Kapitel 1: Die Welt der Raumsonden

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Kapitel 1: Die Welt der Raumsonden
Kapitel 1: Die Welt der Raumsonden
Sie sind DIE Produkte der Menschheit, die schon am weitesten in den Kosmos vorgedrungen sind.
Sie haben als erste Maschinen das Sonnensystem verlassen. Durch SIE haben wir erst die
Hauptcharakteristika der anderen Welten kennengelernt, die unseren Mutterstern umlaufen. Es sind
hochleistungsfähige Roboter, die teilweise autonom Prozesse im Vakuum oder auf anderen
Himmelskörpern durchführen, sich aber auch von der Erde fernsteuern lassen: Raumsonden.
Sie sind unbemannte Flugkörper und werden für Erkundungszwecke durch das Sonnensystem
geschickt, unterscheiden sich von Satelliten demnach insofern, dass sie eine Erdumlaufbahn
verlassen. Sie haben somit Geschwindigkeiten, die über der zweiten kosmischen Geschwindigkeit
liegen und teilweise sogar die dritte kosmische Geschwindigkeit erreichen, wenn das Sonnensystem
verlassen werden soll.
Der gute Zeitpunkt ist gekommen, einige Grundlagen erläutern, die für den Schwerpunkt dieser
Arbeit – der sogenannten Raumflugmechanik – vorausgesetzt werden. Danach folgt unser
Eintauchen in die faszinierende Welt der Raumsonden und interplanetaren Missionen!
Kosmische Geschwindigkeiten
Die erste kosmische Geschwindigkeit wird auch Kreisbahngeschwindigkeit genannt: Es ist die
Geschwindigkeit v1 eines Flugkörpers (Probemasse m), die er benötigt, um die Erde
(Hauptmasse M) in einer exakt kreisförmigen Umlaufbahn (Radius r zum Erdmittelpunkt) zu
umlaufen.
Bedingung: Zentripetalkraft = Gravitationskraft
mv12 G⋅m⋅M
=
r
r2
G⋅M
→ nach v1 auflösen: v 1=
r
→ Wie man sehen kann: v1 ist unabhängig von der Probemasse m.
Man stelle sich vor, dass man einen Stein waagerecht abwirft und zwar mit einer Geschwindigkeit,
sodass der Stein nicht mehr sinken kann und eine Umdrehung um die Erde macht (bis er wieder am
Absender auf gleicher Höhe ankommt).
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Durch Einsetzen von Werten: v 1= G⋅6⋅10 kg = 7,9 km/s
6378 km
7,9km/s schnell muss ein Körper also sein, damit er (theoretisch) auf einer Umlaufbahn um den
Erdäquator kreisen kann. Das geht aufgrund von Erhöhungen und dem Luftwiderstand natürlich
nicht in der Praxis. Bei einer typischen Höhe von 400km (also r= 6778km)muss ein Satellit eine
Kreisbahngeschwindigkeiten von ca. 7,7km/s haben.
Wenn sich die Geschwindigkeit des Körpers zwischen der Kreisgeschwindigkeit und der
Fluchtgeschwindigkeit befindet, wird die Bahn zunehmend elliptisch. Das hat Johannes Kepler
schon im 16. Jahrhundert durch Beobachtungen herausgefunden und in seinen Keplerschen
Gesetzen postuliert. Nur kurz zur Info:
√
√
Keplersche Gesetze
I „Die Planeten bewegen sich auf elliptischen Bahnen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht.“
II „Ein von der Sonne zum Planeten gezogener „Fahrstrahl“ überstreicht in gleichen Zeiten gleich
große Flächen.“
III„Die Quadrate der Umlaufzeiten zweier Planeten verhalten sich wie die dritten Potenzen
(Kuben) der großen Halbbahnachsen.“
...entnommen aus der glorreichen Wikipedia.
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Der Übergang zwischen Kreisbahn und „Fluchtparabel“ (siehe nächster Absatz) ist also die Ellipse.
Die Vis-Viva-Gleichung, auf welche ich in einem späteren Kapitel detaillierter zurückkomme (siehe
Kapitel: Raumflugmechanik, Hohmann-Transfer-Orbits), besagt, dass für die Probemasse gilt:
E kin− E pot =E ges=konstant zu jeder Zeit – die Energieerhaltung gilt also auch für Umlaufbahnen.
Wenn man E kin eines Körpers auf einer Kreisbahn erhöht, geht der überschüssige Betrag an
Energie in die Bewältigung einer größeren
Distanz und somit eines größeren Potenzials.
E pot wird also entlang der Bahn bis zum
Aphel (größte Entfernung zur Zentralmasse)
erhöht. So kann man sich die elliptische Bahn
erklären.
Im Perihel dagegen (kleinste Entfernung) ist
dementsprechend E kin maximal (Körper hat
hier die schnellste Geschwindigkeit) und
E pot minimal.
Anmerkung: E pot hat ein negatives
Vorzeichen, da das Erreichen einer höheren
Potenzials (größere Entfernung) ja Energie
kostet und keine liefert. Die Arbeit wird durch
das erhöhte E kin verrichtet.
Die zweite Kosmische Geschwindigkeit ist die
Fluchtgeschwindigkeit v2 eines Flugkörpers,
die benötigt wird, um die Erde in einer
parabelförmigen Bahn (– was eine
Idealvorstellung ist, da es der Grenzwert
zwischen Ellipse und Hyperbel ist; der
geringste Geschwindigkeitsunterschied macht es entweder zur Hyperbel oder zur Ellipse –) zu
verlassen. E gesamt am Ende ist 0 in dem Fall, d.h. in „unendlicher Distanz“, wo das
Gravitationsfeld nicht wirkt, ist E kin=0 : Die Sonde bleibt stehen und hat keine
Restgeschwindigkeit (nach Verlassen des Gravitationsfeldes).
Konkret bedeutet das: Anfangs muss so viel E kin vorhanden sein, dass sie der Differenz zwischen
E pot , Ende und E pot , Anfang entspricht, was das
Integral von der Gravitationskraft zwischen den Grenzen rAnfang und ∞
∞
E kin =
dr =
∫ G m⋅M
2
r
r
1 1
G⋅m⋅M 1
2
G⋅m⋅M⋅[ − ∞ ] =
= m⋅v 2
r
r
2
durch Auflösen ergibt sich: v2 =
√ 2⋅v 1 = 11,17 km/s
Somit braucht man ca. die 1,41fache Kreisbahngeschwindigkeit, um aus einem bestimmten
Kreisbahnorbit zu entkommen.
Wenn die zugefügte E kin größer als das benötigte Δ E pot ist, sodass am Ende (in der
Unendlichkeit) noch ein gewisser Restbetrag an kinetischer Energie vorhanden ist, also E ges>0 ,
dann bewegt sich die Sonde hyperbolisch von der Zentralmasse weg.
Da die meisten Missionen Ziele im Sonnensystem ansteuern, bewegen sich diese Sonden zwischen
der zweiten und dritten kosmischen Geschwindigkeit. Allerdings gibt es tatsächlich auch Missionen
– sowohl in der Vergangenheit als auch aktuelle – bei denen die Sonden die dritte kosmische
Geschwindigkeit überschreiten und schließlich das Sonnensystem verlassen.
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Die bekanntesten – schon fast legendären – Beispiele sind Voyager 1 und 2 Missionen und die
Pioneer 10 und 11:
Künstlerische Darstellung von Voyager 1
während des Saturn Vorbeifluges im Novemter 1980.
– „Farthest human-made object“.
Die berühmte Goldene Schallplatte an Bord
der beiden Voyager Missionen.
Enthält Sounds und Bilder der Erde.
Empfänger: Aliens!
Künstlerische Darstellung von
Pioneer 10 vor Jupiter. – Die erste
Mission, die den Gasriesen erreicht.
Nicht weniger berühmt: „The golden plaque“
auf den Pioneer-Missionen.
Eingraviert ist die Position der Erde in der
Galaxis – und nackte Menschen.
Position der vier weitest entfernten Projekte der Menschheitsgeschichte (Stand: 2007)
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Die dritte kosmische Geschwindigkeit ist die Fluchtgeschwindigkeit im Bezug auf die Sonne als
Zentralmasse. Wir verwenden das gleiche Prinzip von oben an und setzen als Zentralmasse die
Masse der Sonne ein und als Radius 1 AE. So erhält man eine Geschwindigkeit von 42,32 km/s
relativ zur Sonne. Das klingt zunächst sehr groß im Vergleich zu den anderen Geschwindigkeiten,
aber da die Eigengeschwindigkeit der Erde selbst bereits bei ca. 29,8 km/s liegt, wird dies der
Geschwindigkeit der Sonde zugeschrieben. 12,52 km/s schneller als die Erde muss die Sonde sein,
um das Gravitationsfeld der Sonne zu verlassen. Es muss aber zusätzlich berücksichtigt werden,
dass zuerst eine Flucht von der Erde nötig ist: Diese kostet 11,17 km/s. Nun gilt es, die Flucht mit
einer so hohen E kin ,Start anzusetzen, dass es selbst nach zurücklegen der Gravitationspotenziale der
Erde ( −Δ E pot ) noch ein E kin , Rest hat, das einer Geschwindigkeit von 12,52 km/s entspricht,
mit dem also die Flucht von der Sonne noch gewährleistet ist.
Die benötigte Geschwindigkeit entsprechend E kin ,Start beträgt – ohne auf die Herleitung
einzugehen an dieser Stelle (siehe Kapitel: Raumflugmechanik, Hohmann-Transfer-Orbits,
Oberth Effekt) – √(12,52²+11,17²) km /s = 16,78 km/s
Bei optimalen Bedingungen, d.h. wenn der Geschwindigkeitsvektor der Sonde (während der
Zündung der Triebwerke) parallel zum Geschwindigkeitsvektor der Erde ist und in die gleiche
Richtung zeigt, muss also eine Geschwindigkeitsdifferenz Δ V von ca. +8,98 km/s erreicht
werden, nachdem der Kreisorbit (Geschwindigkeit: 7,8 km/s in einer Höhe von 200 km) um die
Erde – der sogenannte „Parkorbit“ – erreicht wurde. In der bisherigen Raumfahrt ist nur die
Raketenoberstufe Centaur in der Lage gewesen eine Raumsonde (in dem Fall: New Horizons)
direkt auf einen „Earth-and-solar-escape trajectory“ zu schießen.
Centaur – Die leistungsfähigste
Oberstufe der NASA.
Künstlerische Darstellung von New Horizons
– die erste Sonde, die (2015) Pluto und seinen Mond
Charon erforschen soll! In der Ferne die Sonne.
Bei den vorherigen Missionen starteten die Sonden zwar nicht direkt mit der dritten kosmischen
Geschwindigkeit in ihre Mission, „sammelten“ dafür aber umso mehr Δ V auf durch sogenannte
Gravity Assists an verschiedenen Planeten, was mitunter auch Schwerpunkt dieser Arbeit ist.
Okay, somit hätten wir die Geschichte mit den kosmischen Geschwindigkeiten (etwas
ausführlicher) geklärt. Was machen Raumsonden sonst noch, außer sich mit offenbar sehr hoher
Geschwindigkeit durch das Vakuum zu bewegen? Man kann das allgemein so zusammenfassen: Sie
untersuchen Planeten, deren Monde, kleinere Himmelskörper wie Asteroiden und Kometen und
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schließlich auch noch die Sonne. Dabei gibt es verschiedene Vorgehensweisen der Untersuchung,
welche die Art der Sonden definiert. Im Großen und Ganzen gibt es drei Arten:
Vorbeiflugsonden
Sie fliegen – wie es der Name schon impliziert – nah am Himmelskörper vorbei und:
– machen Fotos (in verschiedenen Wellenlängenbereichen)
– messen die (Zusammensetzung/Veränderung der) Atmosphäre, Ionosphäre und
Magnetosphäre
– fangen herumschwirrende Staubteilchen ein (für z.B. Strukturanalyse, Zusammensetzung)
– schicken teilweise Radiowellen auf/durch den Himmelskörper (z.B. für Untersuchungen der
Oberflächenstruktur oder bei kleinen Körpern sogar bis zum Kern).
So gut wie alle Missionen zu den Gasriesen waren Vorbeiflugmissionen (also die Voyager-,
Pioneer-, Ulysses- und Cassini-Programme). Lediglich Galileo war eine Orbiter Mission.
Orbiter
Sie fliegen zum Himmelskörper und reduzieren ihre Geschwindigkeit (durch entgegen der
Flugrichtung gerichteten Schub der Sonden-Antriebe – sog. „Thruster“ – und ggf. abbremsenden
Gravity Assists davor), sodass sie im richtigen Abstand zum Körper unter die
Fluchtgeschwindigkeit gelangen und somit in einen Orbit um diesen übergehen können. Dieser
Übergang – genannt „Orbital Insertion“ auf Englisch – wird oft mit „Aerobraking“ kombiniert (im
Falle eines Planeten mit Atmosphäre) wobei die Sonde zusätzlich mithilfe der in der Atmosphäre
entstehenden Luftreibung abgebremst wird und einen immer runderen Orbit anstrebt.
Orbiter sind allgemein in der Lage das gleiche zu erfüllen wie Vorbeiflugsonden und das über einen
längeren Zeitraum, denn sie umlaufen den Himmelskörper konstant, vergleichbar mit Erdsatelliten.
Das bietet Vorteile bei:
– der globalen Kartierung der Oberfläche
– der „Durchleuchtung“ des Körpers mit Radiowellen (für eine genaue Analyse des Kerns)
– dem Sammeln einer größeren Datenmenge und genauerer Ergebnisse
– usw....
Eine Orbiter-Mission ist natürlich auch mit mehr Aufwand verbunden, denn die Sonde braucht auf
jeden Fall Thruster für Kurskorrekturen und diese brauchen natürlich Treibstoff, heißt: die Sonde
wird schwerer und es wird mehr Treibstoff benötigt, um sie in die Mission zu befördern → teuer!
Zu den erfolgreichsten Orbiter Missionen zählen z.B. die Mars-, Venus- und Jupiter-Orbiter
Missionen:
Venus Express – die erste
Mars Reconnaissance Orbiter europäische Mission zur Venus,
– aktuellster Orbiter des Mars, studiert seit 2005 die Atmosphäre.
zuständig für Kartografie des
(comp. Grafik)
Planeten und dient als RelaisStation für Landemissionen.
(künstl. Darstellung)
Galileo – benannt nach dem
Entdecker der Jupitermonde,
verdanken wir dieser Mission
unser ganzes Wissen über sie.
(Missionsende: 2003)
(künstl. Darstellung)
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Lander
Schließlich gibt es auch Missionen, in denen die Raumsonde auf dem Himmelskörper landet,
meistens aber einen Lander aussetzt, eine Landeeinheit bzw. (teilweise sogar) einen Landeroboter,
welcher auf unterschiedliche Art und Weise seinen sicheren Weg hinunter auf die Oberfläche findet.
Diese Art von Mission ist mit Abstand die komplexeste und aufwändigste, denn vor allem die
Landung ist mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Entsprechend gibt es auch nicht den „typischen“
Lander oder ein Schema nachdem Landungen verlaufen. Je nachdem, worauf gelandet werden soll
und wie zielstrebig eine Mission ist, können sie immer wieder Anlass sein, die bisherigen Grenzen
der Komplexität/Technologie zu brechen.
Lander können zum Beispiel (manche können dies, manche können das...)
– auf einem Planeten/Mond landen und als „Station“ – engl.: „stationary Lander“ –
wissenschaftliche Experimente durchführen → z.B. Bodenproben entnehmen und diese
durch Spektroskopie, Chromatographie oder durch Erhitzung in Öfen auf ihre
Zusammensetzung analysieren (→ im Vordergrund steht die Suche nach langkettigen/
organischen Verbindungen bzw. Anzeichen von Leben!).
– in Kombination mit einem Orbiter einen kleinen Himmelskörper „durchleuchten“ und so die
genaue Struktur des Kerns ermitteln (siehe: Rosetta-Philae).
– durch einen Bohrer/Penetrator tief in die Oberfläche eindringen um z.B. nach Wassereis zu
suchen (siehe: Phoenix) oder die thermische Aktivität im Boden messen (siehe: Insight).
– teilweise als komplett manövrierfähige Roboter – engl.: „Rover“ – auf der Oberfläche
(über mehrere Kilometer) herum fahren, Fotos machen plus mit Roboterarmen Bodenproben
aus verschiedenen Regionen entnehmen und obige Experimente ausführen → quasi mobiles
Labor (siehe: Spirit und Opportunity, MSL Curiosity).
– vieles mehr... Die Raumfahrt kann sich da wirklich jedes mal neu erfinden.
Unter all den Missionsarten besitzen wohl Landemissionen das größte Risiko zum Scheitern, denn
sie müssen generell eine von zwei Problematiken bewältigen: Bei einer planetaren Landemission
muss dafür gesorgt werden, dass sie nicht in der Atmosphäre verglühen und bei Missionen zu
Asteroiden/Kometen (also Körper ohne Atmosphäre) muss dafür gesorgt werden, dass sie nicht mit
zu hoher Geschwindigkeit auf die Oberfläche aufkommen und abprallen/zerschmettern. Außerdem
muss der Landeplatz natürlich gewisse Kriterien erfüllen (fest, aber nicht felsig, darf den Lander
nicht direkt bei der Landung beschädigen). Viele der Faktoren hängen auch einfach vom Glück ab!
Zu den erfolgreichsten Landemissionen zählen wohl die Mars-Rover-Missionen und der stationäre
Lander „Phoenix“. Ebenfalls hat Huygens (welche Teil von der Saturn-Mission Cassini-Huygens
ist) uns revolutionäre neue Erkenntnisse über den Saturnmond Titan gebracht.
Phoenix – seitdem wissen wir:
es gibt definitiv Wasser auf dem
roten Planeten. (comp. Grafik)
Curiosty – der komplexeste
Rover aller Zeiten (2012)
Huygens – der ESA Lander,
nach dem Abwurf durch Cassini,
entdeckte eine gar nicht mal so
Erd-fremde Welt auf Titan.
(comp. Grafik)
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Illustrierter Abstiegsvorgang von Huygens: Der Lander wurde (am 25.12.2005) von der MutterSonde Cassini auf eine 21 tägige Reise zum Titan geschickt. Für den Abstiegsvorgang wurde die
Sonde zuerst durch den großen Hitzeschild auf Unterschallgeschwindigkeit abgebremst. Nach der
Abtrennung des Schildes wurde mithilfe von drei aufeinanderfolgenden Fallschirmen die Sonde so
stark abgebremst, dass sie unversehrt auf dem Titan-Boden landen konnte. Im Hintergrund: ein See
aus flüssigen Kohlenwasserstoffen (Temperatur: ca. -180°C !), Berge, Klippen und schließlich am
Horizont (hinter den Methanwolken) der Saturn.
MSL Curiosity's Abstiegsvorgang
(rechtes Diagramm)
– mit ABSTAND der spektakulärste und
komplizierteste Abstieg geht auf das
Konto der NASA letztes Jahr im August:
Die Sonde wurde noch in der
Eintrittsphase mit Thruster quasi auf den
Landeplatz „zugesteuert“. Es wurde der
widerstandsfähigste Fallschirm
(Entfaltung bei über Mach 1) aller Zeiten
verwendet. DIE Innovation aber ist: Der
„Sky crane“ – ein Raketenangetriebener Kran, der die letzte
Abstiegsphase durchführt. Er bremst sich
(mit dem Rover) bis kurz vor den MarsBoden ab und seilt den Rover in einer
Höhe von 7,6m sanft auf die Oberfläche
hinunter. Danach werden die Seile
gekappt und der Sky crane fliegt weg um
in sicherer Entfernung aufzuschlagen.
→ Ein großer Fortschritt im Vergleich zu
den früher verwendeten Lande-Airbags
(bei: Spirit und Opportunity).
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Unten: detailliertere Aufnahmen (Computersimulation) der Raketen-angetriebenen Abstiegsphase.
Der Sky crane bremst zuerst mit acht Antrieben, kurz vor dem Boden benötigt er nur noch vier. Der
Rover wird in einer Sicherheitshöhe von 20m bereits abgeseilt (Länge des Seils: 7,6m). Der Sky
crane fliegt weiter runter bis zum „Touchdown“ der sechs Räder. Der bereits aktive Rover sendet
ein Signal an den Sky crane, sodass die Seilverbindungen gesprengt werden und kurzzeitig wieder
volle Power gegeben wird, damit er sich entfernt und keine Kollisionsgefahr besteht.
Der Grund für die Verwendung des Sky Cranes
liegt in der Tatsache, dass der Curiosity-Rover
zu schwer gewesen wäre für die früher übliche
„Airbag-Methode“. Ebenfalls wäre es sehr
ungünstig gewesen mit 4 Raketenantrieben
auf der staubigen Marsoberfläche zu landen
– der aufgewirbelte Staub hätte eventuell
Instrumente beschädigt, auf jeden Fall aber
die HD-Kameralinsen total verschmutzt.
Curiosity befindet sich in der Region um den
„Gale-Krater“ und hat ( ganz grundsätzlich
und einfach formuliert) die Aufgabe, durch
Untersuchung von Bodenproben heraus zu finden, ob der Mars jemals bewohnbar war.
An dieser Stelle kann/möchte ich nicht weiter ins Detail gehen, da MSL Curiosity auch solch ein
„heißes“ Thema ist, zu dem es genügend viele gute und ausführliche Quellen im Netz gibt und es
(wie bereits gesagt) nicht Schwerpunkt dieser Arbeit ist, eine Zusammenfassung der Fachliteratur
abzuliefern.
Wer mehr zu Curiosity erfahren will, dem empfehle ich, abgesehen von der Seite der NASA, die
Seite: „spacelivecast.com.“ Dort kann man sich einen ausführlichen (zweistündigen) Podcast über
die Mission ansehen, mit vielen Kommentaren der Projektleiter (in deutscher Übersetzung).
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Worin allerdings eine Notwendigkeit besteht, ist die detailliertere Behandlung einer Mission, von
der ich das erste Mal während meines Praktikums letzten Herbst beim DLR Köln gehört habe.
Kein Wunder – es ist eine Mission, an der die Abteilung MUSC (in der ich gearbeitet habe)
maßgeblich beteiligt ist und somit auch mein Vorgesetzter Herr Dipl.-Phys. Christian Krause und
andere Kollegen; und – nochmals: kein Wunder – weshalb ich noch nie von der Mission gehört
habe: Sie fängt erst voraussichtlich im Mai 2014 an, physikalische Untersuchungen durchzuführen.
Es ist also zum jetzigen Zeitpunkt, während ich diese Arbeit schreibe, ungewiss, ob und wie
erfolgreich sie werden wird!
Es ist eine der ehrgeizigsten Unternehmungen der europäischen Raumfahrtbehörde ESA in
Kooperation mit dem deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum; bis dato gibt es keine vergleichbar
komplexen Missionen an jenen zu untersuchende Himmelskörpern. Es handelt sich um die
Kometen-Mission: Rosetta
ESA/DLR: ROSETTA-Philae
Links und rechts oben:
Das ESA Emblem der
Mission bzw. RosettaOrbiter-Mission.
Rechts unten:
DLR Emblem der
„Philae Operations“
Die Mission Rosetta ist gleich auf zweierlei Art eine Pionierarbeit: Es ist die erste Orbiter-Mission
um einen Kometen und gleichzeitig auch die erste Landemission auf einem Kometen in der
Geschichte der Raumfahrt!
Die Raumsonde besteht also aus dem Rosetta Orbiter, der den Kometen über ein Jahr lang
umkreisen soll und dem Landemodul namens „Philae“, welches auf der Rückseite des Orbiters
mitgeführt wird und nach dem Übergang in einen stabilen Orbit und der Ermittlung eines
angemessenen Landeplatzes, bei richtiger Gelegenheit abgeworfen wird – zwei in einem, wie bei
Cassini-Huygens.
In diesem Fall wird aber nicht ein massereicher Planet mit relativ gleichförmigem zentralen
Gravitationsfeld umkreist, sondern ein leichter, unregelmäßiger Komet. Das wird
höchstwahrscheinlich zu Herausforderungen beim Orbital-Insertion-Manöver führen.
Forschergruppen haben sich lange mit der Frage herum geplagt, wie man denn jenes schwache
Gravitationsfeld präzise bestimmen könnte und kamen letztendlich zum Schluss: es geht nicht.
Solange nicht genug Information vorliegt, kann man kein genaues Gravitationsmodell für den
Kometen konstruieren. Man weiß nur ungefähr die Masse des Kometenkerns, nicht aber die
Verteilung der Dichte, also auch nicht den genauen Schwerpunkt. Die Ausmessungen sind auch nur
in etwa bekannt (3x5 km).
Zusätzlich ist davon auszugehen, dass der Sonnenwind und der ständige Teilchenstrom ausgehend
vom Kometen, welche in Sonnennähe besonders stark sind, auch Störfaktoren für die Umlaufbahn
werden. Es wird also an Rosettas Flexibilität liegen, diese Schwierigkeiten zu meistern und in einen
guten Orbit einzuschwenken. Hoffen wir, dass Europa an seinen letzten Erfolg mit Giotto (1985,
Fly-By am Halley'schen Kometen, erste Aufnahmen eines Kometenkerns) anknüpfen kann.
WOFÜR aber der ganze Aufwand um einen, oft als „schmutzigen Schneeball“ abgestempelten,
kleinen Himmelskörper? Was macht Kometen überhaupt so interessant?
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Was genau sind Kometen überhaupt?
Generell klassifiziert man sie als kleine unregelmäßige Himmelskörper aus Eis (gefrorene Gase,
Wassereis) und Staub, was unterschiedliches sein kann, meist sind aber Kohlenstoffverbindungen,
Silikate, Mineralien, Eisenverbindungen etc. gemeint, welche auch auf Asteroiden vorzufinden sind.
Wo kommen Kometen her?
Die meisten Kometen halten sich im Kuipergürtel bzw. in der Oort'schen Wolke auf, also in
Bereichen jenseits von Pluto. In diesen Randbereichen des Sonnensystems verbleiben sie bei
Temperaturen nahe des absoluten Nullpunktes inaktiv für Jahrtausende/Jahrmillionen, teilweise
unverändert seit der Entstehung des Sonnensystems.
Was bewegt einige Kometen dann dazu, sich ins innere Sonnensystem zu bewegen?
Über die Antwort wird eigentlich
weitestgehend nur spekuliert. Man sieht,
dass sich einige Kometen auf zyklischen
Umlaufbahnen um die Sonne befinden,
aber über den Mechanismus, der sie von
diesen weit entfernten Außenbereichen
ins Innere streut, gibt es verschiedene
Erklärungen.
Kurz-periodische Kometen stammen
höchstwahrscheinlich aus dem
Kuipergürtel, es liegt also nahe, dass sie
durch die Gravitation der Planeten oder
durch Kollisionen unter einander auf
ihre sonnen-nahe Umlaufbahnen
gelangen.
Es wird vermutet, dass Kometen aus der
Oort'schen Wolke (Entfernungen von 104
bis 105 AE, siehe Grafik rechts) durch
die Anziehungskraft von
vorbeiziehenden Sternen oder
galaktischen Gezeitenkräften so beeinflusst werden, dass sie eventuell ihren Weg ins innere
Sonnensystem finden. Diese Kometen sind dann entweder aperiodisch (d.h. kehren nicht wieder,
befinden sich auf hyperbolischen Bahnen) oder haben extrem lange Umlaufperioden (>1000 Jahre).
Was sind ihre charakteristischen Eigenschaften?
Aufgrund der Zusammensetzung aus diesen flüchtigen Gasen und dem Staub bilden sonst inaktive
Kometenkerne in Sonnennähe (→ Sonnenwind, geladene Teilchen und höhere Temperatur) eine
sog. „Koma“ – eine Hülle aus fluoreszierendem Gas, welche bis zu Millionen mal größer wird als
der Kern – und schließlich das, wofür Kometen bekannt sind und sie seit jeher beliebt/gefürchtet
