrhunderts
Katharina Krieger:
Verhältnis klinischer und angiographischer Befunde
zum selbstberichteten Befinden von Patienten beim
Follow-up Termin 6 Monate nach PTCA und Stentimplantation
jeweils 4/04:
Gerd Diederichs:
Testung mechanischer Eigenschaften verschiedener
Implantate bei distalen Humerusfrakturen. Eine vergleichende in vitro Studie am humanen Präparat
Yves Baither:
Endotheldysfunktion bei Patienten mit Koronarer
Herzkrankheit (KHK): Einfluss von regelmäßigem
körperlichen Ausdauertraining auf die Endothelfunktion (in vivo- und in in vitro-Untersuchungen)
Christine Bauer:
Katamnestische Untersuchung bei Persönlichkeitsstörungen nach einer stationären psychodynamischen
Psychotherapie
Silke Becker:
Zahnstautuserhebung und Zahnfocussuche vor Herzoperationen an 500 konsekutiven Patienten der Klinik
für Herzchirurgie der Universität Leipzig
Almut Brückner:
Neuere Erkenntnisse und Probleme der Ethanolkinetik
Christiane Eckhardt:
Die Wirksamkeit von Moxifloxacin in der Therapie
von Sepsis durch Bacteroides fragilis und Escherichia
coli im Tiermodell
Axel Fröbel:
Die Spektrale Eckfrequenz des prozessierten EEG
während physiologischen Schlafes und unter Allgemeinanästhesie bei Kindern
Ruslan Gamsalijew:
Neuronaler Zellverlust in der Kaninchenretina im Verlauf der Reperfusion nach einer temporären Ischämie
Dipl.-Med. Michael Heinrich:
Multiple Endokrine Neoplasie Typ 2A – Darstellung
des Krankheitsbildes anhand klinischer, pathologisch-anatomischer, genetischer und biochemischer
Befunde einer betroffenen Familie
Ilka Hertel:
Mechanische Stimulation humaner Osteoblasten –
physiologische Grundlagen und Untersuchungen in
vitro für das Tissue Engineering von Knochen
Uni-Geschichte
in Bildern
128 reich bebilderte Seiten umfasst das
soeben erschienene Buch „Die Universität
Leipzig 1409–1943“. Universitätsarchivar
Prof. Dr. Gerald Wiemers und sein Mitarbeiter Jens Blecher haben den Bildband erarbeitet. Das Buch enthält 206 bisher weitgehend unveröffentlichte Aufnahmen aus
dem Universitätsarchiv, darunter interessante Einblicke in Studentenwohnheime,
Hörsäle und Institutsgebäude – leider ausschließlich in schwarz-weiß. Die Autoren
erinnern auch an Persönlichkeiten, die in
Leipzig studierten oder lehrten. „Mit den
dazugehörigen Texten mussten wir uns an
die Reihe ‚Campusbilder‘ des Verlags anpassen, sie fallen daher kurz aus“, erklärte
Gerald Wiemers bei der Buchvorstellung.
Dennoch reichte der Platz bei weitem nicht
für alle in Frage kommenden Bilder, es
herrschte die Qual der Wahl. „Wir mussten
aus 10 000 Fotos auswählen. Da hat uns etwas das Herz geblutet“, sagte Jens Blecher.
Das Buch endet 1943 – „dieses Jahr haben
wir gewählt, weil es ein spezielles für die
Universität war“, so Professor Wiemers.
„Im Januar 1943 war die Universität zu 70
Prozent zerstört. Es war der Zusammenbruch, der bauliche, der personelle und der
geistige.“ Die beiden Autoren wollen zwei
weitere Bände herausbringen, einen, der
die Jahre von 1943 bis 1989 umfasst und
einen weiteren, der bis in die Gegenwart
hineinreicht. Ob es diese Fortsetzungen geben wird, hängt allerdings laut Verlag vom
Erfolg des ersten Bandes ab.
C. H.
Jens Blecher und Gerald Wiemers:
Die Universität Leipzig 1409–1943.
Sutton Verlag 2004. 128 S., 17,90 €,
ISBN 3-89702-652-X.
35
Jubiläum 2009
„Die Rückkehr“
von Levin L. Schücking
Universität Leipzig erhält Bibliothek und Gemälde
des angesehenen Anglisten als Geschenk
Von Peter Gutjahr-Löser, Kanzler der Universität Leipzig
Levin L. Schücking (1878 bis 1964), der in Köln und Leipzig. Köln bot ihm neben Dichter Börries von Münchhausen, ein
aus einer westfälischen Gelehrten- und dem üblichen Gehalt eine Villa am Rhein altes Familiengut in Windischleuba bei
Juristenfamilie stammt, war von 1925 bis als Wohnung an. Daraufhin fragte Schü- Altenburg zurückerworben hatte und ihn
1944 Professor für englische Literatur an cking in Dresden an, ob man ihm in der beschwor, in die Nähe zu ziehen. In diese
der Universität Leipzig. Sein Enkel, Bern- Wohnungsfrage ähnlich behilflich sein Freundschaft, die über politische Differenhard Mende, schenkte jetzt der Universität könne. Das Ministerium antwortete, dies zen hinweg bestand und sich in finsterster
die Bibliothek des als Shakespeareforscher sei leider nicht der Fall. Aber in Leipzig Zeit bewährte, gestattet der im Jahr 2001
berühmten Anglisten. Außerdem erhielt die seien die Mieten bedeutend niedriger als in von der Tochter Schückings herausgegeUniversität ein Gemälde, das den Gelehr- Köln …
bene Briefwechsel zwischen beiden tiefe
ten im Jahr 1940 zeigt. Es stammt von dem Dass Schücking sich schließlich für Leip- Einblicke [Beate E. Schücking (Hrsg.)
früheren Direktor der „Akademie für gra- zig entschied, hing nicht zuletzt damit „Deine Augen über jedem Verse, den ich
phische Künste und Buchgewerbe“, Walter zusammen, dass sein Studienfreund, der schrieb“, Briefwechsel zwischen Börries
Tiemann.
von Münchhausen und Levin
Schücking, der zeitlebens
Ludwig Schücking, Oldenüberzeugter Pazifist war, hatte
burg, 2001, 378 S.].
große Schwierigkeiten mit
Schückings wissenschaftliche
den Nazis gehabt. Sein BemüInteressen machten aber nicht
hen, deshalb vorzeitig emerian seinen Fachgrenzen Halt.
tiert zu werden, war schließZu seinen berühmtesten
lich 1944 erfolgreich. RückSchriften gehört sein Buch
blickend schrieb er darüber:
„Soziologie der literarischen
„Zusammen mit meiner EntGeschmacksbildung“ aus dem
lassungsurkunde erhielt ich
Jahr 1923. Es wurde nacheinein Schreiben des Kanzlers
ander ins Russische, Engliund Führers des Deutschen
sche und weitere Sprachen
Reiches, in dem mir für die
übersetzt und in den sechziger
dem deutschen Volk geleisteJahren in der Bundesrepublik
ten Dienste gedankt wurde. Im
neu aufgelegt.
umgekehrten Fall hätte ich
Dass er sich immer mit den
eine solche Bescheinigung
politischen Fragen seiner Zeit
nicht ausstellen können.“
intensiv auseinandergesetzt
Sein internationaler wissenhat, spiegelt sich auch in seischaftlicher Ruhm hatte mit
ner rund 1500 Bände umfasder Veröffentlichung „Chasenden Bibliothek. Neben
rakterprobleme bei Shakeseiner Reihe älterer Shakespeare“ im Jahr 1919 begonpeare-Ausgaben und seltener
nen. Zahlreiche Publikationen
älterer englischer Literatur,
auf vielen Gebieten der Angseinen eigenen Werken, zu
listik machten ihn bald zu
denen auch von ihm herauseiner anerkannten Koryphäe.
gegebene deutsch-englische
Stationen seines Weges waren
Shakespeare-Ausgaben gehözunächst die Universitäten in
ren, und der einschlägigen
Göttingen, Jena und Breslau.
Fachliteratur anderer Autoren,
1924/25 erhielt er gleichzeitig Levin L. Schücking im Jahr 1940, gemalt von Walter Tiemann.
lässt die Bibliothek erkennen,
Foto: Kustodie wie breit die Interessen Schüeinen Ruf an die Universitäten
36
journal
Jubiläum 2009
ckings waren: So fällt an der Büchersammlung auf, wie sehr er sich in der
Nachkriegszeit mit der Erklärung der NSZeit beschäftigt hat. Die zahlreichen
Sonderdrucke von Fachgenossen, besonders aber von Freunden und Weggefährten weit über die Anglistik hinaus,
könnten erheblich dazu beitragen, seine
wissenschaftlichen und persönlichen Beziehungen aufzudecken und dadurch das
Leben und Wirken dieses berühmten Leipziger Professors darzustellen. Deshalb ist
es auch erforderlich, die Bibliothek als geschlossenes Depositum zu erhalten.
Das Gemälde (siehe Abbildung) gehört
ebenfalls in diesen Zusammenhang. Der
Maler, Professor Walter Tiemann, war bereits 1926 Ehrendoktor der Universität geworden. Als Direktor der Akademie für
graphische Künste und Buchgewerbe
(heute: „Hochschule für Grafik und Buchkunst“) hatte er ebenfalls mit den Nationalsozialisten erhebliche Probleme gehabt,
weshalb er bereits 1940 sein Lehramt aufgab. Die Wahl dieses Malers aus dem Kreis
der Nazi-Gegner lässt Schlüsse auf das
Netz zu, dem beide angehörten. Das Werk
Tiemanns lebt in Form der Illustration
zahlreicher Bücher des Insel-Verlages und
der Gestaltung vieler, bis heute vom grafischen Gewerbe genutzter Schriften fort.
Der Autor dieses Beitrags besitzt auch persönliche Erinnerungen an Levin Schücking. Als er während seines ersten Studiensemesters im Dezember 1960 in den
Weihnachtsferien bei Schücking in Oberbayern einen Besuch machte, fragte dieser,
wie es denn an der Universität Bonn gehe.
Er erzählte ihm enthusiastisch über einen
Pädagogen, der im Alter von achtzig Jahren Vorlesungen für Hörer aller Fakultäten
halte und Woche für Woche vor einem
übervollen Hörsaal mit rund tausend Plätzen spreche. „Das ist mein Freund Theodor
Litt. Bestell ihm mal einen schönen Gruß
von mir!“ war Schückings Antwort. – Zu
den angesehenen Leipziger Professoren,
die als Nazi-Gegner bekannt waren, hatte
auch Theodor Litt gehört, der 1947 einem
Ruf an die Universität Bonn gefolgt war.
Als der Schreiber dieser Zeilen den Gruß
ausrichtete, erhielt er eine Einladung zu
Litt. So wurde er sein Schüler. Und deshalb
ist es ihm später gelungen, den wissenschaftlichen Nachlass Theodor Litts nach
Leipzig zu holen. Sein Schulfreund Bernhard Mende wusste darum. Und deshalb
hat nun auch die Bibliothek Levin L. Schückings ihren Weg in die Universität Leipzig gefunden.
Heft 4/2004
Gesichter
der Uni
Dietrich von Bocksdorf (um 1410–1466)
Das Foto zeigt eine 170 mal 70 cm große
Bildnisplatte vom Grabmal Dietrich von
Bockdorfs und wurde dem Journal vom
Domstiftsarchiv Naumburg (Bildarchiv)
zur Verfügung gestellt.
Dietrich von Bocksdorf entstammte einem
vornehmen Geschlecht, das ursprünglich
im Kurkreis und in der Niederlausitz begütert war. Das Familienwappen zeigt
einen vorwärts gerichteten Widderkopf.
Dort – wahrscheinlich in Zeunitz bei Buckau – wurde Dietrich um 1410 geboren.
1425 bezog er die Leipziger Universität
und wurde 1426 baccalaureus artium.
1436/37 hielt er sich an der Universität in
Perugia auf. 1439 ist er als Doktor beider
Rechte wieder in Leipzig zu finden und
stand zudem als Rektor an der Spitze der
Universität. Bald darauf erlangte er
Ordinariat für kanonisches Recht an der
Juristenfakultät. Dietrich von Bocksdorf
wirkte bei der Reform der Universitätsstatuten mit, deren Ergebnis er 1445 proklamierte.
Bocksdorf wirkte auch als praktischer
Jurist, Schiedsrichter und Advokat und
saß zudem im Leipziger Schöffenstuhl. Bei
diffizilen Rechtsstreitigkeiten suchten
auch die sächsischen Kurfürsten Rat bei
dem weithin berühmten Rechtsgelehrten,
der eine Vielzahl wissenschaftlicher Arbeiten verfasst hatte. Seine Abhandlungen
bestehen insbesondere aus Zusammenstellungen von Gerichtsformeln, die sich
auf das sächsische Landrecht, auf das
Magdeburger Stadtrecht, aber auch auf das
Meißner Rechtsbuch gründen. Von besonderer Bedeutung sind auch jene Schriften,
die Bocksdorf als Hilfsmittel für die Benutzung des Sachsenspiegels geschrieben
hat.
Bocksdorf besaß seit 1448 ein Haus in der
Burgstraße. Bereits 1449 war ihm ein
Altarlehen in der Peterskirche übertragen
worden. Für die Universitätsgeschichte besitzt die Bocksdorfsche Stipendienstiftung
besondere Bedeutung. Außerdem stellte er
42 Bücher und Manuskripte zur Verfügung, die für die Studenten der Jurisprudenz zum Selbststudium bereitstanden.
Jene Bücher und Faszikel befinden sich
heute in der Universitätsbibliothek. Die
Aufsicht und Verwaltung der gesamten
Stiftung lagen einst beim Leipziger Stadtrat.
Dietrich von Bocksdorf besaß Kanonikate
in den Kapiteln zu Magdeburg und Naumburg. Im Oktober 1463 wählte ihn das
Naumburger Domkapitel zum Bischof. Die
Weihe erfolgte im August 1464. In diesem
Amt ist er am 9. März 1466 verstorben.
Sein Grab befindet sich im Dom zu Naumburg.
Uwe Schirmer,
Historisches Seminar
37
Jubiläum 2009
Ein Grenzgänger
der Wissenschaften
Über den Religionswissenschaftler Joachim Wach
Von Ronald Lambrecht, Historisches Seminar
Zu den weniger bekannten, aber dennoch
bemerkenswertesten Angehörigen der
Alma mater Lipsiensis gehört der Religionswissenschaftler Joachim Wach.
Am 25. 1. 1898 als Sohn des Geheimrats Dr.
Felix Wach und seiner Frau Katharina in
Chemnitz geboren, war er ein Urenkel des
Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy. Sein Großvater Adolf Wach, Dekan
der Juristenfakultät der Universität Leipzig,
war mit Lily, der jüngsten Tochter des Komponisten, verheiratet, aber auch Joachim
Wachs Mutter Katharina entstammte in direkter Linie dieser berühmten Familie.
Nach dem Besuch des Gymnasiums in
Dresden trat Wach 1916 als Kavallerist in
das Königlich Sächsischen Gardereiterregiment ein und nahm am Weltkrieg teil.
Nach dem Ende des Krieges begann er das
Studium der Religionsgeschichte, Philosophie und orientalischen Sprachen, welches
ihn nach München, Berlin, Freiburg und
Leipzig führte. Zu seinen akademischen
Lehrern gehörten u. a. Hans Haas, Adolf
von Harnack, Eduard Spranger, Ernst
Troeltsch und Max Weber. 1922 promovierte er in Leipzig mit der Arbeit „Der
Erlösungsgedanke und seine Deutung“.
Sein Bestreben, die Grenzen seines Fachs
zu überschreiten und mit den Erkenntnissen und Methoden benachbarter Wissenschaften vollkommen neue Wege zu gehen,
zeigte sich nicht nur in seinem anschließenden Studienaufenthalt bei dem bekannten Literaturhistoriker Friedrich Gundolf,
der nachhaltigen Einfluss auf sein weiteres
wissenschaftliche Werk haben sollte, sondern auch in seiner Arbeit „Religionswissenschaft. Prolegomena zu ihrer wissenschaftstheoretischen Bedeutung“, mit der
er sich 1924 an der Leipziger Philosophischen Fakultät habilitieren wollte. In dieser, damals als solche noch nicht erkannten
bahnbrechenden Studie legte Joachim
Wach die Grundlage für die Etablierung
der Religionswissenschaft als selbständige
akademische Disziplin, die er gegenüber
der Philosophie und Theologie als eigen38
ständige empirisch-hermeneutische Geisteswissenschaft verstand. Aufgrund dieses
neuartigen Ansatzes fielen die Bewertungen seiner Arbeit innerhalb der Fakultät
sehr unterschiedlich aus, sie wurde aber
trotz mancherlei Widerstands schließlich
angenommen, nicht zuletzt dank der Unterstützung seines Mentors Hans Haas. Die
von Wach angestrebte zusätzliche Habilitation im Bereich der Philosophie scheiterte jedoch am Einspruch der Fakultät.
Ganz nach seiner wissenschaftlichen Veranlagung beschränkte sich Joachim Wach
in seiner nun folgenden Lehrtätigkeit nicht
nur auf sein Fachgebiet Religionswissenschaft, sondern hielt auch Veranstaltungen
zur Geistesgeschichte und zur Geschichtsphilosophie ab, so etwa am Kulturhistorischen Institut der Universität Leipzig. Auch
an der Volkshochschule hielt er Veranstaltungen ab. 1926 erschien „Die großen
Systeme“, der erste Band seines umfangreichen Werkes „Das Verstehen – Grundzüge einer Geschichte der hermeneutischen
Theorien im 19. Jahrhundert“, einer Arbeit
zur Geschichtsphilosophie, die erneut das
umfassende und grenzüberschreitende
Spektrum der wissenschaftlichen Betätigung Wachs unter Beweis stellte.
Immer stärker arbeitete er sich zudem auf
das noch neue Gebiet der Religionssoziologie ein. Als Folge davon wurde ihm am
20. 6. 1927 ein „Kleiner Lehrauftrag für Religionssoziologie“ zugesprochen, der erste
seiner Art an einer deutschen Universität.
Am 10. 8. 1929 wurde Wach schließlich
zum außerordentlichen Professor berufen.
1930 erwarb er mit dem zweiten Band
seines Werkes „Das Verstehen“ mit dem
Titel „Die theologische Hermeneutik von
Schleiermacher bis Hoffmann“ an der Heidelberger Universität den theologischen
Doktorgrad. Drei Jahre später erschien der
letzte Band „Das Verstehen in der Historik
von Ranke bis zum Positivismus“.
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Frühjahr 1933 bedeutete für viele
Gelehrte jüdischer Herkunft das Ende ihrer
Lehrtätigkeit an deutschen Universitäten.
Als ehemaliger Soldat im Weltkrieg vor der
ersten „Säuberungswelle“ an den deutschen Hochschulen zunächst noch geschützt, wurde Joachim Wach am 10. April
1935 dennoch die Lehrbefugnis entzogen.
Zwar setzten sich in der Sitzung der Leipziger Philosophischen Fakultät am 8. Mai
1935 namentlich der niederländische Mathematiker Baertel van der Waerden sowie
die Physiker Friedrich Hund und Werner
Heisenberg für Wach ein, doch der Fürsprache der Leipziger Kollegen war kein
Erfolg beschieden.
Im Wintersemester 1935/36 nahm Joachim
Wach eine Gastprofessur für Religionsgeschichte an der Brown University in
Providence, Rhode Island, USA, an. Sein
religionswissenschaftliches Interesse verlagerte sich dort zunehmend von einer bisher eher wissenschaftstheoretischen Orientierung hin zu einem religionspsychologischen und religionssoziologischen Ansatz.
1946 übernahm er eine Professur für Religionsgeschichte an der Federated Theological Faculty der University of Chicago.
Zudem engagierte er sich ehrenamtlich in
der World’s Student Christian Federation
und hielt mehrere Gastvorlesungen, so u. a.
in Indien. 1955 erhielt er einen Ruf auf den
Lehrstuhl für Systematische Theologie und
Religionsphilosophie an der Universität
Marburg, lehnte aber nach reiflicher Überlegung ab. Zu sehr war er seiner neuen Heimat, den Vereinigten Staaten von Amerika,
verbunden.
Während eines Besuches bei seiner Mutter
und Schwester in der Schweiz erlitt Joachim Wach überraschend einen Herzinfarkt und starb am 27. 8. 1955 in Locarno. Seine von ihm begründete, phänomenologisch orientierte Chicago-School
hat in der religionswissenschaftlichen Diskussion in den Vereinigten Staaten noch
heute spürbaren Einfluss.
Ein Foto von Joachim Wach lag der Redaktion leider nicht vor.
journal
Jubiläum 2009
Bahnbrechendes
geleistet
90 Jahre Ostasiatisches Seminar
Von Prof. Dr. Ralf Moritz und Prof. Dr. Steffi Richter, Ostasiatisches Institut
Vor 90 Jahren – am 28. Mai 1914 – erfolgte
auf Beschluss des sächsischen Kultusministeriums die Gründung des Ostasiatischen Seminars an der Universität Leipzig. Es war die erste derartige Einrichtung
an einer deutschen Universität. Direktor
des Seminars wurde August Conrady
(1864–1925), der bereits seit 1897 als
außerordentlicher Professor an der Leipziger Universität wirkte und ursprünglich
von der Indologie kam.
Die Gründung des Ostasiatischen Seminars
stellte eine logische Konsequenz der vorangegangenen Entwicklung dar. Immerhin
war an der hiesigen Universität im Jahre
1878 die erste ostasienwissenschaftliche
Professur im deutschen Sprachraum eingerichtet worden, die der Sprachwissenschaftler Georg Conon von der Gabelentz
(1841–1893) innehatte (s. a. Journal 4/03,
S. 36). In seiner Nachfolge hatte sich etwa
ab 1911 unter Führung von Conrady eine
„Leipziger Schule“ der Sinologie herausgebildet. Es gehört zu den glücklichen Umständen akademischer Entwicklung, dass
dieser Prozess wissenschaftsgeschichtlich
mit dem Wirken des Historikers Karl Lamprecht (1856–1915) in Leipzig zusammentraf. Das Innovative bei Lamprecht war die
Idee, Weltgeschichte als Einheit zu betrachten. Von dieser universalgeschichtlichen
Perspektive her wurde sein Blick vor allem
durch den Sieg Japans im Russisch-Japanischen Krieg 1905 in besonderer Weise auf
Ostasien gelenkt und bereits 1906 eine Ostasiatische Abteilung an dem von ihm geleiteten Institut für Kultur- und Universalgeschichte eingerichtet. Diese war vor allem
auf japanische Geschichte fokussiert, vertreten von André Wedemeyer (1875 bis
1958), einem Lamprecht-Schüler. Die erfolgreichen Bemühungen Lamprechts,
Literatur zu Ostasien zu erwerben, wurden
gekrönt durch eine umfangreiche Bücherspende des Pekinger Kaiserhofes. Sie legten einen wichtigen Grundstein für die Bibliothek des späteren Ostasiatischen Seminars, die Wedemeyer 1914 als die „am beHeft 4/2004
sten ausgestattete Bibliothek auf dem europäischen Kontinent“ bezeichnete.
Die Gründung des Ostasiatischen Seminars in Leipzig steht in Zusammenhang mit
tiefgreifenden geistigen Umbruchprozessen, die in den Jahren vor dem I. Weltkrieg
stattfanden und in intellektuellen Ereignissen wie der Einsteinschen Relativitätstheorie, der Psychoanalyse Freuds, der
Hermeneutik Diltheys oder auch in der atonalen Musik Schönbergs ihren Ausdruck
fanden. Es war damit eine Erweiterung bisheriger Wahrnehmungshorizonte verbunden, was sich nicht zuletzt auch im neuen
wissenschaftlichen Ansatz von Lamprecht
widerspiegelte.
Die „Leipziger Schule“ der Sinologie war
durch den Grundsatz bestimmt, China aus
sich heraus zu verstehen – verbunden mit
dem Prinzip der Achtung vor den Errungenschaften der chinesischen Zivilisation,
die nicht als „balsamierte Mumie“ begriffen wurde, sondern als Phänomen mit
eigenständiger Entwicklung, das damit
auch der christlichen Missionierung nicht
bedürfe. Damit stand die „Leipziger
Schule“ im Widerspruch zum politischen
Zeitgeist, wie er sich vor allem mit der
Bewertung des chinesischen „Boxer-Aufstandes“ 1900 verfestigt hatte.
Anders verlief die Entwicklung in dem im
Februar 1933 gegründeten Japan-Institut.
Sein Leiter, der zum Professor für Sprache
und Kultur des modernen Japan berufene
Johannes Ueberschaar (1885–1965) verflachte die völkerkundlich und sozialpsychologisch fundierte Geschichtstheorie
Lamprechts von den Kulturzeitaltern beträchtlich und instrumentalisierte sie letztlich, um die Qualität völkischer Anlagen
nachzuweisen, wie sie politischen Großtaten einer Nation zum Ausdruck kämen.
In der Sinologie hingegen vollzog sich eine
deutliche Akademisierung. Interessen der
Praxis wurde hier nicht gedient, und umgekehrt war in der politisch-kommerziellen
Praxis eher China-Kenntnis der Nicht-Sinologen gefragt. So wurde indirekt jenseits
der Wissenschaft ein Hang zu ungelehrter
Vorwitzigkeit gefördert. Zu den modernen
Konsequenzen aus der Geschichte des Ostasiatischen Seminars gehörte deshalb die
Schlussfolgerung, dass bei aller notwendigen Grundlagenforschung stets auch ein
praktischer Sinn zu bewahren ist.
Bahnbrechendes wurde in Leipzig geleistet. Für die Anfangsphase der Ostasienwissenschaften stehen dafür das epochale Gabelentzsche Werk „Chinesische Grammatik“ (1881), die gewaltige Arbeit Conradys
zur indochinesischen Causativ-Denominativbildung (1896), seine Publikation
zur Geschichte Chinas (1910) sowie der
„Lehrgang zur chinesischen Schriftsprache“ (1929–33) von Erich Haenisch
(1880–1966), der die ostasienwissenschaftliche Professur 1925–1932 innehatte. Dabei wirkte die „Leipziger Schule“
nicht nur über ihre Forschung nach außen
sondern auch dadurch, dass Studenten und
Doktoranden im Zuge der Emigration vor
der NS-Herrschaft ihre Arbeit im Ausland
fortsetzten. Auch nach 1945 kamen aus
Leipzig – wieder im Zuge der Flucht vor
politischen Verhältnissen – wichtige personelle Impulse für die Entwicklung der
westdeutschen Sinologie. Die japanologische Lehre und Forschung hingegen
konnte sich trotz aller Bemühungen von
Wedemeyer (1932 zum Professor am Seminar berufen und 1945 vom Rektor gebeten, das Japan-Institut weiterzuführen)
nicht wieder etablieren und hörte bald nach
seinem Tod faktisch auf zu existieren.
In den 90 Jahren seit der Gründung des
Ostasiatischen Seminars stand in der Anfangsphase die Sinologie im Vordergrund,
während in der NS-Zeit die Japanologie
dominierte. 1952 wurde aus dem Ostasiatischen Seminar unter Führung des von den
Nazis gemaßregelten Sinologen Eduard
Erkes (1891–1958) das Ostasiatische Institut, das man im Zuge der 3. Hochschulreform Ende der 60er Jahre auflöste. Seine
Neugründung erfolgte 1993 und seit 1996
sind Sinologie und Japanologie gleichwertige Säulen ostasienwissenschaftlicher
Lehre und Forschung in Leipzig. Die verschiedenen Projekte, an denen derzeit gearbeitet wird, und auch die 445 Studierenden zeugen davon, dass es sich längst um
keine kleinen oder gar „Orchideenfächer“
mehr handelt.
Eine ausführliche Darstellung der Geschichte
des Leipziger Ostasiatischen Seminars findet
sich bei Christina Leibfried, Sinologie an der
Universität Leipzig, Leipzig 2003.
39
Jubiläum 2009
Ein „Pillendreher“
auf dem Südfriedhof
Das Grab Carl Felsches und sein besonderer Stein
befinden sich in Uni-Obhut
Von Prof. em. Dr. Elke Blumenthal, Ägyptologisches Institut/Ägyptisches Museum
Auf dem Leipziger Südfriedhof, VI. Abteilung, Wahlstelle 60, steht ein wohlproportionierter querrechteckiger Grabstein von
2 m Breite und 0,90 m Höhe aus hellgrauem Muschelkalk. In der tief ausgearbeiteten Mulde inmitten seines Giebeldreiecks ist ein Skarabäus-Käfer in Aufsicht modelliert, im Mittelfeld symbolisieren die Reliefs einer aufrechten und einer
gesenkten Fackel entzündetes und erloschenes Leben. Die vierzeilige Inschrift
zwischen den Fackeln nennt den Grabinhaber Carl Felsche, sein Geburtsdatum
9. Oktober 1839, sein Sterbedatum
11. April 1914 und als Stifter des Steins
„Die Universität Leipzig in dankbarem Gedenken“.
Als Ägyptologe ist man elektrisiert. Denn
der Skarabäus (Scarabaeus sacer) galt den
alten Ägyptern als das Symbol für die Auferstehung aus dem Tode schlechthin und ist
auf Grabwänden und Särgen abgebildet
und in zahllosen plastischen Nachbildungen von Lebenden und Toten als heilbringendes Schmuckstück an Ringen und Ketten getragen und in Mumienbinden eingewickelt worden (Abb. 3). Grund dafür ist
die Lebensweise der ägyptischen Spielart
des Mistkäfers. Der männliche Käfer nämlich rollt aus Dung eine Kugel, die er als
Nahrungsvorrat in einem selbst gegrabenen Erdloch deponiert. Dorthin zieht er
sich auch mit einem Weibchen zurück, das
nach der Befruchtung seinerseits eine
Dungbirne formt, sie in eine weitere unterirdische Höhle schleppt und in ihr ein Ei
ablegt. Die Larve, die ihm entschlüpft,
frisst sich an der Birne satt, verpuppt sich
und arbeitet sich, nachdem sie die feste
Umhüllung durchbrochen hat, als fertiger
Käfer aus der Erde empor. Der Ägypter,
der nur die oberirdischen Vorgänge kannte,
sah in dem „Pillendreher“ mit der übermächtigen Kugel ein Abbild des allmor-
NOMEN
Namenforscher Prof. Jürgen Udolph zur Herkunft des Namens „Felsche“
Unter 40 Mio. Telefonteilnehmern (Stand:
1998) ist der Name Felsche 36-mal bezeugt. Im ostfälischen Gebiet, v. a. bei
Magdeburg, ist er am häufigsten belegt.
Während M. Gottschald, Deutsche Namenkunde, Berlin–New York 1982, S.
182 schwankt, ob man eine Verbindung zu
Fal- (dem Element in Westfalen, Ostfalen), zu slav. Vel, Velij „groß“ oder zu dt.
Volk, herstellen soll, weist das Material
bei R. Zoder, Familiennamen in Ostfalen,
Bd. 1, Hildesheim 1968, S. 508f. den
wohl richtigen Weg. Unter dem Ansatz
Fölsch/Völsch wird eine Kurzform Fols,
Vols angesetzt (wobei zu beachten ist, dass
-sch für -s erst spät eindringt) und diese
zu den Personennamen mit dem Element
40
Volk- gestellt. Hierher gehören etwa Volker, Volkbrecht, Volkhard, die heute als
Vor- und Familiennamen wie Vollbrecht,
Fulbright, Volker, Folkert, Volkmann, Vollrad, Volkwart u. a. m. fortleben. Zugrunde
liegt mittelhdt. volc, althochdt. folc, altsächs. folk, aus germ. fulka- „Volk,
Kriegsvolk“, auch in altengl. folc, anord.,
altfries. folk.
R. Zoder bietet u. a. folgende Belege:
1372 Volseke Vischere, 1501 Hans Folssen, 1616 Hans Fölsche, 1727 Fölsche,
auch geschrieben Felsche, Föhlsche, Fölsche, woraus klar wird, dass Felsche eine
sogenannte entrundete Form mit -e- für ö- ist und letztlich auch zu dt. Volk gestellt
werden kann.
gendlichen Aufgangs der Leben spendenden Sonne aus Nacht und Unterwelt und im
Verschwinden des Käfers in der Erde und
seinem Wiederauftauchen ein Vorbild für
sein eigenes Begrabenwerden und erhofftes Wiederauferstehen in einer jenseitigen
Welt.
Merkwürdigerweise hat sich die europäische Ägyptenrezeption des 19. und
20. Jahrhunderts, die sich zumal auf Friedhöfen der altägyptischen Formen- und
Symbolwelt gern bedient hat (auch in Leipzig gibt es Grabmäler mit Pyramiden, Tempelfassaden und Obelisken), das naheliegende Skarabäus-Motiv entgehen lassen.
Carl Felsches Grabstein ist ein Unicum.
Wer aber war Carl Felsche, und wie kam er
zu seinem ungewöhnlichen Grabschmuck?
In den Personalakten der Universität ist er
nicht nachzuweisen; auch liegt das Grab
nicht in den Rabatten mit den Gräbern der
Professoren, sondern nahe den monumentalen Grabbauten von Leipziger Patriziern
um die Wende des 19./20. Jahrhunderts
nahe dem neoromanischen Kapellenkomplex. Mit Felsches Beziehung zur Universität hat es eine andere Bewandtnis. Zwar
war er mit der Familie des berühmten Leipziger Kaffeehausgründers gleichen Namens verwandt, hatte aber als Rentier leben
können und, da ohne Nachkommen, der
Universität sein gesamtes Vermögen vermacht, bestehend aus der Hälfte einer stattlichen Immobilie (Grundstück Dresdener
Straße 27 / Grenzstraße 2; die andere Hälfte
kaufte die Universität später Felsches
Schwester ab), Wertpapieren und einer
Sammlung von Blatthornkäfern (Scarabaeidae). Im Gegenzug hatte er die Universität verpflichtet, seine Grabstätte zu
gestalten und zu pflegen.
Infolge von Unstimmigkeiten bei der Vollstreckung des Testaments und den unsicheren wirtschaftlichen Verhältnissen am
Ende des Ersten Weltkriegs ist das Grabjournal
Jubiläum 2009
Abb. 1
Der Grabstein Carl Felsches vor der Restaurierung …
Foto: Katrin Löffler
mal erst 1920 errichtet worden. Damals
waren die pompösen Entwürfe, die Felsche
hinterlassen hatte, nicht mehr auffindbar,
und so entschied sich die Universität für
die schlichtere Variante der Leipziger
Steinmetzfirma Petzold & Mrusek, die bereits bei der Bauornamentik der Friedhofskapelle mitgewirkt und für ihre Skulpturen
am Völkerschlachtdenkmal eine Goldmedaille errungen hatte. Die Grabpflege
wurde im Auftrag der Universität besorgt,
bis 1949 die ihr unterstellte Carl-FelscheStiftung mit allen anderen privaten Stiftungen in der Sächsischen Sammelstiftung
bzw. der 1956 daraus entstandenen Sammelstiftung des Bezirkes Leipzig zusammengefasst wurde, die auch deren Verbindlichkeiten übernahm.
Als die Sammelstiftung zum Ende des Jahres 2002 aufgelöst wurde, fiel die Zuständigkeit für die Grabstätte Felsche an die
Universität zurück. Im Lauf der Jahrzehnte
hatte der Stein, der wegen seiner künstlerischen Qualität bereits 1998 unter Denk-
Abb. 2
… und in restauriertem Zustand.
malschutz gestellt worden war, durch Setzungen des Erdreichs und Witterungseinflüsse gelitten und bedurfte dringend der
Restaurierung (Abb. 1). Dank der großzügigen Finanzierung seitens der Vereinigung von Förderern und Freunden der Universität Leipzig e. V. und der Universitätsleitung konnte im Herbst 2003 der Leipziger Steinbildhauer Markus Gläser dafür
gewonnen werden. Auf stabilisiertem
Fundament, neu verfugt, mit ergänzten
Bruchkanten, gereinigter Oberfläche und
farbig ausgelegter Inschrift präsentiert sich
das Denkmal nun in würdigem Zustand
unter den hervorragenden Grabmonumenten des Historismus in seinem Umfeld
(Abb. 2).
Der Gedanke, den Grabstein anstelle des
ursprünglich vorgesehenen Kreuzes mit
einem Skarabäus zu krönen, geht nicht auf
Carl Felsche, sondern auf seine Schwester
Elise zurück. Nach allem, was über sie zu
erfahren war, ist auszuschließen, dass sie
ihm einen ägyptischen Sinn unterlegen
Foto: Markus Gläser
wollte. Vielmehr galt das Motiv allein dem
Forschungsgegenstand ihres Bruders, der
sich als Skarabäenkenner und -sammler
international einen Namen gemacht hatte;
seine Käfersammlung umfasste 48 321
Exemplare der Familie Scarabaeidae und
mit 11 337 Arten etwa 80 bis 90 Prozent der
damals bekannten Blatthornkäfer. Nach
seinem Tod hatte das Leipziger Zoologische Institut den Bestand nicht übernommen, weil er zu speziell für die universitäre
Forschung und Lehre war, und so ist er
1918 an das Königliche Zoologische und
Anthropologisch-Ethnographische
Museum in Dresden verkauft worden, in dessen Nachfolgeeinrichtung, dem Staatlichen
Museum für Tierkunde, er nach den hier
wiedergegebenen Auskünften des entomologischen Kustos Olaf Jäger bis heute einen prominenten Rang einnimmt. Die Universität Leipzig aber hat, ohne es zu beabsichtigen, zugleich mit ihrem Gönner auch
einem bedeutenden Privatgelehrten akademische Ehren erwiesen.
