Predigten von Pastor Patrick Klein

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Predigten von Pastor Patrick Klein
Predigten von
Pastor Patrick Klein
Predigt über Johannes 8,21-30
Sonntag Reminiszere
24. Februar 20131
Liebe Schwestern und Brüder,
ob es um die Kapernaum-Kirche geht, die zur Moschee wird oder um den Rückkauf der Energienetze in Hamburg: Kirchenvertreter äußern sich - das ist richtig, wichtig und gut.
Und unabhängig vom Thema erleben wir immer dasselbe: Der eine Hauptpastor hat die Wirkung
der Presse falsch eingeschätzt, ein Propst hat etwas falsch recherchiert, ein anderer Hauptpastor äußert sich pointiert und wird - natürlich - falsch verstanden, ein ehemaliger Hauptpastor
sagt etwas und alle drucken es, jemand äußert sich gar nicht und auch das ist falsch, und und
und…
Willkommen in der Welt der menschlichen Kommunikation!
Dazu eine kleine Geschichte aus dem Wald:
Dort ist große Unruhe.
Es geht das Gerücht um, der Bär habe eine Todesliste.
Alle fragen sich wer denn nun da drauf steht.
Als erster nimmt der Hirsch allen Mut zusammen und geht zum Bären und fragt ihn: „Sag mal
Bär, steh ich auch auf deiner Liste?“
„Ja“, sagt der Bär „auch dein Name steht auf der Liste.“
Voll Angst dreht sich der Hirsch um und geht. Und wirklich, nach zwei Tagen wird der Hirsch tot
aufgefunden.
Die Angst bei den Waldbewohnern steigt immer mehr und die Gerüchteküche um die Frage, wer
noch auf der Liste steht, brodelt.
Der Keiler ist der erste dem der Geduldsfaden reißt und der den Bär aufsucht um ihn zu fragen,
ob er auch auf der Liste steht.
„Ja“, antwortet der Bär „auch du stehst auf der Liste“.
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Verängstigt verabschiedet sich der Keiler vom Bären. Und auch ihn fand man nach zwei Tagen
tot auf. Nun bricht die Panik bei den Waldbewohnern aus. Nur der Hase traut sich noch den
Bären aufzusuchen.
„Bär, steh ich auch auf der Liste?“
„Ja, auch du stehst auf der Liste.“
„Kannst du mich da streichen?“
„Ja klar, kein Problem!“
Kommunikation ist alles!
Immer wenn Menschen aufeinander treffen kommunizieren sie; auch ohne miteinander zu
sprechen. „Man kann nicht nicht kommunizieren“, erkannte Paul Watzlawick, der bekannte
Kommunikationswissenschaftler.
Selbst unser nonverbales Verhalten ist bereits eine Form der Kommunikation – sie alle kennen
das. Schwieriger wird es dann, wenn noch die Worte hinzukommen.
Und noch einmal schwerer, wenn Worte nicht zu den nonverbalen Signalen passen.
Der heutige Predigttext ist ein Beispiel für misslingende Kommunikation – wobei der nonverbale Teil ja glücklicherweise nicht auch noch überliefert ist.
Bei dem Abschnitt aus dem Johannesevangelium reden die Beteiligten mit Bravour aneinander
vorbei. Hören Sie selbst:
21 Jesus sprach zu ihnen: Ich gehe hinweg und ihr werdet mich suchen und in eurer Sünde
sterben. Wo ich hingehe, da könnt ihr nicht hinkommen.
22 Da sprachen die Juden: Will er sich etwa selbst töten? Warum sagt er sonst: Wohin ich gehe, da könnt ihr nicht hinkommen?
23 Und er sprach zu ihnen: Ihr seid von unten her, ich bin von oben her; ihr seid von dieser
Welt, ich bin nicht von dieser Welt.
24 Darum habe ich euch gesagt, dass ihr sterben werdet in euren Sünden; denn wenn ihr nicht
glaubt, dass ich es bin, werdet ihr sterben in euren Sünden.
25 Da fragten sie ihn: Wer bist du denn? Und Jesus sprach zu ihnen: Warum rede ich überhaupt noch mit Euch?
26 Ich habe viel von euch zu reden und zu richten. Aber der mich gesandt hat, ist wahrhaftig,
und was ich von ihm gehört habe, das rede ich zu der Welt.