gemacht hat: den charakteristischen Plasma-/Gas-/Staubschweif, der gut im sichtbaren Bereich liegt
(→ deswegen können sie von der Erde aus beobachtet
werden). Dieser entsteht durch Sublimation von Gasen
(von der Oberfläche und aus dem Inneren, reißen so
Staubpartikel mit sich) und kann je nach Sonnennähe bis
zu 100 Millionen km Länge erreichen!
Der langperiodische Komet Hale-Bopp,
ein Komet der höchstwahrscheinlich aus
der Oort'schen Wolke stammt. Man sieht den
blauen Plasma-/Gasschweif und den weißen
Staubschweif. (Foto: Geoff Chester)
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Links: Kein geringerer als
der berühmte Komet Halley
Die erste Aufnahme eines
Kometenkerns jemals, durch
die ESA Mission Giotto
(Originalaufnahme 1986)
Rechts: der Kometenkern
von Wild 2. Es stellt sich
heraus: Kometen sind die
dunkelsten Objekte des
Sonnensystems, wenn sie
nicht gerade den Himmel
erleuchten – ein Albedo
von 4% (Asphalt hat 7%).
(Originalaufnahme 2004
durch die Sonde Stardust)
Links: 3D Modell von 67P/Churyumov-Gerasimenko, dem
Kometen, der Rosettas Missionsziel ist!
(Rekonstruktion durch Aufnahmen vom Hubble-Teleskop)
Alles klar, noch mal konkret: Wieso untersuchen wir Kometen?
Es gibt sehr viele gute Gründe:
Abgesehen von der Tatsache, dass jede bisherige Kometen-Mission zu noch mehr fundamentalen
Fragen geführt hat, wie z.B. bei Deep Impact [zentrale Frage: „War Tempel 1 eine Ausnahme bzgl.
der Zusammensetzung oder sind Kometen wirklich eher 'snowy dirtballs', d.h. größtenteils
bestehend aus Gestein mit nur wenigen Gas- und Eis-Anteilen?“] und bei Stardust [zentrale Frage:
„Kommen die Aminosäuren und Kohlenstoffverbindungen, die im Koma eingefangen wurden, in
noch komplexeren Strukturen AUF dem Kern vor? Gibt es möglicherweise organischen Strukturen,
aus denen die Grundbausteine des Lebens auf der Erde hätten entstehen können?“], sind Kometen
diejenigen Himmelskörper, die am wenigsten im Laufe der Geschichte des Sonnensystems
verändert wurden. Alle anderen Himmelskörper (auch Asteroiden) waren in ihrer Geschichte,
aufgrund ihrer Lage zur Sonne (und zu anderen Himmelskörpern) und den damit verbundenen
Faktoren (wie: Wärme, höher-energetische Strahlung und geladene Teilchen, aber auch Kollisionen
mit anderen Himmelskörpern) ständigen Veränderungen ausgesetzt: geologische Aktivitäten,
Radioaktivität im Kern (starke Erhitzung im Inneren), Erosion, Atmosphärische Einflüsse (z.B.
Treibhauseffekt) und natürlich grundlegende Oberflächenveränderungen durch Einschläge. All
diese „Evolutionen“ haben Kometen nicht durchmachen müssen, denn sie befinden sich seit
Jahrmilliarden so weit außerhalb der Einflussgebiete dieser Faktoren, dass ihre Entwicklung quasi
eingefroren wurde. Sie enthalten somit die am wenigsten verfälschte Information aus der
Entstehungsphase des Sonnensystems und sind tiefgekühlte „Zeitzeugen“ des Ur-Sonnensystems,
demnach also SEHR wertvoll! Über sie erlangt man Kenntnis darüber, was bei der Entstehung des
Sonnensystems passiert ist. Eventuell finden man Beweise für die Theorie, dass ein
Kometeneinschlag die entscheidene Menge Wasser auf die Erde gebracht habe oder sogar für die
Theorie der „Panspermie“: „Die Grundbausteine des Lebens sind erst in Folge eines
Kometeneinschlages auf die Erde gelangt.“
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Also – man kann sagen, dass das genügend Gründe sind, für eine so komplizierte Kometen-Orbiterund Landemission wie Rosetta-Philae. Kümmern wir uns nun genauer um das Missionsprofil:
Missionsprofil und Ziele der Mission
Die Raumsonde ist am 2. März 2004 mit einer Ariane 5G+ Trägerrakete von Kourou (in
Französisch-Guyana) aus gestartet und soll nach mehr als 10 Jahren Flug, 4 Gravity Assists und
2 Vorbeiflügen an Asteroiden den kurz-periodischen Kometen Churyumov-Gerasimenko (offiziell:
Komet 67P) erreichen. Dort (bei einem ungefähren Sonnenabstand von 4 AE) soll um den 22. Mai
2014 der Orbiter Rosetta sein Annäherungsmanöver starten und schließlich eine feste Umlaufbahn
um den Kometen finden. Der Orbiter umläuft ab dann den Kometen mehrere Monate lang und
begleitet ihn auf seinem Weg zum Perihel, somit beim Prozess des „Erwachens“ (d.h. Bildung des
Komas/des Schweifes, sobald ein Sonnenabstand von ca. 2 AE unterschritten wird).
Flugereignisse in Reihenfolge:
Start: 02.03.04
1. GA: 04.03.05 (Erde)
2. GA: 25.02.07 (Mars)
3. GA: 13.11.07 (Erde)
Fly-By an Steins: 05.09.08
4. GA: 13.11.09 (Erde)
Fly-By an Lutetia: 10.07.10
Voraussichtlich:
Rendezvous-Manöver mit 67P
am 22.05.14
Landmanöver Philae
am 10.11.14
Rosetta und Philae befinden
sich im Moment im
„Schlafmodus“ in dem nur die
wichtigsten Systeme
(Heizung gegen Auskühlen,
Kommunikationssystem)
betrieben werden.
Primär sind die Ziele des Orbiters dann, neben der eigentlichen Messungen im umgebenen Koma
(es wird gemessen: Edelgas-/Ionenvorkommnisse, Sublimationsrate, Isotopenverhältnisse der Gase,
Eigenschaften des Staubes), mithilfe vom Kamerasystem OSIRIS eine globale Kartierung
durchzuführen und einen geeigneten Landeplatz für den Lander Philae zu finden.
Die Landung von Philae soll im November 2014 erfolgen, nachdem schon so einige Daten über die
Rotation, aktive Regionen und die Dichteverteilung des Kerns gewonnen wurden. Philae bohrt sich
sofort bei der Landung mithilfe einer Harpune in die Oberfläche des Kerns und bleibt dort haften.
Wenn dies gelungen ist, kann die wissenschaftliche Mission (bzgl. der Untersuchung der KernCharakteristiken) richtig beginnen.
Der Lander soll vor Ort verschiedene Untersuchungen an der Landestelle durchführen: mit Hilfe
des ausfahrbaren Armes und Bohrers SD2 sollen Bodenproben entnommen, an weitere Instrumente
weitergegeben und auf ihre chemische Zusammensetzung analysiert werden. In Zusammenarbeit
mit dem Orbiter durchstrahlt das Instrument CONSERT den Kern mit Radiowellen und ermittelt so
die genaue Struktur des ganzen Kerns. Ebenfalls wird die Wärmeleitfähigkeit, elektrische
Leitfähigkeit und das Magnetfeld unmittelbar am Kern gemessen.
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Die gewonnenen Daten werden an den Orbiter gesendet,
welcher diese wiederum mit Hilfe der großen
Parabolantenne zurück zur Erde sendet.
Rechts: Philae macht sich auf den Weg zum
Kometen (künstlerische Darstellung)
Sehen wir uns die Konstruktion des Orbiters und des Landers im Detail an:
→ 2,8 x 2,1 x 2,0m
Aluminiumgehäuse
Karbonfaser-verstärkt
→ Philae ist auf
der Rückseite
→ Treibstofftank:
~1,67t CH6N2 und N2O2
→ Gesamtgewicht: 3t
Also 1,23t Orbiter
(mit 165 kg Nutzlast)
und 100 kg Lander
→ 2 Solarpanels
haben eine Spannweite
von 32m, Fläche: 64 m2
→ Leistung:
900W bei 3,4 AE
400W bei 5,25 AE
(Jupiterdistanz)
→ auf den Seiten:
Heizungssystem für die
Bord-Elektronik+Tank
(benutzt Energie aus
den Solarpanels)
→ Antriebssystem
besteht aus 24 x 10N
Thruster (zu sehen ist
nur ein Set)
Rosetta Orbiter, Konstruktion
→ Payload-Support-Modul
Alle Instrumente befinden
sich auf der Oberseite
(hier nicht zu sehen)
→ diese Seite ist ständig
Zum Kometen gerichtet
→ Navigationskameras
direkt zwischen OSIRIS
→ ''Sternensucher'' helfen
der Sonde bei der
Lageregelung im Raum
→ “Low-Gain-Antenna”
breiteres Gesichtsfeld für
schwache Signale
→ Medium-Gain-Antenna
→ Der autonome BoardComputer leitet fast alle
Prozesse selbst ein, auch
das Orbital-Insertion
Manöver! (Erde ist zu weit
weg für spontane Befehle)
→ “High-Gain-Antenna”
Durchmesser: 2,2 m
→ Voll schwenkbar für
Kommunikation mit
Erde, 28W Leistung
Eine Besonderheit an Rosetta ist, dass sie keine RTGs (Radioisotopen-Thermo-Generatoren auf der
Basis von Plutonium, wie sie die NASA verwendet; gewinnen Energie durch den radioaktiven
Zerfall) für die Energiegewinnung benutzen, obwohl sie sich teilweise auf Jupiter-Distanz von der
Sonne entfernt. Aus diesem Grund erhielt Rosetta ihre zwei überdurchschnittlich langen
Solarpanels, um selbst bei dieser Distanz genug Energie zu haben und schwarzes Kohlenfaserverstärktes Isoliergewebe, um möglichst viel Wärmestrahlung zu absorbieren.
14
Rosetta Orbiter, Instrumente
ROSINA
COSIMA
CONSERT
MIDAS
MIRO
GIADA
VIRTIS
OSIRIS
RPC
ALICE
Philae
Lander
Generell lassen sich die Experimente in folgende Gruppen aufteilen:
ALICE, OSIRIS, VIRTIS, MIRO dienen zur Visualisierung des Kerns und der Kernprozesse und
führen Untersuchungen anhand von Spektroskopie vom infrarot bis zum ultraviolett Bereich durch.
ROSINA, COSIMA, MIDAS fangen Gas- oder Staubteilchen ein und bestimmen ihre Eigenschaften,
insbesondere ihre Masse.
GIADA, RPC untersuchen die Wechselwirkung der Gas- und Staubteilchen mit dem Sonnenwind
und ermitteln die Zusammensetzung des umgebenen Plasmas.
CONSERT, RSI untersuchen die genaue Struktur des Kerns (und des Komas) mit Hilfe von
Radiowellen und Veränderungen in den Signalen.
Für eine detailliertere Erklärung zu den Experimenten: siehe Tabelle auf den folgenden Seiten.
15
Philae Lander
Der 100 kg schwere Lander besteht aus einem Hauptkörper mit den Maßen 100cm x 80cm x 80cm,
welcher 10 Experimente, die Elektronik sowie das Heizsystem enthält, und auf einem 360°
drehbaren Untersatz montiert ist. Der Untersatz ist aufgebaut aus drei Landebeinen (mit jeweils
einem Eisborer, die bei Boden-Kontakt ausgelöst werden) und enthält in der Mitte direkt unter dem
Hauptkörper zwei Harpunen, die sich sofort bei Landung in den Boden verankern. Diese
zusätzlichen Harpunen sollen die Befestigung zum Landeplatz garantieren, weil die Gefahr besteht,
dass der Lander bei der Landung vom Kometen abprallt (die relative Geschwindigkeit zum
Kometen ist 1 m/s, der Komet hat aber eine extrem geringe Gravitation, sodass Reflexionsgefahr
besteht). Falls das alles nicht klappt, kann Philae seine Kaltgasdüse auf der Oberseite des
Hauptkörpers verwenden, um sich zurück zur Oberfläche anzutreiben.
Die Hauptmaterialien, aus denen das Gehäuse und die Beine bestehen, sind Aluminium mit
Kohlefaser-verstärkten Verbundswerkstoffen. Das Gehäuse ist zusätzlich überdeckt mit 2,2 m2
Solarzellen, welche die Sekundärbatterie aufladen (die Primärbatterie sind Hochleistungsbatterien,
liefern aber nur Energie für die ersten 65 Stunden der Mission) und Energie für das Heizsystem
liefern. Wenn die Temperatur im Gehäuse unter -51°C sinkt, schaltet der Boardcomputer sich und
die Experimente auf Schlafmodus und betreibt nur das Heizsystem, um die Unterkühlung der
Instrumente zu verhindern. Die Instrumente verwenden eine gemeinsame Elektronik
(„Common CPU“). Der Boardcomputer führt autonom vorprogrammierte Sequenzen für die
Experimente durch, entscheidet z.B. durch Auswertung der Batterievorräte darüber, welche
Experimente betrieben werden können und welche nicht. Er ist allerdings auch dazu in der Lage,
Befehle, die er über die Relaystation (also den Orbiter) von der Erde erhält, umzusetzen und
entsprechend Prozesse zu ändern.
SESAME
- DIM
SD2 (Bohrer)
CIVA
APXS
ROMAP
MUPUS
Kaltgasdüse
Antennen für
Kommunikation
Solarzellen
SESAME
- CASSE und PP
ausfahrbarer Arm
Philae dient speziell dazu, den Kern unmittelbar auf der Oberfläche zu untersuchen. Der Bohrer
(SD2) liefert Bodenproben zu den Massenspektrometern für die chemische Analyse. Sonden mit
Sensoren (MUPUS etc.) untersuchen die physikalischen Eigenschaften des Bodens.
16
Im Detail: Experimente des Orbiters und des Landers
Auf Rosetta Orbiter:
auf Philae Lander:
ALICE:
–An Ultraviolett Imaging Spectrometer–
- UV Spektrometer - analysiert Edelgas(Ionen-)Vorkommnisse → durch die relative
Häufigkeit gewinnt man Rückschlüsse auf die
Umgebungstemperatur bei der Entstehung des
Kometen
- misst die Verlustrate von H2O, CO und CO2
APXS:
–Alpha X-Ray Spectrometer–
nach unten fahrbarer Sensorkopf → schießt
Alphateilchen auf eine Probefläche (ca. 11 cm²)
Röntgen- und Alphadetektoren messen Energie
der von den Oberflächenatomen gestreuten
Strahlung → Ermittlung von leichten (C, N2,O2)
Elementen bis hin zu Zink
VIRTIS:
–Visible and Infrared Thermal Imaging
Spectrometer–
- IR (und sichtbares) Spektrometer; zeichnet
Bilder und Spektren von Kern bzw. Koma im
niederfrequenten Bereich auf, misst Temperatur
→ niederfrequentes Pendant zu ALICE
COSAC:
–Cometary Sampling and Composition
Experiment–
1) Gaschromatograph: Trennt die aus den
Bodenproben (nach der Erhitzung in Öfen)
freigesetzen Gase voneinander
2) Massenspektrometer: ionisiert Gase,
beschleunigt sie durch ein elektrisches Feld;
für schwerere Moleküle und komplexere
(organische) Verbindungen
OSIRIS:
–Optical, Spectroscopic and Infrared Remote
Imaging System–
1)WAC: Weitwinkelkamera → größeres
Gesichtsfeld, zuständig für Fernaufnahmen
2) NAC: Telekamera → höhere Auflösung,
zuständig für Nahaufnahmen
- Jeweils 4 Megapixel, Hauptaufgabe: genaue
Kartierung des Kometen
MODULUS PTOLEMY:
genau so wie COSAC eine Massenspektrometer
und ein Gaschromatograph, aber ausgerichtet auf
leichtere Stoffe und das Isotopenverhältnis von
O, N und C
CONSERT:
MIRO:
–Comet Nucleus Sounding Experiment by
–Microwave Instrument for Rosetta Orbiter– Radiowave Transmission–
Mikrowellenradiometer und Spektrometer, misst Empfänger(-Antenne) für Rosetta: Philae muss
Temperatur des Kerns (reicht bis kurz unter die sich vom Orbiter aus gesehen auf der Rückseite
Oberfläche) und Verdampfungsraten von
des Kometen befinden → aus Messsignalen lässt
flüchtigen Elementen
sich die innere Struktur ableiten (siehe links);
Signale werden an den Orbiter zurück geschickt
CONSERT:
–Comet Nucleus Sounding Experiment by
ROMAP:
Radiowave Transmission–
–Rosetta Lander Magnetometer and
Radiowellensender - sendet Radiowellen durch Plasmamonitor–
den Kern zu Philae → Durchdringbarkeit hängt waagrecht ausfahrbarer Sensor – da der Komet
von Struktur ab; Staub beeinflusst Wellen
Plasma enthält, misst er das Magnetfeld, den
weniger, Wassereis dagegen stark → empfängt
Gasdruck und Ionen in der Landeumgebung
zurückgesendete Signale, wertet Veränderungen
in der Phase/Amplitude aus → genaue Analyse
SD2:
der Kernstruktur
– Sample, Drill and Distrubution–
- am Ende: 3D Rekonstruktion der Struktur
der Bohrer bohrt 20cm in den Boden hinein,
bringt Proben zurück, welche an weitere
Experimente verteilt werden
17
COSIMA:
–Cometary Secondary Ion Mass Analyser–
1) Staubanalysator – Fängt Staub in einem
Behälter ein und trennt ihn von Gasteilchen (der
Oberfläche/Ablagerung); danach:
2) Massenspektrometer – Ionisation und danach
Beschleunigung, Ermittlung der Masse bis
4000u
MIDAS:
–Micro-Imaging Dust Analysis System–
Rasterkraft-Mikroskop– direkte hochauflösende
Abbildung der Staubteilchen:
Feinstrukturerforschung bis 4nm Auflösung (!)
ROSINA:
–Rosetta Orbiter Spectrometer for Ion and
Neutral Analysis–
1) Magnet-Massenspektrometer – Bestimmt
Richtung der Gasteilchen: ionisiert im
Instrument die Gasteilchen und schicken es
durch ein Magnetfeld → Massenbestimmung
- Messbereich: 12u-200u
2) Flugzeit-Massenspektrometer – Trennt
neutrales Gas und Ionen; danach: (ggf.
Ionisation) Beschleunigung auf 3m Strecke,
Messung der Flugzeit → Massenbestimmung
- Messbereich: 12u-1000u
RPC:
–Rosetta Plasma Consortium–
5 Sensoren messen globale innere Komastruktur
bzw. Veränderung dessen durch Interaktion mit
Sonnenwind und Struktur des Kometenkerns
1) Langmuirsonde (zwei Mäste an der Seite) –
detektiert auftreffende Elektronen (welche ein
Potenzial zwischen ihnen erzeugen) → Messung
der Dichte, Geschwindigkeit des Plasmas
2) ICA – 360° Eintrittsöffnung → beschleunigt
Ionen elektrostatisch, ermittelt dadurch Masse
von Teilchen zwischen 1-1012u (kleinere
Staubteilchen auch!)
3) Elektronen-/ Ionen-Analysator – Sensoren
messen Zusammensetzung des umgebenen
Plasmas in einem 360° Gesichtsfeld
4) MIP – Misst Veränderungen der Frequenz
vom umgebenen Plasmafeld
5) Magnetometer – Misst das Magnetfeld des
Kometen (bis zu 50 mal pro Sekunde!)
MUPUS:
–Multi-Purpose Sensors for Surface and
Subsurface Science–
Ein System aus Sensoren drei in Instrumenten
1) Sensor in der Lande-Harpune: misst ebenfalls
Temperatur, aber unter der Oberfläche
2) Infrarotsensor: auf der Vorderseite
(Temperatur Messung der Oberfläche)
3) Sonde mit Hammer am ausfahrbaren Arm:
penetriert 1m entfernt in den Boden: mit jedem
Hammerschlag wird die Härte und Temperatur
gemessen → es wird ein Thermo-Profil erstellt
SESAME:
–Surface Electric Sounding and Acoustic
Monitoring Experiment–
1) CASSE: Sensoren an den „Landefüßen“
senden Signale hin und her, piezoelektrische
Elemente (Mineralien, die bei elektrischer
Spannung anfangen zu schwingen) geben
Schallwellen ab, welche werden an den anderen
Füßen registriert werden → Erforscht die
unmittelbare Struktur am Landeplatz
- horcht nach Veränderungen im Boden
2) PP: Sensoren in den Füßen, MUPUS und
APXS missen elektrische Leitfähigkeit bis in die
Tiefe von einigen Metern; da vor allem Wasser
als Leiter vorhanden ist, wird vor allem dessen
Sublimationsrate gemessen
3) DIM: Staubsensor auf der Oberseite des
Landers detektiert den zurückfallenden Staub
→ Vergleich mit Verlustrate
CIVA :
–Comet Infrared and Visible Analyzer–
1)Kamerasystem aus 5 identischen Kameras
(1024 x 1024 Pixel) am oberen Teil der
Seitenwände und ein Doppel-Kamera-System auf
der Vorderseite → ermöglicht 360°- und
3D-Aufnahme der Oberfläche um den Lander
2) Infrarot-Spektrometer und Mikroskop zur
Abbildung und Analyse vom Spektrum der
Bodenproben
ROLIS:
–Rosetta Lander Imaging System–
- an der Unterseite angebrachte Lande-Kamera
für HD Bilder des Landeplatzes
→ beleuchtet das Blickfeld in rot, blau, grün,
infrarot, ermöglicht eine grobe Untersuchung
auf mineralogische Zusammensetzung
(aufgrund der Reflexionsverhalten der Stoffe)
18
GIADA:
–Grain Impact Analyser and Dust
Accumulator–
Staubanalysator: Misst Zahl, Geschwindigkeit
und Masse der Teilchen in 2 Detektoren:
1) GIADA-1: Auf den Kometen ausgerichtet,
ermittelt Größe, Geschwindigkeit von größeren
Staubkörnern (anhand von zwei Light-Gates
und Einschlagdetektoren)
2) GIADA-2: in alle Richtungen des Raumes
ausgerichtet; durch spezielle piezoelektrische
Kristalle werden Staubteilchen von bis zu 1
Milliardstel Gramm detektiert
RSI:
(Radio Science Instrument)
misst die Veränderung der eigenen Funksignale
(durch Medien wie Gas, Gravitation), diese
werden auf Erde ausgewertet → Erschließung
der Gravitation/Masse/Dichteverteilung der
Kerns und der Zusammensetzung des Komas
Geheimtipp: es gibt ein sehr anschauliches und schön erklärtes Video zum Lander Philae (und
seine Funktionen, Experimente etc.), welches man sich unter:
Youtube → Suche: „Using LEGO® to simulate ESA's touchdown on a comet“
ansehen kann, unter anderem mit einer sehr originalgetreuen LEGO-Nachbildung von Philae :-)
Wie man sieht, sind das eine Reihe von komplizierten Manövern und Experimenten, die im
Missionsprofil von Rosetta-Philae stehen. Ich persönlich hoffe von ganzem Herzen, dass diese
Mission ein ganzer Erfolg wird und wünsche an dieser Stelle den Forschern im MUSC am DLR
Köln alles Gute für den bevorstehenden Verlauf der „Philae Operations“!
Hoffen wir, dass die Mission, genau so wie uns vor knapp 200 Jahren der Stein von Rosetta (nach
dem die Mission übrigens ihren Namen hat!) die Entzifferung der Hieroglyphen ermöglicht hat, uns
über die geheimnisvolle Zeit der Entstehung des Sonnensystems aufklären kann.
Also gut. An dieser Stelle soll das Gebiet der Raumsonden-Missionen und die qualitative
Behandlung derer Missionsprofile beendet werden. Es ist an der Zeit, uns auf den Schwerpunkt
dieser Arbeit hin zu bewegen, nämlich in die Welt der Raumflugmechanik und Raketenphysik.
Im den folgenden Kapiteln werde ich einige Grundlagen der Raketenphysik erläutern, um danach
zwei grundlegende Arten von Orbital-Manövern, die sogenannten Hohmann-Transfer-Orbits und
Gravity Assists – welche grundsätzlich immer ihre Anwendung in interplanetaren Missionen
finden – physikalisch zu erklären und mathematisch herzuleiten.
19
Kapitel 2: Raketenphysik – Die Raketengleichung von Tsiolkowsky
Bevor wir überhaupt anfangen, uns in die Welt der angetriebenen Raumfahrt – engl.: "propelled
space flight" – zu begeben, müssen erst einmal einige Basics sitzen. Es wird in den darauffolgenden
Kapiteln der Raumflugmechanik und Orbitalmanöver ständig um Impulsänderungen und den
Begriff Δ V (ausgesprochen: "delta v") gehen. Wie die Schreibweise schon impliziert, handelt es
sich bei Δ V um eine Geschwindigkeitsdifferenz, besser gesagt um eine
Geschwindigkeitsveränderung eines Körpers – in den meisten Fällen ein Geschwindigkeitsschub.
Wie wir wissen, benötigt es eine große kinetische Energie (ca. 1,9 Megajoule um eine Masse von 1
kg auf eine Höhe von 200 km zu bringen – theoretisch, in der Praxis ist das noch mehr), verbunden
mit einer großen Geschwindigkeit (bei 1,9 MJ/kg → 1,949 km/s), um erstens, überhaupt in den
Weltraum zu gelangen und zweitens, dort Orbitalmanöver (z.B. ein Übergang in stabile Orbits oder
eine Flucht) durchführen zu können, was noch mehr Δ V verlangt als ersteres.
Wie gelangt man zu dem nötigen Δ V ? Bis zu dem heutigen Tage gibt es nur eine Möglichkeit, so
große Geschwindigkeitsschübe dieser Ordnung zu erhalten: chemische Raketenantriebe.
Raketenprinzip
Jeder kennt folgendes Szenario: Wenn man einen Luftballon aufbläst und das Mundstück loslässt,
dann fliegt er (meistens verrückt in beliebige Richtung) davon, während die Luft mit hoher
Geschwindigkeit hinten aus dem Mundstück ausströmt. Im Prinzip funktionieren Raketen auch so.
Generell gilt für alle Arten der Beschleunigung: Man muss sich von einer bestimmten Masse
abstoßen, um zu höherer Geschwindigkeit zu gelangen. Man selbst erhält eine Geschwindigkeit
– somit einen Impuls – und die Masse, von der man sich abstößt, erhält den gleichen Impuls.
Zu diesem Schluss kam Newton bereits 1687, denn handelt sich um Newtons drittes Axiom:
„Actio est Reactio – Kräfte treten immer paarweise auf. Übt ein Körper A auf einen anderen
Körper B eine Kraft aus (actio), so wirkt eine gleich große, aber entgegen gerichtete Kraft von
Körper B auf Körper A (reactio).“
Daraus leitet sich direkt der Impulserhaltungssatz ab. Der Gesamtimpuls bleibt konstant bzw. ist 0
(die Impulse zeigen in entgegengesetzte Richtung!), wenn das System vorher nicht in Bewegung
war.
Im Weltraum gibt es allerdings nichts, woran sich die Rakete abstoßen kann (ein Medium für
Strahlantriebe/Turbinen etc. gibt es ja nicht). Aus diesem Grund wird die Masse, an der sie sich
abstößt und welche sie dadurch ausstößt, mitgeführt – diese kennen wir als Treibstoff. In den
chemischen Raketen übernimmt eben die heftige chemische Reaktion zwischen Brennstoff und
Oxidator die Rolle des Mannes (links), womit der Druck in der Brennkammer immens ansteigt,
sodass das Reaktionsprodukt mit hoher Geschwindigkeit v e aus der Düse ausströmt.
20
Herleitung der Raketengrundgleichung:
Über die oben gemachten Überlegungen können wir eine Gleichung für die
Geschwindigkeitserhöhung Δ V herleiten, welche abhängig ist von der Ausstoßgeschwindigkeit
v e der Treibstoffmasse mt und der Anfangsmasse der Rakete m0=mleer +mt , die sich aus der
Treibstoffmasse und der Masse der sonstigen Gerätschaften ( mleer , bestehend aus der Mechanik,
Elektronik und der Nutzlast) zusammensetzt.
Um die Raketengrundgleichung exakt herleiten zu können, müssen wir in den folgenden
Überlegungen davon ausgehen, dass die Ausstoßgeschwindigkeit v e konstant ist und dass m t in
infinitesimal kleine Portionen dm unterteilt werden kann.
Folgendes Bild dient der Veranschaulichung des Ganzen:
dm
dV
m
ve
Der Impulserhaltungssatz gilt, womit sich obige Situation so darstellt:
m  dm  dV  dm  ve
→ Jedes kleinste Partikel dm , welches mit v e ausgestoßen wird, verleiht der Rakete, die nun
nur noch die Masse m−dm hat, einen entsprechenden Impuls mit der jeweiligen kleinsten
Geschwindigkeit dV . Das Minuszeichen muss zur Berücksichtigung der Richtung hinzugefügt
werden. Dann:
m  dV  dm  dV   dm  ve
da : dm  dV  0
 dV  ve 
dm und dV sind beides infinitesimal kleine
Werte. Eine Multiplikation führt zu einer noch
kleineren Zahl, welche wir also ab hier
ve  vernachlässigen können.
 dm  dV
 

