AMOK Diskussionsunterlagen

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AMOK Diskussionsunterlagen
A.M.O.K.
Du spielst keine Rolle mehr.
Diskussionsunterlagen
Ein Projekt der neuebuehnevillach in Zusammenarbeit mit
den Villacher Schulen HTL, CHS und der HS1 im Rahmen der
Initiative "Macht I schule I theater" des BMUKK, 2011
A.M.O.K. Du spielst keine Rolle mehr
Ein Theaterprojekt "in progress" der neuebuehnevillach in Kooperation mit den
Villacher Schulen HTL, dem CHS und der HS1 Auen
Im Rahmen von "Macht I schule I theater" - einer österreichweiten Theaterinitiative
vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur gemeinsam mit KulturKontakt
Austria und Dschungel Wien
Nachdem die Besucherzahlen und Einschaltquoten der Unterhaltungsindustrie
drastisch gesunken sind, wird ein vollkommen neues, alle bisherige Grenzen von
Moral und Vernunft überschreitendes, neues Format präsentiert, eine neue Show
- die ultimative Show. Dabei wird die Perversion moderner Fernsehunterhaltung
offenbart.
Reizüberflutung trifft Ästhetik, Material aus Film- und Fernsehgeschichte werden
eingebunden. Rasend schnelle Schnitte.
Amok stand am Anfang als Begriff, der in der Gesellschaft immer wieder
herangezogen wird, wenn es darum geht auf die zunehmende Verrohung "der
Jugend" hinzuweisen. "A.M.O.K." hat aber letztlich nur entfernt etwas mit
amoklaufenden Jugendlichen zu tun.
In diesem Theaterprojekt wird der Begriff weiter gefasst als Zustand des
Kontrollverlustes, mit dem man sich vielleicht konfrontiert sieht, in einem
Umfeld von zunehmender Komplexität, von andauernden Einflüssen, von
Einflüsterungen durch Werbebotschaften und Massenmedien.
A.M.O.K. ist eine Mischung aus Theater- und Filmprojekt, ein Work in Progress,
in dem die SchülerInnen selbst in hohem Maße an der Idee, den Kostümen, der
Bühne und dem ganzen Ablauf beteiligt sind. Präsentiert wird an den Abenden
nicht nur ein entstandenes Stück sondern auch die Dokumentation eines
Arbeitsprozesses mittels einer Ausstellung, bei dem die Gedanken der
Jugendlichen im Mittelpunkt stehen.
Premiere: 29. April 2011 in der HTL Villach
Weitere Spieltermine: 09.-13.Mai
Regie & Autor Clemens Lukas Luderer
Es spielen Edis Colic, Maria Essl, Christina Knapp und Katharina
Marchetti
Regieassistenz Philip Kandler
Dramaturgie und Projektleitung Martin Dueller
Hauptplatz 10, PF 214, A-9500 Villach Tel.: ++43-(0)4242-287164 Fax: ++43-(0)4242-287164-14 Mobil: ++43-(0)699-11074783
Web: www.neuebuehnevillach.at Intendanz: Michael Weger
Clemens Lukas Luderer aufgewachsen in Österreich, Deutschland und der Schweiz.
Besuchte mehrere Schulen in Österreich und der Schweiz, bevor er mit 19 seinen
ersten Film produzierte, für den er mit dem "Gold Special Jury Award" beim World
Festival in Houston / Texas für den besten ausländischen Kurzfilm ausgezeichnet wurde.
Danach diverse Arbeiten in der Filmbranche. Autor, Regisseur und Schauspieler für die
Produktion "Fegefeuer" des klagenfurter ensemble. Filmproduktionen in Frankreich,
Spanien und Deutschland als Schauspieler. 2008 als freier Autor in der Schweiz tätig.
Seit 2009 wieder in Österreich. Kontakt: Telefon: 0676 9041444 //
[email protected]
Martin Dueller aufgewachsen in Villach. Ab 2000 Arbeit als Betreuer und Leiter
künstlerischer Projekte im Jugendzentrum Donaustadt, Wien. Ab 2004 Besuch des
Workshops „TheaterSchreiben“ am Burgtheater unter der Leitung von David Spencer,
2005 Fortgeschrittenenworkshop am Burgtheater unter der Leitung von Bernhard
Studlar. Journalistische Tätigkeit für "thegap" und verschiedene Online-Magazine bis
2006. Erstellung von Homepages und Werbemitteln für verschiedene Projekte. Danach
Rückkehr nach Villach. Journalistische Arbeiten für "Die Brücke", "Kleine Zeitung" und
"KTZ". Seit Anfang 2008 Dramaturg der neuebuehnevillach, weiters Durchführung des
Jugendkreativprojekts „LOCAL T“ im Villacher Jugendjahr Jugendjahr 2008. Regie bei
"ALIENce", Macht | schule | theater 2008/2009. Diverse Veröffentlichungen von
Prosatexten in Zeitschriften, szenische Lesungen. Streetart-Projekte. Gründer des
theatralen Kollektivs "A.C.M.E.". Kontakt: Telefon: 0699 11882702 //
[email protected]
Bei Fragen und für weitere Informationen:
Martin Dueller
0699-11074783
[email protected]
Clemens Lukas Luderer
0676-9041444
[email protected]
Das Thema Amok bzw Amoklauf bekam im letzten Jahrzehnt traurigerweise enorme Präsenz.
Sogenannte "school shootings" schockierten die Welt und brachten eine Welle an medialer
Berichterstattung hervor, die letzlich immer oft nur die Schuldfrage auf andere Medien
schoben: Rockmusik (wie schon vor mittlerweile 60 Jahren), Computerspiele, "das Internet".
Diese sehr undifferenzierten Feststellungen fragten aber sehr selten danach, wie es möglich
ist, dass sich jugendliche Amokläufer Waffen beschaffen können. Im Fall des Amoklaufes von
Columbine haben an diesem Tag nicht nur millionen Menschen auf der Welt, die gleichen
Computerspiele gespielt, die auch die Amokläufer spielten und die gleiche Musik gehört, die
auch die Amokläufer hörten - es war auch der Tag, an dem Amerika eine der schwersten
Angriffe im Kriegsgebiet Irak starteten. Ein Zusammenhang zwischen den kriegerischen
Handlungen Amerikas und dem Amoklauf lässt sich ebensowenig oder -viel herstellen, wie
ein Zusammenhang zwischen Amoklauf und Musikgeschmack oder Freizeitgestaltung.
Was aber sehrwohl von Bedeutung und Gegenstand von Diskussionen sein kann, ist der
Umstand, dass neue Medien neue Kompetenzen erfordern. Im Falle der sogenannten neuen
Medien sehen sich Pädagogen damit konfrontiert, dass sich die Kompetenzen verschoben
haben. Jugendliche wachsen mit Medien auf, die für Menschen, welche diese Medien nicht
als Teil ihrer Lebenswirklichkeit betrachten oder mit diesen (auf)gewachsen sind, noch ein
Rätsel darstellen und teilweise von diesen immer noch mit Argwohn betrachtet werden, wie
auch das Phänomen Rockkonzert oder "Fantum" für Außenstehende befremdlich wirkt.
Es geht nicht darum den Mediumkonsum als Ganzes oder einzelne Medien wie
Computerspiele im Besonderen zu verteufeln, sondern vielmehr zu akzeptieren, dass diese
nicht eine alternative Realität darstellen, in die jemand eintaucht, sondern vielmehr dass
diese Medien Teil der Lebensrealität von (jungen) Menschen sind. Auch diese Feststellung ist
diskussionswürdig und kann angezweifelt werden.
"Keep everyone afraid and they will consume" (Marilyn Manson)
Das beste Beispiel ist allerdings die Werbung. Der "moderne Mensch" sieht sich täglich mit
ca. 6000 Werbebotschaften konfrontiert, niemand würde anzweifeln, dass diese Teil der
Lebensrealität der Menschen sind, dennoch sind sie es eigentlich, nämlich real, denn die
Zahnpasta, die in der Werbung verspricht die Zähne weiss zu machen, funktioniert im
Badezimmer eigentlich gleich wie jede andere Zahnpasta.
Aber genau diese Überlegungen zu Realitäten (sic!), mit denen man sich konfrontiert sieht,
stehen im Mittelpunkt von A.M.O.K. - und eben nicht ein "Amoklauf". Es geht darum, wie
Menschen ihre Realität wahrnehmen und schließlich auf einer philosophischen Ebene, wie
Menschen und in diesem Fall besonders Jugendliche ihre Realität und schließlich sich
wahrnehmen. An welchem Punkt erlebt man eine derartige Überforderung, dass man die
Kontrolle verliert? Und was löst die Überforderung aus?
Im folgenden finden Sie verschiedene Artikel, Unterlagen und Informationen, die Teil der
Überlegungen zum Theaterstück "A.M.O.K." sind.
Begriffsdefinition
Amok (malaiisch: meng-âmok ‚in blinder Wut angreifen und töten‘) ist eine psychische
Extremsituation, die durch Unzurechnungsfähigkeit und absolute Gewaltbereitschaft
gekennzeichnet werden kann.
Heute bezeichnet der Begriff meist eine plötzliche, willkürliche, nicht provozierte
Gewaltattacke mit erheblich fremdzerstörerischem Verhalten mit darauffolgender
Erinnerungslosigkeit und Erschöpfung und teilweisen Umschlag in selbstzerstörerische
Reaktionen. Täter, die in einer solchen Ausnahmesituation Straftaten begehen können,
nennt man Amokläufer oder auch Amokschützen, falls sie Schusswaffen gebrauchen,
oder Amokfahrer, falls sie Fahrzeuge einsetzen.
Quelle: Wikipedia
Definitionen
Im DSM-IV wird Amok in den Rubriken Dissoziative Störungen und Störungen der
Impulskontrolle aufgeführt, im Glossar kulturabhängiger Syndrome wird Amok als „eine
dissoziative Episode, die durch eine Periode des Grübelns charakterisiert ist, auf die ein
Ausbruch gewalttätigen, aggressiven oder menschengefährdenden Verhaltens folgt, das
sich auf Personen und Objekte richtet“ definiert.
(...)
Begriffsgeschichte
Ursprünglich war Amok keine private Einzeltat, sondern im Gegenteil eine im
indonesischen Kulturkreis kriegerische Aktion, bei der einige wenige Krieger eine
Schlacht dadurch zu wenden versuchten, indem sie ohne jegliche Rücksicht auf Gefahr
den Feind blindwütig attackierten. Dieses Muster findet sich auch beim Berserker.
Im 17. bis zum 19. Jahrhundert erreichte der Begriff den westlichen Kulturkreis. Dies
geschah insbesondere durch europäische Berichterstatter, beispielsweise durch Captain
Cook, wurde aber weiterhin mit der malaiisch-indonesischen Kultur in Verbindung
gebracht. Im westlichen Sprachgebrauch erfuhr die Bezeichnung bis heute eine
erweiterte Bedeutung und ist inzwischen bedeutungsgleich für jegliche Art blindwütiger
Aggression mit oder ohne Todesopfer.
Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts glaubte man, dass Amokläufer nur im Vollrausch
ihre Tat begingen. In Meyers Konversations-Lexikon aus dem Jahr 1888 heißt es dazu:
„Amucklaufen (Amoklaufen, vom javan. Wort amoak, töten), eine barbarische Sitte
unter mehreren malaiischen Volksstämmen, zum Beispiel auf Java, besteht darin, dass
durch Genuss von Opium bis zur Raserei Berauschte, mit einem Kris (Dolch) bewaffnet,
sich auf die Straßen stürzen und jeden, dem sie begegnen, verwunden oder töten, bis
sie selbst getötet oder doch überwältigt werden.“
– Meyers Konversationslexikon, 4. Auflage
Der Begriff Amoklauf erfuhr eine Bedeutungsveränderung, da er für Taten benutzt wird,
die keinesfalls spontan erfolgen, sondern geplant und gelegentlich auch durch
sogenannte Leakings angekündigt werden können. Unterschieden werden zudem zwei
Formen von Gewalttaten, die als Amokläufe bezeichnet werden: die rein
fremdgerichtete Aggression und der erweiterte Suizid.
School Shooting
In vielen wissenschaftlichen Veröffentlichungen hat sich für schulbezogene Amoktaten
der Begriff School Shooting durchgesetzt, wenngleich nicht alle Taten mit Schusswaffen
oder jede Schießerei auf Amoktaten zurückzuführen sind. Mit diesem Begriff werden
Tötungen und Tötungsversuche in einer schulischen Einrichtung von Jugendlichen
bezeichnet, welche in einem direkten Bezug zu dieser Einrichtung begangen werden.
Dieser Bezug kann sich in der Wahl der Opfer, insbesondere auch nach ihrer Funktion
in der entsprechenden Bildungseinrichtung äußern. Amokläufe bzw. Massenmorde an
Schulen und schwere zielgerichtete Gewalttaten an Schulen werden häufig synonym
verwendet, müssen jedoch qualitativ unterschieden werden.[7] In Medien ist häufig
auch von Schulmassakern die Rede.[8]
Vorstadium
Zunächst erfolgt das Vorstadium eines mehr oder weniger langen Brütens und Grübelns.
Dem potenziellen Täter erscheint sein Umfeld zusehends undurchdringlich, seine
Sichtweise der Welt verdunkelt sich mehr und mehr, er isoliert sich selbst, vor allem
bezüglich seiner sozialen Kontakte und zieht sich weitgehend aus der Welt zurück, die
für ihn immer bedrohlichere Züge annimmt. Die erlernten Anpassungsmechanismen
zerfallen allmählich, soziale und psychische Desintegration vermischen sich und setzen
einen Regressionsprozess in Gang.
Tat
Unmittelbar der Tat voraus geht ein Wutanfall, der sich dann in einer Reihe von
Tötungshandlungen ohne ersichtliches Motiv entlädt. Dabei wird der Blick des
Amokläufers starr, er reagiert kaum auf andere Reize, ist nicht mehr ansprechbar.
Während der Tat ist die Impulskontrolle ausgeschaltet, der Täter befindet sich in einem
Zustand der inneren Leere. Diese Phase wird auch die „Tötungsphase“ genannt, die in
der Regel nicht länger als 15 bis 20 Minuten dauert, in der der Täter aber nicht
ansprechbar oder zu überzeugen ist.
Abschluss
Der Täter befindet sich danach oft in einem Zustand der Amnesie und Erschöpfung oder
zeigt selbstzerstörerisches Verhalten bis hin zum Selbstmord. Statistisch gesehen töten
sich 27 Prozent der Täter selbst, in 16 Prozent der Fälle werden sie getötet, wobei nicht
ausgeschlossen werden kann, dass eine Absicht zum suicide by cop – die
selbstmörderische Absicht, sich von der Polizei erschießen zu lassen – bestehen kann.
Behandlung in der Literatur
Stefan Zweig schildert in seiner Novelle Der Amokläufer das Verhalten eines Arztes in
einer psychischen Grenzsituation als amokähnlichen Zustand. Ebenfalls zu den
Klassikern jener Literatur, die sich mit Amokläufen beschäftigt, ist die novellistische
Studie „Bahnwärter Thiel“ (erschien 1888) von Gerhard Hauptmann. Auch schrieb
Morton Rhue in seinem Roman Ich knall euch ab!, welcher 2002 erschien, über einen
fiktiven Amoklauf an einer amerikanischen High School. Durch die Schilderung aus der
Sicht der zwei Amokläufer versuchte Rhue die Motivation hinter einer solchen Tat
greifbar zu machen. Der Autor Manfred Theisen rückte 2005 in seinem Roman
„Amok“ (2005) erstmals einen deutschen Schul-Amokläufer in den Mittelpunkt seines
Romans. Dabei lehnte er sich an den Amoklauf von Erfurt an und erzählte das
Geschehen aus der Ich-Perspektive des Täters.
Literatur
•
Lothar Adler: Amok: Eine Studie. Belleville, München 2000 • Richard Albrecht:
Nur ein „Amokläufer“ ? – Sozialpsychologische Zeitdiagnose nach „Erfurt“. In: Recht
und Politik, 38 (2002) 3, 143-152 ([17] )
•
Mark Ames: Going Postal. Rage, Murder and Rebellion in America, Softskull Press
New York 2006, Snowbooks London 2007; Rezension: dradio.de, Deutschlandfunk,
Büchermarkt, 27. März 2009, Uli Hufen: Amoklauf als
Zeichen der Rebellion [18] (2. November 2010)
•
Nils Böckler, Thorsten Seeger: Schulamokläufer: Eine Analyse medialer TäterEigendarstellungen und deren Aneignung durch jugendliche Rezipienten. Juventa,
Weinheim und München, 2010 •
Heiko Christians: Amok. Geschichte einer
Ausbreitung. Aisthesis Verlag 2008, 301 Seiten, ISBN
978-3-89528-671-1
•
Götz Eisenberg: Amok – Kinder der Kälte: über die Wurzeln von Wut und Hass .
Rowohlt-Taschenbuch, Reinbek
bei Hamburg 2000
•
Götz Eisenberg: Damit mich kein Mensch mehr vergisst: Warum Amok und
Gewalt kein Zufall sind. Pattloch,München 2010
•
Elsa Pollmann: Tatort Schule. Wenn Jugendliche Amoklaufen. Tectum Verlag,
Marburg 2008
•
Jasmin Seiwert: "Die Bühne der Amokläufer. Mediale Selbstdarstellung der Täter in
Internet und TV". Marburg, 2010, 136 S.
Weblinks
•
Amok – Begriff und Geschichte [19] auf der Psychiater-Website „Psychosoziale
Gesundheit Net“ • Th. Knecht: Amok und Pseudo-Amok. [20] (PDF; 122 kB) –
Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie 150,
142–148 •
Jens Hoffmann Amok – ein neuer Blick auf ein altes Phänomen. [21]
(PDF; 203 kB) – Auszug aus dem Buch
Polizei & Psychologie (ISBN 3-935979-12-6) • Lothar Adler: Amok [22] – Vortrag im
Rahmen der Ringvorlesung der Universität Erfurt „Gewalt und Terror“,
2002 •
Amoktaten. [23] (PDF; 225 kB) – Forschungsüberblick unter besonderer
Beachtung jugendlicher Täter im
schulischen Kontext, Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle Analysen Nr.
3/2007
Dr. Rita Seitz
Psychologische Psychotherapeutin für Kinder, Jugendliche und Erwachsene
Angsterkrankungen bei Schülerinnen und Schülern –
Kindertherapeutische
Ansätze
und
pädagogische
Handlungsmöglichkeiten
Körperliche Angstsymptome: Beschleunigung der Pulsfrequenz, Anstieg des Blutdrucks,
Schweißausbrüche, Schwindel, Zittern, Atemnot, Harndrang
1.
Verschiedene Formen von Angst
Signalangst: nicht pathologisches Angstsignal als Warnsystem vor gefährlichen Situationen
Phobie: objektiv nicht begründete, gerichtete Angst vor einem konkreten Objekt (z.B. Hund, Spinne,
Schlange); oftmals wird ein Objekt gefürchtet, mit dem Betroffene sehr selten zu tun haben, etwa
Schlangen in deutschen Großstädten; Angst ist damit gerichtet und in gewissem Maß vorhersehbar;
Angstneurose: diffuse Angst (z.B. soziale Ängste); „etwas“ hat sich angesammelt und schlägt sich in
einem körperlichen Erregungszustand nieder; die diffuse Angst – beispielsweise sich ausgeliefert zu
fühlen – wird mit einer bestimmten Situation, die das Gefühl des Ausgeliefertseins stimuliert,
verknüpft; die betroffene Person hat dann beispielsweise Angst vor Plätzen, an denen sich viele
Menschen aufhalten. So ist die diffuse Angst organisiert und gerichtet.
Hypochondrische Ängste: Übertriebene Selbstbeobachtung und übertriebene Angst um den Körper
oder vor bestimmten Krankheiten, z.B. Herzneurose, Aids-Phobie; oftmals ziehen sich betroffene
Menschen aus der Beziehungswelt in die Körperwelt zurück; alles dreht sich nur noch um den Körper
und um Krankheiten und kränkende oder enttäuschende Beziehungssituationen können damit
„umgangen“ werden;
Bei Kindern und Jugendlichen können hypochondrische Ängste damit zu tun haben, eine neurotische
Auseinandersetzung mit der Erkrankung eines Elternteils zu sein: die Trauerarbeit über die
Beschädigung des elterlichen Körpers und die damit einhergehenden Gefühle von Schmerz, Trauer,
Wut und Angst können damit aufgeschoben oder vermieden werden.
Dr. Rita Seitz
www.praxisamschloss.de
Panikattacken: plötzlich auftretender Angstschub, der nicht an eine spezielle Situation gebunden ist
und auch nicht vorhersehbar ist; eventuell werden Panikattacken durch die unbewußte, plötzliche
Erinnerung an eine traumatisierende Situation hervorgerufen (z.B. misshandelter Mensch riecht auf
der Straße das gleiche Rasierwasser, das der Täter benützt hatte -> Panikattacke wird ausgelöst;
Generalisierte Angststörung: überdauernde, frei flottierende Angst vor sehr vielen Situationen und in
vielen Situationen; die Angst ist meist chronisch und die Teilhabe am Alltagsleben kaum mehr
möglich; eine strikte Angstbindung ist der geschwächten Psyche nicht mehr möglich und die Angst
bestimmt das Leben betroffener Menschen;
Psychotische Ängste: Ängste mit Realitätsverlust (z.B. von einem magischen bösen Blick getötet zu
werden)
Typische Ängste bei Kindern: Imaginäre Ängste vor Gespenstern, Hexen, Teufeln etc.
Ursache von Angsterkrankung
Angst entsteht durch den Mangel an haltenden und beruhigenden Beziehungen, vor allem an Schutz
und Sicherheit. Affekte und Konflikte können nicht ausgehalten und bearbeitet werden und das Kind
ist diffusen und bedrohlichen Gefühlen von Ausgeliefertsein, Vernichtung, Zerstörung, Kontrollverlust
oder Bedrohung ausgesetzt. Dadurch entsteht ein bedrohlicher oder beunruhigender psychischer
Zustand.
Um diesem diffusen Gefühl psychisch stand zu halten, „verschiebt“ das psychische System die Angst
beispielsweise auf ein Objekt oder eine Situation. Denn diese Situationen und Objekte können
vermieden werden, was das psychische System erst einmal entlastet.
Also: die diffuse Angst wird etwa auf Spinnen gerichtet, die ich mit dem Staubsauger einfach
aufsaugen kann. Oder der beunruhigende Wunsch „sich gehen zu lassen“, mobilisiert
Kontrollverlustängste, die in einer Agoraphobie gebunden werden können -> ich gehe nicht auf
Straßen und Plätze, damit ich mich nicht gehen lassen kann.
Je nach Lebensalter, psychischer Stärke und vorhandenen Hilfssystemen entwickelt sich eine mehr
oder weniger starke Angstsymptomatik.
Wichtig: Der angstneurotische Patient beantwortet Trennung oder Verlust nicht (so sehr) mit
seelischem Schmerz, sondern mit existenzieller Angst.
Dr. Rita Seitz
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2. Angstsituationen im schulischen Alltag
2.1 Schulphobie
Schulverweigerung wegen körperlicher Beschwerden (z.B. morgentliches Bauchweh, Kopfschmerzen)
und übermäßig enge Bindung an eine Bezugsperson. Die Kinder möchten zuhause bleiben, möchten
wegen ihrer Krankheit versorgt werden und sind “zu krank”, um die Schule zu besuchen. In einigen
Fällen weigern sich die Kinder auch, sich von der begleitenden Bezugsperson zu verabschieden und
klammern sich ängstlich an die Mutter. Zu dem schulphobischen Kind gehört fast immer eine Mutter,
die ihr Kind nicht gehen lassen kann. Dieser Vorgang ist unbewußt. Meist sind dies Mütter, die selbst
unsicher und versorgungsbedürftig sind, weshalb das Kind die Mutter nicht verlassen kann. Die
übermäßig enge Bindung zwischen Mutter und Kind läßt eine eigenständige Entwicklung des Kindes
nicht zu. Die Ursache von Schulphobien liegen selten im schulischen Umfeld, sondern meist in der
Familie.
Wichtig:
•
körperliche Symptome treten häufig nur morgens vor dem Schulgang auf, die Ferien und das
Wochenende sind meist symptomfrei
•
die ärztliche Abklärung ist ohne Befund
•
wenn die Eltern das Kind zum Schulbesuch zwingen und nicht mehr als “krankes Kind”
umsorgen, kommt es meist zu massiven Auseinandersetzungen und auch zu panikartigen
Angstzuständen
•
schulphobische Kinder sind oft begabte Schüler und haben kaum Schulleistungsstörungen
•
keine antisoziale Haltung wie bei Schulschwänzern
Wichtiger Bezugspunkt: Trennungsangst
Dr. Rita Seitz
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2.2 Schulangst
Angstneurotische Belastung bei Schülern. Schüler haben Angst vor bestimmten Lehrern, Fächern, aber
auch vor bestimmten sozialen Situationen in der Schule (z.B. Vorlesen, vor Gruppe sprechen,
Vorturnen, Kränkungen durch Mitschüler). Die Ursachen liegt meist in der psychischen Entwicklung:
schwache Bindungen und Beziehungen haben das Kind oder die Jugendlichen destabilisiert und
werden an bestimmte schulische Ereignisse gebunden. Diese beunruhigenden psychischen
Erfahrungen sind unbewußt und den Schülern nicht zugänglich.
Wichtig:
•
Auftreten physiologischer Angstsymtome während des Unterrichts
•
teilweise imposantes Vermeidungsverhalten
•
Angsterleben ist oft mit Schamgefühlen gekoppelt
•
bei schweren Angsterkrankungen ist der Besuch einer Regelschule manchmal nicht mehr
möglich
2.3 Prüfungsangst
Besondere Form der Angstneurose, bei der Schüler übermäßig stark Angst vor Leistungs- und
Prüfungssituationen haben. Betroffen sind hier eher gute Schüler, deren Prüfungsangst irrational ist, da
sehr schlechte Leistungen nicht zu erwarten sind. Etwa leiden betroffene Schüler und Schülerinnen
unter Schlaflosigkeit, Übelkeit vor der Prüfung, haben überdimensionale Angst alles Gelernte
vergessen zu haben oder haben Panikattacken unmittelbar vor der Prüfung. Falls die Schüler und
Schülerinnen trotzdem an der Prüfung teilnehmen, bestehen sie die Prüfung meist auch.
Bei Prüfungsängsten geht es meist nicht um die Angst vor der Prüfung, sondern um die Angst, was
nach der Prüfung kommt. Die Entwicklungshürde, z.B. nach dem Abitur zum Studium in eine andere
Stadt zu gehen und ein eigenes Leben als junger Erwachsener zu führen, ist so belastend, dass wegen
der Prüfungsangst die Prüfungssituation vermieden wird.
Ein weiterer typischer Schauplatz ist der Übertritt in eine weiterführende Schule: hier werden durch
die Angst vor der Übertrittsprüfung z.B. auch Rivalitätsängste vermieden, etwa mit den Eltern, die
“nur” einen niederen Schulabschluß haben und dies nicht verarbeiten können.
Dr. Rita Seitz
www.praxisamschloss.de
Wichtig:
-
bei Prüfungsangst ist sorgfältig zu unterscheiden, ob ein gefährdeter Schüler äußerst
beunruhigt auf zu erwartenden schulischen Misserfolg reagiert oder bei einem stabilen, guten
Schüler neurotische Prüfungsangst auftritt.
-
die Angst hat wenig mit den Prüfungsinhalten zu tun und überdimensionaler Lernaufwand
mildert die Angst oft nicht
-
oftmals fehlen prüfungsängstlichen Schülern und Schülerinnen wenig ängstliche Vorbilder,
bzw. zukunftsängstliche Eltern verschärfen die Dynamik, es gibt wenig Selbstverständnis,
dass es gar nicht so schwer ist eine Prüfung zu bestehen und sich dann weiterzuentwickeln
3. Umgang mit ängstlichen Schülern und Schülerinnen im pädagogischen
Alltag
3.1
Trennungsängstliche Kindern
-
Eltern sind Ansprechpartner der Intervention; zeitnahe Beratung der Eltern zur Vorbeugung
der Chronifizierung der Angsterkrankung;
-
sich auf Enttäuschung und Wut der meist sehr bedürftigen Eltern gefasst machen;
-
trennungsängstliche Mütter oder Väter gehören nicht in den Unterricht, so wird die Angst vor
der Trennung nur noch dramatisiert und sozial verzerrt;
-
dem trennungsängstlichen Kind in der Schule beistehen, jedoch nicht zum unverzichtbaren
mütterlichen Ersatzobjekt für das Kind werden; Halt und Sicherheit bieten, aber nicht das
Kind „adoptieren“; Hilfsangebote der Mitschüler nützen;
-
manchmal kann sich das Kind durch ein diskretes Übergangsobjekt beruhigen, z.B. ein kleines
Stofftier, ein Foto der Familie o.ä.; schützen Sie das Kind jedoch vor dem Spott der Klasse;
-
achtsam mit Ratschlägen umgehen, welche das Vermeidungsverhalten der Familie noch
ausbauen könnten;
3.2
Schulängstliche Kinder und Jugendliche
-
bei sehr schwerer Symptomatik ist kinderpsychiatrische Diagnostik, bzw. in besonderen
Fällen Medikation oder auch stationäre Unterbringung zu prüfen; Medikamente, besonders
Psychopharmaka, nur nach Verordnung durch den Facharzt;
Dr. Rita Seitz
www.praxisamschloss.de
-
bei auffälliger, andauernder Symptomatik Information der Familie, bzw. des Jugendlichen mit
Hinweisen auf ärztliche oder therapeutische Anlaufstellen, schulpsychologische Betreuung
etc.
-
angstneurotische Persönlichkeitsstrukturen entwickeln sich selten zurück, indem ängstliche
Menschen ungeschützt zur Angstüberwindung gezwungen werden. Dies verschärft die
Angstsymptomatik eher und steigert das Vermeidungsverhalten. Vielleicht kann es gelingen,
passende Hilfestellungen zu geben, dass ein Schüler/eine Schülerin die Angst vor der
gestellten Situation oder Aufgabe aushalten oder überwinden kann.
-
beruhigen Sie einen ängstlichen Schüler und helfen Sie, mit den körperlichen Symptomen
umzugehen (z.B. langsam atmen).
-
bei Schülern und Schülerinnen mit sozialen Ängsten droht ein überwältigendes Gefühl von
Kontrollverlust. Eventuell kann es hier wichtig sein, dass der betroffene Schüler den
Unterricht kurz in Begleitung verlässt, dann aber wieder in die Klasse kommt und mit
Hilfestellung die Aufgabe noch einmal versucht.
-
zwingen Sie niemanden, eine gestellte Aufgabe unter allen Umständen erledigen zu müssen,
bzw. drohen Sie nicht sadistisch. Falls ein ängstlicher Schüler/eine ängstliche Schülerin eine
Aufgabe nicht erledigen kann, ist es in besonderen Fällen möglich, eine Ersatzaufgabe zu
stellen (z.B. Referat schriftlich abgeben, nur vor dem Lehrer halten) oder über die Freistellung
von der Benotung zu beraten.
-
informieren Sie betroffene Schüler rechtzeitig über ihre Befremdung, sprechen Sie auffälliges
Vermeidungsverhalten oder heftige Angstsymptome an und versuchen Sie Ihren Ärger in
Grenzen zu halten. Versuchen Sie mit den Schüler/der Schülerin über mögliche Konsequenzen
zu beraten und tragen Sie dazu bei, dass nicht wieder eine Situation von Haltlosigkeit und
Kontrollverlust entsteht. Machen Sie Schülern
Mut, eigene Konfliktlösungsstrategien zu
benennen und zu erproben.
-
gehen Sie bei hypochondrischen Schülern eher weniger auf die geschilderte Symptomatik ein.
Verweisen Sie auf die Abklärung beim Arzt und lassen Sie sich nicht in die aufgeregten
Welten drohender körperlicher Erkrankungen ziehen. Zurückhaltende Anerkennung der Angst
und beruhigender Halt sind meist effektiver als Notarzteinsätze, ständig herbeigerufene Eltern
oder ein Schüler, der einsam im Krankenzimmer der Schule bibbert.
-
trauen Sie Ihrem Gefühl, – eventuell nach kollegialer Beratung – ob ein Schüler tatsächlich
Angst hat und passende pädagogische Hilfestellungen braucht oder, ob es sich um ein
„hysterisches“ Verhalten handelt, mit dem jemand seinen Geltungsdrang zeigen möchte;
Dr. Rita Seitz
www.praxisamschloss.de
3.3
Prüfungsangst
-
gehen Sie nicht zu sehr auf die Prüfungsinhalte ein, sondern ermutigen Sie betroffene Schüler
und Schülerinnen, über die Zeit nach der Prüfung nachzudenken. Welche Vorstellungen hat
ein Schüler/eine Schülerin von der Zeit im Gymnasium, nach dem Abitur etc.?
-
verweisen Sie darauf, dass die meisten Schüler und Schülerinnen Abschlussprüfungen
tatsächlich bestehen und, dass nach der Prüfung etwas spannendes Neues beginnen kann.
Eventuell könnten Sie sich als Vorbild anbieten. Möglicherweise könnten die Risiken und
Chancen der Zeit nach der Prüfung benannt werden.
-
ermuntern Sie betroffene Schüler und Schülerinnen, wenigstens zu erscheinen und die Prüfung
zu versuchen. Auch Jugendlichen und jungen Erwachsenen helfen oft banale Hilfsmittel, um
sich der drohenden Angst zu stellen und zu zeigen, was sie können (Cola mitnehmen für
Kreislaufkollapse, Glücksbringer, Schokolade, Lieblingsbleistift). Verweisen Sie auf Ihre
Erfahrungen, dass Prüflinge fast nie in körperlichen oder psychischen Ausnahmezustand
kommen.
-
falls
Sie
während
einer
Prüfung
einen
Schüler/eine
Schülerin
mit
ernsthaften
Angstsymptomen zu betreuen haben, versuchen Sie Kontakt aufzunehmen, zu beruhigen,
eventuell kleine gemeinsame Atemübungen zu machen oder zum kurzen Durchatmen am
Fenster zu ermuntern.
-
wer wirklich Angst vor einer nicht bestandenen Prüfung haben muss, sollte rechtzeitig vorher
über geeignete andere Möglichkeiten informiert werden und eventuell passende Anleitungen
zur Prüfungsvorbereitung bekommen (Prüfungsaufgaben, Verweise auf Nachhilfe- oder
Fördermöglichkeiten, Übungen zu Arbeiten unter Zeitdruck etc.).