Ein Foto von Carl Felsche lag der Redaktion leider nicht vor.
Liebe Leser,
Abb. 3
Kieselkeramik-Skarabäus: (v. l.) Rücken, rechte Seite und Unterseite mit gravierter
Bildszene, die Pharao Ramses II. zeigt, während er den Sonnengott anbetet („ägyptische Fayence“, Länge 2,1 cm, Breite 1,6 cm, Höhe 0,9 cm). Der Fundort ist unbekannt. Datierung: Neues Reich (13./12. Jh. v. Chr.).
Fotos: Ägyptisches Museum
Heft 4/2004
die nächste Ausgabe des Uni-Journals
erscheint zu Beginn des Wintersemesters im Oktober. Die Redaktion wünscht
Ihnen eine vorlesungsfreie Zeit voller
sonniger Urlaubs- und produktiver Arbeitstage.
41
Titel5-04 05.10.2004 11:29 Uhr Seite 1
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Oktober 2004
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Heft 5/2004
CY CMY
K
ISSN 0947-1049
Uni-Lehrlinge über ihre Ausbildung:
„Wissen ist Gold wert“
Karl-Eduard von Schnitzlers Reportagen:
Schöne Heimat DDR
Problemorientiertes Lernen:
Fieber im Tutorium
„Denkmal“: Ein Bett nach Maß
für einen silbernen Jüngling
Interview mit Eduard Beaucamp über Tübkes
Gemälde „Arbeiterklasse und Intelligenz“
Studenten mit Erfindergeist:
Der Liegestuhl fürs Buch
journal
Die Universität bildet Forschungscluster
Mit klarem Konzept Kompetenzen zusammenführen
Probedruck
EDITORIAL
Wettbewerb
und Selbstfindung
Inhalt
UniVersum
Die Uni-Lehrlinge schätzen ihre Ausbildung
Universität, Klinikum und Freistaat
schließen Vertrag
Gremien
Sitzungen des Senats am 13. 7. und 14. 9.
2
4
5/6
Forschung
Karl-Eduard von Schnitzlers Reportagen
Interview zum Start des Netzwerks SANDiE
Mini-„Flüstergalerien“ für Licht
Qualität der Spermien geht zurück
Schienen gegen das Zähneknirschen
6
8
9
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10
Fakultäten und Institute
Germanistik: Der neue Dornseiff
Durch moderne Technik geschützte Kunst
Lyrische Stimmen aus Sachsen
Russisch lernen per Computer
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12
13
14
UniCentral
Der „Wettbewerb Exzellenzinitiative“ –
Chronologie einer Vorbereitung
Cluster 1 – Vorstellung und Beispiel
Cluster 2 – Vorstellung und Beispiel
Cluster 3 – Vorstellung und Beispiel
Cluster 4 – Vorstellung und Beispiel
Cluster 5 – Vorstellung und Beispiel
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20/21
22/23
24/25
Studiosi
Deutsch fürs Studium und fürs Leben
Offener Brief an die Studienanfänger
Studenten erfinden Buchstütze
Problemorientiertes Lernen in der Medizin
Gut vorbereitet ins Ausland – mit KISS
Neues Stipendiaten-Netzwerk
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Personalia
Nachrichten
Zum 200. Todestag von Christian F. Weiße
Neu berufen
Nachrufe
Kurz gefasst / Geburtstage
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40/41
Jubiläum 2009
Gesichter der Uni: Michael Wirth
Interview mit Eduard Beaucamp über
Tübkes „Arbeiterklasse und Intelligenz“
Über das Epitaph für Heinrich Heideck
Am Rande
Nomen
Impressum
Titelbild: Randy Kühn
41
42
44
29
38
4
Anfang 2004 gab Bundesministerin Edelgard Bulmahn ihre
Pläne zur Förderung von Elitenuniversitäten in Deutschland
bekannt. Im Rahmen der Innovationsinitiative der Bundesregierung sollten fünf deutsche Universitäten zur internationalen Spitze gefördert werden. Nach anfänglichen, z. T. erheblichen Konfusionen und nach Intervention der Länder zeichnete sich ab, dass für zehn Spitzen-Universitäten sowie für
den Ausbau internationaler Spitzenforschung an den Universitäten und Hochschulen (Exzellenzcluster und „Graduiertenschulen“) insgesamt 1,9 Milliarden Euro zur Verfügung
gestellt werden sollten.
Im Bewusstsein des besonderen Leipziger Standortvorteils mit 18 außeruniversitären Forschungseinrichtungen, darunter drei Max-Planck-Instituten,
fünf Hochschulen und dem Umweltforschungszentrum wurde im Februar 2004 von der Universität
Leipzig zu einem ersten „Leipziger Forschungsgipfel“ eingeladen. Kompetenzbereiche wurden identifiziert, Arbeitsgruppen, geleitet von Mitgliedern
der Forschungskommission, gebildet und eine konzeptionelle Arbeit begonnen, die inzwischen nicht nur das
Ausmaß einer grundlegenden Forschungsinventur angenommen hat, sondern zugleich zum Erkennen neuer gemeinsamer, interdisziplinärer Forschungsansätze und zur Entwicklung neuer Forschungsvorhaben geführt hat. Eine Selbstfindung, die für sich alleine bereits einen hohen Wert darstellt.
Als derzeitiges Zwischenergebnis liegt eine Analyse zu folgenden, besonders erfolgversprechenden Kompetenzbereichen (Clustern) vor: Von Mikro- zu Nanostrukturen: Anwendungen in Chemie und Physik; Mathematik und die exakten
Naturwissenschaften; Molekulare und zelluläre Kommunikation, Wachstum und Differenzierung: Biomedizin, Biotechnologie und Bioinformatik; Vom Molekül zum Verhalten; Neue
Räume sozialer und kultureller Prozesse. Diese werden im vorliegenden Heft vorgestellt. Es muss dabei betont werden, dass
dies sicher nicht die vollständige wissenschaftliche Exzellenz
an unserer Universität widerspiegelt, die in ihrer Vielfalt nicht
in fünf Clustern abgebildet werden kann.
Chancen, im BMBF-Wettbewerb bestehen zu können, sehen
wir vor allem bei der Bildung von Exzellenzzentren. Auch
durch unsere Erfahrungen mit Graduiertenkollegs und internationalen Promotionsstudiengängen sind wir gut aufgestellt.
Sehr erfreulich ist das Engagement der Stadt Leipzig, die
unsere Bestrebungen zur Profilierung und internationalen
Ausstrahlung des Universitäts- und Wissenschaftsstandortes
Leipzig unterstützt und auch finanziell fördert, wofür ich mich
ausdrücklich bedanken möchte. Bedanken möchte ich mich
ebenfalls bei allen Kolleginnen und Kollegen, vor allem in der
Forschungskommission und in den Cluster-Arbeitsgruppen,
die mit hohem persönlichen Einsatz diesen Prozess in die
Wege geleitet haben und ihn weiter vorantreiben.
Prof. Dr. Martin Schlegel,
Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs
1
UniVersum
„Wissen
ist Gold
wert“
Die Lehrlinge
der Universität
schätzen ihre
Ausbildung
Text und Fotos von Karsten Steinmetz
Sie sind jung, sie sind fast überall und sie
werden von Jahr zu Jahr mehr: die Lehrlinge der Universität Leipzig. Sie arbeiten
verdeckt, hinter den Kulissen der Wissenschaft, als Feinwerkmechaniker, Bibliothekare, Gärtner etc. und leisten damit einen
wichtigen Beitrag zum universitären Betrieb.
Gemeinhin scheint die Universität ja als
eine reine Forschungs- und Lehrstätte.
Dass hier aber auch Fachausbildungen angeboten werden, ist eine organisatorische
Notwendigkeit. Man bedenke zum Beispiel
die immense Verwaltungslast, die Ordnung
der Bücher oder die Bereitstellung von
Computer- und Internetzugängen.
Damit solche Leistungen erbracht werden
können, wird der dafür nötige Erfahrungsschatz intern weitervermittelt. Dieser
Die Universität Leipzig bietet Jugendlichen folgende Ausbildungsberufe:
Physiklaborant, Biologielaborant, Chemielaborant, Facharbeiter für Medien
und Informationsdienstleistung, Elektroniker, Feinwerkmechaniker, Gärtner,
Fachangestellte für Bürokommunikation, Fachinformatiker, Tierarzthelfer,
Tierpfleger und Glasapparatebauer. Die
jeweilige Lehre beginnt mit einer dreimonatigen Probezeit und kann sich über
drei bis dreieinhalb Jahre erstrecken.
Die streng am sächsischen Rahmenlehrplan orientierte Ausbildung erfordert
Realschul- bzw. Abiturabschluss.
2
Susan Sägenschnitter, Lehrling im Botanischen Garten, beim Gießen.
Aspekt, also die Ausbildung von fachspezifischen Lehrlingen, liege der Universität
Leipzig ganz besonders am Herzen, sagt
Dr. Fritz König, Dezernent für Personalangelegenheiten. „Im letzten Jahrzehnt
wurde trotz der administrativen, didaktischen und finanziellen Mehrbelastung die
Anzahl der Auszubildenden um 38 Prozent
erhöht.“ Der Dezernent betont: „Mit dem
im August begonnenen neuen Ausbildungsjahr sind an zwölf Fakultäten immerhin 69 Auszubildende tätig.“
Mario Schreiber, Feinwerkmechaniker in
einer Physik- und Medizinwerkstatt, hat
seine Lehre an der Universität Leipzig vor
Kurzem vollendet. Er lobt die Qualität seiner Ausbildung. „Wir haben Sachen gelernt, die man in den privatwirtschaftlichen
Betrieben gar nicht mehr lernen kann, weil
dafür keine Zeit ist. Dieses Wissen wird
zwar nicht mehr so oft gebraucht, aber bei
Spezialapparaturen ist es Gold wert.“ Die
Feinwerkmechanikauszubildenden erlernen die Fertigkeiten des Drehens, Fräsens,
Feilens, der spannenden Verfahren, aber
auch das Treiben oder Spalten von Metallen und von Kunststoffen. Für den Inhalt
der Ausbildung ist Frank Eichelbaum,
Meister in der Feinmechanikwerkstatt der
Physik, zuständig. „Er hat“, so sagt Mario
Schreiber, „eine genaue Liste, was man im
Lehrjahr machen muss und da lernt man
dann wirklich alles.“
Zum Beispiel auch, wie man Röntgenlineale produziert. Dabei handelt es sich
um einen Plexiglasstab mit Edelstahldraht
darin, der dann in der Orthopädie ange-
wandt wird. „Leute mit künstlichen Hüftgelenken werden damit geröntgt und dadurch kann man erkennen, ob die Hüfte
schief ist und dann feststellen ob ausgeglichen werden sollte.“ Natürlich sei es bei
solchen Maßarbeiten schön, sagt der Lehrling, „dass die Leute einen hinterher noch
einmal auf dem Gang sehen, ankommen
und sagen: Das war toll, was sie da gemacht haben.“
Es ist die Einzelfertigung, „wo man im
Gegensatz zur Serienfertigung immer neu
überlegen muss, wie fertigt man das an“
und natürlich „die große Bandbreite der
Ausbildung“, die eine Lehre an der Universität Leipzig für Mario Schreiber erstrebenswert gemacht haben. Für die Zeit
nach seiner Ausbildung hat der junge Mann
bereits große Pläne: „Ich möchte nach meiner Lehre entweder erst zwei, drei Jahre als
Geselle schaffen und dann meinen Meister
machen oder bei Porsche arbeiten, da
suchen sie auch Feinmechaniker.“
Für Kornelia Tripke, eine Auszubildende
im Medien- und Informationsdienst an der
Bibliotheca Albertina, war ebenfalls die
Vielfältigkeit der anfallenden Aufgaben
ein positiver Aspekt ihrer Ausbildung. Sie
beschreibt einen typischen Arbeitstag so:
„Früh morgens wird bibliographiert, das ist
fest. Das muss man machen. Danach geht
es in die vielen unterschiedlichen Abteilungen: die Auskunft, die Verwaltung, die
Benutzung, die Ausleihe, die Fernleihe, das
Sekretariat oder den Bereich, in dem man
sich um Schenkungen, Austausche und
Ankäufe kümmert.“ Die abwechselnden
journal
UniVersum
Stationen müssen dabei nicht nur in der
Hauptbibliothek in der Beethovenstraße
besetzt werden, sondern die zukünftigen
Fachangestellten unterstützen auch die
Zweigstellen. Auf die Frage, was sie für
ihre Zukunft plant, antwortet Kornelia
Tripke: „Ich werde erst einmal ein halbes
Jahr übernommen in der Verwaltung. Mal
schauen, was ich da mache, und wenn es
mir liegt, will ich hoffen, dass ich übernommen werde.“
Das dies eine vage Hoffnung ist, weiß die
Personalsachbearbeiterin Gudrun Hesse,
die unter anderem die Universitäts-Auszubildenden betreut. „Nach der Ausbildung
können meist nur einige wenige der Absolventen in eine feste Anstellung übernommen werden.“ Was aber die Lust auf eine
universitäre Lehre nicht mindere, denn
„den Lehrlingen gefällt es allen. Weil ja an
der Universität die Ausbildung für die
Azubis sehr umfangreich und vielseitig
ist“.
Dies gilt auch für den Botanischen Garten
der Universität. „Hier hat man den Vorteil,
das man bei der Arbeit wirklich jede Art
von Abwechslung hat“, sagt die Gärtnerin
Susan Sägenschnitter. Sie wurde bis August im Topfen, Pikieren, Ausputzen, Gießen, Laub kehren, Düngen und im Pflanzenschutz unterrichtet. Ob das jeder kann?
Susan meint: „Kommt immer darauf an,
wie lernfähig derjenige ist.“ Denn man
„hat mit verschiedenen Pflanzen und verschiedenen Leuten zu tun und neben den
praktischen Aufgaben muss auch eine
Pflanzenliste gelernt werden.“ In ihr, so
Sabine Hörig, Lehrling in der Universitätsbibliothek, beim Sortieren von Büchern.
Elvira Bierbach, Meisterin und zuständig
für die Ausbildung der Lehrlinge im Botanischen Garten, „sind 320 Pflanzen registriert, die der Lehrling kennen muss. Beetund Balkonpflanzen, Gehölze und Unkräuter. Gattung und Artname und den deutschen Namen muss man kennen.“ Die Ausbilderin muss für die Lehre viel Zeit investieren: „Es kann schon mal vorkommen,
dass ich mich manchmal auch noch abends
hinsetzte und zu Hause die Aufgaben vorbereiten muss. Das mache ich aber gerne.
Wenn die Lehrlinge mitmachen, dann
macht es Spaß und dann macht man es mit
Freude.“
Es ist insbesondere dieses Klima des persönlichen Engagements der Ausbilder, der
gesellschaftlichen Verantwortung der Universität und der Motivation der Lehrlinge,
die das Auszubildendensystem der Universität Leipzig auszeichnen. Man kann also,
so Dr. König, „mit Recht von einem Erfolgsmodell sprechen, das hohe Ausbildungsstandards erzeugt und außerdem zusätzlich garantiert, dass Forschung und
Lehre funktionieren.“
Oben: Arbeitsproben zu Facharbeiterprüfungen in der Werkstatt der Feinwerkmechaniker.
Rechts: Feinwerkmechanik-Ausbilder Frank Eichelbaum.
Heft 5/2004
3
UniVersum
Klinikbauten werden
nach neuem Modell
finanziert
Universität und Klinikum schließen Vertrag
mit dem Freistaat
Vertreter des Freistaats Sachsen, der Universität und des Universitätsklinikums
Leipzig unterzeichneten am 13. September
einen Vertrag für die Leipziger Hochschulmedizin. Ihr sollen damit umfangreiche
Investitionen in kürzeren Zeiträumen ermöglicht werden.
Journal
Mitteilungen und Berichte für die Angehörigen
und Freunde der Universität Leipzig
Herausgeber: Rektor der Universität Leipzig,
Ritterstr. 26, 04109 Leipzig
Redakteur: Carsten Heckmann
Ritterstr. 26, 04109 Leipzig
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V.i.S.d.P.: Volker Schulte
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die
Meinung der Autoren wieder.
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Gutenbergstraße 1, 04600 Altenburg
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Ansprechpartnerin: Ingeborg Keller
Tel.: 0 34 47 55 51 53
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Das Journal kann gegen Übernahme der
Versandkosten bezogen werden bei:
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Die Redaktion behält sich vor, eingesandte
Artikel zu redigieren und zu kürzen. Bei unverlangt eingesandten Manuskripten besteht keine
Gewähr für einen Abdruck.
Der Nachdruck von Artikeln ist gestattet, sofern
die Quelle angegeben wird. Ein Belegexemplar an
die Redaktion wird erbeten.
Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 24. 9. 2004
ISSN 0947-1049
4
Der dreiseitige Vertrag sichert der Leipziger Hochschulmedizin bis zum Jahre 2014
Mittel in Höhe von 214 Millionen Euro
vorrangig für den Bau von zwei neuen
Klinikkomplexen. Es handelt sich um die
Zentren für Konservative Medizin und für
Kinder- und Frauenmedizin. Baubeginn ist
noch in diesem Jahr, bis 2008 sollen sie fertiggestellt sein. Dann soll das Universitätsklinikum Leipzig am Standort Liebigstraße
zusammen mit dem im Vorjahr eröffneten
Operativen Zentrum über einen der modernsten Krankenhauskomplexe in Europa
verfügen.
Unterzeichnet wurde der zwischen Staatsregierung, Klinikum und Universität für
ihre Medizinische Fakultät geschlossene
Vertrag durch Finanzminister Dr. Horst
Metz, Wissenschaftsminister Dr. Matthias
Rößler, den Rektor der Universität Leipzig,
Prof. Dr. Franz Häuser, und die beiden
Vorstandsmitglieder des Universitätsklinikums, Prof. Dr. Norbert Krüger und Dr.
Elmar Keller.
„Der Vertrag sichert den Fortbestand und
die Weiterentwicklung der Leipziger
Hochschulmedizin auf nachhaltige Weise“,
unterstrich Rektor Häuser, Minister Metz
sprach von einer „Schlüsselinvestition, die
unser Land weiter voranbringen wird“, und
Minister Rößler erklärte, der Vertrag gewähre ein hohes Maß an Planungssicherheit und sei „von strategischer Bedeutung
für den Aufbau einer bezahlbaren Hochleistungsmedizin“. Beide Minister wie
auch die Vertreter des Klinikums würdigten den Einsatz und die Überzeugungskraft
des Rektors in seiner Moderatorenrolle
zwischen allen Beteiligten, die ganz wesentlich zum Zustandekommen des Vertrages beigetragen habe.
Ein Teil der 214 Millionen Euro stammt
aus der Gemeinschaftsaufgabe Hochschul-
bau und wird vom Bund getragen. Aber
auch der Freistaat bindet damit auf Dauer
eine beträchtliche Geldsumme. Möglich
wird dies, da im Vertrag der Zuschuss zum
laufenden Betrieb des Klinikums in Investitionsmittel umgewidmet wird. Das Klinikum seinerseits verpflichtet sich, die entfallenden Mittel durch Effektivitätsgewinne auszugleichen, ohne Abstriche bei
den Leistungen für Forschung und Lehre
zu machen. Dabei werden die Neubauten
hilfreich sein.
Leipzig ist damit das erste Universitätsklinikum in Deutschland, das seine Abläufe
so optimieren wird, dass es ohne Betriebskostenzuschuss auskommen kann. Ein entscheidender Vorzug des Vertragswerkes ist,
dass damit die Klinikbauten deutlich
schneller errichtet werden können, als
wenn dies nach der klassischen Hochschulbaufinanzierung geschähe.
Das Zentrum für Konservative Medizin
wird u. a. das Zentrum für Innere Medizin
mit den vier Kliniken sowie die Kliniken
und Polikliniken für Neurologie, für
Psychotherapie und Psychosomatische
Medizin, für Psychiatrie und die Tagesklinik für kognitive Neurologie umfassen.
Das Zentrum für Kinder- und Frauenmedizin besteht u. a. aus den Kliniken und Polikliniken für Kinder und Jugendliche, für
Kinderchirurgie, für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindesund Jugendalters, für Geburtshilfe und Gynäkologie.
Der Vertrag zielt aber auch auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation
und der Förderung innovativer Vorhaben in
Forschung und Lehre. So werden der Medizinischen Fakultät vom Freistaat jährlich
5 Millionen Euro über einen Zeitraum von
5 Jahren zur Verfügung gestellt.
V. S.
journal
Gremien
Neue Gesichter in EhrenKommissionen
doktorSitzung des Senats am 13. Juli
würden
geplant
1. Der Senat befasste sich mit Berufungsangelegenheiten: Berufungskommission
für „Volkswirtschaftslehre, insbesondere
Wirtschaftspolitik“ (C4) (Nachfolge Prof.
Hasse); Ausschreibung und Berufungskommission (nach Denominationsänderung) für „Didaktik der romanischen Sprachen“ (C3), bisher „Kulturstudien der
Romania“; (nach Verfahrenseinstellung)
„Didaktik des Englischen als Fremdsprache“ (C3); „Stadtentwicklung (Urban Management)“ (C3); „Konservierende Zahnheilkunde und Parodontologie“ (C4);
„Theoretische Chemie“ (C4); Berufungsvorschläge für „Stahlbau/Holzbau“ (C3,
befristet); „Kinderkardiologie“ (C4); „Entwicklungspsychologie“ (C4), „Theoretische Physik – Physik kondensierter Materie“ (C3); „Technische Chemie der Polymere“ (C4, gemeinsame Berufung mit dem
Leibniz-Institut für Oberflächenmodifizierung).
Der Senat stimmte Anträgen der Fakultät
für Sozialwissenschaften und Philosophie
und der Medizinischen Fakultät zu, PD Dr.
Nikolaos Psarros sowie PD Dr. med. habil.
Lars-Christian Horn und Frau PD Dr. med.
habil. Almut Makuch das Recht zur Führung der Bezeichnung „außerplanmäßiger
Professor“ zu verleihen. Weiterhin stimmte
der Senat dem Antrag der Juristenfakultät
zu, Prof. Dr. iur. Uwe Berlit, Richter am
Bundesverwaltungsgericht, zum Honorarprofessor für das Gebiet „Verfassungs- und
Finanzrecht“ zu bestellen.
2. Der Senat bestätigte die Personalvorschläge des Rektoratskollegiums für die
Kommission zur Verleihung der Leipziger
Universitätsmedaille. Danach werden ihr
neben Rektor und Kanzler Prof. Fach, Prof.
Eger, Prof. Gäbel, Frau Dr. Emsel und Student B. Schulz angehören.
3. Der Senat beschloss Studiendokumente
(Eignungsfeststellungs-, Prüfungs- und
Studienordnung) für den Masterstudiengang „Global Studies“ an der Universität
Leipzig.
Heft 5/2004
4. Der Senat nahm Veränderungen in der
Zusammensetzung der Forschungskommission und der Graduiertenkommission
zur Kenntnis. In der Forschungskommission wird Prof. Meggle Nachfolger von
Prof. Fenner, Prof. Miersemann Nachfolger von Prof. Beyer und Prof. Hörner
Nachfolger von Prof. Hoppe-Graff. Der
Graduiertenkommission gehören neu an:
Frau Prof. Hey-Hawkins (für Prof. Wilde),
Frau Czychon (für Frau PD Dr. Quaas) und
Studentin S. Buschatz (für Frau S. Franz).
5. Der Senat stimmte dem Antrag auf
Weiterförderung des Sonderforschungsbereiches 610 „Proteinzustände mit zellbiologischer und medizinischer Relevanz“ für
den Zeitraum 2005 bis 2008 und dessen
Weiterleitung an die DFG zu. Der Antrag
umfasst 19 Teilprojekte, davon 9 an der
Universität Leipzig, 6 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und 3 an
der Max-Planck-Forschungsstelle „Enzymologie der Proteinfaltung“.
6. Der Senat nahm eine Information des
Rektors über die Ausschreibung der zum
1. Mai 2005 neu zu besetzenden Stelle
des Kanzlers der Universität Leipzig zur
Kenntnis. Herr Gutjahr-Löser scheidet
altersbedingt zum 30. 04. 2005 aus dem
Amt.
7. Der Senat nahm die durch einen Katalog unterstützte Information des Rektors
über die Merchandising-Produkte der Universität Leipzig zur Kenntnis. Auf der kleinen Ausstellung der Artikel im Vorraum
war allenthalben der Ruf nach mehr Mut
zur Farbe zu hören. Näheres unter
www.unishop-leipzig.de
Prof. Dr. F. Häuser
Rektor
V. Schulte
Pressesprecher
Sitzung des
Senats am
14. September
1. Der Rektor hieß eingangs Frau Sabine
Klinger (Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät), Nachfolgerin des ausgeschiedenen
Mittelbau-Vertreters PD Dr. Wolfgang
Tröger, im Kreis des Senats willkommen.
In einem späteren Tagesordnungspunkt bestellte der Senat in der Nachfolge von PD
Dr. Tröger Herrn Volker Rust als Mitglied
der Senatskommission Lehre/Studium/
Prüfungen.
2. Der Senat befasste sich mit Berufungsangelegenheiten. Im einzelnen betraf das:
Ausschreibung und Berufungskommission
für „Linguistik des Deutschen als Fremdsprache mit Schwerpunkt Lexikologie“
(C3/Nachfolge von Frau Prof. Wotjak) –
vorangegangen war eine Denominationsänderung, „Kultursoziologie“ (C4/Nachfolge von Prof. Gerhards), „Kinderzahnheilkunde und Primärprophylaxe“ (C3).
Der Senat stimmte sodann Anträgen der
Fakultät für Mathematik und Informatik
und der Medizinischen Fakultät zu, PD Dr.
rer. nat. habil. Uwe Quasthoff, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Informatik, und PD Dr. med. Jens Oeken,
Chefarzt der HNO-Klinik am Klinikum
Chemnitz, das Recht zur Führung der Bezeichnung „außerplanmäßiger Professor“
zu verleihen.
Des weiteren befasste sich der Senat mit
Berufungsvorschlägen für „Kinder- und
Jugendpsychiatrie“ (C4) und „Französische/frankophone und italienische Literaturwissenschaft“ (C4) sowie Besetzungsvorschlägen für die Stellen eines wissenschaftlichen Angestellten (Juniorprofessur) für „Medizinische Soziologie“ und für
„Psychosoziale Versorgungsforschung“.
5
Gremien | Forschung
Der Senat stimmte der Einstellung des Berufungsverfahrens „Veterinärpathologie“
(C4) zu, wodurch der Veterinärmedizinischen Fakultät die Möglichkeit der Neuausschreibung eröffnet wird.
3. Der Senat gab positive Stellungnahmen
zu Beschlüssen verschiedener Fakultätsräte zur Verleihung der Ehrendoktorwürde
ab. Auf diese Weise ehren wird die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Dr. iur.
Dr. h. c. Klaus Murmann für seine gesellschaftspolitischen Aktivitäten, wie sie insbesondere in dem nach ihm benannten Studienförderwerk der Stiftung der Deutschen
Wirtschaft zum Ausdruck kommt; die
Veterinärmedizinische Fakultät Prof. em.
Dr. med. vet. Dr. med. vet. h. c. Hartwig
Bostedt, Gießen, Prof. Dr. med. vet. Wilfried Kraft, München, und Prof. Dr. med.
vet. Horst Meyer, Jena, für ihre wissenschaftlichen Leistungen und ihre Verdienste um die Leipziger Fakultät; die Erziehungswissenschaftliche Fakultät Peter
Gutjahr-Löser, Leipzig, für seine Verdienste um die Pflege und Erforschung der
geisteswissenschaftlichen Pädagogik, wie
sie insbesondere durch Theodor Litt verkörpert wurde; die Medizinische Fakultät
Prof. Dr. med. Dr. med. h. c. Volker Bigl,
Leipzig, für seine wissenschaftlichen Leistungen auf dem Gebiet der Hirnforschung
und für seine Verdienste um die Neugestaltung der Medizinischen Fakultät.
4. Der Senat bestätigte die Ordnung für
das MD/PhD-Studium an der Universität
Leipzig, das von der Medizinischen Fakultät und der Fakultät für Biowissenschaften,
Pharmazie und Psychologie getragen wird.
Es handelt sich dabei um ein Promotionsstudium mit dem Ziel der Doppel-Promotionen zum Dr. rer. nat. und Dr. med. bzw.
Dr. rer. nat und Dr. rer. med. Auf der Urkunde zu dem absolvierten Zusatzstudium
erscheint die Angabe Doctor of Philosophy
(MD/PhD) für Medizinabsolventen bzw.
Doctor of Scientific Medicine (PhD/MD
(sci)) für Naturwissenschaftler.
5. Der Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs gab dem Senat
zur Kenntnis, dass bei der DFG drei Anträge auf Einrichtung von Graduiertenkollegs eingereicht werden. Einbezogen sind
jeweils Wissenschaftler mehrerer Fakultäten der Universität und teilweise auch Leipziger Max-Planck-Institute. Die Graduiertenkollegs tragen die Titel: „Funktion von
Aufmerksamkeit bei kognitiven Prozessen“, „Intermolekulare Wechselwirkung
beobachtet durch kernmagnetische Resonanz“ und „Gesundheitsrelevante Lebens6
stile: Ernährung und Bewegung“. Die Zustimmung war mit einer allgemeinen Debatte über Finanzierungsfragen, Transparenz der Verfahren und die notwendige
allseitige Abstimmung mit den Fakultäten
vor der Einrichtung solcher Graduiertenkollegs verbunden.
6. Der Senat stimmte dem Forschungsbericht 2003 der Universität Leipzig zu. Er
besteht aus einer Broschüre mit der zusammenfassenden Darstellung der Forschungsaktivitäten. Darin enthalten ist die
Aussage, dass in über 200 Einrichtungen
annähernd 3100 Forschungsprojekte bearbeitet werden. Alle übrigen Informationen
der Institute, Kliniken und Einrichtungen,
etwa über Forschungsprojekte und Publikationen, sind über das Internet zugänglich: www.uni-leipzig.de/forschb
7. Der Senat stimmte dem Lehrbericht der
Universität Leipzig für das Akademische
Jahr 2002/2003 zu. Wie die Prorektorin für
Lehre und Studium in Erläuterung der Stellungnahme der Universitätsleitung zum
Lehrbericht sagte, hat die diametrale Entwicklung von personellen Ressourcen und
Zahl der Studierenden ihren Niederschlag
auch darin gefunden, dass der prozentuale
Anteil von Studierenden außerhalb der
Regelstudienzeit anwuchs und sich die
Betreuungsrelation weiter verschlechterte.
Gleichwohl seien in der Absolventenstatistik „Schwundquoten“ im Extremfall bis zu
80% und eine „Durchfallquote“ bis zu 40%
künftig nicht mehr hinnehmbar. Wenn andere Zulassungsverfahren mit einer stärkeren Auswahl der Studierenden durch die
Universität selbst zur Anwendung kommen
und dadurch das Überlastproblem erheblich gemildert wird, sollte sich auch eine
höhere Absolventenquote ergeben.
8. Der Rektor informierte über den am
13. 9. 2004 zwischen dem Freistaat, der
Universität Leipzig für die Medizinische
Fakultät und dem Universitätsklinikum
abgeschlossenen „Dreiseitenvertrag“ zur
Hochschulmedizin. Ihr sollen damit umfangreiche Investitionen in kürzeren
Zeiträumen ermöglicht werden. So werden
bis zum Jahr 2014 Mittel in Höhe von
214 Millionen Euro vorrangig für den Bau
von zwei neuen Klinikkomplexen zur Verfügung stehen. Die Medizinische Fakultät
erhält in den Jahren 2005 bis 2009 jährlich
5 Millionen Euro zur Verbesserung ihrer
finanziellen Ressourcen und für innovative
Vorhaben.
Prof. Dr. F. Häuser
Rektor
V. Schulte
Pressesprecher
Schöne
Heimat
DDR
Karl-Eduard
von Schnitzlers
Reportagen über
sein Vaterland
Von Judith Kretzschmar, Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft
Karl-Eduard von Schnitzler (1918–2001)
wird bis heute als Inbegriff eines maroden
DDR-Journalismus gesehen, als polemischer Chef-Kommentator des DDR-Fernsehens und vor allem als Leiter und Moderator der propagandistischen Hetzsendung
„Der Schwarze Kanal“, die bis heute synonym für seine Tätigkeit steht. Indessen ist
sein politisches und journalistisches Schaffen ungleich umfassender. In dem von der
Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt „Programmgeschichte des
DDR-Fernsehens – komparativ“ wurden
deshalb seine wenig bekannten 16 abendfüllenden Heimatreportagen hinsichtlich
der Konstruktion des Bildes von Wirklichkeit in der sozialistischen Gesellschaft analytisch-kritisch durchleuchtet und folgende
Befunde ermittelt:
Seit dem IX. Parteitag der SED 1976 wird
in allen gesellschaftlichen Bereichen eine
intensive Hinwendung zur Darstellung der
DDR mit betont heimatverbundenem
Charakter verlangt, um die Identifikation
der Bevölkerung mit ihrem sozialistischen
Vaterland voranzutreiben, die zunehmenden inneren Spannungen einzudämmen
und die Abgrenzungspolitik gegenüber der
Bundesrepublik emotional zu stützen. In
dieser Zeit beginnt auch Karl-Eduard von
Schnitzler, sich seinen DDR-Reportagen
zuzuwenden. Er will dem Zuschauer veranschaulichen, was die Heimat DDR bedeutet, welche Fähigkeiten und Kräfte in
diesem Land stecken und wie es eine Heimat für alle Menschen darstellen kann.
journal
Forschung
Links:
Engagement für die Heimat (oder potemkinsche Dörfer?) –
Karl-Eduard von Schnitzler 1981 während der Dreharbeiten zur
Reportage über Wermsdorf.
Foto: Manfred Marotzke
Unten:
Karl Eduard von Schnitzler (links) mit Kameramann Harald Krauße
(Mitte) im Gespräch mit Bauarbeitern bei Dreharbeiten zu „Rügen –
Entdeckung einer Insel“. Ort der Aufnahme: ein Neubaugebiet in
Saßnitz.
Foto: DRA / Kose
Schnitzler zeichnet (pädagogisch und didaktisch motiviert) ein parteiisches Bild
von der sozialistischen Heimat – ganz im
Sinne der offiziellen Definition, nach der
die Heimat nicht lokal begrenzt, sondern
das gesamte Vaterland ist. Seine Reportagen sollen zum ideologischen und moralischen Selbstverständnis sowie zur geistigen Bewahrung des kulturellen Erbes beitragen, das Geschichtsbewusstsein fördern
und historische Leitbilder vermitteln.
Hierzu entwirft er ein farbenfrohes Bild
von der DDR, einem Land mit moderner
und hochproduktiver Industrie, künstlerischer Vielfalt, mit besten deutschen Traditionen und zufriedenen Einwohnern. Die
DDR wird bis hin zum kleinsten Areal als
innovativ, kraftvoll und zukunftsträchtig
präsentiert.
Schnitzler nutzt in den Reportagen gemäß
seinem subjektiven und ideologisch eindeutigen Heimatbild fixe inhaltlich-thematische und inhaltlich-dramaturgische Konstanten. Er belichtet mittels Gut-BöseSchablone einzelne Mosaiksteinchen und
vermeidet rigoros komplexe Geschichten,
die mehr transportieren könnten, als das
unmittelbar Gezeigte. Die Protagonisten
werden nicht individualisiert, handelnde
Personen weder künstlerisch noch emotional näher vorgestellt. Menschen fungieren
als Statisten, um die Effizienz der Betriebe
zu präsentieren und damit der Wirtschaft
eine glänzende Zukunft zu bescheinigen.
Von realen Problemen weit entfernt, wird
ausschließlich die Überwindung maschineller Schwierigkeiten durch sozialistische
Heft 5/2004
Heldentaten thematisiert. Grundgedanke
in allen Filmen ist die propagierte Einheit
von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die Erfolge beim Aufbau werden gepriesen, um
die Stärke der SED zu untermauern und die
Bürger anzuhalten, mit ihrer ganzen Kraft
für die Verwirklichung der Pläne der Partei
einzutreten. Hierzu dient auch der Blick
auf geschichtliche Details, auf die Erbauer
des historischen Fundamentes der DDR.
Lückenhaft wird das berichtet, was für
das ideologische Anliegen verwertbar
scheint.m
Der inhaltlichen Abfolge der Reportagen
fehlt jede Chronologie. Sprunghaft in der
Erzählung und doch ermüdend gleichförmig in der Gesamtdarstellung präsentiert
Schnitzler „seine“ sozialistische Heimat:
Er schildert die Gegenwart aus der Perspektive einer strahlenden Zukunft. Dabei sind
die Bilder oft ästhetisch überzogen. Alle
untersuchten Filme haben – völlig unabhängig von der Region – einen identischen
Bauplan. Regionale Spezifik wird kaum
thematisiert und wenn, dann mit der Wirkungsabsicht, die Vielschichtigkeit des
kleinen Landes zu zeigen und sie parallel in
Bezug zum gesamten Staatsgebilde zu setzen. Das Bild der DDR dient als Beweis für
das progressive, bessere Gesellschaftssystem. Die Argumentation stützt sich daher
en passant immer auch auf die Abgrenzung
zur Bundesrepublik Deutschland.