m  dm
m
Wir haben hier somit die Ableitung unserer gesuchten Funktion. Die Ableitung gibt die
Geschwindigkeitsveränderung – also gewissermaßen (es wird ja nicht nach „dt“ differenziert) die
Beschleunigung – in Abhängigkeit von der Masse an, die die Rakete in dem Moment noch hat.
Für unsere gesuchte Funktion integrieren wir also:
 dV  ve 
 dm
Bedingung : ve  const.
m
nun :
Vleer
mleer
V0
m0
 dV  ve

 mleer
 ve  ln
 m0
1
m
dm  ve  ln(m)mleer
 ve  ln(mleer )  ln(m0 )
0
m

 m
  ve  ln 0

 mleer

 m
  Vleer  V0  V  ve  ln 0

 mleer



21
Mit der letzten Gleichung erhalten wir die Raketengrundgleichung.
Sie gilt insbesondere deswegen als ideale Raketengleichung, weil sie die Konstanz der
Ausstoßgeschwindigkeit voraussetzt.
Ausstoßgeschwindigkeit ve und andere Charakteristiken einer Rakete
Die Ausstoßgeschwindigkeit setzt sich aus folgenden Parametern zusammen:
v e =Gewichtsspezifischer Impuls⋅Erdbeschleunigung= I sp⋅g
Der gewichtsspezifische Impuls I sp ist eine zentrale Kenngröße einer Rakete und wird
experimentell ermittelt. Dieser wird in der Einheit Sekunden angegeben und wird definiert als:
Die Zeit, in der eine Rakete (oder ähnliches System) eine Schubkraft (Einheit Newton) durch
Ausstoß einer Menge Treibstoffes erzeugen würde, die genau gleich der Gewichtskraft dieses
Treibstoffes auf der Erde ist.
Je länger diese Zeit, desto länger kann diese Schubkraft eben aufrecht erhalten bleiben und desto
effizienter ist diese Rakete. Die Schubkraft hingegen wird wiederum bestimmt durch:
F Schub =v e⋅ṁ= I sp⋅g⋅ṁ wobei ṁ (Einheit: kg/s, die Zeit ist hier die Brenndauer) der
sogenannten Massendurchsatz ist – wie viel Treibstoffmasse pro Zeiteinheit durch ein bestimmtes
Areal (z.B. Querschnittfläche: Düse), passiert.
Eine andere Ausdrucksweise ist: Impuls pro Einheit Treibstoff ,wobei die Einheit für den
gewichtsspezifischen Impuls die Gewichtskraft ist. Man sieht:
mv
I sp=
weight
Je höher der I sp , desto höher der Impuls mit einer bestimmten Menge Treibstoff bzw. desto
weniger Treibstoff braucht man für den selben Impuls (oder eben eine Mischung aus beidem).
Für Raketen ist der I sp quasi vergleichbar mit der Ausdrucksweise „Liter auf 100 km“ bei Autos.
Beispiel:
Wenn eine Rakete einen I sp von 250s hat, dann bedeutet das, dass bei einem Verbrauch von 1 kg
Treibstoff ein Impuls von 2452,5 Ns entsteht (250s*1kg*9,81m/s2), was (theoretisch) bei einer
Brenndauer von 250s eben wieder (250s*9,81m/s2*Massendurchsatz 1kg/250s) einer Schubkraft
von 9,81 N, also der Gewichtskraft dieses 1 kg Treibstoffes auf der Erde, entspricht.
Etwas realistischer wäre folgendes Beispiel: Bei der Ariane 3, 1 Stufe, 4 Booster mit jeweils
ungefähren I sp von 250s, einer Treibstoffmenge von 40t (160t insgesamt) und einer Brenndauer
von 146s ergibt sich:
3
40⋅10 kg
250s⋅9,81 m/ s2⋅
= F schub =672 kN → v e (durchschnittl.)=2462 m/s
146s
ABER hier kommt der Haken: Der I sp ist in der Realität nicht konstant. Der spezifische Impuls
(und somit die Ausstoßgeschwindigkeit) ist stark abhängig vom Umgebungsdruck. Der
Umgebungsdruck verändert sich natürlich während dem Aufstieg durch die Atmosphäre bis in den
Weltraum. Im Vakuum ist der Umgebungsdruck 0, wodurch hier der größte I sp einer Rakete
vorzufinden ist. Raketendüsen werden auf einen bestimmten Enddruck konstruiert (d.h.
spezialisiert), sodass beispielsweise eine Oberstufe im Vakuum ihr bestes I sp erreicht, aber ein
Feststoffbooster bereits schon in den unteren Atmosphärenschichten.
Der folgende Graph stellt exemplarisch die Entwicklung des I sp (Sekunden) gegen die Flughöhe
(in Fuß) dar. Generell gilt: Je höher die Flughöhe desto geringer der Außendruck. Laut Angaben der
Quelle, handelt es sich um einen „Liquid Oxygen-Isopropanol“ Flüssigkeitstriebwerk (flüssiger
Sauerstoff und Isopropanol) mit einem Mischungsverhältnis 1,65:1, einem
Düsenerweiterungsverhältnis (Querschnittfläche Düsenende geteilt durch Querschnittfläche der
Düsenmündung) von 3,12:1 und einem Kammerdruck von 250 PSI (=17,24 bar).
22
Da es sich um einen Flüssigkeitstriebwerk handelt, bleiben Massendurchsatz und
Verbrennungsdruck weitestgehend konstant (Motor pumpt gleichmäßig in die Brennkammer).
Da I sp und v e proportional zueinander sind, hat der Graph von v e (h) die gleiche Form.
In der Realität muss man also einen Graph: „Ausstoßgeschwindigkeit v e gegen Zeit oder gegen
Massenverhältnis m0 / mleer “ experimentell ermitteln und numerisch mit-integrieren, damit man
einen exakten Wert für Δ V erhält.
Da das sehr aufwändig ist, verwendet man häufig einfachheitshalber eine durchschnittliche
Ausstoßgeschwindigkeit v e .
Hier nebenbei eine Tabelle für verschiedene chemische Treibstoff-Zusammensetzungen und ihre
I sp im Vakuum, alle bei einem Kammerdruck von 1000 PSI (=68,95 bar):
Beide obigen Diagramme stammen von: http://orbitalaspirations.blogspot.de/ → specific Impulse
Die experimentell erreichten höchsten I sp Werte für chemische Raketen liegen im Bereich 470s.
Dieser kleine Ausflug in die angewandte Raketenphysik zeigt, dass das Verhalten einer Rakete von
unglaublich vielen Faktoren abhängt, die ich vernünftigerweise (leider) nicht alle hier behandeln
kann. Man kann allein darüber eine komplette Facharbeit und noch mehr schreiben...
23
Zurück zur eigentlichen Raketengleichung:
Wenn man tatsächlich sagen kann, dass v e konstant ist (dies ist vor allem im Vakuum
weitestgehend gerechtfertigt), dann ist Δ V nur abhängig von der Variable m0 / mleer (also
m0 /(m0−mt ) ), dem Massenverhältnis zwischen Anfangs und Leermasse.
Wir können also anhand von dem geforderten Δ V berechnen, wie viel Treibstoff nötig ist, um
dies mit einer bestimmten Rakete (bestehend aus Tank, Nutzlast, Mechanik etc...) zu erreichen.
Durch Umstellung gelingt uns das:
 m
V  ve  ln 0
 mleer
 m
V
 ln 0
ve
 mleer
e
V
ve

  ve


 exp

V
V


m0
ve
ve


 m0  e  mleer  mleer  mt  mt  mleer  e  1


mleer


Nehmen wir zwei einfache Beispiele:
Man will mit einer einstufigen Rakete von der Erdoberfläche in einen Low Earth Orbit gelangen.
Dazu sind rein durch Addition der Geschwindigkeitsvektoren [1,949 km/s vertikal (um möglichst
schnell in eine Höhe von 200 km zu gelangen) + 7,8 km/s horizontal (tangential zum Orbit) – 0,4
km/s (Geschwindigkeitsschub durch Erdrotation, bei Cape Canaveral)] ca. 9,34 km/s als Δ V
benötigt. Nehmen wir das Beispiel einer Einstufenrakete, indem wir uns an den Werte der
Zentralstufe H170 der Ariane 5 orientieren (Ariane 5 ist ja in Wirklichkeit keine Einstufenrakete),
mit einer Leermasse von 13,35t. Die Nutzlast (ein Satellit o.ä.) wiege 2t. Der I sp liegt ca. bei
433s, sodass eine Austrittsgeschwindigkeit von 4,25 km/s angenommen wird. Man bräuchte also:
9,34
m t =15,35t⋅(e 4,25 −1)=122,86 t
122,86t Treibstoff, um mit einer Einstufenrakete dieser Art in den LEO zu kommen.
Das obige Beispiel dient natürlich nur zur Demonstration der Theorie. Man wird sicher nicht die
Hauptstufe einer Ariane 5 Mehrstufenrakete (Nutzlastkapazität: 20t ! ) verwenden, um eine 2tNutzlast in den Orbit zu bringen. Dafür gibt es kleinere Feststoffraketen , die zur Beförderung von
kleineren Nutzlasten verwendet werden
Mars Science Laboratory (die komplette Raumsonde) hatte ein Start-Gewicht von 3,9t und braucht
ein Δ V von 2,95 km/s von einem LEO zum Mars. Die spezielle Raketenoberstufe Centaur (durch
die ultra-leichte Bauweise nur eine Leermasse von 1,6t) verpasst MSL einen Schub auf Höhe eines
LEO und verwendet dabei einen Flüssigkeitsantrieb (flüssiger Sauerstoff/flüssiger Wasserstoff) mit
einem I sp von 450s (→ v e = 4,4145 km/s ). Centaur benötigt also eine Treibstoffmenge von:
mt =5,5 t⋅(e
2,95
4,25
−1)=5,5 t
Soviel zu den Beispielen.
Es ist insbesondere wichtig zu wissen, dass eine Rakete zunehmend ineffizienter wird, je größer die
Δ V -Anforderungen sind. Für große Δ V geht das Massenverhältnis schnell hoch, aber ohne
besonders viel in Δ V zu ändern, denn es wächst exponentiell!
24
Folgender Graph soll das erläutern:
V
m
 0 V   e ve
mleer
Die Grafik zeigt den exponentiellen Verlauf von m0 / mleer , während Δ V anwächst:
Funktion:
x
y (x )=e 4,5
y-Achse: Massenverhältnis
x-Achse: Δ V (in km/s)
v e =4,5 km/s
Für große Δ V braucht man eine
extrem große Ausgangsmasse
(verbunden mit viel Treibstoff) oder
eben eine extrem kleine Leermasse
(verbunden mit weniger
Nutzlastkapazität).
Der Grund ist: je mehr Treibstoff man
braucht, desto größer wird der
zusätzliche Anteil Treibstoff, der nötig
ist, um diese größere Menge an
Treibstoff an sich zu befördern.
In der Realität sorgen z.B. Booster (Feststoffraketen, die meist nach dem Ausbrennen abgeworfen
werden) größtenteils dafür, eine Hauptstufe, welche auch wieder aus ca. 80% Treibstoff besteht, in
die Höhe (~120-150 km) zu bringen, um dann diese zweite Stufe zu zünden, die den weiteren
Missionsverlauf mit dem restlichen Treibstoff durchführt.
Dies alles führt letzten Endes dazu, dass eine Rakete wie die Ariane 5 (welche bereits als sehr
effektiv gilt) insgesamt um die 750 Tonnen wiegt, aber nur Nutzlasten von maximal 20 Tonnen in
einen LEO bringen kann: Effizienz: ~ 2,67%.
Mehrstufenraketen:
Wieder ein kurzer Ausflug in die praktische Seite der Raketenphysik:
Wieso verwendet man Mehrstufenraketen? Reicht es nicht, wenn man die Nutzlast in einem Stück
direkt in den Orbit schießt?
Die Antwort ist: In der Praxis reicht es meist nicht aus. Warum? In der Realität ist das nämlich oft
so, dass man die Aufgabe hat, eine Rakete mit einem bestimmten Δ V ins All zu befördern, dessen
Leermasse mleer durch die Struktur der Rakete und die Masse der Nutzlast vorbestimmt ist.
An der Austrittsgeschwindigkeit v e der Rakete ist meistens nichts zu rütteln. Sie wird durch den
I sp (max. ~ 470s) des Antriebes bestimmt, ist also nicht wirklich eine Variable.
Theoretisch kann man dieses gewollte Δ V einfach dadurch erreichen, indem man m0 groß
genug macht, sprich genug Treibstoff verwendet. Praktisch kommt hier allerdings der Haken: Es
gibt immer ingenieurtechnische Grenzen bei der Realisierung einer Raketenkonstruktion. Raketen
mit einem großen Massenverhältnis (viel Treibstoff, wenig Struktur) tendieren dazu, fehleranfälliger
(instabiler) zu werden. Eine Rakete mit hohem Massenverhältnis muss alleine dadurch:
- mehr Treibstoffmasse mit wenig Struktur (Tank, Wände etc.) fassen können
- mehr Belastung durch die größere Oberfläche aushalten
- als ein Körper höher gebaut werden (→ fragiler) oder breiter (→ weniger aerodynamisch)
25
- vor allem: die ganze „tote“ (also leere) Masse am Ende des Brennvorgangs mitschleppen, die beim
Start (Tanks, Struktur) noch unentbehrlich war.
Kompaktere Raketen mit kleinerem Massenverhältnis sind hier meist stabiler und zuverlässiger.
Lange Rede kurzer Sinn: Es gibt technische Grenzen für das Massenverhältnis m0 / mleer bzw. für
das sogenannte Strukturverhältnis f inert =mStr /(mt +mStr ) mit mStr =m0−mt−mNutz ( mStr ist
also nur die Masse der Raketenstruktur – Tank, Wände, Mechanik, Elektronik OHNE Nutzlast).
Das Strukturverhältnis liegt bei chemischen Raketen heutzutage bei Mindestwerten von 5-10%
(meist höher). Das Massenverhältnis hängt von der Nutzlast ab.
Wenn mit bestimmten Werten m0 / mleer und v e einer Rakete das erforderliche Δ V nicht
erreicht werden kann, dann muss man Δ V aufteilen und zwei (oder mehr) Raketenstufen (welche
aufeinandergestapelt sind) verwenden, die zusammen das Δ V erreichen.
Eine Beispielrechnung soll die Vorteile der Mehrstufenraketen demonstrieren:
Wir nehmen zuerst eine Einstufenrakete mit 700t Gesamtmasse und einem erforderlichen Δ V von
9,5 km/s und einem guten spezifischen Impuls (L-Oxi/L-H2) von 450s.
Einstufenrakete :
m0  700t
V  9,5km / s
m0
 mleer 
e

9,5
4 , 4145
ve  4,4145km / s
700t
 81,376t  mt  618,624t
8,602
Ein Massenverhältnis von 8,602 also.
NUN: Verwenden wir eine Mehrstufenrakete mit 700t Gesamtmasse und teilen das Δ V auf in
Δ V 1=5 km/ s (1. Stufe) und Δ V 2=4,5 km/ s (Oberstufe) und die gleichen Antriebe:
Mehrstufenrakete :
Für 1. Stufe : m0,1  700t
m0
 mleer 
e
5
4 , 4145

V1  5km / s
ve  4,4145km / s
700t
 225,53t  mt  474,47t
3,1038
Dieses mleer beinhaltet nun zum einen die komplette Oberstufe (Treibstoff-, Struktur-, NutzlastMasse der Oberstufe) UND natürlich die Leermasse der ersten Stufe (leerer Tank, Düse, Motoren
Elektronik, etc.). Ab hier wird natürlich letzteres abgetrennt, um unnütze Masse nicht für den Rest
der Mission mitzuschleppen. Nehmen wir an, diese beträgt 25t (Ordnungsgröße: Hauptstufe einer
mittelschweren Rakete).
Das neue m0 beträgt somit 200,53t. Dann:
Für 2. Stufe : m0, 2  200,53t
m0
 mleer , 2 
e
4,5
4 , 4145