Mögliche AnsprechpartnerInnen für Kinder, Jugendliche oder Eltern:
z.B.:
•
Schulpsychologische Beratungsstelle
•
BeratungslehrerInnen
•
Kinder- und JugendärztInnen
•
Beratungsstellen für Kinder, Jugendliche und Eltern bzw. Erziehungsberatungsstellen
•
Kinder- und JugendlichentherapeutInnen (Adressen bei Krankenkassen, Gesundheitsamt oder
Kassenärztlicher Vereinigung, bzw. Telefonbuch)
•
Kinder- und JugendlichenpsychiaterInnen
•
Ambulanzen der Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie, bzw. Kinderzentrum
Dr. Rita Seitz
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Literatur:
-
Ermann, M. (1997): “Psychotherapeutische und psychosomatische Medizin”; Suttgart,
Kohlhammer
-
Heinemann, E., Hopf, H. (2001): “Psychische Störungen in Kindheit und Jugend”; Stuttgart,
Kohlhammer
-
Nissen, B (Hg.) (2003): „Hypochondrie“; Gießen; Psychosozial Verlag
-
Remschmidt, H. (1997): “Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter”; Stuttgart, Thieme
-
Schoenhals Hart, H. (2006): “Angstneurose heute”; in: Psyche, Heft 3, S. 193-214, Stuttgart,
Klett-Cotta
Dr. Rita Seitz
www.praxisamschloss.de
Gerhard Tulodziecki
"Medienkompetenz als Aufgabe von Unterricht und Schule"
Einleitung
Ich beginne meine Ausführungen mit einem Untersuchungsergebnis aus einer Fallstudie, die
wir kürzlich mit Schülerinnen und Schülern einer kleinen Regelschule in Schmiedefeld durchgeführt haben. Dabei haben wir 15- bis 16-jährigen Schülerinnen und Schülern einzelne
Satzanfänge vorgegeben, die von Ihnen ergänzt werden sollten. Einer der Satzanfänge
lautete:
Wenn ich entscheiden soll, ob eine Nachricht glaubwürdig ist, achte ich auf folgenden Punkte:
Dieser Satzanfang führte u.a. zu folgenden Äußerungen der Schülerinnen und Schüler:
• ob andere diese Nachricht auch senden.
• da fällt mir nichts ein.
• ob sie logisch klingt.
• weiß ich nicht.
• ob Beweise wie Fotos da sind.
• weiß nicht, ich vertraue meinem Instinkt.
• von wo kommt sie; wie oft wird sie gesagt, wo ist sie noch.
• meine weibliche Intuition.
Dies Äußerungen deuten an, dass es bei einzelnen Schülerinnen und Schülern zwar sinnvolle Ansätze gibt, ein Großteil der Schülerinnen und Schüler jedoch kaum über angemessene Vorstellungen verfügt, welche Möglichkeiten es gäbe, die Glaubwürdigkeit einer Nachricht
zu prüfen.
Dabei wurden diese Äußerungen von Schülerinnen und Schülern einer Schule gemacht, in
der relativ häufig mit Medien gearbeitet wird. Dies legt eine erste Schlussfolgerung nahe:
Offenbar reicht die bloße Nutzung von Medien noch lange nicht, um zu einer angemessenen
Einschätzung von medialen Aussagen zu gelangen. Gerade die Fähigkeit zur Einschätzung
medialer Aussagen wäre - neben anderem - jedoch ein wichtiges Kennzeichen von Medienkompetenz.
Damit stellt sich die Frage, was in einer Schule, in der Medien - gegebenenfalls sogar intensiv - genutzt werden, getan werden muss, um den Schülerinnen und Schülern den Erwerb
von Medienkompetenz zu ermöglichen.
Bei der Bearbeitung dieser Frage gehe ich von zwei Bezugspunkten aus:
(A) Aus den Entwicklungen im Bereich der Medien bzw. der Informations- und Kommunikationstechnologien ergeben sich drei wichtige Anforderungen an Schulen:
• Schulen sind gefordert, die mit den Medien verbundenen Möglichkeiten einer Verbesserung von Lehren und Lernen zu nutzen.
• Schulen müssen verschiedene Erziehungs- und Bildungsaufgaben im Bereich von Medien
bzw. Informations- und Kommunikationstechnologien wahrnehmen.
Schulen
sind gehalten, bedingungsgerechte medienpädagogische Konzepte zu ent•
wickeln.
Vortrag im Rahmen der Fachtagung „Medienkomptenz“ des BLK-Modellversuchsprogramms SEMIK
(Systematische Einbeziehung von Medien, Informations- und Kommunikationstechnologien in Lehr- und
-1Lernprozesse) am 8. Mai 2001
Nach diesen drei Aufgaben werde ich im Folgenden meine Ausführungen strukturieren und
dabei die Frage erörtern, in welchem Zusammenhang diese Aufgaben mit der Zielvorstellung
der Medienkompetenz stehen.
Bevor ich damit beginne, möchte ich jedoch noch meinen zweiten Bezugspunkt offen legen:
(B) Mediennutzung und Medienkompetenz als Aufgaben der Schule müssen sich in den allgemeinen Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule einfügen. Dieser Erziehungs- und Bildungsauftrag lässt sich auf der Basis bildungspolitischer Entwürfe und didaktischer Diskussionen durch vier Leitideen oder Richtziele beschreiben. Diese sind ein sachgerechtes Handeln, ein selbstbestimmtes Handeln, ein kreatives Handeln sowie ein sozialverantwortliches
Handeln in einer offenen und pluralen Gesellschaft. Diese Leitideen oder Zielvorstellungen
werden durch die Entwicklungen im Bereich der Medien bzw. Informations- und Kommunikationstechnologien in besonderer Weise unterstrichen:
• Die Leitidee sachgerechten Handelns ist angesichts der Gefahr wichtig, dass Medien verzerrte Vorstellungen über die Realität hervorrufen können. Fragt man z. B. Kinder, was
ihnen zum Thema „Polizei“ einfällt, so reagieren sie mit Begriffen wie „Mord, Totschlag,
Vergewaltigung“. Bei Erkundungen in einer Polizeidienststelle sind sie dann völlig überrascht, dass Polizisten nicht ständig schießen, sondern häufiger vor einer Schreibmaschine sitzen, Protokolle schreiben und sogar die Rechtschreibung beherrschen müssen
(vgl. Lewers 1993).
• Die zweite Dimension, die Befähigung zu selbstbestimmtem Handeln ist als erzieherisches Ziel angesichts möglicher Fremdbestimmung durch Medieneinflüsse ebenfalls von
großer Bedeutung. Um diese Fremdbestimmung zu erkennen, muss man sich nur vergegenwärtigen, in welcher Weise die Medien die Freizeit vieler Jugendlicher beeinflussen von der Notwendigkeit, bestimmte Hits, Musikgruppen oder Fernsehserien zu kennen, um
„in“ zu sein, bis zu „Zwängen“, die gegebenenfalls von einem gerade auf den Markt gekommenen Computerspiel ausgehen.
• Die dritte Leitidee - das kreative Handeln - ist in besonderer Weise wünschenswert, um
einen Gegenpol zur rezeptiven Mediennutzung mit der Gefahr bloßen Medienkonsums zu
bilden.
• Schließlich muss sozialverantwortliches Handeln - als vierte Leitidee - als bedeutsam
angesehen werden, um einer unreflektierten Übernahme ich-bezogener, hedonistischer,
vielleicht sogar aggressiver Verhaltensmuster, wie sie teilweise in den Medien präsentiert
werden, entgegenzuwirken.
Aber nicht nur um Gefährdungen durch den Mediengebrauch gegenzusteuern, sondern vor
allem auch um die Chancen der Medien nutzen zu können, sind die genannten Zieldimensionen wichtig: Medien können umso angemessener für Information und Wissensaneignung,
für Spiel und Unterhaltung, für Problemlösung und Entscheidungsfindung, für Kommunikation
und kulturelle Zwecke eingesetzt werden, je stärker die Zieldimensionen ausgeprägt sind.
Auf der Basis der damit erläuterten Bezugspunkte - der Anforderungen an die Schule
angesichts der Medienentwicklungen sowie der Leitideen bzw. des allgemeinen Erziehungsund Bildungsauftrags der Schule - gehe ich nun der Frage nach einer Umsetzung des
Konzepts von Medienkompetenz nach. Dabei werde ich das Konzept der Medienkompetenz
nicht vorab in akademischer Weise definieren, sondern es im Kontext der genannten
Aufgaben entwickeln.
-2-
1
Medienkompetenz im Zusammenhang der Nutzung von Medien für Lehren
und Lernen
Schulisches Lernen unterscheidet sich von alltäglichem Lernen in der Regel dadurch, dass
die für das Lernen notwendige Anforderung nicht aus einer unmittelbar gegebenen Lebenssituation erwächst, sondern als unterrichtlicher Anstoß gestaltet werden muss. Dies bedeutet,
dass Lernen durch Aufgaben angeregt werden sollte, die ein Bedürfnis ansprechen und damit zu einem Spannungszustand führen, der in Lernen einmündet. Beim Lernen selbst geht
es dann darum, Lebenssituation und Bedürfnisse zu beachten, vorhandene Kenntnisse, Erfahrungen und sozial-kognitive Strukturen zu aktivieren und weiterzuentwickeln.
Die folgenden Konkretisierungen für Lernen und Lehren basieren im Wesentlichen auf Überlegungen, wie sie sich in der Didaktik entwickelt haben (vgl. Tulodziecki 1987). Sie weisen
zugleich viele Parallelen zu Forderungen auf, wie sich aus den Ansätzen zum situierten
Lernen ergeben haben (vgl. Mandl/ Gruber/ Renkl 1995).
Zunächst stellt sich die Frage, mit Hilfe welcher Aufgaben sich das Lernen in einer durch Informationsfülle und mediale Vielfalt gekennzeichneten Lebenswelt anregen lässt, wenn ein
sachgerechtes, selbstbestimmtes, kreatives und sozialverantwortliches Handeln erreicht
werden soll (vgl. Tulodziecki 1996)
Thesenartig lautet die Antwort, dass dies in besonderer Weise durch Probleme, Entscheidungsfälle, Gestaltungs- und Beurteilungsaufgaben geschehen kann:
•
Ein Problem kann z. B. in der Aufgabe bestehen, für einen Haushalt, der relativ hohe
Strom- und Gaskosten aufweist, Vorschläge zu entwickeln, wie diese ohne größeren
Verlust an Komfort und Behaglichkeit gesenkt werden könnten. Bei der Bearbeitung des
Problems können u.a. Informationen im Internet zu Energiefragen im Haushalt als
wichtige Informationsquellen dienen. Unter Umständen kann ein Computerprogramm notwendige Berechnungen erleichtern.
• Ein Entscheidungsfall ist z. B. gegeben, wenn Schülerinnen und Schüler sich in die Situation einer Regierungskommission in einem Staat versetzen sollen, dessen soziale, politische und ökologische Lage relativ desolat ist. Aufgabe ist es, Entscheidungen zu fällen,
z. B. zu notwendigen staatlichen Maßnahmen, die möglichst den Zustand des Staats verbessern sollen. Als Entscheidungshilfe kann unter Umständen ein Simulationsprogramm
genutzt werden.
• Eine Gestaltungsaufgabe liegt z. B. vor, wenn sich eine Schülergruppe entschließt, eine
multimediale Homepage für ihre Schule zu produzieren. Vorliegende Homepages können
dafür zunächst als Gegenstand der Analyse und als Anregung dienen, ehe eine eigene
Homepage erstellt wird.
• Eine Beurteilungsaufgabe besteht z. B. darin, Formen der Telearbeit zunächst mit Netzunterstützung zu erproben und auf dieser Basis in eine Analyse und Kritik aus sozialer
und gesellschaftlicher Perspektive einzutreten. Diskussionsforen im Netz können genutzt
werden, um Stellungnahmen auszutauschen und neue Argumente kennen zu lernen (vgl.
Peters 1997).
Aufgaben dieser Art bieten die Chance, die jeweilige Informationsfülle unter spezifischen
Aspekten der Aufgabenstellung zu strukturieren und für die Aufgabenlösung nutzbar zu machen.
Solche Aufgaben sind für Lernende insbesondere dann lern- und entwicklungsfördernd,
wenn sie erstens auf ein Bedürfnis bezogen werden können und damit Bedeutsamkeit für die
-3-
Lernenden erlangen und zweitens einen Neuigkeitswert für die Lernenden besitzen - also
nicht mit vorhandenen Kenntnissen gelöst werden können - zugleich aber die Chance auf
ihre Bewältigung bieten, d.h. einen angemessenen Schwierigkeitsgrad aufweisen. Aus didaktischer Sicht ist es darüber hinaus wünschenswert, dass die Aufgaben es ermöglichen, einen
Lerninhalt exemplarisch zu erschließen und in orientierendes Lernen einzumünden, sodass
einerseits - angesichts der Vielfältigkeit von Informationen - eine angemessene Tiefe der
Auseinandersetzung erreicht wird und andererseits eine ordnende Übersicht entstehen kann.
Damit stellt sich die erweiternde Frage, wie Lehr- und Lernprozesse - ausgehend von einer
geeigneten Aufgabenstellung - gestaltet werden sollten (vgl. dazu Tulodziecki 1996).
Wichtig ist zunächst, dass Lernende im Zusammenhang mit der Aufgabenstellung zu eigenen Lösungsvorschlägen angeregt werden, damit sie einerseits vorhandene Kenntnisse und
kognitive Strukturen aktivieren und gleichzeitig erkennen, was sie zur Aufgabenlösung noch
lernen müssen.
In einer folgenden Phase geht es um die ausdrückliche Vereinbarung von Zielen und die
Verständigung über das Vorgehen zur Erarbeitung des notwendigen Wissens. Solche Überlegungen sind für die Entwicklung von selbstständigem und selbstbestimmtem Lernen, wie
es gerade in der Informationsgesellschaft gefordert wird, von besonderer Wichtigkeit.
Darüber hinaus soll die Verständigung über das Vorgehen zu dem ebenfalls bedeutsamen
Methodenbewusstsein beitragen.
Eine anschließende Phase sollte in einer kooperativen Erarbeitung von Informationen bzw.
Grundlagen für die Aufgabenlösung bestehen. Dabei können insbesondere Medien als Informationsquelle genutzt sowie eine gezielte Informationssuche und Informationsstrukturierung
angeregt werden.
Die so erarbeiteten Informationen sind danach für die Aufgabenlösung im Sinne einer selbstständigen Problemlösung, Entscheidung, Gestaltung oder Beurteilung einzusetzen, sodass
sich die Einsicht und Fähigkeit ausbildet, Informationen und Informationsquellen hinsichtlich
ihres Wertes für Problemlösungen, für Entscheidungsfindungen, für Gestaltungen und begründete Beurteilungen einzuschätzen bzw. zu bewerten.
An Phasen dieser Art sollte sich ein Vergleich verschiedener Lösungen und Vorgehensweisen sowie eine Zusammenfassung bzw. Systematisierung des Gelernten anschließen: zum einen, um ein Denken in Alternativen zu Grunde zu legen, und zum anderen, um
gedankliche Strukturen zu entwickeln, durch die das Wissen geordnet wird.
Die Bearbeitung von Anwendungsaufgaben sollte dann zur weiteren Konsolidierung und
Flexibilisierung des Wissens und Könnens dienen.
In einer abschließenden Phase lassen sich erweiternde inhaltliche Fragen, Handlungskonsequenzen und einordnende Überlegungen im Sinne einer übergreifenden Orientierung und Integration des Gelernten thematisieren. Darüber hinaus geht es um die Reflexion und Bewertung der Lernwege, damit die Selbständigkeit des Lernens weiter gefördert wird.
Wichtig ist in unserem Zusammenhang, dass über die bloße Medienverwendung in
fachlichen und fachübergreifenden Unterrichtseinheiten hinaus die Medien genutzten Medien
selbst thematisiert werden. Dies kann u.a. durch Fragen folgender Art geschehen (vgl. auch
Spanhel/ Kleber 1996), z. B.:
-4-
a)
Wie wurden die Inhalte im Rahmen der Unterrichtseinheit erfahren bzw. präsentiert?
b)
Welche Möglichkeiten und Grenzen waren mit den Erfahrungsformen bzw. der Nutzung
der medialen Angebote verbunden?
In welcher Form wurden Beiträge der Lernenden dargestellt bzw. ausgedrückt?
Welche Möglichkeiten und Begrenzungen waren dafür bedeutsam?
Welche Einflüsse gingen von den benutzten Medien auf die Lernprozesse oder Lernergebnisse aus? Wodurch waren sie bedingt? Wie sind die Einflüsse zu beurteilen?
c)
d)
Bei einer solchen Auseinandersetzung mit Problemen, Entscheidungsfällen, Beurteilungsund Gestaltungsaufgaben können zugleich Computer Netze werden, um neue Formen der
Medienverbreitung, der Kommunikation oder der Kooperation zu erproben. Beispielsweise
können – wie bereits angedeutet - bei dem oben skizzierten Projekt zur Telearbeit Computernetze für die Simulation von Telearbeit genutzt und anschließend verschiedene Beiträge in einen Gedankenaustausch im Rahmen von Diskussionsforen eingebracht werden.
Weitere Kommunikationsformen, für die sich das Netz nutzen lässt, sind die gezielte Informationsanforderung und -hilfe bei besonders kompetenten Partnerschulen, die parallel-vergleichende Bearbeitung eines Themas mit einer Partnerklasse, z. B. zur Erforschung der Umweltsituation in verschiedenen Regionen, und die gemeinsame Planung und Gestaltung verschiedener Aktionen, z. B. die netzgestützte Entwicklung eines gemeinsamen Umweltmagazins.
Auch bei der Nutzung von Computernetzen würde es jeweils darum gehen, die Vorzüge und
Grenzen der verschiedenen Kommunikations- und Arbeitsformen zu reflektieren. Die damit
zusammenhängenden Überlegungen sollen im Folgenden systematisch entfaltet werden.
2
Medienkompetenz im Rahmen von Erziehungs- und Bildungsaufgaben im
Medienbereich
Um heutige und zukünftige Erziehungs- und Bildungsaufgaben im Medienzusammenhang
herauszuarbeiten, liegt es nahe, zunächst einen kurzen Blick auf Entwicklungstendenzen im
Bereich medienpädagogischer Leitideen zu werfen.
2.1 Leitideen zur Medienpädagogik
Bedeutsame Überlegungen zu Erziehungsaufgaben im Umgang mit Medien entwickelten
sich schon zum Ende des 19. Jahrhunderts mit der massenhaften Verbreitung von Trivialliteratur und am Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Ausbreitung des Kinofilms.
Als Reaktion auf die Entwicklung des Films ging bereits 1907 eine Kommission, die vom
Hamburger Lehrerverein eingesetzt worden war, der Frage nach: "Wie schützen wir die
Kinder vor den schädlichen Einflüssen der Theater lebender Photographien?" Auf Grund
eines von der Kommission vorgelegten Berichts fasste der Lehrerverein folgende Entschließung:
"Da zur Zeit viele kinematographische Bilder (lebende Photographien) in ihrer Ausführung
mangelhaft sind, das Hässliche, Verbildende und sittlich Gefährdende in ihnen überwiegt und
viele Theaterräume billigen Anforderungen der Hygiene nicht genügen, halten wir den Besuch der Theater lebender Photographien für Kinder für gefährlich. Dem Besuch von Vorführungen dieser Art hat die Schule erziehlich entgegenzuwirken." (Dannmeyer 1907, S. 38,
zitiert nach Meyer 1978, S. 23).
-5-
Die Sorge, dass Kinder und Jugendliche durch Filme in ihrer Entwicklung gefährdet werden
könnten, und die Forderung, sie vor möglichen Verführungen durch die Medien zu schützen,
gewann in der Folgezeit weiter an Bedeutung. Dies verwundert nicht, wenn man einmal ein
Verzeichnis der damals in Deutschland gelaufenen Filme aufschlägt und u.a. Filmtitel folgender Art findet: „Irrgarten der Leidenschaften", „Saal der sieben Sünden", „Schamlose Seelen"
und „Tragödie eines europäischen Rasseweibes" (vgl. Birett 1980). Die damals geführte Diskussion zeigt durchaus gewisse Parallelen zur heutigen Diskussion um Pornografie oder
Rassismus im Internet.
Neben der Sorge um schädliche Einflüsse durch die Medien spielte allerdings auch schon
zum Anfang des Jahrhunderts der Gedanke eine Rolle, geeignete Filme für Kinder und Jugendliche zu produzieren und sie an wertvolle Filme heranzuführen. So wurde schon 1907
von dem bereits erwähnten Hamburger Lehrerverein außer der oben zitierten Entschließung
folgende Empfehlung ausgesprochen:
"Technisch und inhaltlich einwandfreie kinematographische Darstellungen können ... ein ausgezeichnetes Mittel der Belehrung und Unterhaltung sein. Eine Wendung zur besseren und
edleren Ausnutzung des Kinematographen ist namentlich dadurch anzustreben, dass pädagogisch und künstlerisch interessierte Kreise sich mit Großunternehmen dieser Industrie ins
Einvernehmen setzen, um sie zu guten, speziell für Kinder geeigneten Vorführungen in gesonderten Kindervorstellungen zu ermuntern." (Dannmeyer 1907, S. 38 f., zitiert nach Meyer
1978, S. 23).
Auch dieser Teil der frühen Hamburger Entschließung verweist auf Parallelen zur heutigen
Diskussion, insbesondere zu Bemühungen durch Private-Public-Partnership-Aktionen den
Kindern und Jugendlichen den Zugang zu bildungsrelevanten Netz- bzw. Multimediaangeboten zu ermöglichen.
Insgesamt waren mit den Beschlüssen des Hamburger Lehrervereins schon früh wichtige
Leitideen der Medienpädagogik formuliert: Bewahrung vor Schädlichem und Pflege des
Wertvollen (vgl. Keilhacker/Keilhacker1955; Meyer 1978).
Allerdings besteht bei diesen Leitideen die Gefahr, dass Kinder und Jugendliche nicht zu
einer selbstständigen Auswahl und Bewertung von Medien gelangen. Deshalb wurde insbesondere mit der Ausbreitung des Fernsehens in den 50er und 60er Jahren - der
mündige Mediennutzer gefordert, der in der Lage ist, Programmangebote angemessen zu
verstehen und zu nutzen, sowie selbstständig zu beurteilen und einzuordnen. Dabei wurden
Medien als wichtige Instrumente der Information und Aufklärung, Meinungsbildung und
Werbung, der Kunst und Kultur aufgefasst (vgl. z. B. Kerstiens 1971). In diesem Sinne stellt
der mündige Umgang mit Medien zur Förderung von Demokratie, Wirtschaft und Kultur eine
weitere Leitidee der Medienpädagogik dar, die heute zum Teil im Begriff der
Medienkompetenz dominant ist.
Wäre Medienkompetenz auf diese Leitidee begrenzt, bliebe allerdings das Problem
ausgeblendet, dass Medien im gesellschaftlichen Zusammenhang zur Irreführung und
Manipulation missbraucht werden können. Historisch gesehen ist dieses Problem im Kontext
der Studentenbewegung und neo-marxistischer Ansätze Ende der 60er Jahre bearbeitet
worden. Dabei entwickelte sich die Zielvorstellung, Kinder und Jugendliche zu befähigen,
Medien und ihre ideologische Prägung bzw. ihre gesellschaftlichen Bedingungen kritisch zu
analysieren und durch selbsterstellte Medien Öffentlichkeit für eigene Interessen und Bedürfnisse herzustellen (vgl. z. B. Holzer 1974). Ideologiekritik und Herstellung bzw. Produktion ei-6-
gener Medien erweitern damit das Spektrum medienpädagogischer Leitideen und sind nach
wie vor bedeutsam für Überlegungen zur Medienkompetenz.
Die bisher dargestellten Leitideen basieren im Wesentlichen auf Annahmen zu der Frage
"Was machen die Medien mit den Menschen?" Der so genannte Nutzenansatz führte zu
einer Umkehrung dieser Sichtweise unter der Frage "Was machen die Menschen mit den
Medien?" Auf dieser Grundlage kam in den 70er Jahren ins Bewusstsein, dass Mediennutzung als bedürfnisgesteuerte soziale Handlung aufzufassen ist. Kinder und Jugendliche wenden sich den Medien mit ihren Bedürfnissen nach Sicherheit und Orientierung, nach Liebe
und Zugehörigkeit sowie nach Achtung und Geltung zu und interpretieren die medialen Aussagen vor dem Hintergrund ihrer Kenntnisse, Einstellungen und sozialen Bedingungen. In
gleicher Weise gilt für die Herstellung eigener Medien, dass sie auf der Basis individueller
und sozialer Voraussetzungen als Mittel der Kommunikation zu deuten sind. Medienverwendung als sinnvolle Nutzung vorhandener Medienangebote und als eigene Herstellung von
Medien im Sinne sozialen Handelns und kommunikativer Kompetenz ist demgemäss eine
weitere wichtige Leitidee der Medienpädagogik. In diesem Kontext ist im Übrigen auch der
Begriff der Medienkompetenz entstanden (vgl. Baacke 1992). Aber nicht nur die zuletzt genannte Leitidee, sondern auch die zuvor skizzierten Leitideen markieren Perspektiven, die
bis heute in der Diskussion um Medienkompetenz bedeutsam sind - selbst wenn sie nicht
unter dem später entstandenen Stichwort Medienkompetenz entwickelt wurden.
2.2
Medienkompetenz im Aspekt medienpädagogischer Aufgaben
Wertet man zusammenfassend das bisherige Erziehungs- und Bildungsdenken zu Medienfragen unter Berücksichtigung gegenwärtiger und zukünftiger Problemlagen aus, so lässt
sich für die Medienpädagogik - unter Berücksichtigung des oben angesprochenen generellen
Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schule - das Folgende allgemeine Ziel formulieren:
Kinder und Jugendliche sollen Kenntnisse und Einsichten, Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben, die ihnen ein sachgerechtes und selbstbestimmtes, kreatives und sozialverantwortliches Handeln in einer von Medien durchdrungenen Welt ermöglichen (vgl. Tulodziecki
1997).
Für den Begriff der Medienkompetenz bedeutet dies zunächst, dass er Handlungskompetenzen in zwei Zusammenhängen umfasst:
• im Zusammenhang der Nutzung vorhandener Medienangebote, z. B. der Auswertung von
Informationen zu ökologischen, ökonomischen, naturwissenschaftlichen oder politischen
Fragen im Internet,
• im Zusammenhang der eigenen Gestaltung medialer Aussagen, z. B. der eigenen Erstellung einer Homepage oder der Gestaltung einer Schülerzeitung im Internet.
Solche Handlungskompetenzen erfordern im Sinne eines sachgerechten, selbstbestimmten,
kreativen und sozialverantwortlichen Handelns Kenntnisse und Verstehen sowie Analyseund Urteilsfähigkeit in drei inhaltlichen Bereichen:
• im Bereich der Gestaltungsmöglichkeiten, die in Medien Verwendung finden: vom realitätsnahen Bild des Kölner Doms bis zur abstrakten Darstellung der Bevölkerungsentwicklung auf unseren Planeten, von der sprachlichen Darstellung von Problemen der
Steuerreform bis zum Smilie, der bei der schriftlichen Kommunikation im Netz verwendet
wird, um Freude auszudrücken,
-7-
• im Bereich der Nutzungsvoraussetzungen und -wirkungen von Medien: von individuellen
Einflüssen auf Gefühle, Vorstellungen und Verhaltensorientierungen bis zur Bedeutung
der Massen- und Individualkommunikation für die öffentliche Meinungs- und die politische
Willensbildung und
• im Bereich der Bedingungen von Medienproduktion und -verbreitung: von technischen
Voraussetzungen für die eigene Nutzung von E-Mail über Datenschutzbestimmungen bis
zu wirtschaftlichen Interessen der Computerindustrie und der Netzprovider bzw. der
dahinter stehenden Konzerne.
Vor dem Hintergrund dieser Handlungs- und Inhaltsbereiche lässt sich Medienkompetenz
beschreiben als die Fähigkeit:
•
•
•
•
•
Medienangebote sinnvoll auszuwählen und zu nutzen,
eigene Medien zu gestalten und zu verbreiten,
Mediengestaltungen zu verstehen und zu bewerten,
Medieneinflüsse zu erkennen und aufzuarbeiten,
Bedingungen der Medienproduktion und -verbreitung zu durchschauen und zu beurteilen.
Aus einem solchen Verständnis von Medienkompetenz ergeben sich für die Schule fünf
Aufgabenbereiche. Dabei gehe ich von der Position aus, dass Fragen der Medienkompetenz
nicht auf die Auseinandersetzung mit Computernetzen bzw. Multimedia beschränkt werden
dürfen. Vielmehr muss in die Überlegungen zur Medienkompetenz das gesamte Medienspektrum - von den Printmedien über die audiovisuellen Medien bis zur Telekommunikation einbezogen werden. Diese Forderung ist nicht zuletzt auch deshalb nahe liegend, weil die
Häufigkeit der Nutzung von Fernsehen und Musikangeboten bei Kindern und Jugendlichen
nach wie vor deutlich höher liegt als etwa die Häufigkeit des Surfens im Internet bzw. der
Computernutzung. Dennoch soll im Folgenden - angesichts der neueren Entwicklungen - der
Hauptakzent bei der Frage von Multimedia und Computernetzen liegen. In diesem Sinne
werden die oben genannten fünf Aufgabenbereiche im Folgenden beschrieben:
Medienangebote auswählen und nutzen:
In diesem Aufgabenbereich sollen Kinder und Jugendliche lernen, Medienangebote d.h.,
mediale Produkte, Werkzeuge und Kommunikationsdienste, bewusst im Sinne verschiedener
Funktionen zu nutzen. Ein mediales Produkt kann z. B. ein im Netz angebotener Zeitungsartikel aus der Times sein, ein Werkzeug, z. B. eine Suchmaschine, und ein Kommunikationsdienst, z. B. ein angebotener Online-Chat mit einem Politiker oder einer Ministerin. Als
Voraussetzung für eine reflektierte Auswahl und Nutzung sollen Kinder und Jugendliche
unterschiedliche Medienangebote funktionsbezogen vergleichen und gegebenenfalls auch
nicht-mediale Handlungsmöglichkeiten, z. B. Erkundungen in der Realität, in Betracht ziehen
bzw. abwägen.
Als Funktionen für die Medienauswahl und -nutzung kann man z. B. nennen: Unterhaltung,
Information, Lernen, Spielen, Simulation, Telekommunikation und Telekooperation.
Beispielsweise kann man ein unterrichtlich relevantes und für Kinder und Jugendliche
interessantes Thema - vielleicht auch aus einem Projektzusammenhang oder einem
Situationsbezug heraus - absprechen und dazu Informationen aus verschiedenen medialen
Angeboten nutzen. Plant eine Klasse z. B. eine Fahrt nach England, können verschiedene
Informationsquellen - vom Buch über den Hörfunk und das Fernsehen bis zur CD-ROM und
zu Netzinformationen - herangezogen werden, um die Klassenfahrt vorzubereiten. Suchma-8-
schinen und Suchstrategien können erprobt und die Glaubwürdigkeit der Quellen diskutiert
werden. Die Vorzüge und Grenzen der einzelnen Medienarten als Informationsquellen ließen
sich anschließend ins Bewusstsein heben und reflektieren.
Gestalten und Verbreiten eigener Medienbeiträge:
Kinder und Jugendliche sollen im Rahmen dieses Aufgabenbereiches lernen, eigene Aussagen medial zu vermitteln, d.h. eigene Medienbeiträge herzustellen und zu verbreiten. Die
Beiträge können dabei eher dokumentarischer, fiktionaler, experimenteller oder instrumenteller Art sein. Als Voraussetzung dafür sollen sie in die Handhabung der entsprechenden Geräte eingeführt werden und ihre Gestaltungstechniken handelnd erfahren. Als Medienarten
kommen generell Bilder/Fotos, Hörbeiträge, Druckerzeugnissen bzw. Schrift-Bild-Kombinationen (z. B. Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren, Plakate), Videobeiträge und Computeranwendungen in Betracht.
Ein typisches Beispiel sind Zeitungsprojekte. Sie waren im Rahmen der Medienerziehung
sowie der Informationstechnischen Grundbildung stets wichtige Bausteine und erlauben den
Schülerinnen und Schülern Erfahrungen beim journalistischen Schreiben sowie die Herstellung von Öffentlichkeit für eigene Themen. Das Netz bietet darüber hinaus eine neue Möglichkeit der Verbreitung. So verweist der Deutsche Bildungsserver allein auf eine Fülle verschiedener Schülerzeitungen, von denen einige auch online abgerufen werden können. Die
Zeitungsnamen reichen von „Abacus“ über „Blitzableiter“ und „Tarantel“ bis „Strebergarten“.
Andere Titel sind „Auspuff“, „bravda“, „Engelsblatt“ und „Zyankali“.
Verstehen und Bewerten von Mediengestaltungen:
Kinder sollen im Rahmen dieses Aufgabenbereiches lernen, Mediengestaltungen angemessen zu verstehen und zu bewerten. Als Voraussetzung dafür sollen sie mediale Gestaltungsmittel von Schrift, Bild und Ton (die „Sprache der Medien“) kennen lernen, Mediendarstellungen als vermittelte oder inszenierte Botschaften erfahren und Unterscheidungsfähigkeit bezogen auf verschiedene mediale Gestaltungsabsichten erlangen. Als mediale
Gestaltungsmittel sind vor allem Darstellungsformen (z. B. Bild, Grafik, Film, Zeichentrick,
schriftlicher oder gesprochener Text, Tonaufzeichnungen), Gestaltungstechniken (z. B. Überschriften beim Text, Tonmischung bei Tonaufzeichnungen oder Kameratechniken und
Montagen beim Film) sowie Gestaltungsarten (z. B. Hörszene, Zeitungsartikel, Videoclip) zu
nennen. Als Gestaltungsabsichten können z. B. Information, Aufklärung, Unterhaltung,
Werbung oder Manipulation bedeutsam sein.
Beispielsweise ist es denkbar, sich mit den Jugendlichen auf ein bestimmtes Thema zu verständigen, z. B. „Freundschaft und Partnerschaft“ oder „Ausreißen und Heimkommen“, und
sie anzuregen, in Gruppen mediale Umsetzungen zu leisten, z. B. als Comic, Hörspiel,
Videoclips oder als Hypertext oder auch in Form eines moderierten Diskussionsforums im
Netz. Die verschiedenen medialen Gestaltungen können dann hinsichtlich ihrer technischen
Rahmenbedingungen, Darstellungsformen und Gestaltungstechniken sowie ihrer Verbreitungsmöglichkeiten verglichen und bewertet werden.
Erkennen und Aufarbeiten von Medieneinflüssen:
Die Kinder sollen sich im Rahmen dieses Aufgabenbereichs bewusst machen, dass von
Medien Einflüsse auf sie selbst und auf andere ausgehen. Sie sollen in der Lage sein, solche
Einflüsse zu erkennen, auszudrücken und angemessen einzuordnen bzw. aufzuarbeiten. In
diesem Zusammenhang sollen sie mediale Gestaltungsmerkmale, die mit bestimmten Wir-9-
kungen verbunden sind, durchschauen und zwischen medialer Darstellung und Realität
unterscheiden.
Die Medieneinflüsse können sich auf Gefühle, z. B. Vergnügen, Schadenfreude oder Angst,
auf Vorstellungen, z. B. angemessene oder irreführende Annahmen, auf Verhaltensorientierungen, z. B. prosoziale oder aggressive Konfliktlösemuster, auf Wertorientierungen, z. B.