Schnitzlers Filme verfehlten klar die realen
Bedürfnisse der Zuschauer. Sie konnten
kein Akzeptanzpotenzial für die DDR
schaffen, keinen Beitrag zur Identitätsbildung, zum „Wir-Gefühl“ leisten. Kritische
Aspekte wurden so offensichtlich verschwiegen, dass den Zuschauern die Vertuschung und Beschönigung zu augenfällig war. Programme, die die (idealisierte)
DDR zum Inhalt hatten, fanden ohnedies
beim Fernsehpublikum kaum Beachtung,
da die Zuschauer wenigstens visuell aus
dem eingeengten Lebensbereich entfliehen
wollten und die ersehnte weite Welt über
das Fernsehen der Bundesrepublik in die
Wohnzimmer kam. Die Ergebnisse der
Zuschauerforschung untermauern diese
Feststellung: Die realitätsfremden HeimatReportagen von Karl-Eduard von Schnitzler haben nur klägliche Einschaltquoten
erzielt.
7
Forschung
„Aktivitäten bündeln für
Weltspitzenleistungen“
Interview mit Marius Grundmann
zum Start des Exzellenz-Netzwerks
27 Partner aus 11 Nationen kooperieren im
europäischen Exzellenz-Netzwerk SANDiE auf dem Gebiet der selbstorganisierten
Halbleiter-Nanostrukturen. In Ausgabe
4/04 berichtete das Uni-Journal über die
Vertragsunterzeichnung. Ende September
fand in Leipzig die Start-Veranstaltung
statt. Prof. Dr. Marius Grundmann, Direktor des Instituts für Experimentelle Physik
II, koordiniert das Netzwerk. Mit ihm
sprach Dr. Bärbel Adams.
Herr Professor Grundmann, über einen
strikten dreistufigen Evaluationsprozess
ist es Ihnen gelungen, die Koordination
von SANDiE, das innerhalb des 6. Rahmenprogrammes der Europäischen
Kommission angesiedelt ist, in Leipzig
zu etablieren. Was verbirgt sich hinter
dem Namen?
SANDiE steht für Self-Assembled Semiconductor Nanostructures for new Devices
in Photonics and Electronics. In dem Exzellenz-Netzwerk werden also Forschungsaktivitäten auf dem Gebiet selbstorganisierter Halbleiter-Nanostrukturen gebündelt, indem geistige und materielle
Ressourcen zusammengeführt werden, um
Weltspitzenleistungen zu sichern.
Selbstorganisierte
Halbleiter-Nanostrukturen – was muss man sich darunter vorstellen?
Nanostrukturen sind kleinste Konstrukte,
die 1 bis 100 Milliardstel Meter umfassen.
Zum Vergleich: Ein Haar hat einen Durchmesser von ca. 100 000 nm (Nanometern).
Halbleiter wiederum sind Stoffe, deren
elektrische Leitfähigkeit, genauer gesagt,
deren spezifischer Widerstand, zwischen
denen eines Leiters und denen eines Isolators liegt. Das Adjektiv „selbstorganisiert“
weist darauf hin, dass entsprechende Halbleiter-Nanostrukturen quasi von selbst
während ihres Wachstums entstehen, ohne
dass eine zusätzliche Bearbeitung erforderlich ist. Die Nutzung von Selbstorgani8
sations-Mechanismen erlaubt die parallele
und preisgünstige Herstellung von Nanostrukturen.
Wozu werden selbstorganisierte Halbleiter-Nanostrukturen gebraucht?
Selbstorganisierte Halbleiter-Nanostrukturen bilden die Basis für völlig neuartige
und in ihren Eigenschaften verbesserte
elektronische und photonische Bauelemente. Durch ressourcenschonenden Materialeinsatz und die Potenziale zur Energieeinsparung unter Verwendung nanotechnologischer Bauelemente wird insbesondere ein Beitrag für eine nachhaltige
technologische Entwicklung in Massenmärkten wie optischer Kommunikationstechnik, Datenspeicherung und Displaytechnik geleistet. Völlig neuartige Anwendungen sind z. B. Einzelphotonenquellen
für Quantenkryptographie. Die Quantenkryptographie ist ein Verfahren zur sicher
verschlüsselten Übermittlung von Informationen, das auf der Verschränkung von
Photonen beruht. Genauer gesagt, werden
mit der Quantenkryptographie nur die
„Schlüssel“ für die Ver- und Entschlüsselung der Informationen ausgetauscht.
Was wird innerhalb von SANDiE erforscht?
Ich möchte nur einige Beispiele nennen:
Wir forschen auf dem Gebiet der langwelligen Laser-Emmision von selbstorganisierten Halbleiternanostrukturen; der
Übertragung zwischen den Subebenen der
Halbleiternanostrukturen; der Einzelphotonenkommunikation; neuer selbstorganisierter Halbleiter- Nanostrukturmaterialien; der Simulation ihres Wachstums; ihrer physikalischen Eigenschaften und des
Entwicklungstrends von selbstorganisierten Halbleiternanostrukturen; ihrer gelenkten Herstellung sowie der Nanospintronic
mit selbstorganisierten Halbleiternanostrukturen. Mit Spintronic wird dabei ein
relativ junges Arbeitsfeld bezeichnet, das
Magnetoelektronik mit Halbleiterelektronik verbindet.
Die Universität Leipzig koordiniert
SANDiE. Wer ist noch beteiligt?
Am Netzwerk nehmen neben der Universität Leipzig 27 weitere Partner aus elf
Nationen, von Portugal bis Russland teil.
Neben 16 Universitäten (z. B. Paris, Madrid, Wien, Lund, Parma) sind acht Forschungsinstitute, z. B. drei Max-PlanckInstitute, das französische Centre National
de la Recherche Scientifique und das von
Nobelpreisträger Zhores Alferov geleitete
Ioffe-Institut der Russischen Akademie der
Wissenschaften in St. Petersburg beteiligt.
Zudem sind vier führende europäische
Industriefirmen auf dem Photoniksektor
Partner, um eine möglichst effiziente wirtschaftliche Umsetzung neuer wissenschaftlicher Ergebnisse in Europa zu realisieren.
Und was will SANDiE?
Zu den Netzwerkzielen gehören die Koordination von Forschungsaktivitäten und die
Entwicklung von Wissen in Schlüsselbereichen sowie eine optimale und abgestimmte Ressourcennutzung auf europäischer Ebene (European Research Area –
ERA). Nicht zu vergessen die Entwicklung
von Humankapital. Denn die Bedeutung
der selbstorganisierten Halbleiter-Nanostrukturen wird eher zunehmen. Und
Europa will sich eine weltweit führende
Position in der Entwicklung und Herstellung neuartiger Produkte sichern.
Wann geht es los?
Sofort. Bei der Kick-Off-Veranstaltung am
28. September, zu der alle unsere Partner
vertreten waren, wurden die Ziele konkret
abgesteckt und koordiniert.
Weitere Informationen im Internet:
www.sandie.org
journal
Zinkoxid-Mikrokristalle
auf Saphir.
Abbildung: Institut für
Experimentelle Physik II
Mini-„Flüstergalerien“ für Licht
Leipziger Halbleiter-Forschern ist es gelungen, die weltweit kleinsten „Flüstergalerien“ für sichtbares Licht herzustellen
und zu untersuchen. Es handelt sich um
nadelförmige Zinkoxid-Kristalle, deren
Durchmesser sich stetig vom Mikrobereich
(etwa 1 µm) bis in den Nanobereich (etwa
100 nm) bis herunter auf Null an der Spitze
verjüngt.
Sogenannte Flüstergalerien haben die Eigenschaft, dass man auf Grund einer besonderen Beschaffenheit schallreflektierender Gewölbe geflüsterte Worte noch zig
Meter weiter ohne Probleme verstehen
kann. Dieses besonders gern von barocken
Baumeistern angewandte Prinzip (z. B. Petersdom Rom, St. Pauls Cathedral London)
gilt auch für andere Wellen als Schall, z. B.
Licht. In einem Resonator umlaufende
Wellen interferieren mit sich selbst und
führen zu Resonanzen, wenn der Umlaufweg ein ganzzahliges Vielfaches N (Modenzahl) der Wellenlänge beträgt.
Andreas Rahm und Thomas Nobis, Doktoranden in der Abteilung Halbleiterphysik
von Prof. Dr. Marius Grundmann am Institut für Experimentelle Physik II haben im
Rahmen der Arbeiten in der DFG Forschergruppe 522 „Architektur von mikround nanodimensionalen Strukturelementen“ nadelförmige Zinkoxid- (ZnO-) herHeft 5/2004
gestellt bzw. untersucht, deren Durchmesser sich stetig vom Mikrobereich (etwa
1 µm) bis in den Nanobereich (etwa 100
nm) bis herunter auf Null an der Spitze
verjüngt (s. Abb.). Das Licht läuft auf der
hexagonalen Querschnittsfläche um. Ein
Analogon aus der Welt des Schalls und der
Architektur wäre eine Kombination der
berühmten Flüstergalerie in der St. Paul’s
Kathedrale und des Swiss Re Towers in
London. Allerdings sind die untersuchten
Lichtwellenlängen und damit die Strukturgrößen etwa zwei Millionen mal kleiner als
die Wellenlänge gesprochenen Schalls.
Für die Herstellung der ZnO Nanonadeln
haben die Leipziger Physiker mit Mitteln
der Deutschen Forschungsgemeinschaft
eine neuartige Epitaxieanlage gebaut.
Diese erlaubt die Züchtung mittels Laserablation bei besonders hohen Gasdrücken,
was die Ausbildung von Nanostrukturen
ermöglicht. Die Nanostrukturen wachsen
in selbstorganisierter (engl.: self-assembled) Art und Weise. Das heißt, dass sie
automatisch entstehen, bestimmt durch die
eingestellten Wachstumsbedingungen und
die mikroskopischen Wachstumsprozesse.
Diese Methode heißt auch „bottom-up“
Ansatz. Sie erlaubt die Herstellung großer
Mengen gleichartiger Nanostrukturen zu
viel geringerem Preis als es mit konven-
tionellen Lithographie- und Ätztechniken
(dem sogenannten „top-down“ Ansatz)
möglich wäre.
Bisherige theoretische und experimentelle
Arbeiten zu Mikroresonatoren für Licht
beschäftigten sich mit vergleichsweise großen Kavitäten (Hohlräumen) mit Modenzahlen N größer als 20. Die Flüstergalerie
in der St. Paul’s Kathedrale in London hat
zum Beispiel ein N von etwa 100 für
Schall. Am Fuß der ZnO Nanonadel passen
nur noch N = 6 Lichtwellenlängen in den
Umlaufweg. Mit abnehmendem Durchmesser ändert sich die Farbe der optischen
Resonanzen. Die ZnO Spitze wird am
Ende so dünn, dass N = 1 und ein sogenannter monomodiger Wellenleiter erreicht werden. Die Leipziger Halbleiterphysiker haben zudem gefunden, dass eine
von ihnen erarbeitete, vergleichsweise einfache Theorie die Farbe der optischen Resonanzen für alle Durchmesser mit hoher
Präzision beschreibt. Diplom-Physiker
Thomas Nobis hierzu: „Dies ist zunächst
überraschend, da die von uns verwendete
Theorie eigentlich nur für Modenzahlen N
gelten sollte, die viel größer als 1 sind.“
Die Ergebnisse wurden in der renommierten Zeitschrift „Physical Review Letters“
veröffentlicht.
Dr. Bärbel Adams
9
Forschung
Die Qualität der
Wider
Spermien junger
das
Männer geht zurück
ZähnePreise für Forschung zum
knirschen
programmierten Zelltod
Junge Wissenschaftler der Universitätshautklinik Leipzig untersuchten die Übertragung von Signalen, die den programmierten Zelltod (Apoptose) auslösen, an
menschlichen Samenzellen (humane Spermatozoen). Sie etablierten ein Selektionssystem für nicht-apoptotische Spermatozoen und entdeckten erstmalig die für die
Apoptose verantwortlichen Enzyme (Caspasen) in humanen Spermatozoen. Für ihre
Arbeiten wurden sie mit mehreren Preisen
ausgezeichnet.
Die Wissenschaftler stellten im vergangenen Jahr in der renommierten Fachzeitschrift „Andrologia“ (35/2003) eine Studie
vor, die den signifikanten Rückgang der
Spermienqualität junger Männer aus dem
Leipziger Raum belegte. Die Arbeitsgruppe des von Prof. Hans-Jürgen Glander
geleiteten Europäischen Ausbildungszentrums für Andrologie der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
wies kürzlich Phänomene des programmierten Zelltods normaler Körperzellen
durch entsprechenden Auslöser während
der Übertragung extrazellulärer Signale ins
Zellinnere (Signaltransduktion) und durch
entsprechende Membranveränderungen
auch am Spermium nach.
Die Apoptose von Körperzellen ist ein
natürlicher Prozess, der für das physiologische Gleichgewicht (Homöostase) mehrzelliger Lebewesen erforderlich ist und
durch Erkrankungen fehlgesteuert sein
kann. So entstehen zum Beispiel Tumorerkrankungen, Immundefekte oder neurodegenerative Erkrankungen. Im Ejakulat
von Patienten fanden die Forscher mehr
apoptotische als gesunde Spermien. Die
Bewegungsfähigkeit der betroffenen Spermien war nicht eingeschränkt, obwohl
bereits die den Untergang der Zellen einleitenden Enzyme (Caspasen) aktiviert
waren. Mit der in anderen medizinischen
Bereichen bereits etablierten Methode namens MACS (Magnetic activated cell sor10
ting) konnte die Arbeitsgruppe ein neues
Selektionssystem zur Anreicherung nichtapoptotischer Spermien aufbauen, indem
sie bestimmte Oberflächeneigenschaften
apoptotischer Zellen mit Hilfe eines Proteins namens Annexin V identifizierten.
Die Nachwuchswissenschaftlerin der Arbeitsgruppe, Dr. med. Sonja Grunewald,
erhielt für ihre Arbeiten bereits zum zweiten Mal den NIH Trainee Award auf der
Jahrestagung der Amerikanischen Gesellschaft für Andrologie (ASA) in Baltimore.
Zuvor hatte die Arbeitsgruppe bereits den
1. Posterpreis für experimentelle Dermatologie der Deutschen Dermatologischen
Gesellschaft auf der Jahrestagung 2003 erhalten.
Die Promotionsstudenten Thomas Baumann und Christian Kriegel arbeiten derzeit im Rahmen der seit Jahren etablierten
Kooperation mit der andrologischen Arbeitsgruppe an der Cleveland Clinic
Foundation, Ohio, USA, bei Prof. Ashok
Agarwal, um zusammen mit dem Dermatologen Tamer Said Mahmout in einem
speziellen Experimentalansatz die mit der
neuen Methode aufbereiteten Spermatozoen auf ihre Zeugungsfähigkeit zu untersuchen.
Kürzlich gelang es der Arbeitsgruppe mit
PD Dr. med. habil. Uwe Paasch einen von
Caspase-1 ausgehenden Signalweg aufzuschlüsseln, der möglicherweise im Rahmen des Aktivierungsprozesses (Kapazitation) des Spermatozoons eine Bedeutung
hat. Dieser physiologische Prozess ist notwendig, damit ein Spermatozoon überhaupt eine Eizelle befruchten kann und findet unmittelbar vor Erreichen der Eizelle
(Ovum) statt. Die molekularen Zusammenhänge sind weitestgehend unbekannt. Dr. Paasch wurde auf der Tagung in
Baltimore für seine Arbeiten der Research
Excellence Award der Cleveland Clinic
Foundation verliehen.
Dr. Bärbel Adams
Prüfung von
Zahnschienen
mit Preis
bedacht
Muskuläre Verspannungen im Kopf- und
Nackenbereich gehen oft einher mit Zähneknirschen und -pressen. Ursache oder
Wirkung ist nicht immer klar und für den
Betroffenen zweitrangig. Helfen kann ein
vom Zahnarzt angepasster Kunststoffüberzug, der fachsprachlich Okklusionsschiene
heißt. Diese wird auf die Zähne aufgebracht und verhindert das Zähneknirschen
dadurch, dass sie die Aktivität der Muskeln
und damit die Überlastung senkt.
Für eine Okklusionsschiene nimmt der
Zahnarzt einen Abdruck der oberen und
unteren Zahnreihe des Patienten und stellt
ein Modell her, das auch Registrat genannt
wird, um den Zusammenbiss der Zahnreihen zu kennzeichnen. Das ist die Grundlage der Okklusionsschiene für eine der
Zahnreihen, die genau an die 2. Zahnreihe
angepasst sein muss. Die Schiene muss gut
und fest sitzen (Retention) und darf sich
während des Gebrauchs nicht ändern, damit die Anpassung an die 2. Zahnreihe
(Okklusion) erhalten bleibt.
Okklusionsschiene
journal
Foto: Klinik
Forschung | Fakultäten und Institute
Üblicherweise stellt der Zahntechniker
Schienen für den Zahnarzt entweder aus
Kunststoffpulver und -flüssigkeit her
(Heiß- oder Kaltpolymerisation) oder aus
erwärmter Kunststofffolie (thermoplastisches Verfahren). Der Patient kann den
Unterschied in der Herstellung daran erkennen, ob die Schiene sich mit leichter
Kraft verbiegen lässt (thermoplastisches
Verfahren) oder nicht (Polymerisation). In
den Augen der Zahnärzte galt das Retentionsvermögen von thermoplastisch hergestellten Schienen lange Zeit als unzureichend. Sie standen im Ruf, nach kurzem
Gebrauch nur noch wenig auf den Zähnen
zu halten. Da die Patienten diese Art der
Schienen aber als angenehmer empfinden,
entwickelte man in den letzten Jahren Materialien, die diesen Nachteil nicht mehr
besitzen sollen. Aber ist es wirklich so?
Das Team um Prof. Thomas Reiber und
Prof. Holger Jakstat von der Poliklinik für
Prothetik und Werkstoffkunde der Universität Leipzig untersuchte in aufwändigen
Testreihen, ob die Art der Schienenherstellung auf die Retention während der Tragezeit einen merkbaren Einfluss hat. Zu diesem Zweck wurde in einer CAD/CAMMaschine das Aufsetzen und Abnehmen
der Schiene möglichst wirklichkeitsnah
vorgenommen.
Dazu gehört, dass die Alterung der Okklusionsschiene simuliert wird. Das erreichten
die Wissenschaftler durch wechselnde
Lagerung in einem stark erwärmten und
einem abgekühlten Wasserbad, dem sog.
Thermocycling. Anschließend wurde die
Qualität der mit unterschiedlichen Verfahren hergestellten Schienen bezüglich der
Retention verglichen. Das Ergebnis bestätigte die Ebenbürtigkeit der thermoplastisch hergestellten Schienen.
Auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Zahnärztliche Prothetik und
Werkstoffkunde (DGZPW) überzeugte das
Experiment, das von Thomas Nelle, einem
jungen Wissenschaftler der Leipziger Poliklinik vorgetragen wurde, so sehr, dass es
mit dem Tagungsbestpreis ausgezeichnet
wurde. Die Qualitätsuntersuchungen laufen weiter. Jetzt wollen die Wissenschaftler
klären, ob auch die „Okklusion“, die Anpassung an die Gegenzähne, unabhängig
von der Herstellungsvariante in der Tragezeit stabil bleibt.
Sollte auch dieses Ergebnis den Erwartungen entsprechen, könnten die Zahnärzte
problemlos die als angenehmer empfundenen thermoplastisch hergestellten Okklusionsschienen anpassen.
B. A.
Heft 5/2004
Der neue
Dornseiff
Forscher überarbeitet Lexikon
Die Rede ist hier von Franz Dornseiffs
„Deutschem Wortschatz nach Sachgruppen“. Dornseiff (1888–1960) lehrte von
1948 bis 1960 an der Universität Leipzig
als Ordinarius für klassische Philologie.
Unter seinen zahlreichen Arbeiten fanden
jene über das Alphabet in Mystik und Magie, über den Stil des griechischen Lyrikers
Pindar sowie seine Pindarübersetzung besondere Beachtung; die weiteste Verbreitung jedoch erfuhr das Wörterbuch „Der
deutsche Wortschatz nach Sachgruppen“.
1934 erschien es zuerst im Druck, und bis
1970 folgten sieben, z. T. neu bearbeitete
Auflagen. Wer immer sich sprachlich präziser Darstellungsweise befleißigte, dem
diente es bei der Suche nach dem rechten
Wort, der treffenden Wendung als ein
reichhaltiges Repertorium.
Seit kurzem liegt nunmehr – auch sie
erschienen bei Walter de Gruyter – die
„8., völlig neu bearbeitete und mit einem
vollständigen alphabetischen Zugriffsregister versehene Auflage von Uwe Quasthoff“ vor. „Mit einer lexikographisch-historischen Einführung und einer ausgewählten Bibliographie zur Lexikographie
und Onomasiologie von Herbert Ernst
Wiegand.“ Der Leipziger PD Dr. Uwe
Quasthoff stützte sich bei seiner Arbeit auf
Daten des Projekts Deutscher Wortschatz,
die in der Abteilung Automatische Sprachverarbeitung am Institut für Informatik der
Universität Leipzig gesammelt und geordnet werden. Aus einem alltags- wie fachsprachliche Texte erfassenden Korpus von
rund 230 Millionen laufenden Wörtern
wählte er jene aus, die mindestens 20-mal
darin erschienen (Sondersprachen etc. fanden dabei jedoch nur bedingt Berücksichtigung), und ordnete sie den betreffenden
Sachgruppen zu. Das Buch enthält rund
90 000 Einträge, 970 Sachgruppen sind,
durch Querverweise miteinander verbunden, in 22 Hauptgruppen zusammengefasst, deren inhaltliches Spektrum gegenüber den früheren Ausgaben weiter ge-
spannt und aktualisiert wurde und sich von
„Natur und Umwelt“, „Leben“, „Wesen,
Beziehung, Geschehnis“ über „Fühlen, Affekte, Charaktereigenschaften“ zu „Wissenschaft“, „Essen und Trinken“, „Sport
und Freizeit“, „Gesellschaft“ sowie „Religion und Übersinnliches“ u. a. erstreckt.
Dem Sachgruppenteil stehen drei Beiträge
voran, die jeweils gleichsam konzentrisch
auf das Werk ausgerichtet sind: Der Heidelberger Linguist Prof. Dr. Wiegand beurteilt in seinen gewichtigen Ausführungen
den Dornseiff kritisch unter wissenschaftsgeschichtlichem Aspekt, um dann im Hinblick auf Funktion und Möglichkeiten der
Neuausgabe generell festzustellen: „Moderne Sachgruppenlexikographie ist Lexikographie für Gebildete, die das, was sie
suchen, längst kennen, und etwas, was sie
nicht suchen, dabei entdecken und nutzen
können.“ (S. 61f.) In seiner „Methodologischen Einführung“ beschreibt Quasthoff
das Verfahren der Neubearbeitung sowie
die Anlage der Sachgruppen und Artikel.
Beide Autoren verdeutlichen in einem
dritten Teil, direkt an die Leser gewandt,
die weitreichenden Möglichkeiten zu einer
effektiven Nutzung des neuen Dornseiff.
Als ein Beispiel sei hier kurz die Sachgruppe „11.29 Verstehen“ (S. 203) vorgestellt: Darin werden zunächst Interjektionen („ach so! aha! in Ordnung!“) verzeichnet, darauf folgen die einschlägigen
Substantive („Verständnis, Einsicht, Vernunft, Deuter“ etc.) und Adjektive („aufschlussreich, ergiebig, lehrreich“ usw.),
schließlich eine größere Anzahl Verben
(„verstehen, dämmern, eingehen; begreifen, durchblicken, erfassen, kapieren; klar
sehen, begeistert mitgehen“ u. a.) Neben
den verschiedenen semantischen Akzentuierungen werden dabei ebenfalls die stilistischen Differenzierungen deutlich. Querverweise auf sechs andere Wortgruppen erweitern die Zugriffsmöglichkeiten.
Mit der reichen Fülle des zugrunde liegenden Wortmaterials, mit dessen sorgfältiger
und differenzierter begrifflicher Zuordnung, sowie dank seines vollständigen Zugriffsregisters, besitzt der neue Dornseiff
alle Vorzüge eines modernen umfassenden
Nachschlagwerkes. Sie werden durch wissenschaftliche Darlegungen und eine respektable Bibliographie vermehrt. Zahlreiche Linguisten haben das Projekt unterstützt. Ihnen allen, dem Verlag, vor allem
jedoch dem Bearbeiter gebühren dafür
Anerkennung und Dank.
Prof. em. Dr. Rainer Kößling,
Institut für Germanistik
11
Fakultäten und Institute
Ein Bett nach Maß für
einen silbernen Jüngling
Auf der „Denkmal“-Messe:
Durch moderne Technik geschützte Kunst
Von Carsten Heckmann
Das antike Stück ist mehrfach gerissen, die
Ränder sind ausgefranst, an einigen Stellen
fehlt etwas. Der darauf zu sehende, aufrecht stehende nackte Mann ist jung – und
dennoch von heftigen Alterserscheinungen
geplagt. Und Invalide ist er auch. Sein
rechtes Bein ist nur noch ein Stumpf, der
Arm fehlt gleich ganz. Doch mag der
erste Anschein auch nicht der beste sein:
Bei dem nur 11,58 Zentimeter kleinen,
0,4 Millimeter dünnen und 14,65 Gramm
leichten Fragment eines Silberreliefs handelt es sich um „eine der größten Kostbarkeiten des Antikenmuseums unserer Universität“, sagt Dr. Hans-Peter Müller vom
Institut für Klassische Archäologie. „Es
stammt aus dem späten 4. Jahrhundert nach
Christus. Und es ist selten, denn solche
Stücke wurden in metallarmen Krisenzeiten häufig eingeschmolzen. Vielleicht geht
das Stück sogar auf das Kunstkabinett des
Johann Friedrich Christ zurück, der 1735
in Leipzig als erster klassische Archäologie akademisch zu lehren begann.“
So ein Stück möchte man natürlich gerne
vorzeigen, auch mal außerhalb des eigenen
Museums. Auf der „Denkmal“, der europäischen Messe für Denkmalpflege und
Stadterneuerung, wird es vom 27. bis
30. Oktober zu sehen sein – und zum ersten
Mal muss sich Dr. Müller keine Sorgen
12
Links: Das Fragment des Silberreliefs, ergänzt durch eine Zeichnung, die den
ursprünglichen Zustand andeutet.
Rechts: Der Jüngling und sein neues Kunststoff-Bett. (Das Silber ist durch Umwelteinflüsse angelaufen.)
Fotos: Antikenmuseum / Montagen: Silvia Schütze
mehr machen, dass das gute Stück beim
Transport zerbrechen könnte. „Bisher war
es immer eine heikle Geschichte, es zu
transportieren“, berichtet er. Nun ist der
Jüngling optimal gebettet: Die hohle Relief-Form liegt gut geschützt auf einem
passgenauen Gegenstück aus Polyacryl –
einem durchsichtigen Kunststoff, der
schwefelfrei und somit unschädlich ist.
Diese maßgeschneiderte Lösung, mit der
Kunstschätze bewahrt werden können, ist
denn auch das eigentliche „Denkmal“-Exponat.
Für die dreidimensionale Unterlage musste
die Oberflächenstruktur der Rückseite des
Silberblechs erfasst werden. Dabei kam ein
Präzisionsscanner zum Einsatz, der die
Oberfläche berührungslos abtastete und
mit dessen Hilfe im Computer ein 3D-Modell der Rückseite generiert wurde. Mit den
entsprechenden Daten wurde eine hochmoderne Fräsmaschine gefüttert, die dann
das Polyacryl-Stück herstellte. „Auf die
3D-Vermessungsmethode sind wir bei der
‚Denkmal‘ 2002 am Stand der Universität
Erlangen-Nürnberg aufmerksam geworden“, berichtet Hans-Peter Müller. Über
diesen Kontakt gelangten die Leipziger
Archäologen auch an ihre Kooperationspartner: die 3D-Shape GmbH in Erlangen
und die CAD Engineering Gubesch GmbH
in Wilhelmsdorf.
„Für größere Objekte ist die Methode des
Hinterlegens schon länger bekannt“, weiß
journal
Fakultäten und Institute
Grit Karen Friedmann, Restauratorin im
Antikenmuseum. „Für unser Objekt hatten
die Computer aber ganz schön zu tun. Es
musste auf den hundertstel Millimeter gerechnet werden.“
Nun kann der Jüngling also sicher transportiert und präsentiert werden. „Dem
Betrachter wird das hinterlegte Stück gar
nicht auffallen“, sagt Hans-Peter Müller. Er
wird sich wie bisher an der qualitätsvollen
Arbeit erfreuen können. Die zu erkennenden Formen wurden von einem unbekannten Meister von hinten in das Silberblech
hineingetrieben. Vor allem die plastische
Darstellung der athletischen Figur mit
einer hohen dreidimensionalen Wirkung ist
beeindruckend. „Dass eine Figur so fein
gearbeitet wurde, war in der Spätantike gar
nicht so üblich“. konstatiert Dr. Müller.
Überhaupt sei dieses Stück nicht leicht zu
deuten. „Welche Bedeutung und Funktion
unser Relief vor einem zunehmend christlichen Hintergrund hatte, lässt sich ohne
Herkunftsangabe und Kenntnis des Auftraggebers wie auch weiterer Bildthemen,
die möglicherweise an unser Fragment anschlossen, kaum noch ermitteln.“ Fest
stehe aber: Der Jüngling stehe noch in der
Tradition der heidnischen Antike und lasse
die Körperauffassung klassisch-griechischer Skulpturen noch einmal aufleben.
Das Standmotiv und der Schild sowie die
Lanze, die der Jüngling vermutlich in der
rechten Hand hielt, verweisen laut Müller
auf den römischen Kriegsgott Mars. Der
Adler im Schild stehe für Jupiter, den obersten Kriegsherrn der Römer. Die ebenfalls
zu erkennende Meersziege sei vielleicht
ein Tierkreiszeichen, das Caprikorn, und
somit eine Anspielung auf den ersten römischen Kaiser Augustus.
Der Leipziger Jüngling schmückte früher
ein Schmuckkästchen einer reichen aristokratischen Familie. Er zeugt somit, da ist
sich Hans-Peter Müller sicher, von einem
Verständnis der gebildeten Oberschicht der
Spätantike für die klassische Kunst. Eine
Kunst, von der der Jüngling noch lange
künden kann – dank moderner Technik.
Noch vor der „Denkmal“-Messe wird am
21. Oktober eine Ausstellung zu klassischer
griechischer Zeichenkunst eröffnet, die das
Antikenmuseum zusammen mit der Universitätsbibliothek veranstaltet. Die Schau in
der Bibliotheca Albertina dauert bis Ende
Januar 2005. Öffnungszeiten: Montag bis
Freitag von 15 bis 20 Uhr, Samstag von
11 bis 16 Uhr.
Heft 5/2004
Lyrische Stimmen
aus Sachsen
Anglistik-Professor Elmar
Schenkel in zweisprachiger
Anthologie vertreten
Wer zarte, aber dennoch engagierte literarische Kost genießen und zugleich den
lyrischen Stimmen der Region Sachsen näher kommen
will, der sollte die soeben im
Verlag Shearsman Books erschiene zweisprachige Anthologie „The Nightingale
Question“ erwerben. Der
Sammelband präsentiert eine
Werksauswahl der Autoren
Wulf Kirsten, Uta Mauersberger, Andreas Reimann,
Thomas Rosenlöcher – und
des Professors für englische
Literaturwissenschaft am Institut für Anglistik, Elmar Schenkel. Alle fünf haben in
Sachsen ihr Zuhause gefunden und berichten über ihre Erfahrungen und Einsichten
in Versform.
Das für den englischsprachigen Markt konzipierte Werk beinhaltet sowohl die auf
Deutsch verfassten Gedichte als auch die
Übersetzungen auf der jeweils gegenüberliegenden Seite. Federführend bei der Umund Übersetzung ins Englische war die
schottische Dichterin Tessa Ransford. Sie
hatte ein Auslandsstipendium genutzt, um
den Sommer 2001 in Leipzig zu verleben
und dabei die unterschiedlichen Lyriker
kennen gelernt.
Die nun vorliegende Anthologie, so
schreibt Tessa Ransford in ihrem Vorwort,
„bietet Texte und Strukturen, die auf verschiedenen Ebenen unterschiedliche Relevanz entwickeln. Es gibt die sprachliche,
kulturelle und natürlich persönliche Dimension. Denn jeder der fünf Autoren hat
einen ganz besonderen Weg gefunden, sich
in die Welt einzubringen.“
Wenngleich ein gemeinsamer Themenkomplex existiert: die Stadt Leipzig. Sowohl als physischer Ort, aber ebenso als
Symbol für die politischen Umwälzungs-
prozesse des Herbstes 1989.
Die deutsche Wiedervereinigung war für die Autoren, so
vermutet Karen Leeder in der
Einleitung, „nicht nur eine
Wendezeit, sondern auch
eine Zeitenwende.“
Prof. Dr. Elmar Schenkel, der
nach der Wende nach Leipzig
kam, empfand diese besondere „totale Freiheit von Ideologie. Damals war Leipzig
noch so auf der Kippe zwischen Alt und Neu. Es setzte
besondere Kreativität frei,
und vieles war noch völlig
undefiniert. In dieser problematischen Zeit
am Anfang, wo man kämpfen musste, da
entstanden Geschichten aus den Ritzen der
Entwicklung.“ In diesem Klima schrieb er
unter anderem sein 1996 veröffentlichtes
Werk „Leipziger Passagen“. Hieraus
wurde die Kurzprosa „Die unsichtbare
Passage“, die „eine Impression ist, bei
dem ein Bild sich entfaltet“, in die Anthologie aufgenommen. Prof. Schenkel
meint: „Gedichte bringen eine Verfeinerung des Bewusstseins oder der sprachlichen Einstellungen. Dadurch bringen
Dichter die Leute zurück zu ihrer Sprache.
Sie greifen Worte auf, bewahren sie und
retten diese dadurch.“ Seiner Meinung
nach insbesondere im Hinblick auf die
sprachlichen Moden einer wirtschaftlichen
Globalisierung: „Es gibt so einen Sprachasphalt, gegen den man sich mal wehren
sollte.“
Alles in allem ermöglicht der wunderbar
von Joyce Gunn-Cairnes illustrierte Band
einen poetischen Überblick über die Situation der sächsischen Lyrik und bietet jedem
Interessierten die Möglichkeit zur Entdeckung und Empfindung von Sprache
„made in Sachsen“.
Karsten Steinmetz
13
Fakultäten und Institute
Der Russe
von der CD
Computer hilft beim
Sprachenlernen
Von Kornelia Tröschel
Der angehende Russisch-Übersetzer sitzt
über seinen Hausaufgaben. Er muss sich
Gedanken darüber machen, wie er den Weg
zur Universität beschreiben kann. In der
nächsten Unterrichtsstunde soll er darüber
berichten. Anstatt das gute alte Wörterbuch
in die Hand zu nehmen, setzt er sich an den
Computer und ruft das Lernprogramm
„Russisch – der Hör- und Sprechkurs“ auf.
Hier findet er nicht nur die entsprechenden
Vokabeln und Redewendungen für sein
Thema, sondern ihm können die Wörter
auch von vier Sprechern vorgesprochen
werden.
So oder ähnlich sieht derzeit der Studienalltag eines Leipziger Studenten des Dolmetscher- bzw. Übersetzer-Studiums der
russischen Sprache während der ersten
Semester aus. Am hiesigen Institut für
Angewandte Linguistik und Translatologie
(IALT) arbeiten bereits seit sechs Jahren
mehrere Mitarbeiter vom IALT und Universitätsrechenzentrum (URZ) an einer
Lernsoftware für die russische Sprache.
Zwei abgeschlossene Module im Rahmen
des Projektes „Russisch aktuell“ sind das
Resultat und können im Handel als Buch
und CD-ROM erworben werden. Seit etwas über einem Jahr wird am dritten Modul „Russisch – der Hör- und Sprechkurs“
getüftelt: Horst Rothe vom URZ (computerlinguistische Umsetzung), Dr. Galina
Hesse (sprachlich-inhaltliche Betreuung)
und Dr. Bernd Bendixen (methodisch-didaktische Konzeption und Gesamtplanung), beide vom IALT, widmen sich der
Entwicklung der neuen Software.
Akustisch und grafisch-optisch wird der
Lernstoff präsentiert, dialogisches Sprechen in Alltagssituationen soll geübt werden. Eine große Aufgabe, die sich die drei
Mitarbeiter der Universität Leipzig vorgenommen haben. Die bisherigen Ergebnisse
werden bereits von den angehenden Leipziger Dolmetschern und Übersetzern ge14
nutzt. Die Software soll jedoch nicht nur
den Studenten eines Dolmetscher- oder
Übersetzer-Studienganges an der hiesigen
Universität zur Verfügung stehen. Ziel ist
es, sie auch in anderen Ausbildungsbereichen und Studiengängen, die sich mit der
russischen Sprache beschäftigen, einzusetzen und weiteren erwachsenen RussischLernenden als Lernmittel an die Hand zu
geben. Verwendet werden kann die Software begleitend zu Präsenzveranstaltungen
oder zum selbstständigen Lernen. Beide
Formen praktizieren momentan die Leipziger Studenten des ersten bis vierten Semesters, um ein möglichst muttersprachlernahes Niveau des Russischen zu erlangen.