V2  4,5km / s
ve  4,4145km / s
200,53t
 72,356t  mt  128,174t
2,7714
Es bleiben also insgesamt 97,356t für die ganze Struktur, Tanks, Nutzlast übrig und man hat somit
zwei mal Raketen mit einem Massenverhältnis im Bereich 3, anstatt von einer Rakete mit einem
Massenverhältnis von 8,602. Außerdem hat man noch ca. 16t Treibstoff eingespart.
26
Halten wir noch einmal fest – die generellen Vorzügen einer Mehrstufenraken sind:
- Die Modifizierbarkeit: man kann meist verschiedene Oberstufen/Booster anbauen → Flexibilität
auch kann man verschiedene Antriebe verwenden (mit angepasstem I sp fürVakuum/ Atmosphäre
etc.)
- Die unnötige Masse wird bei Brennschluss abgeworfen, die Rakete macht sich also leichter
( mleer kleiner → Δ V größer).
- Sie lassen mehr Struktur für das gleiche Δ V zu (→ stabiler, können eine größere Nutzlast
befördern) bzw. verbrauchen weniger Treibstoff.
Mehrstufenraketen haben aber auch – eben durch die Tatsache des „Übereinanderstapelns“ –
folgende Nachteile:
- Die Antriebe können nicht alle gleichzeitig verwendet werden (was notwendig sein kann).
- Sie haben einen komplexeren Bau, können dadurch eben fehleranfälliger werden (außerdem
kostet es wie immer Geld).
- Es gibt Fehlermöglichkeiten bei Abwurf der Hauptstufe und Zündung des neuen Triebwerks.
Unten und rechts: Die Ariane 5 ECA im Querschnitt. Man erkennt die zwei Nutzlasten (Satelliten)
und die kyrotechnische (= „kälteerzeugend“) Oberstufe.
27
Kapitel 2.2: Raketenphysik – Raketenantriebe und Konzepte
Da das vorige Kapitel ständig von Impulsmanövern und die damit verbundene Änderung der
Geschwindigkeit gehandelt hat, sollten wir uns nun Zeit nehmen, die Technologie zu erforschen, die
das erst möglich macht: Raketenantriebe.
Raumfahrt ist ja an sich eine relativ junge Wissenschaft.
Nur um ein wenig Geschichte zu erwähnen: Es sind noch
nicht einmal 80 Jahre vom historisch ersten (seriösen)
Start einer Rakete, der A2, gebaut im Jahre 1933 von
Wernher von Braun, Klaus Riedel, Rudolf Nebel und
Hermann Oberth, vergangen. Dieser Raketentyp erreichte
1934 eine Höhe von 2km. Man besaß eben sehr lange
nicht die Technologie, um wirklich Forschung auf diesem
Gebiet zu betreiben und Ideen zu realisieren – hingegen
gibt es die Theorie schon viel länger, Tsiolkowsky
entwickelte die Raketengrundgleichung schon 1903.
Dieser war auch der erste, der erkannte, dass nur
Flüssigkeitsantriebe die erforderlichen hohen
Ausstoßgeschwindigkeiten erreichen würden und dass das
Prinzip der Mehrstufenraketen die Raumfahrt viel
ökonomischer macht.
Wernher von Braun – der Vater
der modernen Raumfahrt
Rechts: Start einer Aggregat-4 von Prüfstand VII in
Peenemünde 1943. Zu Zeiten des dritten Reiches
starben Tausende von Menschen unter diesen Raketen.
Wieso musste die Raumfahrt nur so einen beschmutzten
Anfang haben?
Nichtsdestotrotz – man pflegt ja zu sagen:
„Die Ideen sind nicht verantwortlich für das, was
Menschen aus ihnen machen.“
Als „offizieller“ historischer Beginn des
Raumfahrtzeitalters gilt der Start der A4
(damals von der nationalsozialistischen Propaganda
genannt V2 – „Vergeltungswaffe 2“) am 3. Oktober
1942, die eine Höhe von 90 km, eine Reichweite von ca.
200km und eine Geschwindigkeit von 5400 km/h
erreichte. Danach (in der 50er Jahren) „schlug“ die
Sowjetunion quasi zurück mit dem erfolgreichen
Sputnik-Programm (Sputnik-Schock), womit sie die
ersten Satelliten ins All beförderten.
– Jedenfalls – das was ich sagen will: Man forscht natürlich immer weiter und weiter, denn
Raumfahrt war und ist eines der ehrgeizigsten und Forschungsgebiete der Wissenschaft. Mit den
Jahren der Forschung wurden viele verschiedene Antriebe und Antriebskonzepte erforscht,
28
entwickelt und teilweise sogar eingesetzt. Das Gebiet der Raumfahrtantriebe ist noch sehr weit
davon entfernt, ein Optimum zu finden – wie wir im letzten Kapitel sehen konnten, ist die Effizienz
von heutigen chemischen Raketen sehr klein. Ob die Forschung um die Raumfahrt jemals ein Ende
haben wird, ist zu bezweifeln. Aus diesem Grund werde ich im Folgenden den aktuellen Stand
einiger Antriebsarten und Konzepte (qualitativ) erläutern. Dieser Teil wird nicht so umfangreich
werden, wie er eigentlich sein könnte – wie gesagt, man kann allein darüber ganze Arbeiten und
Bücher schreiben – , denn dies ist nicht Schwerpunkt dieser Arbeit. Folgende Übersichten dienen
nur dem Allgemeinverständnis. Wer Interesse hat, sich in dieses Thema zu vertiefen, kann in der
Fachliteratur mehr lesen.
Grundsätzlich werden heutzutage zwei Arten von Antrieben eingesetzt. Eine Art sind die
chemischen Antriebe, welche sich durch ihre große Schubkraft und ihr schnelles
Impulsänderungsvermögen (→ schnell einsetzende, starke Beschleunigungen; kurze Brenndauer)
auszeichnen. Der Schub wird aus der heftigen Reaktion zwischen Treibstoff und Oxidator
gewonnen. Sie sind bis heute die einzige wirkliche Möglichkeit, das Gravitationsfeld der Erde so zu
überwinden, dass man in den Weltraum gelangt, um dort z.B. in eine stabile Umlaufbahn
einzuschwenken oder eine Erdflucht durchzuführen. Man hat chemische Antriebe über die Jahre so
flexibilisiert, dass sie überall eingesetzt werden und regelrecht Raketensysteme entwickelt wurden.
Aufgrund dieser Eigenschaften werden chemische Antriebssysteme oft bei Raumsonden verwendet,
da sie auf einfache Art Kurskorrekturmanöver ermöglichen (diese sind bei interplanetaren Mission
eigentlich fast immer nötig). Chemische Antriebe verwenden feste und/oder flüssige Brennstoffe
(man spricht von Flüssigkeits-, Feststoff- und Hybridantrieben).
Gehen wir ein wenig mehr ins Detail:
Feststoffraketen
Feststofftriebwerke sind die einfachsten chemischen Antriebssysteme, da die Rakete im Prinzip nur
aus Brennkammer und einer (evtl. schwenkbaren) Düse besteht und sehr wenig Elektronik enthält.
Die Außenwände sind somit auch die Wände der Brennkammer. Der Treibstoff wird in fester Form
mitgeführt, dabei ist der Oxidator (also der Reaktionspartner) bereits in diesem festen Reagenz
vermischt – genau so wie damals beim Schießpulver. Als Beispiel:
Die Feststoffbooster der Ariane 5 verwenden Hydroxyterminiertes Polybutadien (HTPB) und den
Oxidator Ammoniumperchlorat (NH4ClO4) mit Alumium als
Katalysator. Fertig verarbeitet bilden die Stoffe zusammen
eine Art gummiartiges Kunststoff-Harz, welches
zylinderförmig an die Wand angeordnet wird (die Mitte muss
für die Verbrennung frei bleiben). Dies ist eine oft verwendete
Mischung aufgrund ihres breiten Betriebsbereiches: ein
Kammerdruck-Minimum von 5-30 bar bis zu einem Maximum
von 200-700 bar muss in der Brennkammer vorherrschen.
Werden dennoch die Druckgrenzen unter- oder überschritten,
führt dies dementsprechend zum Erlöschen bzw. zur
Detonation.
Die Zündung einer Feststoffrakete erfolgt einmalig und zwar
durch eine Zündpatrone oder einen elektrischen Zünder.
Daraufhin erfolgt die Verbrennung von der Mitte nach und
nach bis an die Wand, ist also nicht regulierbar (außer indem
man die Düse absprengt oder die Raketenspitze öffnet, was
beides einen rapiden Abfall des Kammerdrucks zur Folge hat;
dies wird aber kaum eingesetzt).
Links: Die zwei Feststoffbooster der Ariane 5 sorgen für den
mächtigen 6240 kN Schub, der für den Start nötig ist.
29
Rechts: Schemadarstellung der
Funktionsweise einer Feststoffrakete.
Der Zünder befindet sich meist oben,
denn es soll eine gleichmäßige
Verbrennung der ganzen Innenfläche
erreicht werden. Eine gleichmäßige
Verbrennung von innen nach außen
verhindert ungewollte Veränderungen im
Schub. Die Verbrennungsprodukte
strömen zuerst durch die Mitte, stauen
sich vor dem Düsenhals (was den
Kammerdruck erzeugt) und strömen
über die Düsenerweiterung unter
heftiger Druckentfaltung nach außen.
Das klassische Prinzip der Feststoffraketen hat sich über die Jahre in der Raumfahrt bewährt, denn
es bietet folgende Vorteile:
Zum einen liegt der Vorteil in der Einfachheit der Konstruktion, was es gleichzeitig kostengünstiger
macht und vor allem weniger fehleranfällig im Vergleich zu Flüssigkeitstriebwerken (diese sind von
Mechanik bis Elektronik viel komplexer). Da die Brennkammer quasi dem Tank entspricht,
bedeutet es, dass man die GANZE Rakete mit Treibstoff füllen kann. Es geht nirgends Volumen
verloren, im Gegenteil: man kann mehr chemische Energie im gleichen Volumen lagern!
Zum anderen sind Feststoffraketen dank ihrer Flexibilität in vielen Raketensystemen und in jeder
Form einsetzbar, denn man kann sie prinzipiell in allen Größen herstellen. So finden sie
beispielsweise immer Einsatz bei Mehrstufenraken in Form von zwei oder mehreren Boostern,
welche durch ihren hohen Schub den „Startkick“ für die Rakete liefern, damit sie erst einmal an
Höhe gewinnt. Oberstufen für leichte Nutzlasten benutzen meist auch Feststofftriebwerke. Was man
heute aber immer weniger sieht, sind reine Feststoffraketen, denn diese haben meist eine zu geringe
Endgeschwindigkeiten für die Beförderung schwerer Nutzlasten.
Damit sind wir schließlich bei den Nachteilen der Feststoffraketen: vor allem ist es das Problem,
dass Fest-Treibstoffe alle keinen hohen spezifischen Impuls haben, was in der chemischen Natur
dieser Mischungen liegt. Bisher erreichte man Topwerte von 310s. Normal sind aber, am Beispiel
der Ariane 5 Feststoff-Booster, ungefähre Werte von 275s. Nach dem Erreichen höherer Lagen
greift man deshalb eher auf Flüssigkeitsantriebssysteme zurück, die eine höhere
Endgeschwindigkeit haben.
Eine weitere Sache ist der nicht wirklich regelbare Schub: es könnte während einer Mission
gefordert sein, spontane Änderungen des Schubes herbeizuführen oder viele kurze Schübe (für
Feinabstimmungen bei Orbitalmanöver) durchzuführen, zwischen denen das Triebwerk ganz
ausgeschaltet ist – das geht natürlich nicht. Es ist allerdings zu sagen, dass durch unterschiedliche
Anordnungsformen des Treibstoffes Variationen im Schubprofil erzeugt werden können, sodass die
Möglichkeit besteht, Änderungen in der Schubkraft bewusst
geschehen zu lassen (und dies zeitlich vorherzusehen).
Feststoffraketen können dadurch an die Situation angepasst
werden, was insbesondere wichtig für Startbooster ist, da sie
die aerodynamische Höchst-Belastung (meist bei einer Höhe
von 10-25 km) klein halten müssen, danach aber wieder
volle Kraft geben müssen.
Rechts: Sternförmige Anordnungsformen werden oft
verwendet, denn sie garantieren eine sehr große
Abbrandfläche und eine schnelle Verbrennung am
Anfang, bei relativ wenig Verlust des Volumens.
30
Flüssigkeitsraketen
Kommen wir nun zu den moderneren und komplexeren chemischen Antrieben, den
Flüssigkeitstriebwerken. Bei den Flüssigkeitstriebwerken werden Treibstoff und Oxidator in
flüssiger Form mitgeführt und zwar in zwei separaten, meist übereinander gelagerten Tanks. Die
beiden Stoffe müssen dann in der darunter befindlichen Brennkammer zusammengeführt, ggf.
gezündet werden (wenn nicht selbst-reagierend).
Beispiele für flüssige Treibstoffe sind: Wasserstoff, Kerosin, Hydrazin und zahlreiche Alkohole,
sowie auch reine Kohlenwasserstoffe. Als Oxidatoren eignen sich alle stark-sauerstoffhaltigen
Verbindungen, die aggressiv oxidieren, wie zum Beispiel: (trivialerweise) Sauerstoff,
Wasserstoffperoxid, Distickstofftetroxid und selten auch Fluor (Fluor oxidiert ja noch stärker, ist
aber teurer). Beide Stoffe werden in ihren Tanks unter Druck und Kälte gelagert, damit sie im
flüssigen Aggregatzustand verbleiben. Manchmal wird zusätzlich ein sogenanntes „Pressgas“ (oft:
Helium) dem Tank hinzu geführt, welches ihn unter noch mehr Druck setzt. Werden die Ventile
geöffnet, strömen die Stoffe schneller durch die Leitungen in die Brennkammer.
Zur Funktionsweise: Bitte nächste Seite mit schöner Grafik einsehen!
Die Vorteile der moderneren Flüssigkeitsraketen gegenüber Feststoffraketen sind folgende:
Der große Vorteil ist eben die Wiederzündbarkeit, da die Einspritzmenge kontrollierbar durch die
Bordelektronik ist. Brennzeiten und Schubkraft werden dadurch sehr variierbar. Das ist, wie bereits
angedeutet, wichtig für Missionen, in denen mehrere kurze Impulsmanöver nötig sind, wie zum
Beispiel bei Hohmann-Transfer- Manövern (siehe folgendes Kapitel!).
Auch ein großer Vorteil ist, dass man Testläufe am Boden durchführen kann, in denen kurz die
Verbrennung gestartet wird und die Komponenten auf ihre korrekte Betriebsfähigkeit überprüft
werden. Fehler werden so meist früh entdeckt (Testläufe gibt es bei Feststoffraketen NICHT).
Des weiteren zeichnen sich Flüssigkeitsraketen aus durch:
– die einfachere Betankung: die Treibstoffe sind flüssig, man kann die Rakete also kurz vor dem
Start betanken; dies führt zu einem praktischeren und ungefährlicherem Transport der Rakete
(Feststoffraketen müssen „startbereit“ geliefert werden).
– einem höheren spezifischen Impuls, was in der Natur der Treibstoffe liegt; das bedeutet eine
höhere Endgeschwindigkeit, somit eine größere Effizienz und eine bessere Verwendbarkeit für
schwere Nutzlasten (diese gelangen in höhere Orbits bzw. haben eine leichtere Flucht)
– umweltfreundlichere Abgase: der Großteil der Abgase ist Wasserdampf!
– eine einfachere Steuerung des Schubvektors in Größe und Richtung, vorausgesetzt die Düse ist
schwenkbar (bei den meisten Haupt und Oberstufen ist sie das)
Die meisten Nachteile wurden bereits genannt, hier noch einmal zusammengefasst:
– es sind sehr komplexe Systeme; deshalb fehleranfälliger und teurere Fertigungskosten
– sie haben oft viel weniger Schubkraft als Feststoffraketen (Ariane 5 EPC Hauptstufe: 1140 kN,
dafür ihre Feststoffbooster: 6240 kN), was ebenfalls in der Natur der Treibstoffe liegt
– letzteres führt dazu, dass ihr Einsatzbereich meist nur in den höheren Lagen bzw. nah am
Weltraum liegt; sie werden normalerweise nicht für den Start von der Erde konzipiert
– einige der Treibstoffe sind extrem leicht entzündbar und somit bei Lecks o.a. sehr gefährlich.
Zusammengefasst kann man sehen: Feststoff- und Flüssigkeitsraketen haben viele Vorteile und
Nachteile, die sich relativ gut ergänzen: viele der Schwächen des einen Konzepts, sind die Stärken
des anderen Konzepts. Die moderne Mehrstufenrakete unter der Verwendung von Feststoffboostern
und einer Flüssigkeits-Haupt- und Oberstufe bietet die beste Balance aus beiden Systemen. Hier
liegt also der Grund dafür, weshalb sich dieses heute oft verwendete Konzept so etabliert hat.
31
Flüssigkeitsantriebe gibt es aufgrund ihrer Komplexität in vielen Ausführungen, je nach dem
welche Rakete man betrachtet. Dennoch lässt sich der Weg zum Verbrennungsvorgang generell in
folgende Schritte unterteilen:
1) Öffnung der Ventile (Flüssigkeiten gelangen in die
Leitungen) und Starten der sog. Turbopumpen
2) Turbopumpen (Kreiselpumpen, angetrieben durch
Gasdruck) befördern die Stoffe unter Hochdruck in
die Brennkammer; ggf. findet davor die Leitung
durch eine doppelwändige Brennkammer statt, um
diese zu kühlen und um die Stoffe vorzuwärmen
3) Treibstoff und Oxidator werden durch
Einspritzdüsen in die Brennkammer gespritzt,
jetzt findet ggf. eine Zündung durch einen
elektrischen Zünder statt (falls nicht
selbstreagierend)
4) Die explosive Reaktion beginnt
→ Abgase strömen durch die Düse nach außen
Rechts: Schemadarstellung einer
einfacheren Flüssigkeitsrakete
anhand der A4.
Grafik stammt aus dem Buch:
„Raketen und Raumfahrt“
von Philipp Burkhalter
32
Hybridantriebe
Als letztes chemisches Antriebskonzept gilt es, den kürzlich erst realisierten Hybridantrieb zu
erwähnen, der im Zuge des Projektes „Space Ship One“ – die erste private Raumfahrtunternehmung
(2004) – das erste mal eingesetzt wurde. Wie der Name schon impliziert, handelt es sich um eine
Mischung zwischen Feststoff- und Flüssigkeitsantrieb: hierbei ist der Treibstoff fest (und ebenfalls
wie bei Feststoffantrieben in länglicher Form in der Brennkammer angeordnet), der Oxidator aber
ist flüssig in einem oberen Tank gelagert.
Die relativ einfache Funktionsweise wird kurz erklärt mithilfe der folgenden Grafik:
Brennkammer
mit TreibstoffAnordnung in
Zylinderform
Nach der Öffnung des Ventils, spritzt der unter Druck stehende Tank den Oxidator über einen
Verteiler in die Brennkammer bzw. durch die feste Treibstoffanordnung. Ein elektrischer Zünder
setzt die Reaktion in Gang, sodass der Treibstoff (wie bei einer Feststoffrakete) von innen nach
außen abbrennt, bis man die Oxidatorzufuhr unterbricht.
Hybridantriebe vereinen viele der Vorteile von Fest-/Flüssigkeitsraketen:
– Es besteht hier vor allem auch die Möglichkeit der Wiederzündung, zugleich ohne die
hohe Komplexität einer Flüssigkeitsrakete.
– ebenfalls: sie sind viel kompakter als Flüssigkeitsantriebe, da nur der Oxidator in einem externen
Tank mitgeführt wird, der Treibstoff selbst wird ja in der größeren Brennkammer gelagert.
– Sie zeichnen sich durch einen höheren spezifischen Impuls aus im Vergleich zu reinen
Feststoffraketen; es wurden Maximalwerte von 400s erreicht (!), allerdings hatte der Antrieb von
Space Ship One nur 250s.
Wie man direkt sehen kann, sind viele dieser Vorteile auch sehr attraktiv für die konventionelle
Raumfahrt. Insbesondere Oberstufen könnten in der Zukunft Hybridantriebe verwenden, da sie
bereits sehr kompakt sein müssen und der Hybridantrieb den Treibstoff kompakter lagert, als
Flüssigkeitsantriebe, zusätzlich aber auch wiederzündbar ist. Eine Ablösung der jetzigen Konzepte
oder zumindest eine Optimierung ist zu erwarten.
Rechts: Space Ship One – das erste bemannte Raumfahrzeug,
welches nicht staatlich finanziert wurde. Es gewann 2004 den
„Ansari X Price“, indem es innerhalb einer Woche zwei mal
erfolgreich in den Weltraum gestartet werden konnte.
Ein Preisgeld von 10 Millionen USD winkte für das Team um
Burt Rutan (und seine Firma „Scaled Composites“).
Links: Space Ship One getragen vom
Trägerflugzeug White Knight. Dieses
brachte SSO auf eine Höhe von
15 km. Von da an zündeten die Triebwerke
und brachten es über eine Höhe von 100km.
33
Düse
Ein zentrales Element für die Performance jeder Rakete ist die Düse. Wieso ist sie so wichtig? Um
ehrlich zu sein, habe ich anfangs auch ihre Wirkung unterschätzt, aber tatsächlich verleiht die Düse
der chemischen Rakete erst ihre hohe Ausstoßgeschwindigkeit und somit ihre Schubkraft.
Inwiefern tut sie das?
Die Größe des Düsenhalses bestimmt den Innendruck der Brennkammer. Ist dieser zu hoch, führt es
wie gesagt zur Detonation, ist er zu niedrig, folgt eine zu geringe Ausstoßgeschwindigkeit (oder ein
Erlöschen der Verbrennung). Das Düsenerweiterungsverhältnis (Quotient zwischen der Fläche des
Düsenhalses und der Fläche der Düsenmündung) bestimmt den Mündungsdruck, also den Druck
der Gase am Ende der Düse, und schließlich die Ausstoßgeschwindigkeit der Gase:
Eine sog. Lavaldüse,
welche seit der V2
und auch heute noch
bei Raketen verwendet
wird.
Der optimale Mündungsdruck der Düse entspricht dem Umgebungsdruck der Luft in der
zugehörigen Höhe, denn nur dann wird der komplette Druckabfall entlang der Düsenerweiterung
zur Beschleunigung der Gase verwendet. Ansonsten findet bei Ungleichheit des Innen- und
Außendrucks immer ein gewisser Druckausgleich statt, was zu Ungunsten der Beschleunigung
ausfällt. Aus diesem Grund versucht man grundsätzlich, das Düsenerweiterungsverhältnis einer
bestimmte Höhe (also dem Druck in dieser Höhe) anzupassen, sodass die beste Performance, also
der beste spezifische Impuls in eben dieser Höhe vorherrscht. Danach
schaltet man auf eine anders spezialisierte Stufe.
Eine häufig verwendete Form der Düse ist die Lavaldüse (oben): der
Querschnitt geht vom konvergenten nahtlos in einen divergenten Verlauf
über. Die ausströmenden Gase werden hier entlang der Düsenerweiterung
von Schall- auf Überschallgeschwindigkeit beschleunigt.
Rechts: Ein Diagramm für den Verlauf von Ausstoßgeschwindigkeit,
Temperatur und Druck in einer Lavaldüse. In der Düsenverengung herscht
Unterschall-, im Düsenhals Schall und in der Düsenerweiterung
Überschallgeschwindigkeit. Der Druck sinkt währenddessen rapide.
34
Neben den traditionellen chemischen Antrieben gibt es noch elektrische Antriebssysteme, die
hauptsächlich einen anderen Zweck erfüllen. Sie zeichnen sich durch ihre sehr viel höhere Effizienz
(60-80%) aus, denn sie benötigen keine Unmengen an Treibstoff und erreichen trotzdem eine
höhere Endgeschwindigkeit als es ein chemisches Antriebssystem gleicher Masse tun würde.
Folgende Darstellung stammt aus dem Scientific American (Spektrum der Wissenschaft):
Der Ionenantrieb
Sie verwenden meist Edelgase (oft Xenon) als Treibstoff, ionisieren es – das Treibstoffgas wird in
der sog. „Entladungskammer“ (Pendant zur Brennkammer) mit Elektronen bombardiert und
ionisiert – mit elektrischer Energie von der Sonne, welche durch Solarzellen in den Panels
gewonnen wird und beschleunigen dieses (je nachdem) durch ein elektrisches Feld oder ein
magnetisches Feld. Beim elektrostatischen Fall diffundieren die Ionen durch die Entladungskammer
zwischen ein positives und ein negatives „Beschleunigungsgitter“. Im elektrischen Feld zwischen
den Grids werden die Ionen durch tausende von Volt beschleunigt. Man spricht daher oft von
Ionenantrieben. Diese Ionen treiben die Sonde auf gleiche Art mit dem Rückstoßprinzip an. Ein
neutralisierender Elektronenstrahl wird in das ausgestoßene Plasma gelenkt, sodass es insgesamt
wieder neutral wird. Ansonsten würde sich das Raumfahrzeug elektrostatisch aufladen, was dazu
führt, dass (durch Diffusion) die Ionen zurückströmen. Es würde sich eine Plasma-Wolke um das
Raumfahrzeug bilden, wodurch ein Großteil der Ausstoßgeschwindigkeit verloren ginge.
Der große Nachteil ist, dass, obwohl der I sp und somit die Ausstoßgeschwindigkeit sehr hoch sind
( I sp liegt im Minimum ca. bei 3000s!), die Schubkraft extrem gering ausfällt (es sind schließlich
nur Ionen und Elektronen...). Die Schubkraft ist meist vergleichbar mit der Gewichtskraft einer
35
Postkarte auf der Erde, also im Millinewton-Bereich.
Ein Start von der Erde wäre damit natürlich nicht möglich (diese Systeme funktionieren bis jetzt nur
sinnvoll im Vakuum). Der Grund dafür ist die sehr lange Brenndauer dieser Systeme.
Nochmals der Zusammenhang:
I sp⋅g⋅mt
F schub⋅t Brenn
F schub =
→ v e= I sp⋅g=
→ Brenndauer – sehr groß; Schubkraft → sehr klein
t Brenn
mt
Wofür die chemischen Raketenantriebe nur einige Minuten brauchen, laufen Ionenantriebe über
mehre Monate/Jahre lang und das eben mit einem konstanten, kleinen Schub. Das Raumfahrzeug
erfährt also eine konstante Beschleunigung über seine Mission hinweg.
Ionenantriebe werden aufgrund ihrer Eigenschaften mehr und mehr bei Raumsonden
(siehe: Deep Space 1) eingesetzt, aber ihre Entwicklung steht noch am Anfang. In der Zukunft
sollen Ionenantriebe mit Kernreaktoren betrieben werden, welche die Betriebsfähigkeit auch im
äußeren Sonnensystem garantiert (wo das Licht der Sonne schwach ist, Solarpanels also sehr
uneffektiv sind). Vor allem aber, sollen elektrische Systeme mit hoher Schubkraft realisiert werden,
bzw. Systeme, die zwischen hohem spezifischen Impuls – niedriger Schubkraft und niedrigem
spezifischen Impuls – hoher Schubkraft variieren können (siehe dazu: VASIMR).
Ein erster Test dieser Systeme ist 2015 auf der ISS geplant.
Sehen wir, was uns die Forschung in den nächsten Jahren alles bringt...
Links: NASA Sonde Dawn,
welche 2011 im Asteroiden Gürtel
angekommen ist, hat bis September
2012 den Asteroiden Vesta umkreist
und befindet sich nun bis 2015 auf
dem Weg zum Zwergplaneten Ceres.
Dawn verwedet drei NSTAR
Ionenantriebe, welche schon bei
Deep Space 1 verwendet wurden.
(künstl. Darstellung)
NSTAR – der erste eingesetzte
Ionenantrieb mit einer Leistung
von 2,3 kW.
Testlauf eines Prototyps des VASIMR-Antriebs.
2015 soll es auf der ISS zur Beschleunigung
der Raumstation ausprobiert werden.
Leistung: 200 kW (!)
Spezifischer Impuls: 5000s (!)
36
Kapitel 3: Raumflugmechanik
3.1 Hohmann-Transfer-Orbits
1925 veröffentliche Walter Hohmann in seinem Buch „Die Erreichbarkeit der Himmelskörper“
die erste physikalisch hergeleitete und mathematisch bewiesene Methode, zu anderen
Himmelskörpern zu gelangen: die Hohmann-Transfer-Bahnen. Es ist heute immer noch das
meistverwendete Orbital-Manöver in der Raumfahrt.
Ein Hohmann-Transfer-Orbit (HTO) ist eine elliptische Bahn welche eine Übergangsbahn zwischen
zwei Kreisorbits unterschiedlicher Radien (aber auf gleicher Ebene) schafft und idealerweise der
energetisch günstigste Übergang ist. Dazu soll eine tangentiale Berührung beider Kreisorbits, also
des Ausgangs- und des Endorbits, erreicht werden. Zwei sogenannte „Kick-burns“ – jeweils ein
starkes Impulsmanöver am Ausgangsorbit und am Endorbit – leiten dabei die Übergange zwischen
Kreisorbit und HTO ein. Dafür werden chemische Raketenantriebe gebraucht.
Wann wird dieses Orbital-Manöver eingesetzt? Generell gibt es zwei Anwendungsfälle:
1) Das Verlassen eines „Low Earth Orbits“ in einen „Geostationary Earth Orbit“ für Erdsatelliten.
2) Das Verlassen der Erdumlaufbahn zum Mond, Mars oder zur Venus (kurz vor dem Erreichen der
Oppositionsstellung beider Planeten) für Raumsonden.
Im Folgenden werden wir letzteren Fall betrachten, da es hier schließlich um Raumsonden, also
interplanetare Missionen geht. Das Prinzip ist jedoch in beiden Fällen gleich, sogar eigentlich
schwieriger bei den interplanetaren Missionen.
Mit welchen Modellvorstellungen dürfen wir arbeiten? Um physikalische Probleme sinnvoll
mathematisieren zu können muss man (vor allem in unserem Fall) vereinfachende Annahmen
machen. Folgende Bedingungen für einen Hohmann Transfer gelten als gegeben in unseren
Berechnungen:
1. Die Sonne und die Planeten sind Punktmassen und Gravitationsfelder sind radial → Newtonsche
M p⋅ms / c
Gravitation! Also: F grav =G⋅
2
r
2. Die beiden Impulsmanöver werden als unmittelbar angesehen, d.h. die Zeit, die beim Boost
vergeht, ist minimal (verschwindend gering).
3. Orbits gelten als kreisförmig und komplanar (auf gleicher Ebene)
4. Einflüsse anderer Gravitationsfelder (von anderen Planeten/Monden!) werden ignoriert!
Bedingung 1. und 2. implizieren, dass die Bewegung der Raumsonde den Keplergesetzen unterliegt,
da die Masse der Sonde im Vergleich zur Zentralmasse (Sonne) verschwindend gering ist
– Bewegungen um ein Baryzentrum können vernachlässigt werden –, das heißt der Orbit der Sonde
ist elliptisch (→ Kegelschnitt, Kepler) und die sogenannte Vis-Visa Gleichung gilt.
Erläuterungen zur Vis-Viva-Gleichung:
Vis-Viva, latein für „lebendige Kraft“.
Die Vis-Viva-Gleichung resultiert direkt aus dem Energieerhaltungssatz. Das ist an dieser Stelle
sehr wichtig für das Grundverständnis der Astrodynamik: die absolute Summe der Energien
(kinetische und potentielle Energie von Raumsonde und Sonne) bleibt entlang des ganzen Orbits
konserviert. Auf einem elliptischen Orbit bedeutet das: Je weiter die Sonde an der Zentralmasse
(Brennpunkt 1) ist, desto größer ist die kinetische Energie und desto kleiner ist die potentielle
Energie. Sobald sie sich von der Zentralmasse entfernt, nimmt die kinetische Energie ab und geht
stattdessen über in die potentielle Energie. Am Perihel ist E kin maximal und E pot minimal.
37
Am Aphel ist das andersherum: das größte E pot ist erreicht, E kin ist minimal.
Die folgenden Grafik visualisiert das vielleicht besser:
max. E(kin)
min. E(pot)
r min
r max
E(ges) = E(kin)-E(pot) = konstant
max. E(pot)
min. E(kin)
Die Vis-Viva-Gleichung gibt die Abhängigkeit zwischen der Geschwindigkeit v der Sonde und
der Distanz r zur Zentralmasse an. Man kann damit also die Geschwindigkeit an irgend einem
Punkt auf einem bestimmten Orbit bestimmten
2 1
v= µ⋅( − )
r a
√
Dabei ist µ der Standard-Gravitationsparameter der Zentralmasse ( G⋅M =µ ) und a die
r +r
große Halbachse. Diese lässt sich unter anderem so berechnen: a= p a , also der Mittelwert
2
zwischen dem Aphel und dem Perihel der Transferellipse.
Auf die Herleitung bzw. den Beweis der Vis-Visa-Gleichung verzichte ich hier. Diese kann man in
vielen Lehrbüchern nachlesen, denn sie ist eine der fundamentalen Grundgleichungen der
Himmelsmechanik.
Es gilt zu beachten, dass wir in unserem Fall die Vis-Visa-Gleichung stets so anwenden, dass wir
die Masse des umlaufenden Körpers (Sonde) vernachlässigen (und damit auch eine Bewegung um
ein Baryzentrum und Relativgeschwindigkeiten). Das funktioniert nur deswegen, weil die reduzierte
Masse in diesem Fall ziemlich genau der Probemasse entspricht und letztendlich die Näherung
G⋅(M +m)≈G⋅M =µ erst möglich macht.
Unter anderen Umständen – wenn die Masse des umlaufenden Körpers gegenüber der Zentralmasse
nicht vernachlässigbar ist – muss man die reduzierte Masse und die Relativgeschwindigkeiten
beider Körper zueinander verwenden, um aus dem Zweikörperproblem ein Einkörperproblem zu
machen. Dann würde die Vis-Viva-Gleichung diese Form annehmen:
2 1
v= G⋅(m+M )⋅( − )
r a
Man erhält wie gesagt hier die Relativgeschwindigkeit der beiden Körper zueinander.
Im übrigen impliziert die Gültigkeit der Vis-Viva-Gleichung auch die Drehimpulserhaltung.
√
Diskussion der Annahmen:
Wie korrekt oder gerechtfertigt sind diese Annahmen? Das kommt natürlich ganz darauf an, wie
genau unsere Berechnungen sein sollen und wie viele Fehler wir zulassen. Natürlich gibt es für das
Gravitationsfeld der Erde genauere Modelle, denn sie ist ja schließlich keine perfekte Punktmasse
(nicht perfekt kugelsymmetrisch und keine homogene Dichteverteilung). Wenn man vom Start der
Rakete bis hin zur Flucht absieht und nur den Transferorbit betrachtet, dann ist in unserem Fall die
38
Sonne die relevante Zentralmasse und für diese trifft diese Annahme schon besser zu.
Die Zeit, die chemische Raketenantriebe in Anspruch nehmen, um ihren kompletten Schub zu
entfachen, liegt ungefähr zwischen Sekunden und Minuten – im Vergleich zu einer monatelangen
„Reisezeit“ vernachlässigbar gering (der Winkel der dabei zurückgelegt wird, ist unglaublich klein
im Vergleich zum ganzen Orbit). Man kann also wirklich von einer unmittelbaren Impulserhöhung
ausgehen.
Am problematischsten in der Realität ist mit Abstand die Annahme, dass die Orbits kreisförmig und
auf einer Ebene sind – das sind sie nämlich nicht. Mit Ausnahme der Venus, die schon einen sehr
kreisförmigen Orbit hat, haben alle Planeten einen relativ elliptischen Orbit. Der Mars z.B. hat
einen stark elliptischen Orbit, sodass die Entfernung zur Sonne zwischen 1,38AE und 1,67 AE
schwankt! Der Orbit hat eine numerische Exzentrizität von 0,0935 (hingegen der Erd-Orbit mit nur
0,0167 ist relativ kreisrund). Der Jupiter-Orbit hat eine Exzentrizität von 0,0484 und der MerkurOrbit sogar eine von 0,2056, somit der elliptischste Orbit. Zum Erreichen der anderen Planeten
verwendet man keinen Hohmann-Transfer-Orbits, weil das schlicht mit den heutigen Mitteln der
chemischen Triebwerke nicht möglich ist, bzw. viel zu lange dauern würde (die äußeren Planeten
wurden allesamt durch Gravity Assists-Manöver erreicht).
An dieser Stelle wird es Zeit, dass wir das ganze mehr quantitativ angehen – so wie es meine Art ist.
Physikalische Untersuchung eines Hohmann-Transfer-Manövers:
Wie läuft ein Hohmann-Transfer zum Mars ab? Wie berechnet man die nötigen Impulsmanöver?
Mit der folgenden Grafik werde ich nochmals die einzelnen Phasen eines Hohmann-Transfers
erläutern:
v k = Kreisbahngeschwindigkeit
v a = Geschwindigkeit im Aphel
Δ v 1 = Geschwindigkeitszugewinn
durch erstes Impulsmanöver
Δ v 2 = Geschwindigkeitszugewinn
durch zweites Impulsmanöver
r p = Perihel-Distanz
r a = Aphel-Distanz
vk
Für das Beispiel eines HTO zum Mars
sieht es folgendermaßen aus:
Die Raumsonde befindet sich erst in
dem niedrigeren Kreis-Orbit (1) (OrbitErde-Sonne) und bewegt sich mit der
Umlaufgeschwindigkeit der Erde:
µ
v k=
≈29,8 km/s
rp
Nun wartet man auf das richtige Startfenster und startet das erste Impulsmanöver. Die Richtung von
Δ v⃗1 muss parallel zu v⃗k sein, d.h. tangential zum Orbit. Innerhalb kürzester Zeit hat die
Raumsonde die Gesamtgeschwindigkeit v k +Δ v 1 und nimmt somit ihre Reise entlang eines
√
39
elliptischen Hohmann-Transfer-Orbits auf (2). Auf dem Weg zum Aphel setzt sich die kinetische
Energie in potentielle Energie um, sodass die Sonde am Aphel nur noch die kleinere
Geschwindigkeit v a hat. Würde man nun nichts tun, dann würde die Sonde einfach wieder zum
Ausgangsorbit „zurückfallen“ und ständig in dem elliptischen Orbit weiter kreisen. Aus diesem
Grund muss man hier auch das zweite Impulsmanöver starten, welches einen weiteren
Geschwindigkeitsschub Δ v 2 liefert. Dieser muss innerhalb kürzester Zeit so viel Geschwindigkeit
liefern, dass die Gesamtgeschwindigkeit v a +Δ v 2 dann der Umlaufgeschwindigkeit des Mars
entspricht (ca. 24,13 km/s). Auf diese Weise setzt die Raumsonde ihre Mission auf der Kreisbahn
des Mars fort (3) und kann nach der Annäherung z.B. einfacher in die Atmosphäre hineintreten
(weil ca. gleiche Geschwindigkeit wie der Planet).
Was macht einen HTO zum energetisch günstigsten Übergang?
Der HTO ist eine Ellipse, welche genau in ihrem Perihel und Aphel den Ausgangs- und den
Zielorbit berührt. Weshalb ist dies energetisch am günstigsten? Man muss sich einfach nur
überlegen: um von einem kleineren Kreis-Orbit zu einem größere Kreis-Orbit zu gelangen, braucht
man kinetische Energie. Diese zusätzliche kinetische Energie macht es erst möglich, aus dem
anfänglichen Kreis-Orbit einen elliptischen Orbit zu machen, der dann im Aphel eventuell den
größeren Kreis-Orbit erreichen kann. Je mehr zusätzliche kinetische Energie, desto höher ist das
Potential welches im Aphel erreicht wird (→ Energieerhaltung!). Nun will man natürlich mit dem
kleinst-möglichen Aufwand das Ziel erreichen, sprich: so wenig Treibstoff verwenden wie es geht,
aber trotzdem den Zielorbit (dieses Potential) erreichen.
Das durch das erste Impulsmanöver erzeugte Δ v 1 darf nicht zu groß oder zu klein sein – es würde
dazu führen, dass das Aphel außerhalb des Zielorbits liegt und die Raumsonde über den Zielorbit
hinausschießt (man hätte zu viel Treibstoff verwendet und müsste dann wieder Treibstoff
verwenden, um die Sonde abzubremsen, vor allem, wenn ein Eintritt in die Atmosphäre oder ein
Orbiting des Zielplaneten geplant ist!) bzw. dass die Sonde den Zielorbit erst gar nicht erreicht.
Δ v 1 sollte idealerweise genau passend gewählt werden, sodass das Aphel direkt auf dem
Zielorbit liegt.
Mathematische Herleitung eines HTO:
Wir gehen zunächst davon aus, dass die Sonde in der Lage war, die „Parkbahn“ (den LEO) mit
einem parabelförmigen Orbital-Manöver zu verlassen und die Erdbahn erreicht wurde. Die Sonde
bewegt sich nun also mit der Umlaufgeschwindigkeit der Erde v k um die Sonne (Geschwindikeit
gegenüber der Erde ist 0). Wie berechnet man nun das nötige Δ v 1 , das zum Erreichen des
gewünschten Aphels r a (Mars-Orbit-Distanz) nötig ist?
Um das herzuleiten, muss man die ganze Sache von einem anderen Blickwinkel betrachten: Im dem
Moment, in dem das erste Impulsmanöver beendet ist, hat die Sonde die Gesamtgeschwindigkeit
v k +Δ v 1 , welche nun gleichzusetzen ist mit der Geschwindigkeit, die ein Körper im Perihel der
angestrebten Transferellipse erreicht (man muss davon ausgehen, dass die Sonde sich nach dem
Impulsmanöver immer noch im Perihel befindet, deswegen ist die Dauer des Impulsmanövers
möglichst klein zu halten). Durch die Gültigkeit der Vis-Viva-Gleichung kann man die
Geschwindigkeit an jedem Punkt eines elliptischen Orbits berechnen. Aus diesem Grund kann man
den Sachverhalt so angeben:
2 1
Vis  Viva : v  µ    
r a
Kreisbahngeschwindigkeit : vk 
µ
rp
 2 1
r r
 Perihel  Geschwindigkeit : vk  v1  µ     mit a  p a
r