Konsum- oder Leistungsorientierung, sowie auf soziale Zusammenhänge, z. B. Einflüsse auf
Familie und Gesellschaft, beziehen.
Beispielsweise ist es wichtig, Konfliktlösemuster, wie sie in vielen Medienangeboten – vom
Fortsetzungsroman in der Zeitung über Fernsehserien und –filme bis zum Computerspiel
präsentiert werden –, zu thematisieren, hinsichtlich der damit verbundenen Verhaltensorientierungen bewusst zu machen und über alternative Konfliktlösemuster nachzudenken
(vgl. Tulodziecki u.a. 1995).
Durchschauen und Beurteilen von Bedingungen der Medienproduktion und Medienverbreitung:
In diesem Aufgabenbereich soll gelernt werden, ökonomische, rechtliche, organisationsbezogene sowie weitere institutionelle und politische bzw. gesellschaftliche Bedingungen der
Medienproduktion und Medienverbreitung zu durchschauen und zu beurteilen. Entsprechende Bedingungen können am Beispiel von Printmedien, Rundfunkangeboten, Musikangeboten, Computeranwendungen und politischen Informationen behandelt werden.
Ein Zugang zu entsprechenden Fragen kann z. B. dadurch erreicht werden, dass
Jugendliche angeregt werden, sich einmal in die Situation einer Nachrichtenredaktion zu
versetzen und aus einer Fülle von Meldungen für einen bestimmten Tag die Meldungen
herauszusuchen, die sie in der Rolle von Redakteuren als Topmeldungen präsentieren
würden. Für das weitere Vorgehen können „Redaktionsgruppen“ für unterschiedliche Medien
gebildet bzw. simuliert werden, z. B. für eine Abonnements-Tageszeitung und eine
Straßenverkaufszeitung, für einen öffentlich-rechtlichen und einen privaten Hörfunksender,
für eine öffentlich-rechtliche und eine private Fernsehanstalt sowie für eine
Nachrichtenpräsentation im Netz. Im Hinblick auf begründete Entscheidungen zu den
Topmeldungen und zu ihrer Präsentation sollten die Jugendlichen zunächst überlegen bzw.
erarbeiten,
welche
technischen
und
ökonomischen
Bedingungen
für
die
Nachrichtenpräsentation in den unterschiedlichen Medien bestehen. Werden die technischen
und ökonomischen Bedingungen bei der Auswahl der Nachrichten und ihrer Präsentation
bedacht, zeigen sich bei den Entscheidungen der einzelnen „Redaktionsgruppen“ sehr
schnell Unterschiede. Diese können sich auf die Auswahl selbst, z. B. auf den
Sensationsgehalt der gewählten Topmeldungen, auf die Anordnung, z. B. auf die
Reihenfolge und die Platzierung, auf die Gestaltung, z. B. auf Bilder und Überschriften, sowie
auf den Umfang der Nachrichtenpräsentation beziehen. Die Unterschiede können dann zu
einer vertiefenden Reflexion über ökonomische, technische und gegebenenfalls weitere
institutionelle Bedingungen der Nachrichtenproduktion und -verbreitung führen. Die Reflexion
sollte in Überlegungen zur Bedeutung entsprechender Bedingungen für die politische
Meinungsbildung und für eigene Handlungskonsequenzen einmünden.
Es stellt sich die Frage, wie die oben beschriebenen Formen der Medienverwendung sowie
die angesprochenen Erziehungs- und Bildungsaufgaben in den schulischen Zusammenhang
eingebettet und verankert werden können.
- 10 -
3
Gestaltung medienpädagogischer Konzepte in der Schule
Für eine kontinuierliche medienpädagogische Arbeit in der Schule ist es - neben einer durchgängigen Verwendung von Medien für Lehren und Lernen - wichtig, dass die verschiedenen
medienpädagogischen Aktivitäten nicht als einmalige und isolierte Aktionen gelten, sondern
in einen medienpädagogischen Rahmen gestellt werden (vgl. Tulodziecki u.a. 1995). Die Erarbeitung eines entsprechenden medienpädagogischen Konzepts kann dabei als wichtige
Voraussetzung für eine dauerhafte Verankerung in der Schule gelten.
Für die Erarbeitung eines medienpädagogischen Konzepts in der Schule müssen zunächst
zwei Bedingungen beachtet werden:
• Es gibt keinen eigenen Lernbereich Medienbildung. Medienpädagogische Projekte und
Unterrichtseinheiten müssen demnach entweder in Sondersituationen, z. B. in Projektwochen, oder im Kontext des Fachunterrichts durchgeführt werden.
• Die Schule ist - neben der Fächerstruktur - wesentlich durch ihre Jahrgangsorientierung
geprägt.
Diese beiden Bedingungen legen es nahe, medienpädagogische Konzepte für Schulen in
Abstimmung verschiedener Aktivitäten schrittweise zu entwickeln.
Dazu sollte sich in der Schule eine Kerngruppe von mehreren Lehrerinnen und Lehrern
bilden, die sich zunächst mit der Frage auseinander setzt, wie ein inhaltlicher Rahmen für die
Medienpädagogik aussehen könnte. Insbesondere sollte so die Frage in den Mittelpunkt
rücken, welche Erziehungs- und Bildungsaufgaben eine Schule wahrnehmen muss, um ihren
Darstellung 1:
Ausschnitt aus einer möglichen Bestandsaufnahme zu medienpädagogischen Aktivitäten in
einer Schule der Sekundarstufe I
JahrGangsstufe
Fach/
Projekt/
Unterrichtse Fächer
inheit
Medienbezüge
Auswählen
und
Nutzen von
Medienangeboten
Nutzen
Verschiedener Informationsquellen
5
Schöne
Reiseziele
in Deutschland
Geographie
Katalog,
Fernsehen,
Zeitung,
Zeitschrift,
Internet
6
Geschichten in Wort
und Bild
Deutsch,
Kunst
Fotografie,
Computer,
Fotoroman
7
Ein Markttag im
Mittelalter
GesellBuch,
schaftslehre CD-ROM,
Internet,
Video
Nutzen von
Büchern,
CD-ROMs
und Internet
zur Information
- 11 -
Gestalten
und
Verbreiten
von Medienbeiträgen
Verstehen
und
Bewerten
von Mediengestaltungen
Erkennen
und
Aufarbeiten
von Medieneinflüssen
Kameratechniken
zur Bildgestaltung, Überschriften zur
Textgestaltung
Beeinflussung durch
Bild- und
Textgestaltung
Eigene Gestaltung
von Fotogeschichten
mit Hilfe von
Computern
Kameratechniken
bei Fotos,
Merkmale
von Erzählungen
Eigene
Gestaltung
von Videoszenen zum
Markt im
Mittelalter
Kameratechniken
und Inszenierung
Durchschauen
und
Beurteilen
von
Bedingungen
Schülerinnen und Schülern ein sachgerechtes, selbstbestimmtes, kreatives und sozialverantwortliches Handeln im Medienzusammenhang zu ermöglichen. Die Lehrergruppe kann sich
dabei für einen systematischen Zugang entscheiden und die oben beschriebenen fünf
Aufgabenbereiche als Orientierungspunkte für die medienpädagogische Arbeit wählen.
Diese Aufgabenbereiche können helfen, die Medienarbeit in der Schule zu strukturieren.
Die in der Schule gebildete Kerngruppe sollte versuchen, in Zusammenarbeit mit weiteren
Lehrerinnen und Lehrern die skizzierten Aufgabenbereiche durch verschiedene Unterrichtseinheiten und Projekte umzusetzen. Dazu ist es wichtig, dass die Kerngruppe von vornherein
mit der ausdrücklichen Unterstützung der Schulleitung und auf der Basis einer wohlwollenden Begleitung durch das Kollegium arbeitet. Auf einer solchen Grundlage sollte die Kerngruppe eine Bestandsaufnahme zu den in der Schule vorhandenen medienpädagogischen
Aktivitäten durchführen und diese auswerten. Das Ergebnis einer entsprechenden Bestandsaufnahme könnte beispielsweise in Teilen so aussehen, wie es Darstellung 1 zeigt (vgl. dazu
Tulodziecki/ Möller u.a. 1998).
Im nächsten Schritt können - u.U. mit externer Beratung, z. B. durch eine kommunale
Bildstelle - medienpädagogische Unterrichtseinheiten und Projekte mit medienerzieherischen
Akzenten für das kommende Schuljahr geplant werden. Dafür sollten folgende Grundsätze
gelten:
• Die medienpädagogischen Aktivitäten sollen als kontinuierlicher Prozess über
verschiedene Jahrgangsstufen unter Beteiligung verschiedener Fächer oder Lernbereiche
konzipiert werden.
• Die fünf Aufgabenbereiche sollen in aufbauender Form - u.U. gegliedert nach einzelnen
Teilaufgaben bearbeitet werden.
• Die medienpädagogischen Aktivitäten sollen das gesamte Medienspektrum - vom Buch
bis zu den neuen Medien - beachten und dabei die altersspezifische Mediennutzung
sowie den jeweiligen Entwicklungsstand der Kinder berücksichtigen.
• Die Nutzung von und die Auseinandersetzung mit bestimmten Medienangeboten soll zu
exemplarischen Einsichten führen, die auch für andere Medien bedeutsam sind. Zugleich
sollen kategoriale Einsichten erworben werden, die auch für zukünftige Entwicklungen der
Medienlandschaft grundlegend sind.
Wenn anhand der Grundsätze und unter Berücksichtigung der spezifischen Möglichkeiten
ein Plan für das kommende Schuljahr entwickelt wurde, ist es wichtig, sich - sofern noch
nicht vorhanden - um eine geeignete technische Ausstattung zu bemühen. Des Weiteren
sind Qualifizierungsmaßnahmen notwendig (vgl. dazu auch Spanhel 1999 a/b).
Wichtig ist, dass die jeweilige Schule die Entwicklung eines medienpädagogischen Konzepts
als kontinuierliche Aufgabe begreift. Deshalb sollten die - auf der Basis der Planung durchgeführten Unterrichtseinheiten und Projekte jeweils dokumentiert und am Ende des
Schuljahres ausgewertet werden. Unter erneuter Beachtung der obigen Grundsätze kann
eine wietere Planung für das nächste Schuljahr vorgenommen werden. Der
Entwicklungsprozess sollte so in ein medienpädagogisches Konzept - als Teil des
Schulprofils bzw. Schulprogramms – einmünden (vgl. Tulodziecki u.a. 1995). Eine
Kurzdarstellung eines Koordinierungsrahmens für die medienpädagogische Arbeit in einer
Grundschule und in einer Schule der Sekundarstufe I als Bestandteil des Schulprofils oder
Schulprogramms zeigt die Darstellung 2.
- 12 -
29.11.2010 10:22
Studie zur Medienkompetenz in Schulen: "Lehrer haben Angst vor Kontrollverlust"
Wenn es um das Internet geht, leben Lehrer und Schüler häufig in verschiedenen
Welten. Eine Studie der nordrhein-westfälischen Landesanstalt für Medien (LfM) über
"Medienkompetenz in der Schule" hat gezeigt: Während Online-Netzwerke bei
Schülern ungemein populär sind, sehen Lehrer die Nutzung von Facebook und Co.
eher kritisch. "Dabei sollten Lehrer diese Angebote wahrnehmen und nicht verteufeln.
Schließlich ist das Teil der Lebenswelt ihrer Schüler", so der Leiter der Studie, Professor
Andreas Breiter, der dpa.
Statt neue Medien aus dem Unterricht zu verbannen, sollten Lehrer versuchen, sie zu
verstehen – gemeinsam mit ihren Schülern, meinte Breiter. Blogs und Wikis
beispielsweise haben der Studie zufolge 80 Prozent der befragten Lehrer noch nicht im
Unterricht eingesetzt.
Auch generell werden digitale Medien wie Internet, Beamer und Laptop nur
unsystematisch in den Schulalltag integriert. "Heute ist es eher Zufall, ob und wie
digitale Medien in der Schule genutzt werden", sagte Breiter. 1400 Lehrkräfte an
weiterführenden Schulen im Land hat er befragt. An sechs Schulen hat er intensive
Interviews mit Lehrern geführt. Dabei sei deutlich geworden, dass viele von ihnen im
Unterricht lieber auf Altbewährtes setzten – häufig aus Angst vor dem Verlust der
Kontrolle.
So nutzen zwar bereits über 70 Prozent der befragten Lehrer digitale Medien zur Vorund Nachbereitung ihres Unterrichts. Etwa die Hälfte setzt nach eigenen Angaben
Computer-Projektoren (Beamer) für eigene Vorträge ein. Doch nur knapp 40 Prozent
geben an, auch ihre Schüler mindestens einmal im Monat mit neuen Medien arbeiten
zu lassen. "Viele Lehrer sind unsicher und haben Angst vor dem Kontrollverlust in der
Klasse", meint Breiter. So verfügten viele Schüler zumindest in Teilgebieten über mehr
Medienkompetenzen und forderten damit gleichsam das Wissensmonopol der Lehrer
heraus.
Neben dieser Angst gaben viele Lehrer auch eine unzureichende Infrastruktur als
Problem an. "An manchen Schulen müssen Lehrer Beamer oder Computerräume so
weit im Voraus buchen, dass ein spontaner Einsatz im Unterricht gar nicht möglich ist",
sagte Breiter. Gerade in Bezug auf die Infrastruktur stehe Deutschland im
internationalen Vergleich noch recht schlecht dar.
Nach Ansicht der Landesanstalt für Medien NRW zeigt die Studie zwar, dass die
Nutzung digitaler Medien im Unterricht schon deutlich zugenommen hat. Doch müsste
sie noch besser in den Schulalltag integriert werden. "Die Verbesserung der technischen
Rahmenbedingungen sowie die verstärkte Qualifizierung der Lehrkräfte sind hierfür
wesentliche Voraussetzungen", sagte LfM-Direktor Jürgen Brautmeier.
Noch eröffnen sich ganz andere Möglichkeiten: "Wenn ein Student will, kann er in
seinem gesamten Studium und im Referendariat um die Arbeit mit neuen Medien
herumkommen." (Annelen Geuking, dpa) /
(heise.de)
Wie Werbung wirkt
Wer nicht wirbt, der stirbt. Die Kehrseite dieser einfachen Wahrheit ist die Tatsache, dass es
immer mehr Werbung gibt und dass es immer schwieriger wird, sein Zielpublikum zu
erreichen, dass die Werbeflut zu Verweigerung und Ablehnungserscheinungen der
Konsumenten führt. Eine Studie von SDI-Research untersucht die Reaktionen und
Verhaltensmuster der Konsumenten, und stellt Wege dar, welche Arten von Information und
Werbung trotz Information- und Advertising-Overkill die Menschen erreichen.
Werbung: Reaktionen auf den Information-Overkill
Dem Informationsüberfluss durch Angebotsvielfalt und Werbung wird mit unterschiedlichen
Strategien begegnet. Einerseits wird immer mehr Wert darauf gelegt, möglichst keine wichtige
Information zu versäumen, andererseits werden Eindrücke bewusst gefiltert und
ausgeschlossen, um aus diesem "Information Overkill" herauszufinden.
Strategie 1 - Informationsüberfluss wird durch Aufnahmeverweigerung bekämpft
Lieber aufs Klo, als den nächsten Werbeblock sehen. Der Anteil jener, die sich durch die
Informationsüberflutung belastet fühlen, nimmt kontinuierlich zu. Als Konsequenz daraus
werden Informationen konsequent ausgeblendet. 79% fühlen sich durch Informations- und
Werbefülle bedrängt, 68% weichen Information und Werbung absichtlich aus (z.B. durch
Zappen bei TV- und Radioprogrammen, Wegwerfen von Werbematerial und Postsendungen,
ohne diese gelesen zu haben), 31% durch absichtliche Reduktion des Informationskonsums.
Strategie 2 - Informationsüberfluss wird mit Informationsvielfalt bekämpft
Doppelt hält besser. Informationen werden immer öfter über mehrere Medien - sowohl über
klassische Medien als auch immer häufiger per Internet - eingeholt.
Frage: "Wenn Sie sich für ein Thema oder ein Produkt interessieren, wie bzw. wo informieren
Sie sich?"
95% der Konsumenten verwenden 2 oder mehr Informationskanäle
81% der Konsumenten verwenden 3 oder mehr Informationskanäle
47% der Konsumenten verwenden 4 oder mehr Informationskanäle
Strategie 3 - Informationsüberfluss wird mit Identifizierung beantwortet
I'm loving it - Information, Werbung als Lebensinhalt und Ziel, als Wirklichkeit in der man
lebt, aufgeht und sich glücklich fühlt - keine Angelegenheit der Werbung allein, sondern
auch ein intellektuelles Phänomen. 65% sagen, dass es Werbung gibt, die einfach gefällt,
54% gefällt diese Vielfalt des modernen Lebens und 32% sehen im medialen Life-Style eine
willkommene Orientierung.
Die Reaktion der Menschen auf die Informations- und Werbeflut ist gespalten: Einerseits fühlt
man sich schnell überlastet, andererseits aber wird sie als durchaus positiver Teil des
modernen Lebens anerkannt. Die Strategie dahinter: Was nicht gesehen wird, ist es nicht
wert gesehen zu werden. Was öffentlich gesehen wird, ist es auch wert beachtet zu werden.
Die gelungene Herstellung von Öffentlichkeit als Zertifizierung von Qualität mit allem Für
und Wider - siehe Dieter Bohlens Verkaufserfolg seiner einschlägigen Lebenserfahrungen.
Werbung - Was behalten wird
Angesichts der Werbungs-Overkills und der bereits sehr ausgeprägt ablehnenden Haltung
weiter Konsumentenkreise stellt sich die Frage nach Präsentationsformen und Inhalten, die
derlei Widerstände überwinden (oder zumindest umgehen). Eine ganzheitliche Betrachtung
der Werberezeption erfordert mehr als die rein quantitative Messung von kurzfristigen
Reichweiten. Die Frage ist, was positiv aufgenommen, was behalten und was umgesetzt
wird.
Die folgenden fünf Regeln bilden die Essenz dessen, was zu den empirisch
nachvollziehbaren Erfolgsfaktoren von Information und Werbung zählt.
Advertisement - erfolgreiche Werbung unterhält
67% jener, die sich vom Werbungs-Overkill bedrängt fühlen, stehen trotzdem Werbung mit
Witz und Unterhaltungswert positiv gegenüber. Positiv behalten wird was unterhält. Werbung
als abwechslungsreiche Unterhaltung im Alltagsrosa der dutzendfachen Einheitswerbung
perfekt gestylter Wohn- und Badezimmer, Körper, Finanzpläne und VorstadtgartenWaschmittel-Idyllen. Werbung, mit der man lachen kann, erzeugt freundschaftliche
Stimmung zu den beworbenen Produkten. Werbung, die unterhält, wird gerne und länger
erinnert. Werbung, die gute Laune macht, wird kommuniziert (siehe Autopoiese).
Adverteasement - erfolgreiche Werbung überrascht
85% nennen langweilige Spots als Hauptgrund für die Vermeidung von Werbeblöcken durch
Zappen oder andere Beschäftigungen zwischendurch. Im Strom der Zeit fällt nur auf, was
gegen den Strom schwimmt. Die Überschwemmung mit Informationen führt zu einer
unbewussten und auch absichtlichen Ausblendung des Gewöhnlichen in Form eines
Mainstream-Musters. Wahrgenommen wird deshalb nur mehr, was außerhalb dieses Musters
steht. Ob Bennettons Plakat-Schocker oder die Mannerschnitten des Terminators, bemerkt
wird zunehmend nur mehr, was außerhalb des zu Erwartenden positioniert ist.
Fraktale Redundanz - erfolgreiche Werbung wiederholt sich (nicht ganz)
31% der Konsumenten finden Werbeschaltungen in Form von kleinen abgeschlossenen
Stories am einprägsamsten. Wer nach wie vor der Ansicht ist, dass häufige Wiederholung
alleine ausreicht, um Aufmerksamkeit zu erregen, geht an der Realität der Werberezeption und an der aktiven Informationsfilterung der Konsumenten - vorbei. Nicht durch die ständige
Wiederholung ein und derselben Botschaft erreicht man das Wohlwollen der Konsumenten,
sondern mit der fraktalen (=selbstähnlichen) Wiederholung der Botschaften aus
unterschiedlichen Perspektiven, vor unterschiedlichen Hintergründen und über
unterschiedliche Kanäle.
Identybility - erfolgreiche Werbung schafft Identifikationsmuster
32% sehen in Werbung und Life-Style Magazinen eine positive Quelle der Information und
Orientierung. Ja, es gibt sie noch zahlreich - jene Menschen, die sich durchaus mit den
Bildern der Werbung identifizieren können. Aber es sind dieselben Personen, die das Gros
des Werbeangebotes als absolut langweilig und als zuviel befinden. Wer Identifikationen
sucht, findet diese nicht in Pseudo-Alltagsgestalten, die uns langweilig die Vorteile
irgendwelcher Naschereien aufzählen. Es muss aber auch nicht notwendigerweise André
Agassi, Heidi Klum oder Hermann Maier sein.
Autopoiese - für erfolgreiche Werbung werben die Beworbenen
62% reden über Werbung, die ihnen ausnehmend gefällt mit anderen Personen. Die hohe
Schule der Werbung ist jene Kunst, die Beworbenen für sich werben zu lassen. Werbung,
über die man spricht, ist beworbene Werbung. Palmers war so lange erfolgreich, als seine
Werbung noch ein Thema war - und nicht die x-te Wiederholung eines schon längst zum
Mainstream gewordenen Musters. Über Duplos Austauschstudent(in) aus Frankreich spricht
niemand freiwillig. Die Kommunikationskanäle der Autopoiese gehen mit der Zeit. Der
Austausch von Videoclips herausragender Werbespots via E-Mail ist zum Volkssport
geworden. Und eine Werbemethode, die bislang noch niemand erkannt oder genutzt hat.
(Quelle: sdi-research)
Mehr als 6.000 Werbekontakte pro Tag sollen wir wahrnehmen - die aktuelle IMK- Studie
Berlin (ots) - Mehr als 6.000 Werbekontakte pro Tag sollen deutsche Konsumenten pro Kopf
wahrnehmen. Das geht aus einer aktuellen Studie des IMK, Institut für Marketing und
Kommunikation hervor. Dabei hat das Institut sechs Regionen in Deutschland untersucht:
Berlin, Hamburg, Ruhrgebiet, Köln/Düsseldorf, Frankfurt und München.
Berlin führt dabei mit 6.400 Werbekontakten vor Hamburg (5.800), Köln/Düsseldorf (5.650),
Frankfurt (5.300), München (5.250) und dem Ruhrgebiet (4.850). Gemessen wurden jeweils
die angegebenen Zielgruppen (inkl. Überschneidungen) der klassischen Medien (wie
Zeitungen, TV, Radio, Plakat). Hinzu kamen Beobachtungen an verschiedenen Orten der
Städte. Gemessen wurden hierbei Leuchtreklamen, Schaufenster, Aufklebern, Logos auf
Bekleidung, Tüten usw.
In einer zweiten Stufe der Untersuchung wurden Passanten befragt an wie viele
Werbekontakte sie sich aus den letzten 24 Stunden bewußt erinnern können. Das waren in
aller Regel nicht mehr als drei.
(Quelle: dpa)
Mittels des folgenden Musikclips und dem 3Sat-Beitrag kann Medienwirkung und kompetenz diskutiert werden:
Justice "S.T.R.E.S.S".: http://www.youtube.com/watch?v=4sbxOlk-Z1E
Vergleiche auch Beitrag bei 3Sat Kulturzeit: http://www.youtube.com/watch?
v=TSagp3q8Wg4
Vergleiche den Film "La Haine"(1995): http://www.youtube.com/watch?v=q70QQj0KHwQ
onlinejournal kultur & geschlecht #5 (2009)
Becker Eickelmann Kontrollverlust
1
Kontrollverlust – Zum Zusammenhang moderner
Informationstechnologien und medialer Gewalt
Bianca Becker und Jennifer Eickelmann
„Ich werde beobachtet, also bin ich.“
Thomas Levin
Einleitung
Im Zeitalter des allgegenwärtigen Voyeurismus und der allgegenwärtigen
Observation sowie Datendokumentation, etabliert sich ein systematischer
Katalog einer ganzen Reihe technischer Hilfsmittel und Praktiken zur Ausübung von Macht. Dabei prägt Überwachung unseren Alltag immer stärker,
sowohl von „eher offensichtlichen Videoüberwachungskameras […] bis hin
zu den hinterhältigeren (weil weitgehend unsichtbaren) Varianten digitaler
Informationsdokumentation […], die heute unter dem Namen ‚Datenüberwa1
chung’ (dataveillance) geläufig sind und alles Mögliche umfassen […].“
Diese Datenüberwachung erstreckt sich von der Registrierung getätigter
1
Levin, Thomas: Die Rhetorik der Überwachung. Angst vor Beobachtung in den
zeitgenössischen Medien, in: Nach dem Film 3 (2001), S. 1-10, hier S. 1.
onlinejournal kultur & geschlecht #5 (2009)
Becker Eickelmann Kontrollverlust
2
Einkäufe in Supermärkten über die Aufzeichnung von Daten bei der Handybenutzung bis hin zur Erstellung individueller Interessensprofile einzelner
Internet-Surfer. Werbekampagnen nutzen dabei die rapide Entwicklung auf
dem Markt der ‚Menschheitsüberwachung‘ und bewerben Satelliten-HandySysteme mit dem polarisierenden Werbeslogan „Tracking a package
2
shouldn‘t be easier than tracking a person“ . Hinsichtlich moderner elektronischer Datenüberwachung kristallisiert sich dabei eine Ambivalenz in Bezug
auf die spezifischen Umgangsweisen postmoderner Subjekte
3
mit jenen
Überwachungsmechanismen heraus. Thomas Levin formuliert in „Die Rhetorik der Überwachung. Angst vor Beobachtung in den zeitgenössischen Medien“ die These, dass Überwachung in zwei Richtungen funktioniere: „Wir
4
sind ihr Objekt, aber wir selbst betreiben sie auch aktiv.“ So bezeichnet er
die Möglichkeit der analytischen Trennung moderner Überwachungsmethoden und deren Rezeptions- sowie Wirkungsweisen. Während eingangs die
Objektivierung durch Überwachung im Sinne einer digitalen Informationsdokumentation des verobjektivierten Subjekts zitiert wurde, soll nun eine dem
Phänomen der Überwachung adäquatere Perspektive eingenommen werden, indem eine weitere Analyseebene miteinbezogen wird. Es gilt also, die
zwei ambivalenten Richtungsweisen moderner Überwachungsmedien zu
beleuchten: Objektivierung der Überwachung, sowie Subjektivität der Überwachung im Sinne der Substitution des Descarte’schen ‚cogito‘ durch die
Logik ‚Ich werde beobachtet, also bin ich‘. Wir haben es also mit einer Doppeldeutigkeit zu tun, die sowohl Faszination, als auch Bedrohung verbindet.
Die theoretischen Grundlagen dieser Erörterung basieren vor allem auf zwei
medientheoretischen Ausführungen, die sich auf analytischer Ebene mit
dem Phänomen moderner Überwachung beschäftigen. Hierbei lassen sich
spezifische Subjekt-Objekt-Relationen herauskristallisieren, die in Hinblick
2
3
4
Ebd., S. 3. Levin bezieht sich dabei auf eine Werbekampagne für das weltumspannende
Satelliten-Handy-System der Firma Iridium, die auf ihrer Homepage
http://www.smartsat.com/de/ unter anderem das DRK, Mercedes-Benz, RWE und den WDR
in ihrer Referenzliste aufzählen.
Im weiteren Verlauf der Arbeit wird auf diesen Aspekt näher eingegangen.
Levin, Die Rhetorik der Überwachung, S.1.
onlinejournal kultur & geschlecht #5 (2009)
Becker Eickelmann Kontrollverlust
3
auf moderne Kommunikations- und Überwachungssysteme zu problematisieren sind. Dieser Aufsatz stellt den Versuch dar, die analytischen Erkenntnisse
und
Ergebnisse
der Texte
auf das zeitgenössische
Thema
„Handygewalt“ zu beziehen. Es erfolgt also ein Transfer der theoretischen
Problematisierung, hin zu neuen, durch Handys eröffneten, technischen
Möglichkeiten der Bildaufzeichnung und des Datenaustausches. Dabei werden die durch die Autoren gespeisten analytischen Trennungen beibehalten,
auch wenn sich zeigen wird, dass es sich dabei um idealtypische Aufspaltungen handelt, die in der Realität durch starke wechselseitige Beeinflussungen und Vernetzungen unterminiert werden. Im Folgenden wenden wir
uns zunächst der Wiedergabe des Status Quo auf dem Gebiet der modernen Überwachungs- und Observationstechniken zu, bevor wir uns en détail
mit der Problematisierung beider zuvor genannter Analyseebenen beschäftigen.
Spezifika moderner Überwachungstechnologien
Im Zuge der raschen technologischen Entwicklung, konkretisiert in Form von
Internet und anderen Datenproduktions- und Datentransfermedien, hat sich
ein spezifischer Umgang mit Bildern etabliert. Sie zirkulieren auf eine spezifische Art und Weise in den Massenmedien und stellen somit einen erheblichen Wirkungsfaktor in Bezug auf die Konstituierung der modernen
Gesellschaft und ihrer Subjekte dar. Vor allem ihr enormer Wirkungsgrad,
der nicht zuletzt auf die Möglichkeit der Datenreproduktion zurückzuführen
ist, bildet dabei das Kernstück ihres Charakteristikums. Dabei bilden sich
neue Strukturen der Interaktion heraus, die die Notwendigkeit der Face-to5
Face-Kommunikation weitestgehend obsolet werden lassen . Deleuze be6
zeichnet dieses Phänomen als „Deterritorialisierung der Kultur“ . Hierbei
lässt sich also von einer ‚Emanzipation der Medien‘ von ihrem ‚ursprünglichen‘ Autor sprechen, die auf die letztendliche Ungerichtetheit moderner
5
Maresch, Rudolf: Medien der Gewalt – Gewalt der Medien, in: Florian Rötzer (Hg.): Virtuelle
Welten – reale Gewalt. Hannover 2003, S. 169-188, hier S. 171ff.
6
Deleuze, Gilles, zit. nach Mark Poster: Medienphilosophie des Internet, in: Mike Sandbothe,
Ludwig Nagl (Hg.): Systematische Medienphilosophie. Deutsche Zeitschrift für Philosophie
Sonderband 7 (2005), S. 359-379, hier S. 359.
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Becker Eickelmann Kontrollverlust
4
7
Medien verweist . Somit befindet sich der Anspruch auf eine intentionale
Zielgebundenheit moderner Medien in Auflösung und führt zu einem folgenreichen Kontrollverlust. Die sich daraus ergebende Konsequenz lässt sich
demnach als eine Unterbrechung der Kausalitätenkette begreifen. Die ursprüngliche Intention und Botschaft des produktiven Subjektes, d.h. seine
konkrete Absicht und intendierte Aussage an potenzielle RezipientInnen,
verflüchtigt sich im Kontext frei zirkulierender Bilder und Bedeutungen. Innerhalb dieser Kausalitätenkette haben wir es somit mit einer kontextspezifischen Sinn- und Wertezuschreibung zu tun, die sich jeweils auf einen
spezifischen normativen Rahmen bezieht. Dies bedeutet, dass die Thematisierung ein und desselben Sachverhaltes in bestimmten sozialen Kontexten
‚neue‘ Sinn- und Wertezuschreibung hervorbringt, also aus dem ‚ursprünglich‘ intendierten Sinn- und Wertekontext herausgelöst wird und einer ‚neuen‘ Einbettung unterliegt. Moderne Massenmedien zeichnen sich demnach
durch das Charakteristikum der ‚Dekontextualisierung‘ (Kontextualisierung,
Herauslösung, Re-Kontextualisierung) aus. Dieser Sachverhalt lässt sich
anhand von ausgewählten Beispielen medialer Repräsentationen im Folgenden exemplifizieren.
Transformation des Objekts der Überwachung zum produktiven Subjekt
Wie eingangs erläutert stellen hochentwickelte bildgebende Verfahren einen
zentralen Aspekt in Bezug auf moderne Gesellschaften dar. Diese Gesellschaften funktionieren als Gesellschaften, in denen nichts ohne Bebilderung
existieren kann. Die in diesen Strukturen verorteten Subjekte bedienen sich
eben dieser bildgebenden Verfahrenen, um ihre eigene Identität herzustellen,
„[…] das postmoderne Subjekt akzeptiert die Macht der Institutionen oder
die Macht der Gesellschaft, seine Identität zu formen, nicht mehr und glaubt
zuweilen an die Möglichkeit der Selbst-Schöpfung, vielleicht in der Form
7
Vgl. Barthes, Roland: Tod des Autors, in: Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Mattias Martinez,
Simone Winko (Hg.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Ditzingen 2000, S. 185-193.
onlinejournal kultur & geschlecht #5 (2009)
Becker Eickelmann Kontrollverlust
5
eines Spiels mit seiner sexuellen Identität oder indem es aus sich ein
Kunstwerk macht.“
8
Insbesondere im Bereich der kulturellen Produktion, das heißt im Bereich
der Populärkultur, findet sich eine Vielzahl beispielhafter Aufzeichnungen,
die die These von Salecl hinsichtlich der Konstitution postmoderner Subjekte
unterfüttern. So scheint die Popularität zahlreicher Internetplattformen, wie
beispielsweise YouTube, ein Ausdruck dieses Phänomens zu sein.
Abb. 1: Web-Cam Julia
Der hier gezeigte Ausschnitt geht auf eine privat aufgezeichnete WebCam-Aufnahme zurück, die eine junge Frau bei der Absicht zeigt,
lasziv und erotisch zu posieren. Moderne Internetportale ermöglichen
9
dem User nun, seine Selbstproduktionen einer breiten Masse von
Internet-Usern zugängig zu machen. Dabei scheint es offenkundig einen
Zusammenhang zwischen identitätsstiftendem Potenzial und dem Ausmaß
der öffentlichen Rezeption zu geben, bedenkt man, dass die Protagonistin
im oben angeführten Beispiel aufgrund der großen Rezeption zu enormer
Popularität, auch über die Grenzen des Internets hinaus, gelangt ist (im TV
10
wird etwa ein entsprechender downloadbarer Videoklingelton beworben) .
Mediale Repräsentationen dienen in diesen Räumen der bewussten und
gewollten Selbstdarstellung und der Identitätsstiftung. In Anknüpfung an
Salecls These der postmodernen Subjektkonstitution lässt sich konstatieren,
dass sich das Selbst nicht länger ausschließlich lebensweltlich erfährt und
definiert, sondern medial repräsentiert wahrnimmt und Selbstkonstitution
zunehmend auf Basis von Bebilderungsmechanismen funktioniert.
8
Salecl, Renata, zit. nach Winfried Pauleit: Videoüberwachung und postmoderne Subjekte. Ein
Hypertext zu den Facetten einer zeitgenössischen Bildmaschine, in: Nach dem Film 3 (2001), S.