Mit dem Programm HyView wird ein Wörterbuch, ein hypermediales GrammatikNachschlagewerk und viele Übungen im
Bereich der Lexik, Phonetik, Orthographie
und Grammatik präsentiert. „Da sich die
Daten lokal auf einem Server befinden,
kann der aktuelle Lösungsstand der
Übungsaufgaben eines jeden Nutzers ver-
merkt werden“, beschreibt Bernd Bendixen die Möglichkeit zur individuellen
Nutzung des Programms. Aber auch die
Gestaltung des Text- oder Einzelwortvortrages ist vom Lernenden abhängig:
Sprecher, Pausenlänge, Aufzeichnung der
eigenen Aussprache etc. können ganz individuell gewählt werden.
„Russisch – der Hör- und Sprechkurs“ ist
also eine Lernsoftware, die das Lernen der
russischen Sprache erleichtern und abwechslungsreicher gestalten kann. Und das
nicht zuletzt durch auflockernde Elemente,
welche dem Lernenden die russische Kultur etwas näher bringen: Russische Gedichte und Lieder bringen etwas Kurzweil
in den manchmal doch recht trockenen
Lernstoff. Ein ebensolches Highlight der
Software stellen auch die von einer Studentin gemalten Bilder und Grafiken dar,
die, mit einer sensibilisierten Oberfläche
versehen, die Grundlage für das Bildwörterbuch bilden. Elemente, die es auch
Sprachanfängern leichter machen, die
Software für sich zu entdecken. Gelegenheit dazu werden sie bekommen, wenn die
Lernsoftware als CD erhältlich ist. Zunächst muss jedoch die Entwicklungs- und
Testphase des Programms abgeschlossen
werden. Dann kann auch der dritte der
fünf Teile des Projektes „Russisch aktuell“
außerhalb der Universität Leipzig seine
Liebhaber finden. Doch inwieweit das
Angebot in seinen Möglichkeiten ausgeschöpft wird, entscheidet jeder Nutzer
selbst, denn, so sagt Dr. Bendixen: „Das
Programm ist ein Fahrrad, das wir bereitstellen. Es bleibt den Studenten überlassen,
ob sie sich draufsetzen und losradeln.“
Screenshot aus dem Programm
„Russisch – der Hör- und
Sprechkurs“.
journal
UniCentral
Spitzenuniversitäten für
Deutschland ...
Der „Wettbewerb Exzellenzinitiative“ – Chronologie einer Vorbereitung
Bund und Länder
Universität und Partner
5./6. Januar 2004
Klausurtagung des SPD-Vorstands in Weimar:
Verkündung der „Leitlinien zur Innovations- und
Bildungspolitik“
17. Dezember 2003
Die Uni-Forschungskommission definiert, bedingt durch wachsende Anforderungen an ein effektives Forschungsmanagement, neue Aufgaben und Ziele.
6. Januar 2004
Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker, Präsident der
DFG, begrüßt den Vorschlag der SPD zur Stärkung des Bildungsstandortes Deutschland durch
Stärkung der Universitäten.
29. März 2004
Bund-Länder-Kommission: Festlegung der weiteren Umsetzung des Wettbewerbs, Ankündigung
einer möglichen Ausschreibung noch vor der
Sommerpause
8. Juni 2004
Gespräch von Bundesministerin Bulmahn mit den
zuständigen Länderministerien: Insgesamt sollen
von Bund und Ländern 1,9 Milliarden Euro für
Spitzenuniversitäten, Exzellenzzentren und Promotionsstudiengänge zur Verfügung gestellt werden. Die Begutachtung solle durch die DFG
erfolgen. Mit einer Ausschreibung sei Anfang Juli
2004 zu rechnen.
17. Juni 2004
Beratung der Regierungschefs auf Länderebene
5. Juli 2004
Die Bund-Länder-Kommission vertagt die Entscheidung zum BMBF-Wettbewerb „Spitzenuniversitäten für Deutschland – Wettbewerb Exzellenzinitiative“ auf den 15. November 2004. Der
Wettbewerb soll wie vorgesehen 2005 starten.
7. Juli 2004
Mitgliederversammlung der Deutschen Forschungsgemeinschaft: Der Präsident Professor
Winnacker äußert sich besorgt über die Verschiebung des Programms zur Förderung von Spitzenleistungen deutscher Universitäten.
Auf den folgenden Seiten werden die fünf
Kompetenzbereiche (Forschungscluster) vorgestellt.
Zusammenstellung der Chronologie:
Dr. Sylvia Richter
Heft 5/2004
4. Februar 2004
Klausurberatung des Rektoratskollegiums der Universität Leipzig: Beschluss,
einen ersten Leipziger Forschungsgipfel durchzuführen
26. Februar 2004
1. Leipziger Forschungsgipfel mit den Dekanen der Universität Leipzig, den
Rektoren der anderen Hochschulen und den Direktoren/Leitern von 17 außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Leipzig: Identifikation von Kompetenzbereichen (Forschungsclustern), die geeignet sind für eine Teilnahme am
Wettbewerb; erste Vorschläge für die Bildung von Arbeitgruppen
13. April 2004
Sitzung der Forschungskommission der Universität Leipzig, Spezifizierung
der definierten fünf Kompetenzbereiche, Bildung von fünf Arbeitsgruppen
23. April 2004
Information der Dekane
Mai/Juni 2004
Arbeit an den Konzeptionsentwürfen
8. Juni 2004
Forschungskommission: Beratung zur Vereinheitlichung der Konzeptionen
17. Juni 2004
Information des Kuratoriums der Universität Leipzig; Anregung von Oberbürgermeister Tiefensee, einen Förderantrag an die Leipziger Stiftung für Innovation und Technologietransfer zu stellen
8. Juli 2004
Dienstberatung des Rektoratskollegiums mit den Dekanen: Zwischenauswertung der Konzeption von Kompetenzbereichen
13. Juli 2004
Beratung der Forschungskommission: Die konzeptionellen Arbeiten werden
auch unabhängig vom avisierten BMBF-Wettbewerb fortgeführt, um eine Forschungsstrategie für die Universität zu entwickeln.
28. Juli 2004
Der Antrag der Universität Leipzig auf Förderung des Projekts „Analyse der
Wissenschaftspotenziale des Standortes Leipzig“ wird bei der Leipziger Stiftung für Innovation und Technologietransfer eingereicht.
30. August 2004
Bewilligung des Antrages der Universität Leipzig durch die Leipziger Stiftung
für Innovation und Technologietransfer
22. September 2004
Beratung der Forschungskommission zur weiteren Vorgehensweise
15
UniCentral
Neue intelligente
Materialien
Cluster 1: Von Mikro- zu Nanostrukturen:
Anwendungen in Chemie und Physik
Von Prof. Dr. Evamarie Hey-Hawkins, Institut für Anorganische Chemie
Die Darstellung, Charakterisierung, Reaktivität und Anwendung neuer intelligenter
Materialien stehen im Zentrum dieses
Clusters, in dem vier Subcluster inhaltlich
und strukturell miteinander verbunden
sind.
Die im Subcluster Nano- und mikrodimensional strukturierte VerbindungsHalbleiter für Elektronik und Photonik
untersuchten multifunktionalen Materialien stellen die Basis für verbesserte und
neuartige Bauelemente für Elektronik und
Photonik dar. Sie sind damit die Grundlage
der existierenden und die Voraussetzung
der künftigen Infrastruktur der modernen
Gesellschaft in Bereichen wie nachhaltiger
Energieversorgung (Photovoltaik), Kommunikation (Internet) und Unterhaltung
(DVD, Flachdisplays).
Im zweiten Subcluster werden die geänderten physikalischen und chemischen Eigenschaften von Molekülen in Wechselwirkung mit fluiden und festen Grenzflächen untersucht, die die Grundlage für
zahlreiche technisch relevanten Anwendungen bilden. Diese reichen bei festen
Grenzflächen von heterogenen Katalysatoren, über Adsorptionsphänomene bis zur
Beständigkeit von Beton und umfassen bei
fluiden Grenzflächen auch biochemischmedizinische und zellbiophysikalische, sowie umweltrelevante Fragestellungen.
Die Schwerpunkte im Subcluster Polymere liegen im Bereich der Struktur und
Dynamik von Polymeren als Schmelze und
in Wechselwirkung mit Grenzflächen. Die
hier untersuchten Materialien umfassen
Homopolymere, Block-Copolymere, polymere und elastomere Flüssigkristalle, Biopolymere, polymere Colloide, semiflexible
Polymere, molekulare Motoren und Nanoproben (Quantum dots, Nanokolloide)
sowie auf Polymeren basierende biomimetische Materalien (z. B. Nanomuskel).
Der Subcluster Molekulare Vorläufer für
16
Prof. Dr.
Evamarie
Hey-Hawkins
neue Materialien – Vom Molekül zum
Material befasst sich mit der Synthese von
Materialien mit optimierten katalytischen
oder magnetischen, optischen und/oder
elektronischen Eigenschaften. Hier werden
einerseits molekulare „Precursoren“ untersucht, die als Zwischenglieder zwischen
Molekül und Festkörper bezüglich ihrer
Zusammensetzung und Reaktivität für die
Bildung des gewünschten Materials optimal angepasst werden können. Andererseits erfolgt die gezielte Darstellung selektiver homogener Katalysatoren, die z. B.
bei der Polymerisation von monomeren
Bausteinen zu intelligenten oder biologisch
abbaubaren Polymeren einsetzbar sind.
Auf Grund der Komplexität der Systeme
spielt die Entwicklung und Anwendung
moderner Untersuchungsmethoden eine
große Rolle, die in Leipzig traditionell auf
dem Gebiet der Magnetischen Kern- und
Elektronenresonanz (vereinigt im Zentrum
für Magnetische Resonanz, gegründet
2002), der Oberflächenanalytik und verschiedenen analytischen Methoden liegt.
So befinden sich allein im Bereich der Physik und Chemie mehr als zehn Großgeräte
mit Anschaffungspreisen von über einer
Million Euro pro Gerät, die ergänzt durch
eine auch auf anderen Gebieten ausgezeichnete analytische Technik die experimentelle Basis für eine international anerkannte Forschung bilden.
Die einzelnen Subcluster sind in umfangreiche regionale, nationale und internationale Kooperationen mit Universitäten, Forschungsinstituten und Industrieunternehmen eingebunden (Technologietransfer).
Die Untersuchung der Grundlagen und anwendungsbezogener Aspekte erfolgt innerhalb der Universität in enger und langjähriger Kooperation von Physik, Chemie und
Mineralogie innerhalb der Fächerübergreifenden Arbeitsgemeinschaft Halbleiterforschung Leipzig (FAHL), lokal auf dem Gebiet der anwendungsorientierten Grundlagenforschung mit dem Leibniz-Institut
für Oberflächenmodifizierung (IOM) und
auf dem Gebiet der theoretischen Modellierung mit dem Max-Planck-Institut für
Mathematik in den Naturwissenschaften,
Leipzig, (MPI-MiN).
Die Beteiligung an DFG-Schwerpunktprogrammen, Sonderforschungsbereichen und
Forschergruppen, an EU-Projekten sowie
zahlreichen Einzelprojekten zeigt die nationale und internationale Bedeutung der
Thematik. Umfangreiche BMBF-Förderung, intensive Kooperationen mit außeruniversitären Einrichtungen (IOM, MPIMiN, Paul-Flechsig-Institut für Hirnforschung, Max-Bürger-Zentrum u. a.) sowie
die enge Zusammenarbeit mit der einschlägigen Industrie in der Technologieregion Dresden–Leipzig–Chemnitz–Berlin zeigen den potentiellen Anwendungsaspekt.
Exzellente Nachwuchsförderung wird in
interdisziplinärem Rahmen durchgeführt.
Hier seien beispielhaft Graduiertenkollegs,
das Internationale Promotionsprogramm
„Forschung in Grenzgebieten der Chemie“,
sowie diverse EU geförderte ExzellenzZentren genannt. Neben diesen speziellen
Programmen zur Graduiertenförderung
wird der Großteil der drittmittelfinanzierten Forschung von Doktoranden und Postdoktoranden durchgeführt.
journal
UniCentral
Mit „intelligenten
Materialien“ die
Umwelt schonen
Chemiker erforschen
Katalysatoren
Von Friederike Haupt
„Der Brückenschlag zwischen idealen und
realen Systemen ist unser Ziel“, sagt Prof.
Dr. Helmut Papp vom Institut für Technische Chemie und meint damit die Verbindung von Theorie und Praxis in der heterogenen Katalyse. Im Rahmen eines Verbundprojektes in einem bereits seit vier
Jahren laufenden Schwerpunktprogramm
der Deutschen Forschungsgemeinschaft
(DFG), das er deutschlandweit koordiniert,
erforscht Papp mit seinen Chemiker-Kollegen Dr. Cornelia Breitkopf aus Leipzig,
Prof. Dr. Johannes A. Lercher aus München, Dr. Friederike Jentoft und Prof. Dr.
Joachim Sauer aus Berlin sowie Prof. Dr.
Wolf Widdra und Dr. habil. Karl-Michael
Schindler aus Halle die Aktivierung gesättigter Kohlenwasserstoffe (Alkane) durch
umwandeln, dass zwar die Molekülgröße
gleich bleibt, aber die Struktur der Verbindung sich ändert. Die Kohlenwasserstoffe
werden von linearen zu verzweigten Molekülen.“ Um diese Strukturänderung möglich zu machen und eine Reaktion herbeizuführen, setze man in der Technik saure
Katalysatoren, zum Beispiel Schwefelsäure oder Flusssäure, ein. Dieses Verfahren ist in der Praxis unter anderem für die
Gewinnung von Benzin von Bedeutung, da
verzweigte Kohlenwasserstoffe die Oktanzahl und damit die Qualität des Treibstoffes steigern. Die im Rahmen des DFG-Projekts und an der Universität Leipzig betriebenen Studien spielen gerade in der Grundlagenforschung eine bedeutende Rolle;
Papp: „Uns geht es bei diesem Projekt um
Beispiel für veränderte Strukturen durch Isomerisierung.
Abbildung: Institut für Technische Chemie
Säuren. Dieser Bereich der technischen
Chemie ist Teil eines der vier Subcluster
des Clusters 1 und baut auf die große Leipziger Traditionslinie in diesem Forschungsgebiet auf: Schon Wilhelm Ostwald, der
von 1887 bis 1906 Professor für physikalische Chemie an der Uni Leipzig war, erhielt den Nobelpreis 1909 für seine Forschungen auf dem Gebiet der Katalyse.m
Professor Papp erklärt, worum genau es
sich bei der von ihm untersuchten Katalyse
handelt: „Uns geht es vor allem um die
Isomerisierung von Alkanen. Das heißt,
dass wir bestimmte Kohlenwasserstoffe so
Heft 5/2004
die Erforschung der Mechanismen: Wie
läuft eine Reaktion ab und warum? Bei unseren Untersuchungen der Isomerisierung
von Kohlenwasserstoffen handelt es sich
um Untersuchungen mit Grundlagencharakter, bei der es eben auch um die Verknüpfung von Theorie und Praxis geht.“
Nun wird das Verfahren, hochkonzentrierte
Säuren als Katalysatoren einzusetzen, um
Alkane umzuwandeln, schon vielfach angewendet. Der Nachteil ist allerdings, dass
die Säuren bisher ausschließlich im flüssigen Aggregatzustand eingesetzt wurden;
irgendwann verschmutzen sie jedoch und
müssen entsorgt werden – mit negativen
Auswirkungen auf die Umwelt. Prof. Dr.
Papp und seine Forschungsgruppe beschäftigen sich mit einer neuen, ökologisch
wesentlich schonenderen Art der Katalyse,
bei der statt flüssiger feste Säuren, zum
Beispiel sulfatiertes Zirconiumdioxid, eingesetzt werden.
Für diese Katalyse wird ein sogenannter
TAP-Reaktor, eine meterhohe Maschine,
eingesetzt (TAP steht für Temporal Analysis of Products), bei dem gasförmige Kohlenwasserstoffe wie etwa n-Butan durch
ein Katalysatorbett von nur wenigen Millimetern geleitet werden – die Zwischenstufen der stattfindenden Reaktionen werden
mit dem TAP-Reaktor untersucht und lassen sich dann am Computerbildschirm verfolgen. Der Kohlenwasserstoff reagiert an
der Oberfläche (der Chemiker spricht hier
von Grenzfläche) des Zirconiumdioxides
und verändert dadurch seine Strukturformel. Das von Papp und Prof. Dr. Morgner,
Dekan der Fakutät für Chemie und Mineralogie, geleitete Subcluster „Moleküle in
Wechselwirkung mit fluiden und festen
Grenzflächen“ vergleicht also auch die
Unterschiede beim Einsatz von flüssigen
und festen Katalysatoren; Säuren in Pulverform sind eine wertvolle Alternative, da
sie wesentlich länger haltbar, leichter regenerierbar und damit umweltschonender als
flüssige Säuren sind. Außerdem, so Papp,
isomeriere das n-Butan an den festen Katalysatoren schon bei einer Temperatur von
100 bis 200 Grad Celsius; diese relativ niedrigen Temperaturen seien für die Gewinnung von verzweigten Kohlenwasserstoffen sehr günstig.
Wie groß das Interesse an der Isomerisierung ist, zeigt ein Projekt der Universitäten
Leipzig und Krakau. Dr. Tomasz Tyszewski,
Doktorand beider Universitäten, bekam im
Juni dieses Jahres für seine Dissertation
„Skeletal Isomerization of n-Hexane on
Platinum and Palladium Loaded Sulphated
Zirconia Catalysts“ die Note „magna cum
laude“. Im Rahmen seiner Promotion, deren
deutscher Doktorvater Prof. Papp war, beschäftigte sich Tyszewski mit sulfatiertem
Zirconiumdioxid, das er in der Isomerisierung von n-Hexan einsetzte und somit einen
wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung
des Subclusters leistete. Auch für die chemische Industrie sind die von Tyszewki
untersuchten „intelligenten Materialen“
(Verbindungen, die zu einem bestimmten
Zweck hergestellt wurden) von großer Bedeutung, da sie hoch korrosive, umweltschädliche Säuren ersetzen können.
17
UniCentral
Flechtwerk aus Abstraktem
Cluster 2: Mathematik
und die exakten Naturwissenschaften
Von Prof. Dr. Klaus Sibold, Institut für Theoretische Physik
Unter Mathematical Sciences (MS) fasst
man die Wissenschaftsbereiche zusammen, deren Fragestellungen mit strengen
mathematischen Methoden behandelt werden können und die umgekehrt auch für die
Mathematik interessante Fragen aufwerfen. Gerade dieses Wechselspiel macht ihre
Fruchtbarkeit aus.
So charakterisiert besteht der Cluster aus
Mathematik, theoretischer und mathematischer Physik, theoretischer Chemie, theoretischer Biologie und Bioinformatik. Er
strahlt auf andere Wissenschaftsbereiche,
wie etwa Kognitions-, aber auch Wirtschafts- und Finanzwissenschaften, und
damit auf die anderen Forschungscluster
der Universität Leipzig aus.
Die MS haben in Leipzig eine lange und
ununterbrochene Tradition der Exzellenz,
die maßgeblich war für die Gründung des
Max-Planck-Instituts für Mathematik in
den Naturwissenschaften (MPI-MIS) in
Leipzig. In diesem Umfeld hat sich seither
an der Universität Leipzig eine stark vernetzte Forschungslandschaft entwickelt,
die Leipzig zu einem der attraktivsten Orte
für die MS in Deutschland macht.
Unsere Qualitätskriterien sind Publikationen in den fachlich angesehensten internationalen Zeitschriften, die externe, insbesondere internationale Zusammenarbeit,
die Beachtung, die unsere Arbeiten an den
führenden Forschungszentren der Welt und
bei internationalen Konferenzen findet, die
akademischen Karrieren, die unsere besten
Absolventen verfolgen, und die Förderung
durch Drittmittel.
Die nachfolgende Liste zeichnet ein Bild
davon, welche Themenbereiche der Forschung derzeit im Mittelpunkt des zu
stellenden Antrags stehen: Partielle Differentialgleichungen, Variationsrechnung;
Riemannsche Geometrie, dynamische Systeme, komplexe Analysis; Quantenfeldtheorie, Teilchenphysik; algebraische und
symplektische Geometrie; geometrische,
topologische und funktionalanalytische
18
Prof. Dr. Klaus Sibold
Methoden in der mathematischen Physik;
Stochastische Prozesse, Vielteilchensysteme; diskrete Mathematik, angewandte
Informatik; Bioinformatik, mathematische
Biologie; Gravitation; weiche Materie;
Quantenmechanische Methoden in der
Chemie.
Entscheidend für die Besonderheit Leipzigs ist es nun gerade, dass diese Themenbereiche auch im Zentrum des Interesses
der Direktoren und selbständigen Arbeitsgruppen des MPI-MIS liegen. Natürlich ist
die Arbeit des Clusters über das MIS hinaus in zahlreiche nationale und internationale Forschungsvorhaben eingebunden.
Ebenfalls von zentraler Bedeutung ist die
Graduiertenausbildung, die sehr erfolgreich auf hohem Niveau stattfindet. Denn
in ihr realisiert sich nicht nur auf der Ebene
der Ausbildung die Grundidee der MS als
Einheit, sondern sie stellt auch einen Kristallisationspunkt für die Forschung dar. In
zwei Graduiertenkollegs („Quantenfeldtheorie und ihre Anwendungen“ und „Analysis, Geometrie“) sind Professoren aus
verschiedenen Fakultäten assoziiert und
nehmen aktiv am Ausbildungsprogramm
teil, das insbesondere in seinen Einfüh-
rungskursen jeweils Physiker und Mathematiker gleichermaßen anspricht. In einer
Vorlesungsreihe mit den Universitäten
Jena und Halle („Mitteldeutsche PhysikCombo“) wird überregional ein weiteres
Ausbildungsprogramm auf Graduiertenniveau mit Gastvortragenden organisiert.
Im Bereich der Grundausbildung sind ein
Kurs „Mathematische Physik“ und ein
englischsprachiger Bachelor/Master-Kurs
(„International Physics Study Program“)
besonders zu erwähnen. Dieses Gesamtprogramm ist deutschlandweit einmalig in
Umfang, Internationalisierung und Interdisziplinarität.
Auf dieser Basis lassen sich nun klar die
Hauptziele formulieren: weitere Intensivierung der Forschung und der Graduiertenausbildung auf hohem Niveau, eine
noch stärkere interne und externe Vernetzung des Clusters, sowie eine graduelle
Ausweitung auf ausgewählte angrenzende
Gebiete. Wir wollen eine Arbeitsatmosphäre von solcher wissenschaftlicher
Qualität erzeugen, dass Leipzig ein internationaler Anziehungspunkt wird.
Wichtigstes Strategieelement, um diese
Ziele zu erreichen, ist eine Berufungspraxis, die der Besonderheit des Clusters
Rechnung trägt und für die höchstes Niveau im Bereich der Forschung das entscheidende Kriterium ist.
Für den Fall, dass der Cluster in das Förderprogramm aufgenommen wird, werden
wir die Mittel in erster Linie für die Bildung von Nachwuchsgruppen verwenden,
die den Cluster verdichten und vernetzen.
Insbesondere wollen wir so flexibel auf
neueste Entwicklungen reagieren. An
zweiter Stelle in der Bedeutung steht für
uns das Gästeprogramm, in dem pro Jahr
für ein Semester eine Gastprofessur besetzt
wird, die mit entsprechenden Mitteln ein
eigenes Programm gestaltet. An dritter
Stelle sollen Mittel eingesetzt werden für
allgemeine Graduiertenförderung, Workshops, Konferenzen und Sommerschulen.
journal
∂t

 

α

fα (m̄)χα +
αβ
|µαβ | ≤ − [Q(J) + Q∗(µ̄)]



1 2
2
|H| + |v| d|µαβ |
−
2 αβ
Höhere
Mathematik
für besseres Material
Wenn Professor Luckhaus rechnet,
dürfen auch Praktiker gespannt sein
Von Carsten Heckmann
Wer das Büro von Prof. Dr. Stephan Luckhaus betritt, dem schwant gleich, dass er es
nicht leicht haben wird, die Arbeit des Mathematikers zu verstehen. Rechts an der
Wand hängt eine große grüne Tafel, die von
oben bis unten und von links bis rechts
vollgeschrieben ist. Eine Formel neben,
nein: über der anderen. Ob er selbst noch
den Durchblick hat? Luckhaus lacht. „Ich
habe kein Problem, zu erkennen, welches
die letzte geschriebene Schicht ist. Wirklich nicht.“
Auf der Tafel und in Luckhaus’ Kopf tummeln sich Funktionsverläufe, Integrale,
partielle Differentialgleichungen. Letztere
stellen die hauptsächliche mathematische
Methode dar, mit der Professor Luckhaus
seinen Part im Cluster 2 (Mathematik und
die exakten Naturwissenschaften) bestreitet. „Das ist im Cluster der Teil, der sich mit
Materialwissenschaften beschäftigt“, sagt
der Inhaber des Lehrstuhls für Mathematische Optimierung. Er formuliert es auch
gern konkreter: „Es geht unter anderem um
den Komplex von Phasenübergängen mit
Oberflächenenergie.“
Phasenübergänge? „Eines der klassischen
Beispiele ist das Schmelzen von Eis in
Wasser. Wir nennen es das Stefanproblem,
benannt nach einem Mathematiker aus
dem vorvorigen Jahrhundert. Eis ist ein
fester Stoff, hat eine Kristallstruktur. Wasser hingegen hat mehr Freiheitsgrade, daher eine höhere spezifische Wärme. Somit
schmilzt das Eis.“ Natürlich geht es Luckhaus nicht ums Eis. Aber zum Beispiel um
Stahl. Auch bei Stahl gibt es Transformationsprozesse. Über die würden Physiker
gerne mehr wissen – und Mathematiker
können ihnen vielleicht dabei helfen. „Es
ist noch unverstanden, was genau die feine
Kornstruktur von fertigem Stahl erzeugt“,
Heft 5/2004
sagt Luckhaus. „Aber die Struktur dessen,
was Sie am Ende haben, und natürlich auch
der Eigenschaften des Endmaterials, das ist
etwas, das man in der technischen Physik
am liebsten vorhersagen möchte.“
Entscheidend für solche Strukturen sind
die Energien, die die Form eines einzelnen
kleinen Kristalls im Stahl bestimmen, „die
darin ein Muster erzwingen“. In einem
solchen Kristall befinden sich Körner und
zwischen den Körnern Oberflächen – so
landet man beim Thema Oberflächenenergie. Die den Mathematiker interessierenden Oberflächen sind also nicht die, die
man sieht, wenn man mit bloßem Auge auf
ein Stück Stahl blickt. Professor Luckhaus
versucht, stark vereinfacht formuliert, Materialstrukturen vorauszuberechnen – eine
Voraussetzung, um bestimmte Strukturen
zu designen, die man besonders effektiv
herstellen kann oder für besonders widerstandsfähig hält.
„Manchmal ist so etwas auch unabdingbar
für den Betrieb einer Maschine“, erklärt
Stephan Luckhaus. „Denken Sie an die Herstellung von Eisenbahnschienen: Da fließt
eine flüssige Mischung aus Eisen und allen
möglichen Legierungen plus Kohlenstoff in
die große Walzanlage – am Ende kommt ein
Schienenstück raus. Dabei ist es für das Betreiben der Anlage wichtig zu wissen, wo
das Material noch flüssig ist und wo schon
fest.“ Im Grunde wisse man das heute grob,
basierend auf Erfahrungswerten. Auch
Gleichungen könne man dafür schon aufschreiben. „Wir wissen aber auch, dass
diese Gleichungen Modellfehler haben.“
Luckhaus ist Perfektionist. Modellfehler
mag er nicht besonders. Aber er weiß, dass
er damit leben muss: „Wenn ich etwas
mathematisch beweise, dann ist es richtig.
Aber es basiert auf Voraussetzungen. Und
was ich voraussetze, sind Gesetzmäßigkeiten in Form von Gleichungen und Funktionen. Dabei gibt es immer Unsicherheiten,
Lücken.“ Solche Lücken will der 51-Jährige nun im Cluster zusammen mit Kollegen aus der Physik, der Bioinformatik und
vom Leipziger Max-Planck-Institut für
Mathematik in den Naturwissenschaften,
wo er externes Mitglied ist, schließen. „Um
zu dem Beispiel zurückzukommen: Was da
am Ende genau für Stahl herauskommt und
welche Eigenschaften er hat, das ist nicht
das Thema im Cluster. Wir arbeiten auf
einer theoretischen Ebene. Aber von unserer Arbeit können Materialforscher hoffentlich profitieren.“
In diese Arbeit investiert Luckhaus auch
einen Teil der 125 000 Euro, mit denen der
Max-Planck-Forschungspreis dotiert war,
den der Leipziger Ende 2003 verliehen bekam – für Projekte, „die methodisch nicht
weit weg sind vom Cluster-Projekt“. In
Deutschland macht Luckhaus so schnell
niemand etwas vor auf seinem Spezialgebiet. In seine Arbeit im Cluster hat er noch
Kollegen aus Austin/Texas, Prag, Rom und
Haifa eingebunden.
Den Generalschlüssel zu in der Praxis verwertbaren Ergebnissen, den will und kann
Luckhaus nicht versprechen. Er sieht sich
ohnehin eher als Philosoph, als Denker,
denn als kühler Rechner – sein Tafelbild
mag das bestätigen. Er sagt aber auch, dass
Mathematiker durchaus Ingenieure sind.
„Ich bin dadurch motiviert, dass ich Erkenntnis gewinnen will. Auf dem Weg
dahin entdecke ich immer wieder Dinge,
die von Nutzen sein können für eine Simulation. Irgendjemand zieht daraus diesen Nutzen, probiert etwas aus. Er verlässt
dann aber oft den Boden der gesicherten
Erkenntnis, auf dem wir uns bewegen.“
19
UniCentral
Wenn Zellen
kommunizieren …
Cluster 3: Biomedizin, Biotechnologie
und Bioinformatik
Von Prof. Dr. Martin Schlegel, Institut für Biologie II
An den Universitäten Leipzig, Halle und
Jena beschäftigen sich mehrere international konkurrenzfähige Arbeitsgruppen
mit biomolekularer Kommunikation. Der
Schwerpunkt der Universität Leipzig liegt
hierbei im Bereich zellulärer Kommunikation, Wachstum und Differenzierung. Von
der Zusammenfassung und Fortentwicklung dieser Aktivitäten zu einem Exzellenz-Zentrum erwarten wir grundlegende
Erkenntnisse über zelluläre Kommunikation und ihre Steuerung, ihre Bedeutung
für Wachstum und Differenzierung, insbesondere auf der Ebene der Proteininteraktionen. Weiterhin werden zell- und molekularbiologische sowie proteinchemische
und -analytische Grundlagen in Hinblick
auf eine klinische und biotechnologische
Nutzung erforscht. Im Ergebnis wird die
reibungslose Überführung von klinisch
relevanten Resultaten aus der Grundlagenforschung in klinische Studien sowie in
eine verbesserte Diagnostik, Therapie und
Prävention, beispielsweise im Hinblick auf
die schärfere Differenzierung von Tumorsubgruppen bezüglich Pathogenese, Progression und Therapierbarkeit.
Charakteristisch für den Cluster ist somit
die Verknüpfung grundlagenorientierter,
experimenteller Forschung mit anwendungsorientierter Forschung. Hierbei sind
drei Subcluster inhaltlich und strukturell
miteinander verbunden: Biomedizin, Molekulare Biotechnologie und Bioinformatik.
Unter den Stärken der beteiligten Einrichtungen ragen die folgenden besonders hervor: Molekulare Diagnostik und funktionelle Genomik, Proteinanalytik und -Modifizierung, Genetische Evolution, Gewebeorganisation und Signaltransduktion,
Klinische Studienforschung (Therapie und
Prävention), Studienmethodik und Krankheitsmodelle.
20
Prof. Dr. Martin Schlegel
Im Zentrum dieses Clusters stehen die an
der Universität Leipzig und den außeruniversitären
Forschungseinrichtungen
vorhandenen vielfältigen Kompetenzen im
Bereich der Lebenswissenschaften, die unter anderem der Biotechnologie-/Gentechnologie-Initiative des Freistaates Sachsen
(BIOCITY Leipzig) Profil verleihen.
Traditionell arbeiten Wissenschaftler
unterschiedlicher Fachdisziplinen zusammen. Der Cluster vereint Mitglieder aus der
Medizinischen Fakultät, Veterinärmedizinischen Fakultät, Fakultät für Biowissenschaften, Pharmazie und Psychologie, Fakultät für Chemie und Mineralogie, Fakultät für Physik und Geowissenschaften, Fakultät für Mathematik und Informatik.
Zudem werden die genannten Aktivitäten
fakultätsübergreifend in interdisziplinären
Zentren gebündelt: im BiotechnologischBiomedizinischen Zentrum, im Interdisziplinären Zentrum für Bioinformatik, im
Zentrum für Toxikologie, im Interdisziplinären Zentrum für Klinische Forschung
(IZKF) und im Koordinierungszentrum für
Klinische Studien Leipzig (KKSL).
Die Vernetzung mit außeruniversitären
Einrichtungen wird durch die Beteiligung
zahlreicher Einrichtungen deutlich: MPI
für Mathematik in den Naturwissenschaften, MPI für evolutionäre Anthropologie,
Hochschule für Technik, Wirtschaft und
Kultur (HTWK), Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle GmbH (UFZ), Sächsisches Institut für Angewandte Biotechnologie e. V. an der Universität Leipzig
(SIAB) sowie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der MaxPlanck-Forschungsstelle für Enzymologie
der Proteinfaltung, Halle.
Nachwuchsförderung wird im interdisziplinären Rahmen durchgeführt. Von der
Medizinischen Fakultät und der Fakultät
für Biowissenschaften, Pharmazie und
Psychologie wurde ein strukturiertes Doppel-Promotionsprogramm (MD/PhD-Programm) eingerichtet. Ziel ist es, besonders
hoch begabten Doktoranden der medizinischen Fächer die Möglichkeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Dr.
med. und eines Dr. rer. nat. zu bieten sowie
Naturwissenschaftlern die Möglichkeit zusätzlich zum Dr. rer. nat einen Dr. rer. med.,
oder einen Dr. rer. med. allein zu erwerben.
In Leipzig ist darüber hinaus das Postgradualstudium Toxikologie und Umweltschutz (PGS) angesiedelt, das in einem
zweijährigen Aufbaustudiengang die Weiterbildung zum Fachwissenschaftler für
Toxikologie ermöglicht.
In Schwerpunktbereichen erfolgt eine
interdisziplinäre, strukturierte Doktorandenausbildung mit internationaler Ausrichtung, wie z. B. in dem Internationalen Promotionsprogramm (IPP) der Fakultät für
Chemie und Mineralogie.
journal
UniCentral
Wer dreht die Helix?
Biowissenschaftler untersuchen
Protein-Zustände
Von Marlis Heinz
Ein Bündel von verschiedenfarbigen Spiralen, manche steil aufgerichtet, manche
gebogen oder geknickt, illustriert das Heft,
das Prof. Dr. Annette G. Beck-Sickinger
vor sich liegen hat. Auf einigen hundert
Seiten fasst die Broschüre die bisherigen
Arbeitsergebnisse des Sonderforschungsbereiches 610 zusammen. Der Titel der
Arbeiten: „Protein-Zustände mit zellbiologischer und medizinischer Relevanz“.
Deshalb auch diese Abbildung auf dem
Titelblatt: Die Spiralen stellen aus Aminosäuren zu Ketten zusammengefügte Proteine dar. So wie auf der Skizze sind sie
unter anderem in den Zellmembranen eingelagert, wo sie nahende Substanzen, Hormone zum Beispiel, erkennen und deren
Botschaft in der Zelle weiterleiten – oder
auch nicht. Die Proteine können nämlich
durch verschiedenste Modifizierungen in
ihrer Funktion lahmgelegt oder verändert
sein und damit falsche Signale in die Zellen
aussenden. Dies passiert durch irreguläre
Faltungszustände, durch unplanmäßige
Aneinanderlagerung zu Fibrillen, durch die
Zellen irreführende Bewegungszustände
oder durch chemische Modifizierungen.
Hier setzt die Forschung des SFB 610 an.
Gemeinsam mit ihren Kollegen der MartinLuther-Universität Halle, der Max-PlanckForschungsstelle Halle und mit Leipziger
Medizinern untersuchen Wissenschaftler
der Fakultät für Biowissenschaften, Pharmazie und Psychologie 16 verschiedene
Proteine. Im Fokus stehen deren Veränderungen und die Auswirkung auf zellbiologisch und medizinisch bedeutsame Vorgänge. Mit dieser Forschung bauen die
Biochemiker sozusagen noch ein Erdgeschoss unter das bestehende Gebäude der
klassischen Medizin, denn durch fehlerhafte Protein-Zustände entsteht ein Großteil der Krankheiten. Am bekanntesten ist
hier sicherlich BSE, bei dem ein Eiweiß,
das sich lediglich in seiner räumlichen
Struktur, nicht aber in der Anordnung der
einzelnen Aminosäuren vom normalen
Heft 5/2004
Protein unterscheidet. Aus Proteinveränderungen resultieren vermutlich auch Störungen der Sinnesorgane und Krankheiten
wie Alzheimer, Chorea Huntington und
Creutzfeld-Jacob.