2
 p a
40
Weiterhin kann man folgendermaßen vereinfachen:
2
2 

 Boost  Geschwindigkeit : v1  µ 

v
r r r  k
p
a 
 p
rp  ra
r
Zwischenschritt : rp  x  rp  ra  x 
 1  a ( gemeinsamer Nenner )
rp
rp
  r 

 2  1  a 




rp 
2 
also : v1  µ   

  vk
r

r
r

r
 p a
p
a 




  r 

ra 

 2  1  a   2 
2



  rp 



r
2ra
p 


  vk
 µ
 vk  µ 
  vk  µ  





rp  ra
r r


 rp  ra  rp 
 p a







2ra
µ

rp  ra  rp  vk 
 letztendlich : v1 
2ra
rp  ra   vk  vk
µ
rp
 2r

 r

a

 1 bzw. vk   a  1
 rp  ra

 a



Wie man sieht, deckt sich unsere Herleitung mit dem, was in etlichen Formelsammlungen steht.
Mit dem Geschwindigkeitsschub von Δ v 1 kommt man also bis zu einer Aphel-Distanz von r a ,
wo die Sonde (nach der Bewältigung von dem höheren Potenzial) weniger kinetische Energie, also
nur noch die Geschwindigkeit v a hat. Nun muss hier der zweite Geschwindigkeitsschub Δ v 2
gestartet werden. Wie sich Δ v 2 berechnen lässt, ist ähnlich wie oben:
Wir wissen, dass die Sonde eine Aphel-Geschwindigkeit v a besitzt (die einfach wieder mit der
Vis-Viva-Gleichung berechenbar ist) und dass die Gesamtgeschwindigkeit nach dem Boost
( v a +Δ v 2 ) der Umlaufgeschwindigkeit des Mars v k , m entsprechen muss. Es gilt also:
 2 1
Aphel  Geschwindigkeit : va  µ     Bedingung : va  v2  vk ,m
 ra a 
 2 1
also : µ      v2  vk ,m  2.Boost : v2 
 ra a 
 2 1
µ
 µ    
ra
 ra a 
41
 2 1
da : µ     
 ra a 
 v 2 
2rp
ra  rp

µ
(vgl. oben)
ra
2rp
µ
µ



ra
ra  rp
ra
µ
ra

2rp
 1 

ra  rp




 bzw. v  1  rp 
k ,m


a 


Was sich wieder mit der Literaturformel deckt.
Nun, setzen wir einige Werte ein!
Die relevanten Werte für Erd- bzw. Mars-Orbit sind:
6
6
µ=1,32712⋅10 11 km3 / s−2 , r p=149,6⋅10 km , r a=228⋅10 km( große HA des Mars−Orbits)
Man erhält somit:
Δ v 1=29,78 km/s⋅0,09891=2,946 km/s und Δ v 2=24,13 km/ s⋅0,109837=2,65 km/s ,
insgesamt also ein benötigtes Δ v ges von 5,596 km/s für einen Hohmann-Transfer von der
Erdumlaufbahn zur Marsumlaufbahn.
Untersuchung der Endgleichungen:
Wollen wir doch mal die Gleichungen von Δ v 1 und Δ v 2 genauer unter die Lupe nehmen:
Da wir die Perihel-Distanz in jedem Fall gegeben haben (unser Ausgangsorbit), sowie auch die
Zentralmasse (Erde für GEO-Transfers und Sonne für interplanetare Transfers), kommt nur die
Aphel-Distanz r a als wirkliche Variable in Frage. Folglich sehen die Gleichungen so aus:
 2r