12.
9
Selbstproduktion im Sinne von selbst produziert und Selbst-Produktion im Sinne der Produktion des Selbst.
10
Für weitere Informationen vgl. http://www.webcamjulia.com/ (18.10.2008).
onlinejournal kultur & geschlecht #5 (2009)
Becker Eickelmann Kontrollverlust
6
Stellt die selbst produzierte Aufzeichnung von Webcam Julia den Versuch
des selbstschöpferischen Spiels mit der eigenen sexuellen Identität dar, so
verweist das folgende Beispiel des „Björk-Stalkers“ Ricardo Lopez auf das
selbstschöpferische Potenzial, sich selbst als Kunstwerk zu inszenieren.
Abb. 2: Web-Cam-Aufnahme des „Björk-Stalkers“ Ricardo Lopez
Das den Protagonisten bereits lebensweltlich charakterisierende und
sein Selbst konstituierende ‚Fansein‘ wird medial aufgegriffen und
inszeniert. Darüber hinaus fungiert die Aufzeichnung der Webcam als
intentionale und als gerichtet verstandene Botschaft an eine breite
Öffentlichkeit, die die Inszenierung unmittelbar in Zusammenhang mit
seiner Identität in toto setzt. Ricardo Lopez filmt sich selbst während einer
Art Abschiedsritual von seiner lebensweltlichen Existenz. Dabei inszeniert er
sowohl seinen Körper und damit sich selbst (Nacktheit, Gesichtsbemalung),
als auch sein Umfeld (Plakat, TV mit Björk-Video) und das Mordinstrument
(Waffe). Die Inszenierung des Selbst vollzieht sich dabei selbst über den
11
Tod des Protagonisten (Autors ) hinaus, was wiederum unmittelbar durch
die Möglichkeit der Datenreproduktion moderner Medien bedingt ist.
Ursachenforschung I
„[…] dieses Unbeobachtet-Sein würde ihn mit der Zeit mehr quälen, als das
Beobachtet-Sein vorher […]. Nicht mehr beobachtet, käme er sich nicht beachtenswert, nicht beachtenswert nicht geachtet, nicht geachtet bedeutungslos, bedeutungslos sinnlos vor, er würde, stellte er sich vor, in eine
hoffnungslose Depression geraten, […]. Die Menschen, würde er dann
zwangsläufig folgern, litten unter dem Unbeobachtet-Sein wie er, auch sie
kämen sich unbeobachtet sinnlos vor.“
12
11
Tod des Protagonisten – Tod des Autors? Verdeutlicht dieses Beispiel nicht primär die eigentliche bzw. letztendliche Irrelevanz eines Autors im Sinne eines Urhebers?
12
Dürrenmatt, Friedrich, zit. nach Levin, Die Rhetorik der Überwachung, S.8.
onlinejournal kultur & geschlecht #5 (2009)
Becker Eickelmann Kontrollverlust
7
Wie kommt es nun, dass ‚postmoderne Subjekte‘ technische Dokumentationsverfahren nutzen, um ihre eigene Identität zu generieren? Folgt man
Levin, so etabliert sich im Zuge der sich immer weiter ausbreitenden Aufzeichnungssysteme ein neuer Umgang des Subjekts mit Überwachungsund Videosystemen. Nach Levin lässt sich das „Spektakel der Überwa13
chung“
gleichzeitig als Sichtbarmachen von Überwachung bezeichnen.
Moderne Überwachung sei demnach allgegenwärtig und drücke sich insbesondere in der Überwachungskultur des Internets und TVs aus. Hier werde
die Erkennbarkeit und Identifizierbarkeit von Überwachung zu einem Aspekt
zeitgenössischer Populärkultur:
„Anhand verschiedener Kunstgriffe […] wird dem mitfiebernden Publikum
klar gemacht, dass man Überwachung durchaus erkennen und als solche
identifizieren kann: Dies lindert die Angst vor einer unsichtbaren Überwachung, die sich unmöglich erkennen lässt und einem keinerlei Kontrollmöglichkeiten bietet […].“
14
Dies erkläre nun das Umsichgreifen von beispielsweise Web-Cams im Internet und Real-Life-Observationen im TV (z.B. Big Brother, The Real World).
In Echtzeit aufgezeichnete Mitschnitte von Privatpersonen, sowohl an privaten, als auch an öffentlichen Schauplätzen seien Ausdruck einer neuen
Form des Exhibitionismus, die
„[…] eine direkte Antwort auf den Wildwuchs des Phänomens der Überwachung darstellt. Das Objekt der Überwachung ist nämlich jetzt nicht mehr
länger das Opfer repressiver Bespitzelung, sondern befindet sich in einer
eigenartig wünschenswerten, ja sogar schmeichelhaften Position.“
15
Das Phänomen lässt sich als Wandel des ‚panoptischen Behaviorismus‘
begreifen, in Anlehnung an das Bentham’sche Konstruktionsprinzip. Jeremy
Bentham entwickelte das Modell des Panopticons Ende des 18. Jahrhunderts. Hintergrund dieses Konzepts ist der Utilitarismus und die Entwicklung
13
14
15
Ebd., S.6.
Ebd., S. 4.
Ebd., S. 8.
onlinejournal kultur & geschlecht #5 (2009)
Becker Eickelmann Kontrollverlust
8
eines ökonomisch sinnvollen und effizienten Konstruktionsprinzips. Bei dem
Panopticon handelt es sich um einen mehrstöckigen, zylindrischen Bau, der
seine Anwendung in verschiedenen Institutionen wie Gefängnissen, Krankenhäusern, Fabriken oder Schulen findet. Am Rand befinden sich ‚Zellen’,
die von hinten mit Licht durchflutet werden, so dass der ‚Zellinsasse’ einer
optimalen Sichtbarkeit ausgesetzt ist. In der Mitte befindet sich ein Turm,
von welchem aus der Wärter jeden einzelnen ‚Zellinsassen’ sehen kann. Die
Konstruktion des Turmes ist in Bezug auf die Funktionalität des Panopticons
von entscheidender Bedeutung: Aufgrund von angebrachten Jalousien können die ‚Zellinsassen’ den Wärter nicht sehen. Die Konsequenz ist, dass die
‚Zellinsassen’ eine Beobachtung nie ausschließen können, so dass sie permanent von eben dieser ausgehen müssen. In der Konsequenz dieser permanenten Möglichkeit, beobachtet zu werden, liegt die eigentliche
Effektivität. Die ‚Insassen’ beugen sich automatisch, aufgrund der reinen
Möglichkeit sanktioniert werden zu können, den institutionellen Regeln.
16
Foucault hat in den 1970er Jahren den Wandel dieses Disziplinarprogramms
und die ‚neue Einbindung des Individuums‘ in eben diese Strukturen thema17
tisiert . Die Allgegenwärtigkeit moderner Aufzeichnungssysteme bedinge
einen Wandel in Bezug auf die Disziplinierung des Subjekts. Die verblüffende Situationsumwertung durch die Subjektivität der Überwachung verweist
somit unmittelbar auf die Identifikation mit dem Überwachungsapparat. Es
lässt sich an dieser Stelle also von einer selbsthergestellten Subjektivität der
Überwachung sprechen, die dabei den Bedeutungsverlust lebensweltlicher
Ereignisse zur Folge hat. Im Zeitalter der Überwachung reichen also zwischenmenschliche
Handlungen
(im
Sinne
von
Face-to-Face-
Kommunikation) allein nicht mehr aus, um ein Ereignis zu konstituieren. Der
überwachende Blick wird in der Postmoderne zu jenem Blick umgedeutet,
der einem Ereignis erst den Status der Realität verleiht. Die Notwendigkeit
der medialen Repräsentation, der Bebilderung, rückt also in den Vordergrund der Identitätsgenese.
16
17
Ebd., S. 9.
Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a.M.
1977, S. 251ff.
onlinejournal kultur & geschlecht #5 (2009)
Becker Eickelmann Kontrollverlust
9
Objektivierung durch Überwachung – Verobjektivierung durch
Re-Kontextualisierung
Die
durch
mediale
Repräsentationen
geschaffenen
Subjekt-Objekt-
Relationen sind a) nicht mehr bzw. nicht immer offensichtlich und b) nicht
uneingeschränkt gültig, sondern immer nur temporär wirksam. So können
selbstdarstellerische, das Selbst konstituierende Aufnahmen in ‚neuen‘ sozialen Räumen, Situationen und Feldern ihren Subjektstatus verlieren und
zur Verobjektivierung des Subjekts führen, das sich plötzlich medialer Gewalt ausgesetzt sieht. Als Beispiel für diesen Sachverhalt können die Schilderungen in einem Jugendzentrum in Köln angeführt werden.
18
Gegenstand
der Auseinandersetzung ist ein unter 14-17-jährigen Jugendlichen in Umlauf
geratenes Handy-Video. Diese Aufnahme zeigt ein Mädchen mit drei Jungen
bei sexuellen Akten. Die eigentliche Brisanz des Videos besteht jedoch in
der Uneindeutigkeit des Materials. Die Aussagen über dieses Video zeichnen sich durch enorme Widersprüche, sowohl seitens des Mädchens, als
auch seitens der Rezipierenden aus. Der Einschätzung der Pädagogin des
Jugendzentrums zufolge kursierte das Video bereits mehrere Wochen unter
den Jugendlichen. Dabei habe das Mädchen selbst das Video an einen
Freund geschickt. Dieser Zustand lässt vermuten, dass besagtes Videomaterial im Rahmen der ‚Freiwilligkeit’ produziert und weiterverbreitet worden
ist. Unter Voraussetzung dieser Gegebenheiten fungiert das Video als
selbstdarstellerisches Material, welches im Rahmen der jugendlichen Rezipienten als solches aufgefasst und nicht problematisiert wird. Durch die
Möglichkeit der Datenreproduktion (Handy zu Handy: via Bluetooth, Handy
zu PC: Video-Upload auf PC, PC zu Handy: Video-Download usw.) gelangte
nun das Video über den Kreis der Jugendlichen hinaus zu befreundeten
Eltern des Mädchen und schließlich zu den Eltern des Mädchens selbst.
Laut Aussage der Pädagogin bedingte dieser Umstand den eigentlichen
Leidensdruck des Mädchens. Die Erkenntnis seitens des Mädchens, dass
das Video bereits über den Kreis der Jugendlichen hinaus verbreitet wurde,
18
Haardt-Becker, Annette; Schulte, Simone: Der einzige Wunsch, den die hat, ist, dass das
Video vernichtet wird. In: Innocence in Danger Sektion in Deutschland e.V. Bundesverein
zur Prävention von sexuellem Mißbrauch an Mädchen und Jungen e.V.: Mit einem Klick
zum nächsten Kick. Aggression und sexuelle Gewalt im Cyberspace. Köln 2007.
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Becker Eickelmann Kontrollverlust
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führte bei dem Mädchen zu einem Nervenzusammenbruch. Die Pädagogin
äußerte sich dazu: „Und dann habe ich von einer Freundin von ihr gehört,
dass das wohl schon ein paar Monate her wäre. Ich dachte immer, ich hätte
das relativ zeitnah erfahren, aber das stimmte gar nicht. Die ganze Problematik trat hier erst auf, als das Video hier in der Straße auftauchte.“
19
An
dieser Stelle zeigt sich ganz deutlich, dass die De-Kontextualisierung, bzw.
Re-Kontextualisierung in ‚neue‘ Bedeutungszusammenhänge (Freunde der
Familie und Familie des Mädchens) die vorherigen Subjekt-ObjektRelationen modifiziert. Das produktive Mädchen, das sich in ‚ursprünglichen‘
Sinn- und Wertezuschreibungen selbst als produktives Subjekt erfährt und
inszeniert, wird nun in ‚neuen‘ Sinn- und Wertekontexten verobjektiviert und
sieht sich medialer Gewalt ausgesetzt. Die Gewalt besteht hierbei also nicht
a priori, sondern vielmehr a posteriori in Abhängigkeit von den Sinn- und
Wertezuschreibungen einer spezifischen Rezipientengruppe.
Ursachenforschung II
Die kontextspezifische Umdeutung der Subjekt-Objekt-Relationen lässt sich
auf theoretischer Ebene mit dem Begriff des „Photographesomenon“ nach
20
Pauleit
erfassen und erläutern. Pauleit will mit dem Modell des „Photo-
graphesomenons“ die strukturellen Spezifika moderner Videotechnik in Abgrenzung zur Fototechnik herausarbeiten. Die Bilder der Fotographie lassen
sich nach Pauleit als „latente Bilder“, als ‚Festlegung‘ eines raumzeitlichen
Ausschnitts bezeichnen. Fotographie bezeichnet die Gegenwartsform von
„Licht schreiben“, es gibt eine „besondere Ereignisstruktur der Bildaufnahme“. Das Prinzip des Photographesomenons bezeichnet hingegen die nachträgliche, das heißt die in der Zukunft verortete Sinnzuschreibung. Er
entwickelt diesen Sachverhalt in Anlehnung an kontinuierlich aufzeichnende
Videosysteme, denen keine spezifische Ereignisstruktur zugrunde liegt,
sondern die, bei Bedarf, erst zukünftig konstruiert wird. Ein konkretes raumzeitliches Gefüge kann lediglich als nachträglich verfügbare Bildspur ver-
19
20
Ebd., S. 38f.
Pauleit, Videoüberwachung und postmoderne Subjekte, S.3ff.
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Becker Eickelmann Kontrollverlust
11
doppelt werden. Der leere Blick der Kamera schafft durch die zeit- und
raumumfassende Konservierung der (potentiellen) Ereignisse die Möglichkeit der Re-Konstruktion einer zweiten Wirklichkeit: „Videokameras werden
dazu als Verbundsystem aufgestellt und ihre Bilder überlagern die Wirklichkeit für den Fall, dass …“.
21
Diese Bildproduktion ist dabei auf ein Futur II
gerichtet, das heißt „es handelt sich um eine Bildauffassung, die über eine
Zeitschleife funktioniert […].“
22
Das Photographesomenon bezeichnet dem-
nach die Zukunftsform des Futurs II im Sinne von „Es-wird-Lichtgeschrieben-worden-sein“.
Trotz des von Pauleit beschriebenen leeren und unintentionalen Blicks der
Videoüberwachungssysteme kann das Modell des Photographesomenons
ebenso auf intentional gerichtete Medien, wie beispielsweise Handyaufzeichnungen, angewendet werden. Bei Handyaufzeichnungen kann man
nicht von einem leeren Blick der Kamera sprechen, da die Herstellung eben
jener Aufzeichnungen auf Interaktionspartner angewiesen ist, die bereits
während der Erstellung des Videomaterials eine spezielle Ereignisstruktur
festhalten. Dennoch lässt sich auch in diesem Zusammenhang von der Konstitution eines Futurs II sprechen, berücksichtigt man die Verobjektivierung
von Subjekten durch die Einbettung in ‚neue‘ Sinn- und Wertekontexte (siehe Beispiel Jugendzentrum). Hierbei bedingt die Rekonstruktion der Ereignisse die Entstehung einer zweiten Wirklichkeit: Die bereits vergangenen
Ereignisse werden durch erneutes Abspielen des Videomaterials in die Gegenwart transportiert und bedürfen hier, unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Sinnstrukturen, einer neuen Einbettung und Kontextualisierung. Die
gegenwärtigen Rezipienten konsumieren das Material bei gleichzeitiger Einordnung in die ihnen gegebenen Bedeutungszusammenhänge. Das Geschehene wird reproduziert und rekontextualisiert, in einer (wie Pauleit
formulieren würde) zweiten Bildspur verdoppelt. Dabei muss es sich nicht
zwangsläufig um Material handeln, das zunächst selbstschöpferische Subjekte zeigt, die bei der Rekonstruktion der Ereignisse unter neuen situativen
21
22
Ebd., S. 5.
Ebd., S. 4.
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Becker Eickelmann Kontrollverlust
12
und kontextuellen Bedingungen zum Objekt der Aufnahme degradiert werden und sich infolgedessen medialer Gewalt ausgesetzt sehen. Generell
lässt sich das Strukturprinzip des Photographesomenons auch an solchen
(Handy-)Aufzeichnungen verdeutlichen, die von vornherein keine eineindeutigen Subjekt-Objekt-Zuschreibungen zulassen, wie unten stehendes Beispiel verdeutlichen soll.
Dieses Video zeigt italienische Schüler und ihre Lehrerin. Mehrere männliche Schüler stehen oder sitzen neben der Lehrerin, die sich leicht nach vorn
gebeugt auf einen Tisch auflehnt. Dabei entblößt sich ein Stück des Rückens der Frau und legt zudem den Blick auf ihre Unterwäsche frei. Es ist zu
sehen, wie die Schüler sowohl nach dem Gesäß, als auch nach der Wäsche
und sogar in die Hose der Lehrerin fassen. Diese greift nur ein einziges Mal
nach der in ihrer Hose steckenden Hand und scheint sich nicht weiter zur
Wehr zu setzen.
Abb. 3: Handyaufnahme eines Schülers
Ob es sich bei diesen Handlungen um Formen der sexuellen Belästigung
oder aber freiwillige Akte handelt, ist dem Material nicht zu entnehmen. Die
Information jedoch, dass die Lehrerin nach Veröffentlichung des Videos im
Kollegenkreis suspendiert wurde, verdeutlicht den Umstand, dass das Videomaterial in den innerschulischen Sinn- und Wertezusammenhängen als
Akt der Freiwilligkeit kontextualisiert worden ist.
23
Der Betrachter weiß nicht,
ob die Lehrerin, ebenso wie die Schüler, Teil einer selbstschöpferischen und
selbstinszenierenden Handlung ist. Lediglich hinsichtlich der Schüler lässt
sich das Videomaterial im Sinne einer das Selbst konstituierenden Inszenierung verstehen (permanente Close-Ups von einem der ‚Täter‘). In Bezug auf
die Lehrerin, deren Rolle nicht eindeutig zu bestimmen ist, lässt sich das
Video durchaus als Instrument medialer Gewalt verstehen (insbesondere im
Hinblick auf die sich für die Lehrerin ergebenden Konsequenzen).
23
Http://www.break.com/index/italian_students_fondle_teacher.html (18.10.2008).
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Becker Eickelmann Kontrollverlust
13
Resümee
Allgegenwärtige Überwachung lässt sich als zentrales Charakteristikum der
sich ab dem 20. Jahrhundert etablierenden Kontrollgesellschaft bezeichnen.
Die in dieser Kontrollgesellschaft verorteten postmodernen Subjekte haben
den
Umgang
mit
alltäglichen
Datenobservations-
und
Da-
ten(re)produktionstechnologien normalisiert und für sich nutzbar gemacht.
Postmoderne Subjekte eignen sich die verschiedensten Verfahren der Daten- und Ereignisdokumentation auf verblüffende Art und Weise an und unterminieren so das Konzept der objektiven Überwachung zum Zweck der
Konstitution des eigenen Selbst. Es wurde deutlich, dass die Mittel der modernen Dokumentationsverfahren nunmehr im Rahmen einer subjektiven
‚Freiwilligkeit’ zur Produktion von selbstinszenierenden Aufzeichnungen
fungieren. Dabei bedarf die hier deklarierte subjektive ‚Freiwilligkeit’ durchaus einer genaueren Betrachtung. Versteht man die moderne Kontrollgesellschaft als komplexes Netzwerk diverser Macht- und Herrschaftsstrukturen,
in denen durch Machtbeziehungen Felder von Möglichkeiten eröffnet werden, so gilt es den Begriff der ‚Freiwilligkeit’ respektive ‚Freiheit’ zu reformulieren. In Anlehnung an Foucault seien Subjekte eben nicht unabhängig von
eben diesen „Maschen der Macht“
24
zu betrachten. Vielmehr ist ‚Freiheit’
ausschließlich in unmittelbarer Verbindung mit Macht zu denken. Dieses
Verhältnis von Macht und Freiheit lässt sich als Agonismus bezeichnen, das
heißt als durch gegenseitiges Antreiben und Kampf geprägt. Macht und
Freiheit schließen sich nach diesem Verständnis nicht aus, sondern bedingen einander. Selbst in Momenten deklarierter ‚Freiheit’ unterliegt das ‚freie’
Subjekt also spezifischen Macht- und Herrschaftsstrukturen. Freiheit existiert
als notwendige Voraussetzung für Macht, denn entzöge sich die Freiheit der
Macht, handelte es sich nicht länger um Machtstrukturen, sondern um
Zwang. Definiert sich das Subjekt also als ‚frei’, da es sich nicht zu einer
Handlung gezwungen fühlt, bedeutet dies nicht gleichermaßen seine Unab-
24
Foucault, Michel: Die Maschen der Macht, in: ders.: Schriften. Band Vier. Frankfurt am
Main 2004, S. 224-244.
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Becker Eickelmann Kontrollverlust
14
hängigkeit in Bezug auf Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Die ‚Subjektivität der Überwachung‘ erscheint unter Berücksichtigung dieses Sachverhalts
als hochgradig ambivalentes Phänomen. Es stellt sich also die Frage, inwiefern von einer Emanzipation des Subjekts von verobjektivierenden Überwachungsmechanismen überhaupt die Rede sein kann, wenn hier doch
wiederum Macht- und Herrschaftsverhältnisse unter dem Deckmantel der
Freiheit wirksam werden.
Darüber hinaus, unter Berücksichtigung des zweiten Teils der Arbeit, stellt
sich die Frage, inwieweit die selbstdarstellerischen Inszenierungen den Intentionen des produktiven Subjekts gerecht werden können. An dieser Stelle
lässt sich auf die Spezifika moderner Massenmedien verweisen, die sich
mitunter durch ihre Ungerichtetheit auszeichnen. Die notwendige De- und
Rekontextualisierung von Datenmaterial in neue Sinn- und Wertezusammenhänge verweist auf den fließenden Charakter von Bedeutung. Bedeutung kann nicht festgeschrieben werden, sondern wird stets neu erzeugt.
Das Subjekt sieht sich einem Kontrollverlust ausgesetzt, worin sich das eigentliche Wesen medialer Gewalt offenbart.
Literatur
Barthes, Roland: Tod des Autors, in: Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Mattias
Martinez, Simone Winko (Hg.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Ditzingen
2000, S. 185-197.
Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses.
Frankfurt a.M. 1977.
Foucault, Michel: Die Maschen der Macht, in: ders.: Schriften. Band Vier.
Frankfurt a. M. 2004, S. 224-244.
Foucault, Michel: Technologie des Selbst, in: Luther H. Martin, Huck Gutman, Patrick H. Hutton (Hg.): Technologien des Selbst. Frankfurt a. M.1993,
S. 24-62.
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Haardt-Becker, Annette; Schulte, Simone: Der einzige Wunsch, den die hat,
ist, dass das Video vernichtet wird, in: Innocence in Danger Sektion in
Deutschland e.V. Bundesverein zur Prävention von sexuellem Mißbrauch an
Mädchen und Jungen e.V. (Hg.): Mit einem Klick zum nächsten Kick. Aggression und sexuelle Gewalt im Cyberspace. Köln 2007, S. 28-47.
Levin, Thomas: Die Rhetorik der Überwachung. Angst vor Beobachtung in
den zeitgenössischen Medien, in: Nach dem Film 3 (2001),
http://nachdemfilm.de/no3/pdf/lev01. pdf (12.10.2009).
Maresch, Rudolf: Medien der Gewalt – Gewalt der Medien, in: Florian Rötzer
(Hg.): Virtuelle Welten – reale Gewalt. Hannover 2003, S. 169-188.
Pauleit, Winfried: Videoüberwachung und postmoderne Subjekte. Ein Hypertext zu den Facetten einer zeitgenössischen Bildmaschine, in: Nach dem
Film 3 (2001), http://nachdemfilm.de/no3/pdf/pau03.pdf (12.10.2009).
Poster, Mark: Medienphilosophie des Internet, in: Mike Sandbothe, Ludwig
Nagl, (Hg.): Systematische Medienphilosophie. Deutsche Zeitschrift für Philosophie Sonderband 7 ( 2005), S. 359-379.
Abbildungen
Abb. 1: http://www.youtube.com/watch?v=lrdkl1miiAw (18.10.2008)
Abb. 2: http://www.youtube.com/watch?v=BwigfzmANBQ (18.10.2008)
Abb. 3: http://www.break.com/index/italian_students_fondle_teacher.html
(18.10.2008)
http://www.webcamjulia.com/ (18.10.2008)
Autorinnen
Bianca Becker, B.A. in Germanistik/ Sozialpsychologie und -anthropologie,
derzeit Masterstudium Sozialpsychologie und -anthropologie/ Gender
Studies an der Ruhr-Universität Bochum.
Jennifer Eickelmann, B.A. in Erziehungswissenschaft/ Sozialpsychologie
und -anthropologie, derzeit Masterstudium in Sozialpsychologie und
-anthropologie/ Gender Studies an der Ruhr-Universität Bochum.
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Becker Eickelmann Kontrollverlust
16
Der Text entstand im Rahmen des von Angela Koch angebotenen Seminars
„Geschlecht und Gewalt: Das Internet als Raum der Genese neuer symbolischer Ordnungen?“ am Institut für Medienwissenschaft der Ruhr-Universität
Bochum. Die Auseinandersetzung mit dem Thema erfolgte zunächst im Zusammenhang eines mündlichen Vortrags, der im Anschluss zu einer Seminararbeit ausgearbeitet wurde.
Kontakt: [email protected], [email protected]
SCHULENTWICKLUNG
Berlin – Brandenburger
Anti-Gewalt-Fibel
Aktuelle Hilfe – nachhaltiges Handeln
Bildungsregion Berlin-Brandenburg
Impressum
Herausgeber:
Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM)
14974 Ludwigsfelde-Struveshof
Tel.: 03378 209-200
Fax: 03378 209-232
Internet: www.lisum.berlin-brandenburg.de
Fachliche Verantwortung:
Ulrike Kahn, Michael Rump-Räuber
Autorin:
Ulrike Kahn
Layout und Fotografie:
Christa Penserot
Druck und Herstellung:
Oktoberdruck, Berlin
ISBN: 978-3-940987-39-6
©
Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM); April 2009
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte einschließlich
Übersetzung, Nachdruck und Vervielfältigung des Werkes vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne
schriftliche Genehmigung des LISUM in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes
Verfahren) reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder
verbreitet werden. Eine Vervielfältigung für schulische Zwecke ist erwünscht.
Das LISUM ist eine gemeinsame Einrichtung der Länder Berlin und Brandenburg im Geschäftsbereich des
Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg (MBJS).
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ....................................................................................................................... 5 Aspekte von Gewaltsituationen .................................................................................. 6 12 Gründe, warum Gewalt oft so attraktiv ist ........................................................... 6 Was Gewaltsituationen so problematisch macht ..................................................... 6 Gewalt wird nicht geduldet ...................................................................................... 6 Aktuelle Hilfe............................................................................................................... 7 Intervention in Gewaltsituationen – 9 Schritte ......................................................... 7 Konflikte aufarbeiten und Konsequenzen ziehen .................................................... 8 Konflikte im Klassenzimmer – Checkliste .............................................................. 11 Das Einschätzungsprofil ........................................................................................ 13 Checkliste für Lehrerinnen und Lehrer .................................................................. 14 Kooperation von Schule und Eltern ....................................................................... 16 Primärprävention anstelle von Intervention............................................................... 19 Primärprävention in der Grundschule .................................................................... 22 Prävention und Intervention in Schulen der Sekundarstufe I ................................. 23 Nachhaltige Unterstützung ....................................................................................... 24 Gewaltprävention und Schulentwicklung ............................................................... 26 Gewaltprävention durch soziales und kooperatives Lernen...................................... 30 Curriculum zum sozialen und kooperativen Lernen............................................... 30 Schulmediation ...................................................................................................... 33 Programme zum sozialen Lernen – Lebenskompetenzprogramme ...................... 36 Programme für Grundschülerinnen und -schüler................................................... 37 Programm für Schulen der Sekundarstufe I .......................................................... 51 Gewaltprävention durch Demokratiepädagogik ........................................................ 53 Hilfe, Unterstützung und Beratung ............................................................................ 55 Weiterführende Materialien ................................................................................... 57
3
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
4
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Vorwort
Gewalt an Schulen – psychische wie physische – ist völlig inakzeptabel. Die Schule hat den
Bildungs- und Erziehungsauftrag, der Gewalt, auch innerhalb der eigenen Institution, aktiv
entgegenzuwirken. Gewalt – auch als geringfügig empfundene Gewalt – darf im schulischen
Leben keinen Platz haben. Aus diesem Grunde sind direktes Handeln und Intervenieren
geboten. Alle am schulischen Leben beteiligten Lehrkräfte, Schulleitungen, Schülerinnen und
Schüler, pädagogische und nicht pädagogische Mitarbeiter und ebenso die Elternschaft
sollen auch offensiv präventiv der Gewalt entgegentreten.
Schulische Gewaltprävention und -intervention gliedern sich in drei große Bereiche:
•
Intervention, um im akuten Fall schnell und konsequent zu reagieren,
•
Prävention im Sinne langfristiger vorbeugender Arbeit,
•
kurative Maßnahmen zur Konfliktregelung und -aufarbeitung.
Die Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel verzichtet auf lange und bereits umfassend
vorliegende Gewalterklärungen und wissenschaftliche Befunde. Hierzu hat das LISUM
bereits ein Material1 herausgegeben, das online verfügbar und weiter aktuell ist.
Die Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel bietet für aktuelle Gewaltsituationen direkt
einsetzbare Hilfe und benennt außerdem Ansprechpartnerinnen und -partner für Berliner und
Brandenburger Schulen, die bei der Gewaltprävention und -intervention auf Anfrage
beratend tätig werden.
Es werden
•
•
•
•
umfassende Anregungen und Maßnahmen für eine wirkungsvolle Gewaltprävention
in der gesamten Schule im Rahmen von Schulentwicklungsprozessen vorgestellt.
Möglichkeiten beschrieben, wie Kinder und Jugendliche durch soziales Lernen selbstbewusst und lebenskompetent werden können, um der Attraktivität von gewalttätigem
Handeln nachhaltig widerstehen zu können.
Aspekte von Jungenförderung mitgedacht, da Jungen und junge Männer - sowohl als
Täter als auch Opfer – besonders betroffen sind.
demokratiepädagogische Lernarrangements aufgezählt, die besonders gewaltpräventiv wirken.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer verantwortungsvollen Aufgabe.
Dr. Jan Hofmann
1
„Erst Nachdenken, dann Handeln“–Wahrnehmen, Erklären und Handeln zu Aggression und Gewalt als Strategie
für eine tolerante und weltoffene Schule; Hrsg.: Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg.
2. , überarb. Auflage, Ludwigsfelde Januar 2009
5
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Aspekte von Gewaltsituationen
12 Gründe, warum Gewalt
oft so attraktiv ist
Was Gewaltsituationen so
problematisch macht
1.
Mit Gewalt können Interessen
durchgesetzt und Ziele erreicht
werden.
Gewaltsituationen
2.
Gewalt baut aufgestaute, aggressive
Impulse ab.
• sind in ihrem Verlauf kaum berechenbar und kaum zu kontrollieren;
3.
Gewalt kann das Ansehen in der
eigenen Gruppe steigern.
4.
Gewalt schafft Fakten, die bei
späteren Verhandlungen als Ausgangspunkt genommen werden
können.
• kommen häufig unvermittelt, sodass
eine Vorbereitung auf die spezifische
Situation kaum möglich ist;
5.
Die (scheinbare) Effektivität von
Gewalt ist offensichtlich und braucht
nicht begründet zu werden.
7.
Gewalt wirkt auch nach innen,
indem sie potenzielle Kritiker
einschüchtert.
9.
• erfordern sofortiges Handeln;
• machen Absprachen mit anderen in
der Situation oft nur schwer möglich;
Gewalt kann eigene Privilegien/
Vorteile (zumindest kurzfristig)
absichern und zudem berechtigte
Ansprüche anderer (eine Zeit lang)
abhalten.
6.
8.
• sind oft emotional aufgeheizt;
• provozieren Angst um die eigene
körperliche Unversehrtheit;
• berücksichtigen nicht die Folgen;
• tragen zu seelischen und körperlichen
Verletzungen bei.
Gewalt wird nicht geduldet,
weil sie
Gewalt schafft Klarheiten in einer
komplizierten und undurchsichtigen
Welt.
• physisch und psychisch verletzt
• ausgrenzt
Gewalt vermittelt das (Macht-)
Gefühl, die eigene Ohnmacht zu
überwinden.
• Schmerzen verursacht
• die Beziehung abbricht
10. Gewalttätigkeiten garantieren
Aufmerksamkeit, mitunter sogar eine
eingehende Medienberichterstattung.
• neue Gewalt erzeugt
• die Menschenwürde verletzt,
11. Gewalthandlungen werden von den
Tätern oft als emotional erregend
und stimulierend erlebt.
… dennoch gibt es Gewalt in der
Familie, der Schule und der Gesellschaft.
12. Gewalthandlungen werden als
Männlichkeitsbeweis gesehen.
6
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Aktuelle Hilfe
Intervention in Gewaltsituationen – 9 Schritte
Für das sofortige Eingreifen bei
Gewalthandlungen werden folgende
Schritte vorgeschlagen:
7. Konfliktparteien beruhigen:
Konfliktparteien räumlich trennen, sie
zum „Durchatmen“ auffordern bzw. sie
in ein Gespräch verwickeln.
1. Die Situation einschätzen und
eingreifen: In der Auseinandersetzung eingreifen und die Gewalt
unterbrechen. Wenn die verbale
Aufforderung nichts nützt, dazwischengehen. Wenn dies zu
gefährlich ist, Hilfe holen.
Konflikt aufarbeiten:
Wenn sich die Beteiligten beruhigt
haben, so schnell wie möglich ein
Konfliktgespräch führen. Es soll geklärt
werden, was vorgefallen ist und wie
das Problem gelöst werden kann.
2. Opferhilfe leisten:
Ist jemand verletzt? Erste Hilfe und
seelischen Beistand organisieren.
8. Konsequenzen ziehen:
Auf Vereinbarungen zwischen den
Konfliktparteien hinarbeiten. Falls eine
Strafe angeraten ist: Steht sie in einem
Verhältnis zur Tat? Erhält das Opfer
einen Ausgleich? Lernt der Täter durch
die Strafe? Wie sieht die Wiedergutmachung aus?
3. Einen Überblick verschaffen:
Wer war beteiligt? Und wer war
Zeuge? Eine erste Analyse ist
wichtig.
4. Signale an den/die Täter/-in
geben:
Gibt es einen eindeutigen Täter?
Wenn ja, dem Täter gegenüber
ausdrücken, dass das Verhalten
Konsequenzen haben wird. Keine
wilden Drohungen ausstoßen, die
dann nicht umgesetzt werden.
Der längerfristige Erfolg von Interventionen hängt davon ab, was in den
Schritten 8 und 9 nachhaltig verabredet
wird.
Bei Konfliktgesprächen ist eine Vereinbarung zwischen den Konfliktparteien zu
treffen, die unbedingt nachhaltig zu
überprüfen ist.