27 Sie verstanden nicht, dass er zu ihnen vom Vater sprach.
28 Da sprach Jesus zu ihnen: Wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet, dann werdet ihr
erkennen, dass ich es bin und nichts von mir selber tue, sondern, wie mich der Vater gelehrt
hat, so rede ich.
29 Und der mich gesandt hat, ist mit mir. Er lässt mich nicht allein; denn ich tue allezeit, was
ihm gefällt.
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Liebe Schwestern und Brüder,
„was rede ich überhaupt noch mit Euch?“ – so sagt Jesus zu den Fragenden. Ich gestehe, die
Übersetzung an dieser Stelle ist recht frei, aber sie trifft genau den Kern des Gesprächs an dieser Stelle.
Es gibt kein Verstehen, kein Kompromiss wird hier verhandelt. Jesus und die Juden – sie reden
aneinander vorbei. Diese Szene ist ein Musterbeispiel für misslingende Kommunikation.
Und sie zeigt auch eine andere Einsicht von Paul Watzlawick, nämlich, dass das Missverstehen
der Normalfall menschlicher Kommunikation ist. Dieser Abschnitt aus dem Johannesevangelium
führte in seiner Wirkungsgeschichte zu einem weiteren kolossalen und folgenreichen Missverständnis.
In der Geschichte der Kirche konnte man das 8. Kapitel des Johannesevangeliums gut gebrauchen für die Verachtung und Verfolgung der Juden. Verse wie diese machten es den Antisemiten leicht, auch die Bibel ins Feld zu führen.
Auf der einen Seite Jesus und die Christen – auf der anderen Seite die Juden. Ein ganz einfaches Schwarz-Weiß-Denken, das aber weder historisch noch theologisch richtig ist.
Jesu Gespräch mit den Juden ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein Gespräch garantiert schiefgeht:
Es gibt provozierende und exklusive Aussagen: „Ihr werdet in Eurer Sünde sterben“. Dann das
(un)bewusste Missverständnis: „Will er sich denn etwas selbst umbringen?“ (Eine der schwersten damals denkbaren Sünden. Daher auch der Gedanke, dass man ihm als frommer Jude dahin
(nämlich in die jüdische „Hölle“, ins Gehenna) nicht folgen könne.)
Und es gibt eine radikale Abgrenzung: „Ihr seid von unten her, ich bin von oben her.“ Deutlicher
geht es ja kaum.
Ich und ihr – Gut und Böse – die Frommen und die Ungläubigen, usw. Wir kennen alle dieses
Denken in Schubladen. Es macht ja auch vieles viel leichter – zumindest auf den ersten Blick.
Liebe Schwestern und Brüder,
im zweiten Abschnitt dann die Wende: Jesus fällt sich quasi selbst ins Wort und bringt eine
neue Perspektive mit ein. Er weist von sich weg auf seinen Vater.
26 Jesus sprach zu Ihnen: Ich habe viel von euch zu reden und zu richten. Aber der mich gesandt hat, ist wahrhaftig, und was ich von ihm gehört habe, das rede ich zu der Welt.
27 Sie verstanden nicht, dass er zu ihnen vom Vater sprach.
28 Jesus weiter: Wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet, dann werdet ihr erkennen, dass
ich es bin und nichts von mir selber tue, sondern, wie mich der Vater gelehrt hat, so rede ich.
29 Und der mich gesandt hat, ist mit mir. Er lässt mich nicht allein; denn ich tue allezeit, was
ihm gefällt.
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An dieser Stelle endet der Dialog, jetzt redet nur noch Jesus allein. Er spricht von seiner Verbindung zu Gott, seinem Vater. Und die anderen hören zu – vielleicht sind einige auch Kopf schüttelnd gegangen, sicher sind aber auch etliche geblieben.
Heißt es doch im folgenden Vers: „Als er das sagte, glaubten viele an ihn“. Ich will diesen
Nachsatz nicht überbewerten. Er scheint doch zu simpel einfach redaktionell eingeschoben, um
die Bedeutung der Rede Jesu zu bestätigen.