„Wir schauen uns speziell für diese Untersuchungen mit Hilfe von Bakterien gezüchtete modifizierte Proteine an, um zu
sehen, wie die Modifizierung die normalen
Abläufe beeinflusst“, erläutert Prof. Dr.
Annette G. Beck-Sickinger das Vorgehen
ihrer Forschungsgruppe. „Besonders interessant sind hier die menschlichen Hormonrezeptoren, die sich mitunter wie
Schalter umlegen und nicht mehr funktionieren.“
Was an diesen Studien ist nun wirklich neu
und – deshalb ja auch der Sonderforschungsbereich – der speziellen Förderung
wert? Die prinzipielle Möglichkeit, Proteinfaltungen zu betrachten, hat die Wissenschaft schon seit 50 Jahren. Den Aufbau
der Proteine kennt man seit der lückenlosen Aufdeckung der Human-GenomSequenzierung vor etwa drei Jahren. „Wir
aber sind nun dabei, zu erforschen, inwieweit die Reihenfolge der Aminosäuren die
Spiralform der entstehenden Helix verursacht. Wo liegt der Bauplan für die
Dreidimensionalität?“, fragt Beck-Sickinger. „Wenn wir das wissen, können wir
auch ergründen, wie das Hormon Signale
in die Zelle gibt. Wie kommt es beispielsweise, dass wir vom Kaffee munter werden? Wie wirken Beta-Blocker? Welcher
Defekt verursacht epileptische Anfälle?
Das alles kann bisher noch niemand wirklich begründen. Mit unseren Fragestellungen begeben wir uns in die Tiefe vieler
Krankheiten, deren molekulare Ursachen
nur erahnt werden und die derzeit nur in
ihren Symptomen behandelbar sind. Es
können auf der Basis unserer molekularen
Forschung völlig neue Therapien entstehen
und Nebenwirkungen im Vorfeld abschätzbar und möglicherweise vermeidbar werden.“
Ein Patent, mehrere Preise und Auszeichnungen sowie rund einhundert Publikationen künden vom bisherigen Ertrag der
Arbeit des Hallenser/Leipziger Teams. Zu
den Ergebnissen gehört unter anderem
die Erforschung der Wirkungsweise von
G-Protein-gekoppelten Rezeptoren, also
Eiweißen die in der Zellmembran Hormone erkennen und in die Zellen leiten.
Etwa die Hälfte aller Medikamente bindet
an derartige Rezeptoren. „Und zu uns gehört eine der wenigen Gruppen weltweit“,
sagt Prof. Dr. Beck-Sickinger, „die Bakterien dazu bekommt, solche G-Protein-gekoppelten Rezeptoren herzustellen und im
Reagenzglas korrekt oder in genetisch
fehlgeleiteter Form zu falten, sowie die
Gruppe, die bestimmte Faltungshelfer, sogenannte cis/trans-Prolylisomerasen, als
erstes entdeckt hat.“ Zu den besonderen
Potenzen des Forschungsverbundes zählt
außerdem die Molekülmodellierung im
theoretischen Modell sowie die Untersuchung der Proteine mittels der Kernresonanzspektroskopie oder der Röntgenstrukturanalyse.
Aber das war erst der Anfang einer weiten
Strecke. Ein Blick voraus: „Wir möchten
jetzt verstehen, wie Eiweißmoleküle innerhalb der menschlichen Zelle funktionieren,
wie außerhalb,“ erläutert Prof. Dr. Annette
G. Beck-Sickinger. Hierfür sollen in Zukunft die Eiweiße in lebenden Zellen auf
Bio-Chips untersucht werden.
Ein Blick ganz weit voraus: „Ich möchte
unbedingt verstehen, wie die Regulation
der Nahrungsausnahme auf molekularer
Ebene funktioniert. Nach allem was jetzt
abzusehen ist, wird in absehbarer Zeit
Nahrungsüberschuss und Überernährung
ein wesentlich größeres, medizinisches
Problem sein als Nahrungsmangel. Die
Forderung nach Verzicht funktioniert bekanntlich nicht. Also müssen wir das Übergewicht in seinen biochemischen Ursachen
bekämpfen. Aber das ist ein riesiges Räderwerk …“
21
UniCentral
Warum wir uns wie verhalten
Cluster 4: Vom Molekül zum Verhalten
Von Prof. Dr. Dorothee Alfermann, Institut für Sportpsychologie und Sportpädagogik,
Prof. Dr. Andreas Reichenbach, Paul-Flechsig-Institut, Prof. Dr. Rudolf Rübsamen, Institut für Biologie II, und anderen
Der Gewinn dieses Forschungsclusters
liegt zum einen darin, dass erstmalig ein
stringenter, aufeinander aufbauender Forschungsstrang entsteht, der von der genetischen Analyse bis hin zur Erklärung und
Beeinflussung menschlichen Verhaltens
reicht. Zum anderen wird im Rahmen von
Graduierten- und Promotionskollegs eine
hochklassige Förderung sowie Vernetzung
des Nachwuchses ermöglicht. Der Cluster
verbindet die Ebenen menschlicher und
tierischer Entwicklung vom Gen bis zum
Verhalten.
Gen: Hier ist die übergreifende Zielrichtung die Untersuchung genetischer Voraussetzungen von spezifischen Verhaltensweisen. Am Max-Planck Institut für evolutionäre Anthropologie (MPI EvA) werden die
genetischen Grundlagen der Menschwerdung erforscht. Hierzu werden in einem
breiten Forschungsansatz systematisch
Unterschiede im Genom von Menschenaffen und Menschen erfasst.
Molekül: Auf dieser Ebene werden molekulare Mechanismen neuronaler Funktionen und ihrer Adaptation unter physiologischen (neuronale Plastizität) und pathologischen Bedingungen (neurodegenerative
Erkrankungen) untersucht. Daran sind Einrichtungen der Medizinischen Fakultät und
der Fakultät für Biowissenschaften, Pharmazie und Psychologie beteiligt.
Zelle: Auf dieser Ebene werden die zellulären Mechanismen untersucht, die der
(adaptiven) Entwicklung und Funktion des
Zentralnervensystems und damit dem Verhalten zugrunde liegen. Daran ist neben
universitären Einrichtungen (Medizin,
Pharmazie, Physik) auch das Biotechnologisch-Biomedizinische Zentrum (BBZ)
beteiligt.
System: Untersuchungen auf der Ebene
von neuronalen Systemen sind ein unerlässliches Bindeglied zwischen der
Analyse von Charakteristika spezifischer
Nervenzellen und der Erforschung von
Verhaltensweisen, da jegliche Verhaltensäußerung das Ergebnis koordinierter Inter22
Linguistik sowie im Bereich des motorischen Lernens die Sportwissenschaftliche
Fakultät, das MPI KuN und das Institut für
Angewandte Trainingswissenschaft.
Verhalten III – Maladaptives Verhalten:
Diese Ebene steht in komplementärer Beziehung zur Ebene II. Es werden Mechanismen untersucht, welche „Entgleisungen“ der normalen und gesunden Prozesse
bedeuten. Im Zentrum für Prävention und
Rehabilitation sind dazu verschiedene Arbeitsgruppen aus den Bereichen Medizin,
Psychologie und Sportwissenschaft vereint.
Prof. Dr. Dorothee Alfermann
aktionen zwischen Neuronenverbänden ist.
Diesbezüglich gibt es am Wissenschaftsstandort Leipzig eine Konzentration auf
Fragen nach der Funktion verschiedener
Hirnareale bei der Prozessierung akustischer Signale besonders hinsichtlich
Sprachverständnis und Sprachproduktion
sowie des Musikhörens. An diesen Untersuchungen sind das Max-Planck Institut
für Kognitions- und Neurowissenschaften
(KuN), das MPI EvA sowie sprachwissenschaftliche Arbeitsgruppen an der Philologischen Fakultät und biologische Arbeitsgruppen an der Fakultät für Biowissenschaften, Pharmazie und Psychologie beteiligt.
Verhalten I – Basale Grundlagen: Auf
dieser Ebene werden mentale Leistungen –
wie Aufmerksamkeit und Sprache – im
Rahmen des Informationsverarbeitungsansatzes untersucht. In diese Forschung sind
das Institut für Psychologie I, das Institut
für Linguistik und das Max-Planck-Institut
für Kognitions- und Neurowissenschaften
(MPI KuN) eingebunden.
Verhalten II – Adaptives Verhalten: Auf
dieser Ebene werden Bedingungen und
Folgen von sprachlichem und motorischem
Handeln untersucht. Beteiligt sind: das
Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie (MPI EvA), das Institut für
Perspektiven: Zur Zeit wird das Konzeptpapier für einen SFB zum Thema „From
input systems to cognitive representation“
vorbereitet. Aus dem obigen Forschungscluster sind die drei Ebenen Systeme, Verhalten I und Verhalten II beteiligt. Die in
Leipzig vorhandene Kompetenz auf den
Gebieten der evolutionären Anthropologie
sowie der Molekular- und Zellbiologie
neuronaler Signaltransduktion schafft zudem ideale Voraussetzungen für einen
interdisziplinären Ansatz zur Untersuchung der biologischen Grundlagen mentaler Prozesse und ihrer Störungen. Ein
wesentliches Element ist hierbei die Initiative zur Bildung einer DFG-Forschergruppe zum Thema „Evolution of Neural
Signaling Systems“.
Die Leipziger Linguistik (an Uni, MPI
KuN und MPI EvA) beantragt zur Zeit die
Einrichtung einer neuen DFG-Forschergruppe, die grammatiktheoretische Fragen
(„Systeme“) mit empirischen Befunden
aus der Psycho- und Neurolinguistik
(„Verhalten I“) und der Typologie („Verhalten II“) konfrontiert. Innerhalb der
Medizinischen Fakultät sind unter dem
Rahmenthema „Prävention“ eine Vielzahl
von Forschungsaktivitäten im Gang oder
geplant. Langfristig ist außerdem der Aufbau einer Forschergruppe anzustreben, die
zu einer weiteren Verknüpfung der Ebenen
vom System bis zu Verhalten II und III
beiträgt.
journal
UniCentral
Die Sprachstörung
früh erkennen
Weltweit einmaliges Projekt zur
Sprachentwicklung von Kindern
Von Dr. Bärbel Adams
Schon einen Tag nach der Geburt werden
sie zu Probanden an der Abteilung Neuropsychologie des Max-Planck-Institutes für
Kognitions- und Neurowissenschaften in
Leipzig. Die Wissenschaftler um Prof. Dr.
Angela Friederici verfolgen die sprachliche Entwicklung im Gehirn von 200 Kindern. 50 von ihnen kommen aus Familien,
in denen bereits Sprachstörungen aufgetreten sind, denn die Forscher vermuten eine
genetische Prädisposition.
Für die Untersuchung werden an den Köpfen der Kinder Elektroden angebracht, die
die elektrischen Impulse der Nervenzellen
messen und die als Elektroenzephalogramm (EEG) aufgezeichnet werden. Die
elektrischen Impulse der Nervenzellen
werden ausgelöst, während man mit dem
Kind spricht. Indem in regelmäßigen Abständen solche EEGs aufgezeichnet werden, spiegeln sie das sprachliche Verhalten
der Kinder in ihrer Entwicklung wider.
Aber spiegeln sie auch sprachliche Fehlleistungen des Gehirns wider?
Prof. Friederici: „Als wir die elektrophysiologischen Daten der Kinder aus Familien
mit Sprachstörungen verglichen mit denen
von Kindern aus sprachlich ‚normalen‘ Familien, konnten wir schon in den Kurven
zwei Monate alter Babys Unterschiede ausmachen, die zurückzuführen waren auf
massive Störungen bei der Wahrnehmung
von langen und kurzen Silben! Dort gab es
Verzögerungen von 200 Millisekunden, die
ausreichen, um die Aufnahme des gesamten Lautkomplexes zu stören, weil in der
mit normaler Geschwindigkeit gesprochenen Sprache der nächste Laut schon angekommen ist, bevor der vorherige verarbeitet werden konnte.“
Am Max-Planck-Institut für Evolutionäre
Anthropologie, in der Arbeitsgruppe von
Prof. Swante Pääbo, hat Prof. Friederici
einen Partner, der zusammen mit Kollegen
Heft 5/2004
von der Universität Oxforf das Phänomen
genetisch untersucht. Von den Kindern mit
der gestörten Sprachwahrnehmung wurde
Blut abgenommen, um nach genetischen
Parametern zu suchen, die die Prädisposition für eine sprachliche Störung belegen
könnten. Weiter arbeitet das MPI mit den
Wissenschaftlern am Institut für Kognitive
und Biologische Psychologie der Universität um Prof. Dr. Erich Schröger zusammen. Prof. Schröger sucht nach den Ursachen der Lese- und Rechtschreibschwäche. Dazu ist bekannt, dass ein Großteil der
Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen
später eine Lese- und Rechtschreibschwäche ausbildet. Die Wissenschaftler gehen
davon aus, dass diese bereits in Schwierigkeiten der frühen akustischen Wahrnehmung begründet liegen. Es liegt also auf
der Hand, dass die Kinder mit dieser Wahrnehmungsstörung sehr genau auch daraufhin beobachtet werden, ob und welche
dieser Kinder später die Lese- und Rechtschreibschwäche ausbilden. Für Prof. Friederici ist diese Zusammenarbeit ein gutes
Beispiel für die sinnvolle Kooperation zwischen verschiedenen wissenschaftlichen
Einrichtungen: „Das ist ja gerade der
Vorteil der Forschungscluster, dass sie
verschiedene Forschungsgegenstände der
Wissenschaftler zusammenführen. Das
wissenschaftliche Ergebnis seinerseits
kann dann natürlich die komplexen Zusammenhänge der Wirklichkeit umfassender und genauer widerspiegeln.“
Neben dem wissenschaftlichen Erfolg ergeben sich aus dem Projekt auch ganz
praktische Konsequenzen. Prof. Friederici:
„Unsere Elektroenzephalogramme ermöglichen auch die frühzeitige Diagnose von
Sprachstörungen. Und, obwohl es noch
keine entwickelten Therapieprogramme
gibt, können wir den Eltern auch Tipps geben. Wir raten ihnen z. B. mit den Kindern
Für die Untersuchung werden an den
Köpfen der Kinder Elektroden angebracht, die die elektrischen Impulse der
Nervenzellen messen.
Foto: Max-Planck-Institut
für Neurowissenschaften
in einer Art zu reden, die früher unsere
Großmütter automatisch gegenüber Babys
und Kleinkindern anwandten: langsam zu
sprechen und die langen Silben überzubetonen.“ Der Grund dafür liegt in der besonderen Melodie jeder Sprache. Im Deutschen sind z. B. zweisilbige Wörter immer
auf der ersten Silbe betont. Dem entspricht
die lange Silbe. Unbetonte Silben dagegen
fallen kurz aus. Man kann also schon im
Sprachstrom identifizieren: Hier fängt ein
neues Wort an! Mit dem Überbetonen
wichtiger, also langer Silben, könnten die
Eltern dem Kind helfen, die Fähigkeit, betonte von unbetonten Silben zu unterscheiden, über diesen Umweg auszubilden.
Was lange Zeit als Babytalk abgetan
wurde, hat also seinen Sinn. Ebenso die
Kinderlieder, die immer seltener gesungen werden. „Wir haben zum Beispiel
gefunden, dass beim Erwachsenen die
neuronalen Netzwerke, die Musik verarbeiten, sehr große Überlappungen haben
mit den neuronalen Netzwerken, die für
akustische Sprachverarbeitung da sind,
die ja immer auch mit Melodie verbunden
ist“, erläutert die Wissenschaftlerin. „Es
ist daher vorstellbar, dass Training des
einen auch Training des anderen bedeutet.“
23
UniCentral
Die Dynamik der
Dimensionierung
Cluster 5: Neue Räume sozialer
und kultureller Prozesse
Von PD Dr. Matthias Middell, Institut für Kulturwissenschaften
Dieser Kompetenzbereich steht unter dem
Titel „Neue Räume sozialer und kultureller Prozesse“. Er vereint Beiträge aus neun
Fakultäten, dem Zentrum für Höhere Studien, dem Zentrum für Internationale
Wirtschaftsbeziehungen und dem Lateinamerikazentrum sowie fünf außeruniversitären Einrichtungen (Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur
Ostmitteleuropas, Leibniz-Institut für Länderkunde Leipzig, Institut für Troposphärenforschung Leipzig, Simon-DubnowInstitut für jüdische Geschichte und Kultur
und das Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle).
Die gemeinsame Fragestellung der zahlreichen Projekte dieses sehr weit gespannten
Kompetenzbereiches bezieht sich auf die
Verräumlichung sozialen und kulturellen
Handelns: Wie kann man die Erfahrungen
wissenschaftlich verarbeiten, die die Dynamik der aktuellen Neudimensionierung
von relevanten Räumen – und die durch sie
bedingte Globalisierung – mit sich gebracht hat? Raum wird dabei sowohl als
Handlungs- wie auch als Wahrnehmungsraum verstanden. Die geistes-, sozial-, kultur- und umweltwissenschaftlichen sowie
geographischen Beiträge zu verschiedenen
Großregionen der Erde sind durch komparative Vorgehensweisen und Verflechtungsanalyse miteinander verbunden. Das
Thema dieses Kompetenzbereiches reflektiert eine aktuelle Erfahrung: Alte Raumbezüge lösen sich auf, verlieren an Relevanz und werden durch neue ersetzt, die
mit gewohnten Mustern der Verräumlichung (wie dem Nationalstaat) konkurrieren. Um diesen außerordentlich vielgestaltigen Prozess erfassen zu können, bedarf es der weitgespannten interdisziplinären Zusammenarbeit. Gleichzeitig liegt der
Fokus der beteiligten Forschergruppen auf
einzelnen Dimensionen der Verräumlichung wie städtischen, regionalen, natio24
PD Dr. Matthias Middell
nalen Bezügen sowie interkulturellen und
internationalen Beziehungen und Austauschprozessen.
Folgende Gruppen sind beteiligt, die sich
gegenseitig ergänzen und den Kompetenzbereich näher strukturieren:
– Chancen und Risiken durch Strukturwandel für Stadtregionen Mittel- und
Osteuropas
– Hybridität – Internationalisierung – Entstehung eines transatlantischen Raumes
– Differenz und Integration – Migration in
langer historischer Perspektive
– Territorialisierungsprozesse und -diskurse in der Moderne
– Rekonfigurationen Europas
– Emerging Megacitys
Der Kompetenzbereich schließt an eine
lange Tradition vergleichender humanwissenschaftlicher Forschung an. Diese hat an
der Leipziger Universität seit dem späten
19. Jahrhundert Anthropogeographen, Kul-
tur- und Sozialwissenschaftler unterschiedlichster Ausrichtung, Historiker,
Sprachforscher, Ethnologen usw. zusammengeführt. Heute verfügen die Universität und die erwähnten außeruniversitären
Institute über eine nur an wenigen anderen
Orten in Deutschland zu verzeichnende
Breite der Regionalkompetenzen (Ostmittel- und Südosteuropa; Westeuropa;
Transatlantischen Beziehungen Europas;
Nord- und Südamerika; subsaharisches
Afrika, Naher und Mittlerer Osten, Ostund Südasien). Darüber hinaus stehen sie
auch für eine weit gefasste methodische
Kompetenz, um zivilisationsübergreifende
Problemstellungen bearbeiten zu können.
Das Zusammenwirken von Geistes- und
Sozialwissenschaften einerseits und Umweltwissenschaften andererseits ermöglicht, die Rolle kultureller Faktoren (d. h.
politischer, wirtschaftlicher, juristischer,
usw.) und natürlicher Faktoren abwägen zu
können.
Der Kompetenzbereich stützt sich in der
Universität auf zahlreiche bereits gut etablierter Forschungsgruppen. Zu nennen
sind beispielsweise der SFB 586, das
Iberoamerikanische Forschungsseminar,
der aus dem SFB 417 hervorgegangene
Forschungsverbund „Raum“ und der Internationale Promotionsstudiengang „Regionalisierung und Transnationalisierung vom
18. Jh. bis zur Gegenwart“ am Zentrum für
Höhere Studien. Bereichert wird der Kompetenzbereich aber auch durch derzeit neu
entstehende interdisziplinäre Arbeitsgruppen (unter anderem zu Beziehungen
zwischen den USA und Europa, wo Amerikanisten und Politikwissenschaftler zusammenwirken, oder zu „Randzonen der
Globalisierung“, wo Theaterwissenschaftler, Afrikanisten, Historiker, Wirtschaftswissenschaftler und Anthropologen kooperieren). Aus den außeruniversitären Instituten nehmen in der Drittmitteleinwerbung
sehr erfolgreiche Projektgruppen an der
Arbeit des Kompetenzbereiches teil. Alle
involvierten Gruppen sind international
weithin vernetzt.
Ein erster entscheidender Schritt ist getan
worden, indem die verfügbaren Kompetenzen aller Beteiligten erhoben wurden.
Damit können benachbarte Interessen
verknüpft werden und gleichzeitig ist es
möglich, die Vorhaben und Kooperationsformen für eine mittelfristige Perspektive
festzulegen. So kann aus einer Versammlung von Kompetenzen ein weiter ausstrahlendes und insgesamt förderfähiges
Profil erwachsen.
journal
UniCentral
Nomaden ohne
Weide?
Chancen und Risiken
von Regionalisierungsprozessen
in Marokko und China
Von Volker Schulte
Mit dem ländlichen Marokko, das seit etlichen Jahrzehnten eine Denomadisierung
erfährt, und dem tibetanischen Hochland in
China, das seit jüngstem durch eine Renomadisierung gekennzeichnet wird, untersuchen die Mitarbeiter des Orientalischen
Instituts Ingo Breuer und Andreas
Gruschke – Projektleiter ist Prof. Dr. Jörg
Gertel – innerhalb des Sonderforschungsbereiches 586 („Differenz und Integration“) zwei Fallbeispiele zum Thema
Geschichte, Struktur und Dynamik von
Regionalisierungsprozessen.
Konkreter
gesagt: Es geht um nomadische Lebenschancen und die Zukunft des Pastoralismus. Mit dem Geographen Ingo Breuer,
der von 2001 bis 2003 in Marokko unter
nomadischen Gruppen gelebt und geforscht hat und mit dem Rückenwind der
DFG-Zusage für eine Weiterführung des
SFB bis 2008 in das nordafrikanische Land
zurückkehren wird, unterhielten wir uns
über das Forschungsprojekt „Nomaden
ohne Weide?“
Zu seinen Feldstudien begab sich unser
moderner Forschungsreisender in die entlegenen, nur gelegentlich von TreckingTouristen durchquerten Bezirke Oussikis
und Iknioun, zwischen Atlas-Gebirge und
Heft 5/2004
Sahara gelegen. Er bezog Quartier bei
Familien im Dorf oder in Nomadenzelten,
er erlernte die Sprache der berberischen
Bewohner, das Tashelhayt, und war entweder im Auto, zu Fuß oder auf dem Maultier unterwegs. In einer Region, in der zwar
eine Analphabetenquote bis zu 80%
herrscht, in der aber ein ständiges Kommen
und Gehen von Personen herrscht und entsprechend ein reger mündlicher Austausch
auch über größere Entfernungen hinweg
gegeben ist. Seine Forschungen betrieb er
mit Methoden der empirischen Sozialforschung wie der teilnehmenden Beobachtung, dem Interview, der Ermittlung von
Biografien und der Kartierung. Am Ende
stand die Erhebung quantitativer Daten,
wobei er mittels Fragebogen über 300
Haushalte befragte. Die Fragen zielten u. a.
auf die Haushaltsstruktur, die materiellen
Ressourcen, die sozialen Netzwerke, den
Zugang zu Land und Tieren.
Zu den empirischen Befunden gehört, dass
zum traditionellen nomadischen Zyklus, in
dem die Schafe und Ziegen im jahreszeitlichen Rhythmus in den Bergen oder in der
Wüste weiden, neuerdings immer stärker
eine Weidewirtschaft tritt, bei der Zelte und
Tiere auf Lastwagen verladen und in neue
Obwohl die Nomaden von Oussikis
(Marokko) scheinbar „traditionell“ wirtschaften, sind sie doch hochgradig in
(inter)nationale Arbeits- und Warenmärkte eingebunden: einzelne Familienmitglieder sind als Arbeitsmigranten in
marokkanischen Großstädten oder in
Europa tätig; die Gerste für die Tiere
kommt teilweise aus den USA.
Foto: Ingo Breuer
Weidegebiete in 500 bis 800 km Entfernung gebracht werden. Und die Menschen
dieser Region sind oft keine reinen Nomaden mehr. Teile der Familienverbände arbeiten als Tagelöhner in marokkanischen
oder französischen Städten, viele Haushalte können nur noch dank des damit verbundenen Geldtransfers existieren. Andere
Erwerbsquellen sind Kleinhandel, Militärdienst und natürlich noch immer der Verkauf von Tieren. Das Fazit von Ingo
Breuer: „Nomaden werden immer enger in
(inter)nationale Arbeits- und Warenmärkte
eingebunden und ihre Lebenswelt wird zunehmend auch durch neue Kommunikationsmittel nachhaltig verändert.“
Vor diesem Hintergrund werden sich die
Projektmitarbeiter in den nächsten Jahren
mit den Problemen und Potentialen beschäftigen, die sich aus neuen Regionalisierungsprozessen ergeben. Standen zunächst die verschiedenen Übergangsprozesse zwischen ländlicher Peripherie und
urbanen Zentren, die Beziehungen zwischen Nomaden und Sesshaften in Regionen im Mittelpunkt des Interesses, so gilt
das jetzt vorrangig der Konstruktion von
Räumen, die territorial nicht vorgegeben
sind, sondern gemacht werden, entweder
von oben als administrativer Raum oder
von unten als Handlungsraum durch die
Interaktion etwa von Viehzüchtern und
überregional operierenden Viehhändlern.
Aufgabe der Forschung ist es herauszufinden, wie sich im Gefüge globaler Zusammenhänge für bestimmte Nomadengruppen neue Lebenschancen eröffnen,
während für andere die Gefahr besteht, auf
den Weg in die Verarmung zu geraten. Dass
solcherart Grundlagenforschung auch eine
starke entwicklungspraktische Bedeutung
zukommt, dass die gewonnenen Basisdaten
eine wichtige Voraussetzung für Entwicklungsprojekte zur nomadischen Produktions- und Existenzsicherung bilden, liegt
auf der Hand.
Zum Sonderforschungsbereich „Differenz
und Integration“ wird im kommenden UniJournal ein ausführlicher Beitrag erscheinen.
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Studiosi
Deutsch
fürs Studium
und fürs Leben
Universität bildet aus und weiter
„Meine Tochter will in Leipzig Geschichte
studieren, sie spricht jedoch noch kein
Wort Deutsch. Wann beginnt der nächste
Kurs für Anfänger?“
„Ich möchte an der Universität Leipzig
studieren und muss bei der Bewerbung
das DSH-Zeugnis einreichen. Wo kann ich
mich vorbereiten?“
„Können Sie für unsere ausländischen
Wissenschaftler einen Deutschkurs anbieten?“
„Haben Sie noch freie Plätze im Sommerkurs?“
„Bieten Sie auch ausländischen Germanisten eine Fortbildung an?“
Solche und ähnliche Fragen erreichen
interDaF täglich. Erfreulicherweise können wir fast immer helfen und ein entsprechendes Angebot unterbreiten.
Informationen im Internet
Das Herder-Institut an der Philologischen Fakultät bietet den Studiengang
Deutsch als Fremdsprache an.
www.uni-leipzig.de/herder
Das Studienkolleg Sachsen, eine zentrale Einrichtung an der Universität, bereitet ausländische Studienbewerber auf
die Feststellungsprüfung (FSP) und auf
die Deutsche Sprachprüfung für den
Hochschulzugang (DSH) vor. Außerdem bietet es studien-begleitenden
Deutschunterricht für ausländische Studierende an der Universität an.
www.uni-leipzig.de/stksachs
interDaF e. V. am Herder-Institut ist ein
gemeinnütziger Verein, der auf kommerzieller Basis arbeitet. Die Angebote
sind auf dieser Seite beschrieben.
www.uni-leipzig.de/interdaf
26
Mit unseren Sprachintensivkursen auf verschiedenen Niveaustufen wenden wir uns
v. a. an zukünftige ausländische Studienbewerber, aber auch an Studierende. Grundstufenkurse beginnen alle zwei Monate,
dreimal im Jahr bieten wir Mittelstufenkurse an, die auf die Mittelstufenprüfung
bzw. – wenn die notwendigen Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind – auf die
Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang (DSH) vorbereiten. Brückenkurse bieten wir an, wenn der Anschluss an
die nächsthöhere Niveaustufe zeitlich nicht
unmittelbar erfolgt.
Wir haben aber auch eine Reihe „maßgeschneiderter“ Sprachkurse, z. B. für
DAAD-Stipendiaten, die erst Deutsch lernen, bevor sie einen Aufbaustudiengang
an einer deutschen Hochschule beginnen.
Auch ausländische Theologiestudenten bereiten wir sprachlich auf das Studium an
der Universität vor.
Ausländische Wissenschaftler unserer Universität können ihre Deutschkenntnisse in
Konversationskursen (Abendkursen) auffrischen bzw. perfektionieren.
Besonderer Beliebtheit erfreuen sich die
dreiwöchigen Sommerkurse, die interDaF
gemeinsam mit Studienkolleg Sachsen
durchführt, aber auch der vierwöchige
Winterkurs. Bei den dreiwöchigen Sprachund Orientierungskursen für ausländische
Programmstudenten, die jeweils vor dem
Sommersemester bzw. dem Wintersemester angeboten werden, arbeiten interDaF,
Studienkolleg Sachsen und das HerderInstitut inhaltlich und organisatorisch eng
zusammen und werden vom Akademischen Auslandsamt unterstützt. Deutsch
lernen (und lehren) ist harte Arbeit, die
aber auch viel Spaß macht – wie unsere
Sommerkursteilnehmer (siehe folgende
Seite) selbst erfahren haben.
Für ausländische Germanisten, Deutschlehrer und Lehramtskandidaten bietet
interDaF Fortbildungskurse mit verschiedenen Schwerpunkten (z. B. Landeskunde,
Didaktik/Methodik, Literatur, Medien) an.
In diesem Bereich arbeiten wir mit verschiedenen Mittlerorganisationen (z. B. der
Robert Bosch Stiftung, dem Goethe-Institut) zusammen und werden durch Professoren unserer Universität unterstützt.
Klar getrennt sind die inhaltlichen und
organisatorischen Aufgaben der drei Einrichtungen, die aus dem „alten“ Herder-Institut hervorgegangen sind, das früher v. a.
für die sprachliche Vorbereitung ausländischer Studenten an der Universität zuständig war. Dennoch bilden das (neue) Herder-Institut, das Studienkolleg Sachsen
und interDaF e. V. am Herder-Institut in gewisser Weise ein Zentrum für Deutsch als
Fremdsprache an der Universität Leipzig
und setzen damit die Tradition fort, die die
Universität seit Jahrzehnten auf diesem
Gebiet hat.
Dr. Annette Kühn, Geschäftsführerin
interDaF e. V. am Herder-Institut
Michele, Ai und Bruno haben sowohl einen
Sommer- als auch einen Orientierungskurs
absolviert. Friederike Haupt stellt sie auf
der folgenden Seite in Text und Bild vor.
Anzeige
Krankenkasse wählen im Internet:
Alles was Sie schon immer über Ihre Krankenversicherung wissen wollten!
www.financialport.de
FINANCIALPORT • Carlo-Schmid-Weg 13 • D 25337 Elmshorn
Tel.: +49 (0) 41 21- 45 0915 • Fax: +49 (0) 4121- 45 0914 • E-Mail: [email protected]
journal
Studiosi
„Theaterstücke
verstehen“
„Ich will hier
promovieren“
„Alles anders
als bei uns“
Michele L. Schiacchet, 25 J., Brasilien
Bruno Antunes, 31 J., Portugal
Ai Kawano, 22 J., Japan
Das erste, was Michele Louise Schiacchet
über Leipzig erfuhr, war, dass Bach hier
gelebt hat. Im Internet hatte die 25-jährige
Informationen gesucht über die Stadt, in
der sie bald für ein Jahr leben würde, und
vor allem Texte zur Musikgeschichte gefunden. Inzwischen hat sie sich schon ein
eigenes Bild machen können von Stadt,
Land und Leuten. „Ein bisschen kenne ich
Leipzig jetzt schon“, erzählt die Studentin
fröhlich, „besonders am Cospudener See
finde ich es sehr schön.“
Michele, die aus Curitiba, Brasilien,
kommt und schon zwei Jahre im italienischen Bologna studiert hat, ist an der Uni
Leipzig für Theaterwissenschaft eingeschrieben. „Die angebotenen Seminare
hier interessieren mich sehr. Ich hoffe nur,
ich werde die Theaterstücke auch auf
Deutsch verstehen.“ Michele seufzt.
„Brecht zum Beispiel ist schwierig.“ Aber
das Erlernen einer neuen Sprache betrachte
sie als Herausforderung; durch die Unterhaltungen mit ihren neuen Freunden in
Leipzig sei ihr Deutsch schon viel besser
geworden – und natürlich durch den Sommerkurs. „Im Kurs haben wir oft Grammatik geübt. Aber wir haben auch viele lustige Sachen gemacht: Einmal waren wir
zum Beispiel nachmittags mit unserer Tutorin Klettern, und in der MB sind wir auch
schon gewesen.“
Heimweh jedenfalls hat Michele ganz und
gar nicht. Neue Leute lernt sie durch ihre
offene, herzliche Art schnell kennen, Ortswechsel ist sie gewöhnt, und dass sie neben
Portugiesisch, Spanisch, Italienisch und
Englisch nun auch Deutsch spricht, erleichtert das Eingewöhnen. Was ihr nicht
gefällt in Leipzig? Michele kichert. „Das
Gulasch in der Mensa, das schmeckt mir
nicht!“
Als er 17 Jahre alt war, lernte Bruno Antunes mal ein halbes Jahr Deutsch. Vierzehn
Jahre später hatte er fast alles wieder vergessen. Nun hat der 31-Jährige seine
Sprachkenntnisse im Sommerkurs in Leipzig wieder auffrischen können, und das ist
ihm auch sehr wichtig: „Ich möchte
schließlich hier promovieren“, erzählt der
Portugiese, den die Liebe nach Deutschland verschlagen hat. Seine Freundin lernte
er beim Studium in Lissabon kennen, inzwischen wohnt er bei ihr in Leipzig.
Bruno: „Die Stadt hat eine besondere
Atmosphäre, das mag ich sehr. Ich würde
gern mehrere Jahre bleiben, je nachdem,
wie lange ich für meine Doktorarbeit brauchen werde.“
Die möchte er in Philosophie schreiben;
studiert hat er daneben aber auch Schauspiel, in Belgien besuchte er eine MusikAkademie. Für den Sommerkurs bekam
Bruno ein Stipendium. „Es hat sich gelohnt“, sagt er, „mein Deutsch ist schon
viel besser geworden, und Freunde habe
ich dadurch auch gefunden.“
Mit Ai und Michele zum Beispiel unternimmt er gern etwas, und überhaupt sind
die meisten seiner Freunde recht reiselustig und in ganz Europa verteilt. „Da möchte
ich auch lieber unterwegs sein und andere
Länder und Menschen kennenlernen als
nur in Lissabon zu bleiben“, gesteht Bruno,
der außer Portugiesisch und Deutsch noch
vier weitere Sprachen beherrscht.
Ob er auch wirklich in Leipzig bleiben
kann, steht allerdings noch in den Sternen:
Denn wenn er nicht bald einen Nebenjob
findet, kann er sich den Aufenthalt in
Deutschland nicht leisten. „Vielleicht bekomme ich auch ein Stipendium vom MaxPlanck-Institut“, so Bruno, „aber das ist
alles noch nicht klar.“
„Studenten müssen immer sparen“, sagt Ai
Kawano aus Tokio und lächelt verschmitzt.
Dann schwärmt sie von ihrer Leipziger
Lieblingskneipe, in der das Bier unschlagbar günstig ist, und von den Wohnheimpartys in Lößnig: „Sushi, Tortillas, Sangria
– jeder bringt mit, was typisch für sein
Land ist.“
Die 22-jährige Japanerin, die bereits vor
zwei Jahren an einem Sommerkurs in Leipzig teilgenommen hatte, fühlt sich wohl
hier. Nicht zu groß und nicht zu klein sei
die Stadt, und nach Berlin müsse man auch
nicht weit fahren. Einmal sei sie auch für
einen Tag in Dresden gewesen, aber dort
habe es ihr nicht so gut gefallen: „Zu wenig Discos, glaube ich. In Leipzig ist mehr
los für junge Leute.“
Ein wenig Sorgen macht Ai sich aber auch.