5. Unterstützung holen:
Gezielt die Unterstützung eines
Jugendlichen bzw. einer weiteren
Lehrkraft einfordern, falls dies
erforderlich ist.
Wiedergutmachung bzw. Strafen für Täter
sollen angemessen sein und möglichst
einen Täter-Opfer-Ausgleich einbeziehen.
Die einzelne Schule ist klug beraten, wenn
sie erfahrungsbezogene Hinweise
diskutiert und sammelt, sodass diese in
der Notsituation benutzt werden können.
6. Zuschauende wegschicken:
Die Zuschauer wegschicken oder
sich mit den Konfliktparteien
wegbegeben.
7
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Konflikte aufarbeiten und Konsequenzen ziehen
Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen bei Kindern und Jugendlichen sind in jedem Fall
die Klassenlehrkräfte und ggf. die Schulleitung zu informieren. Je nach Grad der physischen bzw. psychischen Gewalt ist zu beraten, mit welchen Maßnahmen auf das Verhalten zu reagieren ist (Konfliktschlichtung, Wiedergutmachung, Sanktionsmaßnahmen,
Ordnungsmaßnahmen).
Ordnungsmaßnahmen
Sanktionsmaßnahmen
Wiedergutmachung
(Täter‐Opferausgleich)
Konfliktschlichtung
(ggf. Schulmediation)
In vielen Fällen kann durch Konfliktgespräche oder auch Schulmediation2 der Konflikt
bearbeitet werden. Hilfreich dabei sind Kolleginnen bzw. Kollegen, die eine Schulmediationsausbildung absolviert haben und die die anderen Klassenlehrkräfte in diesen
Situationen entlasten können.
Zu den möglichen Wegen für eine Konfliktbearbeitung gehören:
Konfliktschlichtung
•
Einzelgespräche: nach vorherigen Einzelgesprächen Verabredung zum Gespräch
mit Tätern und Opfern;
•
Konfliktgespräch: Konfliktbewältigung durch Konfrontation der Konfliktpartner mit
ihrem aggressiven Verhalten bei gleichzeitiger Reintegration in die soziale Gemeinschaft, Einbeziehung von Rollen- bzw. Perspektivenwechsel, Erörterung der Folgen
von Gewalttaten, Sammlung von konstruktiven Verhaltensalternativen;
•
Schulmediation/Streitschlichtung/Konfliktlotsengespräch: Konfliktbewältigung
durch Schulmediation ist erfolgreich, wenn diese eingebettet ist in ein gewaltpräventives Schulprogramm.
2
in Berlin „Konfliktlotsenmodell“ nach Ortrud Hagedorn“
8
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Wiedergutmachung
•
Wiedergutmachungsgespräch: Vorschläge mit den beteiligten Schülerinnen und
Schülern erarbeiten;
•
Täter-Opfer-Ausgleich: Die Schulordnung einer Schule kann festlegen, dass die
Schule sich bei Konflikten und gewalttätigen Übergriffen nicht auf den Einsatz von
Ordnungsmaßnahmen beschränken kann, sondern schon im Vorfeld interveniert bzw.
kurativ tätig wird. Dabei wird der Täter-Opfer-Ausgleich bei schweren Gewaltanwendungen eingesetzt. Die Täter sind zunächst mit ihren Handlungen zu konfrontieren,
sie müssen Verantwortung für ihre Tat und das Opfer übernehmen. Stimmen sowohl
Täter als auch Opfer einem Ausgleichsversuch zu, kann der Konflikt unmittelbar mit
den Beteiligten bearbeitet werden.
Sanktionsmaßnahmen
•
Maßnahmenkatalog: Akteure der Schule haben Vorschläge erarbeitet, die in einem
niedrigschwelligen Maßnahmenkatalog zusammengefasst sind. Diese Maßnahmen
werden je nach Tatschwere ausgesprochen bzw. mit Sanktionsmaßnahmen gekoppelt, die unterhalb von Ordnungsmaßnahmen liegen. Bei der Erarbeitung dieses
Maßnahmenkatalogs empfiehlt sich, die Schülerinnen und Schüler mit einzubeziehen,
da diese zum einen kreative Ideen haben und zum anderen diese Vorgehensweise
auf größere Akzeptanz stößt.
Ordnungsmaßnahmen
•
Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen: Erziehungs- (§ 62) und Ordnungsmaßnahmen (§ 63) in Berlin und Grundsätze zu Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen
(§ 63) und Ordnungsmaßnahmen (§ 64) in Brandenburg regeln im Schulgesetz
Maßnahmen bei schwergewichtigen Regelüberschreitungen.
Die hier aufgezeigten möglichen Wege stehen bei der Konfliktbearbeitung in einer
Rangfolge: Je konsequenter Konflikte niedrig schwellig bearbeitet werden, desto erfolgreicher wird die Konfliktbearbeitung sein. „Grenzen setzen“ heißt unmittelbare Reaktion
durch Konfliktschlichtung und Wiedergutmachung sowie in schweren Fällen Sanktionsmaßnahmen. Somit bleibt gesichert, dass die Lehrkräfte im Rahmen ihres Erziehungsund Bildungsauftrags tätig sind und ein pädagogisches Konzept an der Schule wirksam
werden kann. Ordnungsmaßnahmen werden in der Regel viel zu häufig eingesetzt, wenn
die präventiven und kurativen Wege kein Alltagshandeln sind.
Bei allen hier vorgeschlagenen Wegen für eine Konfliktbearbeitung ist die Konfliktbegleitung genau so bedeutsam wie der Weg: Im Prozess ist immer wieder Rückmeldung
über die Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen einzuholen.
9
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Externe Beratungskompetenz
In die Beratung über eine Konfliktbewältigung und über mögliche schulische Konsequenzen können auch die regional zuständigen Beraterinnen und Berater der staatlichen
Schulämter Brandenburgs bzw. die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der regionalen
Fortbildung Berlin oder externe Beraterinnen und Berater auf Honorarbasis einbezogen
werden. Gewaltpävention arbeitet erfolgreich vernetzt im Team mit Schulpsychologen,
Jugendämtern und dem Präventionsbereich der Polizei u.a. Einrichtungen im Kiez bzw.
der Gemeinde zusammen.
Bei schweren Fällen ist die Absprache mit der Schulaufsicht wichtig und zwar bevor
Ordnungsmaßnahmen beschlossen werden.
In Einzelfällen kann die Einschaltung des Jugendamtes hilfreich sein, insbesondere bei
folgenden Problemlagen:
•
Hinweise auf fortdauernde Erziehungskonflikte in der Familie (z. B. Misshandlung,
Vernachlässigung, Missbrauch),
•
schwere familiäre Belastungen (Alkohol- oder Drogenkonsum, psychische Auffälligkeiten der Eltern),
•
schwere psychische Auffälligkeiten des Kindes bzw. des Jugendlichen im schulischen
und außerschulischen Bereich.
Zusätzlich ist zu prüfen, ob eine polizeiliche Anzeige erforderlich ist (örtliche Polizeidienststelle, bürgernaher Beamter, polizeilicher Jugendschutz, Jugendbeauftragte der Polizei).
Zu Vorkommnissen, die ein Hinzuziehen der Polizei erfordern, gehören:
•
Bedrohungen der Schülerinnen und Schüler durch schulfremde Personen (Schulweg,
Schulhof),
•
Delikte wie Diebstahl, Raub, Erpressung, Körperverletzung mit/ohne Waffen, sexuelle
Nötigung/Vergewaltigung, Sachbeschädigung schwereren Ausmaßes,
•
begründeter Verdacht auf oder nachgewiesener Waffenbesitz,
•
Cliquen- bzw. Bandenbildung mit kriminellem Charakter,
•
rechtsextreme Straftaten.
• Hilfe, Unterstützung, Beratung und weiterführende Materialien
Unterstützung und Beratung
sind im Kapitel 8 zu finden.
10
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Konflikte im Klassenzimmer – Checkliste
Alle Erfahrungen und wissenschaftlichen Untersuchungen lassen den Schluss zu, dass
das soziale (Lern-)Klima in der Klasse in der Regel ein Ausdruck für das Maß an Konflikten unter den Schülerinnen und Schülern ist. Die Lehrhaltung steht in unmittelbarer
Korrelation zu der Lernhaltung der Schülerinnen und Schüler. Die hier vorliegende
Checkliste bietet Anregungen und Möglichkeiten, die Konflikte im Lehrkräfte-Schülerverhältnis zu minimieren.
Die Vielzahl der Vorschläge gestattet der einzelnen Lehrerin bzw. Lehrer, für sich persönlich und für die entsprechenden Situationen eine geeignete Auswahl vorzunehmen.
Gleichzeitig sind diese Vorschläge als Anregungen insgesamt zu verstehen und auch im
Kollegium bzw. im Team zu diskutieren.
Ziel soll sein, bei den angstaggressiven Schülerinnen und Schülern das Selbstvertrauen
zu stärken und bei den draufgängerischen die Selbstkontrolle zu steigern.
Lassen Sie sich anregen, was Sie selbst kurz- und langfristig zur Verbesserung des
Klassenklimas beitragen können. Selbst wenige Anregungen intensiv eingesetzt, werden
das Klassenklima verbessern. Hilfreich ist auch, wenn sie diese Absichten mit den
Schülerinnen und Schülern diskutieren, sich sogar gegebenenfalls durch Schülerinnen
und Schüler beraten lassen.
Eine Transparenz seitens der Lehrkraft unterstützt die reflektierte Haltungen bei
Schülerinnen und Schülern. Kleine Lernverträge durch Schülerinnen und Schüler tragen
zu einer beidseitigen Verbesserung des Klassenklimas bei.
Handlungen und Haltungen, die das Gewaltpotenzial in der Klasse
reduzieren können:
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Klare Klassenregeln für Konfliktfälle mit den Schülerinnen und Schülern vereinbaren,
die Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung ausschließen.
Persönliche und soziale Beziehungen zu allen Schülerinnen und Schülern
aufbauen bzw. intensivieren.
In der Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern Humor zeigen.
In der Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern eine akzeptierende
Grundhaltung zum Ausdruck bringen.
Schulische und persönliche Konflikte und Probleme von und mit den Schülerinnen und
Schülern versuchen kooperativ zu lösen.
Eine Haltung entwickeln, die Sache von der Person zu trennen, um im Konfliktfall
der Person Wertschätzung entgegenbringen zu können.
Als Lehrende/-r die Aufmerksamkeit der Klasse als Gesamtgruppe finden und binden
(„Gruppenfocus“).
Den Unterrichtsablauf transparent und mit Methodenvielfalt strukturieren.
Sich Feedback zu dem eigenen Unterrichtsstil von den Schülerinnen und Schülern
geben lassen.
Spannungs- und Entspannungsphasen im Unterricht einbauen und möglichst viele
Individualisierungsphasen schaffen.
11
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
•
•
•
•
•
Vermeiden aggressiver Hinweisreize im Klassenzimmer und in den Unterrichtsmaterialien.
Keine eigenen aggressiven und undisziplinierten Verhaltensweisen zeigen,
d. h. sich selbst als positives Verhaltensmodell darstellen.
Im Konfliktfall den Angreifer ignorieren3, um ihm nicht unnötige Aufmerksamkeit
zukommen zu lassen.
Gewalt durch eine nonverbale Körperhaltung im Keim ersticken und mit Worten
aktiv stoppen und abbrechen.
Sachliche Kritik und Entzug von Vergünstigungen.
Störungen und Aggressionen „entdramatisieren“ und deeskalieren:
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
3
Sich im Konfliktfall einmischen und nicht wegsehen bzw. weggehen.
Sich aktiv mit einer personalen Wertung einbringen wie z. B.: Mit mir läuft das nicht!
Die Haltung einer personale Konfrontation entwickeln: „Schluss, hier wird nicht
geprügelt“, da dies eher verstanden wird als sanfte Ermahnungen.
Die Kontrahenten trennen und sofort eindeutige Grenzen setzen.
Art der Gewalt einschätzen. Bei ängstlich-depressiver Gewalt auf Stärken aufmerksam
machen, d.h. ermutigen. Bei draufgängerisch-chaotischer Gewalt begrenzen, d. h.
Folgen und Konsequenzen des gewalttätigen Verhaltens aufzeigen.
Die Täter nicht entwischen lassen. Gewalttäter, die sich nicht mit den Folgen ihres
Tuns auseinandersetzen wollen, konfrontieren, d.h. als konkrete Person verantwortlich
machen.
Die Konfliktparteien ernst nehmen und die Sache nicht beschönigen.
Durch die Technik des Spiegelns aufzeigen, dass das eigene Tun Konsequenzen
nach sich zieht.
Über die Gewalttat hinaus begleiten, d.h. bewältigen, nicht nur unterdrücken.
In der Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern eigene Bedürfnisse und
Gefühle akzeptieren und sprachlich zum Ausdruck bringen.
In Konfliktsituationen Schuldzuschreibungen und Verurteilungen (Du bist ... / Du
hast..) möglichst vermeiden und den Eigenanteil am Konflikt als je eigene Verantwortung (Ich... ) bewusst machen.
Aktuelle Konflikte durch Rollen- und Interaktionsspiele spielend bearbeiten.
Positive und damit gewaltalternative Verhaltensmuster im Sozialverhalten bestärken.
Als Lehrkraft selbst angemessen kommunizieren und versuchen, sich in Konfliktsituationen kooperativ zu verhalten und den Schülerinnen und Schülern diese Haltung
positiv zu verdeutlichen.
Gemeinsame Regeln für das Verhalten im Unterricht und in der Pause vereinbaren
und für das Einhalten sich gemeinsam verantwortlich fühlen.
Ganzheitliche Intentionen im Unterricht realisieren: Kopf, Herz und Hand integrieren.
Konfliktgespräche selbst führen bzw. durch die Schülermediatoren führen lassen.
Möglichkeiten für Spiel/Kreativität und Entspannung/Ruhe einplanen.
Die Wirkung der Haltung „ignorieren“ wird ausführlich beschrieben in: Erst Nachdenken, dann handeln, LISUM, S. 56
12
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Das Einschätzungsprofil
Haltungen von Lehrkräften, Schülerinnen bzw. Schüler wirken sich auf das soziale Klima
in der Klasse aus. Das gegenseitige Feedback ist eine wirksame Möglichkeit, sich das
eigene Verhalten zu spiegeln und an der eigenen Haltung zu arbeiten.
Das Einschätzungsprofil ist ein einfaches Mittel, dass Schülerinnen und Schüler, als auch
Lehrkräfte und Eltern sich einschätzen und einschätzen lassen.
1(wenig)
2
3
4
5
6
7(viel)
ungeduldig
geduldig
intolerant
tolerant
inkonsequent
konsequent
aufbrausend
gelassen
misstrauisch
vertrauend
ausgrenzend
einbeziehend
pessimistisch
optimistisch
sarkastisch
humorvoll
unfreundlich
freundlich
ungerecht
gerecht
unfair
fair
gleichmütig
einfühlsam
starr
offen
autoritär
teamfähig
ängstlich
konfliktfähig
ablehnend
risikobereit
unzuverlässig
zuverlässig
verantwortungslos
verständnisvoll
pedantisch
großzügig
hektisch
ruhig
1. Welchen Wert ordnen Sie/ordnest Du den genannten Haltungen zu?(„Soll-Linie“)
2. Wie schätzen Sie/schätzt Du gegenwertig den Stellenwert Ihrer eigenen/Deiner
eigenen Haltungen ein? („Ist-Linie“)
Hilfreich ist, wenn die Profillinien in unterschiedlichen Farben gezeichnet werden.
13
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Checkliste für Lehrerinnen und Lehrer
Reflektieren Sie mit dieser Checkliste Ihre eigene Haltung als Lehrkraft. Gehen Sie dabei
Schritt für Schritt vor und stecken Sie sich kleine, aber nachhaltige Ziele. Halten Sie Ihre
Reflektion in einem Lerntagebuch fest.
Seien Sie mutig und lassen Sie sich jeweils eine Woche von einer Schülerin bzw. einem
Schüler beobachten und tauschen Sie die Ergebnisse aus. Legen Sie anhand dieser
Checkliste gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern eine Checkliste für Schülerhaltungen auf Karteikarten an. Eine Haltung wird ausgewählt und eine fest verabredete
Zeit eingehalten.
So können Sie sich über den gemeinsamen Lernzuwachs austauschen und sich gegenseitig ein Feedback geben. Schülerinnen und Schüler, denen diese Verantwortung der
Rückmeldung übertragen wird, lernen nach kurzer Zeit respektvoll damit umzugehen.
Erfahrungen zeigen, dass auch bzw. besonders aggressive Kinder, Jungen oder junge
Männer wie verwandelt sind, durch die ihnen entgegengebrachten Aufmerksamkeit und
Wertschätzung. Was für manche Lehrkraft zunächst als Schwäche erscheint, wird von
den Schülerinnen und Schülern wertgeschätzt, sodass der soziale Gruppendruck seitens
der Schülerinnen und Schüler auf die „Störer“ wächst und das Lernklima sich verbessert.
Ich
•
wertschätze und erkenne die Arbeit
meiner Schülerinnen und Schüler an.
•
entwickle bei meinen Schülerinnen
bzw. Schülern Frustrationstoleranz
und Affektkontrolle.
•
gebe meinen Schülerinnen und
Schülern die Möglichkeit, emotionale
Spannungszustände auszuleben.
•
mache mit meinen Schülerinnen bzw.
Schülern autogenes Training oder
Entspannungsübungen.
•
•
•
gebe meinen Schülerinnen bzw.
Schülern Raum und Zeit für
Aktivitätsbedürfnisse und
Abenteuerdrang.
reflektiere aggressives Verhalten im
Elternhaus mit den Eltern bzw. in der
Schule mit den Kollegen.
ermuntere meine Schülerinnen bzw.
Schüler Ärger und Befindlichkeiten zu
verbalisieren.
14
•
verstärke positives Verhalten
differenziell, d. h. bekräftige
erwünschtes Verhalten.
•
fördere Anerkennung und vermeide
Selbstwertverletzungen.
•
schaffe bei den Schülerinnen bzw.
Schülern eine Atmosphäre von
Akzeptanz, Vertrauen und Gefühl der
Geborgenheit.
•
reflektiere mit meinen Schülerinnen
und Schülern verborgene Ängste und
biete persönliche Unterstützung an.
•
übe mit den Schülerinnen und Schülern
prosoziale Verhaltensweisen ein.
•
lasse nicht zu, dass Schülerinnen
und Schüler in der Klasse stigmatisiert werden.
•
ignoriere bei meinen Schülerinnen
bzw. Schülern unerwünschtes
Verhalten bzw. reagiere pädagogisch
darauf.
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
•
vermeide Etikettierungen, reflektiere
meine Vorurteile und verstärke
positive Seiten von Schülerinnen und
Schülern.
•
bemühe mich um eine demokratische
Feedback-Kultur in der Klasse.
•
unternehme den Versuch, eine/-n
schwierige/-n Schülerin und Schüler
aus einer Gruppe mit störungsanfälligen Schülerinnen und Schülern
herauszulösen und unterbreite
ihr/ihm alternative Integrationsangebote.
•
diskutiere mit meinen Kollegen über
die gerechtere und transparente
Gestaltung der Chancenstrukturen.
•
stärke unsere Schule als soziales
System.
•
berate meine Schülerinnen und
Schüler und helfe ihnen, Probleme
zu bearbeiten.
•
arbeite mit meinen Kollegen an der
Schulentwicklung als permanenter
Prozess.
•
denke über mehr Mitsprache- und
Partizipationsmöglichkeiten für meine
Schülerinnen bzw. Schüler nach.
•
arbeite an dem Ausbau sozialräumlicher und sozialpädagogischer
Elemente in der Schule.
•
schaffe für meine Schülerinnen und
Schüler den Raum, solidarische
Erfahrungen zu machen.
•
fördere prosoziales Verhalten bei
meinen Schülerinnen und Schülern.
•
fördere bei meinen Schülerinnen und
Schülern Identitäts- und Selbstwertprozesse, schaffe Lernarrangements,
dass meine Schülerinnen und Schüler
ihre soziale Integration weiterentwickeln können.
•
entwickele Fördermaßnahmen und
Hilfen für Benachteiligte.
•
reflektiere meine Vorbildrolle und
initiiere alternative Identifikationsangebote und Lernmöglichkeiten.
•
gestalte Schule als sozialemotionalen
Raum.
•
arbeite an der Entwicklung meiner
sozialen Handlungskompetenzen.
•
diskutiere und arbeite mit meinen
Kollegen aktiv an der Entwicklung
von Schulqualität sowie von Schulund Lernkultur.
•
unternehme etwas, dass bei
meinen Schülerinnen und Schülern
Aggressionshemmungen aufgebaut
werden.
•
diskutiere mit meinen Kollegen, dass
jungenspezifische pädagogische
Arbeit in unserer Schule angeboten
wird.
•
•
denke selbst bzw. mit Kollegen nach
über vorherrschende „Männerbilder“.
Ich überlege mit meinen Kollegen,
wie wir patriarchalische Strukturen
abbauen.
gebe meinen Schülerinnen und
Schülern die Gelegenheit, Interaktionsbeziehungen und Anerkennungsverhältnisse positiv zu
gestalten.
15
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Kooperation von Schule und Eltern
Ein Kind, das aggressiv ist und zu Gewalttätigkeiten neigt, erlebt oft zu Hause oder in
seiner unmittelbaren Umwelt Gewalt. Es erfährt zum einen Gewalt von Menschen, denen
es mit Liebe verbunden ist und lernt andererseits, dass es moralisch richtig ist, Gewalt
auszuüben: Wenn alles andere nichts bringt, muss Gewalt angewendet werden. Aufgrund
dieser Erlebnisse können beim Kind folgende Schritte4 ablaufen:
Diese Schritte – auch Gewaltspirale benannt – bieten erfahrungsgemäß eine Grundlage
für Gespräche mit Eltern. Respekt und Wertschätzung sind Voraussetzung einer guten
Kooperation zwischen Eltern und Lehrkräften. Mit der Einbeziehung der jeweiligen
Perspektive der anderen Seite ist erkennbar, dass die „andere“ Seite sich genau so
schwertut mit dem Verhalten des gewalttätigen Kindes bzw. Jugendlichen. Dabei haben
4
Josef Sachs: Checkliste Jugendgewalt. Ein Wegweiser für Eltern, soziale und juristische Berufe. orell füssli. Zürich 2006,
S. 32 f. In Gugel, Günther: Handbuch Gewaltprävention in der Grundschule; 2.1. Gewalt, S. 2, Tübingen 2007
16
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
die Lehrkräfte die Verantwortung in der Schule, die Eltern bzw. der Erziehungsberechtigte
die Verantwortung zu Hause: „Jeder ist souverän in seinem Territorium“5.
In dem Fünf-Schritt-Verfahren: gegenseitiger Respekt, konkrete Beobachtung, Gespräche, Regeln und Prinzipien abstimmen und sich gegenseitige Unterstützung holen: es
kann sowohl präventiv als auch intervenierend in konkreten Konfliktsituationen gearbeitet
werden.
gegenseitiger Respekt
konkete Beobachtungen
Gespräche
abgestimmte Regeln und Prinzipien
Unterstützung
Die Zusammenarbeit von Eltern und Schule ist wichtig und unabdingbar. Auch
Gewaltprävention kann nur durch eine enge Kooperation und Vernetzung gelingen. Die
Probleme, die die Zusammenarbeit immer wieder erschweren und behindern, sind
bekannt. Sie zu benennen ermöglicht es, ihnen zu begegnen und sie zu überwinden.
Dabei sollte auch zwischen gegenseitigen Vorurteilen und tatsächlichen Problemen
unterschieden werden, denn natürlich sind auch die Eltern sehr individuell und nicht als
gesamte Gruppe zu charakterisieren.
Gegenseitige Unterstützung
Eltern und Lehrkräfte unterstützen sich gegenseitig, wenn sie miteinander klären welche
Aspekte in der Gewaltprävention wichtig sind. In den Schulen der Sekundarstufe I und II
ist es sinnvoll, auch die Schülerinnen und Schüler an den Beratungen aktiv teilnehmen zu
lassen.
Dazu gehören:
•
•
•
•
•
•
•
•
5
Präsenz der Lehrkraft vor und im Unterricht sowie die Attraktivität des Unterrichts,
Räume für Ruhe- und Tobephasen,
Pausenzeiten und -angebote,
Servicelernen, d.h. Verantwortungsübernahme durch Schülerinnen und Schüler
bei speziellen Aufgaben,
Sport- und AG-Angebote,
Modalitäten des Schulweges,
Koordination der Gewaltprävention,
gemeinsame Fortbildungen zur Gewaltprävention.
Haim Omer / Arist von Schlippe: Autorität durch Beziehung. Die Praxis des gewaltlosen Widerstands in der Erziehung.
Göttingen 2004, S. 175
17
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Regeln6 für Eltern, deren Kinder von Gewalthandlungen an der Schule betroffen
sind:
•
Versuchen Sie, bei konkreten Gewaltvorfällen mit größtmöglicher Ruhe und
Überlegung vorzugehen.
•
Vergleichen Sie Ihre Wahrnehmung mit der Wahrnehmung anderer Eltern.
•
Sichern Sie Ihrem Kind zu, nicht gegen seinen Willen tätig zu werden, und respektieren Sie die Angst Ihres Kindes.
•
Sichern Sie Ihrem Kind zu, Aktivitäten nur in Absprache mit ihm zu entwickeln.
•
Geben Sie Ihrem von Gewalt bedrohten Kind das Gefühl, dass Sie ihm beistehen
werden.
•
Wenden Sie sich an eine Lehrkraft Ihres Vertrauens.
•
Überlegen Sie, ob Sie einen Berater/eine Beraterin für die Schule hinzuziehen wollen.
•
Überlegen Sie mit anderen Eltern, in welcher Form das Thema an die Schule herangetragen werden kann.
•
Überlegen Sie mit anderen Eltern, ob es Möglichkeiten gibt, dass Eltern im Rahmen
von Schule sich vorbeugend beteiligen können.
•
Sprechen Sie mit Ihrem Kind über das Erlebte.
Hilfe und Unterstützung bei der präventiven Arbeit
Erziehungsberechtige erhalten Beratung und Unterstützung durch die pädagogischen
Elternberaterinnen und -berater, die im Landesinstitut für Schule und Medien BerlinBrandenburg qualifiziert worden sind. Sie geben Hilfe zur Selbsthilfe, indem sie in
Seminaren Probleme der Kommunikation innerhalb der Familie und zwischen Elternhaus
und Schule aufgreifen, um gemeinsam mit den Eltern Lösungsstrategien zu entwickeln.
Die Seminare werden in der Schule durchgeführt, wenn sich acht bis zwölf interessierte
Eltern zusammenschließen. Zum Selbststudium gibt es ein umfangreiches Material online
auf dem Bildungsserver.
• Hilfe, Unterstützung, Beratung und weiterführende Materialien
Unterstützung und Beratung
6
sind im Kapitel 8 zu finden.
Michael Grüner: Gewalt in der Schule: Arbeiten im Einzelfall und im System. In: Wolfgang Vogt (Hrsg.): Gewalt und
Konfliktbearbeitung: Befunde - Konzepte - Handeln. Baden-Baden 1997, S. 180
18
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Primärprävention anstelle von Intervention
Die Rechtslage ist eindeutig, denn nach dem Schulgesetz sind die Lehrkräfte sowohl in
Berlin als auch in Brandenburg für die Unversehrtheit der Kinder und Jugendlichen verantwortlich. Ein Blick in das Brandenburgische (§ 4 Absatz 5) sowie Berliner Schulgesetz
(§ 3, § 4, Absatz 5) und die Verwaltungsvorschriften beider Länder kann ebenso aufbauend und unterstützend sein wie der Blick in die Präventionsforschung. Dan Olweus7
hat in Langzeitstudien den Erfolg von Regelritualen ebenso aufgezeigt wie Klaus-Jürgen
Tillmann und Wolfgang Melzer durch den Ost-West-Vergleich in ihren Gewaltstudien8.
Durch die letztere Studie wird vor allem die Bedeutung der Unterrichts- und Lernkultur für
die Primärprävention deutlich hervorgehoben. Diese Ergebnisse lassen sich mit folgenden
Grundsätzen komprimiert und pointiert zusammenfassen:
Regeln etablieren und Grenzen setzen.
Bei 27% der schweren Prügeleien greifen Lehrkräfte überwiegend nicht ein, kleine Regelverstöße werden dagegen fast immer geahndet. Die Schülerinnen und Schüler haben
umgekehrte Erwartungshaltungen. Angemessene Reaktionen werden erwartet: Regeln
und Rituale auf der einen Seite und Deeskalationstraining und Konfliktmoderation als
Kompetenzerweiterung für Lehrkräfte und Jugendlichen auf der anderen Seite. Etikettierungen vermeiden.
Die Studien zeigen, dass „Lehrkräfte auf schwierige Dispositionen und Verhaltensmuster
von Kindern und Jugendlichen oft nicht angemessen reagieren können.”9
•
Allein die Tatsache, dass landläufig von dem „verhaltensauffälligen bzw. schwierigen“ Kind in den Lehrkräftezimmern gesprochen wird, ist eine Stigmatisierung
(d. h. Zuschreibung von negativen Eigenschaften) an sich, denn sie lässt dem
einzelnen Kind wenig Raum, im positiven Licht gesehen werden zu können.
•
Diese Kinder haben das Gefühl, immer als Sündenböcke dazustehen. Diese
Prozesse der sozialen Etikettierung erweisen sich als besonders bedeutsam für
die Erklärung des Gewalthandelns von Jugendlichen.
•
Gerade Jungen und junge Männer leiden darunter, dass sie zu wenig Zuneigung
erfahren und machen oft durch Störverhalten auf sich aufmerksam.
Das Sozialklima verbessern
Der Zusammenhang zwischen einem negativen sozialen Klima und dem Gewalthandel
in der Schule ist bemerkenswert:
•
7
8
9
Gruppenhandeln, soziale Des- bzw. Integration, aber auch das Lehrkräfte-SchülerVerhältnis haben Auswirkungen auf das aggressive Verhalten.
Olweus, D.: Gewalt in der Schule. Was Lehrer und Eltern wissen sollten – und tun können. Bern, Göttingen, Toronto,
Seattle 1995.
Arbeitsgruppe Schulevaluation, dies. s.o.; Tillmann, Klaus-Jürgen u.a.: Schülergewalt als Schulproblem. Weinheim und
München 1999, S. 75ff; Arbeitsgruppe Schulevaluation (s. Anmerkung 1) S. 51ff.
Holtappels, H.G., Tillmann, K.-J.: Hausgemachte Gewaltrisiken – und was in der Schule dagegen getan werden kann..
In:. Pädagogik, Jahrgang 51, Heft 1/ 1999, S. 8ff.
19
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
•
Positive Verstärkung auch gerade bei scheinbaren Selbstverständlichkeiten ist das
oberste Primat der Gewaltprävention, ebenso wie der Blick, soziale Bindungen zu
stärken wie z. B. Schulfahrten, Projektunterricht etc.
•
Restriktivität im Erziehungsverhalten der Lehrkräfte, rigide Regelanwendung und
regelmäßiges Disziplinieren bei Kleinigkeiten haben einen negativen Einfluss auf
das Sozialklima.
•
Bei einer spezifischen Jungenförderung in der Schule wird gemeinsam mit den
Schülern temporär in geschlechtshomogenen Gruppen gearbeitet, um das soziale
Miteinander aufzubauen und zu stärken. Wenn es in dieser Gruppenarbeit erst einmal
gelungen ist, das Sozialverhalten positiv zu bewerten, dann werden die Schüler auch
die Bereitschaft haben, ihr männlich-omnipotentes Macho-Gehabe zu reflektieren.
Die Lernkultur entwickeln
Die didaktische Ausgestaltung des Unterrichts lässt deutliche Zusammenhänge im Hinblick
auf das Gewalthandeln erkennen.
• Präventiv wirksam ist ein demokratischer, lebenswelt- und handlungsorientierter
Unterricht mit individualisierten Lernzugängen, -formen und -orten.
•
Ein fördernder und zuwendungsgeprägter Führungsstil dämpft eindeutig das
Gewaltpozential.
•
Wertschätzung und gegenseitiger Respekt sind eindeutig gewaltreduzierend.
•
Partizipation und Individualisierung des Lernens bieten weniger Friktionen als ein
ausschließlich lehrkraftzentrierter Unterricht.
•
Die Schülerinnen und Schüler sollen die Möglichkeit haben, ihre Interessen in den
Lernprozess einzubringen.
•
Erhalten die Kinder und Jugendlichen die Möglichkeit einer Teilhabe und einer Verantwortungsübernahme für den Lernprozess, üben sie auch eine stärkere soziale Kontrolle untereinander aus.
Räume und Orte sehen
Die Gestaltung und Verantwortungsübernahme für Räume und Orte haben eine präventive Wirkung.
• Die Größe und Ausgestaltung der Räume tragen zum Wohlbefinden von Kindern und
Jugendlichen bei, sodass die Eigeninitiative gefragt ist, hier das Mögliche zu unternehmen, was unter den bestehenden Bedingungen möglich ist, d.h. Räume und Flure
farblich gestalten und mit Produkten der Kinder ausschmücken.
•
Die Gestaltung des Schulhofes mit einer attraktiven Spiel-, Tobe- und Ruhezone lädt
zum aggressionsfreieren Aufenthalt ein.
Entwicklung einer Schulkultur
Lehrkräfte und Schülerinnen sowie Schüler entwickeln gemeinsam Schritt für Schritt die
Schulkultur.
20
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Nicht die einzelnen Maßnahmen zur Gewaltprävention sind die entscheidenden, sondern
ein abgestimmtes Gesamtkonzept wirkt sich positiv auf das Gewaltverhalten von Kindern
und Jugendlichen aus. Dabei ist der Diskurs mit der Entwicklung eines Schulethos von
grundlegender Bedeutung.
•
Das Schulethos (bzw. eine Schulcharta) ist etwas anderes als eine Hausordnung:
Alle haben miteinander im Konsens abgestimmt und entschieden, von welchen
Überzeugungen und Einstellungen das gemeinsame Zusammenleben in der Schule
geprägt sein soll. Dies wird dann schriftlich formuliert und in verabredeten Abständen,
z. B. wenn eine neue Generation von Schülerinnen und Schülern in die Schule
eingeschult wird, überarbeitet.
•
Die Schulqualität einer guten Schule ist geprägt durch eine individualisierte und
kooperative Lernkultur, die didaktische Kompetenz der Lehrkräfte sowie ihre Integrations-, Kommunikations- und Partizipationsfähigkeit. Die Schule stellt Gelegenheitsstrukturen zur Verfügung, in denen die Schülerinnen und Schüler Demokratie lernen
und leben. Attraktive inhaltliche und räumliche Lernarrangements runden das Bild ab.
Kooperation im Stadtteil / in der Kommune
Gewalt wird nicht nur in der Schule, sondern auch im Umfeld produziert.
•
Gewaltpotenzial kommt auch aus der Umgebung in die Schule. Aus diesem Grunde ist
die Zusammenarbeit mit Einrichtungen der Familien- und Jugendhilfe, aber auch mit
Vereinen notwendig. Die Erarbeitung eines kommunalen Präventionskonzepts ist
unabdingbar.
