Kommentar zu Fernando Gomez und Mireia

Transcrição

Kommentar zu Fernando Gomez und Mireia
German Working Papers in Law
and Economics
Volume 
Paper 
Kommentar zu Fernando Gomez und
Mireia Artigot-Golobardes: Who should
bear the costs of workplace injuries? The
difficult coordination of workers’
compensation and tort liability in
economic perspective
Jochen Bigus
University of Hamburg
Abstract
c
Copyright 2004
by the authors.
http://www.bepress.com/gwp
All rights reserved.
Bigus: Kommentar zu Fernando Gomez und Mireia Artigot-Golobardes
-1-
1
Jochen Bigus
Kommentar zu Fernando Gomez und Mireia Artigot-Golobardes Who should bear the costs of workplace injuries? The difficult coordination of workers’
compensation and tort liability in economic perspective
1.
Inhalt und Zielsetzung
Der Beitrag von Gomez/Artigot-Golobardes beschäftigt sich mit der Koordination des
Schadensausgleichs bei Arbeitsunfällen, wenn es zwei Schädiger gibt. Neben dem
Arbeitgeber kann auch der Hersteller eines Produkts (Produzent) verantwortlich sein. Beim
Produkt kann es sich beispielsweise um eine defekte Maschine handeln, mit der der
verunglückte Arbeitnehmer gearbeitet hat. Der Arbeitgeber selbst kann bestimmte
Unfallverhütungsvorschriften missachtet haben. Zur Vereinfachung unterstellen
Gomez/Artigot-Golobardes, dass den Arbeitnehmer keine Schuld trifft. Im Falle eines
Arbeitsunfalls erhält der Arbeitnehmer üblicherweise einen Schadensausgleich von einer
Unfallversicherungsgesellschaft, in Deutschland regelmäßig von der Berufsgenossenschaft.
Der Schadenersatz umfasst grundsätzlich keine immateriellen Schäden. Die Prämie für die
Berufsgenossenschaft trägt der Arbeitgeber. Sie ist annahmegemäß fair und entspricht dem
erwarteten Schaden, den der Arbeitgeber zu tragen hat. Mit dem Schadenersatz durch die
Berufsgenossenschaft verzichtet der Arbeitnehmer vertragsgemäß auf deliktische Ansprüche
gegen den Arbeitnehmer. Dennoch kann der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Schadenersatz
gegenüber dem Produzenten geltend machen. In den USA, deren Gesetzgebung ausschließlich
betrachtet wird, unterliegt der Produzent für Produktfehler der Gefährdungshaftung.1 Zwei
Fragen tauchen damit auf:
(1) Wie kann man vermeiden, dass der geschädigte Arbeitnehmer zweifach Schadenersatz
erhält? Welche Mechanismen sehen die entsprechenden gesetzlichen Regelungen zur
Koordination des Schadenausgleichs vor?
(2) Setzen
die
verschiedenen
Koordinationsregeln
optimale
Anreize
zur
Schadensvermeidung − sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Produzenten?
Vor diesem Hintergrund werden verschiedene Systeme der Schadensausgleichskoordination
untersucht. Die Verfasser nutzen hierbei die Erkenntnisse der ökonomischen Analyse des
Schadensrechts für den Fall, dass es zwei Schädiger gibt.2 Die Analyse ist abstrakt gehalten,
1
Eine Verschuldenshaftung gilt indes für Fehler im Design oder für fehlerhafte Warnhinweise, siehe Gomez /
Artigot-Golobardes (2004), S. 5.
2
Siehe hierzu Shavell, S., Economic Analysis of Accident Law, 1987.
Produced by bepress.com, 2013
German Working Papers in Law and Economics
-2-
2
Vol. 2004, Paper 28
ich werde die wesentlichen Ergebnisse im folgenden anhand numerischer Beispiele
verdeutlichen.
2.
Systeme zur Koordination des Schadensausgleichs
Ausgangspunkt. Ein Arbeitnehmer erleidet durch einen Arbeitsunfall einen Schaden, der in
monetären Einheiten H = 100 beträgt. Der Arbeitgeber trägt eine Teilschuld am Unfall in
Höhe von 60%. Die restlichen 40% sind auf ein fehlerhaftes Produkt des Produzenten
zurückzuführen. Im Beitrag werden Arbeitgeber und Produzent mit den Symbolen E bzw. M
dargestellt (entrepreneur bzw. manufacturer). Die Berufsgenossenschaft ersetzt nicht den
gesamten erlittenen Schaden, sondern nur L = 30. Damit beschränke ich mich auf den Fall L <
H, der in Abschnitt 5.1 behandelt wird und realistisch erscheint, wenn die
Berufsgenossenschaft immaterielle Schäden grundsätzlich nicht erstattet (der Fall L = H wird
in Abschnitt 4 untersucht). Der Produzent haftet aus Gefährdungshaftung. Gomez/ArtigotGolobardes untersuchen folgende fünf Systeme des Schadensausgleichs in den USA, wobei
nur die ersten vier Gesetzeskraft haben, das fünfte hingegen bisher offenbar nur im Schrifttum
diskutiert wird:
(1) No-Contribution (des Arbeitgebers)
(2)
(3)
(4)
(5)
Total Contribution
Limited Contribution
Dollar-for-Dollar-Reduction und
Severance Systems.