Die deutsche Sprache findet sie sehr kompliziert, und in den Büchern für ihr Studienfach Umweltwissenschaft versteht sie
noch nicht alles. Aber Ai, die schon zwei
Jahre in Chiba (Japan) studiert hat, ist
optimistisch: In den zwei Semestern, die
sie an der Uni Leipzig sein wird, werde es
schon klappen mit dem Deutsch lernen – in
Japan hatte sie schließlich nur eine Stunde
Sprachunterricht in der Woche.
Aber Ai will auch die deutsche Kultur
kennenlernen. „Im Sommerkurs haben wir
schon einiges gelernt, aber ich möchte das
auch selbst erleben“, sagt sie, „es ist hier
alles ganz anders als bei uns.“ Von ihrem
Leipzig-Aufenthalt vor zwei Jahren brachte
sie ihren japanischen Freunden Glühwein
mit, und schon jetzt kann sie es kaum erwarten, dass der Weihnachtsmarkt beginnt.
Auch wenn sie ihren Freund, der in Japan
geblieben ist, vermisst, freut Ai sich auf
die Zeit in Leipzig: „An der Uni werde ich
sicher viele nette Leute kennenlernen.“
Heft 5/2004
27
Studiosi
Rat und
Tat für
Neue
Ein offener Brief
an die
Studienanfänger
Info-Materialien
Folgende Informationsmaterialien und
-quellen werden von der ZSB stets aktuell als Broschüre und im Internet bereit gestellt:
– „Afrikanistik bis Zahnmedizin“ mit
einer Kurzdarstellung aller Studiengänge
– „Allgemeine Informationen zum Studium“ mit Informationen zu Studium
und Bewerbung
– „Informationen für Neuimmatrikulierte“ mit grundlegenden Infos zum
Studienbeginn
– „Fremdsprachliche Anforderungen“
mit den Regelungen für alle Studiengänge
Hallo Studienanfänger,
die Mitarbeiterinnen der Zentralen Studienberatung der Universität Leipzig
(ZSB) begrüßen euch an unserer Alma
mater! Viele von euch werden uns schon
kennen und wissen, dass die ZSB Studienbewerber, Studierende und andere Interessenten zu verschiedenen Fragen informiert
und berät, vor allem zu Fragen
• der Studienvorbereitung und des Studienbeginns (wie Fächerangebot, allgemeine und sprachliche Zugangsvoraussetzungen, Bewerbung, Zulassung und
Immatrikulation – daher kennt ihr uns)
• der Gestaltung des Studiums (wie zulässige Fächerkombinationen, Studienverlauf, Studienabschluss, studienbegleitende Angebote, z. B. Fremdsprachen,
Sport etc. – hier könntet ihr ggf. unsere
Hilfe benötigen)
• der Veränderung oder Unterbrechung des
Studiums (wie Studienortwechsel, Studiengangwechsel, Beurlaubung und Studienabbruch – hier stehen wir euch gern
hilfreich zur Seite)
• des Lehramtsstudiums und
• für Studierende in den Lehrämtern zu
speziellen und fächerübergreifenden
Fragen des Studiums.
Auch 2004 gab und gibt es wieder verschiedene Aktivitäten der ZSB für Studieninteressierte an der Universität, in den
Berufsinformationszentren der Agentur für
Arbeit und in Gymnasien, um die Phase
des Übergangs von der Schule zur Hochschule zu erleichtern. Außerdem ist die
ZSB mit Informationsständen auf verschiedenen Messen vertreten.
Wir hoffen, ihr konntet einige der bisherigen Möglichkeiten nutzen und habt die
richtige Entscheidung getroffen. Solltet ihr
doch Probleme in einigen Fragen eures
Studiums sehen, dann könnt ihr unsere
individuelle Studienberatung gern nutzen.
Denn unser Schwerpunkt ist die individuelle Studienberatung, die sowohl im persönlichen Beratungsgespräch, in der Kurzberatung per Telefon, in der schriftlichen
Beratung per E-Mail oder Brief erfolgt.
Hier beraten wir nicht nur die Studieninteressierten, sondern auch Studierende unserer Universität sowie die anderer Hochschulen, die an die Universität Leipzig
wechseln oder ein Zweitstudium aufnehmen möchten. Die Angebote der ZSB zur
persönlichen Beratung wurden im vergangenen Jahr 28 196-mal wahrgenommen
(siehe Tabelle).
Solltet ihr jedoch ganz spezielle Fragen zu
eurem Studienfach haben, dann wendet
euch an die Studienfachberaterinnen in den
Fakultäten. Die Übersicht findet ihr im
Vorlesungsverzeichnis und im Internet
unter
www.uni-leipzig.de/stud/studfach.htm
Im Namen aller Mitarbeiterinnen der ZSB
Dr. Solvejg Rhinow
Leiterin der Zentralen Studienberatung
Beratungen 2003
Beratungszeiten
Zentrale Studienberatung,
Goethestraße 6, 04109 Leipzig
Di. 9–12, 13–17 Uhr
Do. 9–11, 13–15 Uhr
Fr. 9–12 Uhr
(in der vorlesungsfreien Zeit nur Di. und
Fr.)
Anrufe zu den angegebenen Telefonsprechzeiten unter Tel. 03 41 97-3 20 44
Mo. 9–11, 13–15 Uhr
Mi. 9–11, 13–15 Uhr
E-Mail: [email protected]
(Den Studienanfragen per E-Mail
bitte unbedingt die Postanschrift
beifügen!)
28
Januar
Februar
März
April
Mai
Juni
Juli
August
September
Oktober
November
Dezember
Gesamt
Kurzberatung
Clearing
persönliches
Beratungsgespräch
schriftliche
Beratung
Briefe
schriftliche
Beratung
E-Mail
telefonische
Beratung
Gesamt
352
390
403
476
542
604
804
282
609
386
347
229
450
295
260
435
384
590
549
319
448
461
249
236
319
286
267
306
330
289
218
112
211
130
184
81
712
469
532
717
706
918
850
1020
692
398
366
334
657
594
631
578
591
597
959
650
1077
590
433
292
2490
2034
2093
2512
2553
2998
3380
2383
3037
1965
1579
1172
5424
4676
2733
7714
7649 28196
journal
Am
Rande
Studenten mit Erfindergeist: Michael Schramm (l.) und Dominik Diekmann führen
ihre Buchstütze vor.
Foto: Kornelia Tröschel
Der Liegestuhl
fürs Buch
Studenten erfinden Buchstütze
„Suedplatz Vertriebs oHG“ nennen sie sich
– dahinter stehen der Politikwissenschaftsstudent Dominik Dieckmann und der angehende Kulturwissenschaftler Michael
Schramm. Die Vorbereitung auf ihre Zwischen- bzw. Vordiplomsprüfungen brachte
sie auf eine Idee, die heute, ein Jahr später,
begeisterte Interessenten findet: eine
Buchstütze aus Holz. Vielen mag es schon
so gegangen sein, dass insbesondere Paperbacks immer wieder zuklappen, wenn
man sie zum Lesen auf dem Tisch legt. Das
war auch der Grund für die zwei Jungunternehmer, ein Konzept für eine gut
funktionierende Buchstütze zu machen.
„Leicht, zusammenklappbar und schön
anzusehen sollte sie sein“, sagt Dominik
Dieckmann. Eine technische Zeichnung
musste angefertigt werden, um die Idee
einer Buchstütze mit der Funktionsweise
eines Liegestuhls umzusetzen. Vater Klaus
Dieckmann tüftelte die Konstruktion aus
und die beiden Erfinder machten sich
daran, Partner für die Produktion zu suchen. Gefunden haben sie eine Drechslerei
in Hallbach, welche die Einzelteile herstellt, und eine Behindertenwerkstatt in
Rodewisch (Vogtland), um die Einzelteile
zu montieren. Wichtig bei der Suche war
ihnen stets die Förderung der sächsischen
Wirtschaft.
Nachdem ihre Gesellschaft Ende Juli letzten Jahres ins Handelsregister eingetragen
Heft 5/2004
wurde, konnten die zwei ihre unternehmerischen Fähigkeiten unter Beweis stellen.
Der Firmensitz wurde im WG-Zimmer von
Dominik eingerichtet. Der Vertrieb und die
Kontaktaufnahme läuft zwar hauptsächlich
über das Internet (unter der Adresse
www.easyreader.net), aber hier werden
Faxe und Telefonate angenommen und
überlegt, wie Abnehmer gefunden werden
können.
Das war zu Beginn recht schwierig, erst
nachdem sie ihre einzigartige Idee dieses
Jahr auf der Buchmesse präsentierten, lief
es besser: „Wir konnten viele neue Kontakte knüpfen, unter anderem mit der
Buchhandlung Hugendubel, dem Verlag
Cornelsen und der Meta-Suchmaschine für
Bücher „Euro-Buch“, welche die Buchstütze als erstes Nicht-Buch-Produkt in
ihr Sortiment aufgenommen hat“, erzählt
Michael Schramm.
Seitdem stapeln sich in den Zimmern der
beiden und auf den Dachböden in den
Elternhäusern von den ursprünglich 1000
produzierten nur noch die Hälfte der Buchstützen. Muster der in drei Größen erhältlichen Stütze (Preisspanne: 15 bis 25 Euro)
wurden an Verlage, große Kaufhäuser und
Buchhandlungen geschickt und fanden oft
großen Anklang. Wer sich die Buchstütze
genauer angesehen hat, wird verstehen warum.
Kornelia Tröschel
Vor den Erfolg haben die Götter bekanntlich den Schweiß gesetzt. Und
weil es an der Uni Leipzig auch um Erfolg geht, dachte man sich hier: Recht
so! Auch unsere Studenten sollen
schwitzen, und zwar nicht nur in Seminaren und bei Prüfungen, sondern
lange vorher. Und so setzte die Uni vor
den Erfolg die Seminarplatzvergabe.
Seminare muss der Student besuchen,
um Scheine zu erwerben, welche er
wiederum braucht, um sein Studium
irgendwann abzuschließen. Diesem
Ziel verpflichtet, bemüht sich der Student denn auch zu Beginn eines jeden
Semesters, Seminarplätze zu ergattern. Erfolg hat er nicht immer.
So dürfen z. B. die Germanisten oft die
Grenzen ihrer körperlichen Kräfte ausloten: Das Seminar beginnt, wenn niemand mehr in den Raum passt. Bedingung: Die Tür muss noch geschlossen
werden können. Dass es hierbei oft zu
Handgemengen kommen muss, liegt
auf der Hand. Und so wird der Student
zum Darwinisten („Seminarplätze for
the fittest“), hat aber sein Schicksal
immerhin noch selbst in der Hand.
Anders sieht es da schon bei der Online-Einschreibung aus, praktiziert
z. B. am Institut für Kommunikationsund Medienwissenschaft. Mittels eines
mysteriösen elektronischen Verfahrens
werden hier die Plätze verteilt – das
bange Warten auf die Zuteilung der
Seminare dauert Wochen. Hin und
wieder werden verzweifelte Tauschgesuche am Schwarzen Brett plakatiert,
und Mutige versuchen trotz Listenplatz
217 (max. Teilnehmerzahl: 15) ihr
Glück. Ganz geschickt gehen aber
neuerdings die Leipziger Amerikanisten vor. Wer dort in bestimmte Seminare will, muss sich schon vor Semesterbeginn per E-Mail angemeldet haben. Dann ist er registriert – aber nur
für die Teilnahme an der schriftlichen
Prüfung in der ersten Sitzung. Wer besteht, darf mitmachen; und in den Semesterferien konnte man ja schon die
testrelevante Literatur verinnerlichen.
Für die nächsten Semester wären weitere Platzvergabekriterien ins Auge zu
fassen: Größe der Privatbibliothek
(nicht unter 1 000 Bücher), Art der Bewerbung (zahlreiche Arbeitsproben erwünscht) oder das erfolgreiche Durchlaufen eines Survival-Camps – als Vorbereitung auf das Uni-Leben natürlich.
Friederike Haupt
Studiosi
Fieber im Tutorium
Problemorientiertes Lernen in der Medizin
Von Karsten Steinmetz
„Sie wollen wohl nichts sagen?“, fragt eine
junge Studentin im vorwurfsvollem Ton
ihre Tutorin. Woraufhin die übrigen Studenten innehalten und eine drückende
Stille im Raum erzeugen. Doch die Tutorin
Manja Kamprad bleibt ruhig und antwortet: „Suchen Sie doch erst einmal selbst.“
Dies ist ein typischer Wortwechsel aus der
Anfangsphase der neu eingerichteten Modelltutorien. Er ist sowohl kennzeichnend
für ein neues Rollenverhältnis zwischen
Studenten und Dozenten, zeigt aber auch
das Vertrauen und den Mut beider Seiten,
erwünschte und vielleicht lebenslange
Kompetenzen zur Lösung von medizinischen Problemen auszubilden.
Denn Freude und Bedenken liegen oft sehr
nah beieinander. Da wurde zwar die medizinische Ausbildung in Leipzig durch das
Wochenjournal „Focus“ als eine der besten
geadelt. Aber im gleichen Atemzug dokumentierte das Magazin die Unsicherheit
der deutschen Medizinstudenten über die
mangelhafte Vorbereitung auf die Praxis.
Dieses Manko im Blick, begann man nun
in Leipzig, zum Ausgang des Sommersemesters 2004, ein von der Universität Harvard entwickeltes, praxis- und problemorientiertes Lernkonzept anzuwenden.
Dieser 1. Kurs des problemorientierten
Lernens (POL-1), der dem Vorbild der Ludwig-Maximilians-Universität
München
folgt, ist Teil des Querschnittsbereichs Infektiologie (Entzündungen) und Immunologie (Abwehr) und besteht aus vier Komponenten. Erstens wurden 14 Tutorien ge-
schaltet, bei denen die Teilnehmer in Teamarbeit sechs klinisch-authentische Fälle
aufarbeiteten. Dazu wurden die Studenten
des 6. Fachsemesters in 41 Kleingruppen à
acht bis neun Personen, plus einem Tutor,
nach dem Zufallsprinzip aufgeteilt. In den
Kleingruppen wurden insbesondere die Inhalte der Fächer Mikrobiologie, Virologie,
Pharmakologie, Toxikologie, sowie der
Klinischen Chemie vertieft. Zweitens
wurde eine Vorlesungsreihe lanciert, die an
vier Tagen in der Woche die Einzelfälle des
Tutoriums in einem größeren Zusammenhang thematisierte. Der dritte Bestandteil
waren Übungen. Letztlich war ebenso veranstaltungsfreie Zeit als Komponente eingeplant, in der intensives Selbststudium
vorgenommen werden sollte.
Soweit zur Theorie. Die Praxis musste sich
erst einspielen. Besonders in den Anfangstutorien erschienen die Studenten oft wie
in der Wildnis ausgesetzt. Erst zögerlich
und mit Scheu eroberten sie sich Sprachund Kompetenzräume. Zu Beginn eines
Tutoriums teilte der Kursbetreuer den ersten Teil von klinisch-authentischen Fällen
aus, die so illustre Namen wie „Farbenkarussell“ oder „Fieber am Geburtstag“ haben konnten. Die Bearbeitung des Falles
erfolgte dann ähnlich der Situation, in der
sich der zukünftige Arzt befinden würde,
nachdem er erste Informationen zu einem
Patienten hat. Beispielsweise zunächst die
Anamnese, dann die klinische Untersuchung, gefolgt von Laborbefunden, und
schließlich weitere Untersuchungsbefunde
wie CT. Die dadurch unter
den Studenten initiierte
Fallbesprechung verfolgte
der Tutor nur. Er brachte
sich praktisch nicht substanziell ein, sondern katalysierte die Gruppenarbeit,
ähnlich wie ein Enzym
eine chemische Reaktion.
So entbrannten schnell
Tutor Professor Hans
Tillmann (l.) mit
Studenten.
Foto: Karsten Steinmetz
Gespräche zwischen den Studierenden um
die Richtigkeit von individuellen Diagnosen und Heilungsmaßnahmen. Zur Unterstützung der Argumentation konnten die
zukünftigen Jungärzte auf eine Bücherkiste zurückgreifen, die Nachschlagewerke
wie z. B. „Harrison’s Innere Medizin“ beinhaltete. Weitere Teile der Fälle, die nicht
schriftliche Beschreibungen, sondern auch
Laborwerte, Abbildungen und Ultraschallaufnahmen sein konnten, brachten dann
aber entweder Bestätigung oder neue
Zweifel in die Runde. „Dabei“, so berichtet Prof. Dr. Hans Tillmann, Tutor und
stellv. Kursdirektor von POL-1, „zeigten
sich in der aktiven Gruppenarbeit schnell
die verschiedenen Charaktere und Veranlagungen. Im Hin und Her der studentischen
Diskussion wurden Verantwortungen
selbstständig verteilt und zu meiner Freude
die Fälle in der Regel alle richtig gelöst.“m
Diese Eigenständigkeit der Studenten entstand nicht zuletzt weil die Tutoren hervorragend auf ihre Rolle eingeschworen wurden. Sowohl in der ersten Schulung von
insgesamt 42 Tutoren vom 1. bis 4. März,
als auch in den jeweils Mittwoch veranstalteten Tutorentreffen. Letztere dienten
dazu, die Fälle einzeln vorzubereiten und
zu erklären. Die Tutoren, die sowohl Ärzte
als auch Naturwissenschaftler waren, saßen hier zusammen und kniffelten ihren
Studenten die verschiedenen Erklärungen
meist mit vergleichbaren Interaktionsmustern aus.
Was denken nun aber die Studenten? Dokumentiert durch die Redakteure der Studentenzeitung „Endoskop“, die vor den
ersten Kursen bereits Stimmen zum neuen
System einfingen, schienen die Erwartungen uneinheitlich. Von „viel Aufwand für
wenig Erfolg“ bis „POL motiviert ungemein“ reichte die Palette. Nachdem nun
aber die erste Startreihe vollzogen ist, hat
sich ein mehrheitliches positives Bild ergeben. So sagt Rainer Jumpertz, ein Medizinstudent: „Durch POL kommen wir endlich mal, wenn auch nur fiktiv, ran an den
Patienten und sind dadurch natürlich auch
besser vorbereitet auf das praktische Jahr.“
journal
Studiosi
Gut vorbereitet ins
Ausland – mit KISS
Studierende berichten im Internet
Von Anne Vorpagel, Akademisches Auslandsamt
KISS steht für „Komplexes Informationssystem zu Auslandsstudienaufhalten“ und
steht nunmehr seit zwei Jahren an der Universität Leipzig zur Verfügung. Das System dient als lokale Informationsquelle zu
den aktuellen SOKRATES-Partnerhochschulen der Universität Leipzig sowie zu
den Auslandsberichten ehemaliger SOKRATES-Studierender.
Hauptsächlich
ersetzt das Datenbank-Pilotprojekt den
vierseitigen obligatorischen Fragebogen
des Deutschen Akademischen Austausch
Dienstes (DAAD), der von SOKRATESStudierenden nach der Rückkehr aus dem
Ausland auszufüllen ist. Die elektronische
Umsetzung des Fragebogens erfolgte in
Zusammenarbeit mit der Leipziger Firma
i-fabrik. Dass die Internet-Version des Fragebogens ihren Zweck erfüllt, bestätigen
die beachtlichen Nutzerzahlen. Im Durchschnitt besuchen etwa 600 Nutzer pro Monat diese Seiten.
Der Vorteil für die Studierenden liegt auf
der Hand. Sie beantworten einen Fragebogen mit 65 Fragen, der danach in anonymisierter Form allen Interessenten online
zur Verfügung steht. In der Datenbank, die
über 1100 Berichte aufweist, kann getrennt
nach Ländern, Universitäten und Fachbereichen recherchiert werden. Die Berichte
enthalten – zwar subjektiv gefärbt, aber aus
erster Hand – unter anderem Daten zum
akademischen Leben, zur Anerkennung
von Studienleistungen, zum Finanzbedarf
und praktische Hinweise zum Leben vor
Ort. Die potentiell an einem Auslandsaufenthalt interessierten Studierenden können
beispielsweise schnell und unkompliziert
erfahren, welche Lehrveranstaltungen
internationalen Studierenden empfohlen
werden oder welche „genialen Spartipps“
das enge Studentenbudget schonen können
(etwa dass es an der Abendkasse in Angers
in Frankreich ab und zu Konzertkarten für
3 Euro gibt). Weiterhin enthalten die Berichte gute Hinweise zur sprachlichen
Vorbereitung und – ganz wesentlich – zur
Unterbringung und Verpflegung.
Fünf Studierende, die in Gdansk (Polen)
Medizin studiert haben, empfehlen potenziellen Nachfolgern die dortige Pädiatrie.
Ein SOKRATES-Studierender mit Ziel
Cork in Irland erfährt bereits vor der Abreise: „Der Fitzgerald Park und der Lough
sind gute Orte zum Entspannen. Das
Nachtleben ist sehr ausgeprägt. Viele Pubs,
unter denen das ‚Sin E‘ heraussticht,
ebenso wie das urige ‚Hi-B‘ auf der Oliver
Plunkett Street, wo man das Gefühl hat, gemeinsam mit vielen netten Leuten in einem
Wohnzimmer zu sitzen, und ein älterer
Herr auf dem Klavier spielt“. In der Mehrzahl der Fälle können sich Interessenten
bei weiteren Nachfragen zudem per E-Mail
an den jeweiligen Berichterstatter wenden.
Die Datenbank bietet darüber hinaus einen
Service, der bislang noch nicht sehr bekannt geworden ist. Ausländische SOKRATES-Studierende können nämlich mit
Hilfe der Datenbank Kontakt zu deutschen
Studierenden, die bereits an ihrer Heimathochschule studiert haben, aufnehmen.
Auf diese Weise lassen sich Fragen zum
Studienort und zum Alltag in Leipzig möglicherweise einfacher klären.
Schließlich weist die Datenbank auch für
die 50 ehrenamtlich eingesetzten Fachkoordinatoren der einzelnen Fachbereiche
an der Universität Leipzig und für das
Akademische Auslandsamt strategische
Vorteile auf: Sie entlastet die Beteiligten
grundlegend. Viele bohrende Fragen der
rund 550 deutschen SOKRATES-Studierenden der Universität Leipzig pro Jahr
erledigen sich von allein, weil die gewünschten Informationen auf einem Medium verfügbar sind, das sich durch Nutzerfreundlichkeit auszeichnet.
Die Datenbank im Internet:
www.uni-leipzig.de/aaa/kiss
Anzeige
WISSEN MACHT ERFOLGREICH
Der Wettbewerb geht weiter. Wenn Sie mehr Wissen wollen:
www.futuresax.de oder Infoline 01803 - 30 60 30
Businessplan-Wettbewerb Sachsen
Umfangreiches kostenloses
Seminarprogramm für alle
Teilnehmer + Preisgeld von
50.000 Euro für die Besten!
Heft 5/2004
31
Studiosi | Personalia
Stipendiaten
Paula Lerner-Frank in Leipzig
Neues Netzwerk „I lost my
will für Aushate for
tausch sorgen
Germany“
Leipziger Stipendiaten sämtlicher Begabtenförderwerke Deutschlands haben sich
im Juni zum „Ersten Leipziger Stipendiatennetzwerk“ zusammengeschlossen. Ziel
ist es, die Aktivitäten der einzelnen Stipendiatengruppen besser zu bündeln.
Etwa 300 Studierende und Doktoranden
der Universität Leipzig werden von 11
unterschiedlichen Begabtenförderwerken
unterstützt: von der Ebert- bis zur Adenauer-Stiftung, vom Cusanuswerk bis zur
Fullbright-Stiftung, von der Studienstiftung des Deutschen Volkes bis zur Studienstiftung der Deutschen Wirtschaft etc. Bislang fanden ihre Aktivitäten vor Ort –
Seminare, Vorträge, Besichtigungen – vor
allem im Rahmen der einzelnen Förderwerke statt. „Das Netzwerk soll diesen
festen Rahmen lockern und für Kontakt
und Austausch über die einzelnen Förderwerke hinaus sorgen“, sagte Gabriella
Gönczy, Pressesprecherin des Netzwerks.m
Daneben will das Netzwerk selbst Aktivitäten ins Leben rufen: Künftig sollen eine
große Info-Veranstaltung pro Semester und
eine Webseite (bis Redaktionsschluss noch
nicht online) alle Studierenden über die
Fördermöglichkeiten der verschiedenen
Stiftungen informieren. Und mit öffentlichen Diskussionsveranstaltungen und
Vorträgen wollen die jungen Talente zeigen, dass Forschung nicht nur hinter verschlossenen Uni-Türen stattfindet. Daher
rufen sie unter anderem die „Leipziger Promotionsvorträge“ ins Leben, eine Veranstaltungsreihe, bei der Promovenden einmal im Semester die Möglichkeit bekommen sollen, ihre Dissertationen anderen
Stipendiaten, aber auch weiteren Interessenten vorzustellen.
r.
• Info-Veranstaltung: „Der Weg zum Stipendium“, im Rahmen des Dies academicus am 2. Dezember, 13–16 Uhr, 1.
Obergeschoss des Hörsaalgebäudes am
Augustusplatz
• „Leipziger Promotionsvorträge“: erstmals am 12. Januar 2005, 18–21 Uhr,
voraussichtlich im Vortragsraum der
Universitätsbibliothek
• Weitere Informationen per E-Mail unter:
[email protected]
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Nicht zum ersten und hoffentlich nicht zum
letzten Mal besucht sie ihre Geburtsstadt
Leipzig: Dr. med. Paula Lerner-Frank, geb.
am 25. Juli 1907, als Tochter des Kaufmanns Paul Frank, wohnhaft in der KönigJohann-Str. 6 (heute Tschaikowskistraße).
Dort spielte sie im Hof Tennis. Die Familie gehörte zur orthodoxen jüdischen Gemeinde in der Keil- und später in der OttoSchill-Straße. Im Anschluss an den Schulbesuch 1914–1927 studierte sie zwei Semester Jura und ab dem dritten Semester
Medizin. Nach fünf Semestern bestand sie
die ärztliche Vorprüfung (Physikum) und
nach einem klinischen Semester in Wien
und fünf weiteren in Leipzig die ärztliche
Prüfung. Zu ihren vorklinischen Lehrern,
so erinnert sie sich lebhaft, gehörten der
Zoologe Johannes Meisenheimer und der
Botaniker Wilhelm Ruhland. Über ihre
klinischen Lehrer weiß sie zuweilen mehr
zu berichten, als gewöhnlich in den Akten
steht. So entstehen positive Bilder über den
Chirurgen Erwin Payr, den Chef der Inneren Medizin Paul Morawitz, den Direktor
der Universitätsfrauenklinik Hugo Sellheim, den Physiologen Martin Gildemeister, den Pharmakologen Oskar Gros, den
Direktor der Universitätsaugenklinik Ernst
Hertel, den Medizinhistoriker Henry E.
Sigerist und manchen anderen. Auch den
Direktor des Physiologisch-chemischen
Instituts, Karl Thomas, nennt sie mit Hochachtung: „Thomas war kein Nazi“. Zugleich erinnert sie sich an den Antisemiten
Heinrich Küstner, Oberarzt in der Universitätsfrauenklinik.
Paula Frank besteht am 15. Dezember 1933
das medizinische Staatsexamen mit „gut“.
Nur vier Tage später verteidigt sie ihre
Dissertation „Beitrag zur Frage der Hiatushernien“. Die Arbeit wird nach positiven Gutachten der Pathologen Werner
Hueck und Richard Kockel am 19. Dezember angenommen. Das Diplom wird ihr
„mit Genehmigung des Ministeriums“ am
16. März 1934 „vor der Erlangung der Approbation“, so der Eintrag im Doktorbuch
der medizinischen Fakultät, „ausgehändigt“. Eine Anstellung bekommt die junge,
promovierte Jüdin in Deutschland nicht
mehr. Im Mai 1934 verlässt sie Leipzig,
Dr. med. Paula Lerner-Frank
Foto: Universitätsarchiv
fährt nach Bremerhaven und emigriert mit
35 Dollar in der Tasche auf der „Deutschland“ in die USA. In New York City hat sie
dann 1935 den amerikanischen Doctor of
medicine nachgeholt. Erst 1939 sind ihr
Bruder Kurt Frank mit seiner Frau, der
Mutter und mit der einjährigen Tochter
(Hanni) , die übrigens ihre Tante nach Leipzig begleitete, gleichfalls in die USA, nach
Philadelphia, emigriert. Der Vater, in der
Nähe von Halberstadt geboren, war bereits
1933 in Leipzig gestorben. Ziel des Leipzig-Besuches war auch ein Gang an das
väterliche Grab auf dem neuen jüdischen
Friedhof.
Dr. Paula Lerner-Frank hat gemeinsam mit
Prof. Dr. Wolfgang Rotzsch den Dom zu
Merseburg, das Goethe-Theater in Bad
Lauchstädt, das Grab von Friedrich Nietzsche in Röcken sowie das Institut für
Psychologie, „ihr“ Pathologisches Institut,
wo sie den Direktor Prof. Christian Wittekind und seinen Amtsvorgänger Prof. Gottfried Geiler traf, und das Universitätsarchiv
Leipzig besucht. Überall wurden die beiden Damen in großer Kollegialität und
Verbundenheit begrüßt. „I lost my hate for
Germany“, stellte sie abschließend fest,
„and it is a wonderful feeling.“ Sie ist
heimgekehrt mit vielen alten Erinnerungen
und neuen Eindrücken. Auf ihr fabelhaftes
Gedächtnis werden wir noch mit Fragen
aus der jüngeren Leipziger Universitätsgeschichte zurückkommen.
Gerald Wiemers
journal
Personalia
Zum 75. Todestag
von Paul Flechsig
Ein Vater der
Neuroanatomie
Vor 75 Jahren, am 22. Juli 1929, verstarb
Paul Emil Flechsig, der langjährige Ordinarius für Psychiatrie an der Universität
Leipzig und „nach Wernicke … originellste unter den Hirnforschern der Neuzeit“ (Henneberg) in Leipzig. Mit seinen
bahnbrechenden Arbeiten zur Anatomie
des Gehirns, die längst zu den Klassikern
in der Medizin gehören, ist Flechsig zu
Recht zu den „Vätern der Neuroanatomie“
gerechnet worden.
Flechsig wurde am 29. Juni 1847 in Zwickau geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums studierte er von 1865 bis 1870
Medizin in Leipzig, u. a. bei den Gebrüdern Weber und bei Carl Ludwig, der früh
seine Begabung erkannte und sein lebenslanger Förderer wurde. 1873 betraute ihn
Ludwig mit der Leitung der histologischen
Abteilung am Physiologischen Institut. Nach
seiner Habilitation 1875 wurde er, der bis
dahin keine nachweisbare Berührung mit
der Psychiatrie gehabt hatte, auf Empfehlung des Internisten Kußmaul und auf Betreiben Carl Ludwigs auf den in Leipzig zu
gründenden Lehrstuhl für Psychiatrie berufen und mit dem Aufbau der neuen Nervenklinik beauftragt. Ludwig soll zu dieser
auch für die damaligen Verhältnisse Aufsehen erregenden und ungewöhnlichen Berufung geäußert haben: „… von der Psyche
wissen die Psychiater nichts, Flechsig weiß
wenigstens etwas vom Gehirn!“. 1884
wurde Flechsig zum Ordinarius für Psychiatrie berufen und war in dieser Funktion
bis 1921 tätig. In den Jahren 1894/95 war
er Rektor der Universität Leipzig.
Obwohl Flechsig die Aufgaben als Direktor der Klinik gewissenhaft und durchaus
erfolgreich wahrnahm, gehörten sein Herz
und seine Lebensarbeit der Hirnforschung.
Bereits als Assistent am pathologischen
Institut war Flechsig bei der Sektion eines
totgeborenen Kindes die zeitlich unterschiedliche Entwicklung der Markscheiden (Myelinhülle) im Gehirn aufgefallen.
Er erkannte sofort die grundlegende Bedeutung dieser Beobachtung, die zur
Grundlage seiner gesamten späteren hirnanatomischen Forschung wurde. Indem er
in seinem „Myelogenetischen Grundgesetz“ nachweisen konnte, dass die Nervenfasern einer definierten Leitungsbahn ihre
Heft 5/2004
Myelinhülle gleichzeitig, andere Fasersysteme aber in gesetzmäßiger Reihenfolge
zeitlich versetzt entwickeln, hatte er zum
ersten Mal eine verlässliche Methode gefunden, Ursprung und Verlauf der Nervenfasern im Gehirn durch die histologische
Analyse der Entwicklung der Myelinhülle
der einzelnen Leitungsbahnen zu bestimmen. In jahrzehntelanger Arbeit untersuchte Flechsig die unterschiedlichen Faserzüge des Rückenmarkes (der tractus
spinocerebellaris dorsalis wurde lange Zeit
nach ihm genannt), und des Gehirns. Er
charakterisierte Ursprung und Verlauf der
Pyramidenvorderstrangbahn, den Verlauf
der zentralen Hörbahn und viele weitere
Fasersysteme, deren Bezug zum Namen
Flechsig heute kaum noch bekannt ist. In
mühevoller Arbeit war er bis zuletzt dabei,
eine myelogenetische Gliederung der Hirnrinde zu erstellen. Dabei unterschied er
jene Rindenfelder, welche schon vor der
Geburt reifen und mit den Sinnessphären
verbunden sind von jenen corticalen Ge-
Paul Flechsig
Abbildung:
Bildersammlung
des Karl-Sudhoff-Institutes
bieten, die keine direkte Verschaltung mit
den Sinnessphären mehr zeigen und die er
„Assoziationszentren“ nannte. In ihnen
wollte er die höheren Gehirnleistungen
lokalisiert wissen. Flechsig war dabei fest
davon überzeugt, dass alle seelischen Vorgänge direkt Erzeugnisse des Gehirns seien
und durch die exakte neuroanatomische
Analyse untersuch- und aufklärbar seien.
In seiner Rektoratsrede von 1894 „Gehirn
und Seele“, die ihn auch außerhalb seines
Fachgebietes bekannt und berühmt machte,
fasst er diese Gedanken zum ersten Mal
zusammen.
Flechsigs Lokalisations- und Erklärungsversuche der höheren Hirnfunktionen auf
dem Boden seiner neuroanatomischen
Analysen, schon zu seinen Lebzeiten heftig umstritten, waren dem Zeitgeist verhaftet und hatten keinen Bestand. Geblieben
aber ist sein großer Beitrag zur Erforschung der Struktur des Gehirns, mit dem
er dazu beigetragen hat, die Grundlagen für
die faszinierende Entwicklung der modernen Neurowissenschaften zu legen.
Prof. Dr. Volker Bigl
Gottfried Voigt 90
„Lehrer der
Kirche“
Am 13. 7. 2004
vollendet Gottfried
Voigt sein 90. Lebensjahr. Der langjährige Dozent für
Praktische Theologie am Theologischen Seminar, der
späteren
Kirchlichen Hochschule
Leipzig, ist seit deGottfried Voigt
Foto: W. Engemann ren Zusammenführung mit der Theologischen Fakultät Leipzig deren emeritierter Professor und Mitglied dieser Fakultät.
Gottfried Voigt wirkte nach mehrjährigem
Pfarrdienst in Leipzig und Zwickau als
Studiendirektor an den Predigerseminaren
Lückendorf und Leipzig. 1958 wurde er als
Dozent an das Theologische Seminar Leipzig berufen. 1962 wurde ihm die theologische Ehrendoktorwürde der Theologischen
Fakultät Göttingen zuerkannt. Eine Berufung auf eine praktisch-theologische Professur der DDR wurde von den damaligen
Machthabern mehrmals verhindert. 1990
wurde ihm von der ersten demokratischen
DDR-Regierung der Professorentitel zuerkannt. Gottfried Voigt wirkte aktiv mit bei
der Zusammenführung der Kirchlichen
Hochschule Leipzig mit der Theologischen
Fakultät im Rahmen einer Strukturkommission durch angesehene unabhängige
Hochschullehrer.
Gottfried Voigt hat über mehrere Jahrzehnte hinweg viele Generationen künftiger Pfarrer in den verschiedenen Fächern
der Praktischen Theologie unterrichtet.
Gleichzeitig war er im besten Sinne ein
„Lehrer der Kirche“, der auf unterschiedlichen Ebenen des kirchlichen Lebens
durch Fachvorträge, durch seinen Rat und
durch eine Vielzahl von Veröffentlichungen wirkte, nicht zuletzt durch seine homiletischen Auslegungen aller sechs Jahrgänge der evangelischen Predigttexte, die
im ganzen deutschsprachigen Bereich weit
verbreitet sind.
Gottfried Voigt ist zusammen mit seiner
Frau kurz vor der Wende 1989/90 altershalber von Leipzig nach Berlin gezogen,
wo er seinen Lebensabend verbringt.