•
Außerschulische Lernorte und die Verantwortungsübernahme von Schülerinnen und
Schülern in der Gemeinwesenarbeit sind außerordentlich wertvolle Kooperationsprojekte, die einen hohen präventiven Charakter haben.
• Hilfe, Unterstützung, Beratung und weiterführende Materialien
Unterstützung und Beratung
sind im Kapitel 8 zu finden.
21
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Primärprävention in der Grundschule
Primärprävention beginnt im Elternhaus,
in der Kindertagesstätte und wird im
schulischen Bereich in der Grundschule
fortgesetzt. Wenn in diesem Prozess in
der Grundschule sich eine Kontinuität
entwickelt, wird die Gewalt in der Grundschule kaum Fuß fassen.
• Die Förderung der Ich-Stärke und die
Entwicklung der sozialen Kompetenz
bei Kindern wirken ebenso präventiv
wie die Entfaltung der Fähigkeit,
Konflikte konstruktiv auszutragen. Bei
der Jungenförderung ist die Ich-Stärkung von besonderer Bedeutung.
• Lehrkräfte arbeiten in der Grundschule präventiv, wenn sie die Lernfreude, Leistungsbereitschaft, Selbstständigkeit,
soziale
Sensibilität
stärken, aber auch den Kindern
Verantwortung übertragen und sie an
Entscheidungen teilhaben lassen.
• Von großer präventiver Bedeutung ist,
dass Kinder die Regeln bzw. Rituale
für ihr Zusammenleben in der Klasse
und der Schule eigenständig und auf
„Augenhöhe“ partizipativ entwickeln.
Bei Nichteinhaltung für sich und die
Mitschülerinnen und -schüler werden
anstelle von Bestrafung durch die
Lehrkräfte eigene Möglichkeiten der
Wiedergutmachung wirkungsvoll für
die Täter bzw. Täterinnen eingesetzt.
• Kindern, denen es schwerfällt, Regeln
einzuhalten, werden erfolgreich durch
Lehrkräfte unterstützt, indem sie
besondere Wertschätzung erhalten.
Bei Einhaltung kleiner Regeln werden
sie besonders gelobt. Das wirkt als
positive Verstärkung besser als eine
der üblichen Sanktionen.
• Die Einschätzung und Bewertung von
Konflikten durch die Schülerinnen und
Schüler und Lehrkräfte gemeinsam
werden zunehmend in die Verantwortung der Schülerinnen und Schüler
übergeben.
• Die Einführung des Klassenrates in
den ersten Grundschuljahren hat sich
als erfolgreich erwiesen.
• Konflikte beginnen zunächst als
Missverständnisse oder harmlose
•
•
•
•
22
Meinungsverschiedenheiten, skalieren
aber bei einem destruktiven Umgang.
Wenn Kinder die Möglichkeit haben,
ihre Gefühle zu reflektieren, können
Konflikte eine Chance werden,
konstruktiv mit Gefühlen und Konflikten umzugehen.
Um Möglichkeiten zu eröffnen, mit
Konflikten klärend umzugehen, ist die
allgemeine
Konfliktkompetenz
zu
erweitern. Dazu gehören insbesondere eine Sensibilisierung der Wahrnehmung dafür, wo es Konflikte gibt,
und das Verständnis, warum diese
entstanden sind, sowie das Kennenlernen von Methoden, die andere
Wege aufzeigen, mit Konflikten
umzugehen.
Bereits Kinder der Vorschule und der
ersten
Jahrgangsstufe10
können
Konflikte mediativ klären. Schulmediation ist erfolgreich, wenn es insgesamt ein Klima der konstruktiven
Konfliktklärung in der Schule gibt.
Programme zum sozialen Lernen
unterstützen diesen Prozess.
Kinder brauchen aber auch Zeiten und
Orte zum Sammeln von lustvollen
Körpererfahrungen11 und zum Ausagieren von Aggressionen. So kann
z. B. bei einem Wutanfall auch ein
ritualisierter Ringkampf eine Konfliktlösung bieten.
Ein Toberaum bietet eine wirksame
Unterbrechung des Unterrichts, denn
nach einer Kraftanstrengung ist eine
neue Konzentrationsphase wieder
möglich. Somit wird Störungen und
Aggressionen entgegengewirkt.
10
Hannah Sibylle Wennekers: TuT - Trenner und
Tröster - Schulanfänger lotsen durch Konflikte;
Gewaltprävention im Miteinander, Verstehen und
Handeln X. Senatsverwaltung für Bildung,
Wissenschaft und Forschung, Berlin 2007;
www.berlin.de/sen/bwf S. 13 ff.
11
Preuss-Lausitz, Ulf: Mehr Gewalt in die Schule!?
In Pädagogik 51. Jahrgang, Heft 1/1999, S. 25ff.
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Prävention und Intervention in Schulen der Sekundarstufe I
Durch den Übergang in die Sekundarstufe lassen die Kinder ihr gewohntes soziales Netz
hinter sich, was gerade denjenigen, die bereits sekundärpräventiv bedürftig sind, wenig
entgegenkommt. Deshalb sind alle Möglichkeiten, die ein neues soziales Klima in der
Jahrgangsstufe 7 stabilisieren, gewaltpräventiv. Die Jungenförderung hat besondere
Bedeutung.
• Durch eine Schulcharta bzw. durch ein Schulversprechen wird ein offener Diskurs zur
Vermeidung von Gewalt prägend für ein Leitbild der Schule.
• Das schulumfassende Präventionsprogramm nach Olweus ist wirkungsvoll.
• Eine Einführungswoche zu Beginn der Jahrgangsstufe 7 bietet den Schülerinnen und
Schülern die Möglichkeit, Kommunikations- und Kooperationsformen miteinander zu
entwickeln, die einen störungsfreieren Unterricht ermöglichen.
• Gemeinschaftserlebnisse (Feste, Fahrten, Unternehmungen) sowie gemeinsam entwickelte Regeln und festgelegte Rituale bei einer Regelübertretung festigen das soziale
Verhalten der Schülerinnen und Schüler.
• Die Verankerung eines Curriculums zum sozialen Lernen in der ganzen Schule ist
gewaltpräventiv. Dazu gehören auch Programme zum sozialen Lernen.
• Die Lehrkräfte schaffen durch geeignete Unterrichtsmethoden, wie Individualisierung und
partizipativ-kooperatives Lernen ein friktionsfreieres Lernklima.
• Die Lehrkräfte arbeiten mit wertschätzender Haltung und Vermeiden von Etikettierungen
präventiv.
• Die Lehrkräfte übergeben den Schülerinnen und Schülern fortlaufend mehr Verantwortung und lassen sie stärker partizipativ aktiv werden.
• Die Schülerinnen und Schüler erarbeiteten Regeln für das Zusammenleben in der
Klassengemeinschaft/Jahrgangsebene, überlegen sich geeignete Sanktionen, wenn die
Regeln nicht eingehalten werden, und achten gemeinsam auf die Einhaltung.
• Die Schülerinnen und Schüler lernen wertschätzende und gewaltfreie Kommunikation
und üben den achtsamen Umgang mit den eigenen Gefühlen.
• Die Schülerinnen und Schüler klären Konflikte durch Schulmediation.
• Die Schülerinnen und Schüler übernehmen Verantwortung durch die Einführung des
Klassenrates und übernehmen Verantwortung für sich und die Gemeinschaft durch
Service learning.
• Die Schülerinnen und Schüler führen verantwortlich Ämter in der Klasse, im Jahrgang
und in der gesamten Schule aus.
In der Sekundarstufe I sind dennoch Maßnahmen zur Intervention unumgänglich.
• Die Schülerinnen und Schüler übernehmen Verantwortung bei Mobbing und Gewalttätigkeit von Mitschülerinnen und -schülern, indem sie nicht wegschauen, um die Gewaltspirale zu unterbrechen.
• Sie entwickeln gemeinsam mit den Lehrkräften für die kleine und große Gewalt Lösungen
und einen Maßnahmenkatalog der Wiedergutmachung.
• Sie unterstützen die Interventionsarbeit, indem sie sich konsequent zur Gewaltlosigkeit
bekennen. Gewalt ihrer Mitschülerinnen und -schüler ist unakzeptabel.
• Bei harten Konflikten und bei Gewalttaten wird unmittelbar nach einem verabredeten
Verfahren eingegriffen, damit auf Täter unmittelbar eingewirkt wird und den Opfern
direkte Hilfe zukommt. So ist für alle klar, dass sofort eingegriffen wird und Gewalt keine
Akzeptanz hat und sanktioniert wird.
• Antiaggression- und Coolness-Training12 erzielen deutliche Erfolge besonders bei
Jungen und jungen Männern.
12
Gall, Reiner: Ziele und Methoden des Coolness-Trainings (CT) für Schulen. In: Kilb, Rainer; Weidner, Jens; Gall, Reiner:
Konfrontative Pädagogik in der Schule: Anti-Aggressivitäts- und Coolnesstraining. Weinheim, München 2006, S. 93-106.
22
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Nachhaltige Unterstützung
Die Landesregierungen in Berlin und Brandenburg haben gesetzlich verankert, dass die
Schule den Schutz der körperlichen und seelischen Unversehrtheit der Schülerinnen und
Schüler sicherzustellen hat. Es gibt nicht den „einen“ Weg, wie alle Beteiligten in den
Schulen den Konsens zur Zielerreichung herstellen, aber durch die fünfjährige Auseinandersetzung mit der Lern- und Schulkultur in dem Schulentwicklungsansatz des BLKProgramms „Demokratie lernen und leben“ sind eine demokratische Schul- und Lernkultur in
den vielfältigen Facetten der Ergebnisse erfahrbar geworden. Dies kann als ein Beitrag zu
einer nachhaltigen Unterstützung gewertet werden.
Partizipation in der Schule hat in diesem Programm Gestalt angenommen. Damit sich an
jeder Schule eine nachhaltige wertschätzende Schulkultur entfaltet, die die Rechte der
Kinder und die Rechte von Lehrkräften gleichermaßen schützt, braucht jede Schule
Menschen, die bereit sind, die Initiative zu ergreifen und Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu
gewinnen.
Nachhaltig wird die Unterstützung durch den systemischen Ansatz auf mehreren Ebenen in
einer Schule:
•
•
•
auf der individuellen Ebene,
auf der Ebene der Klasse,
auf der Schulebene
sowie durch die Anerkennung einer Führungshaltung von Lehrkräften sowie der Schulleitung. Die Lehrkräfte sind als Berater, Moderatoren, Lernbegleiter (Facilitator13) und als
Führungspersonen gefragt, die Verantwortung an die Schülerinnen und Schüler delegieren
können. Die Schulleitung hat eine innovative Verantwortlichkeit und ist gut beraten, wenn sie
ihr Kollegium durch Fortbildungsangebote wie Supervision, Coaching, Fallberatung etc.
unterstützt und dafür sorgt, dass die Kolleginnen und Kollegen gegenseitig hospitieren und
sich ein Feedback geben können. Dieser berufsbegleitende Professionalisierungsprozess
unterstützt die Lehrkräfte und verhindert bzw. reduziert das Burnout-Syndrom im Kollegium.
Erfolgreiche Präventionsbemühungen fangen dort an, wo sich die einzelne Lehrkraft aus der
Rolle des Wissensvermittlers in eine Rolle eines Lernprozessbegleiters begeben kann, der
Empathie, Achtung und Wertschätzung als Grundsatz hat. Dabei kann die Methode14, die
Person und Thema strikt trennt („weich zum Menschen und hart in der Sache"), sehr
erfolgreich sein. Es ist auch möglich einen Dritten, einen Mediator, zur Konfliktentschärfung
einzuschalten. Eine aktuelle Meta-Analyse15 aus den USA kommt zu Ergebnissen, von
denen an dieser Stelle nur zwei wesentliche benannt werden. Programme, die sich auf die
gesamte Schulumwelt beziehen, sind nach den Auswertungen als sehr effektiv einzuschätzen, insbesondere auch im Hinblick auf die Reduzierung von Drogenkonsum und
Gewalt (Delinquenz). Des Weiteren sind die Ansätze Erfolg versprechend, die sich den
Aufbau und die Unterstützung von Selbstkontrolle und sozialer Kompetenz zum Ziel gesetzt
haben.
13
14
15
Facilitating. 20 Fragen als Hilfe für die Unterrichtsplanung. (aus: Löhr 1997, S. 43) http://www.kiko.de/blk/praxis_kultur_
methodenaz_total.html
Die Autoren des sog. Harvard-Konzepts entwickelten in einem Nachtrag zur Darstellung der Methode weitere Techniken für
Härtefälle, Grenzfälle und scheiternde Verhandlungen. Diese Methode, die an Win-Win angelehnt ist, trennt Person und
Thema strikt („weich zum Menschen und hart in der Sache"), siehe auch: Erst Nachdenken, dann Handeln, S. 36
PIT Brandenburg – Prävention im Team Ludwigsfelde 2007
24
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Was bedeutet das auf der individuellen Ebene?
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Wertschätzung anstatt dauernde Bewertung,
Ermutigung bei Fehlern,
Kultur der gegenseitigen Anerkennung (auch Anti-Bias-Training16),
Persönliche Verantwortungsübernahme,
Übertragung von Ämtern und Ehrenämtern,
Respekt-Training,
Training und Trainingsprogramme zum sozialen Lernen insbesondere auch für Schüler,
Täter-Opfer-Ausgleich,
Coolness-Training17 bzw. Anti-Aggressivitätstraining18 besonders zur Jungenförderung,
Verfassen von eigenen Lernverträgen zur Verbesserung einer eigenen Haltung mit eine
Erfolgsüberprüfung nach einigen Wochen durch einen Freund/eine vertraute Lehrkraft,
Schüler-Schüler-Feedback; Lehrkräfte-Schüler-Feedback,
Jungenförderung z.B. durch spezifische Aktivitäten, wie z. B. Schüler lesen in der KITA
vor; Schüler arbeiten in jungenunspezifischen Arbeitsfeldern wie z. B. Mitwirkung beim
Catering, Streitschlichter etc. und spezifischen Arbeitsgruppen.
Was bedeutet das auf der Ebene der Klasse?
•
•
•
•
•
Regeln in der Klasse einschließlich Sanktionen und Wiedergutmachungen,
Kommunikations- und konstruktives Konfliktklärungstraining,
Teamarbeit,
Schulmediation,
Klassenrat.
Was bedeutet das auf der Schulebene?
•
•
•
•
•
•
Regeln auf Schulebene gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen auf Augenhöhe
erarbeiten und in festgelegten Zeitabständen auf die Machbarkeit und Umsetzung
einschließlich Sanktionen und Wiedergutmachungen überprüfen.
Kooperative Instrumente wie z. B. Befragungen, Klassen- und Konfliktmediation und die
„No Blame Approach“-Methode19 im Schulprogramm verankern.
Präventiv und nachhaltig wirken nur Schulentwicklungsmaßnahmen, die als Mehrebenenprogramme (Olweus-Programm) im Schulprogramm verankert sind.
Feedbackprozesse werden in der gesamten Schule etabliert.
Aushandlungsprozesse werden in der Schule ermöglicht.
Sportliche Aktivitäten für Jungen, die besondere Fairness erfordern.
Alle diese Lernarrangements und Programme intendieren, die personale und die soziale
Kompetenz von Schülerinnen und Schülern zu stärken, wertschätzende und gewaltfreie
Kommunikation als Grundlage einer partizipativen Lern-, Unterrichts- und Schulkultur zu
etablieren, eine offene Atmosphäre und faire konstruktive Gesprächs- und Streitkultur zu
ermöglichen.
16
17
18
19
Der Ansatz setzt sich mit Vorurteilen und Diskriminierungen erfahrungsbezogen auseinander.
Der Trainingsansatz für Jugendliche basiert auf der Grundlage der konfrontativen Pädagogik.
Das Anti-Aggressivitäts-Training dient dem Zweck, aggressive Verhaltensweisen vorzubeugen oder abzubauen.
Diese Methode wird in der Berlin-Brandenburger Anti-Mobbing-Fibel erklärt.
25
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Gewaltprävention und Schulentwicklung
Gewaltprävention ist in der einzelnen Schule nur dann nachhaltig wirksam, wenn alle
Beteiligten sich dem Problem stellen und es nicht unter den Tisch kehren. Da das Gewaltproblem ein phänomenologisches Kinder- und Jugendproblem und vor allem auch ein
Jungenproblem ist, wird es in jeder Schule zu Gewaltvorfällen kommen. Der Ruf einer guten
zukunftsfähigen Schule hängt nicht davon ab, wie wenig Gewaltvorfälle an die Öffentlichkeit
geraten, sondern wie die Akteure der Schule offensiv gewaltpräventiv damit umgehen und
welche schulumfassenden Maßnahmen im Schulprogramm verankert werden. Erfolg versprechend sind die Integration und Kooperation der vorhandenen Programme und
Ressourcen in einem nachhaltigen Schulkonzept.
Allerdings sind auch die kleinen Schritte, wenn diese von allen gestaltet werden, bereits
wirkungsvoll und sind ein Anfang für ein Schulkonzept.
So kann z. B. ein erster Schritt in einer Kennenlernwoche aller Schülerinnen und Schüler des
7. Jahrgangs ein Projekttag zum sozialen Lernen, einem Kommunikations- bzw. Konfliktlösungskurs bestehen.
Nachhaltige Schritte in einem Schulentwicklungsprozess
Der erste Schritt
Der erste nachhaltige Schritt, gewaltpräventiv in der Schule zu agieren, ist die Bestandsaufnahme bereits vorhandener gewaltpräventiver Maßnahmen bzw. eine Analyse des IstStandes. Dies ist durch die Vier-Felder-Analyse mit einem geringen Zeitaufwand zu realisieren.
Ein vorgeschobener bzw. gleichzeitiger Schritt kann die Information über mögliche gewaltpräventive Maßnahmen in Lehrkräftekonferenzen, Elternversammlungen und Schülerkonferenzen sein. Hier können bereits die ersten Aushandlungsprozesse stattfinden, welche
Wege gegangen werden sollen.
Eine durch die Schulkonferenz legitimierte Gruppe von Lehrkräften, Eltern und Schülern
sammelt in einem moderierten Gespräch mit Beraterinnen bzw. Beratern aus den staatlichen
Unterstützungssystemen der regionalen Fortbildung20 bzw. durch Berater auf Honorarbasis
den Ist-Zustand und den Soll-Zustand, um dann im weiteren Verfahren Zielsetzungen und
erste Schritte von Maßnahmen in einem Projektplan festzulegen.
Das Vorgehen wird auf einer großen Pinnwand visualisiert (s. Abbildung), dokumentiert und
mündet in einem Projektstrukturplan, der von der durch die Schulkonferenz legitimierten
Gruppe im Prozess gesteuert wird. Auch hier können Prozessberater aus dem Unterstützungssystem der regionalen Fortbildung hilfreich beraten.
20
Diese Berater werden in beiden Verwaltungen unterschiedlich bezeichnet: Für Berlin gilt der Begriff: „Multiplikatoren“, für
Brandenburg „Berater“.
26
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Vierfelderanalyse
Ist
Stolpersteine
Was haben wir erreicht?
Was behindert uns?
Soll
Projektplan
Was sind unsere Ziele?
Welche ersten Schritte von Maßnahmen wollen wir festlegen?
Was kann das LISUM bzw. das Unterstützungssystem beitragen?
In dem Projektplan sind die 7 W-Fragen von Bedeutung:
Für wen?
Wozu?
Warum?
Was?
Wer?
Wie?
Womit?
Der zweite Schritt
Im zweiten Schritt werden die einzelnen Maßnahmen in der Priorität verabredet. Dabei ist es
erfolgversprechend, wenn nicht zu viele Projekte nebeneinander laufen. Die Aktivitäten die
Verantwortlichkeiten sowie die Zeiten werden in dem Projektstrukturplan festgelegt. Die
Umsetzung ist fortlaufend zu prüfen. Dabei hat die Steuergruppe eine verantwortungsvolle
Aufgabe: Sie behält den verabredeten Zeitplan im Auge und reflektiert mit den Akteuren die
Stolpersteine, um ggf. nachzusteuern.
Der dritte Schritt
In einem dritten Schritt sollte jede Maßnahme des Projektplans evaluiert werden. Hilfreich ist
auch die Einbeziehung von Experten aus den Unterstützungssystemen, die mit ihren
Erfahrungen die schulinterne Arbeit unterstützen können. Wird die Maßnahme als erfolgreich
bewertet, sollte diese im Schulprogramm verankert werden, um somit nachhaltig im Schulalltag wirksam zu werden. Dann können weiteren Schritte nach dem gleichen Verfahren
geplant werden.
Gewaltprävention bedarf einer kontinuierlichen Reflexion im Rahmen von Schulentwicklung.
Eine schulinterne Steuergruppe ist für die Nachhaltigkeit des Prozesses verantwortlich.
Beratung und Unterstützung von außen durch die bereits erwähnten Beraterinnen und
Berater sind erfahrungsgemäß hilfreich und werden nicht als Schwäche, sondern als
Professionalität ausgelegt.
27
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Von anderen lernen – das schulumfassende Präventionsprogramm nach Olweus21 /
Anti-Bullying-Programm
Die Akteure der Schule können für die eigene Schulentwicklung aus vorliegenden
Erfahrungen lernen:
„Prävention ist in der Schule am erfolgreichsten, wenn sie nicht durch Aktionismus, sondern
durch die Gestaltung von Schulentwicklungsprozessen geprägt ist.“
Hierzu kann der Norwegische Psychologe Dan Olweus gewissermaßen ein Pate sein. Er
entwickelte in den achtziger Jahren ein schulumfassendes Programm zur Gewaltprävention
und -intervention gegen Gewalt (Bullying), nachdem er umfangreiche Längsschnittuntersuchungen in norwegischen Schulen zur Gewalt durchgeführt hatte.
Zielsetzung des Programms ist eine Reduzierung mittelbarer und unmittelbarer Gewalt und
die Verbesserung der Beziehungen unter den Schülerinnen und Schülern. Es sollen Bedingungen geschaffen werden, die sowohl Opfern als auch Tätern ein besseres Auskommen
miteinander innerhalb und außerhalb der Schule möglich machen. Die Förderung und
Erweiterung der sozialen Kompetenz sowie die Entwicklung des Schulklimas sind
Zielsetzung insgesamt.
Dan Olweus beschreibt die „Hauptbestandteile” seines Programms sinngemäß wie folgt:
Es ist schon bemerkenswert, wie oft Schulleiterinnen und Schulleiter und Kollegen betonen,
dass es an ihrer Schule keine Gewalt gibt, obwohl doch Hänseleien, Rangeleien, aber auch
das Verprügeln von Mitschülerinnen und -schülern zum Schulalltag gehören. Deshalb ist
Olweus der Auffassung, dass Problembewusstsein und Betroffensein der Lehrkräfte und zu
einem gewissen Grad auch der Eltern Voraussetzungen sind für den Erfolg von Prävention
und Intervention.
Diese Erkenntnisse sind identisch mit denen aus der Organisationsentwicklung und der
Schulentwicklung. Olweus hatte im Zusammenhang mit seinen Längsschnittuntersuchungen
einen umfangreichen Fragebogen zur Ist-Analyse entwickelt. Da die einzelne Schule keine
Schulforschung betreibt, kann sie selbstverständlich einen eigenen Fragebogen entwerfen,
der den gleichen Zweck erfüllt bzw. sich durch externe Beratung unterstützen lassen und
ggf. auf die Schulsituation zuschneiden.
Eine einfache und besonders wirksame Art, diese Ziele zu erreichen, ist eine anonyme
Fragebogenuntersuchung unter den Schülerinnen und Schülern zum Themenkreis
„Aggression und Gewalt” an ihrer Schule. Die Ergebnisse der Untersuchung sollen im
Rahmen eines Pädagogischen Tages „Gewalt und Gewaltprävention in Schulen” vorgestellt,
interpretiert und im Hinblick auf schulische Konsequenzen diskutiert werden. Führt der
„Pädagogische Tag” zu dem Ergebnis, dass zur Gewaltprävention schulische Maßnahmen
notwendig sind, sollten diese in einer Schulkonferenz beraten und als Bestandteile in das
Schulprogramm aufgenommen werden. Die von Olweus vorgeschlagenen Maßnahmen
wurden aufgrund seiner Forschungsergebnisse für die Ebene der Schule, der Klasse und der
einzelnen Person entwickelt.
21
Olweus wie 8.
28
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Im Überblick stellt sich das Interventionsprogramm
insgesamt wie folgt dar:
Schulebene
Klassenebene
• verbesserte Pausenaufsicht
• gemeinsame Erarbeitung
von Klassenregeln gegen
Bullying
• Gestaltung des Schulhofes
zu einem attraktiven Platz
von Begegnung mit Tobeund Ruheflächen
• Klarstellung, Lob,
Sanktionen
• Kontakttelefon
• Wertschätzung
• Konfliktsprechstunde bzw.
Mediationsraum
• Opfer-Täterausgleich
• Entwicklung der Schulkultur
• Treffen von Lehrkräften und
Eltern
• Lehrkräftegruppen für die
Entwicklung eines positiven
Schulklimas
• Elterngesprächskreise (Lernund Diskussionsgruppen)
• Wiedergutmachung
• Aufarbeitung von Konflikten
durch Aufstellung
• regelmäßige Klassentreffen
• kooperatives Lernen
• Treffen von Lehrkräften und
Eltern/Kindern
• allgemeine positive
Tätigkeiten; Rollenspiele
Individuelle Ebene
• intensive Gespräche mit
Schlägern und Opfern
• intensive Gespräche mit
Eltern von beteiligten
Kindern
• phantasievolle Maßnahmen seitens der Lehrkraft
• Hilfe von 'neutralen'
Schülerinnen bzw.
Schülern
• Ratschläge für Eltern
(Elternbroschüre)
• Diskussionsgruppen mit
Eltern von Schlägern
und von Opfern
• letztes Mittel: Klassenoder Schulwechsel
Beratung und Unterstützung
Interessierte Schulkonferenzen können sich Berater aus dem Unterstützungssystem zur
Schulkonferenz einladen, um sich über das Programm informieren zu lassen. Aufgrund der
positiven Wirkungen, die das Präventionsprogramm von Dan Olweus hat, sind diese
Erfahrungen mittlerweile auch in anderen Ländern22 mit Erfolg erprobt worden. Jede Schule
ist mit ihren Bordmitteln in der Lage, die von Dan Olweus entwickelten Vorschläge in den
eigenen Schulalltag zu implementieren. Eltern können sich als Gruppen pädagogisch durch
das LISUM beraten lassen.
• Hilfe, Unterstützung, Beratung und weiterführende Materialien
Unterstützung und Beratung
22
sind im Kapitel 8 zu finden.
Ferstl, R.; Niebel, G. Hanewinkel, R.: Gutachterliche Stellungnahme zur Verbreitung von Gewalt und Aggression an Schulen
in Schleswig-Holstein. Eutin 1993; Hanewinkel, R.; Knaack, R.: Mobbing: Gewaltprävention in Schulen in SchleswigHolstein. Kiel 1997
29
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Gewaltprävention durch soziales und kooperatives
Lernen
Kinder und Jugendliche entwickeln ihre sozialen und personalen Kompetenzen in der
Familie, in der Peergroup und überall, wo sie sozial lernen können; aber nur in dem Kindergarten und in der Schule kann ein gezieltes Kompetenztraining für alle Kinder gleichermaßen
stattfinden. Besonders für Kinder, die im Elternhaus nicht umfassend gefördert werden, ist
diese schulische Fokussierung von größter Bedeutung für ihre Entwicklung.
Zwar ist die Entwicklung von personaler und sozialer Kompetenz Bestandteil des Lernens
und in den Rahmenlehrplänen in Berlin und Brandenburg fest verankert, dennoch zeigen die
Schulvisitations- bzw. -inspektionsergebnisse23, dass es noch einen umfassenden Modernisierungsbedarf gibt.
Kooperatives Lernen steht für ein bestimmtes Lehr- und Lernkonzept, das darauf abzielt, in
koordinierten und konstruktiven Partnerarbeiten eine gemeinsame Lösung für ein vorgegebenes Problem zu finden. Die Schülerinnen und Schüler sollen sich beim Lernen gegenseitig unterstützen und gemeinsam zu Ergebnissen gelangen. Die Methoden des kooperativen Lernens trainieren soziale Kompetenzen und vermitteln ein problemorientiertes Denken
und Handeln.
Curriculum zum sozialen und kooperativen Lernen
Um das Gewaltpotenzial in der Schule zu mindern, ist es erfolgversprechend, das soziale
und kooperative Lernen durch ein Curriculum zum sozialen und kooperativen Lernen im
Schulprogramm zu verankern.
Dabei entwickeln die Schülerinnen und Schüler folgende Kompetenzen
•
•
•
•
•
•
•
•
Fähigkeit zur Selbst- und Fremdwahrnehmung,
Fähigkeit zum Umgang mit Gefühlen,
Fähigkeit zu Perspektivübernahme und Empathie,
Kommunikationsfähigkeit,
Kooperationsfähigkeit,
Fähigkeit zu konstruktiver Konfliktbewältigung,
Fähigkeit zum vorurteilsbewussten Lernen,
Fähigkeit zum geschlechterbewussten Lernen.
die dem Alter der Schülerinnen und Schüler entsprechend nach Jahrgangsstufen und Unterrichtsfächern durch die Fachkonferenzen ausgewiesen werden. Soziales und kooperatives
Lernen findet im Unterricht, d. h. in jedem Unterrichtsfach statt. Darüber hinaus ist es hilfreich, wenn in der Schulorganisation auch entsprechende Zeiteinheiten ausschließlich dem
sozialen Lernen, z. B. der Klassenratsstunde oder den Programmen zum sozialen Lernen
gewidmet sind.
23
Schulinspektion (Berlin); Schulvisitation(Brandenburg)
30
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Die Einführung dieses Curriculums kann nach den folgenden Schritten erfolgen:
Bestandsaufnahme
Ziel‐ und Schwerpunktsetzung
Projektplan
Verabredungen
Dabei sollten die nachfolgenden 10 Grundgedanken aufgenommen werden:
Ein schulinternes Curriculum zum sozialen und kooperativen Lernen
•
ist systematisch – sowohl in der zeitlichen Abfolge als auch im inhaltlichen Aufbau
(vom Leichten zum Schweren, vom Einfachen zum Komplexen), nach diesem Prinzip
werden einzelne Bausteine miteinander verknüpft,
•
folgt lernbiologischen und -psychologischen Prinzipien (altersgemäße Inhalte,
Vermittlung in kleinen Portionen, gehirngerechtes Lernen, ständiges Wiederholen
und Vertiefen),
•
ist spiralcurricular aufgebaut (die Inhalte werden im Laufe eines Schuljahres und
jeweils von Schuljahr zu Schuljahr systematisch wiederholt und vertieft),
•
ist leicht praktikabel (keine langen Einarbeitungszeiten, leichte Umsetzbarkeit),
•
ist fachübergreifend und integrativ (die Lerninhalte lassen sich auf die einzelnen
Fächer übertragen; die Leitfrage lautet: Was befähigt Schülerinnen und Schüler,
in allen Fächern effektiv zu lernen?),
•
ist handlungsorientiert,
•
ist erfahrungsorientiert (Schülerinnen und Schüler erkennen und verstehen bestimmte
lernpsychologische und -biologische Abläufe und Zusammenhänge durch eigenes Tun
und Experimentieren),
•
integriert unterschiedlichste Formen selbst reflektierenden und kooperativen Lernens als
grundlegendes Lernprinzip,
•
ist für alle Lehrkräfte der Schule verbindlich,
•
beinhaltet somit Verantwortlichkeit (die Umsetzung, also Lernfortschritt und -erfolg, bleibt
nicht dem Zufall überlassen, sondern liegt in der Verantwortung einer Lehrkraft).
31
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Ein Beispiel für die Jahrgangsstufe 7
Schulen der Sekundarstufe I sollten den Schülerinnen und Schülern einen sozialintegrativen
Einstieg ermöglichen, indem in den ersten Wochen verstärkt durch Phasen des sozialen
Lernens eine gute Arbeitsgrundlage für ein gemeinsames kooperatives, effektives Lernen
geschaffen wird. Ein mögliches Beispiel24 wird hier vorgestellt:
August/
September
Oktober/
November
Teamentwicklung
Kennenlernwoche
und Rituale
Gemeinsam sind wir stark – Arbeiten in und
mit der Gruppe
Jungen werden
Teamplayer
Selbst- und
Fremdwahrnehmung
Stärken /
Schwächen
Gefühle
ausdrücken
Theaterprojekt,
auch getrennt
nach
Geschlechtern
Kommunikation
Klassenregeln,
Gespräche
Arbeit mit Klassenregeln und (individuellen)
Vereinbarungen/ Feedback geben und erhalten
Umgang mit
Konflikten
Verhaltensregeln für
Konfliktsituationen
fair streiten, Ehrenkodex für
Schüler
Partizipation- und
Veranwortungsübernahme
Klassensprecherwahl
Raumgestaltung
Klassenämter
Einführung
Klassenrat
Dezember/
Januar
Februar/
März
Mädchen- und Jungenprojekte
April /
Mai
Juni/
Juli
Eskalation/
Deeskalation
kooperatives Lernen
soziales
Engagement
Leistungsbewertung im Unterricht
Arbeit mit dem Klassenrat
Lernen lernen
Lernvertrag
Zusammenarbeit
mit den Eltern
Mädchen und
Jungen – welche
Erziehungsziele
sind mir wichtig?
Fortbildungen für
Lehrkräfte
passend zu den Schwerpunktsetzungen des Curriculums zum sozialen Lernen: z. B.:
Kommunikationstraining, fair streiten, Methoden des kooperativen Lernens
Einbeziehung von
Kooperationspartnern
passend zu den Schwerpunktsetzungen ist zu prüfen, welche Kooperationspartner aus
dem Kiez/der Gemeinde hinzugezogen werden können.
24
Kinder stärken –
aber wie?
Portfolio
Logbuch
Kommunikation in der
Familie
konstruktiv
gestalten
Infobriefe
weiteres s.
Verantwortungsübernahme
Elternstammtisch
leicht verändert nach Elke Klein: Neue Wege entstehen beim Gehen – ein schulinternes Curriculum zum sozialen Lernen.
Aus GanzGut 3, Serviceagentur Ganztag, kobra.net 09.07, Potsdam
32
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Schulmediation
Mediation als Methode der gewaltfreien Konfliktbearbeitung strebt mithilfe einer allparteilichen dritten Person bei Konflikten win-win-Lösungen an. Dieses Verfahren wurde aus
juristischen Schiedsverfahren in den 90er-Jahren auf die Schule übertragen. Evaluationen
haben ergeben, dass eine Gelingensbedingung für die Mediation das programmatische Ziel
einer wertschätzenden Schulkultur ist.