(1) No-Contribution. Dieses System war in den USA am weitesten verbreitet. Danach haftet
der Arbeitgeber nicht, selbst wenn er eine Teilschuld trägt. Der Produzent wird alleine
verantwortlich gemacht und muss den gesamten Schaden von 100 Geldeinheiten erstatten.
(2) Total Contribution. Die Staaten New York und Illinois sehen eine Mitverantwortung des
Arbeitgebers vor, wenn dieser fahrlässig gehandelt hat. Für die Daten unseres Beispiels würde
der Arbeitgeber bei Fahrlässigkeit daher 60 zahlen, der Produzent nur 40. Hat der Arbeitgeber
nicht fahrlässig gehandelt, erstattet der Produzent wiederum den Gesamtschaden von 100.
(3) Limited Contribution. Die Staaten Minnesota and Pennsylvania sehen eine ähnliche
Regelung wie New York und Illinois vor, allerdings ist der Schadenersatz des Arbeitgebers
auf die Versicherungssumme der Berufsgenossenschaft begrenzt (L = 30). In unserem
Beispiel würde der Unternehmer bei Fahrlässigkeit somit min(30; 60) = 30 ersetzen, der
Produzent hat entsprechend 70 zu erstatten. Die Regelung der Limited Contribution sieht
ebenso wie diejenige der Total Contribution eine etwas kompliziertere Verfahrensregelung
http://www.bepress.com/gwp/default/vol2004/iss1/art28
Bigus: Kommentar zu Fernando Gomez und Mireia Artigot-Golobardes
-3-
3
vor.3 Wenn das Gericht den Schadenersatzanspruch des Arbeitnehmers gegenüber den
Produzenten anerkennt, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, den von der Berufsgenossenschaft
erhaltenen Betrag an den Arbeitgeber abzuführen. Der Produzent kann gegenüber dem
Arbeitgeber einen Ausgleichsanspruch in Höhe von 30 geltend machen. Dafür ist ein
neuerliches Verfahren notwendig. Wenn der Arbeitgeber fahrlässig gehandelt hat, er aber nur
zu 20% am Schaden beteiligt ist, kann der Produzent einen Ausgleich von min(30; 20) = 20
beanspruchen. Wenn der Arbeitgeber nicht fahrlässig gehandelt hat, hat der Produzent
wiederum den Gesamtschaden zu erstatten.
(4) Dollar-for-Dollar-Reduction. Diese Regelung findet in den Staaten North Carolina,
Kalifornien und Idaho Anwendung, mit einigen Modifikationen ebenfalls in Connecticut. Der
Produzent zahlt hierbei die Differenz zwischen Gesamtschaden und dem Ersatz durch die
Berufsgenossenschaft. Damit zahlt der Arbeitgeber − über die Versicherungsprämie −
faktisch 30 (da L = 30 gilt). Im Gegensatz zur Limited Contribution muss der Produzent kein
Verfahren anstreben, um die Ausgleichszahlung zu erlangen. Die Transaktionskosten sind
daher geringer, das Gericht muss auch nicht die Schuldanteile berechnen. Allerdings ist es
dem Arbeitgeber ebenfalls nicht möglich, eine Ausgleichzahlung vom Produzenten zu
erhalten, wenn der Arbeitgeber nicht fahrlässig gehandelt hat oder wenn sein Schuldanteil
unter 30% liegt. Aber auch in diesen Fällen muss er L = 30 zahlen.
(5) Severing the Systems. Diese Regelungen basieren auf der joint tortfeasors doctrine und
rechtsökonomischen Erkenntnissen, sind aber offensichtlich noch nicht im Gesetzesform
gegossen. Drei Arten von Regelungen sind von besonderem Interesse.
(a) Severance System 2: Eine wesentliche Änderung zur Regelung zuvor besteht darin, dass
für den Produzenten keine Gefährdungshaftung gilt, sondern Verschuldenshaftung. Im Falle
fahrlässigen Handelns haftet der Produzent dann für den gesamten Schaden, der Arbeitgeber
trägt dann 0 bei. Handelt der Produzent nicht fahrlässig, so trägt der Arbeitgeber den
gesamten Schaden. Kurzum: es haftet immer nur eine Partei.
(b) Severance System 3: Diese Regelung sieht für den Produzenten ebenfalls eine Haftung
aus Verschulden vor. Allerdings haftet er nun nur für „seinen“ Schuldanteil. Handelt der
Produzent fahrlässig, zahlt der Arbeitgeber bei unserem Beispiel 60 Geldeinheiten, handelt
der Produzent nicht fahrlässig, trägt der Arbeitgeber den gesamten Schaden von 100
Geldeinheiten.
(c) Severance System 4: Hier haftet der Produzent wiederum aus Gefährdungshaftung, aber
nur in Höhe seines Schuldanteils. Damit zahlt der Produzent 40 und der Arbeitgeber 60
Geldeinheiten.
3
Siehe Gomez/Artigot-Golobardes (2004), S. 9 f.
Produced by bepress.com, 2013
German Working Papers in Law and Economics
-4-
4
Vol. 2004, Paper 28
Severance System 1 beinhaltet, dass der Arbeitgeber nur die Kosten der erwarteten
Versicherungssumme trägt, der Produzent trägt aus Gefährdungshaftung immer den
verbleibenden Schaden (in der Formelsprache H-L). Dieser Fall ist in der Modellanalyse
vergleichbar mit demjenigen der Dollar-for-Dollar-Reduction, weshalb er im Beitrag von
Gomez/ Artigot-Golobardes und auch in der folgenden Diskussion nicht explizit behandelt
wird.