Prof. Dr. Wolfgang Ratzmann, Direktor
des Instituts für Praktische Theologie
33
Personalia
Schreiben in der „Zollbude“
Zum 200. Todestag von Christian Felix Weiße,
einer zentralen Figur der Aufklärung in Leipzig
Von Prof. Dr. Ludwig Stockinger, Institut für Germanistik
Nicht nur berühmte Wissenschaftler, die
als Professoren an der Leipziger Universität gewirkt haben, sondern auch eine
beachtliche Anzahl von bedeutenden Studenten gehören zur erinnernswerten Geschichte der Alma Mater Lipsiensis. Dazu
zählt ohne Zweifel auch der Leipziger
Autor und Zeitschriftenherausgeber Christian Felix Weiße (1726–1804), eine der
zentralen Persönlichkeiten des kulturellen
Lebens in Leipzig zur Zeit der Spätaufklärung. Die 200. Wiederkehr seines Todestages am 16. Dezember 2004 gibt Anlass,
an diesen vielseitigen und interessanten
Autor aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, der von der germanistischen
Literaturgeschichte in den letzten Jahrzehnten eher wenig beachtet worden ist, zu
erinnern und Anregungen zu einer erneuten Beschäftigung mit seinem Werk zu geben.
1726 als Sohn eines Schulrektors in Annaberg geboren, kam er 1745 nach Leipzig,
um an der Universität Philologie und
Theologie zu studieren und sich so gemäß
der Familientradition für ein Schulamt zu
qualifizieren. Die Stelle eines Hofmeisters,
die Weiße 1750 antrat – eine im 18. Jahrhundert übliche Stufe in der Berufslaufbahn von Akademikern bürgerlicher Herkunft – bot ihm für zehn Jahre die Freiheit,
durch den Besuch der Collegien zusammen
mit seinem Zögling, dem jungen Grafen
von Geyersberg, seine Studien zu vertiefen
und sich auf Reisen zu bilden. 1762 übernahm er dann, um seine bürgerliche Existenz zu sichern, in Leipzig das Amt des
Kreisteuereinnehmers; er war hier zuständig für die Einnahme und Verwaltung einer
Art von Grundstücks- und Gewerbesteuer,
die in die Kasse des Kurfürstentums Sachsen floss. Dazu kamen in den folgenden
Jahren noch weitere öffentliche Ämter wie
die städtische Weininspektion, die Einnahme des „Mahlgroschens“, d. h. einer
Verbrauchssteuer für Mehl, und der
„Tranksteuer“ sowie die Verwaltung der
Kreisinvalidenkasse.
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Ausstellung und Kolloquium
Die Universität Leipzig nimmt den
200. Todestag Weißes zum Anlass, sein
Leben und Werk in Erinnerung zu rufen.
Die Kustodie veranstaltet eine von Dr.
Katrin Löffler (Institut für Germanistik)
konzipierte Ausstellung, die den Autor
im Zusammenhang mit der Leipziger
Kulturgeschichte zur Anschauung bringen soll. Die Schau unter dem Titel „Die
Musen in der Amtsstube“ wurde am
7. Oktober eröffnet und läuft bis zum
18. Dezember.
Ort: Ausstellungszentrum Kroch-Haus,
Goethestr. 2, 04109 Leipzig
Öffnungszeiten: Di, Do, Fr 10–17,
Mi 12–17, Sa 10–13 Uhr
Am 16. Dezember veranstalten Prof. Dr.
Ludwig Stockinger und Dr. Katrin Löffler (Institut für Germanistik) im Vortragsaal der Universitätsbibliothek ein
interdisziplinär angelegtes Kolloquium
„Christian Felix Weiße und die Leipziger Aufklärung“, von dem neue Impulse
zur wissenschaftlichen Erschließung
von Leben und Werk dieser zentralen
Figur der Aufklärung in Sachsen und
Deutschland ausgehen sollen.
Durch seine Heirat mit Christina Platner im
Jahr 1763 knüpfte Weiße verwandtschaftliche Beziehungen zu führenden Personen
der Leipziger Universität. Sein Schwiegervater Johann Zacharias Platner war ein
hoch angesehener Medizinprofessor, und
sein Schwager, der Mediziner und Philosoph Ernst Platner, war als einer der Hauptvertreter der philosophischen Anthropologie im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts
einer der prominentesten Leipziger Professoren. 1790 erbte Weiße den unteren Teil
des Rittergutes Stötteritz, das in den folgenden Jahren zu einem zentralen Kommunikationsort der Leipziger Gesellschaft
einschließlich des mit Weiße befreundeten
Bürgermeisters Carl Wilhelm Müller
wurde, an dem sich auch prominente Zeitgenossen aus der literarischen Öffentlichkeit Deutschlands, unter anderem Christoph Martin Wieland, Johann Wilhelm
Ludwig Gleim und Jean Paul, gerne einfanden und Weißes Gastfreundschaft genossen.
Weißes Biographie folgt insgesamt einem
Muster, das typisch ist für die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in Leipzig und in Kursachsen in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts, ja bis ins 19. Jahrhundert hinein. Kursachsen war damals geprägt von einem Bündnis zwischen Dresdner Hof, Beamtenapparat, reformbereitem
Adel sowie Besitz- und Bildungsbürgertum, das sich nach der Niederlage Sachsens im Siebenjährigen Krieg 1762 zu einer großen Staatsreform, dem „Rétablissement“, zusammengefunden hatte und dessen Verständigungsbasis eine spezifisch
sächsische Variante der Aufklärung war.
In diesem Lebenszusammenhang erschließt sich auch die Bedeutung von
Weißes umfangreichem literarischen und
publizistischen Werk, das er neben der gewissenhaften Erfüllung seiner beruflichen
Pflichten zustande brachte, trotz seiner
wiederholten Klagen, dass in der „Zollbude“ – so nannte er sein Büro im Amtshaus am Thomaskirchhof – die Musen
journal
Personalia
„scheu werden“. Am Theater schon zu Aufklärung zum eigentlichen Thema, ver- Zentrum des Buchhandels und der Kunstseiner Studentenzeit brennend interessiert anlassten aber Weiße, sich angesichts die- politik Kursachsens folgend, zum einen
– er übersetzte gemeinsam mit seinem ser Entwicklung, die er als Aufklärer nicht durch ein weitgespanntes Netz von KorFreund Gotthold Ephraim Lessing für die mehr mitgehen konnte und wollte, sich von respondenten auf eine europäische PerTruppe der Neuberin Stücke aus dem Fran- der Theaterbühne zurückzuziehen.
spektive ausgerichtet, und sie legte zum
zösischen, um dafür Freikarten zu bekom- Eine wichtige Rolle als Kommunikator von andern großes Gewicht auf Themen der bilmen –, erwarb er sich 1751 ersten Ruhm Aufklärungsprozessen spielte Weiße seit denden Kunst. Regelmäßige Berichte über
mit dem satirischen Lustspiel „Die Poeten 1759 als Herausgeber der „Neuen Biblio- die Dresdner Kunstausstellungen sowie
nach der Mode“. In den folgenden zwei thek der schönen Wissenschaften und der Anzeigen der neuen Werke von Leipziger
Jahrzehnten wurde er mit seinen Tragö- freyen Künste“. Diese Zeitschrift war, den Malern und Kupferstechern sollten diesen
dien und Komödien zu einem der spezifischen Bedürfnissen Leipzigs als Sektor, der auch als Wirtschaftsfaktor Kurerfolgreichsten Bühnensachsens von Bedeutung
autoren Deutschlands und
war, begleiten und för– in Zusammenarbeit mit
dern.
dem Leipziger KomponisBis heute am bekanntesten
ten Johann Adam Hiller –
und in der einschlägigen
mit seinen Singspiel-LiForschung auch zunehbretti zu einem der Bemend gewürdigt ist Weiße
gründer des deutschen
als einer der Begründer
Singspiels. Diese Stücke
der deutschen Kinder- und
sind, wie – mit Ausnahme
Jugendliteratur. Die Zeitder Theaterstücke Lesschrift „Der Kindersings – alle anderen Theafreund“, die zwischen
tertexte dieser Zeit auch,
1776 und 1782 erschienen
aus dem Kanon der deutist, traf offenbar den Nerv
schen Bühnen längst vereiner Epoche, in der die
schwunden. Sie verdienen
Familie als zentraler Ort
aber heute noch kulturder Identitätsbildung des
und
literaturgeschichtMenschen und damit die
liches Interesse, weil sie
Kindheit als eigenständige
innerhalb der Grenzen
Epoche der Lebensgedessen, was in der deutschichte entdeckt worden
schen Aufklärung über die
war. Auf diesem Feld, in
Natur des Menschen und
dem Weiße sich auch als
die politischen VerhältAutor von Liedern und
nisse zu sagen möglich
Theaterstücken für Kinder
war, an extreme Grenzen
profilierte, erzielte der
der Darstellung von LeiAutor seine größten Erdenschaften, von Ungefolge weit über Deutschrechtigkeit und Tyrannei
land hinaus. Der „Kindergehen, immer aber auch
freund“ ist für uns heute
ein Angebot zur Überwinnicht nur eine unschätzdung der Abweichungen
bare Quelle für die Theovon den Maßstäben der
rie und Praxis der KinderVernunft zu machen vererziehung im 18. Jahrhunsuchen. Man sieht in diedert, sondern immer noch
sen Texten schon allenteine teilweise recht amühalben die unlösbaren
sante Lektüre, die uns
Aporien der Aufklärung
überraschende Einblicke
und das beinahe schon
in die Alltagsgeschichte
vergebliche
Bemühen,
dieser Zeit gewährt – vom
den Diskurs der Vernunft,
täglichen Leben im Hause
der eben auch die Basis
bis hin zu den Volksbelusder Politik in Kursachsen
tigungen auf der Messe
war, noch einmal zu ret- Oben:
und der Hinrichtung eines
ten. Die jungen Dramati- Titelkupfer zu Christian Felix Weißes „Lieder für Kinder“. Leipzig 1769.
Verbrechers, zu der die
ker der nächsten GeneraKinder von dem fiktiven
tion des „Sturm und Linke Seite:
Vater geführt werden, daPortrait von Weiße von Anton Graff.
Drang“ machten in ihren
mit sie aus diesem ErlebFoto: Kustodie
Stücken diese Aporien der
nis lernen können.
Heft 5/2004
35
Personalia
Neu
berufen:
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berufen:
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berufen:
B. Kersting
St. Riedel-Heller R.-D. Kortmann
ist Professor für Anorganische Chemie und
vertritt drei Spezialgebiete, zu denen er in
Leipzig eine erfolgreiche Arbeitsgruppe
etablieren möchte. Es handelt sich um
• die bioanorganische Chemie, bei der Informationen zur Funktionsweise von
Metalloproteinen (Eiweißkörper mit
Metallionen) gewonnen werden,
• die supramolekulare Koordinationschemie, bei der es darum geht, molekulare
Käfige mit Dimensionen bis in den Nanometerbereich aufzubauen,
• und den molekularen Magnetismus, bei
dem gezielt magnetische Materialien
aufgebaut werden, deren magnetische
Eigenschaften mit weiteren interessanten
Eigenschaften verbunden werden sollen.
„Diese Gebiete können sehr anregend sein
und sind keineswegs nur rein akademische
Disziplinen, sondern finden bereits im
Alltag und in der modernen Technik viele
Anwendungen“, sagt Prof. Dr. Berthold
Kersting. „Dadurch, dass ich den Blick
auch auf solche Anwendungen lenke, will
ich das Interesse der Studierenden an diesen Forschungsgebieten erwecken.“
Sein eigenes Chemie-Studium absolvierte
der gebürtige Coesfelder von 1985 bis
1989 in Münster. Er war dort anschließend
als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig und
promovierte 1993 mit einer Dissertation
über Verbindungen von Germanium, Zinn
und Blei. Anschließend ging er als Postdoktorand nach Berkeley an die University
of California. Im Januar 1996 kehrte er
nach Deutschland zurück und zog nach
Freiburg. Am Institut für Anorganische und
Analytische Chemie der Uni Freiburg war
er zunächst wissenschaftlicher Angestellter, dann Hochschulassistent und zuletzt
Privatdozent. Im Jahr 2000 habilitierte sich
Kersting mit einer Arbeit zur Synthese und
den Eigenschaften niedermolekularer Modellverbindungen für Metalloenzyme.
Wenn der 39-Jährige nicht im Labor oder
vor dem Computer sitzt, dann fährt er gern
Rad oder liest ein gutes Buch. Ein weiteres
Hobby: Reisen.
C. H.
Sie hat ihren Beruf von der Pike auf gelernt: Prof. Dr. Steffi Gerlinde Riedel-Heller, deren C3-Professur für Public Health
an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie
angesiedelt ist. Die aus dem Vogtland stammende Ärztin arbeitete zunächst als Pflegerin in einem Sächsischen Landeskrankenhaus, studierte in Leipzig Medizin, war
u. a. als „Ärztin für die Dritte Welt“ auf den
Philippinen tätig sowie zu einem Aufbaustudiengang zum Master of Public Health
in Baltimore/USA. An der Leipziger Klinik und Poliklinik für Psychiatrie absolvierte sie ihre Ausbildung zum Facharzt für
Psychiatrie. Zwischendurch brachte sie
2000 und 2002 ihre Kinder Nina und Jurek
zur Welt.
Jetzt forscht sie an der Schnittstelle zwischen Psychiatrie und Public Health. In der
demografisch relevanten Gruppe älterer
Menschen untersucht sie die Epidemiologie psychischer Störungen und die Versorgung psychisch Kranker. Das geschieht
zum einen im Rahmen der Leipziger Langzeitstudie der Altenbevölkerung und zum
anderen durch eine Untersuchung in Leipziger Allgemeinarztpraxen innerhalb des
Kompetenznetzes Demenz.
Als Leiterin der Tagesklinik an der Psychiatrischen Klinik ist sie in die Patientenbetreuung eingebunden. „Grundsätzlich gehe
ich bei meiner täglichen Arbeit von einem
sozialpsychiatrischen Ansatz aus“, erläutert die Professorin. Das bedeutet, dass ich
den Patienten stets in seinem Lebensumfeld sehe und dadurch seine Krankheit besser verstehen kann. Es bedeutet aber auch
Arbeit im multiprofessionellen Team –
Seite an Seite mit Psychologen, Sozialarbeitern, Schwestern und Pflegern, Ergound Physiotherapeuten.
Neben ihrer Tätigkeit in der studentischen
Ausbildung sowohl im Fach Psychiatrie als
auch im Fach Public Health erarbeitet sie
gemeinsam mit der Universität Wien ein
Ausbildungscurriculum für das Fach „Sozialpsychiatrie“.
B. A.
36
ist seit 1. Juni Direktor der Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie. Der aus Westfalen stammende Facharzt für Radiologie,
der zuvor 14 Jahre in Tübingen lehrte,
forschte und Patienten betreute, hat sich
modernen und hochpräzisen Bestrahlungstechniken, vor allem im Bereich der Therapie von Tumoren des Zentralnervensystems, verschrieben. Hirntumore z. B. erfordern eine punktgenaue Bestrahlung, weil
es hier in besonderem Maße darauf ankommt, umliegendes Gewebe zu schonen.
Die Qualitätsstandards, an deren Entwicklung Prof. Dr. Rolf-Dieter Kortmann einen
großen Anteil hat, haben den Erfolg einer
Bestrahlungstherapie ebenso zu beachten
wie Nebenwirkungen.
Die Strahlentherapie ist neben der Operation die wichtigste Behandlungsmaßnahme bei bösartigen Tumoren. „Eine korrekte Bestrahlung“, so Prof. Kortmann,
„kann bei Kindern in 60 bis 80 Prozent
aller Fälle zur Heilung führen.“ Gerade bei
Kindern müssen mögliche Langzeitfolgen
so weit wie möglich ausgeschlossen werden. Deshalb erforscht der Wissenschaftler
mit dem von ihm geleiteten Referenzzentrum Strahlentherapie der Gesellschaft für
Pädiatrische Onkologie und Hämatologie
Hirntumore im Kindesalter, um Standards
dafür zu finden, ob, wann, wie, was bestrahlt wird, um für jeden einzelnen Patienten die optimale Herangehensweise zu
gewährleisten. Die Qualität steht auch bei
einem weiteren von Kortmann geleiteten
Projekt im Mittelpunkt: klinische Qualitätssicherung/Entwicklung moderner Bestrahlungstechniken.
Auf dem Gebiet der Lehre leitete Kortmann z. B. das Verbundprojekt Prometheus, das auch in Leipzig genutzt werden
kann. Es handelt sich um eine fach- und
universitätsübergreifende
Internetplattform für die Aus- und Weiterbildung.
Was macht Prof. Kortmann privat? Wenn
neben Arbeit und Familie – er ist verheiratet und hat drei Töchter – Zeit bleibt, liest
er gern, vor allem englische Literatur. B. A.
journal
Personalia
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berufen:
Wolfgang König Gereon Müller
Thomas Hofsäss
ist neuer Professor für Stochastische Prozesse am Mathematischen Institut. Auf diesem Gebiet (und im Bereich Wahrscheinlichkeitstheorie) gilt der 39-Jährige als Experte, insbesondere was den Zusammenhang solcher Prozesse mit Anwendungen
in der Analysis und Physik angeht. König
vertrat zuletzt zwei Semester lang eine Professur in Mathematischer Statistik in Köln
und war Heisenberg-Stipendiat an der TU
Berlin, wo er schon seit 1995 als Hochschulassistent arbeitete. Die Kontakte zu
Mathematikern in seiner Geburtsstadt Berlin will er natürlich auch nicht abreißen
lassen, aber Leipzig hat ihm viel zu bieten:
„Hier gibt es exzellente Mathematiker in
Richtungen, die mich interessieren, auch
und vor allem am Max-Planck-Institut.
Außerdem ist eine große Anzahl Stochastiker an der Universität vorhanden, sodass
eine lebhafte Atmosphäre zu erwarten ist.“
Auch freue es ihn ganz besonders, „dass jeder Mathematik-Studierende zwei Semester mein Spezialfach belegen muss.“ Für
dieses Fach möchte er möglichst viele
Studierende begeistern. Weitere Ziele des
Professors: eine „aktive Lehr- und Forschungsatmosphäre“ pflegen und möglichst viele Kontakte aufbauen.
König studierte von 1984 bis 1989 an der
TU Berlin Mathematik, übernahm dort anschließend Lehraufträge, bevor er im Oktober 1990 als Assistent ans Institut für
Angewandte Mathematik der Universität
Zürich wechselte, wo er 1994 promovierte.
Ein Postdoc-Studium führte ihn in die
Niederlande, bevor er zurück nach Berlin
ging, wo er sich im Jahr 2000 habilitierte.
Forschungsaufenthalte absolvierte er auch
in Toronto und Bristol.
Der nunmehr erfolgte Umzug nach Leipzig
kam König übrigens nicht nur in beruflicher Hinsicht gelegen: Er ist ein großer
Fan klassischer Musik, vor allem, wenn sie
von großen Orchestern gespielt wird. Seine
weiteren Hobbys sind sportlicher Natur:
Radfahren und Wandern, manchmal auch
Fußball und Basketball.
C. H.
ist Spezialist in Sachen Lernbehindertenpädagogik – und hat soeben die entsprechende Professur an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät übernommen.
Einige Leipziger Studenten kennen Prof.
Dr. Hofsäss bereits, denn im Wintersemester 2001/02 war er vertretungsweise am
Lehrstuhl tätig.
Der 44-Jährige kommt von der Elbe an die
Pleiße: Seit 2000 war er an der Uni Hamburg tätig, als Professor für Erziehungswissenschaft bei Beeinträchtigungen des
Lernens in der Sekundarstufe und beruflichen Bildung – unter besonderer Berücksichtigung der Lernbehindertenpädagogik.
Zuvor war Hofsäss Lehrstuhlinhaber an der
Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg
(1998–2000) und an der Hochschule für
Technik, Wirtschaft und Sozialwesen
Zitta/Görlitz (1994–1998) sowie zu Anfang seiner Karriere wissenschaftlicher
Mitarbeiter am Institut für Sonderpädagogik der FU Berlin (1988–1993).
Hofsäss studierte von 1980 bis 1984 an der
Pädagogischen Hochschule Reutlingen
und an der Universität Tübingen. Sein
Fach: Lehramt an Sonderschulen. Anschließend arbeitete er zunächst auch als
Sonderschullehrer. In seiner Zeit an der
Freien Universität Berlin promovierte er
1992 zum Thema „Überweisung von Schülern auf die Hilfsschule und die Schule für
Lernbehinderte in Deutschland seit 1918“.
In Leipzig will der gebürtige Rottweiler
(Baden-Württemberg) neue Entwicklungen in Forschung und Lehre vorantreiben,
um das Fach auch bundesweit stärker zu
profilieren. Engagieren möchte er sich zudem in der Internationalisierung von Lehrangeboten, in der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses „und bei der
weiteren Entwicklung eines Leitbildes der
Universität, welches die sozialen und kulturellen Dimensionen beinhaltet“. Die Voraussetzungen für seine Vorhaben seien gut,
betont Hofsäss: „Ich habe hier eine gute
Infrastruktur und eine solide Grundausstattung vorgefunden.“
C. H.
Heft 5/2004
ist seit 1. Oktober Professor für Allgemeine
Sprachwissenschaft, insbesondere Grammatiktheorie.
Er wurde am 17. November 1964 in Bad
Gandersheim (Niedersachsen) geboren
und studierte Theoretische und Germanistische Linguistik in Frankfurt, Konstanz
und Tübingen. 1993 promovierte er in Tübingen in Allgemeiner Sprachwissenschaft
zu Asymmetrien unter Transformationstypen. Hier hat er drei Jahre später auch
seine Habilitationsschrift verfasst zur Voranstellung unvollständiger Kategorien.
Beide Themen fallen in den Bereich der
formalen Syntaxtheorie.
Hauptziel seiner Forschung ist es, allgemeine Prinzipien zu entdecken, die der
menschlichen Sprachfähigkeit (insbesondere die grammatische Kompetenz betreffend) zu Grunde liegen. „Diese Prinzipien
sind notwendigerweise sehr abstrakt und
setzen wohldefinierte Fachbegriffe voraus.“ Daher seien die Erklärungen der Forschungsergebnisse für einen Laien nur
schwer zugänglich.
„Die Uni Leipzig hat eine bedeutende Tradition in der Allgemeinen Sprachwissenschaft, von den Zeiten von Karl Brugmann
und Wilhelm Streitberg bis hin zu meinen
unmittelbaren Vorgängern, Rudolf Ruzicka
und Anita Steube.“ Das war ein wesentlicher Beweggrund für Müller nach Leipzig
zu kommen. Die Stadt ist für ihn bezüglich
der Allgemeinen Sprachwissenschaft eine
der besten Adressen in Deutschland. „Für
jemanden, der an formaler Grammatiktheorie interessiert ist, gibt es jedenfalls im
deutschsprachigen Raum kaum einen vergleichbaren Ort.“ Sein Vorhaben ist, diesen
Zustand nicht nur zu erhalten, sondern noch
auszubauen. Das Institut für Linguistik
solle, „zu einem auch international konkurrenzfähigen Zentrum für Allgemeine
Sprachwissenschaft“ werden.
Der verheiratete Professor, der im nächsten
Monat seinen 40. Geburtstag feiert, beschäftigt sich in seiner Freizeit mit Fahrradfahren und Wandern.
N. W.
37
Personalia
NOMEN
Namenforscher Prof. Jürgen Udolph zur
Herkunft des Namens „Dobslaff“
Neu
berufen:
Otto Dobslaff
ist seit 1. Juli Leiter des Lehrstuhls für
Sprachbehindertenpädagogik.
Der am 14. Juni 1945 in Archicow (ein
kleines Dorf im heutigen Polen) geborene
Professor kam nach Leipzig, weil ihn hier
die „erweiterten Aufgabenbereiche an der
Universität, bezüglich des grundständigen
Studiums und der berufsbegleitenden
Studiengänge“ interessieren. Besonders
reizvoll findet er die Verknüpfung der Praxiserfahrung (Studenten der berufsbegleitenden Weiterbildung) mit der stärker
theoriegeleiteten Herangehensweise an die
Behindertenproblematik (grundständige
Studenten) in den Lehrveranstaltungen.
Dobslaff studierte von 1965 bis 1968 zunächst auf Lehramt, danach absolvierte er
bis 1972 ein Studium der Rehabilitationspädagogik und Stimmheilpädagogik an der
Humboldt Universität Berlin. Zwischen
1995 und 1997 studierte er Verhaltensgestörtenpädagogik und Geistigbehindertenpädagogik an der Universität in Potsdam.
1977 promovierte Dobslaff in Berlin zu
den „Untersuchungen von physisch-psychisch geschädigten Schülern der Unterstufe aller Sonderschularten auf gemeinsame Wesensmerkmale der Lernbehinderung.“ In seiner Habilitationsschrift, die er
zehn Jahre später verfasste, beschäftigte er
sich mit der „Befähigung der Studenten im
Studium zur Wissenschaftskommunikation, insbesondere zum wissenschaftlichen
Meinungsstreit“.
In Leipzig setzt er sich für eine „stärkere
Verzahnung von Theorie und Praxis in der
Ausbildung“ ein. Hierfür ist die Einrichtung einer Ambulanz für Sprachbehinderte
geplant. Damit wird den Studierenden die
Möglichkeit gegeben, zu hospitieren und
unter Anleitung von Lehrenden zu üben.
Dobslaff plant zudem Angebote für eine
universitäre Fortbildung für Sonderpädagogen, Primär- und Sekundarstufenlehrer,
wie Wochenendkurse oder Ferienkurse.
In seiner Freizeit spielt der verheiratete
Professor „zur Freude und Erholung“ gern
Klavier und Akkordeon.
N. W.
38
Unter 40 Mio. Telefonteilnehmern (Stand:
1998; neuere CD-ROMs sind aus Datenschutzgründen schlecht zu verarbeiten) ist
der Name Dobslaff 78-mal belegt. Ihm ähnlich sind die Varianten Dobslaf (11 Nachweise), Dobslav (einmal) und v. a. Dobslaw
(118 Belege). Die Streuung des Namens
zeigt eine Verbreitung in Norddeutschland
mit Schwerpunkten in Hamburg, Berlin,
Hannover und im Ruhrgebiet. Das spricht
für Zuwanderung aus dem Osten, wahrscheinlich nach 1945. Dafür spricht auch
die Endung -aff, die zweifellos eine Eindeutschung aus -aw darstellt. Auszugehen
ist daher wohl von Dobslaw o. ä.
Die Suche unter ca. 38,5 Millionen Familiennamen in Polen (Quelle: K. Rymut,
Słownik nazwisk używanych w Polsce na
pocza˛tku XXI wieku, CD-ROM, Kraków
2003) erbrachte folgendes Ergebnis: die
Form Dobslaff ist nicht bezeugt, die polnische Ausgangsform Dobslaw auch nur
achtmal, vor allem in der Umgebung von
Breslau/Wrocław, Warschau und Kattowitz. Das ist sehr wenig. Hilfreicher ist die
Suche in der großen Sammlung der Mormonen (familysearch. org). Hier ist Dobslaff dreimal in Polen in der Umgebung von
Warschau nachgewiesen, ferner noch
zehnmal in Bromberg, heute poln. Bydgość, beginnend mit dem Jahr 1826.
Daraus darf geschlossen werden, dass ein
slavischer Name vorliegt, der aber in Polen
selbst schon recht selten geworden ist. Dennoch wird man fündig. Die Suche nach
Anschlüssen führt zu einem altslavischen
Personennamen Dobeslav. Diesen findet
man sowohl in Sammlungen altpolnischer
Personennamen (Słownik staropolskich
nazw osobowych, Bd. 1, Wrocław usw.
1965–67, S. 480f.), bezeugt seit 1236 als
Dubeslau, Dobeslaw, Dobeslawem u. ä.,
sowie in altpolabischen Personennamen,
die G. Schlimpert, Slawische Personennamen in mittelalterlichen Quellen zur deutschen Geschichte, Berlin 1978, zusammengestellt hat, darunter etwa 1174 Dobezleu,
1194 Dobeslau usw. Der Name selbst enthält slaw. dobj- „tapfer“ und slaw- „Ruhm“.
Er liegt auch einigen Ortsnamen in Polen
zugrunde, so etwa Dobieslaw, Wüstung bei
Kalisz, 1412 Dobeslaw; Dobiesławice bei
Bydgość, 1430 Dobeslavicze, was bedeutsam ist, weil die ältesten Belege des poln.
Familiennamens in der Umgebung dieses
Ortes zu begegnen scheinen.
Nachruf für
Richard Riecken
Am 12. September verstarb Professor em.
Dr. paed. habil. Richard Riecken im Alter
von 68 Jahren. Sein Leben war engstens
mit der Sportwissenschaftlichen Fakultät
verbunden. Er war Mitglied der Gründungskommission, Dekan und Prodekan
sowie Institutsleiter und hat unsere Fakultät
mit seinem Engagement entscheidend mitgestaltet.
Seit 1980 war Professor Dr. Richard Riecken zunächst an der DHfK, danach an der
Sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig Hochschullehrer. In dieser
Zeit haben 20 Doktorandinnen und Doktoranden sowie vier Habilitandinnen und Habilitanden bei ihm erfolgreich ihre wissenschaftliche Qualifizierung abgeschlossen.
Eine Vielzahl von in- und ausländischen
Studentinnen und Studenten haben sowohl
seine Fachkompetenz als auch sein pädagogisches Geschick für ihre eigene berufliche Entwicklung schätzen gelernt.
Professor Dr. Richard Riecken war Vorsitzender des Fördervereins der Sportwissenschaftlichen Fakultät und hat als
Chefredakteur der „Leipziger Sportwissenschaftlichen Beiträge“ maßgeblich
dazu beigetragen, die wissenschaftliche
Leistungsfähigkeit unserer Fakultät mit
einem eigenen Publikationsorgan zu dokumentieren.
Mit Professor Dr. Richard Riecken verlieren wir einen weit über die Grenzen unserer Universität bekannten Hochschullehrer,
der durch sein verantwortungsbewusstes
Handeln, seine Hilfsbereitschaft und sein
Engagement ein hohes Maß an Anerkennung besaß. Wir werden sein Andenken
stets in Ehren halten.
Professor Dr. Jürgen Krug, Dekan
journal
Personalia
Zum Tode von Prof. Dr. Dr. Dietrich Kerlen
Nachruf für
Wolfgang Horsch Lesekultur als Basiskompetenz
Am 15. 07. verstarb völlig überraschend für alle Lebensbereiche
Prof. Dr. Wolfgang Horsch, ordentlicher
Professor für Pharmazeutische Technologie
an der Universität Leipzig 1969–1988.
Wolfgang Horsch wurde am 20. 07. 1926
in Leipzig geboren und blieb stets seiner
Stadt treu. So studierte er an der Leipziger
Universität Pharmazie und Lebensmittelchemie und wurde im Jahre 1954 mit einem organisch-synthetischen Thema zum
Dr. rer. nat. promoviert. Bald schon entdeckte Horsch seine Neigung für galenische Fragestellungen. Als wissenschaftlicher Assistent begann er 1954 mit dem
Aufbau eines für diese Zeit modernen und
breitgefächerten pharmazeutisch-technologischen Praktikums. Damit hat er den
Weg der Galenik von der Ars pharmaceutica zur Scientia pharmaceutica bereitet.
1964 habilitierte sich Horsch. Kurz danach
erfolgte die Berufung zum Dozenten, 1969
zum ordentlichen Professor für Pharmazeutische Technologie. Mit dem Ende der
Apothekerausbildung in Leipzig widmete
sich Horsch Fortbildungs- und Weiterbildungsveranstaltungen für Apotheker. 1973
wurde er zum Vorsitzenden der Zentralen
Fachkommission Arzneimitteltechnologie
bei der Akademie für Ärztliche Fortbildung
ernannt. Als Mitglied der Arzneibuchkommission der DDR hat Prof. Horsch
zahlreiche Monographien und Beiträge
zum Kommentar des Arzneibuches erarbeitet. Außerdem beschäftigte er sich mit
technologisch interessanten Hilfsstoffen,
Sterilisationsverfahren, Infusionslösungen
mit Stabilitätsproblematik und Wirkstoffliberation aus Salben. Mehr als 250 Publikationen und Vorträge tragen seinen Namen. Als Mitautor des bekannten Lehr- und
Handbuches „Sterilisation, Desinfektion,
Konservierung und Entwesung“ ist er nicht
nur Pharmazeuten bekannt geworden.
1997 wurde ihm die Ehrenmitgliedschaft
der Landesgruppe Sachsen der Deutschen
Pharmazeutischen Gesellschaft verliehen.
Trotz Invalidisierung 1988 blieb er seinem
Fach bis zuletzt verbunden. Seit der
Wiedereröffnung des Instituts für Pharmazie 1992 verfolgte er mit Interesse den
Wiederaufbau des Fachgebietes Pharmazeutische Technologie und des Studienganges Pharmazie. Wir trauern um unseren
„Emeritus“ und werden seinen Rat, vor allen aber den Menschen Wolfgang Horsch,
sehr vermissen.
W. Süß, B. Wolf
Heft 5/2004
Plötzlich und völlig unerwartet verstarb am
14. August der Professor für Buchwissenschaft und Buchwirtschaft Dietrich Kerlen.
1995 auf den damals mit Unterstützung des
Börsenvereins des deutschen Buchhandels
neu eingerichteten Lehrstuhl an der Universität Leipzig berufen, hat Professor Kerlen mit dessen Eingliederung in den Studiengang der Kommunikations- und Medienwissenschaften ein besonderes Leipziger Profil ausgeprägt. Es besteht darin,
dass das Buch stets im Kontext neuerer
Medien medienwissenschaftlich und vergleichend untersucht wird und dass Forschung und Lehre neben der Buchtheorie
auch die Buchwirtschaftslehre und Buchgeschichte umfassen. Dietrich Kerlen hat
dieses an deutschen Universitäten singuläre Profil aufgrund seiner wissenschaftlichen und Verlagserfahrung kontinuierlich
ausgebaut und zum Erfolg geführt, wie die
Anzahl und der Berufseinstieg der Absolventen beweist. Neben seiner Lehrtätigkeit
ist er auch als Herausgeber und Autor
zahlreicher Publikationen hervorgetreten;
allein im vergangenen Jahr erschienen
zwei Bücher von ihm, eine Einführung in
die Medienkunde und ein Lehrbuch der
Buchverlagswirtschaft, davor eine Biographie Edgar Allen Poes.
Dietrich Kerlen, am 13. April 1943 in Posen geboren, studierte Theologie, Philosophie und Kunstgeschichte in Tübingen, Zürich, Heidelberg, Stuttgart und München,
wurde mit einer Arbeit über Luther und
Erasmus zum Dr. theol. und mit einer Ar-
beit über die Kantsche Rechtsphilosophie
zum Dr. phil. promoviert. Danach war er
13 Jahre lang Lektor im Verlag Klett-Cotta
Stuttgart und fünf Jahre Mitglied der Geschäftsleitung bei Bertelsmann im Gütersloher Verlagshaus.
Die Zeiten, erkannte Dietrich Kerlen, sind
vorbei, da das Buch oder die Bibliothek
selbstverständliches, unersetzbares und
fast monopolisiertes Instrumentarium des
Wissenschaftsbereiches war. Damit sah er
einen vermehrten Bedarf an Reflexion, was
das Buch weiterhin unverzichtbar macht.
Solche Überlegungen mündeten bei ihm in
ein Plädoyer für die Lesekultur als Basiskompetenz für alle Lebensbereiche. „Wer
Langtexte liest, lebt ein lohnenderes Leben.“
Auf einer akademischen Trauerfeier am
13. September unterstrich Rektor Prof. Dr.
Franz Häuser: „Es fällt der Universität
schwer, von Professor Kerlen Abschied zu
nehmen. Wir haben einen produktiven und
kreativen Wissenschaftler, einen engagierten und erfolgreichen Hochschullehrer,
aber nicht zuletzt auch einen liebenswürdigen Menschen verloren.“ Die Universität
werde das Lebenswerk von Prof. Kerlen,
die Leipziger Buchwissenschaft, in seinem
Sinne fortführen. Sein Fach habe sich glänzend etabliert und strahle innovativ auf die
Forschungslandschaft aus.
Der Geschäftsführende Direktor des Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaft, Prof. Dr. Günter Bentele, informierte auf der Veranstaltung im Geschwister-Scholl-Haus, dass die Medienstiftung
der Sparkasse Leipzig, mit der Dietrich
Kerlen schon ein Projekt in Bezug auf Osteuropa besprochen hatte, spontan die Einrichtung eines „Dietrich-Kerlen-Preises für
Buchwissenschaft der Medienstiftung der
Sparkasse Leipzig“ angeregt hat. Dieser
Preis soll jedes Jahr an Absolventen der
Buchwissenschaft im deutschsprachigen
Raum verliehen werden und ist mit
2500 Euro dotiert. Des weiteren sollen das
akademische Werk Dietrich Kerlens, seine
Einsichten, Ideen, sein wissenschaftlicher
Ansatz im nächsten Jahr auf einer eigenen
wissenschaftlichen Veranstaltung gewürdigt werden. „Würdigen heißt aber auch
weiterleben lassen“, betonte Prof. Bentele.
V. S.
39
Personalia
Kurz gefasst
Judokämpferin Annett Böhm, Studentin
an der Sportwissenschaftlichen Fakultät,
gewann bei den Olympischen Spielen in
Athen die Bronzemedaille. Sie besiegte in
der entscheidenden Runde der Klasse bis
70 Kilogramm die Belgierin Catherine
Jacques mit einem Ausheber. „Ich wollte
diese Medaille unbedingt haben. Die ganze
Arbeit hat sich gelohnt“, sagte die 24-Jährige. Der Dekan der Fakultät, Prof. Dr.