Aber vielleicht so viel: Es gab Menschen, die ihm weiter zugehört haben. Ob sie ihn auf einmal
verstanden haben? Vermutlich nicht, aber sie haben ihm, seinen Worten eine Chance gegeben,
so dass überhaupt erst einmal die Möglichkeit gegeben war, dass Jesu Worte sie erreichen können.
Vielleicht haben die Zuhörenden gespürt, dass da mehr ist, als was Menschen begreifen können.
Vielleicht haben sie gespürt, dass dieser Mann von etwas spricht, das höher ist als ihre Vernunft und das auf etwas Größeres hinweist.
Vielleicht auch gerade deswegen, weil Jesus von sich auf den Vater zeigt; und sich nicht selbst
weiter zum Zentrum macht, wie es Menschen sonst gerne tun.
Jesus spricht von dem Gott, der Feindschaft überwinden kann, der die Liebe ist, der Hass und
Trennung überwinden kann.
Damit öffnet Jesus ein Fenster der Verständigung. Indem er sich in dieser Szene selbst ins Wort
fällt, schafft er neue Möglichkeiten für eine gelingende Kommunikation.
Auf der einen Seite sagt Jesus „Ich bin es.“, er stellt seinen absoluten Wahrheitsanspruch in den
Mittelpunkt.
Dabei bleibt es aber nicht. Denn diese zentrale Aussage kann nur in Zusammenhang gesehen
werden mit Gottes Handeln in Kreuz und Auferstehung.
Wenn wir ernst nehmen, dass wir sagen, „Jesus ist am Kreuz zur Vergebung der Sünden gestorben“, dann müssen wir auch ernst nehmen, das Gott damit die Sünde aller Menschen trägt –
unsere eigene und die der anderen.
Wenn wir ernst nehmen, was Paulus im Römerbrief schreibt (wir haben es als Epistel heute gehört, und es ist der Wochenspruch), dann gilt Gottes Heilstat nicht exklusiv für uns, sondern
auch für die anderen:
„Gott aber erweist seine Liebe darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder
waren.“
Mit anderen Worten: Christus ist für uns gestorben, als wir noch nichts von Gott wussten, als
wir noch keine Beziehung zu Gott hatten.
Durch Jesus Reden und Handeln, durch Kreuz und Auferstehung wird ein Fenster der Verständigung, des gelingenden Gesprächs geöffnet.
Was braucht es nun dafür, damit wir dieses Fenster nicht schnell wieder zuschlagen? Es
braucht Respekt, Offenheit und echtes Interesse am Gegenüber.
Provokation, Abgrenzung und Vorurteile sind da fehl am Platze.
Hinhören, Nachfragen – darum geht es.
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Erst wahrnehmen, das Wahrgenommene ernstnehmen und dann urteilen und Urteile in Frage
stellen.
Gottes Liebe, Offenheit und Toleranz, auf der der christliche Glaube basiert, muss für uns der
Leitfaden sein. Ob es gelingen kann?
Liebe Schwestern und Brüder,
Jesus ist die Wahrheit der Liebe Gottes für alle Menschen.
Nur liegt es glücklicherweise nicht in unserer Hand, ob sie sich auch allen Menschen erschließt;
immer und überall.
Ob sich die Liebe Gottes, die in Jesus Mensch geworden ist, den Menschen zeigt und sie es
dann erkennen und in welcher Art und Weise das geschieht, das liegt allein in Gottes Hand.
Sein Geist weckt den Glauben - in Formen und Farben, die wir - so glaube ich - noch gar nicht
erahnen können.
Liebe Schwestern und Brüder,
worauf wir vertrauen können ist dies:
Auch Gott hat eine Liste; eine Liste des Lebens und der Liebe.
Und wenn wir dann Gott fragen: „Du, stehe ich auf deiner Liste des Lebens?“ und er sagt dann:
„Ja, auch du stehst auf dieser Liste.“, dann verderben wir es nicht durch unser Geplapper, sondern halten einfach mal den Mund und leben danach.
Amen.
1
Anregungen verdankt der Autor dem Beitrag in den Predigtstudien 2012/2013, hg. v. W. Gräb u.a., Freiburg 2012,
S. 146-155.

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