2rp
µ 
a
 Funktion : vges (ra )  v1  v2  vk  
 1 
 1
 rp  ra

ra 
ra  rp






Einige interessante Eigenschaften der Funktion:
1) Wenn r a → ∞ , dann tendiert Δ v 1 → v k⋅( √ 2−1).
Dies ist eigentlich trivial, wenn man den Bezug zur Fluchtgeschwindigkeit sieht: Wenn die Sonde
vom Gravitationsfeld der Zentralmasse fliehen will (→ Aphel liegt somit im Unendlichen), dann
muss die Sonde genau √ 2⋅v k (also 1,414-mal die Kreisbahngeschwindigkeit) erreichen. Δ v 1 ist
hier genau diese Differenz (41,4% von v k ) an Geschwindigkeit die nötig ist, um von Kreisbahnauf Fluchtgeschwindigkeit zu kommen.
µ
Gleichzeitig tendiert Δ v 2 → 0 (denn ∞ → 0 ), was auch leicht zu verstehen ist: in der
Unendlichkeit ist die Sonde unbeeinflusst vom Gravitationsfeld der Zentralmasse und muss sich
somit auch keiner Umlaufgeschwindigkeit anpassen – Probemassen umlaufen die Zentralmasse ja
dann nicht mehr.
√
2) Maximum bei r a=15,58⋅r p
Die Funktion besitzt aufgrund von der Funktion Δ v 2 ein Maximum (diese hat nämlich auch ein
Maximum). Bei diesem Maximum handelt es sich also um den Punkt, an dem am meisten Δ v für
einen Hohmann-Transfer benötigt wird. Δ v max liegt dabei immer bei 53,626 %⋅v k und das bei
einer zu erreichenden Aphel-Distanz von 15,58-maliger Perihel-Distanz.
Nach diesem Punkt geht der Δ v - Verbrauch wieder runter bis zum Wert 0,414 %⋅v k .
Auf einen detaillierten Beweis verzichte ich an dieser Stelle, da es schlicht zu lange dauert, die
obige Gleichung zu differenzieren. Allerdings sollen folgende Grafiken den Sachverhalt darlegen:
42
Beide Grafiken beinhalten Funktionen von Δ v ges (r a) mit unterschiedlichen Ausgangsorbits
(unterschiedliche r p ) und Zentralmassen (unterschiedliche µ). x-Achse: r a , y-Achse: Δ v ges
Links:
1) rot: HTO von einem Erdorbit (r p=149,6⋅106 km ; µ=1,327144⋅1011 km3 /s 2 )
Umlaufgeschwindigkeit: 29,7847 km/s
9
2,331⋅10 km
15,9722 km/s
9
=15,58 ;
=0,53626
Maximum (2,331⋅10 km | 15,9722 km/ s) →
6
29,7847 km/s
149,6⋅10 km
2) blau: HTO von einem Venusorbit (r p=108,16⋅106 km ; µ=1,327144⋅1011 km3 /s 2 )
Umlaufgeschwindigkeit: 35,0286 km/s
9
1,685⋅10 km
18,7844 km/ s
=15,58 ;
=0,53626
Maximum (1,685⋅109 km | 18,7844 km/ s) →
6
35,0286 km/ s
108,16⋅10 km
Rechts:
grün: HTO von einem Low-Earth-Orbit (300 km Flughöhe, r p=6678 km ; µ=398,6⋅10 3 km3 /s 2 )
Umlaufgeschwindigkeit: 7,7256 km/s
104054,71 km
4,143 km/s
=15,58 ;
=0,53626
Maximum (104054,71 km | 4,143 km/ s) →
6678 km
7,7258 km/s
Überall also, unabhängig von der Perihel-Distanz und der Zentralmasse, herrschen im Maximum
Δ v max
ra
die gleichen Verhältnisse
bzw.
. Da bei dieser Distanz das größte Δ v verbraucht
vk
rp
wird, spricht man vom „worst-case-scenario“.
Transfer zu inneren Planeten:
Was passiert, wenn man zu den inneren Planeten will? Schließlich gibt es ja genug Missionen, die
z.B. zur Venus starten – aus unterschiedlichsten Gründen: nicht ausschließlich Venus-Missionen,
sondern auch Missionen wie Cassini-Huygens/Voyager/Rosetta, die einen Gravity Assist an der
Venus durchführen mussten für den weiteren Verlauf ihrer Mission.
Tatsächlich wird die Venus ebenfalls durch Hohmann-Transfer-Manöver erreicht. Kepler-Bahnen
sind aufgrund der Vis-Viva-Gleichung natürlich „umkehrbar“, das heißt, dass man durch eine
Transferellipse genau so gut von einem größeren Orbit zu einem kleineren Orbit gelangen kann.
Dazu muss die Sonde langsamer werden, als die Kreisbahngeschwindigkeit des Ausgangsorbits, auf
dem sie sich zu Beginn befindet. Für einen Venus-Transfer muss sie also langsamer als die
43
Umlaufgeschwindigkeit der Erde werden, damit eine Transferellipse geflogen werden kann, dessen
Perihel (im Bezug zur Zentralmasse, der Sonne) auf der Umlaufbahn der Venus liegt. Um das zu
erreichen, müssen einfach alle Impulsmanöver (also Δ v 1 und Δ v 2 ), die von Nöten wären,
wenn man umgekehrt einen Hohmann-Transfer von der Venusumlaufbahn zur Erdumlaufbahn
fliegen müsste, entgegengesetzt der Flugrichtung der Sonde gerichtet werden. Der Verbrauch an
Δ v (→ Treibstoff) bleibt somit in beiden Fällen gleich: im einen Fall wird der Treibstoff dazu
verwendet, die Sonde zu beschleunigen, im anderen Fall (Erde zu Venus) wird er dazu verwendet,
die Sonde im Aphel und Perihel abzubremsen. Folgende Grafik verdeutlicht dies:
Dabei muss gelten:
v k −Δ v 1=v a
v p−Δ v 2=v k ,Venus
Wobei sich jeweils die Geschwindigkeiten alle
nach dem selben Prinzip wie oben, durch VisViva-Gleichung berechnen lassen.
Für den Venus-Transfer ergibt sich:
Δ v 2 = 2,71 km/s
Δ v 1 = 2,50 km/s
Δ v ges = 5,21 km/s
Bei einem Transfer zu den inneren Planeten wird die Sonde natürlich auch direkt entgegen der
Bewegungsrichtung der Erde aus dem „Sphere of Influence“ der Erde (sphärischer Raumbereich, in
dem die Gravitation der Erde signifikant wirkt → „Gravisphäre“) fliehen. Der Grund ist, dass dabei
die überschüssige Geschwindigkeit (die nach der Flucht übrig bleibt), die idealerweise genau den
Wert Δ v 1 hat, dann direkt in die richtige Richtung zeigt.
Überschüssige Geschwindigkeit nach der Flucht? Jawohl, die Katze ist aus dem Sack. In der
Realität geht man nämlich nie so vor, wie wir zuvor im Punkt „Mathematische Herleitung eines
HTO“ vereinfachender-weise angenommen haben, dass man:
- erst die Antriebe in einem LEO zündet, um den SOI des Planeten mit einer parabelförmigen Flucht
zu verlassen, die dazu führt, dass die Sonde in der Unendlichkeit eine Geschwindigkeit von 0 im
Bezug zur Erde hat ( Δ v flucht =( √ 2−1)⋅7,8 km/ s=3,23 km/ s bei einem LEO von 200 km Höhe)
- dann in „sicherer Entfernung zur Erde“ das erste Impulsmanöver Δ v 1 durchführt, um in den
gewünschten HTO zu starten.
So eine Vorgehensweise wäre überhaupt nicht klug und erst gar nicht eine optimierte Nutzung des
ΔV-Budgets. Warum? Finden wir es heraus...
Optimierte Nutzung des ΔV-Budgets unter der Betrachtung des Oberth Effektes
Wenn wir wieder das Beispiel eines Mars-Transfers nehmen, bräuchte man mit dem oben
beschriebenen Weg Δ v flucht +Δ v 1=3,23 km/ s+2,95 km/ s=6,18 km/s um überhaupt zum Mars zu
gelangen – ganz zu schweigen davon, dass beim Erreichen des Mars' noch weitere Manöver
erforderlich sein werden, die Δ v kosten (z.B. für Landung/Orbiting etc.). Wie man sieht, führt
das zu sehr viel Treibstoff, der benötigt werden würde.
44
Es gibt allerdings eine sehr entscheidende Vorgehensweise, wie man sich eine Menge Δ v sparen
kann und trotzdem mit dem selben Hohmann-Transfer zum Mars gelangt. Die Behauptung lautet:
„Wenn man direkt im LEO ein Impulsmanöver initiiert, welches ein Δ V von 3,62 km/s erzeugt,
dann hat man beim Verlassen des SOI eine Restgeschwindigkeit von 2,95 km/s und kann somit
direkt mit dieser Geschwindigkeit in den Hohmann-Transfer starten.“
Dies trifft in der Tat zu. Man hat somit ein Δ v von 6,18 km−3,62 km=2,56 km/s gespart!
Aber wie funktioniert es?
Man benutzt hier die Tatsache, dass eine Zündung eines Raketenantriebes bei hoher
Geschwindigkeit deutlich mehr kinetische Energie bringt, als bei niedriger Geschwindigkeit (oder
bei 0 in dem anderen Fall) – und das obwohl (chemische) Raketenantriebe immer das gleiche Δ v
leisten, da ihre Kraft die gleiche bleibt.
Das klingt zwar zunächst komisch, ist aber einfach zu verstehen: Bei der Zündung in (hoher)
Grundgeschwindigkeit V g addiert sich Δ v zu dieser Geschwindigkeit. Für die spezifische
kinetische Energie ergibt sich:
1
1
1
2
2
2
ϵ= ⋅(V g +Δ v ) = ⋅(V g ) +V g⋅Δ v+ ⋅( Δ v )
2
2
2
Diese ist also um V g⋅Δ v größer als die zusammenaddierten spezifischen Energien – wenn man
beide Geschwindigkeiten nur einzeln betrachtet, sprich: wenn man z.B. zuerst die
Grundgeschwindigkeit (und dessen spezifische kinetische Energie 0,5⋅(V g )2 ) betrachtet, diese
durch Überwindung von Potenzialen auf 0 sinkt (während der Flucht) und dann erst den
Geschwindigkeitsschub (d.h. den spezifischen Energiegewinn von 0,5⋅(Δ v) 2 ) durch den Antrieb
in Gang setzt.
Dieses Phänomen ist bekannt unter dem sogenannten Oberth Effekt.
Auf jeden keplerschen Orbit bezogen (parabolisch, hyperbolisch, elliptisch) ist es also am
effektivsten, das Impulsmanöver im Perihel/in der Periapsis einzuleiten (dort ist ϵ kin und somit die
Geschwindigkeit am größten).
Nun zurück zu unserem Beispiel:
Man braucht eine ϵ kin von 0,5⋅(11,03 km/ s)2=60,84 J / kg um aus dem SOI der Erde zu fliehen.
2
Das stärkere Impulsmanöver bringt insgesamt 0,5⋅(7,8 km/ s+3,62 km/ s) =65,21 J / kg mit sich,
d.h. es bleibt Δ ϵ kin=4,37 J /kg übrig. Dies ist also die spezifische kinetische Energie, die der
Sonde bleibt, nachdem der SOI der Erde verlassen ist. Die zugehörige Geschwindigkeit ist:
√ 2⋅4,37 km2 / s 2=2,956 km/ s also in der Tat so viel, wie für einen Hohmann-Transfer zum Mars
benötigt ist!
Diese Geschwindigkeit nennt man hyperbolische Übergeschwindigkeit („Hyperbolic excess
velocity“) und wird mit v ∞ angegeben. Wie der Name impliziert, handelt es sich bei der
Fluchtbahn (zuvor: Parabel) nun um eine Hyperbel (→ v ∞ >0 )
Notiz am Rande: In der Raumfahrt verwendet man während der Planung von interplanetaren
Missionen oft die charakteristische Energie („characteristic energy“) C 3 , was das Quadrat von
v ∞ ist, also der doppelte Wert von Δ ϵ kin . Es gilt die Formel (von Vis-Viva abgeleitet):
µ
für Hyperbeln, C 3=0 für Parabeln und es ist undefiniert für elliptische Orbits.
C 3=
a
Herleitung einer allgemeine Lösung:
Da wir ja nun schon so weit gekommen sind, können wir uns um eine allgemeine Lösung dieser
Fragestellung kümmern. Gesucht ist eine Funktion, die die hyperbolische Übergeschwindigkeit
v ∞ in Abhängigkeit von Δ V (bezogen auf den Geschwindigkeitsschub direkt im LEO) angibt.
45
Im folgenden die Herleitung:
Wir haben somit die Funktion C 3 (Δ V ) bzw. v ∞ (Δ V ) . Die Kreisbahngeschwindigkeit v k um
die jeweilige Zentralmasse ist die einzige Konstante, die den Verlauf der Funktion bestimmt.
Für v k =7,8 km /s (Erde, LEO von ca. 200 km Höhe) sieht der Graph v ∞ (Δ V ) folgendermaßen
aus:
Die Nullstelle der Funktion liegt bei v k⋅( √ 2−1) → ist Δ V gerade groß genug für eine Flucht,
so gibt es keine Übergeschwindigkeit.
Man bemerkt: Die Steigung ist für kleine Werte von Δ V sehr groß, was bedeutet, dass, wenn auch
nur in geringen Maßen mehr Δ V einsetzt wird, als es die Fluchtgeschwindigkeit fordert, trotzdem
bereits eine sehr hohe hyperbolische Übergeschwindigkeit zu Stande kommt.
Man erreicht also, wenn man nahe am Planeten bei hoher Geschwindigkeit zündet, mit wenig
Treibstoff viel v ∞ bzw. Δ v 1 für den Hohmann-Transfer. Eine Win-Win-Situation also.
46
Zu beachten sind noch folgende zwei Aspekte:
Abschusswinkel
Da es sich nun bei der Fluchtbahn um eine Hyperbel handelt, muss man dafür sorgen, dass die
Asymptote der Fluchthyperbel tangential zum Planetenorbit bzw. zum HTO verläuft. Für die
optimierte Nutzung von v ∞ ist das sehr wichtig – es soll ja keine Komponente der
Geschwindigkeit verloren gehen (sprich: nicht in Orbitrichtung bzw. HTO-Richtung zeigen).
Folgende Grafik veranschaulicht:
Sonde in
Periapsis
→ Zündung!
LEO
Δ V⃗
δ
Asymptote
Planetenorbit
Fluchthyperbel
Für den Abschusswinkel δ (Winkel zwischen Asymptote und Richtungsvektor der Sonde in der
Periapsis → Moment der Zündung; Asymptote ist parallel zur Tangente des Orbits) gilt:

 




arcsin
sin  
→
   r v 2  (Herleitung siehe Kapitel: Gravity Assists)
  rp v2
p  

Dabei ist für die Periapsis r p die Höhe des LEO einzusetzen. Für den Mars-Transfer beträgt δ
398600


ca.   arcsin
  60,98 .
2
 398600  6578  2,95 
Man muss während der Mission dementsprechend im richtigen Moment (am richtigen Ort auf dem
Orbit) das Impulsmanöver Δ V einleiten.
Zuletzt: Startfenster
Bei der Planung von interplanetaren Missionen gibt es fast nichts wichtigeres, als das richtige
Startfenster NICHT zu verpassen. Als Startfenster bezeichnet man einen zeitlichen Abstand, in dem
die Planeten, die Erde (ggf. auch der Mond) genau richtig zueinander für die berechnete – bzw.
47
nach den verfügbaren Mitteln mögliche – Mission steht. Es ist relativ trivial: Planeten bewegen sich
mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und stehen immer wieder anders zueinander. Man kann
eine Raumsonde nicht jederzeit auf eine Mission schicken – wenn eine Orbiter Mission zum Mars
geplant ist, dieser aber nicht in Reichweite ist (nachdem die Sonde den Hohmann-Transfer
vollzogen hat), sodass die Sonde von seinem Gravitationsfeld nicht eingefangen werden kann, dann
ist man gescheitert.
Damit man das richtige Startfenster berechnen kann, muss man erst wissen, wie lange das Manöver
dauert. Damit kann man erst darauf schließen, wie die Planeten stehen müssen beim Abschuss.
(Auf letzteres werde ich jetzt nicht eingehen. Die Positionen der Planeten werden von zahlreichen
Teleskopen erfasst und in Computersimulationen berechnet. Sternenkarten kann man oft über das
Internet beziehen.)
Die Dauer eines HTO berechnet sich ganz einfach mit Keplers drittem Gesetz: „Die Quadrate der
Umlaufzeiten zweier Planeten verhalten sich wie die Kuben der großen Halbbahnachsen“
2
Jahre
=konstant )
Also: T 2=C⋅a 3 (T=Zeit in Jahren, a= große Halbachsen in AE, C=
3
AE
Für die Umlaufzeit einer Mars-Transfer-Ellipse ( a=(1 AE+1,524 AE)/2=1,262 AE ) gilt:
√(1,262 AE )3⋅C=1,4177 Jahre
Da man beim HT nach der Hälfte des Umlaufes schon beim Mars ist, teil man durch zwei und erhält
eine Dauer von 8,5 Monaten. Die letzte Mission zum Mars („Mars Science Laboratory“/
„Curiosity“) startete am 26. Nov 2011 und landete am 6. Aug 2012. → 8 Monate, 10 Tage.
Obige Grafik zeigt die Reise von MSL, man benutzte (annähernd) einen idealen HTO. Man beachte
die Stellung des Mars' zur Erde am Anfang der Mission (Punkte A bei Erde und Mars).
48
3.2 Gravity Assists
Viele Missionen – darunter auch unsere intensiv behandelte Mission Rosetta – verwenden während
ihrer Reise zum Ziel eine oder mehrere Orbital-Manöver, die man als Gravity Assists bezeichnet.
Sie sind mit den Hohmann-Transfer-Orbits eine der beiden grundlegenden Manöver in der
Raumflugmechanik und mit die wichtigste Methode für das Erreichen von Himmelskörpern im
äußeren Sonnensystem (und auch für die Flucht aus dem Sonnensystem).
Das Konzept der Gravity Assists (GA) wurde zum ersten Mal ausgearbeitet von Dr. Michael
Minovitch 1961 (damals gerade einmal Post-graduate!). Dieser beobachtete folgendes: nachdem
Kometen nah an Planeten vorbeiflogen, haben sich ihre Orbits sehr stark verändert, sodass sie
teilweise auf vorher (aufgrund ihrer berechneten Geschwindigkeit) unmögliche Umlaufbahnen
gebracht wurden. Minovitch kam auf die Vermutung, dass eine Veränderung der Orbit-Energie im
Bezug zur Sonne stattgefunden hat.
Zu dieser Zeit (60er Jahre) hatte man sich gefragt, wie denn die äußeren Planeten erreichbar sind.
Man war der Überzeugung, dass immer größere Hohmann-Transfers geflogen werden mussten oder
ein (damals absolut unrealisierbar) Nuklearantrieb entwickelt werden musste, um Planeten
außerhalb des Jupiters zu erkundigen. Selbst mit den heutigen Methoden der chemischen Antriebe
wären diese unerreichbar – wenn nicht Minovitch mit einer brillanten Idee gewesen wäre:
Man solle aufhören, die Einflüsse anderer Planeten als Störfaktoren für die Flugbahn anzusehen,
sondern stattdessen die Gravitation und Eigengeschwindigkeit anderer Planten als Hilfe zur
Geschwindigkeitserhöhung bzw. Richtungsänderung – durch einen nahen Vorbeiflug der Sonde –
benutzen. Man müsse dabei die Sonde von einem heliozentrischen Einflussbereich in den
planetarischen Einflussbereich – dem „Sphere of Influence“ (SOI) – manövrieren, sodass die Sonde
von hinten am Planeten vorbeifliegt und währenddessen vom Gravitationsfeld und dem
Geschwindigkeitsvektor des Planeten „gezogen“ wird. Es solle dazu führen, dass die Vektoren
beider Körper sich überlagern, sodass die Sonde mit einem größeren Geschwindigkeitsvektor
(welcher eine größere Komponente tangential zum Planetenorbit aufweist, als vor dem Eintritt) im
Bezug zur Sonne den SOI wieder verlässt.
Man stand der Idee mit sehr viel Skepsis gegenüber, man hat Minovitch nicht ernst genommen...
… Ende der 70er Jahre bereits, passierten die Voyager Sonden den Jupiter, auf dem Weg das
Sonnensystem mit der höchsten Geschwindigkeit aller Zeiten zu verlassen!
Rechts: Grafik der heliozentrischen Geschwindigkeit von
Voyager 2 gegenüber der heliozentrischen
Fluchtgeschwindigkeit. Man kann die Auswirkungen von
Gravity Assists (die Peaks) auf das Erreichen der
Fluchtgeschwindigkeit sehr deutlich sehen:
Vor dem Jupiter-GA war die Fluchtgeschwindigkeit noch
nicht erreicht (sodass die Sonde zur Sonne
zurückgefallen wäre); nach diesem GA war die Sonde
weitaus in der Lage das Sonnensystem zu verlassen
Heute sind Voyager 1 und 2 dabei das Sonnensystem zu
verlassen und in den interstellaren Raum einzutreten.
Anscheinend findet man Geschwindigkeitsschübe überall im Sonnensystem! Was hat es mit dieser
Technik auf sich? Das folgende Kapitel behandelt dieses Orbital-Manöver im Detail.
49
Ein weiteres Beispiel: die CASSINI-HUYGENS Mission
Es fanden zahlreiche Gravity Assists auf dem Weg zum
Saturn statt, in denen die Sonde sehr viel Geschwindigkeit
gewann:
Venus 1:
Venus 2:
Erde:
Jupiter:
Δ V = +7 km/s
Δ V = +7 km/s
Δ V = +5,5 km/s
Δ V = +2 km/s
Insgesamt: Δ V =21,5 km/s
Man spart dadurch SEHR viel Treibstoff!
Eine sehr aufschlussreiche Animation dazu findet man unter:
http://messengereducation.org/Interactives/ANIMATIONS/grav_assist/gravity_assist_p3.html
[1] Im Folgenden wird die vektorielle Herleitung für einen Gravity Assist behandelt
(die mathematische Herleitung folgt später in diesem Kapitel):
Es geht darum das Bezugssystem zu verändern, also die Raumsonde von einem heliozentrischen
Bezugssystem in den SOI des Planeten zu navigieren, sodass die gravitativen Einflüsse des Planeten
mit der Geschwindigkeit V⃗ p für die Sonde signifikante Auswirkungen haben.
1.1) Von der Sicht des Planeten kommt die Sonde mit einer bestimmten (ungleich-null)
Geschwindigkeit aus der „Unendlichkeit“ an; diese nennen wir: v −∞
→ Bedingung: Die Masse des Planeten ist viel größer als die
der Sonde, sodass man eine keplersche Bewegung (KeplerBahn) annehmen kann (Bewegungen des Systems, um den
gemeinsamen Schwerpunkt können vernachlässigt werden).
−
Eine Hyperbel beschreibt die GA-Bahn (da v ∞ > 0).
wieder zurück auf den Planeten: die Sonde durchfliegt die
hyperbelförmige Bahn hinter dem Planeten und tritt aus dem
+
SOI aus mit der Geschwindigkeit v ∞ .


Es gilt: v  v
→ Wenn man sich im Bezugssystem des Planeten befindet,
dann findet scheinbar keine Veränderung der
Geschwindigkeit statt!
50
Man sieht als Beobachter auf dem Planeten folgendes:
Die Sonde kommt mit (z.B.) 10 km/s angeflogen, durchfliegt eine Hyperbel, wird währenddessen
von der Anziehungskraft des Planeten bis zum Scheitelpunkt um einen bestimmten Betrag
beschleunigt und danach wieder um den gleichen Betrag entschleunigt (bis zum „Rand“ des SOI)
und fliegt mit 10km/s weg. Der Betrag hat sich nicht geändert, lediglich die Richtung des Vektors.
Dies ist ja auch leicht zu verstehen: Man sieht auf dem Planeten nicht, wie der Planet selbst sich
bewegt – man befindet sich im Bezugssystem des Planeten. Es kommt einem so vor, dass man
selbst still steht und alles andere (die Raumsonde) sich um einen bewegt. Der obige Fall tritt in der
Tat auch so ein, wenn der Planet sich selbst nicht bewegt.
Der entscheidende Punkt ist aber, dass der Planet von der Sonne aus gesehen (heliozentrisches
Bezugssystem) eine Eigengeschwindigkeit besitzt.
1.2) Die tatsächliche (im Bezug auf die Sonne) Geschwindigkeit V⃗1 der Sonde, bevor sie den SOI


betritt, ist eine Überlagerung aus den Geschwindigkeiten v und V⃗ p oder eher andersherum: v
ist die Geschwindigkeit der Sonde aus der Sicht des Planeten (nicht aus der Sicht eines
außenstehenden Beobachters bzw. der Sonne!) und resultiert aus der Überlagerung von V⃗1 und
  
 

V⃗ p , also: V1  V p  v  v  V1  V p
Ebenfalls gilt analog für den Austritt aus dem SOI:
An dieser Stelle wird es erst wirklich
interessant, denn deswegen funktionieren
Gravity Assists erst:
 

V2  v  VP
An nebenstehender Grafik kann man sehen,
dass sich der Vektor V⃗2 (die resultierende
Geschwindigkeit nach dem Austritt aus dem
SOI) im Vergleich zum Vektor V⃗1
(Geschwindigkeitsvektor unmittelbar vor
Eintritt in den SOI) verlängert hat: Der Betrag
der Geschwindigkeit ist gestiegen!
Die Raumsonde verlässt den SOI also
tatsächlich mit einer größeren
Geschwindigkeit, als sie vor dem Eintritt
besaß.
Wie ist das möglich?
Abgesehen davon, dass wir jetzt V⃗ p nicht
mehr außen vor lassen, hängt der
Geschwindigkeitsunterschied stark zusammen mit der Rotation des v⃗∞ Vektors. Schlussendlich
−
macht also der Winkel zwischen v ∞ und v +∞ die Geschwindigkeitsdifferenz aus.
Dieses Vektordiagramm verdeutlicht dies nochmal:
Bestimmend für den Betrag von dem
Geschwindigkeitsunterschieds-Vektor Δ V⃗ ist der
der Winkel 2 δ , denn dieser bestimmt wiederum,
wo die Vektoren V⃗2 und V⃗1 „enden“ (man
betrachte die Pfeilenden).
51

Bestimmend für die „Effektivität“ des GA ist der Winkel α , der Winkel zwischen V⃗ p und v ,
also quasi der Eintrittswinkel in den SOI (vom Planeten aus gesehen!) im Bezug auf die Richtung
der Planetengeschwindigkeit.
−
Doch halt! Einen Moment. Wie rechnet man überhaupt v ∞ aus? Erst damit ist der Eintrittswinkel
α zu definieren. Eigentlich ist das recht einfach: Vektoraddition.
„Konvertierung“ der heliozentrischen Geschwindigkeit ins Bezugssystem des Planeten
Nehmen wir folgendes an:
Eine Raumsonde führt einen Gravity Assist an der Venus durch und ist unmittelbar davor, in den
SOI des Planeten „einzutauchen“. Die Sonde hat (im Bezug zur Sonne) die Geschwindigkeit 30
km/s (→ V⃗1 ) und einen Flugwinkel γ von 12° zur Orbitrichtung (bzw. zum Vektor der
Planeten V⃗ p ). Folgende Skizze verdeutlicht:
In diesem Fall würde man die Vektoren zu folgendem Vektordiagramm zusammensetzen, sobald die
Sonde in den SOI eintaucht:
Da wir die Geschwindigkeit der Venus wissen (35,0208
km/s) kann man hier einfach den Kosinussatz
anwenden:
− 2
2
2
(v ∞ ) =35,0208 +30 −2⋅30⋅35,0208⋅cos(12)
−
es ergibt sich somit ein v ∞ von 8,4336 km/s. Dies ist
also die Geschwindigkeit, die ein Beobachter auf der Venus messen würde.
Dieser sieht die Sonde im Eintrittswinkel α zur Planetenrichtung ankommen. Man berechnet α
einfach mit dem Sinussatz:
sin(12) sin( )
 sin(12)  30 

   arcsin
  47,6959
8,4336
30
 8,4336 
Auf diese Art und Weise lässt sich jede heliozentrische Geschwindigkeit in das Bezugssystem eines
Planeten „konvertieren“ und man erhält die vom Planeten aus wahrgenommene Geschwindigkeit
−
v ∞ mit dem Eintrittswinkel α .
Der Winkel α bestimmt, wie oben gesagt, wie effektiv ein GA verläuft und letzten Endes welche
Auswirkungen es auf den Orbit der Raumsonde um die Sonne hat.
52
1.3) Weshalb der Winkel α so wichtig für den GA ist, zeigen folgende Beispiele:
1.3.1) Größerer Eintrittswinkel α
Linkes Diagramm (selbstgemacht, wohlgemerkt!)
ist nur eine geringe Abwandlung vom Fall auf Seite
51. Der Rotationswinkel 2 δ ist gleich geblieben,
sodass der Betrag von Δ V⃗ beibehalten wurde.
Lediglich der Winkel α (nun α 2 ) ist größer.
Dies führt allerdings zu folgendem: Δ V⃗ ist nicht
mehr parallel zu V⃗ p , man unterteilt den Vektor
jetzt in die Komponenten Δ V⃗E und Δ V⃗h .
Δ V⃗E ist der „brauchbare“ Anteil für den GA, welcher parallel zu V⃗ p ist und zu einer
Erhöhung der Orbitenergie führt. Wie man sehen kann, ist dieser Anteil vom Betrag her kleiner als
Δ V⃗ , der GA ist also weniger effektiv im Vergleich zum vorhergehenden Fall. Δ V⃗h ist die
andere Komponente, die in diesem Fall den „Verlust“ der Effektivität kennzeichnet, denn sie bringt
nichts für die Orbitenergie, da sie in heliozentrische Richtung, also direkt zur Sonne zeigt – und
man will ja schließlich weg von der Sonne bzw. ein Δ V⃗ so richten, dass es nicht von der Sonne
beeinflusst wird, sprich tangential zum Kreisorbit (des Planeten).
1.3.2.) Fly-by
Fly By: ΔV erhöht nicht die Orbit-Energie
Wenn man α noch weiter vergrößert bis man zu dem Punkt gelangt, an dem das Lot zwischen den
beiden v⃗∞ Geschwindigkeiten parallel zu V⃗ p bzw. die Hyperbelachse senkrecht zu ist ( 2 δ ist
immer noch beibehalten), sodass der Eintrittswinkel α (nun α 3 ) gleich groß wird wie der
Austrittswinkel (wir nennen ihn einfach mal β an dieser Stelle), dann hat man einen sogenannten
Fly-by erreicht. Das Manöver hat keinerlei Auswirkungen auf die Orbitenergie ( Δ V⃗ hat keine
Komponente, die in Richtung Orbit zeigt, sondern nur entweder zur Sonne hin oder von ihr weg).
Die Geschwindigkeit der Raumsonde hat sich nach Austritt aus dem SOI nicht erhöht. Ein Fly-by
findet immer seitlich am Planeten statt.
1.3.3) Bremsender Gravity Assist:
Ein GA kann auch dazu benutzt werden, eine Raumsonde abzubremsen. Dies ist vor allem bei
Missionen zu den inneren Planeten nötig, weil eine Sonde für diese Fälle meist zu viel
Anfangsgeschwindigkeit mit sich bringt – aufgrund des Hohmann-Transfers (siehe: Transfer zu
inneren Planeten, Kapitel Hohmann-Transfer-Orbits) – also einen Großteil der
Kreisbahngeschwindigkeit der Erde plus insbesondere noch die starke Beschleunigung vom
Gravitationsfeld der Sonne. Man könnte sich mit Raketenantrieben abbremsen – ökonomischer ist
aber ein bremsender GA (der keinen Treibstoff erfordert).
53
Bremsender Gravity Assist:
ΔV zeigt gegen die Bewegungsrichtung
Um einen bremsenden GA durchzuführen, darf die Sonde nicht seitlich oder hinter dem Planeten
vorbeifliegen, sondern sie muss vor dem Planeten passieren. Der Scheitelpunkt der Hyperbel liegt
auf der Seite der Halbkugel des SOI, die der Bewegungsrichtung zugewandt ist (siehe Grafik oben).
Wenn man vom letzten Vektordiagramm (Fly-by) ausgeht, muss man α einfach noch weiter
vergrößern. Das Konzept funktioniert analog wie der beschleunigende GA, nur zeigt Δ V⃗ jetzt
entgegengesetzt der Richtung von V⃗ p : Die Orbitenergie wird heruntergesetzt. V⃗2 ist kleiner als
V⃗1 und die Sonde verlässt den SOI mit einer niedrigeren Geschwindigkeit. Bremsende Gravity
Assist werden oft vor dem Orbiting (Eintritt in einen Kreisorbit um den Planeten) durchgeführt.
Man sieht also: Welchen Effekt ein GA zur Folge hat, wird durch den Eintrittswinkel und die Lage
des Scheitelpunktes (sprich: wo die Sonde passiert) bestimmt.
[2] Erarbeiten wir das Ganze jetzt quantitativ:
2.1) Grundprinzip ist das dritte Newtonsche Gesetzt, das Gesetz der Impulserhaltung