Jürgen Krug, freute sich über die Medaille
seiner Studentin: „Wir haben alle die
Daumen gedrückt und sind stolz auf die
hervorragende Leistung unserer Annett.“
Er gratulierte der Medaillengewinnerin
ebenso wie Prorektorin Charlotte Schubert, die zu jenem Zeitpunkt gerade den
Rektor vertrat.
Die TU Darmstadt hat Prof. Dr.-Ing. Dr.Ing. e. h. Gert König, früherer Direktor
des Instituts für Massivbau und Baustofftechnologie und Ehrenbürger der Universität Leipzig, die Würde eines Ehrendoktors verliehen. König erhielt die Auszeichnung in Anerkennung „seiner herausragenden wissenschaftlichen Leistungen auf
dem gebiet des konstruktiven Ingenieurbaus und seiner besonderen Verdienste in
Forschung, Lehre und Weiterbildung“, wie
es in der Urkunde heißt. Er hat in Darmstadt studiert und an der damaligen TH
Darmstadt promoviert. 1975 wurde er an
dort Professor, bevor er 1995 in seine Heimatstadt Leipzig zurückkehrte.
Der Rat der Theologischen Fakultät hat
Prof. Dr. Wolfgang Ratzmann zum neuen
Dekan der Fakultät gewählt. Seine Amtszeit als Nachfolger von Prof. Dr. Dr.
Dr. h.c. Günther Wartenberg begann am
1. Oktober.
Prof. Dr. Claus Wilcke, Emeritus des
Altorientalischen Instituts, wurde von der
American Oriental Society mit der Ehrenmitgliedschaft ausgezeichnet.
Der Leipziger Historiker Prof. Dr. Enno
Bünz wurde mit dem Bordesholmer Universitätspreis 2004 ausgezeichnet. Bünz,
Inhaber des Lehrstuhls für Sächsische
Landesgeschichte und zurzeit geschäftsführender Direktor des Historischen Seminars, erhielt die mit 1500 Euro dotierte
Auszeichnung für ein Buch über die
40
Augustiner-Chorherrenstifte NeumünsterBordesholm und Segeberg im Mittelalter.
Der Bordesholmer Universitätspreis wird
seit 2002 alle zwei Jahre verliehen. Die Gemeinde Bordesholm ehrt damit Forscher
für wissenschaftliche Arbeiten auf dem
Gebiet der Geschichte, Landeskunde oder
Wirtschaft im Raum Bordesholm.
Prof. Dr. Maria-Elisabeth KrautwaldJunghanns, Leiterin der Poliklinik für
Vögel und Reptilien an der Veterinärmedizinischen Fakultät, wurde für drei Jahre
einstimmig zur Präsidentin des European
College of Avian Medicine and Surgery
gewählt. Sie ist damit einzige deutsche Präsidentin eines europäischen Colleges im
European Board of Veterinary Specialisation (EBVS).
Die Forschergruppe um Prof. Dr. Wilfried
Morawetz vom Institut für Botanik will
zum Ende des Jahres eine Kooperationsvereinbarung mit der Tomakomai Research
Station aus Hokaido/Japan abschließen.
Eine Abordnung der Forschungseinrichtung und des Japan Water Resources
Environment Center aus Tokyo steckte im
Sommer schon einmal die Basis der Zusammenarbeit ab. Die Gruppe interessierte
sich besonders für den Leipziger Auwaldkran, die Technologien bei der Untersuchung des Leipziger Auwaldes und die
damit verknüpften Forschungen. Mit dem
Leiter der japanischen Delegation, Prof.
Murakami Masashi, sollen gemeinsame
Vorhaben für Untersuchungen in temperaten Wäldern vereinbart werden.
Die Sächsische Landesärztekammer verlieh Prof. Dr. Eberhard Keller, Wachstumsspezialist an der Klinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche, mit der
Hermann-Eberhard-Friedrich-Richter-Medaille eine Auszeichnung für seine außerordentlichen Verdienste um die Berufspolitik der sächsischen Ärzteschaft. In
der Begründung für die Verleihung der
Medaille heißt es: „Sein ständiger Einsatz
für die Belange der Kammer hat ihm den
Respekt und die Anerkennung der sächsischen Ärzteschaft eingebracht … Die
Sächsische Landesärztekammer ehrt mit
Prof. Dr. Eberhard Keller einen Arzt, der
durch seine wissenschaftliche Tätigkeit
und sein berufspolitisches Engagement ein
Vorbild für die nachfolgende Generation
ist.“
Professor Keller erhielt zudem den Internationalen Preis (Finalist) der Endocrine
Society and Pfizer, Inc. für eine exzellente
Publikation in der renommierten Zeitschrift „The Journal of Endocrinology &
Metabolism“. Der prämierte Beitrag erschien im Heft 9/2003 besagter Zeitschrift
und beschäftigt sich mit dem Einsatz von
Wachstumshormonen in der postpubertären Phase bei Patienten, denen das Wachstumshormon fehlt, und die Auswirkungen
auf das Knochenwachstum.
Anlässlich der 51. Jahrestagung der nordamerikanischen „Society of Nuclear Medicine“ in Philadelphia (USA), wurde Dr.
Henryk Barthel, Oberarzt an der Klinik
und Poliklinik für Nuklearmedizin der
Universität Leipzig, mit dem renommierten Berson-Yalow-Preis ausgezeichnet.
Der Berson-Yalow-Preis wird für den besten wissenschaftlichen Kongressbeitrag
vergeben. Dr. Barthel präsentierte Ergebnisse einer Studie, die er im Rahmen seines
Forschungsaufenthalts in der PET-Onkologie-Arbeitsgruppe von Dr. E. O. Aboagye
am Hammersmith Hospital in London
(GB) durchgeführt hat. Die Ergebnisse der
Studie werden in Kürze in der Zeitschrift
„European Journal of Nuclear Medicine
and Molecular Imaging“ erscheinen.
Susanne Martini, Institut für Humangenetik, erhält zur Unterstützung ihrer Forschungstätigkeit ein Stipendium in Höhe
von 3 720 Euro von der Max-Buchner-Forschungsstiftung zur Evaluierung der
DHPLC für die Analyse hochpolymorpher
Mikrosatellitenmarker.
Prof. Dr. Dr. Andreas Hensel, Präsident
des Bundesinstituts für Risikobewertung in
Berlin, wurde zum Honorarprofessor für
Gesundheitlichen Verbraucherschutz und
Risikobewertung an der Veterinärmedizinischen Fakultät bestellt.
Prof. Dr. Heinz-Adolf Schoon, Dr. Heike
Aupperle, Dr. Katja Steiger und Dr.
Christin Ellenberger, alle Institut für
Veterinär-Pathologie an der Veterinärmedizinischen Fakultät, erhielten den Ackerknecht-Preis für ausgezeichnete Lehre.
Mit 165 000 Euro fördern die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen
weiterhin ein Internetprojekt, das eine
fachkompetente und kostenfreie E-MailBeratung von Patienten mit Essstörungen
anbietet. Das Projekt wird von Dr. Martin
Grunwald, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, geleitet.
journal
Personalia | Jubiläum 2009
Geburtstage
Philologische Fakultät
65. Geburtstag
Prof. Dr. Eberhard Fleischmann, Institut für
Angewandte Linguistik und Translatologie,
am 1. September
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
60. Geburtstag
Prof. Dr. Ullrich Heilemann, Institut für Empirische Wirtschaftsforschung, am 26. Oktober
Prof. Dr. Gerhardt Wolff, Honorarprofessor
für Unternehmensführung und Organisation,
am 30. Oktober
65. Geburtstag
em. Prof. Dr. Udo Hielscher, Institut für
Finanzen, am 23. Oktober
70. Geburtstag
em. Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. e.h. Gert König,
Institut für Massivbau und Baustofftechnologie, Ehrenbürger der Universität Leipzig, am
2. Oktober
75. Geburtstag
Prof. Dr. Dr. h. c. Adolf Moxter, Ehrendoktor,
am 3. Oktober
Sportwissenschaftliche Fakultät
60. Geburtstag
Dr. Roswita Härtig, Institut für Bewegungsund Trainingswissenschaft der Sportarten,
am 20. September
Gesichter
der Uni
Michael Wirth (1547 –1612)
Abbildung: Kustodie
Medizinische Fakultät
60. Geburtstag
Prof. Dr. med. Rainer Preiß, Institut für Klinische Pharmakologie, am 2. Oktober
Prof. Dr. med. Ralf Schober, Institut für
Pathologie, Selbstständige Abteilung für
Neuropathologie, am 5. Oktober
65. Geburtstag
Prof. Dr. med. Wolfgang Schmidt, Institut für
Anatomie, am 15. Oktober
70. Geburtstag
Prof. Dr. med. Hannelore Schmidt, ehem. Poliklinik für Konservierende Zahnheilkunde
und Parodontologie, am 25. September
Prof. Dr. rer. nat. Gerhard Kopperschläger,
ehem. Institut für Biochemie, am 13. Oktober
85. Geburtstag
Prof. Dr. med. Peter Feudell, ehem. Klinik
und Poliklinik für Neurologie, am 30. September
Der Rektor der Universität Leipzig und die
Dekane der einzelnen Fakultäten gratulieren
herzlich.
(Die Geburtstage werden der Redaktion
direkt von den Fakultäten gemeldet. Die Redaktion übernimmt für die Angaben keine Gewähr. Das gilt auch für deren Vollständigkeit.)
Heft 5/2004
Sämtliche Beiträge aus der Reihe Gesichter der Uni, die in Heft 2/2004 ihren
Anfang nahm, sind ab sofort im Internet
nachzulesen:
www.uni-leipzig.de/journal/
gesichter
Zu den ersten privaten Stiftern des im Jahre
1543 von Herzog Moritz an der Universität
Leipzig gegründeten Konvikts, gehörte der
„Doctor beyder rechte und Professor publicus“ sowie zeitweilige Rektor der Universität, Michael Wirth.
1547 in Löwenberg (Schlesien) geboren,
wird er 1574 als Magister und Baccalaureus der Rechte Kollegiat im Frauenkolleg.
1577 erlangte er u. a. nach einem Studienaufenthalt in Frankfurt den juristischen
Doktortitel, und ein Jahr später eine ordentliche Professur. Bereits im Alter von
27 Jahren wurde er zum Rektor magnificus gewählt. Dieses Amt übte er auch
1578/79 und 1592 aus.
Von 1581 bis 1592 diente er am Coburger
Hof als Kanzler des Herzogs Casimir. Als
er einige Jahre nach seiner Rückkehr, im
Jahre 1599, von der Juristenfakultät der
Universität erneut zum Ordinarius bestimmt wurde, trat er wegen Gehaltsstreitigkeiten das Amt jedoch erst im Januar
1600 an. Denn er forderte in Anlehnung an
die Besoldung des Nürnbergers Johann
Münch ebenfalls die höheren Einkünfte
eines von auswärts berufenen Ordinarius.m
Neben seiner Rechtsprofessur übte er weitere Funktionen aus, etwa die als Direktor
des Konsistoriums, kursächsischer Appellationsrat und Domherr des Stifts Merseburg. Er verfasste neben Reden und Programmen zu juristischen Themen auch
einige Abhandlungen mit historischem Bezug, darunter die zur Genealogie des Sachsenherzogs Widukind (Orationes, de amplitudine stirpis Wittekindae saxonicae).
Michael Wirth stiftete ein Jahr vor seinem
Tode (1611) durch Kaufbrief mit der Universität Leipzig die ansehnliche Summe
von 4 000 Gulden für einen Freitisch im
Konvikt, die von ihm in zwei Raten bereits
1591 und 1599 in den Fonds der kurfürstlichen Steuerkasse eingezahlt wurden.
Einige Jahre zuvor (1606) entstand ein
Halbfigurenporträt, auf dem Wirth im
Alter von ca. 60 Jahren dargestellt ist (siehe
Abbildung). Kleidung und Schmuck deuten auf die hohen Ämter und Privilegien
des Abgebildeten hin. So waren Pelzschaube, Handschuhe und Schwert Ausdruck der Privilegien des Gelehrten, während die beiden Goldketten auf die Ämter
hinweisen, die der Jurist im Laufe seines
Lebens inne hatte. Das Porträt, das zur
Ordinarien-Galerie der Juristenfakultät gehört, befindet sich derzeit in der Studiensammlung der Kustodie der Universität.
Alrun Tauché,
Institut für Kirchengeschichte
41
Jubiläum 2009
„Künstlerisch belebend“
Interview mit Eduard Beaucamp über Tübkes
Gemälde „Arbeiterklasse und Intelligenz“
Das Universitätsjubiläum 2009 rückt näher,
der neue Campus tritt allmählich aus der
Virtualität in die Realität und die Frage gewinnt an Aktualität, welchen Platz künftig
die überlieferten Kunstwerke aus älterer
und neuerer Zeit einnehmen sollen. Eines
davon ist Werner Tübkes monumentales,
12,80 mal 2,70 Meter großes Wandbild mit
dem Titel „Arbeiterklasse und Intelligenz“
im Foyer des 1. Stockes des Hauptgebäudes
der Universität am Augustusplatz. Ein Gespräch mit dem langjährigen Redakteur
und Kunstkritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Eduard Beaucamp, Autor
einer Publikation über eben dieses Wandbild, kann das Bewusstsein für die Aufgabe
der Integration der Kunstwerke in die neue
Universität schärfen.
„Arbeiterklasse und Intelligenz sind
unter der Führung der marxistisch-leninistischen Partei im Sozialismus untrennbar verbunden“ lautete das Rahmenthema für den begrenzten Wettbewerb. Wenn man das heute liest, möchte
man meinen, dass einem Maler bei dieser Vorgabe der Pinsel einfriert. Tübkes
Bild beweist das Gegenteil. Wie erklären
Sie sich das?
Solchen und ähnlichen Vorgaben hat sich
Tübke stets gefügt. Er hat sie aber nicht
sonderlich ernst genommen und ihnen
seine Kunst nicht unterworfen. So hat er
auch bei seinem Bauernkriegspanorama
den programmatisch gedachten Titel
„Frühbürgerliche Revolution“ akzeptiert,
obwohl er wissen musste, dass er historisch
schief ist – die Bürger standen schließlich,
wie schon Golo Mann zu DDR-Zeiten angemerkt hat, gegen die Bauern. Tübke
machte daraus bekanntlich eine Parabel für
den fatalen Kreislauf der Geschichte, ja ein
Weltuntergangsbild. Bevor er zu malen begann, hat er sich daher beim „Panorama“
die vertragliche Zusicherung geben lassen,
dass ihm niemand in sein Konzept hereinreden dürfe. Ich vermute, dass das bei „Arbeiterklasse und Intelligenz“ ähnlich gelaufen ist. Das Ergebnis spricht dafür.
Im übrigen sah sich Tübke in der jahrhun42
dertelangen Tradition der europäischen
Auftragskunst: Viele Künstler zwischen
Michelangelo, Caravaggio und Goya übernahmen orthodoxe Auftragsprogramme,
veränderten sie aber manchmal recht radikal durch ihre Interpretation und Arbeit.
Ein extremes Beispiel ist Perugino, der
Lehrer Raffaels, der, wie jüngst Jörg Traeger nachweisen konnte, ungläubig war, ja
atheistisch dachte. Er hat trotzdem Aufträge der Kirche auf charmante, gefällige,
bezeichnenderweise freilich ein wenig
manieristische Art ausgeführt. Bei seinen
Madonnen- und Heiligenbildern war er
verliebt in die schönen Frauen und nackten
Jünglinge. Für ihn standen die Grazie der
Haltung und Bewegung, die Spiritualität
der Beziehungen und der Disput der Figuren, eben die sacra conversazione, im
Vordergrund. Auch so können Heiligenbilder entstehen.
Bei Tübke wird es ähnlich gewesen sein.
Unter dem Eindruck seiner Italienreisen
1971 und 1972, die ihm gelegentlich seiner
großen Personalausstellung in fünf Städten, darunter Florenz, Mailand und Rom,
gestattet wurden, die ihn auch zu Leonardos „Abendmahl“ in Mailand und nach Venedig zu den berühmten Abendmahl-Bildern Veroneses oder Tintorettos führten, ist
auf machtvolle Weise der Maler in ihm entfacht worden. Tübke ist in Italien zu Tagträumen von einer möglichen Wiederbelebung der Renaissance inspiriert worden. Er
sprach in solchen Zusammenhängen ja von
der „Fähigkeit zur Utopie nach rückwärts“.
Das Wandbild für die Universität ist der
Niederschlag dieser Erlebnisse und
Träume. Damit überwand Tübke den politisch und parteilich dominierten Stil des
„Brigade-Bildes“, wie er sich durchaus
noch in den ersten Entwürfen für dieses
Wandbild abzeichnete.
Laut damaliger Universitätszeitung
(UZ) zeigte sich eine Delegation der
SED-Bezirksleitung, als sie Anfang 1973
vor der offiziellen Freigabe das Wandgemälde begutachtete, beeindruckt ob
„dessen künstlerischer Meisterung“.
Gleichzeitig hebt die UZ hervor, dass das
Bild, nachdem es ab 31. August allgemein zugänglich war, „Gegenstand vieler Diskussionen“ ist. „Kaum eine
Stunde vergeht, in der nicht Universitätsangehörige oder Besucher vor dem
Bild stehen, nachdenklich oder heftig
debattierend.“ Wer offiziöses DDRDeutsch zu lesen versteht, weiß, dass
damit unterschwellig Vorbehalte artikuliert wurden, etwa der Art, ob denn das
Thema „Arbeiterklasse und Intelligenz“
in einer so altmeisterlichen Malweise
adäquat gestaltet werden kann. Und
gute Genossen mochten sich fragen: Ist
das noch sozialistischer Realismus?
Auch Kunsthistoriker im Westen fällten,
vornehmlich nach der Wende, ein kritisches Urteil, sprachen von Programmbild,
von Anachronismus und sozialistischer
Idylle. All das trifft nicht das Phänomen
dieses Bildes. Als übrigens 1974 eine Delegation der AICA, also des internationalen
Kunstkritiker-Verbandes, durch die DDR
reiste, waren die Kollegen aus der Schweiz,
Italien, Frankreich, England oder Holland
hingerissen von diesem Bild. Wir sahen
darin ein Zeichen dafür, dass sich die
DDR-Kunst endgültig von der politischen
Dienstbarkeit und vom „Sozialistischen
Realismus“ befreit hatte. Die Schlagzeile
eines Berichts lautete damals gar „Das
neue Licht von Leipzig“.
Ich empfinde das Bild heute wie damals als
künstlerisch überaus belebend, es stimmt
mich euphorisch. Hier weht der Geist der
Universität, ja etwas vom „Heiligen Geist“
der alten Altarbilder. „Arbeiterklasse und
Intelligenz“, gewiss ein heute misslich
klingender Titel aus DDR-Zeiten, folgt ja
einem uralten Thema – der Aussöhnung
von Arbeit, Kunst, Wissenschaft und Politik und berührt insbesondere christliche
Vorstellungen von einem Ausgleich gegensätzlicher Lebensformen, der vita activa
und der vita contemplativa. Bei Tübke stehen die Figuren nicht mehr wie bei den Brigadebildern in Reih und Glied, keine hierarchische Ordnung obwaltet. Als Universitätsbild bringt das Bild Jugend und Alter,
journal
Fachgespräch vor dem Tübke-Wandbild: Uni-Kustos Dr. Rudolf Hiller von Gaertringen, Rektor Prof. Dr. Franz Häuser und
Kunstkritiker Eduard Beaucamp (v. l.).
Foto: Armin Kühne
Lernende und Lehrende, ferner die durch
fünf Dekane repräsentierten Fakultäten,
darunter besonders die abstrakt-moderne
Wissenschaftswelt – Einblicke werden in
ein Physik-Seminar und ein Computerlabor gegeben – mit der konkreten
Arbeitswelt auf der Baustelle der neuen
Universität in Verbindung. Das Bild bezieht zudem die damalige Leipziger Obrigkeit ein, die Häupter der Kommune, der
Partei und des Bezirkes. Sollen wir daran
Anstoß nehmen? Im Louvre bewundern
wir heute die Porträts abscheulicher Potentaten, weil sie von Piero della Francesca,
Holbein oder Tizian gemalt worden sind.m
Das Leipziger Universitätsbild entfaltet
eine Schönheit und Festlichkeit, eine Heiterkeit und Grazie, wie man sie nie zuvor
in der DDR-Kunst gesehen hat. Das tanzende Mädchen ist das Scharnier des ganzen Bildes. Die Jugend beherrscht das
Bild. Es dokumentiert eine Art Jugendbewegung, eine Jugend, die sich nicht mehr
unter Kuratel stellen lassen will. Ich denke
da vor allem an die Leipziger Kunstszene,
die sich damals so eindrucksvoll zu regen
begann. Eine Schülergeneration, also Maler wie Stelzmann, Ebersbach, Gille, Rink,
Peuker oder Hachulla, wollte sich nicht
mehr reglementieren lassen.
Zu mehreren der über 100 abgebildeten
Personen des Wandbildes, ich nenne nur
Heft 5/2004
Parteileute wie Paul Fröhlich oder Erich
Grützner, ist die heutige Universität mit
guten Gründen auf Distanz gegangen.
Dennoch scheint der zeitdokumentarische Wert heute wichtiger zu sein als das,
„was uns der Künstler sagen wollte“ –
nicht in der von Ihnen gegebenen Deutung, sondern in der dem Zeitgeist verpflichteten Erklärung des Malers gegenüber der Universitätszeitung: „Es sollte
zum Ausdruck gebracht werden, wie
Arbeiter, Wissenschaftler, Studenten in
enger gegenseitiger Verbundenheit die
sozialistische Gesellschaft aufbauen und
sich als sozialistische Persönlichkeiten
bewähren.“ Frage an den subtilen Kenner dieses Bildes: Wie sollte die Universität im Zusammenhang des bis 2009
entstehenden neuen Campus mit dem
bedeutenden Werk umgehen?
Es sollte auf jeden Fall angemessen ausgestellt werden und sich in seiner ganzen
Schönheit entfalten können! Es braucht
übrigens eine leichte Anhebung, einen
Sockel, von dem Tübke ausging und der
im Rektoratsgebäude der siebziger Jahre
wegen der reduzierten Deckenhöhe entfiel.
Das Bild dokumentiert eine historische
Phase, aber nicht nur das. Es ist ein Kunstwerk von außerordentlicher Ausstrahlung.
Man sollte sich durch den zeitbedingten,
ideologischen Rahmen den Blick heute
nicht verstellen lassen. Das Bild ist frei von
Propaganda. Es ist ein Bild der Jugend, das
für Aufbruch und Zukunft steht. Die Utopie einer idealen Gesellschaft, die Tübke
hier in Anlehnung an Bilder von Renaissance-Kommunen entwirft, ist kein Thema,
das sich erledigt hat. Für mich, der ich aus
dem Westen komme, wo nach 1945 die
Kunst-Avantgarden fast alle Brücken zur
Geschichte abbrechen wollten, ist es besonders faszinierend zu sehen, wie hier ein
Künstler jenseits von L’art pour l’art Geschichte aufnimmt und ihre Ideen transportieren möchte in Richtung einer besseren Gesellschaft.
In meiner kleinen Monographie über das
Bild von 1985 schrieb ich und möchte das
heute bekräftigen: „‚Arbeiterklasse und
Intelligenz‘ ist das gegenwartsbezogenste
und hochgestimmteste, aber auch extrovertierteste Bild Tübkes. Es ist ein betörendes
Schaustück, das mit einer Erprobung alter
Modelle der Malerei eine Renaissance der
Renaissance in der sozialistischen Gesellschaft vor Augen führt und dabei auf
offener Bühne die Realität in die Idealität
übergehen lässt. Über den Realismus der
Details und über den Historismus der Formen hinaus hat hier der Künstler eine
Vision wiedergegeben, den Traum von
einer herrschaftslosen, gleichberechtigten,
sich kommunikativ austauschenden, einer
geistig inspirierten, ästhetisch geprägten
Gesellschaft.“ Interview: Volker Schulte
43
Jubiläum 2009
Der göttliche Odem
Über das Epitaph für Heinrich Heideck
aus der Universitätskirche
Von Prof. Dr. Frank Zöllner, Institut für Kunstgeschichte
Bis vor ein paar Jahren ließ sich die Geschichte des Grabepitaphs wohl an kaum
einem Ort besser verfolgen als in der ehemaligen Universitätskirche St. Pauli. Ein
ebenso reicher wie repräsentativer Bestand
monumentaler Beispiele dieser Gattung
schmückte den Innenraum der Kirche bis
zu ihrer Sprengung im Jahre 1968. Immerhin, viele der Epitaphien konnten noch vor
der Zerstörung des spätgotischen Sakralbaus entweder vollständig oder in Teilen
geborgen werden und warten nun, nach
einer inzwischen erfolgten Lagerung in
einem neuen Depot der Universität, auf
dringend notwendige Restaurierungsmaßnahmen. Inzwischen ist mit dem Grabepitaph des Heinrich Heideck (1570–1603)
ein Anfang gemacht: Als eines der ästhetisch ansprechendsten Ausstattungsstücke
der ehemaligen Paulinerkirche wurde das
Heideck-Epitaph mit Beginn des Rektorats
von Magnifizenz Prof. Dr. Franz Häuser im
Jahre 2003 für eine Restaurierung ausgewählt. Im Rahmen der von der Kustodie
etablierten Zusammenarbeit mit der Hochschule der Bildenden Künste in Dresden,
namentlich der Fachklasse Polychrome
Holzobjekte unter Leitung von Prof. Dr.
Ulrich Schießl, konnte ein erstes, besonders beschädigtes Relief im Rahmen
einer praktischen Diplomarbeit durch Johannes Schaefer aus Altenburg bearbeitet
werden (s. Abb.).
Der am 5. November 1570 geborene Heinrich Heideck studierte in Leipzig, Helmstedt, Ingolstadt, Jena und Heidelberg, wo
er 1594 als „iuris ultrisque doctor“ (J. U. D.
– Doktor beider Rechte) abschloss. Ab
1596 wirkte er als gräflich-mansfeldischer
Kanzler zu Bornstädt, 1598 wurde er sachsen-weimarer Rat, 1602 Assessor am OberHofgericht zu Leipzig und 1603 Konsiliarius und Kanonikus am Dom-Kapitel zu
Magdeburg. Er war zwölf Jahre mit Esther
Schwarz verheiratet, mit der er drei Kinder
– einen Sohn und zwei Töchter – hatte. Heideck starb im Alter von nur 30 Jahren und
nach einer glänzenden Karriere am 13. De44
zember 1603. Der größte Teil der biographischen Informationen zu seiner Person
ist der Inschrift des Epitaphs zu entnehmen. Weitere Angaben, auf die ich mich im
folgenden stütze, wurden im Auftrag der
Kustodie von Doreen Zerbe M. A. erarbeitet.
Das wohl um 1603 oder in den darauf
folgenden Jahren entstandene geschnitzte
Holzepitaph ist weiß und golden gefasst
und misst in seiner Gesamtheit ca. 410 mal
280 cm. Es besteht aus einem sarkophagförmigen Sockel, einem darunter befindlichen reich ornamentierten Gesprenge sowie drei über dem Sockel sich erhebenden
und oval gerahmten szenischen Darstellungen. Deren Identifizierung ist bislang nur
in Teilen gelungen. Über dem mittleren, in
seinen Dimensionen etwas größeren und
dadurch hierarchisch hervorgehobenen
Oval erhebt sich ein gesprengter Segmentgiebel, dessen Öffnung einen Posauneblasenden Engel rahmt. Das unterhalb der
Sockelzone angebrachte Gesprenge trägt
auch die Inschrift. Das Epitaph ist, obschon
im Zuge der Notbergung des Jahres 1968
in seine Einzelteile zerlegt, vollständig erhalten.
Unstrittig und fast einzigartig für die Leipziger Kunstlandschaft des frühen 17. Jahrhunderts ist die künstlerische Qualität des
Epitaphs. Hierbei weisen die Figuren
ebenso wie das rahmende Ornament Einflüsse des italienischen und flämischen
Manierismus auf. Nicht auszuschließen ist
daher, dass hier ein auswärtiger Künstler
am Werk war oder dass es sich bei dem Epitaph um ein Importprodukt handelt.
Die Darstellung im mittleren Relief zeigt
ein „Jüngstes Gericht“ mit Christus als
Weltenrichter im oberen Teil der Schnitzarbeit, während im unteren Bereich links
die Seeligen (von Christus aus rechts) und
rechts die Verdammten zu sehen sind (von
Christus aus links). Das kleinere Oval
rechts schildert nach herrschender Meinung eine Darstellung der Vision des
Ezechiel (Hesekiel): Gott führt den alttes-
Oben: Epitaph Heinrich Heideck am –
wohl ursprünglichen – Anbringungsort
an der Nordwand des Nordchores der
Universitätskirche, Zustand ca.
1955/1956.
Foto: Kustodie
Rechts: Epitaph Heinrich Heideck, rechtes Oval mit der Vision des Ezechiel,
Zustandsfoto während der Restaurierung durch Johannes Schaefer im
Rahmen des Diplomstudiengangs Restaurierung Polychromer Holzobjekte
an der Hochschule für Bildende Künste
in Dresden, Zustand August 2004.
Foto: Johannes Schaefer
tamentlichen Propheten Ezechiel in einer
Vision auf ein Feld mit Verstorbenen und
mit teilweise verdorrten Gebeinen (s. u.).
Es wird dort prophezeit, dass diese Gebeine durch den Odem des Herrn wieder
lebendig würden (Ez 37. 1–10). Die Identifizierung des Ovals auf der linken Seite
ist strittig. Häufig wird hier die Erweckung
der Tochter des Jairus (Jaires) durch Christus gesehen (Mt 9.18ff.). Da die „Erweckergestalt“ aber keine Ähnlichkeit mit
dem Christus aus dem mittleren Oval oder
überhaupt mit Darstellungen des Heilands
aufweist, kommen auch andere Erweckungsszenen in Betracht.
Auch wenn eine der drei Szenen bislang
noch nicht zweifelsfrei identifiziert werden
konnte: An der allgemeinen Aussage des
journal
Jubiläum 2009
gesamten Ensembles kann kein Zweifel bestehen. Im Zentrum des Bildkonzepts steht
die für ein Epitaph angemessene Idee des
Totengedenkens, das verbunden ist mit der
Hoffnung auf dereinstige Wiederauferstehung des Verstorbenen. Darauf verweisen
unmittelbar sowohl die Darstellung des
„Jüngsten Gerichts“ und der Posaunenengel sowie die noch nicht sicher identifizierte Erweckungsszene und die Vision
Ezechiels.
Anlässlich der Bestattung Heidecks wurde
1603 von Cornelius Becker eine Leichenpredigt verfasst, die noch im selben Jahr
im Druck erschien (Cornelius Becker,
„Christliche Leichpredigt / Bey dem Begräbnis des […] Herrn Heinrich Heidecks
[…]“, Leipzig 1603). Die in der LeichenHeft 5/2004
predigt bemühte Metaphorik entspricht unmittelbar der Bildsprache des Epitaphs. So
ist im Text Cornelius Beckers von dem Verdorren durch den feurigen Atem die Rede,
was dem vernichtenden Feuer entspricht,
das zum „Jüngsten Gericht“ vom Himmel
herabgesandt kommt und auf dem mittleren Oval zur Darstellung gelangt. Eine ähnliche Metaphorik liegt der Szene auf dem
rechts platzierten Relief zugrunde (s. Farbfoto), denn statt des vernichtenden Feuers
stellt der Künstler nun umgekehrt den heilenden und erlösenden Effekt des göttlichen Atems dar. In der entsprechenden
Vision des Ezechiel ist vom göttlichen
Odem die Rede, der den wiedererweckten
Gebeinen zunächst fehle und der ihnen
dann eingehaucht werde. Diese Reihen-
folge – zunächst „wächst Fleisch auf den
Gebeinen“, danach kommt der göttliche
Odem herab – illustriert auch das Relief
des Heideck-Epitaphs: Der Prophet Ezechiel ist umringt von Gebeinen, denen teilweise schon wieder „Fleisch gewachsen“
ist, während von oben vier Engel den göttlichen Odem auf die Erde herabblasen. Die
entsprechende Vision des Ezechiel, die der
Künstler dem Betrachter im wahrsten
Sinne des Wortes plastisch vor Augen zu
stellen wusste, sei hier abschließend nach
der 1534 erschienenen Übersetzung Martin Luthers (II, fol. CV) zitiert:
„VNd des HERRN hand fasset mich / vnd
füret mich hinaus im Geist des HERRN
vnd stellet mich auff ein weit feld / das voller todten beine lag / vnd er füret mich
allenthalb da durch / Vnd sihe (des gebeines) lag seer viel / auff dem feld / vnd sihe
/ sie waren gar verdorret / Vnd er sprach zu
mir / Du menschen kind / Meinstu auch /
das diese beine wider lebendig werden?
Vnd ich sprach / DErr HERR / das weistn
wol. […] So spricht der DErr HERR von
diesem gebeine / Sihe / ich will einen odem
jnn euch bringen / das jr solt lebendig
werden / Ich will euch adern geben / vnd
fleisch lassen vber euch wachsen / vnd mit
haut vberzihen / vnd will euch odem geben
/ das Jr wider lebendig werdet / vnd solt
erfaren / das ich der HERR bin.
[...] vnd sihe / da ward ein gros gerümpel /
als ich weisssagte / vnd die gebeine kamen
wider zu samen / ein jglichs zu seinem gebein / Vnd ich sahe vnd sihe / es wuchsen
adern vnd fleisch drauff / vnd er vber zoch
sie mit haut / es war aber noch kein odem
jnn jnen.
Vnd er sprach zu mir / Du menschen kind
/ Weissage / vnd sprich zum winde / So
spricht der DErr HERR / Wind / kom herzu
von den vier örtern / vnd blase diese todten an / das sie wider lebendig werden. Vnd
ich weissaget / wie er mir befolhen hatte /
da kam odem jnn sie / vnd sie wurden
wider lebendig / vnd richten sich auff jre
füsse / Vnd jr war ein seer grosse menge.“
Ausgangspunkt des oben stehenden Beitrags war ein zusammen mit dem Kustos
der Universität Leipzig, Dr. Rudolf Hiller
von Gaertringen, im Sommersemester
2004 abgehaltenes Seminar, das die Epitaphien der ehemaligen Paulinerkirche zum
Gegenstand hatte. Den Teilnehmerinnen
dieses Seminars und Herrn Dr. Hiller sei
an dieser Stelle herzlich für die anregenden
Diskussionen gedankt.
45
Titel-H_06_2 09.11.2004 11:06 Uhr Seite 1
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November 2004
M
Y
CM
MY
Heft 6/2004
CY CMY
K
ISSN 0947-1049
Transformationsprozess:
Auf dem Weg in eine neue Lernkultur
Theaterwissenschaft:
Das Prinzip „urbi et orbi“
Schulunterricht:
Filme mit anderen Augen sehen
Raritäten aus dem Mittelalter:
Bibliothek erwirbt Handschriften
Redaktionsgespräch zum ZHS:
„Ohne Reibungen geht es nicht“
Studentische Lebenswelten:
Gemietetes Bettzeug
journal
Zehn Jahre Zentrum für Höhere Studien
Hinauf zum Mehrwert
Probedruck
EDITORIAL
Inhalt
UniVersum
Neues vom Bau
Leserbrief von Erich Loest
2
3
Gremien
Sitzung des Senats am 12. Oktober
4
Forschung
Kindheit in den antiken Mittelmeerkulturen
Nomaden und Sesshafte
Nachrichten
5
8
10
Fakultäten und Institute
Theaterwissenschaft: Prinzip „urbi et orbi“
Auf dem Weg in eine neue Lernkultur
DLL: Schreibkongress und Hörgenuss
Lehrerbildung / Doppelpromotion
Einsatz in Äthiopien
12
14
16
17
18
UniCentral
Arbeiten für den Mehrwert
Promotionsprogramm / Leibniz-Professor
Redaktionsgespräch:
„Ohne Reibungen geht es nicht“
Doktoranden berichten:
„Den Horizont erweitern“
Studiosi
6087 Studierende wurden neu immatrikuliert
Filme mit anderen Augen sehen
Auf den Spuren der Filmklassiker
Personalia
Neu berufen
Brigitte Viehweg im Ruhestand
Ute Schnurrbusch scheidet aus
Nachruf für Erich Kolb
Kurz gefasst
Christoph Krummacher neuer Uni-Organist
Zum 100. Geburtstag des Germanisten
Martin Greiner
Geburtstage
Jubiläum 2009
Gesichter der Uni: Carl Hermann Credner
Studentische Lebenswelten im 18. Jh.
Apelsche Sammlung: Uni-Bibliothek erwirbt
Raritäten aus dem Mittelalter
Habilitationen und Promotionen
Am Rande
Nomen
Impressum
Titelbild: Carsten Heckmann
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Zehn Jahre Zentrum
für Höhere Studien
Sein zehnjähriges Bestehen hat das Zentrum für Höhere Studien seinem Selbstverständnis entsprechend gefeiert – so,
dass die gesamte Universität daraus einen Gewinn ziehen
konnte. An die Podiumsdiskussion zum Internationalen Promotionsprogramm schloss sich die Antrittvorlesung des neuen
Leibniz-Professors Johann P. Arnason an, der eigentlichen
Festveranstaltung folgt