3.
Ergebnisse der Analyse
3.1
Übersicht
Tabelle 1 gibt einen Überblick, wie die verschiedenen Systeme zur Koordination des
Schadensausgleichs die Anreize des Arbeitgebers und des Produzenten zur
Schadensvermeidung beeinflussen. Nur die dunkelgrau schraffierten Felder zeigen sozial
wünschenswerte Sorgfaltniveaus an (y* und x*). Bei den hellgrauen Feldern sind optimale
Lösungen denkbar, allerdings vom Eintritt weiterer Bedingungen abhängig.
Tabelle 1: Sorgfaltsniveau des Arbeitgebers und des Produzenten bei verschiedenen
Regelungen des Schadenausgleichs
Regelung zum
Schadensausgleich
Sorgfaltsniveau des Arbeitgebers
(y =)
Sorgfaltsniveau des
Produzenten (x =)
(a) No contribution
0
x^(y=0) > x*
y* (bei effizientem
Sorgfaltsstandard)
x* ,wenn y*
y* oder suboptimales Niveau
(wenn L<<H)
x* oder suboptimales
Niveau
suboptimales Niveau
suboptimales Niveau
y*(x*)
x*(y*)
y* (bei effizientem
Sorgfaltsstandard)
x* ,wenn y*
suboptimales Niveau
suboptimales Niveau
(b) Total contribution
(c) Limited contribution
(d) Dollar-for-Dollar-Reduction
(e) Severance 2
(f) Severance 3, Spiegelbild zu
(b)
(g) Severance 4
Im weiteren sei erläutert, wie es zu diesen Ergebnissen kommt. Hierbei werden die Systeme
der Total Contribution und Severance System 3 später gesondert diskutiert, um die Bedingung
des „effizienten Sorgfaltsstandards“ ausführlicher darlegen zu können.
http://www.bepress.com/gwp/default/vol2004/iss1/art28
Bigus: Kommentar zu Fernando Gomez und Mireia Artigot-Golobardes
-5-
3.2
5
Erläuterung der Ergebnisse
No Contribution. Der Produzent ist alleine zum Schadensausgleich verpflichtet, der
Arbeitgeber jedoch gar nicht. Das führt zu adversen Anreizen. Der Arbeitgeber wird keine
Vorsicht mehr walten lassen, der Produzent hingegen ein zu hohes Sorgfaltsniveau wählen,
um Schäden zu vermeiden. Beides führt zu sozialen Kosten.
Limited Contribution. Der Arbeitgeber ist bei Fahrlässigkeit zum Schadenersatz verpflichtet,
und zwar grundsätzlich in Höhe seines Anteils an der Schuld, maximal aber in Höhe der
Haftungssumme L, die die Berufsgenossenschaft zahlt. Zwei Fälle sind zu unterscheiden. Fall
(a): Entspricht die Haftungssumme L ungefähr dem Schaden H des Arbeitnehmers, so hat der
Arbeitgeber einen Anreiz, den optimalen Sorgfaltsmaßstab y* zu wählen. Er handelt dann
nicht fahrlässig. Da nun der Produzent einen eventuell anfallenden Schaden gänzlich zu
tragen hätte, wird auch er ein optimales Sorgfaltsniveau wählen (x*). Fall (b): Wenn die
Haftungssumme hinreichend niedriger ausfällt als der Schaden des Arbeitnehmers (L >> H),
wird der Arbeitgeber zu wenig Anstrengungen unternehmen, um einen potentiellen Unfall zu
verhindern. Denn ab einem bestimmten Punkt trägt der Arbeitgeber nur die Kosten höherer
Anstrengung, hat hieraus aber wenig Vorteile (die Haftungssumme ist beschränkt, somit steigt
auch die Versicherungsprämie nicht entsprechend an). Der Produzent wird ebenfalls ein
suboptimales Sorgfaltsniveau wählen, wohl wissend, dass der Arbeitgeber fahrlässig handelt
und er somit einen potentiellen Schaden mit dem Arbeitgeber teilen kann.
Dollar-for-Dollar-Reduction. In diesem System steht der Arbeitgeber stets mit der
Haftungssumme der Unfallversicherung ein, d.h. zahlt faktisch L, auch wenn er nicht
fahrlässig gehandelt hat oder sein Anteil am Schaden niedriger oder höher ist. Der Produzent
zahlt entsprechend den höheren Anteil. Somit teilen sich beide den Schaden. Das führt aber
wiederum zu adversen Anreizen. Sowohl Arbeitgeber als auch Produzent wissen, dass sie
jeweils persönlich von einem geringeren Schadensvermeidungsaufwand profitieren, während
die hierdurch entstehenden Kosten (höherer Schaden) mit der Gegenseite geteilt werden. Das
führt bei beiden Parteien zu einem suboptimalen Sorgfaltsniveau.