ms / cV1  M pV p ,1  ms / cV2  M pV p , 2
Das Kürzel „s/c“ steht für die Raumsonde („spacecraft“).
Zunächst (z.B. in [1]) scheint ein Gravity Assist das Gesetz der Impulserhaltung zu verletzen: Der
Impuls der Raumsonde erhöht sich während des Vorgangs, sodass der Gesamtimpuls
( p⃗s / c+ p⃗p ) am Ende größer erscheint. Das stimmt aber nicht ganz. Die Vektordiagramme aus [1]
sind – um es ganz genau zu nehmen – ungenau: Die Geschwindigkeit des Planeten verringert sich,
während sich die Geschwindigkeit der Sonde erhöht. Deswegen müsste man zwischen einem
V⃗p ,2 (am Ende des GA) und einem V⃗p ,1 (am Anfang des GA) unterscheiden.
Allerdings zeigt sich durch Umstellung:
Der Quotient liegt
im Bereich 10-22 für


ms / c  
ms / c
zB. Venus und
V p , 2  V p ,1 
V1  V2
0
Rosetta.
M
M

p

p
54



...sodass V p , 2  V p ,1  V p
man nun wirklich Geschwindigkeitsveränderungen des Planeten vernachlässigen kann.
Nichtsdestotrotz gilt die Impulserhaltung, weswegen ein Gravity Assist auch gerne als
elastischer Stoß gedeutet wird, obwohl nicht wirklich ein Stoß von statten geht.
2.2) (Spezifischer) Energiegewinn ϵ :
Im folgenden berechnen wir den Gewinn an kinetischer Energie, welche die Raumsonde aus dem
Energie
GA erhält. Dazu verwenden wir die spezifische Orbitenergie ϵ , also
, da man
Masse
ansonsten die Konstante m s/ c ständig durch die Berechnungen schleppen müsste.
Generell gilt ϵ=ϵ kin+ϵ pot – also ϵ ist die konstante Summe aus den kinetischen Energien der
beiden Körper (Planet und Raumsonde) und der potentiellen Energie der beiden Körper zueinander,
geteilt durch die reduzierte Masse (in diesem Fall die Masse der Sonde) – bekannt aus dem
berühmten Zweikörperproblem.
m = (m *m )/(m +m )
red
1
2
1
2
Sie ist also konstant? Um es genau zu nehmen: ja, tatsächlich bleibt ϵ konstant. Aber wie bereits
Veränderungen von V⃗ p in 2.1) bei der Impulserhaltung (gerechtfertigt) ignoriert werden, kann
man die Veränderungen in der kinetischen Energie des Planeten auch ignorieren. Da es hier sowieso
um den (spezifischen) Energiegewinn Δ ϵ der Raumsonde geht, kann man ϵ kin , p ganz auslassen.
Dies führt zu folgenden Formeln:
1 2 μ
ϵ s /c = v s / c+
2
r
→
1

(in :) 1  V12 
2
RSOI ,1
and
1

(out :) 2  V22 
2
RSOI , 2
Wobei μ=G⋅(m1+m2) , die Summe der Standard-Gravitationsparameter ist und r der Radius
des SOI ist. Dieser berechnet sich im übrigen so: RSOI
æ M ö
@ rç P ÷
è M Sun ø
2/5
(wobei ρ die Distanz zwischen
dem Planeten und der Sonne ist).
Man kann auf jeden Fall davon ausgehen, dass sich der Radius des SOI nicht verändert hat (der
Abstand des Planeten von der Sonne kann sich während des GA nicht großartig verändert haben),
μ
μ
sodass
angenommen werden kann.
=
RSOI ,1 RSOI ,2
Nun bedeutet das, dass wir folgendermaßen vereinfachen können:
2.3) Mathematisch-geometrische Herleitung für den allgemeinen Fall:
1
  V22  V12 
2



[→ Terme V1  V p  v und
  
V2  v  VP
einsetzen, auflösen.]
[→ weiter vereinfachen...]
  
 V p  v  v 
[→ folgender Zwischenschritt:
55
Geometrie:
Am linken Diagramm sehen wir:
∣Δ V⃗∣/2
sin δ=
∣v⃗∞∣
Der Winkel (grün markiert!) zwischen
V⃗ p und Δ V⃗ ist aufgrund der
Geometrie: α+δ−90 ° (und ist
gleichzeitig auch der Winkel zwischen
Δ V⃗ und Δ V⃗E ). Der
Zwischenschritt wird indes so
weitergeführt:
Obige Gleichung beschreibt den Zugewinn an spezifischer kinetischer Orbit-Energie der
Raumsonde in Abhängigkeit von:
– der Eintrittsgeschwindigkeit v ∞ in den SOI (merke: aus Sicht des Planeten!)
– der Umlaufsgeschwindigkeit V p des Planeten um die Sonne
– dem Eintrittswinkel α in den SOI
– dem halben Ablenkwinkel δ
Um die Δ E kin , s /c zu erhalten, multipliziert man einfach mit der Masse der Raumsonde m s/ c .
[3] Berechnung von Δ V
Obige Gleichung aus 2.2.1 ist noch nicht vollständig aussagefähig für einen GA. Der Betrag von
Δ V⃗ wurde ständig als gegeben betrachtet, weil der Ablenkwinkel 2 δ als konstant
vorausgesetzt wurde.
Zur Erinnerung:
⃗ ∣ bestimmt.
ist die Formel, die ∣Δ V
Allerdings gibt es natürlich Parameter, die den Ablenkwinkel 2 δ bzw. das Verhalten von sin δ
bestimmten. Zum einen ist das die Distanz, in der der nahe Vorbeiflug stattfindet. Die nächste
Distanz, die währenddessen erreicht wird, ist die Distanz zwischen dem Planeten und dem
Scheitelpunkt. Näher an den Planeten heran kommt die Sonde nicht, als sie es beim Scheitelpunkt
der Hyperbel ist. Diese Distanz nennen wir r p , auch Periapsis oder Perizenter genannt.
Je näher der Vorbeiflug erfolgt, desto stärker wird die Sonde abgelenkt aufgrund der Gravitation des
Planeten und der daraus erfolgenden Beschleunigung hin zum Planeten. Es muss folgende
Bedingung für r p erfüllt sein: r p> R p+hatm
→ Um eine Kollision mit dem Planeten bzw. ein Aerobraking (Abbremsung durch Flug durch die
Atmosphäre → Luftreibung) zu verhindern, muss die Sonde an ihrem nächsten Punkt eine
Entfernung bewahren, die größer als der Radius des Planeten ( R p ) plus die Höhe seiner
Atmosphäre ( h atm ) ist.
Folgende Grafik verbildlicht das alles nochmals:
56
hierbei gelten folgende (für die Berechnungen)
relevanten Größen und Gleichungen:
μ → (negative!) große Halbachse
a=− 2 Einheit: Meter
v ∞ → numerische Exzentrizität
(ε>1) für Hyperbeln
r
ε=1− p
a
1
sin δ= ε
δ=arctan (
√
μ
)
v ⋅Δ
2
∞
→ Kollisionsparameter
(„aiming point distance“)
Einheit: Meter
2μ
r p⋅v 2∞
( μ=G⋅(M p +m s /c)≈G⋅M p
Standard-Gravitationsparameter des Planeten)
Δ=r p⋅ 1+
Wir setzen jetzt einfach mal die Richtigkeit der
obigen Formeln voraus. Auf die Herleitung
verzichte ich an dieser Stelle.
(Thema „Bahnelemente“ kann man in vielen
Lehrbüchern nachlesen.)
Einige andere Bahnelemente lassen wir an
dieser Stelle außen vor (da irrelevant für uns).
Am interessantesten sind hier natürlich sin δ und somit die numerische Exzentrizität ε . Diese
führen uns zu folgender Herleitung:
57
Jene letzte Gleichung ist die Endformel für den Betrag von Δ V⃗ . ΔV ist hier also abhängig
von:
– der Eintrittsgeschwindigkeit v ∞
– dem Standard-Gravitationsparameter des Planeten μ
– der Periapsis r p , dem kleinst-möglichsten Abstand während des Vorbeifluges
Reminder: Δ V ist NICHT der absolute Geschwindigkeitszuwachs. Es ist der Betrag des
Geschwindigkeitsdifferenz-Vektors im Bezug auf die Sonne.
Wenn man den absoluten Geschwindigkeitszuwachs will dann muss man
rechnen!
3.1) Folgende Beziehungen gelten für Δ V :
Je kleiner die Periapsis ist, desto größer wird Δ V (denn r p befindet sich im Nenner). Das macht
Sinn, denn je näher die Sonde am Planeten vorbeifliegt, desto stärker wirkt das Gravitationsfeld und
desto mehr wird die Sonde abgelenkt. Größeres δ → größeres Δ V solange 2 δ<180 ° .
Je größer der Standard-Gravitationsparameter des Planeten ist (ein Maß für seine Anziehungskraft!),
g⋅x
desto größer wird Δ V . Dies zeigt der Graph f (x )=
(wobei k = 1 ; g = 1 in dem Fall)
( x +k )
exemplarisch:
In unserem Fall nehmen μ Funktionsstelle (→ x)
und Δ V Funktionswert (→ f(x)) an. Alle anderen
Parameter bleiben konstant.
Wichtig ist: da die Konstanten keine negativen
Werte annehmen können: „k“ (→ r p⋅v 2∞ , das eine
ist eine Länge, das andere das Quadrat einer
Geschwindigkeit!) und die Konstante „g“ (→
2v ∞ , Betrag einer Geschwindigkeit!), ist die
Gleichung – unabhängig von der Größe der
Konstanten – monoton steigend im 1. Quadranten.
Der Sachverhalt ist trivial: Je stärker seine
Anziehungskraft, desto stärker die Ablenkung,
desto größer Δ V – plausibel.
Je kleiner die Eintrittsgeschwindigkeit, desto kleiner ist Δ V . Dies deckt sich gut mit den
Vektordiagrammen: Die Differenz zwischen V⃗1 und V⃗2 ist dann nicht mehr groß. Die

Allerdings: je größer die Eintrittsgeschwindigkeit v , die zwar im Zähler, aber im Nenner quadriert
vorhanden ist, desto kleiner müsste der Term werden! Das bedeutet, dass Δ V ab einem
bestimmten Grad sinken muss. Dies ist plausibel: Wenn sich die Sonde bereits sehr schnell in den
SOI hinein bewegt, dann ist der Eigenimpuls bereits sehr hoch, sodass die Sonde weniger vom
Gravitationsfeld des Planeten beeinflusst werden kann (sie ist träger). Darüber hinaus verbringt die
58
Sonde weniger Zeit im SOI.
Folgender Graph
f ( x )=
h⋅x
verdeutlicht das exemplarisch ( h=2; m=1; n=1 in dem Fall):
2
(m+n⋅x )
Übertragen auf den Fall ist v ∞ die
Funktionsstelle, Δ V wieder Funktionswert.
Nach wie vor gilt: Die Konstanten ( μ und
r p sind hier konstant) können keine
negativen Werte annehmen, sodass die
allgemeine Form dieser Kurve gleich bleiben
wird (kann nur gestreckt und gestaucht
werden, je nach Größe der Konstanten).
Die wichtige Erkenntnis: Wie wir eben durch
Überlegung andeuten konnten, hat die Kurve
ein Maximum im ersten Quadranten.
Für die Realität bedeutet das folgendes:
Man kann nur bis zu einem bestimmten Punkt effektiv ΔV aus einem GA heraus gewinnen. Die
anderen Parameter μ und r p stehen durch die Natur des Planeten sowieso schon fest, sind also
in Realität die Konstanten. Es geht eigentlich immer darum, die Eintrittsgeschwindigkeit so
einzurichten, dass das gewünschte Δ V erreicht wird. Es gibt also für jeden Fall ein bestimmtes
ΔVmax, das bei einem GA höchstens erreicht werden kann.
Ökonomisch sinnvoll ist es selbstverständlich bis zum Maximum, da nach dem Maximum natürlich
das erreichbare Δ V geringer wird. Man muss die Sonde also so zum Planeten hinsteuern, dass der
Flugwinkel zum Orbit genau zur richtigen Eintrittsgeschwindigkeit v ∞ führt, sodass Δ V max
erreicht wird.
Was macht man, wenn Δ V max trotzdem nicht genug ist für den weiteren Verlauf der Mission? In
dem Fall ist es dann üblich, die Sonde mit eigenen kleinen (chemischen) Antrieben auszustatten,
welche am sinnvollsten in der Periapsis (höchste Geschwindigkeit → höchstes E kin siehe: Oberth
Effekt, Kapitel Hohmann-Transfer-Orbits) gezündet werden.
59
3.2) Wie erreicht man das maximale Δ V ?
Dies ist SEHR simpel. Man leitet die Formel für ∣Δ V⃗∣ nach v ∞ ab und setzt diese dann mit 0
gleich: Man hat die Funktionsstelle des Maximums. Dann setzt man die Funktionsstelle in die
Grundgleichung ein – Schulmathematik.
Im Folgenden die allgemeine Lösung für Δ V max :

2  v  
Grundgleichung : V 
 V
  rp  v2
[
h( x )  g ' ( x )  g ( x )  h' ( x )

[ h( x )]2
Quotientenregel ]
2
dV (   rp v )  2   2v   2rp v


dv
( µ  rp v2 ) 2
für Extremstelle :
also :
d V
0
dv
(   rp v2 )  2   2v   2rp v
(µ  r v )
2 2
p 
 0  ( µ  rp v2 ) 2
2  2  2 µ  rp v2  2v   2rp v  0  2 µ
  rp v2  2rp v2  0
µ  rp v2  0
µ  rp v2
v 
µ
 vˆ  Funktionsstelle des Maximums
rp
 Vmax 
2vˆ µ

µ  rp  vˆ2
2
µ
µ
rp
 µ

µ  rp  
 rp 


2
2

µ
µ
rp
2µ

µ
rp
→ das Interessanteste hier:
die Planet-eigenen Konstanten
bestimmen ΔVmax!
In der Tat ist es so, dass jedem Planeten ein eigenes Δ V max zugeordnet werden kann und dieses
wird exakt dann bei einem GA erreicht, wenn der Betrag der Eintrittsgeschwindigkeit v ∞ der
ankommenden Sonde genau so groß ist.
60
Hier nun eine Tabelle für die Δ V max der einzelnen Planeten (und Pluto, als ehemaliger Planet...):
Können wir einige Werte reproduzieren?
Für die Venus gilt: µ=324859 km3 s−2 und R p=6052 km . Wir nehmen die Höhe der
Atmosphäre bei 100 km an. Dann ergibt sich für r p=6152 km .
Wir erhalten ca. 7,27 km/s als Δ V max .
Für die Erde gilt:
Für den Mars:
µ=398600 km3 s−2 und r p=6478 km . → Δ V max =7,84 km/ s
3 −2
µ=42828 km s
und r p=3496 km → Δ V max =3,5 km/ s
Was lernen wir daraus? Die Literatur berechnet die Atmosphäre des Planeten oder eventuelle
Unebenheiten (Gebirge?!) in der Landschaft nicht mit ein, sondern nimmt lediglich den Radius des
Planeten zur Berechnung (wenn man statt r p einfach R p nimmt, dann stimmen die Werte gut
überein: Venus → 7,33 km/s ; Erde → 7,905 km/s ; Mars → 3,55 km/s).
E x a m p le : V e n u s s w in g b y
8000
7000
6000
V ( m / s )
5000
4000
m ax at v
3000
in f
= 7 2 6 7 . 9 2 7 m / s is
D e lt a -V m a x = 7 2 6 7 . 9 2 m / s
2000
1000
0
1000
2000
3000
4000
v
5000 6000
(m /s )
7000
8000
9000 10000
in f
Hier noch ein Graph für einen Gravity Assist an der Venus ( v ∞ gegen Δ V ) . Die errechneten
7,27 km/s stimmen hier gut überein.
61
3.3) Die endgültige Formel
Nun bleibt nur noch der letzte Schritt: Einsetzen in die Energiegleichung. Man will ermitteln, wie
effektiv der Zugewinn an Δ V eigentlich ist, denn man merke an: alle obigen Gleichungen aus
2.2) berechnen nur den Betrag des Vektors Δ V⃗ und dies sagt an sich nichts über die Effektivität
des GA aus – die Effektivität wird dadurch bestimmt, wie groß die Komponente ist, die in Richtung
V⃗ p zeigt (oder gegen, je nachdem ob ein beschleunigender GA oder ein bremsender GA
erwünscht ist). Wichtig für die Effektivität ist α (siehe Erläuterungen ab 1.3).
   2  V p  v  sin   sin(   )  V p  V  sin(   )  V p  VE
da V 


2  v  µ
µ


und


arcsin
 µ  r  v2 
µ  rp  v2
p
 

also :
  2  V p  v 
  V p 
µ
 sin(   )
µ  rp  v2



2  v  µ
µ



sin


arcsin

2
2 

µ  rp  v

 µ  rp  v 



2  v  µ
µ


mit : VE 
 sin   arcsin
2
2 

µ  rp  v

 µ  rp  v 
Obige letzte Gleichung berücksichtigt nun auch den Eintrittswinkel α zur Orbitrichtung des
Planeten und berechnet somit den Effektiven Geschwindigkeitszuwachs Δ V E , welche die
Komponente von Δ V ist, die zur Erhöhung der Orbit-Energie beiträgt.
Endlich, wir haben es geschafft!
[4] Ein Rechenexempel für einen Venus Gravity Assist:
– wir haben die Umlaufgeschwindigkeit der Venus V p : 35,02 km/s
– wir versuchen Δ V max (für Venus: 7,27 km/s) zu erreichen, verwenden also die kleinstmöglichste Periapsis r p (6152 km) und brauchen ein v ∞ von 7,27 km/s
3 −2
– der Standard-Gravitationsparameter der Venus beträgt µ=324.859 km s
Der halbe Ablenkwinkel δ beträgt in dem Fall:
324859 km/ s2
δ=arcsin (
)=29,9851 °
324859 km/ s2 +6152 km⋅(7,27 km/ s)2
Damit Δ V⃗ komplett in Orbitrichtung zeigt (somit ist der GA maximal effektiv), muss der Winkel
α=60,0149 ° betragen, sodass sin( α+δ)=1 (also: Δ V⃗E=Δ V⃗ ).
Es muss dafür gesorgt werden, dass die heliozentrische Geschwindigkeit V 1 (vor Eintritt in SOI)
2
2
V 1= √ 7,27 +35,02 −2⋅7,27⋅35,02⋅cos(60,0149 °) km/ s=32,014 km/ s beträgt. Damit erhalten
wir einen Flugwinkel γ zur Orbitrichtung von: 11,3385°
62
Der Betrag des Geschwindigkeitsdifferenz-Vektors beträgt somit 7,27 km/ s in Orbitrichtung und
stellt somit auch Δ V E , den Betrag des effektiven Geschwindigkeitsdifferenz-Vektors, dar.
Der Zugewinn an kinetischer Orbit-Energie pro Kilogramm Masse der Raumsonde ist dann:
Δ ϵ=V p⋅Δ V E =35,02 km/s⋅7,27 km/s=254,48 MJ /kg
Die Geschwindigkeit V 2 , mit der die Sonde den SOI verlässt ist:
V 2 =√ 7,272+35,02 2−2⋅7,27⋅35,02⋅cos( 119,99°) km/ s=39,162 km/ s
Es ergibt sich somit ein absoluter Geschwindigkeitszuwachs von
ΔV absolut =39,162 km/ s−32,014 km/ s=7,148 km/s
Okay, hiermit sind wir am Ende des Kapitels der Raumflugmechanik angekommen. Ich hoffe für
Sie als Leser (das geht vor allem an meine Lehrer und Korrektoren), dass es nicht ZU anstrengend
war zu lesen/nachzuvollziehen/nachzurechnen. Ich bin gerne für Nachfragen zu haben :-)
Eine Sache ist allerdings noch wichtig: Man – oder Ich – muss mir an dieser Stelle ja eingestehen,
dass die Raumflugmechanik mit diesen zwei Orbital-Manövern sicher nicht so einfach abgehakt ist.
Beispielsweise wurden in unseren zwei Fällen (Hohmann-Transfer-Orbits und Gravity Assists) nur
die zweidimensionale Ebene betrachtet. Das ist einfachheitshalber auch berechtigt, denn das
Sonnensystem befindet sich grob gesehen auch auf einer Ebene. Natürlich gibt es bei der richtigen
Raumflugmechanik kein „ungefähr“ oder „grob gesehen“.
Man müsste obige Berechnungen noch mit entsprechenden Drehmatrizen (etc.) in die
Dreidimensionale übertragen. Das macht aber in der angewandten Raumflugmechanik nicht mehr
der Mathematiker, sondern ein Computer.
Zum Abschluss noch etwas entspannendes: Mein praktischer Teil dieser Arbeit.
63
DLR Praktikumsbericht: Penetrator Experiment
Im Folgenden werden wir die (originale) Auswertung des Versuches sehen, welche ich während
meines Praktikums am Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum Köln vom 15.10 bis 25.10.2012
angefertigt habe. Hiermit wären wir an den praktischen Beitrag dieser Arbeit angelangt.
Einige Erläuterungen:
Es geht in diesem Versuch darum, zu ermitteln, ob die Wirkung unterschiedlicher Gravitationsfelder
signifikante Auswirkungen auf die Festigkeit eines Sandbodens hat und schließlich auf die Kraft,
die ein sogenannter „Penetrator“ benötigt, um in diesem Boden in die Tiefe vorzudringen. Um
verschiedene Gravitationswerte (Mond-, Erd-, Marsbeschleunigung und „Schwerelosigkeit“) zu
simulieren, wurde dieses Experiment während mehrerer Parabelflüge an zwei Tagen hintereinander
durchgeführt worden.
Was genau ist ein Parabelflug?
Der Parabelflug ist ein spezielles Flugmanöver, bei dem das Flugzeug eine zur Erde geöffnete
(quasi) Wurfparabel fliegt. Damit werden innerhalb der Kabine Zustände von reduzierter
Gravitation simuliert.
Dazu muss das Flugzeug erst einmal mit voller Kraft in einem hohen Winkel (bis zu 47° für 0-g)
anfliegen, wobei bis zu 2g herrschen können. Wenn eine angemessene Höhe erreicht wird, werden
die Triebwerke gedrosselt, sodass der Schub gerade den Luftwiderstand ausgleicht. Nun kann man
die Bewegung des System als Wurfparabel betrachten. Man kann somit Größen wie Ort und
Geschwindigkeit genau so berechnen, wie bei einem schrägen Wurf. Der wichtige Punkt ist, dass
alles in der Kabine quasi frei fällt (wenn man Veränderungen im Luftwiderstand ignoriert), was als
Microgravity bezeichnet wird. Man kommt sich dadurch schwerelos vor (denn das ganze
„Bezugssystem Flugzeug“ um einen herum fällt auch). Die Parabel hält für ca. 22 Sekunden an und
geht dann vom Sturzflug in der Sinkflug über (konstanter Winkel, gleicher wie anfangs), indem die
Triebwerke wieder ihre Arbeit aufnehmen.
64
Berechnungen für den schrägen Wurf:
horizontal : x(t )  v0 cos   t und vertikal : y (t )  v0 sin   t 
g 2
t
2
für Geschwindigkeiten : v x  const. v y (t )  v0 sin   g  t
mit : v0  Geschwindigkeitsvektor beim Abwurf ;   Abwurfwinkel
durch Substitution :
 Ortsfunktion : y ( x)  tan   x 
g
x2
2
2(v0 cos  )
2