In der Schullandschaft hat sich der Begriff „Schulmediation/Streitschlichtung25“ etabliert. In
einer Ausbildung (mind. 40 Std.) erlernen die Schülermediatorinnen bzw. -mediatoren
Kommunikations- und Mediationsmethoden wie z. B. „aktiv zuhören“, „offene Fragen stellen“,
„spiegeln“ und „paraphrasieren“. Das Konfliktklärungsgespräch ist für die Kontrahenten
(möglichst) freiwillig und verläuft nach einem definierten Ablauf. Die Schülerinnen bzw.
Schüler, die im Konflikt stehen, erarbeiten sich mit Unterstützung der Schülermediatorinnen
bzw. -mediatoren eine für sie akzeptable Lösung. Diese wird verbindlich durch eine Vereinbarung geregelt und nach einem mehrwöchigen Zeitraum auf Einhaltung überprüft.
Weitere Gelingensbedingungen sind, dass ein bis zwei besonders qualifizierte Kolleginnen/
Kollegen die Streitschlichter/-innen der Schule coachen, ein Raum für die Gespräche
eingerichtet ist und die Klärungsgespräche auch während der Unterrichtszeit geführt werden
können.
Mediation an Schulen ist dann erfolgreich, wenn
25
•
Schulleitung und Kollegium das Modell aktiv unterstützen,
•
entsprechende Rahmenbedingungen (z. B. Bereitstellung eines Raumes, Information
und Werbung, Kontinuität, Anerkennung, Entlastung der Betreuer; Unterrichtsbefreiung
für die Konfliktschlichterinnen und -schlichter, Anerkennung ihrer Arbeit – Zertifikat,
Urkunde etc.) gewährleistet sind,
•
mind. zwei Lehrkräfte über Mediationskompetenzen verfügen,
•
alle Schülerinnen und Schüler Kenntnisse in Mediation/konstruktive Konfliktlösung
erlernen können,
•
eine gute Ausbildung gegeben ist,
•
die Schülermediatorinnen und -mediatoren bzw. Streitschlichterinnen und -schlichter
durch Lehrkräfte begleitet und beraten werden,
•
wenn Eltern und andere Partner in die Arbeit einbezogen werden,
•
wenn Mediation Bestandteil einer gewaltpräventiven Schulentwicklung in der jeweiligen
Schule ist.
In Berlin hat sich maßgeblich das Konfliktlotsenmodell von Ortrud Hagedorn durchgesetzt.
33
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Bevor der Prozess der Verankerung der Streitschlichtung in der Schule beginnt, sollten eine
Analyse der Ausgangssituation26 der Schule in Bezug auf das Umgehen mit Gewalt und
Gewaltprävention und eine Festlegung von Maßnahmen in den schulischen Gremien
erfolgen.
Folgende Prozesse sind für die Verankerung der Schulmediation wichtig:
Informationsveranstaltung
Beschlussfassung
Qualifizierung in Schulmediation
Schulinterne Fortbildung
Sozialkompetenztraining
Ausbildung der Streitschlichter
Projekt‐ bzw. Steuergruppe einrichten
Grundkurs Mediation
Umsetzung
1. Informationsveranstaltung
Um eine fundierte Entscheidung über die Einrichtung von Streitschlichtung zu treffen,
ist es notwendig, dass alle Lehrkräfte, die Schüler- und Elternvertretung über Schulmediation als gewaltpräventive Maßnahme informiert werden.
2. Schulinterne Fortbildung
Hier sollten alle Lehrkräfte teilnehmen, da der Prozess die gesamte Schule betrifft.
3. Projekt- bzw. Steuergruppe einrichten
Da die Verankerung der Streitschlichtung als Prozess zu betrachten ist, lehren die
Erfahrungen, dass es sinnvoll ist, eine Projektgruppe einzurichten bzw. der bestehenden Steuergruppe diese Aufgabe zu übertragen.
4. Grundkurs Mediation
Damit die Schulmediation umfassend in der Schule insgesamt verankert wird, ist es
sinnvoll, dass möglichst alle Lehrkräfte einen Grundkurs in konstruktiver Konfliktklärung besuchen. Schulmediation ist nur wirksam, wenn sich im Lehrkräftekollegium
ein umfassendes Verständnis für konstruktive Konfliktklärung entwickelt.
5. Sozialkompetenztraining
Auch bei den Schülerinnen und Schülern entwickeln sich durch ein gezieltes Training
Konfliktlösekompetenzen, die die Akzeptanz von Streitschlichtung erhöhen.
26
z. B. Vierfelder-Analyse, s. Gewaltprävention und Schulentwicklung, S. 26
34
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
6. Beschlussfassung
Die entsprechenden Gremien sollen die Etablierung von Streitschlichtung in der
Schule und die notwendigen Voraussetzungen wie Stundenentlastung für die verantwortlichen Lehrkräfte, die Einrichtung eines Schlichterraums und die Akzeptanz, dass
die Streitschlichtung auch während des Unterrichts erfolgen kann, beschließen.
7. Qualifizierung in Schulmediation
Die Lehrkräfte (mind. zwei) nehmen an einer Ausbildung zur Schulmediation teil.
Diese soll 100 Stunden umfassen.
8. Ausbildung der Streitschlichter
Die Ausbildung der Schülerinnen und Schüler als Streitschlichter umfasst mindestens
40 Stunden. Die Auswahl sollte nach verabredeten Kriterien erfolgen.
9. Umsetzung
Bei der Umsetzung ist eine externe Begleitung bzw. die Teilnahme an Intervisionsgruppen für die Etablierung des Projekts in der Schule Erfolg versprechend. Die
Verankerung der Streitschlichtung in der Schule ist erfolgreich, wenn es seitens aller
Beteiligten eine konstruktive Unterstützung gibt. Ein Zeitraum von 3 bis 5 Jahren ist
einzuplanen.
Ursachendiagnose/Perspektiven
Die Schulmediation (Streitschlichterprogramme) ist in vielen Schulen noch zu wenig in die
schulische Bildungs- und Erziehungsarbeit integriert. Es geht um die Übertragung von
Verantwortung an die Schülerinnen und Schüler. Der vorherrschende „Ausbildungsansatz“
ist dem Mediationsgedanken eher abträglich, weil er mit der traditionellen Schulpraxis in
Konflikt gerät.
Zu empfehlen ist eher ein „systemischer Ansatz“, der die Integration der Streitschlichtung auf
allen Ebenen des Systems Schule (Kollegium, Klasse, Unterricht, Umfeld) verfolgt. Bei
diesem Ansatz ist z. B. vorstellbar, dass in jeder Klasse Streitschlichter ausgebildet sind, die
die Konflikte der Klasse klären und dass jede Klasse in der Jahrgangsstufe 7 einen
Basiskurs in konstruktiver Konfliktschlichtung absolviert und ggf. sich Erweiterungskurse in
den höheren Jahrgängen anschließen. Darüber hinaus wirken Streitschlichter auf Jahrgangsebene und auf Schulebene. Sie sind für Konflikte zuständig, die außerhalb des Unterrichts in
den Pausen und auf dem Schulhof bzw. auf dem Schulweg entstehen. Abgerundet wird
dieser Ansatz, wenn auch möglichst viele (alle) Lehrkräfte ein Training in gewaltfreier
Kommunikation und konstruktiver Konfliktklärung absolvieren.
• Hilfe, Unterstützung, Beratung und weiterführende Materialien
Unterstützung und Beratung
sind im Kapitel 8 zu finden.
35
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Programme zum sozialen Lernen Lebenskompetenzprogramme
Programme zum sozialen Lernen in der Schule haben den Vorteil, dass sie alle Kinder und
Jugendlichen erreichen. Die Entwicklung der sozialen und personalen Kompetenz wird zwar
in jedem Unterricht gefördert, durch diese Programme erfolgt aber eine systematische und
nachhaltige Förderung. Die hier beschriebenen Programme sind wissenschaftlich erfolgreich
evaluiert.
Die aufgeführten Programme sind zumeist für die Gewalt- bzw. Suchtprävention entwickelt
worden, gelten aber als Basisprogramme zur Entfaltung sozialer und demokratischer
Kompetenzen und steigern die Lernleistungen der Kinder- und Jugendlichen insgesamt.
Alle hier aufgeführten Programme benötigen einen schulorganisatorischen Rahmen, der
gewährleistet, dass ein Zeitfenster zur Verfügung steht, um die interaktiven Übungen durchführen zu können. Dieses Zeitfenster ist je nach Programm epochal oder für das ganze
Schuljahr zu gewährleisten.
Eines oder mehrere Programme sollten in einer Informationsphase im Lehrkräftekollegium,
der Schüler- und Elternvertretung vorgestellt werden. Nach dem Beschluss durch die
Schulkonferenz wird eines der Programme jahrgangsweise eingeführt und nachhaltig im
Schulalltag verankert. Nur so ist die Wirkung für die Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte
nachhaltig und erfolgreich.
Bei jedem aufgeführten Programm ist beschrieben,
•
•
•
•
•
•
in welchen Jahrgängen es einsetzbar ist,
wie das Material aufgebaut ist,
wie das Material eingesetzt wird,
welche Kosten auf die einzelne Schule zukommen,
welche Fortbildungsmaßnahmen für die Lehrkräfte notwendig sind,
wer für die Fortbildung in Berlin und Brandenburg die Ansprechpartner sind.
Außer diesen Programmen gibt es weitere Programme, die entweder als Landesprogramme
z. Z. nur in Berlin laufen, wie z. B. Buddy, Klasse 2000, Mindmatters. Diese sind auf den
jeweiligen Internetseiten beschrieben, können aber in Schulen des Landes Brandenburg
nicht wirksam werden, da das Land keinen entsprechenden Kooperationsvertrag abgeschlossen hat. Andere Programme, die hier auch nicht ausführlich beschrieben sind, haben
bisher in den Schulen keine Akzeptanz gefunden. Alle Programme, die evaluiert sind,
wurden in PITBrandenburg27 beschrieben.
27
PITBrandenburg: Schulische Prävention im Team. LISUM, 2008, Ludwigsfelde
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Gesundheitsförderung durch Lebenskompetenzprogamme in Deutschland.
Köln 2005
36
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Programme für Grundschülerinnen und -schüler
Fit und stark fürs Leben
Jahrgang (Jhg.)
•1.bis 2. Jhg.
•3. bis 4. Jhg.
•5. bis 6. Jhg.
Material
Einsatz
•20 Unterrichts‐
einheiten
•3 Doppeljahrgs‐
stufenhefte käuflich zu erwerben
•im Unterricht durch Lehrkraft
•regionale Fortbildung, LISUM
Kosten
•Kauf der Materialien im Buchhandel
•Fortbildung kostenneutral
Das Programm zielt auf Aggressionsabbau und Suchtprävention durch Persönlichkeitsförderung in den Jahrgangsstufen 1 – 6. „Fit und stark fürs Leben“ ist ein erprobtes
Unterrichtsmaterial zur Persönlichkeitsstärkung. Es wurde im Rahmen eines europäischen
Gemeinschaftsprojekts entwickelt und enthält für die Jahrgangsstufen 1 und 2 sowie 3 und 4
jeweils in einem Heft 20 klar strukturierte Unterrichtseinheiten, die eine Förderung
allgemeiner Lebenskompetenzen in folgenden Bereichen anstreben:
•
•
•
•
•
•
Selbstwahrnehmung und Einfühlungsvermögen,
Umgang mit Stress und negativen Emotionen,
Kommunikation,
kritisches Denken/ Standfestigkeit,
Problemlösen,
gesundheitsrelevantes Wissen.
Material
Unterstützung und Beratung • Asshauer, M.; Burow, F.; Hanewinkel, R. (1998): Fit und stark fürs Leben. 1. und 2. Schuljahr – Persönlichkeitsentwicklung und Prävention von Aggression, Rauchen und Sucht. Klett Grundschulverlag, Leipzig • Asshauer, M.; Burow, F.; Hanewinkel, R. (1999): Fit und stark fürs Leben. 3. und 4. Schuljahr – Persönlichkeitsentwicklung und Prävention von Aggression, Rauchen und Sucht. Klett Grundschulverlag, Leipzig
• Regionale Fortbildung Brandenburg: Beraterinnen und Berater für soziales Lernen und Demokratie bzw. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der RAA e.V.
• Regionale Fortbildung Berlin: Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für Demokratie
37
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
FAUSTLOS – Ein Programm des Heidelberger Therapiezentrums
Jahrgang (Jhg.)
• Kindergarten
• Grundschule
1. bis 4. Jhg.
Material
• Lernprogramm
• Folien im Faustloskoffer
Einsatz
Kosten
• im Unterricht • durch Lehrkraft
• Fortbildung durch das Heidelberger Theraphiezentrum (ein Tag)
• Materialkosten • Fortbildungkosten
FAUSTLOS ist ein Programm, das Kindern hilft, ihr aggressives Verhalten eigenständig zu
kontrollieren, und unterstützt den Aufbau von positivem Sozialverhalten. Es wurde für die
Arbeit im Kindergarten und in der Grundschule entwickelt. Dieses Präventionsprogramm
basiert auf entwicklungspsychologischen Erkenntnissen zur sozial-emotionalen Entwicklung
von Kindern: Defizite in diesem Bereich produzieren die Entwicklung eines aggressiven und
gewaltbereiten Verhaltens. Entfaltet sich die Empathiefähigkeit im kindlichen Alter nicht, sind
Jugendliche nicht in der Lage, kooperative Problemlösestrategien zu entwickeln, um sich bei
der Lösung alltäglicher Probleme sozialintegrativ verhalten zu können.
Mit dem Programm wird soziales Verhalten gelernt und eingeübt. Effektiv ist das Programm,
da es didaktisch gut aufgebaut ist und die Lerneinheiten systematisch aufeinander aufbauen
und somit in der kontinuierlichen Anwendung eine nachhaltige Verhaltensveränderung und
ein Transfer in den Alltag erzeugt wird.
Da FAUSTLOS sich allen Kinder einer Klasse zuwendet, erfolgt keine Stigmatisierung
Einzelner, sodass sowohl kindliche Opfer wie Täter gemeinsam ihr Verhalten trainieren.
Das Lernprogramm liegt für den Kindergarten sowie für die Grundschule vor. Es ist so
gegliedert, dass es leicht in den Alltag integrierbar ist.
Für die Grundschule liegen 51 Einheiten; für den Kindergarten 28 Lektionen vor: In allen
Einheiten sind die Förderung von Empathie, Impulskontrolle und der Umgang mit Ärger und
Wut die grundlegende Zielsetzung.
Die Materialien für die Grundschule bestehen aus Fotofolien, die den Kindern verschiedene
soziale Situationen zeigen, aus einem didaktischen Material und einem Handbuch mit theoretischem Hintergrund. Die Unterrichtsmaterialien („FAUSTLOS-Koffer") können über den
Hogrefe-Verlag bezogen werden (498 €). Bei der Teilnahme an einer eintägigen Fortbildung
kann das Heidelberger Präventionszentrum die Materialien zu einem um 10% ermäßigten
Preis anbieten (E-Mail: [email protected], Internet:www.faustlos.de). Die Materialien für den
Kindergarten sind in derselben Form strukturiert.
Das Programm FAUSTLOS wurde im Auftrag des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport
Baden-Württemberg durch das Heidelberger Präventionszentrum an 14 Grundschulen (30
Klassen) über einen Zeitraum von drei Jahren eingesetzt. 7 weitere Schulen dienten als
Kontrollgruppe. Die Ergebnisse der Längsschnittstudie mit insgesamt vier Messzeitpunkten,
zu denen Eltern, Kinder und Lehrkräfte befragt wurden, belegen die gewaltpräventive und
38
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
soziale Kompetenz fördernde Wirkung von FAUSTLOS (vgl. zusammenfassend den
Abschlussbericht von Cierpka, Schick & Ott, 2001). So hatten die FAUSTLOS-Kinder
deutlich weniger soziale Ängste als die Kinder in der Vergleichsgruppe, waren empathischer
geworden und lehnten aggressive Verhaltensweisen als Mittel der Konfliktlösung zunehmend
ab.
Material
Unterstützung und Beratung • Cierpka, M. (Hrsg.) (2001). FAUSTLOS. Ein Curriculum zur Prävention von aggressivem und gewaltbereitem Verhalten bei Kindern der Klassen 1 bis 3. Göttingen: Hogrefe
• Cierpka, M. (Hrsg.) (2002): Kinder mit aggressivem Verhalten. Hogrefe, Göttingen, 2. Auflage
• Das LISUM bietet in Kooperation mit den Beraterinnen und Beratern für soziales Lernen und Demokratie eine erste Information an. Die Durchführung der Fortbildung erfolgt direkt durch das Heidelberger Präventionszentrum.
39
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Eigenständig werden – Unterrichtsprogramm zur Gesundheitsförderung und
Persönlichkeitsentwicklung
Jahrgang (Jhg.)
• Grundschule 1. bis 2. Jhg.
• 3. bis 4. Jhg.
Material
Einsatz
• Schülermanual mit 40 Lerneinheiten
• Lehrerhandbuch
• im Unterricht je 10 Stunden pro Schuljahr • durch Lehrkraft
• 16 Stunden Fortbildung durch Trainer
Kosten
• Manual kostenneutral
• Fortbildung kostenneutral
Das Programm „Eigenständig werden“ ist ein Programm zur Gesundheitsförderung und zur
Primärprävention des Substanzmissbrauches an Schulen. Die allgemeinen persönlichen und
sozialen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler werden gezielt gefördert. Die Unterrichtseinheiten behandeln Themen wie Selbstwahrnehmung, der Umgang mit eigenen
Gefühlen und den Gefühlen anderer, kritische Auseinandersetzung mit Werbung und
konstruktives Problemlösen.
Durch das Programm erwerben die Kinder alters- und entwicklungsadäquate Kenntnisse und
Fähigkeiten in den Bereichen:
•
•
•
•
•
Persönlichkeitsentwicklung,
Gesundheitsförderung,
Suchtprävention,
Gewaltprävention,
Förderung von Lebenskompetenzen.
Das Programm ist bei Lehrkräften auf große Zustimmung gestoßen. In den Klassen hat sich
das soziale Klima in der Zeit der Projektdurchführung merklich verbessert. Es kam zu einer
Abnahme von Verhaltensauffälligkeiten und Gewaltbereitschaft sowie zu einer Zunahme
sozialer Kompetenzen.
• Institut für Therapie‐ und Gesundheitsforschung, Mentor‐Stiftung: Eigenständig werden ‐
Unterrichtsprogramm zur Gesundheitsförderung, Kiel 2007, 3. Aufl.
Material
Unterstützung
und Beratung • Regionale Fortbildung Brandenburg: Beraterinnen und Berater für soziales Lernen und Demokratie bzw. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der RAA e.V.
• Regionale Fortbildung Berlin: Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für Demokratie
• bzw. direkt durch Trainerinnen zum Programm: www.eigenstaendig‐werden.de 40
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Erziehen heißt bilden
Jahrgang (Jhg.)
• JÜL
• Grundschule 1. bis 6. Jhg.
Material
Einsatz
• Schülermanual mit 7 Lernein‐
heiten und Lehreranleitung,
• Ordner und CD
• im Unterricht • in der Schulstation
• im Freizeitbereich
Kosten
• Manual kostenneutral
• Fortbildung kostenneutral
In dem Programm „Erziehen heißt bilden“ stehen das soziale und das kommunikative
Lernen im Zentrum für gelingende Lernprozesse im Vordergrund.
Lehrkräfte und Erzieher/innen erhalten hier Anregungen und Ideen, wie solche Fähigkeiten erlernt und trainiert werden können, welche diagnostischen Möglichkeiten in der
Beobachtung spielerischer Aktivitäten stecken und wie Förderung erwünschter Verhaltensweisen gelingen kann.
Das Programm benennt zahlreiche Kooperationsmöglichkeiten zwischen den genannten
Berufsgruppen und beschränkt sich nicht auf den Bereich von Betreuung, Freizeitgestaltung oder auf ein „soziales Anhängsel“.
Im Zentrum steht die Entwicklung von Handlungskompetenz. Sie umfasst die Teilkompetenzen Methoden-, Sach-, soziale und personale Kompetenz.
Diese Handreichung richtet sich an Lehrer/innen und Erzieher/innen, weil eine ihrer
wesentlichen Aufgaben darin besteht, Kinder und Jugendliche bei der Entwicklung von
Selbst- und Sozial-Kompetenz zu unterstützen.
Die vorliegende Handreichung soll dazu einen Beitrag leisten und gleichzeitig den vielen
Kolleginnen und Kollegen, die bisher noch nicht in der Schule gearbeitet haben, für ihr
neues Wirkungsfeld Hilfestellung geben.
Im ersten Teil der Broschüre wird beschrieben, wie Lehrer/innen und Erzieher/ den
Bildungsprozess von Kindern begleiten können. Sie bietet verschiedene Möglichkeiten,
einen konstruktiven Umgang mit Kindern miteinander einzuüben und zur Auseinandersetzung damit anzuregen.
Der zweite Teil der Handreichung enthält Spiele und Übungen zu sieben Handlungsfeldern des sozialen Lernens, die zu einer gezielten Kompetenzerweiterung bei
Schülerinnen und Schülern beitragen sollen.
•
Kontakt aufnehmen / Kennen lernen / Sich miteinander wohl fühlen
•
Sich selbst und andere wahrnehmen / Selbstwertgefühl stärken
•
Mit den eigenen und den Gefühlen anderer umgehen
•
Kommunikationsfähigkeit erweitern
•
Kooperationsfähigkeit entwickeln
41
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
•
Mit Konflikten konstruktiv umgehen
•
Sich mit Geschlechterzuschreibungen kritisch auseinandersetzen
Material
Unterstützung
und Beratung
• Böttger, G.; Hein, R.; Kügele, H.; Reich, A.; Wichniarz, M. u.a. (2009): Erziehen heißt bilden – Eine Handreichung für Erzieher/innen und Lehrer/innen. Landesinstitut für Schule und Medien Berlin‐Brandenburg, 2.Aufl.
• Regionale Fortbildung Brandenburg: Beraterinnen und Berater für soziales Lernen und Demokratie bzw. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der RAA e.V.
• Regionale Fortbildung Berlin: Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für Demokratie
42
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Sozialtraining in der Schule (nach Petermann)
Jahrgang (Jhg.)
• 4. Jhg.
• 7. Jhg.
Material
Einsatz
• Lernprogramm zum Lernen von Regeln
• 10 Doppel‐
stunden • durch Lehrkraft
• Fortbildung durch BUSS und LISUM
(ein Tag)
Kosten
• Materialkosten • Fortbildung
kostenneutral
Angelehnt an das Training mit aggressiven Kindern (Petermann / Petermann 1997) wurde
zur Förderung sozial-kompetenten Verhaltens bei Schülerinnen bzw. Schülern das präventiv
wirkende Sozialtraining in der Schule (Petermann / Jugert / Tanzer / Verbeek 1997) entwickelt. Das Programm bezieht sich auf die Schülerinnen bzw. Schüler der Grund- und
Orientierungsstufe (Jahrgangsstufe 3 bis 6), die sich in einer Entwicklungsphase befinden, in
der sie ein hohes Maß an sozialer Orientierung benötigen und in der bei vielen Schülerinnen
bzw. Schülern Verhaltensauffälligkeiten, wie aggressives und sozial unsicheres Verhalten zu
beobachten sind. Mittels der Stärkung der Sozialkompetenz und der Förderung sozialer
Fähigkeiten soll der Verfestigung dieser Auffälligkeiten und daraus resultierender potenzieller
Verhaltensstörungen präventiv entgegengewirkt werden.
Mit dem Sozialtraining werden Lehrkräften verhaltenstheoretische und praktische Kenntnisse
an die Hand gegeben, um auf die Schülerinnen bzw. Schüler mit Verhaltensauffälligkeiten
angemessen reagieren zu können bzw. diesen entsprechende Verhaltensmuster zu vermitteln. Die Ziele des Programms werden zum Großteil aus der Theorie der sozial-kognitiven
Informationsverarbeitung von Dodge (1986) abgeleitet. Dodge beschreibt, wie Eindrücke aus
der sozialen Umwelt (Informationen) verarbeitet, gespeichert und interpretiert werden und
dadurch handlungsleitend wirken. Von Kindern mit Verhaltensstörungen werden diese
Informationen auf allen Stufen verzerrt oder fehlerhaft wahrgenommen und verarbeitet, z. B.
selektiv auf bedrohlich eingestufte Handlungen. Diese Befunde werden vom Sozialtraining
aufgegriffen, indem es kognitive Prozesse in spielerische Übungen des sozialen Lernens
einbettet, die den Aufbau eines differenzierten und situationsangemessenen Verhaltensrepertoires bei den Kindern ermöglichen (soziale Fertigkeiten). Das Verhaltenstraining
umfasst einen Mindestzeitraum von zehn Wochen mit einer jeweils 90-minütigen Trainingssitzung pro Woche und beinhaltet einen Maßnahmenkatalog u. a. mit Rollenspielen,
Verhaltensregeln, Entspannungsübungen und Verfahren wie Selbstbeobachtungs- und
Selbstkontrolltechniken in kindgerechter Form.
Die erfolgreiche Anwendung des Verhaltenstrainings setzt eine Lehrkräfteschulung in der
Handhabung des Manuals und der sicheren Beherrschung des Trainingsprogramms voraus.
Die Ergebnisse bisheriger Evaluationen weisen darauf hin, dass durch das Sozialtraining
eine leicht erhöhte Aggressionsbereitschaft sowie eine leicht erhöhte Angst von Schülerinnen bzw. Schülern deutlich verringert werden konnte. Damit konnte im Hinblick auf
Schülerinnen bzw. Schüler mit leicht aggressiven und sozial unsicheren Auffälligkeiten die
primärpräventive Wirkung des Programms nachgewiesen werden.
43
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Material
Unterstützung
und Beratung
• Petermann F.; G. Jugert; U. Tanzer; D. Verbeek (1997): Sozialtraining in der Schule. Weinheim: Psychologie Verlags Union
• Petermann, F.; G. Jugert; D. Verbeek; U. Tänzer (1997): Verhaltenstraining mit Kindern. In: Holtappels, H.G./Heitmeyer, W./Melzer, W./Tillmann, K.‐J. (Hg.): Schulische Gewaltforschung. Stand und Perspektiven. Weinheim: Juventa, S. 315‐329
• Regionale Fortbildung Brandenburg: Beraterinnen und Berater für soziales Lernen und Demokratie bzw. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der RAA e.V.
• Regionale Fortbildung Berlin: Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für Demokratie
44
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Gewaltfreier Umgang mit Konflikten / Streitschlichtung für jüngere Schülerinnen
und Schüler
Jahrgang (Jhg.)
• 1. bis 6. Jhg
Material
Einsatz
• Lernprogramm zur gewaltfreien Konfliktlösung
• Unterricht
• durch Lehrkraft
• Fortbildung durch BUSS und RAA e.V.
Kosten
• Materialkosten • Fortbildung
kostenneutral
Die hier aufgeführten Programme richten sich zum einen an alle Schülerinnen bzw. Schüler
einer Klasse, die zumeist durch spielerischen Unterricht einen gewaltfreien Umgang mit
Konflikten erlernen, und zum anderen an die gesamte Schule, die Streitschlichtung als eine
Institution einrichten will.
Jamie Walker stellt heraus, was es zum gewaltfreien Umgang bedarf und wie die
Schülerinnen bzw. Schüler zu einer positiven Veränderung ihres Handelns bewegt werden
können.
Ziel der angestrebten gewaltfreien Konfliktaustragung ist eine Lösung, bei der beide
Konfliktparteien gewinnen. Dabei sollen die Schülerinnen und Schüler motiviert werden,
selbstständige Entscheidungen zu treffen, um letztendlich ihre Konflikte allein und gewaltfrei
auszutragen. Als unverzichtbar betrachtet Walker folgende Voraussetzungen:
1.
Achtung vor sich selbst und anderen;
2.
Bereitschaft zum Zuhören und zum Verständnis;
3.
Einfühlungsvermögen;
4.
Selbstbehauptung;
5.
Zusammenarbeit in der Gruppe;
6.
Aufgeschlossenheit und kritisches Denken;
7.
Fantasie, Kreativität und Spaß.
Walkers Buch bietet eine Fülle von spielerischen Möglichkeiten, jedoch kein geschlossenes
Programm.
Das Streitschlichterprogramm von Karin Jefferys-Duden bietet Grundschullehrkräften eine
Anleitung für eine Mediatorenausbildung für Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen
3 bis 6. Mediation (lat. Vermittlung) meint dabei ein Verfahren zur konstruktiven Regelung
eines Konflikts, bei dem die Konfliktparteien mit Unterstützung eines Dritten (Mediator)
einvernehmliche Vereinbarungen suchen, die ihren Bedürfnissen und Interessen dienen.
Mithilfe der anspruchsvollen Inhalte und Übungen des Programms dürfte es problemlos
möglich sein, die Schülerinnen und Schüler in Schlichtungsfähigkeiten und -ablauf
einzuweisen. Das Programm beschreibt, wie die einzelnen Schritte mit gezielten Übungen
vertieft werden können und wie Schlichtung an einer Schule institutionalisiert werden kann.
Das Buch gliedert sich in verschiedene Unterrichtseinheiten mit vielen Arbeitsblättern und
Beobachtungsbögen.
45
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Die verschiedenen Unterrichtseinheiten sind:
1. Einführung in die Schlichtung,
2. Konfliktlösungen,
3. Schlichterkenntnisse und -fähigkeiten,
4. Gefühle erkennen, benennen, vergleichen,
5. Schlichtungsablauf,
6. Erfolgskontrolle.
Es ist sinnvoll, das Streitschlichterprogramm von Karin Jefferys-Duden nicht nur in einer
Klasse, sondern in der gesamten Schule nachhaltig einzuführen.
Material
Unterstützung
und Beratung • Walker, J. (1995): Gewaltfreier Umgang mit Konflikten in der Grundschule. Grundlagen und didaktisches Konzept. Spiele und Übungen für die Klassen 1‐4. Frankfurt/Main: Cornelson Scriptor
• Jefferys‐Duden, K. (1999): Das Streitschlichterprogramm. Mediatorenausbildung für Schülerinnen und Schüler der Klassen 3‐6. Weinheim, Basel: Beltz‐Verlag
• Regionale Fortbildung Brandenburg: Beraterinnen und Berater für soziales Lernen und Demokratie bzw. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der RAA e.V.
• Regionale Fortbildung Berlin: Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für Demokratie bieten für Berliner Lehrkräfte eine Konfliktlotsenausbildung an.
• Das LISUM bietet in Kooperation mit der RAA für brandenburgische Pädagoinnen und Pädagogen einen Jahreskurs zur Schulmediation an. Eine Ausbildung für Schülerinen und Schüler wird durch die RAA und weitere Anbieter geboten. • Anbieter kann das LISUM und die regionale Fortbildung vermitteln.
46
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Programme für Grundschulen und Schulen der
Sekundarstufe I
PAGS – Unterrichtsmaterialien zur Prävention von Aggression und Gewalt an
Schulen
Jahrgang (Jhg.)
•
•
•
•
•
1. bis 2. Jhg
3. bis 4. Jhg
5. bis 6. Jhg
7. bis 8. Jhg
9. bis 10. Jhg
Material
Einsatz
• Lernprogramm
zur Gewaltprävention
• und zum
sozialen Lernen
• fünf Themenkomplexe
•
•
•
•
Unterricht
Extra-Stunde
durch Lehrkraft
Fortbildung
durch BUSS,
LISUM und RAA
e.V.
Kosten
• Materialkosten
• Fortbildung
kostenneutral
• Fortbildung
durch die
Autorinnen mit
Kosten
verbunden
Das Material ist eingebettet in ein umfassendes Konzept zur Gewaltprävention an Schulen.
Es wurde im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten
Projekts von September 2000 bis Februar 2002 an ausgewählten brandenburgischen
Schulen von Prof. Dr. Rita Marx und Susanne Saliger, Fachhochschule Potsdam, erprobt,
implementiert und evaluiert.
Der Einstieg in das Programm beginnt mit einem Fragebogen, mit dem das Problembewusstsein in der Schule eingeschätzt werden kann.
Die Materialien bieten theoretische Informationen zu Erscheinungsformen von Gewalt. Die
Bedeutung des sozialen Lernens wird beschrieben und in einem Elternbrief den Erziehungsberechtigten nahegebracht.
Ziel der curricularen Arbeit ist es, Lernprozesse anzuleiten und anzuregen, die zur Prävention von Aggression und Gewalt beitragen. Die Schülerinnen und Schüler sollen – im Sinne
einer primären Prävention – mit neuen/alternativen, gewaltfreien Verhaltensweisen vertraut
gemacht werden, prosoziale Kompetenzen erwerben sowie Fähigkeiten und Fertigkeiten, die
zu einem Umgang mit Aggression und potenzieller Gewalt im Sinne von konstruktiver, nicht
gewaltförmiger Konfliktlösung beitragen, einüben.
Das Unterrichtsmaterial umfasst die fünf Themenkomplexe:
•
•
•
•
•
Wahrnehmung von und Umgang mit eigenen und fremden Gefühlen,
Förderung kommunikativer Fähigkeiten und Fertigkeiten,
Förderung der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme,
Neugier auf das Fremde,
Wahrnehmen von und Umgang mit Konflikten.
Die Materialien bieten Lehrkräften, Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern –
thematisch in fünf Themenkomplexen zusammengefasst – curriculare Module mit
47
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Interaktionsübungen, die in der gewaltpräventiven Arbeit mit Schülerinnen und Schülern
eingesetzt werden können.
Jeder Themenbereich umfasst Übungen, die altersspezifisch Doppeljahrgangsstufen zugeordnet sind. Das Programm zeigt Möglichkeiten für alle Jahrgangsstufen auf. Jeder inhaltliche Themenbereich ist strukturiert durch eine einleitende pädagogische Bemerkung und die
didaktische Beschreibung der Übungen. Entsprechende Übungsmaterialien für die Kinder
bzw. Jugendlichen folgen als Kopiervorlagen.
Der Ansatz verfolgt das Training von Fertigkeiten und bietet curriculare Module zur Selbsterfahrung, zum Perspektivenwechsel und Umgang mit Andersartigkeit.
Die Materialien enthalten kopierfähige Arbeitsblätter, (Rollen-)Spiele und Interaktionsübungen sowie Materialien für die Eltern.
Material
• Marx, R.; Saliger, S. (Hrsg.): PAGS. Unterrichtsmaterialien zur Prävention von Aggression und Gewalt an Schulen(2004), 2. Auflage, Vertrieb: Institut für Fortbildung, Forschung und Entwicklung e.V. (IFFE) an der Fachhochschule Potsdam
• Das Material ist über das LISUM oder die Fachhochschule zu beziehen.
• Regionale Fortbildung Brandenburg: Beraterinnen und Berater für soziales Lernen und Demokratie bzw. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der RAA e.V.
• Regionale Fortbildung Berlin: Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für Demokratie
Unterstützung
und Beratung 48
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Lions-Quest International Programm „Erwachsen werden –
Persönlichkeitsentfaltung von Jugendlichen
Jahrgang
• 5. bis
• 10. Jahrgang
Material
Einsatz
• Lernprogramm
zur Gewalt- und
Gesundheitsprävention und
zum sozialen
Lernen
• Extra-Stunde
• durch Lehrkraft
• Fortbildung
durch LionsQuest
Kosten
• Für die jeweilige
Schule
entstehen
Fortbildungskosten. Das
Material wird
dann kostenlos
an die Schule
übergeben.