Severance System 2. Hier wird für den Produzenten statt Gefährdungshaftung
Verschuldenshaftung unterstellt. Wählt der Produzent einen niedrigeren Standard als x*, so
handelt er fahrlässig und er trägt den gesamten Schaden. Wählt er den Standard x*, so
scheidet Fahrlässigkeit aus und er haftet nicht, der Schaden wird vollständig vom Arbeitgeber
getragen. Das Problem, dass zwei Parteien den Schaden teilen, wird somit überwunden. Der
Produzent hat einen starken Anreiz, das wünschenswerte Sorgfaltsniveau x* anzustreben. Der
Arbeitgeber hat unter dieser Voraussetzung seinerseits einen Anreiz, das optimale Niveau x*
Produced by bepress.com, 2013
German Working Papers in Law and Economics
-6-
6
Vol. 2004, Paper 28
zu wählen. Es kommt zur ökonomisch optimalen Lösung. Diese Regelung entfaltet aber noch
keine Gesetzeskraft, ebenso wenig wie die folgende.
Severance System 4: Der Produzent unterliegt der Gefährdungshaftung, allerdings ist er nur in
Höhe seines Schuldanteils zum Schadenersatz verpflichtet. Der Arbeitgeber zahlt den Rest.
Damit erfolgt wiederum eine Schadensteilung. Der optimale Schadensvermeidungsaufwand
wird damit nicht erzielt – bei keine der beiden Parteien. Damit wird − wie bei der Dollar-forDollar-Reduction − wiederum ein suboptimales Niveau erreicht.
3.3
Erläuterung: Total Contribution und Severing System 3
Total Contribution. Der Arbeitgeber zahlt nur bei Fahrlässigkeit Schadenersatz, d.h. wenn er
einen geringeren Schadenvermeidungsaufwand wählt, als es das gesetzliche und
annahmegemäß effiziente Niveau y* vorgibt. Handelt der Arbeitgeber nicht fahrlässig, haftet
der Produzent im vollem Umfang für den entstandenen Schaden des Arbeitnehmers. Bei
Fahrlässigkeit haftet der Arbeitgeber gemäß seines Schuldanteils. Im Gegensatz zur Limited
Contribution ist die Haftung nicht auf die Höhe der Versicherungssumme (L) der
Unfallversicherung beschränkt, für die er die Prämie zahlt.
Beim Severance System 3 unterliegt der Produzent der Verschuldenshaftung und haftet nur,
wenn er den Sorgfaltsstandard x* unterschreitet, dann auch nur in Höhe seines Schuldanteils.
Der Arbeitgeber trägt den Rest des Schadens. Severance System 3 stellt somit das Spiegelbild
zur Total Contribution dar.
Das System der Total Contribution führt genau dann zu optimalen Verhaltensanreizen, wenn
der Anteil am Gesamtschaden, den der Arbeitgeber bei Fahrlässigkeit zu tragen hat (im
Modell mit α bezeichnet, 0 < α < 1), hinreichend hoch ist.4 Nur dann wird er den optimalen
Schadensvermeidungsaufwand y* wählen. Als Folge wird der Produzent ebenfalls das
optimale Niveau y* anstreben, denn ein nun entstehender zusätzlicher Schaden geht gänzlich
zu seinen Lasten. Entsprechend spiegelbildlich ist die Analyse im Fall des Severance System
3.
Das folgende Beispiel5 zur Total Contribution illustriert einen Fall, in dem α nicht hoch genug
ist und der Arbeitgeber daher zu wenig in Schadensvermeidung investiert. Wir nehmen an,
dass der Arbeitgeber nicht fahrlässig handelt und damit nicht zur Haftung herangezogen wird,
wenn er den effizienten Schadensvermeidungsaufwand von y = y* = 40 tätigt. Ist y geringer,
4
Siehe Gomez/Artigot-Golobardes (2004), S. 17.
5
Es handelt sich um ein diskretes Beispiel, was naturgemäß nur unvollständig die stetig definierten Funktionen
des Modells von Gomez/Artigot-Golobardes (2004) abbilden können. Allerdings lassen sich die Effekte so
besser verdeutlichen.
http://www.bepress.com/gwp/default/vol2004/iss1/art28
Bigus: Kommentar zu Fernando Gomez und Mireia Artigot-Golobardes
-7-
7
so wird der Arbeitgeber in Höhe seines Schuldanteils zur Haftung herangezogen, d.h. in Höhe
von α. Der Schuldanteil ist umso höher, je weniger der Arbeitgeber zur Schadensvermeidung
beiträgt, d.h. δα/δy < 0. Der Arbeitgeber hat jetzt dennoch einen Anreiz, nicht das effiziente
Sorgfaltsniveau y* zu wählen, sondern das niedrigere Niveau y^ < y*, wenn die Gesamtkosten
für y* höher sind, d.h. wenn folgendes gilt (siehe hierzu Ungleichung (8) bei Gomez/ArtigotGolobardes (2004)):
(1)
y* > y^ + αP(x^, y^)H.
P bezeichnet die Wahrscheinlichkeit eines Schadeneintritts und H ist der Betrag des
Schadensersatzes. Die Wahrscheinlichkeit eines Schadeneintritts wird auch bestimmt durch
den Schadenvermeidungsaufwand des Produzenten, ausgedrückt durch den Parameter x,
wobei x^ die „beste Antwort“ auf das vom Arbeitgeber gewählte Niveau y^ darstellt (und y^
ebenfalls die „beste Antwort“ des Arbeitgebers darstellt). Der Aufwand des Produzenten (x)
sei hier gegeben. Gleichung (1) besagt, dass der Arbeitgeber nicht den sozial
wünschenswerten Schadenvermeidungsaufwand y* tätigt, sondern den niedrigeren Aufwand
y^, wenn die zu erwartenden Haftungskosten (αP(x^, y^)H) geringer sind als die Ersparnis an
Vermeidungsaufwand (y*− y^). Das hängt offenbar entscheidend vom Parameter α ab, wie
die folgende Konkretisierung verdeutlicht.