gx 
  v x2
 Geschwindigkeitsfunktion : v( x)   v0 sin  
v0 cos  

Verwendet man eine besondere Art von Flugzeugen für Parabelflüge? Naja, das kann man so nicht
sagen. Im Prinzip geht es mit jedem Flugzeug. Verwendet wird zum Beispiel eine modifizierte
Variante des Airbus A300 (diese ist normalerweise eine Passagiermaschine), auch genannt „A300
ZERO-G.“ von der ESA. Ein großer und gut gepolsterter Innenraum ist natürlich das Kriterium, da
meist viele Experimente und mehrere Personen mit fliegen müssen. Die Experimente, wie in
unserem Fall, werden mit Schrauben extra starken Härtegrades am Boden verschraubt, da sie sonst
wie wild in der Kabine herumfliegen würden.
Die Airbus A300 ZERO-G macht so manchen Arbeitstag zu einem aufregenden Erlebnis!
Der Penetrator
In diesem Fall ist der Penetrator ein zylinderförmiger Aluminium-Stempel mit einer Kreisförmigen
Auflagefläche von 2 cm Durchmesser . Dieser Stempel wird mit einem Motor betrieben, der in
gleichen Zeitabständen einen Ruck von 25N gibt, mit welchem der Stempel senkrecht in die Tiefe
befördert wird. Er besitzt an der Außenwand eine Skalierung (→ Striche heißt es in der
Auswertung) in Abständen von 1 mm.
Der Stempel liegt mit der Auflagefläche auf dem Sandboden und startet (idealerweise) zu
penetrieren, sobald der gewünschte Gravitationswert (Mond, Mars und 0-g Parabel) während der
Flugparabel simuliert wird.
65
Der Sand
Für diesen Versuch wurde nicht irgendein Sand verwendet, sondern Wüstensand aus der Mojave
Wüste mit ähnlichen Eigenschaften wie die des Marsbodens (welcher auch aus Sand besteht
größtenteils), der extra von der NASA geliefert wurde. Was den Marssand vor allem auszeichnet, ist
die Feinkörnigkeit und die damit verbundene Dichte des Sandes insgesamt (Körner sind feiner →
können dichter beieinander haften). Das führt z.B. auch dazu, dass bei den vergangenen RoverMissionen die Reifenprofile die bekannten Spuren im Sand hinterlassen, obwohl der Sand nicht
nass ist (Großteil der Sande macht dies nur bei Feuchtigkeit → Anziehungskraft der
Wassermoleküle untereinander führt zu mehr Haftung, Kohäsion). Mars-Sand hat also viel stärkere
kohäsive Eigenschaften als herkömmlicher Sand und dies gilt es, so gut wie möglich zu simulieren.
Der Behälter für den Sand ist ein hoher, quaderförmiger Kunststoffbehälter.
Vorgang der Auswertung
Der Versuch wurde permanent mit einer Fotokamera aufgezeichnet, diese hat in gleichen zeitlichen
Abständen (1-2 Sekunden) Bilder gemacht vom Stempel und der Eindringtiefe. Die Auswertung ist
dann so erfolgt, dass ich anhand der Fotos die Eindringtiefe ermittelt habe, sprich: jedes einzelne
Bild betrachten und die Striche, die noch über dem Sand zu sehen sind, abzählen. Klartext: Es war
ein Knochenjob (ca. 200 einzelne Bilder betrachten und Striche auf dem Computermonitor
abzählen).
Über 200 dieser Bilder musste ich auswerten. Es war SEHR mühselig.
Direkt vor dem Behälter mit dem Sand war eine Digitaluhr angebracht, sodass die Zeit auf
jedem einzelnen Bild zu sehen war. So konnte man ermitteln, wie viele Sekunden von der einen
Aufnahme zu nächsten vergingen.
Die Ergebnisse wurden in eine Excel-Tabelle eingetragen und es wurden Graphen für die
Eindringtiefe gegen die Zeit in Sekunden gezeichnet.
Auf den folgenden drei Seiten sieht man die „originale“ Auswertung (unverändert, nicht nach66
gerarbeitet). Sie beinhaltet die Durchführung des Experimentes auf drei verschiedenen Parabeln:
Mars-, Mond- und 0-g-Parabeln in dieser Reihenfolge. Die Fallbeschleunigung während dieser
Parabeln beträgt also jeweils 0,376g , 0,1654g und 0g.
Es wurde für jede der drei Durchgänge die absolute Dauer ausgerechnet und das Intervall der
Bilder, welches für die Auswertung betrachtet wurde. Die absolute Eindringtiefe konnte nur auf
einen Millimeter genau angegeben werden, denn die Skalierung des Stempels war eben nur ein
Millimeter grob (bedeutet: eine Eindringtiefe von 3,7 mm wir aufgezeichnet als 3 mm
→ Fehlerbereich)
Es ist an dieser Stelle wichtig zu verstehen, dass die Graphen nur ungefähre Daten liefern, denn mir
war es (wie gerade gesagt) nur möglich, komplette Striche zu zählen, d.h. es wurde nur eine
Entwicklung der Eindringtiefe verzeichnet, wenn ein ganzer Millimeter-Strich im Sand
verschwunden ist. Auf diese Weise wurde ein Fortschritt von z.B. 0,5 Millimeter (was mehr oder
weniger gut mit dem Auge erkennbar war) über eine Zeit von 2 Sekunden nicht verzeichnet,
sondern nur der Fortschritt von 1 Millimeter Tiefe über 5 Sekunden. Es kann also gesagt werden,
dass die Graphen generell die Entwicklung nur sehr grob angeben. Kleinere Bewegungen des
Stempels wurden also nicht aufgezeichnet – von denen gab es aber relativ viele.
Nun die unveränderte original Auswertung zu sehen, die ich damals verfasst habe:
67
------------------------------------------------- Auswertung -----------------------------------------------1) Marsparabel: Flug 499, Manöver 01
x-Achse: Zeit in Sekunden (ab Start der Messung)
y-Achse: Anzahl der zählbaren Striche  Maß für die Eindringtiefe
Zeit: von 07:38:15 bis 07:38:52  37 Sekunden
Vorsicht: Es wurde verglichen mit der Bordzeit und es wurde an allen Aufnahmen etwa ein
Timeshift von 6 Sekunden (zurück) festgestellt. Der Bordzeit zufolge startete die Parabel um
07:38:24 Sekunden
Bild: DSC_0895 bis DSC_0933
Anfang: 30 Striche
Ende: 27 Striche
 Eindringtiefe liegt zwischen 3mm bis knapp unter 4 mm (Fehlerbereich)
 siehe Diagramm
Höhe
1. Durchgang Marsparabel (ohne doppelte Zeiten)
07:38:15
30,5
30
29,5
29
28,5
28
27,5
27
26,5
26
25,5
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29
Zeit
Anmerkung:
Man sieht einen stufenförmigen, scheinbar nicht linearen Abstieg der Höhe.
Da minimale abwärts Bewegungen zwischen den ganzzahligen Stufen durchaus oft vorkommen –
diese können jedoch nicht im Graph verzeichnet werden (es wird nur die Anzahl der zu sehenden
Striche gezählt, sprich ganzzahlig) – kann man einen abklingend exponentiellen Verlauf vermuten,
denn die benötigte Zeit von einer Stufe zur nächsten nimmt zu je weiter der Stempel in die Tiefe
dringt.
Man kann also annehmen: Je weiter Stempel in die Tiefe geht, desto schwerer (zeit- und
kraftaufwändiger) wird das weitere Eindringen.
2) 0g Parabel: Flug 499, Manöver 02
x-Achse: Zeit in Sekunden (ab Start der Messung)
y-Achse: Anzahl der zählbaren Striche  Maß für die Eindringtiefe
Zeit: 07:45:19 bis 07:45:35  16 Sekunden
Bordzeit: Start ca. um 07:45:26
Bild: DSC_0954 bis DSC_0978
Anfang: 27 Striche
Ende: 25 Striche  Eindringtiefe liegt zwischen 5mm bis knapp unter 6mm (Fehlerbereich)
68
 siehe Diagramm
2. Durchgang 0g-Parabel (ohne doppelte Zeiten)
07:45:19
27,5
27
Höhe
26,5
26
Spalte H
25,5
25
24,5
24
1
2
3
4
5
6
7
8
9 10 11 12 13 14 15 16 17
Zeit
Anmerkung:
Es ist in erster Linie zu erwähnen, dass der Stempel (nach dem Versuch davor) nicht herausgezogen
wurde, sodass hier schon bei einer Tiefe von 3mm bis 4mm gestartet wird.
Die Parabel ist an zwei Stellen leicht unter 0g gekommen, was zur Folge hatte, dass der Sand zum
einen im Bild 0955 hochgeflogen und 0957 wieder gesunken ist und ebenfalls in Bild 0976, 0977
und 0978 sich leicht bewegt hat. Es scheint auch, dass der Stempel an einigen Stellen (vor allem
Bild 0963 und 0972) hochgegangen ist, kurz danach wieder runter. Zusammen mit der Bewegung
des Sandes kann man sagen, dass diese Messreihe relativ ungenau/fehlerhaft ist und von vielen
Störfaktoren beeinflusst wurde.
Es werden allerdings im Anschluss noch mehr 0g Parabeln geflogen (der Stempel ebenfalls nie
herausgezogen) und der Motor weiter betrieben. Am Ende der Parabeln (07:59:30, Bild 1101) stellt
sich heraus, dass der Stempel bis zu einer Tiefe von 13mm/14mm kommt.
3) Mondparabel: Flug 500, Manöver 01
x-Achse: Zeit in Sekunden (ab Start der Messung)
y-Achse: Anzahl der zählbaren Striche  Maß für die Eindringtiefe
Zeit: 07:41:17 bis 07:41:34  17 Sekunden
Bordzeit: Start ca. um 07:41:24
Bild: DSC_1327 bis DSC_1351
Anfang: 30 Striche
Ende: 27 Striche
 Eindringtiefe ca. 3mm bis 4mm
 siehe Diagramm
69
3. Durchgang Mond-Parabel (ohne doppelte Zeiten)
07:41:17
30,5
30
29,5
29
Höhe
28,5
Spalte H
28
27,5
27
26,5
26
25,5
1
2
3
4
5
6
7
8
9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
Zeit
Anmerkung:
Der Graph erscheint in diesem Fall relativ linear, da die Zeitabstände von Stufe zu Stufe etwa gleich
sind. Es gab hier zweimal eine minimale Bewegung nach oben (Bild 1328 und 1347).
Interessant wird es wenn man diesen Graph mit dem Graph der Marsparabel vergleicht:
Obwohl der Stempel bei der Mondparabel scheinbar später anfängt in die Tiefe zu gehen, beträgt
die Zeit zwischen den Stufen 29-28 nur 4 Sekunden (1 Sekunde kürzer als bei Marsgravitation) und
vor allem: die Zeit zwischen den Stufen 28-27 beträgt nur 5 Sekunden (4 Sekunden kürzer als bei
Marsgravitation), obwohl es bei größerer Tiefe mehr Kraft und mehr Zeit benötigen müsste. Es
kann aus den vorhandenen Daten also vermutet werden, dass das Eindringen in die Tiefe beim
Mond weniger Zeit beansprucht. Nur wurde die Bildaufnahme nach nur 17 Sekunden gestoppt (was
zu schade ist), da man vermuten würde, dass der Stempel bei Mondgravitation auch noch tiefer
kommt.
----------------------------------------- Ende der Auswertung --------------------------------------------
70
Bewertung des Experimentes
Im Nachhinein kann ich sagen, dass bei diesem Experiment generell so einiges schief gelaufen ist.
Für eine klare Aussage darüber, ob reduzierte Schwerkraft tatsächlich signifikante Auswirkungen
für das Vordringen eines Penetrators in einem Sandboden hat, hätte man schlicht mehr Mars-Parabel
und Mond-Parabeln fliegen müssen und diese zuverlässiger aufzeichnen müssen, damit man viele
Graphen erhält, die man dann anschließend miteinander vergleichen kann.
Allerdings muss man auch sagen, dass dieses Experiment relativ improvisiert war und die
zuständigen Leute parallel dazu noch an vielen anderen (wichtigeren) Experimenten während dieser
Parabelflüge beteiligt waren. Sie mussten also ganz nebenbei die Fotokamera und den Penetrator
auslösen, sobald die Parabel eingeleitet wurde.
Was die Natur des Graphen angeht: Untersuchungen zu Folge lässt sich der Verlauf der Kurve
tatsächlich gut mit einer abklingend exponentiellen Funktion beschreiben.
Dieser Versuch war generell so etwas wie ein Vorversuch (könnte man eigentlich so nennen), denn
der eigentliche „Real Deal“ folgte im Dezember 2012: Ein richtiger Penetrationsteststand, an dessen
Bau ich mich in der zweiten Woche meines Praktikums beteiligen durfte:
Rüttelplatte mit Motor
Durchsiebungsvorrichtung
Präparat mit Sand
Penetrationsvorrichtung
Ganz außen links sieht man die Versuchsanordnung, die ich ausgewertet habe. In der Mitte und
rechts sieht man den fertigen Penetrationsteststand.
Dieser Teststand ist die professionell ausgearbeitete Version des oben ausgewerteten Vorversuches.
In einer Aluminium-Vorrichtung mit einem automatischen Sieb und motorbetriebener „Rüttelplatte“
wird das Präparat (also der Behälter mit dem Sand) nach jedem Durchgang wiederaufbereitet und in
einen lockeren Grundzustand zurück gebracht (ständiges Penetrieren führt letztendlich zur
Verdichtung des Sandes und zu abweichenden Ergebnissen).
Es wird kein Stempel mit einer Kraft von 25N verwendet, sondern ein richtiger Penetrator mit einer
Kraft von mehreren Kilonewton, welcher mit einer Elektronik verbunden ist, die direkt einen
Graphen: „Kraft gegen Tiefe“ während des Eindringens aufzeichnet.
Leider sind zu dem jetzigen Zeitpunkt die Ergebnisse noch nicht veröffentlicht worden. Mein
ehemaliger Teamkollege Stefan Heller schreibt seine Bachelorarbeit über dieses Experiment
und wird diese bald veröffentlichen. Ebenfalls wird ein Artikel über dieses Experiment in einigen
Fachzeitschriften zu lesen sein, was laut dem Team aber noch einige Monaten dauern kann. Es
wurde mir nur gesagt, dass die These „Ein Penetrator benötigt weniger Kraft für das Vordringen
unter reduzierter Gravitation“ generell bestätigt wurde.
71
Wieso untersuchen wir das überhaupt?
Diese Frage ist sicherlich berechtigt nach all der Mühe und dem Geld, das ausgegeben wird für ein
Experiment. In erster Linie brauchte man diese Erkenntnisse vom Teststand für eine für 2016
geplante Mars-Mission getauft auf: Insight
HP3
Insight – Interior Exploration using Seismic
Investigation, Geodesy and Heat Transport
Rechts: Der Insight Lander in einer
künstlerischen Darstellung.
In dieser Mission geht es generell darum, die geophysikalischen Eigenschaften des Mars' zu
untersuchen. Es soll ein stationärer (unbeweglich) Lander auf der Marsoberfläche platziert werden,
der Untersuchungen mit einem Seismometer und einer Wärmeflusssonde durchführt.
Das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum ist maßgeblich daran beteiligt, denn es liefert das
Experiment „HP3“ welches die erste Wärmeflusssonde – Spitzname: „the mole“ – ist, die
selbstständig auf einem anderen Himmelskörper in den Boden penetrieren wird und sie soll Tiefen
von 5 Meter erreichen können! Es soll die thermischen Aktivitäten des Marsbodens untersuchen,
womit man Rückschlüsse auf den Kern ziehen kann.
Der Penetrator zieht ein Band mit Sensoren hinter sich, die den Wärmefluss im Boden genau
messen. Dieses wird gewölbt befestigt und schließlich „zusammengerollt“ nach unten gezogen.
Links: einen Prototyp vom
HP3– Experiment im Test:
Das Wärmeflussband wird
in die Tiefe gezogen.
72
Der Penetrator funktioniert so, dass ein Gewicht innerhalb der „Maulwurfes“ mit einem kleinen
Motor immer wieder hochgezogen und fallengelassen wird. Dadurch ist es quasi nur ein selbst
angetriebener Hammer-Kopf, der keinen Arm nötigt hat, welcher mit zunehmender Tiefe verlängert
werden müsste (daher kann er stattdessen das Band in die Tiefe ziehen). Die Kraft, mit der jedes
Mal penetriert wird, ist gleich.
Jetzt kommt der Zusammenhang mit unserem Experiment: Es muss ermittelt werden, wie schwer
dieses Gewicht idealerweise sein muss, um im Mars-Boden gut voran zu kommen, ohne die Sonde
gleichzeitig zu schwer zu machen. Jedes Kilogramm zählt bei dieser Mission – vor allem, weil der
Lander durch die eigenen Abbremsraketen (der Treibstoff muss also im Lander mitgeführt werden!)
auf der Marsoberfläche landen muss.
73
Literatur- und Quellverzeichnis
Buch: „Raketen und Raumfahrt“ von Philipp Burkhalter
Buch: „Raumfahrt-Wissen“ von Eugen Reichl und Aydogan Koc
Buch: „Typenkompass: Raumsonden“ von Eugen Reichl
Doktorarbeit: „Optimization of Interplanetary Trajectories combining Low-Thrust and Gravity
Assist with Evolutionary Neurocontrol“ von Ian Carnelli
„Missions-Broschüre: Rosetta“ vom DLR
--------------------------------------http://www.gravityassist.com/
http://www2.jpl.nasa.gov/basics/bsf4-1.php
http://en.wikipedia.org/wiki/Gravity_assist
http://www.raumfahrer.net/raumfahrt/raumsonden/rosetta.shtml
http://raumzeit-podcast.de/2011/07/25/rz020-giotto-und-rosetta/
http://www.bernd-leitenberger.de/rosetta.shtml
http://www3.mpifr-bonn.mpg.de/staff/junkes/ALU/SuWOpenAccessMaterial/SuW0409-S30-33.pdf
http://www.bernd-leitenberger.de/ariane5.shtml
http://spacelivecast.de/2012/08/landung-marsrover-curiosity/
http://www.esa.int
http://www.dlr.de/dlr/Portaldata/1/Resources/documents/Philae_Lander_FactSheets.pdf
http://www.kek-gmbh.com/forschung/parabelflug.html
http://www.bernd-leitenberger.de/feststofftriebwerke.shtml
http://www.raumfahrer.net/raumfahrt/raketen/ionenantrieb.shtml
http://www.dlr.de/dlr/presse/en/desktopdefault.aspx/tabid-10308/471_read-4793/yearall/#gallery/7093
Bildverzeichnis
Jegliche Grafiken/Fotos oder Formeln/Schemata, die nicht im folgenden Verzeichnis angegeben
werden, sind selbst entworfene Grafiken/fotografierte Fotos.
(Fluchtbahnen, kosmische Geschwindigkeiten) http://www.leifiphysik.de/web_ph11/umwelttechnik/10_gravfeld/geschwindigkeiten/geschwindigkeiten.htm
(Voyager 1) http://rememberinghistory.wordpress.com/2012/11/12/on-this-day-in-1980-voyager-iflies-near-saturn/
(Pioneer 10) http://www.science-at-home.de/pioneer.php
(Golden record) http://voyager.jpl.nasa.gov/spacecraft/images/golden_record_cover.gif
(Golden plaque) http://gerrycanavan.wordpress.com/tag/voyager/
(Positionen, Voyager) http://spaceinfo.com.au/2010/12/14/voyager-sees-solar-wind-run-out-of-puff/
(Centaur) http://www.avionics-intelligence.com/articles/2012/02/pratt-whitney-rocketdyne.html
(New Horizons) http://nssdc.gsfc.nasa.gov/planetary/image/pluto-newhorizons.jpg
(MRO) http://de.academic.ru/dic.nsf/dewiki/922480
(Venus Express) http://www.mps.mpg.de/de/projekte/venus-express/
(Galileo) http://www.aerospaceguide.net/spacecraft/gallileospacecraft.html
(Curiosity) http://www.nasa.gov/mission_pages/msl/multimedia/pia16238.html
(Phoenix) http://www.flashespace.com/html/mai08/24a_05_08.htm
(Huygens) http://www.redorbit.com/news/space/1809511/fifth_anniversary_of_titan_landing/
(Huygens landing) http://www.lpi.usra.edu/features/huygens/101812/
(Curiosity landing) http://commons.wikimedia.org/wiki/File:MSL_Entry_edit_german.png
(Sky crane 1,2,3,4) http://conceptships.blogspot.de/2012/08/curiosity-lands-on-mars.html
(Detail Curiosity landing) http://en.rian.ru/infographics/20120806/175017028.html
(Eblem Rosetta, Philae) http://www.esa.int/Our_Activities/Space_Science/Rosetta
(Grafik Oort'sche Wolke) http://en.wikipedia.org/wiki/File:Kuiper_oort.jpg
(Hale-Bopp) http://www2.jpl.nasa.gov/comet/ches8.html
(Halley) http://apod.nasa.gov/apod/ap100104.html
(Wild 2) http://science.nasa.gov/science-news/science-at-nasa/2004/16jan_stardust/
(69P, 3D) http://de.wikipedia.org/wiki/Tschurjumow-Gerasimenko
(Rosetta Flugbahn) http://www.dlr.de/DesktopDefault.aspx/tabid-6840/86_read-25549/gallery1/gallery_read-Image.1.6292/
(Abwurf Philae) http://www.br.de/themen/wissen/rosetta-raumsonde-komet-100.html
(Konstruktion) http://www.esa.int/Our_Activities/Space_Science/Rosetta/The_Rosetta_orbiter
(Rosetta Instrumente) http://spaceinimages.esa.int/Images/2004/01/The_Rosetta_orbiter
(Wernher von Braun) http://de.wikipedia.org/wiki/Wernher_von_Braun
(Start A4) http://www.bild.bundesarchiv.de/archives/barchpic/search/_1363787611/?search
%5Bform%5D%5BSIGNATUR%5D=Bild+141-1880
(Ariane 5 Start) http://www.spacealliance.ro/articles/view.aspx?id=20110425035601
(Schemadarstellung 1, nicht modifiziert) http://en.wikipedia.org/wiki/File:SolidRocketMotor.svg
(Raketentreibstoff Anordnung) Buch: Raketen und Raumfahrt von Philipp Burkhalter
(A4 Rakete Schema) Buch: Raketen und Raumfahrt von Philipp Burkhalter
(Hybrid Antrieb Konzept) http://en.wikipedia.org/wiki/File:Hybrids_big.png
(Space Ship One) http://www.jewishjournal.com/images/articles/cov_spaceshipone_110306.jpg
(White Knight) http://www.air-and-space.com/20041004%20SpaceShipOne.htm
(Düse) Buch: Raketen und Raumfahrt von Philipp Burkhalter
(Grafik, Lavaldüse) http://de.wikipedia.org/wiki/Lavald%C3%BCse
(Ionenantrieb Konzept)
http://www.nature.com/scientificamerican/journal/v300/n2/images/scientificamerican0209-58I3.jpg
(Dawn) http://www.nasa.gov/mission_pages/dawn/multimedia/concept.html
(NSTAR) http://ep.jpl.nasa.gov/multimedia.html
(VASIMR Prototype, VX 200) http://www.adastrarocket.com/aarc/VX200
(HTO von MSL) http://forum.kerbalspaceprogram.com/showthread.php/26847-Orbital-transferwhy-is-it-so-hard-to-come-in-behind-the-destination-planet
(Voyager 2 Geschwindigkeit)
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Voyager_2_velocity_vs_distance_from_sun.svg
(Cassini-Huygens Bahn) http://www.astronomy.ohio-state.edu/~pogge/Ast161/Unit4/dance.html
(Bahnelemente, Tabelle ΔVmax von Planeten, Venus GA Graph ) Doktorarbeit: Ian Carnelli
(Parabelflug Schema) http://www.kek-gmbh.com/forschung/parabelflug.html
(Airbus A300) http://www.luxuo.com/wp-content/uploads/2009/06/weightless-airbus.jpg
(DLR beim Parabelflug) http://www.dlr.de/desktopdefault.aspx/tabid-734/1210_read-3259/
(Insight) http://www.dlr.de/dlr/presse/en/desktopdefault.aspx/tabid-10308/471_read-4793/year-all/
Eidesstaatliche Erklärung
Hiermit erkläre ich, dass ich diese Arbeit selbstständig, ohne fremde Hilfe und nur unter der
Verwendung der angegebenen Quellen angefertigt habe.

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