Die Förderung sozialer Kompetenzen junger Menschen in der Schule steht im Mittelpunkt
von „Erwachsen werden“. Das Programm will die Schülerinnen und Schüler dabei unterstützen,
•
ihr Selbstvertrauen und ihre kommunikative Kompetenz zu stärken,
•
Kontakte und Beziehungen aufzubauen und zu pflegen,
•
Konflikt- und Risikosituationen in ihrem Alltag zu begegnen,
•
für Probleme, die gerade die Pubertät gehäuft mit sich bringt, konstruktive Lösungen
zu finden,
•
kritisches Denken und den Mut zu entwickeln, die eigene Meinung offen zu vertreten,
•
sich für sich selbst und andere zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen,
und so das Bewusstsein zu erhalten, etwas bewirken zu können und daraus
Bestätigung zu erhalten,
•
die eigene Entschlusskraft und Entscheidungsfreudigkeit bis hin zum Nein-Sagen
zum Mitmachen bei Gefährdungen zu stärken,
•
das Verhältnis der Jugendlichen zu ihren Eltern spürbar zu verbessern,
•
die Schulleistungen erkennbar zu verbessern und den Spaß am Lernen wieder zu
finden.
Gleichzeitig möchte es ihnen beim Aufbau eines eigenen Wertesystems Orientierung
anbieten. Damit ordnet sich das Konzept in den Ansatz der Life-Skills-Erziehung
(„Lebenskompetenz-Erziehung“) ein, dem von der aktuellen Forschung die größten Erfolgsaussichten bei der Prävention (selbst-)zerstörerischer Verhaltensweisen zugesprochen
werden. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen: Die Vermittlung von Lebenskompetenzen („Life Skills") ist gleichzeitig die wirksamste Vorbeugung gegen Suchtgefährdung
und reduziert die Gewaltbereitschaft.
49
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Bei diesem Programm stehen als Manual 73 Unterrichtsthemen durch Lions-Quest geschulte
Lehrkräfte zur Verfügung. Ziel ist es, in einem Zeitraum von zwei Jahren Fähigkeiten und
Fertigkeiten von 10- bis 15-Jährigen zu entwickeln. Die Unterrichtseinheiten sind dabei den
folgenden sieben Themenbausteinen28 zugeordnet:
•
•
Erwachsen werden – Life-Skill-Programm für Schülerinnen und Schüler der
Sekundarstufe I.
Ich werde Teenager: die bevorstehende Herausforderung.
Stärkung des Selbstvertrauens.
•
Mit Gefühlen umgehen.
•
Die Beziehungen zu meinen Freunden.
•
Mein Zuhause.
•
Es gibt Versuchungen: Entscheide dich.
•
Ich weiß, was ich will.
•
Sammlung von Energizern.
•
„Jahre der Überraschung“ - Anregungen zur Durchführung unterstützender
Elternarbeit.
Ein weiterer Schwerpunkt des Programms ist die aktive Mitarbeit der Eltern, die über Briefe
und ein Begleitheft mit einbezogen werden. Eine Erprobungsstudie von Hurrelmann ergab
bereits 1996 eine hohe Akzeptanz des Programms bei Lehrkräften, Schülerinnen bzw.
Schülern und Eltern.
Material
Unterstützung
und Beratung
28
• Diese Materialien sind nur im Zusammenhang mit einer durch Lions‐Quest organisierte Lehrkräftefortbildung zu beziehen. Sie sind nicht im Buchahndel erhältlich. Das Material umfasst ein Lehrerhandbuch mit einer CD‐ROM, einen Schülerordner, das Elternheft und Elternbriefe.
• Die Fortbildung wird durch Lions‐Quest‐Trainerinnen durchgeführt. Interessierte Schulen im Land Brandenburg können eine Unterstützung durch Herrn Günther Hennig erhalten. E‐Mail: as‐[email protected] Alle Bausteine sind ausführlich auf der Internetseite von Lions-Quest beschrieben.(http://www.lions-quest.de)
50
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Programm für Schulen der Sekundarstufe I
Kompetenztraining “FIT FOR LIFE”
Jahrgang (Jhg.)
• 7. bis 10. Jhg
Material
Einsatz
• Lernprogramm zur Gewalt‐ und Gesundheits‐
prävention und zum sozialen Lernen
• Extra‐Stunde
durch Lehrkraft
• Fortbildung durch die regionalen Unterstützungs‐
systeme
• Sozialpädagogin‐
nen und
‐pädagogen
Kosten
• Materialkosten
• Fortbildung ist kosteneutral
Dieses Programm beugt bei Jugendlichen ab dem Alter von dreizehn bis vierzehn Jahren
durch die Stärkung ihrer sozialen Kompetenz Aggression, Gewalt und soziale Unsicherheit
vor. Das Training thematisiert soziale Wahrnehmung, Kommunikation, Kooperation, Lebensplanung, berufliche Schlüsselqualifikationen, Umgang mit Gefühlen, Einfühlung, gewaltfreie
Konfliktlösung, Umgang mit Lob und Kritik. Das geschieht mit Methoden wie strukturierten
Rollenspielen, Verhaltensübungen, Einübung sozialer Regeln, Konzentrationsübungen und
Trainingsritualen.
Das Konzept beruht auf der Erkenntnis, dass aggressive Kinder und Jugendliche erhebliche
Probleme mit der Wahrnehmung und Verarbeitung sozialer Informationen haben. Während
des Trainings nehmen die Kinder und Jugendlichen regelmäßig an Rollenspielen und
Verhaltensübungen teil, in denen sie mithilfe von sozialen Regeln, Entspannung und
Trainingsritualen ihre Wahrnehmung, den Umgang mit Gefühlen, ihre Kommunikation,
Kooperation und Empathie verbessern.
Module des Trainings:
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Selbstmotivation zu dem Training
Gesundheit
Selbstsicherheit
Körpersprache
Kommunikation
Fit für Konflikte Teil I
Freizeit.
Lebensplanung
Beruf und Zukunft
Gefühle
Einfühlungsvermögen
Fit für Konflikte Teil II
Lob und Kritik.
Jedes Modul ist auf einen Fähigkeits- bzw. Kompetenzbereich bezogen und folgendermaßen aufgebaut:
•
•
•
Titelblatt mit Cartoon
Begriffsklärung
Feinziele
51
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
•
drei Trainingsvorschläge, jeweils mit
o Zielangabe
o Angabe des benötigten Materials
o Übungsanweisungen
o Auswertungsanleitung
o Arbeitsbogen mit Cartoons
Alle Trainingsstunden haben eine feste transparente Struktur. Dies ist für die Jugendlichen hilfreich und förderlich, da sie dadurch die Aufgaben Schritt für Schritt lösen
können. Durch das Einhalten des strukturierten Sitzungsablaufs wird den Jugendlichen
eine Struktur vermittelt, die Verhaltenssicherheit fördert und zum Aufbau von Vertrauen zu
der Trainerin bzw. zum Trainer beiträgt. Gleichbleibende Handlungsabläufe sorgen für
Überschaubarkeit und Nachvollziehbarkeit. Die Trainingsrituale sind in Anlehnung an das
Selbstwirksamkeitskonzept von Bandura gestaltet.
Sitzungsaufbau des FIT FOR LIFE‐Trainings
Stimmungslage
Besprechung von Regeln
Entspannung
Bearbeitung eines Moduls
Auswertung und Transfer
Abschlussrunde
• Jugert; Gert u.a.: FIT FOR LIFE. Module und Arbeitsblätter zum Training sozialer Kompetenzen für Jugendliche. Juventa. Weinheim 2001
Material
Unterstützung
und Beratung
• Regionale Fortbildung Brandenburg: Beraterinnen und Berater für soziales Lernen und Demokratie bzw. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der RAA e.V.
• Regionale Fortbildung Berlin: Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für Demokratie
52
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Gewaltprävention durch Demokratiepädagogik
Demokratiepädagogische Ansätze befördern die Gewaltprävention: „Es gibt einen grundlegenden und empirisch nachgewiesenen Zusammenhang zwischen Demokratieerfahrung und Gewaltverzicht: Wenn Kinder und Jugendliche die Erfahrung machen, dass in
Schule und Erziehung Mitwirkung, demokratisches Handeln und Verantwortungsübernahme erwünscht sind und als wichtig anerkannt werden, sind sie für Gewalt und
Rechtsextremismus weniger anfällig als Jugendliche, denen diese Erfahrung versagt
bleibt. Die Schule verfügt hier also über eigene, grundlegende und nachhaltig wirksame
Mittel und Möglichkeiten.“29
Dieser Zusammenhang fand bisher in der Auseinandersetzung um Gewalt in den Schulen
noch wenig Beachtung. Demokratie als Gesellschafts- und Herrschaftsform ist zwar
Gegenstand des Unterrichts, gemeint ist aber die Demokratie als Lebensform in der Schule.
Besonders erfolgreich ist, wenn alle Beteiligten einer schulischen Organisation, d. h.
Schulleitung, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler und Eltern, in partizipativen Aushandlungsprozessen die entsprechende demokratiepädagogischen Entwicklungsvorhaben
nach einem Mehrebenenkonzept30 im schulischen Alltag und im Schulprogramm verankern:
•
individuelle Ebene,
•
Klassenebene,
•
Schulebene.
Auf der individuellen Ebene können die Schülerinnen und Schüler ihre Lernentwicklung
so gestalten, dass ihre demokratiepädagogischen Kompetenzen entwickelt werden. Sie
lernen sich und die anderen wahrnehmen, üben wertschätzende Kommunikation und
konstruktive Konfliktlösungsstrategien ein. Sie übernehmen für sich und andere Verantwortung, steuern selbstwirksam ihren Lernprozess und werden altersadäquat in der
Gemeinschaft tätig.
Auf der Klassenebene werden Lernstrategien entwickelt, die das Miteinander kommunikativ wertschätzend und in einer konstruktiven Konfliktkultur und mit Methoden des
kooperativen Lernens gestalten. Zunehmend steuern sie in Eigenverantwortung die
sozialen Belange der Klasse bzw. der Schule und wirken mit zivilgesellschaftlichem
Engagement aktiv in der Gemeinde bzw. dem Kiez mit.
Auf der Schulebene sind die Schülerinnen und Schüler tätig, um diese Strategien
zwischen den Akteuren von Schule auszuhandeln, und tragen dazu bei, dass mehr
Demokratie in der Schule im Schulprogramm verankert wird und Aktivitäten ihrer Schule
in der Demokratie stärker in den Mittelpunkt von schulischen Aktivitäten gerückt werden.
Dies kann bedeuten, dass die Schülerinnen und Schüler sich aktiv in die Unterrichtsgestaltung einbringen sowie dazu beitragen, dass die Schulorganisation sich verändert
und Projekte etabliert werden. Es kann aber auch bedeuten, dass die Schülerinnen und
Schüler sich engagiert in die Umgebung außerhalb der Schule in Sinne von Service
Learning31 einbringen.
29
30
31
Wolfgang Edelstein / Peter Fauser: Demokratie lernen und leben. Bund Länder-Kommission für Bildungsplanung und
Forschungsförderung. Materialien zur Bildungsplanung und Forschungsförderung. 96/2001, S. 20
PITBrandenburg: Schulische Prävention im Team. LISUM, 2008, Ludwigsfelde
Service Learning s. im Internet unter: http://www.servicelearning.de/.
53
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Die Implementierung als Mehrebenenkonzept soll durch zwei Beispiele transparent gemacht werden:
demokratische Partizipation
bei der Schulkultur
Demokratiepädagogische Handlungskompetenzen werden mit nachfolgenden Lernarrangements aufgebaut und wirken gewaltpräventiv:
individuelle Ebene
Klassenebene
Schulebene/Öffnung
Pate, Mentor, Buddy
Lernen durch
Engagement
Aktivitäten in der
Gemeinde, im Kiez
Verantwortungsübernahme
Klassenrat
Schulgemeinde
Planungskompetenz
Projektaktivitäten
Mediation/
Streitschlichtung
Allparteilichkeit
Olweus-Programm
Schulhof gestalten
Audit
Zertifizierung
demokratische
Partizipation bei der Lernkultur
Kompetenztraining durch Programme
zum sozialen Lernen
schuleigenes Curriculum
zum sozialen Lernen
demokratisches Sprechen
Deliberation, Debating
Debatingforum
Feedback
Klassenfeedback
systemisches
Schulfeedback
Selbstachtung
wertschätzendes
Miteinander
Anerkennungskultur
gewaltfreie
Kommunikation
gewaltarme
Anerkennungskultur
Ich-Identität entwickeln
Kinderrechte
Schulkommunikation
persönliche Regeln/Lernvertrag
Klassenregeln
Schulparlament
Vorurteilsbewusstes Lernen durch den
Anti-Bias-Ansatz32
konstruktive
Konfliktklärung
Schulregeln aushandeln
kooperatives Lernen
Projektlernen
Service Learning
Partizipation bei den
Lerninhalten
schulinternes Curriculum
Diese Lernarrangements werden in diesem Zusammenhang nicht detailliert beschrieben,
da es umfassende Literatur und Möglichkeiten zur Information im Internet und auf dem
Berlin-Brandenburger Bildungsserver gibt.
32
Anti Bias bedeutet im positiven Sinne, diskriminierendes Verhalten zu verlernen und seinen Mitmenschen offen und
positiv gegenübertreten zu können. Z.Z. wird dieser pädagogische Ansatz als sehr erfolgversprechend für die
antidiskriminierende Arbeit gewertet.
54
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Hilfe, Unterstützung und Beratung
Ansprechpartnerinnen und partner/regionale Fortbildung Im
Im Land Brandenburg
Land
Berlin
Wilmersdorf
Axel Becker, Comenius-Schule, Wilmersdorf
E-Mail: [email protected]
Schulamt Brandenburg a. d. H.
Gabriele Pochert, Nicolaischule,
Brandenburg a. d. H.
Pankow
Reinhard Grosspietsch, Kurt-Tucholsky
Oberschule, Pankow
E-Mail: [email protected]
Christiane Czeyka, Oberschule Nord,
Brandenburg a. d. H.
Sybille Leimbach, Bertolt-BrechtGymnasium, Brandenburg a. d. H.
alle zu erreichen unter
E-Mail: [email protected]
Spandau
Luzie Haller, Birken-Grundschule,
Spandau
E-Mail: [email protected]
Petra Reimann, Oberschule Brandenburg
Nord, Tel: 03381-302234
Tempelhof/Schöneberg
Birthe Rasmussen-Möhring, Paul-SimmelGrundschule, Tempelhof
E-Mail: [email protected]
Schulamt Cottbus
Karin Pützschler, Umweltschule
Dissenchen, Cottbus
E-Mail: [email protected]
Friedrichshain/Kreuzberg
Hannah Wennekers, ReinhardswaldGrundschule, Kreuzberg
E-Mail: [email protected]
Edeltraut Lessing, Oberschule Ehm Welk,
Lübbenau/Spreewald
E-Mail: [email protected]
Schulamt Wünsdorf
N.N.
Reinickendorf
Annette Weweler, Richard-Keller-Schule,
Reinickendorf
E-Mail: [email protected]
Schulamt Perleberg
Anette Kwade, Marie-Curie-Gymnasium,
Wittenberge
E-Mail: [email protected]
Mitte
Ute Winterberg, Anna-Lindh-Grundschule,
Mitte
E-Mail: [email protected]
Schulamt Eberswalde
Chris Zanzig, Barnim-Gymnasium-Bernau,
Bernau bei Berlin
E-Mail: [email protected]
Margot Wichniarz
Landeskommission Berlin gegen Gewalt
E-Mail: [email protected]
Sonja Werdermann, Goethe-OberschuleEberswalde, Eberswalde
E-Mail: [email protected]
Steglitz
Carla Ulbrich,Bröndby-Oberschule, Steglitz
E-Mail: [email protected]
Schulamt Frankfurt(O)
Dieter Karau, Carl-Bechstein-Gymnasium,
Erkner, E-Mail: [email protected]
Fröhlich, Martina, Oberschule Letschin,
Letschin , E-Mail: [email protected]
55
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Schulpsychologische Beratungszentren
sind in Berlin nach Bezirken und in Brandenburg nach staatlichen Schulämtern geordnet.
Anschriften, Telefonnummern und E-Mailadressen sind auf den entsprechenden
Internetseiten zu finden.
Berlin
Team Gewaltprävention und
Krisenintervention im Schulpsychologischen
Dienst
http://www.berlin.de/sen/bildung/hilfe_und
_praevention/schulpsychologie/
Brandenburg
Schulpsychologischer Dienst
http://www.schulaemter.brandenburg.de
Externe Beratung für die Bildungsregion Berlin-Brandenburg
bieten an:
Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM),
14974 Ludwigsfelde-Struveshof, http://www.lisum.berlin-brandenburg.de
Tel.: 03378 209-417; Fax. 03378 209 444
Michael Rump-Räuber
E-Mail: [email protected]
Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung
Arbeitsgebiet Gewaltprävention
Frau Ria Uhle, Stellenzeichen III G 2
Telefon: 030 9026 6320; Fax: 030 9026 5012
E-Mail: [email protected]
Beuthstr. 6-8, 10117 Berlin
Landeskommission Berlin gegen Gewalt
Manuela Bohlemann
Geschäftsstelle der Landeskommission Berlin gegen Gewalt
Klosterstr. 47, 10179 Berlin
Tel.: 030 9027 2913; Fax: 030 9027 2921
[email protected]
Berlin-Brandenburger Landesbüro der Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik
(DeGeDe)
Ulrike Kahn
E-Mail: [email protected] oder [email protected]
www.degede.de
RAA Brandenburg; Demokratie und Integration Brandenburg e.V.
Benzstraße 11/12; 14482 Potsdam
Tel.: 0331 747 80 11
E-Mail: [email protected]
www.raa-brandenburg.de
56
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Weiterführende Materialien
In der Berlin-Brandenburger Antimobbing-Fibel werden eine umfassende Literatur- und
Medienliste sowie eine Internetrecherche aufgeführt. Aus diesem Grunde sind die nachfolgenden Hinweise als Ergänzung zu betrachten.
Auf der Seite des Bildungsserver von Berlin-Brandenburg sind Literaturhinweise, Links
und Materialien zu finden:
• „Erst Nachdenken, dann Handeln“ – Wahrnehmen, Erklären und Handeln zu
Aggression und Gewalt als Strategie für eine tolerante und weltoffene Schule,
(Hrsg.) Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg. 2.,überarbeitete
Auflage, Ludwigsfelde Januar 2009
http://www.bildungsserver.berlin-brandenburg.de/gewalt.html
• Berlin-Brandenburger Anti-Mobbing-Fibel
August 2008; 4.,überarbeitete Auflage der Berliner Anti-Mobbing-Fibel,
http://www. bildungsserver.berlin-brandenburg.de/anti-mobbing-fibel.html
• PIT Brandenburg – Prävention im Team
Ludwigsfelde 2007
http://www.bildungsserver.berlin-brandenburg.de/pit-brandenburg.html
• Ein Handbuch für Beraterinnen und Berater für Demokratiepädagogik
„Demokratie erfahrbar machen – demokratiepädagogische Beratung in der Schule“.
Ludwigsfelde 2007
http://www.bildungsserver.berlin-brandenburg.de /demokratiepaedagogik.html
Verwendete Literatur
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Gesundheitsförderung durch
Lebenskompetenzprogamme in Deutschland. Köln 2005
Edelstein, Wolfgang; Fauser, Peter: Demokratie lernen und leben. Bund LänderKommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung. Materialien zur
Bildungsplanung und Forschungsförderung. 96/2001, S. 20 Eutin 1993;
Hanewinkel, R.; Knaack, R.: Mobbing: Gewaltprävention in Schulen in Schleswig-Holstein.
Kiel 1997
Ferstl, R.; Niebel, G. Hanewinkel, R.: Gutachterliche Stellungnahme zur Verbreitung von
Gewalt und Aggression an Schulen in Schleswig-Holstein. Kiel 1997
Gall, Reiner: Ziele und Methoden des Coolness-Trainings (CT) für Schulen.
In: Kilb, Rainer; Weidner, Jens; Gall, Reiner: Konfrontative Pädagogik in der Schule:
Anti-Aggressivitäts- und Coolnesstraining. Weinheim, München 2006, S. 93-106
Grüner, Michael: Gewalt in der Schule: Arbeiten im Einzelfall und im System.
In: Wolfgang Vogt (Hrsg.): Gewalt und Konfliktbearbeitung: Befunde – Konzepte –
Handeln. Baden-Baden 1997, S. 180
57
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Gugel, Günther: Handbuch Gewaltprävention in der Grundschule; Grundlagen –
Lernfelder – Handlungsmöglichkeiten; Bausteine für die praktische Arbeit.
Tübingen 2007
http://www.schulische-gewaltpraevention.de
Holtappels, Hans-Günther, Tillmann, Klaus-Jürgen: Hausgemachte Gewaltrisiken – und
was in der Schule dagegen getan werden kann. In Pädagogik, 51. Jahrgang, Heft 1/ 1999,
S. 8ff.
Klein, Elke: Neue Wege entstehen beim Gehen – ein schulinternes Curriculum zum
sozialen Lernen. Aus: GanzGut 3, Serviceagentur Ganztag, kobra.net 09.07,
Potsdam 2007
Limmer, Christa; Becker, Dieter; Riebl, Andreas: 88 Impulse zur Gewaltprävention.
Landesinstitut Schleswig-Holstein für Praxis und Theorie (ITPS), Kiel 1997
Olweus, Dan: Gewalt in der Schule. Was Lehrer und Eltern wissen sollten – und tun
können. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle 1996
Omer, Haim / Schlippe, Arist von: Autorität durch Beziehung. Die Praxis des gewaltlosen
Widerstands in der Erziehung. Göttingen 2004, S. 175
Preuss-Lausitz, Ulf: Mehr Gewalt in die Schule!? In: Pädagogik, 51. Jahrgang, Heft
1/1999, S. 25ff.
Schrul, Barbara; Euhus, Brigitta: Hintergründe und Auswirkungen häuslicher Gewalt –
ein Curriculum für die Familienbildung – Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und
Jugendforschung an der Universität Potsdam in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk
Brandenburgischer Frauenhäuser e.V.
http://www.ifk-vehlefanz.de/sites/curriculum-site/index.htm
Tillmann, Klaus-Jürgen u.a.: Schülergewalt als Schulproblem: Weinheim und München
1999, S. 75ff; Arbeitsgruppe Schulevaluation(s. Anmerkung 1), S. 51ff:
Wennekers, Hannah Sibylle: TuT – Trenner und Tröster - Schulanfänger lotsen durch
Konflikte; Gewaltprävention im Miteinander, Verstehen und Handeln X. Senatsverwaltung
für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Berlin 2007; S. 13 ff.
Trainingsprogramme zum sozialen Lernen (Auswahl)
Asshauer, Martin.; Burow, Fritz.; Hanewinkel, Rainer: Fit und stark fürs Leben. 1. und
2. Schuljahr – Persönlichkeitsentwicklung und Prävention von Aggression, Rauchen und
Sucht. Klett Grundschulverlag. Leipzig 1998
Asshauer, Martin: Burow, Fritz: Hanewinkel, Rainer: Fit und stark fürs Leben. 3. und
4. Schuljahr – Persönlichkeitsentwicklung und Prävention von Aggression, Rauchen und
Sucht. Klett Grundschulverlag. Leipzig 1999
Böttger, Gudrun; Hein, Renate; Kügele, Helena; Reich, Angelika; Wichniarz, Margot u. a.:
Erziehen heißt bilden – Eine Handreichung für Erzieher/innen und Lehrer/innen.
Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg, 2. Aufl., Ludwigsfelde 2009
Cierpka, Manfred (Hrsg.): FAUSTLOS. Ein Curriculum zur Prävention von aggressivem
und gewaltbereitem Verhalten bei Kindern der Klassen 1 bis 3., Hogrefe, Göttingen 2001
58
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Jefferys-Duden, Karin: Das Streitschlichterprogramm. Mediatorenausbildung für Schülerinnen und Schüler der Klassen 3-6. Weinheim, Basel 1999
Jugert; Gert u. a.: FIT FOR LIFE. Module und Arbeitsblätter zum Training sozialer
Kompetenzen für Jugendliche. Juventa. Weinheim 2001
Marx, Rita; Saliger, Susanne (Hrsg.): PAGS. Unterrichtsmaterialien zur Prävention von
Aggression und Gewalt an Schulen. 4. Auflage, Vertrieb: Institut für Fortbildung,
Forschung und Entwicklung e.V. (IFFE) an der Fachhochschule Potsdam/Ludwigsfelde
2008
Petermann Franz.; Jugert, Gert; Tanzer, Uwe; Verbeek, Dorothea: Sozialtraining in der
Schule. Weinheim 1997
Petermann, Franz; Jugert, Gert; Tänzer, Uwe; Verbeek, Dorothea: Verhaltenstraining mit
Kindern. In: Holtappels, Hans-Günther, Heitmeyer, Wolfgang, Melzer, Wolfgang, Tillmann,
Klaus-Jürgen (Hrg.): Schulische Gewaltforschung. Stand und Perspektiven. Weinheim
1997, S. 315-329
Walker, Jamie: Gewaltfreier Umgang mit Konflikten in der Grundschule. Grundlagen und
didaktisches Konzept. Spiele und Übungen für die Klassen 1-4. Frankfurt/Main 1995
Literatur zur Jungenförderung (Auswahl zum Selbststudium)
Das Projekt „Neue Wege für Jungs“ wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend sowie aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördert und bietet
umfassende Zugänge: www.neue-wege-fuer-jungs.de
Biermann, Christine: Wie kommt Neues in die Schule? Individuelle und organisationale
Bedingungen nachhaltiger Schulentwicklung am Beispiel Geschlecht. Juventa Verlag,
Weinheim und München 2007
Bentheim, Alexander; Murphy-Witt, Monika: Was Jungen brauchen. Das Kleine-KerleCoaching. Gräfe & Unzer Verlag, München 2007
Pickering, Jon: Wie das Lernen Jungen erreicht. Ein Programm zur Integration und
Förderung. Verlag an der Ruhr, Mülheim an der Ruhr 2005
Bay, Christine; Sauer, Robert: Vom Warming-Up zum Cool-Down. Neue Methoden für
die Arbeit mit Jungengruppen. Juventa Verlag, Weinheim und München 2006
Koch-Priewe, Barbara: Schulprogramme zur Mädchen- und Jungenförderung.
Die geschlechterbewusste Schule. Beltz-Verlag, Weinheim und Basel 2002
Herwartz-Emden, Leonie u.a.: Interkulturelle und geschlechtergerechte Pädagogik für
Kinder im Alter von 6 bis 16 Jahren. Zum Download: www.landtag.nrw.de
Boldt, Uli: Buben unterstützen – Männer bringen sich in die Erziehung ein. Das Handbuch
für Eltern und LehrerInnen: Coole Mädchen – starke Jungs. Öbvhpt Verlag, Wien 2007
Preuschoff, Gisela / Preuschoff, Axel: Arme Jungs. Was Eltern, die Söhne haben, wissen
sollten. PapyRossa Verlag, Köln 2004
Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport (Hrg.): Konfliktbewältigung für Mädchen
und Jungen – Ein Beitrag zur Förderung sozialer Kompetenzen in der Grundschule, Bd. 1
und Bd. 2, Berlin 1998
59
Berlin-Brandenburger Anti-Gewalt-Fibel
Wichniarz, Margot: ”.... ene mene muh....” – Mädchen und Jungen entwickeln Selbst- und
Sozialkompetenz im gechlechtsdifferenzierten Unterricht, Hrsg. vom Berliner Landesinstitut für Schule und Medien. Berlin 2000
60
www.lisum.berlin-brandenburg.de
Wir sehen all das Schöne in dieser Welt. Wir greifen danach und versuchen es fest zu halten.
Wir sehen all das (weniger Schöne) Hässliche in dieser Welt. Wir stossen es von uns und
kämpfen dagegen an.
Wir leiden, wenn wir das Schöne nicht halten können.
Wir leiden, wenn uns das Hässliche in die Arme fällt.
Jedes Ding hat seine Zeit. Wenn diese Zeit vorüber ist, sollten wir es gehen lassen.
(Clemens Lukas Luderer)
Darstellung 2: Übersicht über mögliche Teilaufgaben und Projekte im Sinne eines medienpädagogischen
Konzepts für eine Grundschule und eine Sekundarstufe I
Auswählen und
Nutzen von
Medienangeboten
1/2
3/4
5/6
7/8
Erkennen und
Verstehen und
Aufarbeiten von
Bewerten von
Mediengestaltungen Medieneinflüssen
Durchschauen und
Beurteilen von
Bedingungen
Unterhaltung und
Information
Fotodokumentation
verschiedene
Darstellungsformen
Gefühle
Freizeitgestaltung
Lernen
Verkehrsprojekt
Druckerzeugnis mit
Hilfe des Computers
Märchenprojekt
versch. Gestaltungstechniken
Gruselprojekt
Vorstellungen
Singvögel
Unterhaltung und
Spielen
Computerspiele
Kartengestaltung
Druckerzeugnis
Werbeprojekt
verschiedene
Absichten
Schöne Reiseziele
Polizeiprojekt
Verhaltensorientierungen
Konfliktverhalten
Comics
rechtliche
Bedingungen
Video und
Jugendschutz
verschiedene
Gestaltungsarten
Wertorientierungen
Mediale Variationen
zu einem Thema
Medienethische
Reflexionen zu
Medieninhalten
personale und
institutionelle
Bedingungen
Nachrichten und
Magazine
Lernen und
Information
Internetrecherche
9 / 10
Eigenes Gestalten
und Verbreiten von
Medienbeiträgen
Telekommunikation
Frühlingsboten
Simulation
Computersimulation
Geschichten in Wort
und Bild
Hörmagazin
Klassenradio
Videobeitrag
Ein Marktag im
Mittelalter
ökonomische
Bedingungen
Computerbasierter
Beitrag
soziale Zusammenhänge
gesellschaftliche
Bedingungen
Hypertexte
Computergestützte
Fragebogenaktion
Telearbeit
Telekooperation
Vorbereitung einer
Klassenfahrt
Eine Schule, die ein entsprechendes Konzept entwickelt, sollte sich begleitend und zunehmend in einen lokalen Verbund mit anderen Schulen und Medieneinrichtungen einbringen, in
dem sich die verschiedenen Personen und Institutionen gegenseitig stützen und an Entwicklungen im Medienbereich ihrer Kommune beteiligt sind bzw. teilhaben.
Bisher war der Blick bei der Frage nach der Verankerung medienpädagogischer Aufgaben
vorwiegend auf die Entwicklungen innerhalb der einzelnen Schule und die Einbettung ihrer
Aktivitäten in ein lokales Umfeld gerichtet. Sollen alle Schulen zu entsprechenden Aktivitäten
angeregt werden, müsste sich die jeweilige Landesregierung entschließen, ein gemeinsames
curriculares Rahmenkonzept zu formulieren und Anreize für seine Umsetzung in den
Schulen zu schaffen. Dabei wäre es wichtig ein angemessenes Verhältnis von konzeptioneller Entwicklung in den Schulen in dem vorgegebenen Rahmen, von Personal- und Organisationsentwicklung einschließlich geeigneter Qualifizierungsmaßnahmen sowie von Ausstattungsaktivitäten anzustreben.
Bei entsprechenden Initiativen und Unterstützungen könnten die Schulen einen wesentlichen
Beitrag zur Medienkompetenz ihrer Schülerinnen und Schüler sowie zur Medienkultur im
lokalen Zusammenhang sowie in der Gesellschaft insgesamt leisten.
- 13 -
Zitierte Literatur:
Baacke, D. (1992): Handlungsorientierte Medienpädagogik. In: Schill, W./ Tulodziecki, G./
Wagner, W.-R. (Hrsg.): Medienpädagogisches Handeln in der Schule. Opladen: Leske +
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BLK - Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (1995):
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FWU- Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (Hrsg.)(1999): Die Alpen. CDRom und Handbuch. Grünwald: FWU
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Keilhacker, M./ Keilhacker ,M.. (1995): Kind und Film. Stuttgart: Klett
Kerstiens, L. (1971): Medienkunde in der Schule. Lernziele und Vorschläge für den
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Preiser, D./ Seibold, W. (1989): Erfahrungen mit Massenmedien. Katalog schulischer
Medienproduktionen. Stuttgart: Landesinstitut für Erziehung und Unterricht
Spanhel, D. (1999 a): Integrative Medienerziehung in der Hauptschule.
Entwicklungsprojekt auf der Grundlage responsiver Evaluation. München: KoPäd
Ein
Spanhel, D. (1999 b): Multimedia im Schulalltag – was müssen Lehrerinnen und Lehrer
wissen, um Multimedia einsetzen zu können ? In: Meister, D. M./ Sander, U. (Hrsg.):
Multimedia: Chancen für die Schule. Neuwied: Luchterhand, S. 54 - 76
Spanhel, D./ Kleber, H. (1996): Integrative Medienerziehung in der Hauptschule.
Pädagogische Welt, 50 (1996), S. 359 - 364
Tulodziecki, G. (1987): Unterricht mit Jugendlichen. Eine Didaktik für allgemein- und
berufsbildende Schulen. 1. Aufl., Bad Heilbrunn: Klinkhardt
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Tulodziecki, G. (1996): Unterricht mit Jugendlichen. Eine handlungsorientierte Didaktik mit
Unterrichtsbeispielen. 3. Aufl., Bad Heilbrunn: Klinkhardt
Tulodziecki, G. (1997): Medien in Erziehung und Bildung. Grundlagen und Beispiele einer
handlungs- und entwicklungsorientierten Medienpädagogik. 3. Aufl., Bad Heilbrunn:
Klinkhardt
Tulodziecki, G., u.a. (1995): Handlungsorientierte Medienpädagogik in Unterrichtsbeispielen.
Projekte und Unterrichtseinheiten für Grundschulen und weiterführende Schulen. Bad
Heilbrunn: Klinkhardt
Tulodziecki, G,/ Möller, D. u.a. (1998): Rahmen für die Medienerziehung in der
Sekundarstufe I. Ergebnisse des Modellversuchs „Differenzierte Medienerziehung als
Elemente allgemeiner Bildung“. Düsseldorf: Ministerium für Schule und Weiterbildung,
Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen
Wolgast, H. (1896): Das Elend unserer Jugendliteratur. Ein Beitrag zur künstlerischen
Erziehung der Jugend. Neuausgabe besorgt von E. Arndt-Wolgast und W. Flacke, Worms
1950
Autor:
Prof. Dr. Gerhard Tulodziecki lehrt Erziehungswissenschaft an der Universität-Gesamthochschule Paderborn mit den Schwerpunkten Allgemeine Didaktik und Medienpädagogik.
Anschrift:
Universität-GH Paderborn, Fachbereich 2, 33095 Paderborn
E-Mail: [email protected]
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