Tabelle 2: Der Arbeitgeber investiert zu wenig in Schadensvermeidung bei Total
Contribution, wenn sein Schuldanteil (α) zu niedrig ist
Schadensvermeidungsaufwand des
Arbeitgebers (y)
(1)
Schadenswahrscheinlichkeit
(P)
Erwarteter
Schaden (P·H
mit H = 200)
Schuldanteil
des Arbeitgebers (a)
Gesamtkosten des
Arbeitgebers
(4)
Erwarteter
Schadenersatz,
gezahlt vom
Arbeitgeber
(5) = (4)·3
(2)
(3)= (2)·200
0
100 %
20
Gesamtkosten
(6)=(1)+(5)
(7)=(1)+(3)
+x
200
80%
160
160
200 + x
40 %
80
25%
20
40
100 + x
30
30 %
60
10%
6
36
90 + x
35
25 %
50
5%
2,5
37,5
85 + x
40
20 %
40
0%
0
40
80 + x
45
18 %
36
0%
0
45
81 + x
Die grau gekennzeichneten Felder zeigen den optimalen Schadensvermeidungsaufwand aus
individueller Sicht des Arbeitgebers und aus gesamtwirtschaftlicher Sicht. Der Arbeitgeber
Produced by bepress.com, 2013
German Working Papers in Law and Economics
-8-
8
Vol. 2004, Paper 28
würde y = y^ = 30 wählen, da dann seine Kosten minimal sind. Aus gesamtwirtschaftlicher
Perspektive sind die Kosten jedoch für y = y* = 40 am niedrigsten. Weil der Arbeitgeber
damit fahrlässig handelt, nimmt er bewusst eine Haftung im Schadensfall in Kauf. Das kann
aber wiederum die Anreize des Produzenten beeinträchtigen. Da der Produzent weiß, dass er
einen möglichen Schaden mit dem Arbeitgeber teilt, hat er grundsätzlich nicht mehr die
optimalen Anreize, Schaden zu vermeiden. Auch der Produzent wird tendenziell zu wenig in
Schadensvermeidung investieren (x^ < x*). Dem Schuldanteil des Arbeitgebers (α) kommt
somit die wichtige Rolle zu, ob es zu einer gesamtwirtschaftlich optimalen Lösung kommen
kann. Wäre der Schuldanteil des Arbeitgebers im obigen Beispiel bei Fahrlässigkeit jeweils
um 10 Prozentpunkte höher (z. B. α = 15% bei y = 35 und α = 20% bei y = 30), würde der
Arbeitgeber das optimale Sorgfaltsniveau wählen und nicht mehr fahrlässig handeln. Auch
der Produzent würde optimal in Schadensvermeidung investieren, da der Arbeitgeber nun
nicht mehr haftet und der Produzent somit vollständig die Kosten einer suboptimalen
Schadensvermeidung trägt.
4.
Diskussion
Zwischenfazit: Nur das Severance System 2 bietet die Gewähr, dass sowohl Produzent als
auch Arbeitgeber stets optimal in Schadensvermeidung investieren. Bei Total Contribution
kann dieser Fall eintreten, wenn der Schuldanteil des Arbeitgebers (α) „richtig“ gewählt ist,
d.h. nicht zu gering ist. Entsprechende Überlegungen gelten für das Severance System 3, das
ein Spiegelbild zur Total Contribution darstellt. Ist α jedoch zu niedrig, wird die optimale
Lösung verfehlt. Vor dem Hintergrund der Analyse von Gomez/Artigot-Golobardes (2004)
sollte man daher das Severance System 2 einführen, welches noch keine Gesetzeskraft in den
USA erlangt hat. Allerdings müsste man dann vom Prinzip der Gefährdungshaftung für
Produzenten abrücken, zumindest für den Fall zweier Schädiger. Es ist schwerlich vorstellbar,
dass eine Gefährdungshaftung für Produzenten nur für den Fall eines Schädigers gilt, nicht
jedoch für den Fall mehrerer Schädiger.
Ob ein bestimmtes gesetzliches Regime des Schadensausgleichs zur optimalen
Anreizsteuerung sowohl des Arbeitgebers als auch des Produzenten führt, hängt auch davon
ab, ob und inwieweit die Modellbedingungen gegeben sind. Hierauf ist im Weiteren näher
einzugehen.
(a) Keine Bewertungsprobleme bei der Schadensberechnung. Arbeitgeber und Produzent, aber
auch das Gericht schätzen den erwarteten Schaden in gleicher Weise ein. Gerade bei
Personenschäden dürfte das Bewertungsproblem sehr schwierig sein. Die Kosten eines
Krankenhausaufenthalts sind noch leicht zu bestimmen, schwieriger wird es schon mit dem
Lohnausfall aufgrund etwaiger Folgeschäden oder gar mit dauerhaften Beeinträchtigungen an
http://www.bepress.com/gwp/default/vol2004/iss1/art28
Bigus: Kommentar zu Fernando Gomez und Mireia Artigot-Golobardes
-9-
9
Leib und Seele. Wegen des Bewertungsproblems werden immaterielle Schäden grundsätzlich
nicht ersetzt.6 Das ist ein wesentlicher Grund für die Annahme, dass die Versicherungssumme
dem Schaden unterschreitet (L < H). Auch wenn immaterielle Schäden nicht ersetzt werden,
bleiben häufig Bewertungsprobleme bestehen. Gerichte könnten den tatsächlichen Schaden
daher unter- wie auch überschätzen.
Gomez/Artigot-Golobardes (2004) gehen hierauf in Kapitel 5.2 ein. Unterschätzen Gerichte
im Durchschnitt den tatsächlichen Schaden − nicht aber Produzent oder Arbeitgeber −, so
dämpft dies die Sorgfaltsanreize im Falle eines Schädigers. Im Papier werden jedoch
bilaterale Schäden untersucht. Eine Unterschätzung kann die Anreize zur
Schadensvermeidung bei der einen Partei verringern, bei der anderen jedoch verbessern. Es
kann auch gleichgerichtete Reaktionen geben. Beispielhaft sei auf die Unterschätzung des
Schadens bei No Contribution und Total Contribution eingegangen. Bei No Contribution
strebt der Produzent, der den Schadenersatz aus Gefährdungshaftung alleine trägt, ein
geringeres Sorgfaltniveau an, wenn er davon ausgeht, dass das Gericht den Schaden
unterschätzt. Wird der verbleibende Schaden nun zumindest teilweise vom Arbeitgeber
getragen, so ist der Arbeitgeber eher an Schadensvermeidung interessiert als bei korrekter
Schadenseinschätzung. Beide Parteien nähern sich somit an das optimale Niveau an. Die
Regelung No Contribution erscheint damit vorteilhafter als zuvor.
Wird der Schaden bei Total Contribution unterschätzt, so geht der Arbeitnehmer in
Ungleichung (1) von einem geringeren H aus. Die Ungleichung ist ceteris paribus eher erfüllt
als im Ausgangsfall, damit ist auch die Gefahr größer, dass der Arbeitgeber ein zu geringes
Sorgfaltsniveau wählt (y^ < y*). Ein übermäßiger Sorgfaltsaufwand scheint weniger plausibel
zu sein.7 Besteht eher die Gefahr, dass der Arbeitgeber den Standard y* verfehlt, wird auch
der Produzent eher ein suboptimales Sorgfaltsniveau wählen. Im Vergleich zum
Ausgangsmodell stellt sich Total Contribution weniger vorteilhaft dar, wenn das Gericht den
Schaden unterschätzt. No Contribution erscheint indes in einem eindeutig vorteilhafteren
Licht.8 Insgesamt ist Gomez/Artigot-Golobardes (2004), S. 29, nur bedingt zuzustimmen,
wenn sie sagen, dass Bewertungsfehler zu keinen systematischen Abweichungen in den
Effizienzüberlegungen führen.
(b) Keine Bewertungsprobleme bei Bemessung des Schadenanteils des Arbeitgebers (α). Die
Bemessung des Schadenanteils ist notwendig bei Total Contribution, Limited Contribution
und den Severance Systems 3 und 4. Das Modell unterstellt implizit, dass der Grad des
6
Schäfer, H.-B./ Ott, C., Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 289.
7
Gomez/Artigot-Golobardes (2004), S. 27, behaupten, dass die Unterschätzung des Schadens „generate under
precaution for the manufacturer, and either no effect, under precaution or over precaution on the side of the
employer.” Einen formalen Beweis liefern sie nicht. Die Lösung ist über die wechselseitig besten Antworten zu
finden, d.h. über das Nash-Gleichgewicht.
8
Severance System 2 stellt sich immer noch vorteilhaft dar, siehe Gomez/Artigot-Golobardes (2004), S. 28.
Produced by bepress.com, 2013
German Working Papers in Law and Economics
- 10 -
10
Vol. 2004, Paper 28
Mitverschuldens eindeutig festgestellt werden kann. Für häufig wiederkehrende und typische
Schadensfälle, z. B. für Unfälle im Straßenverkehr haben sich gewisse Erfahrungssätze
herausgebildet9 Wenn der Arbeitnehmer jedoch mit einer Spezialmaschine arbeitet,
möglicherweise zudem in einem Unternehmen mit technisch innovativen
Produktionsabläufen, dürfte es kaum zuverlässige Erfahrungswerte geben. Der Grad des
Mitverschuldens muss dann im Nachhinein vom Gericht festgestellt werden. Damit wird der
Parameter α selbst zu einer unsicheren Größe in dem Zeitpunkt, in dem Arbeitgeber und
Produzent über ihren Schadensvermeidungsaufwand entscheiden müssen. Mehr noch, es ist
vorstellbar, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Streitfalle kooperieren und versuchen, die
Einschätzung des Gerichtes zu beeinflussen. Das Gericht wird der Aussage des
Arbeitnehmers ein besonderes Gewicht beimessen. Ist der Arbeitnehmer abhängig vom
Arbeitgeber, wird die Einschätzung von α zusätzlich erschwert. Die Erweiterung des Modells
um diesen Unsicherheitsaspekt scheint jedoch aus formaler Sicht sehr anspruchsvoll zu sein.
Insgesamt sprechen diese Überlegungen eher für Regelungen, die es nicht erfordern, den Grad
des Mitverschuldens zu ermitteln, wie z. B. das Severance System 2.
(c) Unpräzise Sorgfaltsstandards. Gomez/Artigot-Golobardes (2004) unterstellen, dass die
effizienten Sorgfaltsstandards ex ante präzise zu bestimmen sind (x* für den Produzenten, y*
für den Arbeitgeber). Damit kennen Produzent wie auch Arbeitgeber schon bei Wahl des
Vermeidungsaufwands genau die „rote Linie“, die fahrlässiges und sorgfältiges Verhalten
voneinander trennt. In der Praxis ist die Linie häufig weniger trennscharf und ein Gericht
muss im Zweifel ex post feststellen, ob die im Verkehr erforderliche Sorgfalt aufgewendet
wurde. Ex ante gibt es damit einen „Graubereich“, der mit Hilfe der Abbildung 1 illustriert
werden kann (hier nur für den Parameter x).
Abbildung 1: Unpräziser Prüfungsstandard
Höhe des Sorgfaltsniveaus
xL
sicher Fahrlässigkeit ⇐
xH
⇒ mit Sicherheit keine Fahrlässigkeit
Wird das Sorgfaltsniveau xL nicht überschritten, so kann der Schädiger, etwa der Produzent,
ex ante mit Sicherheit davon ausgehen, das das Gericht Fahrlässigkeit feststellen wird. Wird
zumindest das Sorgfaltsniveau xH erreicht, so ist ex ante offensichtlich, dass der
Sorgfaltsstandard erfüllt wird. Zwischen diesen Sorgfaltsniveaus, d.h. im Bereich xL < x < xH
9
Diese Erfahrungssätze sind in sogenannten Quotentabellen festgehalten, siehe Schäfer, H.-B./ Ott, C., Lehrbuch
der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 209 mit weiteren Verweisen.
http://www.bepress.com/gwp/default/vol2004/iss1/art28
Bigus: Kommentar zu Fernando Gomez und Mireia Artigot-Golobardes
- 11 -
11
ist es ex ante unsicher, wie das Gericht entscheiden wird. Man kann diese Unsicherheit mit
dem Wahrscheinlichkeitsmaß F = F(x) abbilden, das folgende Eigenschaften aufweisen soll:
(2)
0 ≤ F(x) ≤ 1, F(x) = 1 für x ≥ xH ,
F(x) = 0 für x ≤ xL ,
δ F ( x)
< 0 für xL < x < xH .
δx
Der effiziente Sorgfaltsmaßstab liegt innerhalb des Bereichs xL < x* < xH , wird aber nur
zufällig vom Schädiger gewählt. Ein leicht höheres Sorgfaltsniveau kann immer noch mit
einer gewissen Wahrscheinlichkeit zur Haftung führen − anders als im Falle präziser
Standards. Bei vagen Standards und einem Schädiger wird das effiziente Sorgfaltsniveau
regelmäßig verfehlt.10 Es ist schwierig abzuschätzen, in welcher Weise unpräzise Standards
die Sorgfaltsanreize bei bilateralen Schäden im vorliegenden Kontext beeinflussen. Dies wäre
sicherlich eine interessante und anspruchsvolle, zudem auch praxisrelevante Erweiterung des
Modells. Gomez/Artigot-Golobardes (2004) diskutieren zwar in Kapitel 5.2 den Fall von expost-Abweichungen des Gerichts bei der Feststellung des Sorgfaltsstandards. Der vom
Gericht festgestellte Standard ist dann möglicherweise nicht optimal, jedoch − in der
bisherigen Präsentation − ex ante präzise bestimmbar. Vage Standards werden indes nicht
betrachtet.
(d) Versicherungsprämie und Unternehmensrisiko. Gomez/Artigot-Golobardes (2004), S. 14
unterstellen, dass die Versicherungsprämie fair ist, d.h. den erwarteten Schäden entsprechen,
die der Arbeitgeber zu verantworten hat. Die Prämie sollte daher am
unternehmensspezifischen Risiko ausgerichtet sein. Mit höherem Risiko sollte auch die
Versicherungsprämie ansteigen. Nur so hat der Arbeitgeber Anreize, das effiziente
Sorgfaltsniveau zu wählen. Gäbe es nur einen Einheitstarif, gibt es keine monetären Anreize
zur Schadensvermeidung. Die Anreize werden aber tendenziell bereits verzerrt, wenn die
Prämienzahlung
nicht
vom
unternehmensspezifischen,
sondern
z.B.
vom
branchenspezifischen Risiko abhängt − die Autoren führen hierfür Spanien als Beispiel an.11
Auch die Wettbewerbssituation am Versicherungsmarkt spielt eine Rolle. Gibt es
unzureichenden Wettbewerb zwischen den Unfallversicherungsgesellschaften − das ist etwa
für die Berufsgenossenschaften in Deutschland zu vermuten −, so sind die
Versicherungsprämien nicht mehr „fair“ und übersteigen die erwarteten Schäden. Der
Arbeitgeber hat bei Verschuldenshaftung daher stärkere Anreize, den Sorgfaltsstandard
einzuhalten und wird tendenziell ein zu hohes Sorgfaltsniveau wählen.
(e) Denkbare Modellerweiterungen. In diesem Modell werden Schadenersatzzahlungen mit
Sicherheit geleistet, d.h. es gibt kein Ausfallrisiko und auch keine Haftungsbeschränkungen.
Haftungsobergrenzen
führen
dazu,
dass
die
vom
Schädiger
erwarteten
10
Craswell, R../ Calfee, J E., Deterrence and Uncertain Legal Standards, Journal of Law, Economics, and
Organization, 2 (1986), S. 279-303.
11
Siehe Gomez/Artigot-Golobardes (2004), S. 14, Fn. 42.
Produced by bepress.com, 2013
German Working Papers in Law and Economics
- 12 -
12
Vol. 2004, Paper 28
Schadenersatzzahlungen unter die von ihm erwarteten Schäden absinken. Der Schädiger trägt
dann nur teilweise die Konsequenzen eines verminderten Sorgfaltsniveaus.
Haftungsbeschränkungen induzieren daher bei Gefährdungshaftung grundsätzlich ein zu
geringen Schadensvermeidungsaufwand oder eine zu hohe Risikoaktivität12 Auch bei
Verschuldenshaftung kann dieser Effekt auftreten.
Zudem drängt es sich bei der Schadensausgleichsanalyse von Arbeitsunfällen auf, zusätzlich
Mitverschulden des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Die Modellanalyse mit drei Parteien
wird deutlich komplexer werden. Zu vermuten ist, dass Total Contribution und Severance
System 2 wohl nicht mehr zwingend zu effizienten Lösungen führen. In Analogie zur
bisherigen Argumentation müssen beim Total Contribution-System die Schuldanteile jeweils
hoch genug sein, um alle Parteien zu einem effizienten Schadensvermeidungsaufwand
anzureizen. Da sich die Gesamtschuld nun durch drei statt durch zwei Parteien teilt, wird
diese Forderung tendenziell schwieriger zu erfüllen sein. Der Vorzug des Severance System 2
liegt darin, dass eine Partei alleine den Schaden trägt und somit die Kosten eines verminderten
Vermeidungsaufwands nicht geteilt werden können. Konsequenterweise müsste ein
anreizkompatibles System wohl wie folgt aussehen: Wählt der Produzent nicht den
gesetzlichen Sorgfaltsstandard, trägt er den Gesamtschaden. Ansonsten ist er von der Haftung
befreit (das wäre wieder eine Form der Verschuldenshaftung, die für die Produzentenhaftung
derzeit rechtsdogmatisch wohl schwierig zu begründen ist). Ist der Produzent von der Haftung
befreit und wählt der Arbeitnehmer nicht den effizienten Sorgfaltsstandard, sollte letzterer
alleine die Haftungsfolgen tragen. Hat der Arbeitnehmer den Standard beachtet, so zahlt die
Berufsgenossenschaft und der Arbeitgeber einen verbleibenden Restschaden. Faktisch zahlt
der Arbeitgeber dann den gesamten Schaden. Alle Parteien würden den effizienten
Sorgfaltsstandard wählen.
Probleme tauchen dann auf, wenn der Standard nicht (ganz) präzise und der Arbeitnehmer
risikoscheu ist. Die Berücksichtigung von Risikoaversion dürfte den Komplexitätsgrad des
Modells erheblich erhöhen. Ob dies bedeutsame Auswirkungen auf die Ergebnisse hätte, ist
ohne eine fundiertere Analyse kaum abschätzbar. Nur soviel lässt sich vermuten: gibt es keine
(faire) Versicherungen, sollte die Partei mit einem höheren Grad an Risikoaversion ceteris
paribus auch eher die Haftungsfolgen tragen. Würde die stärker risikoaverse Partei gar nicht
mehr haften, wäre dies optimal unter dem Aspekt der Risikoallokation, aber nicht unter dem
Gesichtspunkt der Anreizsteuerung.
Fazit: Die theoretische Analyse zeigt deutlich die Anreizwirkungen der verschiedenen
Regelungen zur Schadensausgleichskoordination. Für die künftige Forschung sind die
empirischen Fragestellungen, die in der Zusammenfassung des Beitrags aufscheinen,
mindestens genauso interessant, etwa die Frage: Gibt es einen signifikanten Zusammenhang
12
Siehe Shavell, S., Economic Analysis of Accident Law, 1987, S. 167ff.
http://www.bepress.com/gwp/default/vol2004/iss1/art28
Bigus: Kommentar zu Fernando Gomez und Mireia Artigot-Golobardes
- 13 -
13
zwischen der Anzahl der Arbeitsunfälle und dem System der Haftungskoordination ? Der
interessierte Leser fragt sich auch, wie die Regelungen zum Schadenausgleich in den Ländern
der Europäischen Union aussehen und inwieweit und für wen diese optimale Anreize zur
Schadensvermeidung setzen.
Literaturverzeichnis
Craswell, R./ Calfee, J. E., Deterrence and Uncertain Legal Standards, Journal of Law,
Economics, and Organization, 2 (1986), S. 279-303.
Schäfer, H.-B./ Ott, C., Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000.
Shavell, S., Economic Analysis of Accident Law, 1987.
Produced by bepress.com, 2013

Documentos relacionados